KriPoZ-RR, Beitrag 21/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier verfügbar. 

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2023 – 2 BvR 117/20, 2 BvR 962/21: Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wegen Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig

Leitsatz der Redaktion:

Bei einer sehr langen Dauer der Freiheitsentziehung erfordert die Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung eine besondere Begründungstiefe.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1970 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Darüber hinaus wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Beschwerdeführer befindet sich seit fast 50 Jahren in Strafhaft, zuletzt im offenen Vollzug. Mehrmals beantragte der Beschwerdeführer erfolglos eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Die Entscheidungen wurden mit einer ungünstigen Gefahrenprognose aufgrund fehlender Aufarbeitung der Anlasstaten und einem fehlenden sozialen Empfangsraum begründet. Das Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld wurde dennoch verneint. Der Beschwerdeführer erhob Verfassungsbeschwerde. Die fachgerichtlichen Entscheidungen würden sein Freiheitsgrundrecht verletzen. 

Entscheidung des BVerfG:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet, entschied die 2. Kammer des Zweiten Senats. Die Begründungen der Fachgerichte genügen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wodurch eine Verletzung in Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG vorliege. Bei der Gesamtwürdigung sei die Verantwortbarkeit eines eventuellen Rückfalls mit dem Freiheitsanspruch des Verurteilten unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter in ein Verhältnis zu setzen. Hierbei steigen die Anforderungen der Begründung mit der zunehmenden Dauer der Freiheitsentziehung, insbesondere, wenn die besondere Schwere der Schuld nicht mehr besteht, so die Kammer. Vorliegend würden die Beschlüsse eine solche Begründungstiefe nicht aufweisen. Folgende Aspekte seien durch die Fachgerichte nicht ausreichend berücksichtigt worden:

1. Lebensalter des Beschwerdeführers

Eine Grundrechtsverletzung setze voraus, dass im Abwägungsprozess verkannt wurde, dass hierdurch Grundrechte betroffen werden. Die Fachgerichte haben bei der Entscheidung über die Strafaussetzung das Lebensalter und die Länge der Vollzugsdauer nicht berücksichtigt. Dadurch sei jedoch ein geringes Maß an künftiger Straftatenbegehung zu erwarten. Auch aus einem unbearbeiteten Persönlichkeitsdefizit könne nicht ohne Weiteres auf eine Rückfälligkeit geschlossen werden. 

2. Verhalten im offenen Vollzug 

Ebenso sei das Verhalten im offenen Strafvollzug unzureichend berücksichtigt worden. Den habe der Beschwerdeführer beanstandungsfrei absolviert. Auch nicht berücksichtigt wurden die ordnungsgemäß durchgeführten Langzeitausgänge. Dagegen wurde der Besitz von Gegenständen, die im Zusammenhang mit der Sexualität des Beschwerdeführers stehen, in der Entscheidung berücksichtigt. Dieser spreche jedoch nicht zugleich für die Gefahr künftiger Straftatenbegehung. 

3. Auflagen und Weisungen 

Der Beschwerdeführer lehnte eine Überführung in eine betreute Wohnform ab. Hieraus sei nicht auf einen fehlenden geeigneten sozialen Empfangsraum zu schließen. Vielmehr hätte die Möglichkeit der Erteilung von Weisungen in Form von Betreuung und Kontrolle in Betracht gezogen werden müssen. Insbesondere sei dies vor dem Hintergrund geboten, dass durch den Sachverständigen keine Impulsivität festgestellt werden konnte. 

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 6 StR 9/23: Kein innerer Tatzusammenhang bei außerhalb der Tatausführung liegendem Verhalten

Sachverhalt:

Das LG Rostock hat den Angeklagten wegen Verstößen gegen das BtMG, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und tateinheitlicher Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben wurden Unterbringungs- und Einziehungsentscheidungen getroffen. Straferschwerend hat das LG berücksichtigt, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen Nazi-Verblendeten handelt.“ Dies ergebe sich aus Gegenständen mit antisemitischen Inhalten, die bei der Wohnungsdurchsuchung sichergestellt worden waren. Der Angeklagte hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat im Hinblick auf den Strafausspruch Erfolg. Die straferschwerende Bewertung bei der Strafzumessung sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Grundlage gemäß § 46 Abs. 1 StGB sei die persönliche Schuld und die Bedeutung der Tat für die Rechtsordnung. Das Gesetz normiere in § 46 Abs. 2 StGB darüber hinaus, dass auch die Gesinnung des Täters Berücksichtigung finden könne. Erforderlich sei hierfür jedoch ein innerer Zusammenhang mit der Tat. „Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen […] mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren.“, führt der Strafsenat aus. Dies gelte ebenso vor dem Hintergrund der durch gesetzliche Normierung stärker hervorgehobenen rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters. Denn der Schuldgrundsatz gebiete auch hier einen zwingenden inneren Zusammenhang zur Tat. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

Anmerkung der Redaktion:

Mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12.6.2015 (BGBl. I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021 (BGBl. I S. 441) wurde § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um das Wort „antisemitische“ erweitert. Die Änderung ist am 3.4.2021 in Kraft getreten. 

