KriPoZ-RR, Beitrag 18/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 04.02.2020 – StB 2/20: § 88 JGG gilt auch bei Vollstreckung der Jugendstrafe im Erwachsenenvollzug

Amtlicher Leitsatz:

Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung einer Restjugendstrafe ist auch dann nach § 88 JGG zu treffen, wenn die Jugendstrafe gemäß § 89b JGG nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen wird und ihre Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 Satz 1 JGG an die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde abgegeben worden ist.

Sachverhalt:

Das OLG München hatte den mittlerweile 38jährigen Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen, die er als Heranwachsender geleistet hatte, zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt.

Die Strafe war gemäß § 89b JGG nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollstreckt worden.

Nach Verbüßung eines Drittels der Haftzeit hatte der Verurteilte einen Antrag auf Restaussetzung der Strafe zur Bewährung gestellt. Diesen Antrag hat das OLG verworfen, da sich die Vollstreckung mittlerweile nach § 57 StGB richte und damit der maßgebliche Halbstrafenzeitpunkt noch nicht erreicht sei.

Gegen diese Entscheidung wendete sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde zum BGH.

Entscheidung des BGH:

Der BGH half der Beschwerde ab.

Grundsätzlich sei gemäß § 1 Abs. 2 JGG und § 105 Abs. 1 JGG der Tatzeitpunkt der für die Anwendung des Jugendstrafrechts gemäß § 110 Abs. 1 JGG maßgebliche Zeitpunkt. Damit sei die Geltung des § 88 JGG gesetzlich angeordnet.

Dieser Grundsatz gelte im Erkenntnisverfahren zwingend, auch wenn in Fallkonstellationen wie der verfahrensgegenständlichen der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts nicht mehr zum Tragen komme.

Für eine Einschränkung im Vollstreckungsverfahren, wie vom OLG angenommen, bestünde ebenfalls kein Raum, so der BGH.

Mit der Entscheidung nach § 85 Abs. 6 Satz 1 JGG könne nicht die Feststellung verbunden werden, dass aufgrund fallbedingter Umstände kein Bedürfnis für die Anwendung des Jugendstrafrechts mehr bestehe.

Dies folge zum einen daraus, dass die besonderen Wertungen des Jugendstrafrechts bereits im Erkenntnisverfahren, wenn überhaupt, nur noch eine untergeordnete Rolle gespielt hätten und dennoch eine Jugendstrafe mit geringerem Strafrahmen habe gebildet werden müssen. Der Charakter einer Jugendstrafe ändere sich durch die Herausnahme des Verurteilten aus dem Jugendstrafvollzug gerade nicht, so der BGH.

Zum anderen bestehe für eine Anwendung des § 57 StGB kein zwingender Grund, da § 88 JGG eine Ermessensentscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ermögliche, in deren Abwägung dann die besonderen Umstände, wie das hohe Alter des Verurteilten und die Vollstreckung der Strafe nach Erwachsenenstrafrecht, eingestellt werden könnten.

Schließlich spreche auch gegen die Anwendung des § 57 StGB, dass mit einer Abgabeentscheidung nach § 85 Abs. 6 JGG, gegen die lediglich eine gerichtliche Kontrolle gemäß §§ 23 ff. EGGVG möglich ist, dann eine Änderung der materiellen Rechtslage von erheblicher Bedeutung für den Verurteilten einhergehen würde. Vor dem Hintergrund, dass gegen solche Entscheidungen mit ähnlicher Tragweite nach der StPO Rechtsmittel wie die sofortige Beschwerde oder die ausnahmsweise Anfechtbarkeit einer oberlandesgerichtlichen Entscheidung statthaft seien, wäre eine solche Konstellation nicht vom Willen des Gesetzgebers umfasst.

Ebenfalls lasse sich eine Anwendbarkeit des § 57 StGB nicht aus einer Auslegung der §§ 89b Abs. 1, 85 Abs. 6 JGG ableiten.

Der Wortlaut des § 89b JGG spreche gerade von der Vollziehung und nicht Vollstreckung einer Jugendstrafe und nicht Strafe.

Zudem verweise § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG nur auf die StPO sowie das GVG und gerade nicht auf das StGB. Eine mittelbare Verweisung auf das StGB über § 454 Abs. 1 StPO liege nach Ansicht des BGH fern.

Abschließend seien zudem keine systematischen oder historischen Argumente ersichtlich, die ein anderes Ergebnis der Auslegung erzwingen würden.

Damit sei der Antrag des Verurteilten auf Aussetzung der Restjugendstrafe zur Bewährung im Ergebnis nicht schon aufgrund der erst zu einem Drittel verbüßten Haftstrafe unzulässig gewesen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Frage, ob eine nach den Regeln des Erwachsenenvollzugs vollstreckte Jugendstrafe schon nach Verbüßung eines Drittels der Haft zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Für eine Anwendung des § 57 StGB zum Beispiel: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.04.1995 – 1 Ws 332 – 333/95; OLG München, Beschl. v. 12.11.2008 – 2 Ws 986 – 988/08; KG, Beschl. v. 05.04.2011 – 2 Ws 102/11.

 

 

 

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