KriPoZ-RR, Beitrag 20/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 10.10.2019 – 1 StR 632/18: 1. Senat hält Verfahrensrüge bei Divergenz zwischen Hauptverhandlungsprotokoll und Urteilsurkunde für nicht erforderlich (a.A.: 3. Senat)

Leitsatz der Redaktion:

Weicht das verkündete Urteil laut Hauptverhandlungsprotokoll von der späteren schriftlichen Urteilsurkunde ab, stellt dies einen Rechtsfehler dar, der von Amts wegen zu prüfen ist und nicht mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden muss.

Sachverhalt:

Das LG Nürnberg-Fürth hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen nach der schriftlichen Urteilsurkunde zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte eine Bande zum Absatz von Heroin gegründet, deren Chef er gewesen war. Er hatte das Heroin beschafft, die anderen Mitglieder angewiesen es zu portionieren und abzupacken und dann von weiteren Mitgliedern zu einem festgelegten Preis verkaufen lassen.

Das schriftliche Urteil des LG weist dafür eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren aus. In der Sitzungsniederschrift ist der verkündete Tenor allerdings mit 12 Jahren Freiheitsstrafe angegeben worden. Der dem Protokoll angefügte und unterschriebene Tenor enthalte ebenso wie die Haftentscheidung und der Haftbefehl wiederum eine Strafe von 13 Jahren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das ansonsten im Schuld- und Maßregelausspruch rechtsfehlerfreie Urteil auf, da die Begründung des Strafausspruchs, gerade bei einer solch hohen Freiheitsstrafe, die nötige Begründungstiefe vermissen lasse.

Zu den unterschiedlichen Strafhöhen führte der Senat aus:

Die Ansicht des 3. Senats, dass eine Divergenz zwischen dem Urteilstenor aus dem Hauptverhandlungsprotokoll und dem des schriftlichen Urteils mit der Verfahrensrüge vom Beschwerdeführer anzugreifen sei, begegne Bedenken.

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gelte nur für Verfahrensverstöße und gerade nicht für Fehler, die von Amts wegen zu prüfen seien. Um einen solchen Fehler handele es sich jedoch bei der verfahrensgegenständlichen Konstellation. Dies folge daraus, dass ein Urteil mit der Verkündung der Urteilsformel nach § 268 Abs. 2 Satz 1 StPO entstehe. Die nachträgliche schriftliche Abfassung und Übernahme des Tenors in eine Urteilsurkunde, seien nicht maßgeblich.

Da das Revisionsverfahren ein zu prüfendes erstinstanzliches Urteil voraussetze, sei auch dessen Bestehen, ebenso wie das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen der wirksamen Anklageerhebung und des Eröffnungsbeschlusses, von Amts wegen zu prüfen. Somit sei die wirksame Verkündung des Urteils, bewiesen durch das Hauptverhandlungsprotokoll (§ 274 Satz 1 StPO) eine Verfahrensvoraussetzung und von Amts wegen zu prüfen.

Bei einem Auseinanderfallen des Protokolls und der schriftlichen Urteilsurkunde, sei dann die Sitzungsniederschrift maßgeblich.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den die Gegenansicht vertretenden Beschluss des 3. Senats finden Sie hier.

 

 

 

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