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 341/22: Anforderungen an mittäterschaftlichen Tatbeitrag an bandenmäßiger Urkundenfälschung

Sachverhalt:

Die Angeklagten wurden vom LG Darmstadt wegen banden- und gewerbsmäßiger Hehlerei, Urkundenfälschung und Betrugs zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Als Bandenmitglieder verschafften sich die Angeklagten ihre Einnahmen durch den Verkauf gebrauchter, manipulierter Pkws. Darüber hinaus veräußerten sie Mietfahrzeuge unter Nutzung gefälschter Papiere. Hierbei gingen die Angeklagten arbeitsteilig vor und teilten sich die Einnahmen. In den vorliegend relevanten Fällen wurden die Angeklagten in den Verkauf des Pkws nicht eingebunden. Der gesondert Verfolgte führte den Kaufvertrag durch. In einem Fall, in dem es zur Sicherstellung eines Fahrzeugs kam, berechnete das LG den Betrugsschaden unter Hinzuziehung des Nutzungsausfalls des Zeugen. Die Angeklagten legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen haben teilweise Erfolg. Die Einziehungsentscheidung und Schuldsprüche einiger Fälle weisen, laut BGH, Rechtsfehler auf. Dies betreffe insbesondere Fälle, in denen die Strafkammer von Mittäterschaft im Hinblick auf banden- und gewerbsmäßige Urkundenfälschung ausgegangen war. Zwar sei grundsätzlich eine mittäterschaftliche Begehungsweise möglich. Hierfür genüge ein fördernder Tatbeitrag. Ein solcher sei vom LG allerdings nicht festgestellt worden. Die Angeklagten seien in den aufgezeigten Fällen nicht beteiligt gewesen. Es fehlte an der erforderlichen persönlichen Einbindung bei Vertragsunterzeichnung der Pkw, sodass kein Herstellen und Gebrauchen vorliege, so der BGH. „Allein seine Einbindung in die Bandenstruktur sowie sein Wissen um die Tatbeiträge seiner Tatgenossen vermag seinen eigenen mittäterschaftlichen Tatbeitrag an der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung nicht zu ersetzen.“, führt der Senat aus. 

Auch hinsichtlich der Verurteilung wegen tateinheitlichen Betruges weise das Urteil Rechtsfehler auf. Der Vermögensschaden gemäß § 263 Abs. 1 StGB müsse spiegelbildlich zum Vermögensvorteil stehen (sog. „Kehrseitentheorie“). Ein Nutzungsausfall, wie vom LG angenommen, stelle mangels korrespondierenden Vorteils keinen Vermögensschaden dar. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer zurückverwiesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.2.2023 – 6 StR 35/23: Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Nürnberg-Fürth wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte mehrmals kräftig mit seinem beschuhten Fuß gegen Kopf und Oberkörper des Geschädigten getreten. Der Angeklagte stand dabei unter erheblicher Alkoholisierung (3,5 Promille), weshalb die Strafkammer das Vorliegen des § 21 StGB bejahte. Zu Lasten des Angeklagten hat sie die „Brutalität des Vorgehens“ bezogen auf „Anzahl, Intensität und Zielrichtung der Tritte“ gewertet. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat hinsichtlich des Schuldspruches keinen Erfolg. Der Strafausspruch hingegen weise Rechtsfehler auf. Die Art der Tatausführung dürfe nur strafschärfend berücksichtigt werden, wenn diese dem Angeklagten voll vorwerfbar sei. Im Falle einer geistig-seelischen Beeinträchtigung liege dies nicht vor. Ist eine verminderte Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB gegeben, dürfe die Art der Tatausführung nur nach dem „Maß der geminderten Schuld“ strafschärfend berücksichtigt werden, sofern das Gericht diesen Umstand erkannt habe. Der Strafsenat hält damit an der ständigen Rechtsprechung fest. 

Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass die Strafkammer dies bei der Strafzumessung berücksichtigt habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Art der Tatausführung sich überwiegend nachteilhaft für den Angeklagten ausgewirkt habe. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.2.2023 – 6 StR 16/23: Zum Konkurrenzverhältnis der Tatvarianten des § 235 Abs. 1 StGB 

Amtlicher Leitsatz:

Die Tatvarianten des § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB stehen bei Identität des betroffenen Kindes in Tateinheit zueinander.

