KriPoZ-RR, Beitrag 45/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.06.2020 – 5 StR 157/20: Konkurrenzen bei §§ 113, 114, 223 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte Körperverletzung können zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen; Gesetzeskonkurrenz besteht nicht.

Sachverhalt:

Das LG Leipzig hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit tätlichem Angriff gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte mit seinem beschuhten Fuß in Verletzungsabsicht nach einem seiner Mitbewohner getreten. Um weitere Angriffsversuche dieser Art zu unterbinden, hatten die inzwischen eingetroffenen Polizeibeamten den Angeklagten nach hinten gezogen. Dadurch provoziert hatte sich der Angeklagte von diesem Moment an auf die Beamten konzentriert und versucht sie mit Schlägen und Tritten zu verletzen. Den Beamten war es daraufhin gelungen den Angeklagten trotz Gegenwehr zu Boden zu bringen. Verletzungen hatten sie nicht erlitten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (jeweils in zwei tateinheitlichen Fällen).

Mit den Tritten gegen die Polizeibeamten habe der Angeklagte zumindest konkludent mit der Anwendung von Gewalt gedroht. Dies sei auch bei Vornahme einer Vollstreckungshandlung (Festhalten) gegen die Amtsträger erfolgt.

Zugleich erfüllten die Tritte auch § 114 Abs. 1 StGB, da das Verhalten des Angeklagten einen tätlichen Angriff auf die beiden dienstlich tätigen Polizisten dargestellt habe.

Ein tätlicher Angriff sei jede mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung, unabhängig von ihrem Erfolg. Die Einwirkung auf den Körper müsse zwar Ziel der Handlung sein, ein Körperverletzungsvorsatz sei jedoch nicht erforderlich. Ein Abweichen von dieser Definition sei auch nach der Gesetzesreform durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften vom 23. Mai 2017 nicht angezeigt, so der BGH.

Der Gesetzgeber habe lediglich die Begehungsweise des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB ausgliedern und dadurch auf allgemeine dienstliche Handlungen erstrecken wollen. Eine Änderung des Bedeutungsgehalts des Tatbestandsmerkmals sei damit nicht bezweckt gewesen. Auch eine restriktivere Auslegung sei nach der Strafschärfung nicht geboten, da der offensichtliche Wille des Gesetzgebers dies nicht vorsehe. Ob die angedrohten Strafen für solche Taten aus kriminalpolitischen Gründen zu hoch angesetzt seien, habe der Senat nicht zu bewerten.

Ebenfalls bestätigte der BGH die konkurrenzrechtliche Bewertung des LG, alle Delikte zueinander in Tateinheit stehen zu lassen. Keines der ideal konkurrierenden Delikte trete gesetzeskonkurrierend zurück, da weder ein Fall der Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion vorlägen.

Spezialität sei nicht gegeben, da keiner der Tatbestände alle Merkmale eines anderen und noch ein weiteres enthalte. Bei § 113 StGB und § 114 StGB unterschieden sich schon die Tathandlungen. Nach Auslegung der Normen sei auch kein Fall der Subsidiarität anzunehmen.

Schließlich sei auch ein Fall der Konsumtion, also des vollständigen Erfassens des Unrechtsgehalts der Tat schon durch einen der erfüllten Tatbestände, nicht einschlägig, da die Schutzrichtungen der Tatbestände unterschiedlich seien.

§ 223 StGB schütze die körperliche Unversehrtheit, wohingegen § 113 StGB dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte und des Gewaltmonopols des Staates diene. § 114 StGB schütze zwar ebenfalls den individuellen Vollstreckungsbeamten und nur mittelbar das Interesse an der Dienstausübung, allerdings umfasse dieser Schutz nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern alle Rechtsgüter des Beamten, die durch einen tätlichen Angriff betroffen sein können.

Damit sei, auch wenn bei einer Widerstandshandlung typischerweise oft alle drei Delikte verwirklicht würden, eine erschöpfende Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat nur bei einer tateinheitlichen Verurteilung möglich.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften finden Sie hier.

Die in dieser Entscheidung vertretene Ansicht des 5. Senats wird auch vom 3. Senat geteilt, der eine ähnliche Argumentation anführte. Den Beschluss finden Sie hier.

Ebenfalls zum Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs hat der 4. Senat kürzlich einen Beschluss erlassen: KriPoZ-RR, Beitrag 42/2020.

 

 

 

Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte: Strafschärfung als Kriminalpolitik

von Prof. Dr. Cornelius Prittwitz

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I. Berlin 2017: Der Fall zum Thema?

„Mir doch egal, wer hier gerade reanimiert wird“, soll ein 23 Jahre alter Berliner Autofahrer die Polizei­beamten angebrüllt haben, als sie ihn daran hinderten, die Rettungssanitäter zu bedrohen und ihren Kranken­wagen zu demolieren. Der Einsatz war nötig geworden, weil in der Kita „Die Wilde 13“ ein 1 Jahr altes Kind bewusstlos umgefallen war. Der Rettungswagen stand im Einsatz vor der Kita, der Autofahrer wollte und musste zur Arbeit.[1]

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Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte: Strafschärfung als Kriminalpolitik? – Kommentar zum Beitrag von Prof. Dr. Cornelius Prittwitz

von Prof. Dr. Volker Erb

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Die 2011 und 2017 erfolgten Reformen der §§ 113, 114 StGB sind ohne Zweifel gleichermaßen handwerklich schlecht und in der Sache untauglich, die vom Gesetzgeber reklamierten generalpräventiven Ziele zu erreichen. Insofern kann ich dem Erstreferenten nur nachdrücklich zustimmen. Ich möchte die Verschärfungen deshalb aber nicht pauschal verwerfen. Im Mittelpunkt meiner Überlegungen soll vielmehr – losgelöst von präventiven Erwägungen – die Überlegung stehen, wie es um den typischen Unrechts- und Schuldgehalt der einschlägigen Taten bestellt ist. Betrachtet man die Erweiterungen, die der alte § 113 StGB seit 2011 erfahren hat, unter diesem Gesichtspunkt, so ergibt sich m.E. ein differenziertes Bild.

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