Sachverhalt:

Das LG Saarbrücken hat die Angeklagte wegen Entziehung Minderjähriger gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen gab sich die Angeklagte als Klinikpersonal aus und gegenüber der Zeugin wahrheitswidrig an, sie müsse ihren Sohn zwecks Durchführung eines Abstriches mitnehmen. Nachdem die Zeugin einwilligte, brachte die Angeklagte das Kind in ihre Wohnung, wo es  aufgefunden wurde. Die Angeklagte hatte beabsichtigt, das Kind dauerhaft als ihr eigenes Kind auszugeben. Gegen das Urteil des LG Saarbrücken erhob die Angeklagte Revision.

Entscheidung des BGH:

Der Strafsenat verwarf die Revision als unbegründet. Die Strafkammer sei zutreffend davon ausgegangen, dass die beiden Tatbestandsvarianten in Tateinheit zueinander ständen. Der BGH hat damit die bislang nicht entschiedende Frage um das strittige Verhältnis von § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB beantwortet. Entgegen von Teilen in der Literatur vertretende Auffassungen verdränge Nr. 2 nicht die Tatbestandsvariante der Nr. 1. Etwas anders solle nur gelten, wenn ein „im Kern identisches Unrecht doppelt erfasst“ werde, ein Tatbestand gerade typische Erscheinungsform des anderen Tatbestands sei. Hiervon könne in der vorliegenden Fallkonstellation nicht ausgegangen werde, wenn die Entziehung unter Einsatz der Mittel erfolge, die § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB auflistet. Damit werde ein weiteres, spezifisches Tatunrecht begangen. 

Der BGH verweist darauf, dass durch  die Novellierung des § 235 StGB bewusste Differenzierungen vorgenommen werden sollten. Ziel war es, Strafbarkeitslücken zu schließen und gerade die heimliche Wegnahme von Kleinkindern unter Verzicht der Tatmittel List, Drohung und Gewalt unter Strafe zu stellen. 

Anmerkung der Redaktion:

Durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) wurde die Vorschrift des § 235 StGB novelliert. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung finden Sie hier

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 267/22: Zur „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

Leitsatz der Redaktion: 

Heftige Schläge gegen den Kopf des Geschädigten können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen. Maßgeblich ist die Art der Ausführung und die Verletzungsfolgen im Einzelfall.

Sachverhalt:

Das LG Gera hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte mit dem alkoholkranken und an Leberzirrhose leidendem Nebenkläger und schlug diesem „entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht.“ Nach weiteren Schlägen, die vor allem auf die verletzten Stellen abzielten, in ihrer Art und Anzahl aber nicht feststellbar waren, blutete der Nebenkläger und trug weitere Verletzungen davon. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Der Angeklagte habe weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung erfüllt. Eine mittels einer das leben gefährdenden Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setze eine generelle Eignung der Lebensgefährdung voraus, die im Einzelfall festzustellen sei. Auf eine tatsächliche Lebensgefahr, also die eingetretenen Verletzungen komme es nicht an. Der Senat verweist auf die gefestigte Rechtsprechung, wonach „heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers“ das Qualifikationsmerkmal erfüllen können. Die Art der Ausführung müsse dabei stets im Einzelfall beurteilt werden. 

Vorliegend habe das LG Gera derartige konkrete Feststellungen nicht getroffen. Weder sei aus der Art und Weise der Ausführung noch aus den festgestellten Verletzungen das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung ausreichend belegt. Welchen Bezug die konkreten Risikofaktoren des vorerkrankten Nebenklägers zu den Schlägen des Angeklagten darstellen, sei nicht ausreichend erörtert worden. Auch das für den subjektiven Tatbestand erforderliche Wissens- und Willenselement sei nicht hinreichend festgestellt worden. Zwar habe der Angeklagte eine einfache Körperverletzung gebilligt. Nähere Vorstellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten im Hinblick auf eine potentielle Lebensgefährdung des Nebenklägers habe das LG Gera aber nicht dargelegt. 

Der BGH hob die Entscheidung auf und wies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. 

KriPoZ-RR, Beitrag 15/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 9.3.2023 finden Sie hier. 

BGH, Urt. und Beschl. v. 9.3.2023 – 3 StR 246/22: BGH lehnt Annahme eines minder schweren Falles im Jesidinnen-Prozess ab

Sachverhalt:

Die Angeklagte wurde vom OLG München u.a. wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 VStGB und wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer zehnjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen ist die Angeklagte aus Deutschland nach Syrien gereist, um sich dem „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen. Dabei förderte sie die Vernichtung der jesidischen Bevölkerung und Religion, indem sie mit ihrem Mann die Nebenklägerin und ihre Tochter als Sklavinnen in Gefangenschaft hielt. Die Angeklagte bedrohte die Nebenklägerin sie zu erschießen und hat es unterlassen einzugreifen als ihr Mann die Geschädigte festband und direkter Sonneneinstrahlung aussetzte, woran diese verstarb. Die Angeklagte und der Generalbundesanwalt haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung des OLG München eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Angeklagten hat der BGH als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Rechtsmittel des Generalbundesanwalts hat Erfolg. Das OLG München sei rechtsfehlerhaft vom Vorliegen eines minder schweren Falles gemäß § 7 Abs. 4 Alt. 1 VStGB ausgegangen. Dieser Sonderstrafrahmen komme nur in Betracht, wenn infolge eines umfassenden Abwägungsvorganges das Gericht zu der Entscheidung komme, dass eine erhebliche Abweichung des gesamten Tatbildes vom gewöhnlichen Fall vorliege. Ob das OLG München eine gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen hat, sei bereits zweifelhaft. Strafschärfende Umstände wie das Nachtatverhalten und der Tatzeitraum seien unverständlicherweise nicht einbezogen worden. Ferner stellt der Senat fest, dass bei der Wahl des Strafrahmens Delikte (v.a. Beihilfe zum versuchten Mord) als bedeutungslos eingestuft wurden, die unter deren Berücksichtigung sogar strafschärfend wirken würden. Darüber hinaus sei die Tatmotivation nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB nicht ausreichend beachtet worden. Die Annahme einer menschenverachtenden Gesinnung sei vorliegend naheliegend gewesen. 

Die Sache wird zu neuer Entscheidung zurückverwiesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 14/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 5.1.2023 – 5 StR 386/22: Eine weniger stark belastend empfundene Tat kann sich strafmildernd nach § 177 Abs. 9 Var. 3 StGB auswirken

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 und 2, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt und einen minder schweren Fall nach § 177 Abs. 9 Var. 3 StGB angenommen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte in seiner Wohnung mit der Nebenklägerin, die sexuelle Handlungen gegen Entgelt anbot. Der Angeklagte beabsichtigte das vereinbarte Entgelt nicht zu entrichten, schloss die Nebenklägerin in die Wohnung ein und bedrohte diese mit einem Küchenmesser. In der Folge kam es unter Ausnutzung dieser Situation zu mehrmaligem ungeschützten Oralverkehr. Schließlich gelang es der Nebenklägerin einen Notruf abzusenden. Strafmildernd berücksichtigte das LG Berlin, dass die Nebenklägerin „mit keiner völlig unvorhersehbaren Sexualpraktik konfrontiert“ worden sei. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft legten gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der 5. Strafsenat des BGH hat sowohl die Revision des Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft verworfen. Unter Zugrundelegung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes weise die Strafzumessungsentscheidung keine Rechtsfehler auf. Die Strafzumessung sei nicht schematisch, sondern im Einzelfall vorzunehmen. Tatfolgen und Vorgeschehen seien nicht zu generalisieren, vielmehr individuell festzustellen. Starre Vorgaben würden nach der Istanbul-Konvention nicht greifen, sondern der Kontext stets zu berücksichtigen. 

Die Tatfolgen seien vorliegend i.S.v. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB individuell festgestellt worden. Die Wertung des LG Berlin, aufgrund der vorherigen Vereinbarung sei „die Nebenklägerin zumindest mit keiner völlig unvorhergesehenen Sexualpraktik konfrontiert“ worden, habe gegen keinen rechtlich anerkannten Strafzweck verstoßen. Mit dieser Wertung sei die Schutzwürdigkeit der sexuellen Selbstbestimmung der Nebenklägerin nicht relativiert oder angenommen worden, dass die Tat für die Nebenklägerin psychisch weniger belastend gewesen wäre. Der BGH erörtert sodann, dass – entgegen früherer Rechtsprechung – die generelle Schutzwürdigkeit der sexuellen Selbstbestimmung auch für Prostituierte nicht gemindert sei, wenn die Handlung erzwungen werde und bezieht sich auf die Änderungen im Sexualstrafrecht durch das 50. StrÄndG. Ferner verweist der Senat auf die jüngst vom BGH getroffene „Stealthing“ Entscheidung und bekräftigt die Unerheblichkeit der Ablehnung durch das Opfer. 

Anmerkung der Redaktion:

Hintergründe zur „Stealthing“ Entscheidung des BGH (Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22) und zu den Auswirkungen durch das 50. StrÄndG finden Sie hier. 

KriPoZ-RR, Beitrag 13/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier abrufbar.

BVerfG, Beschl. v. 19.1.2023 – 2 BvR 1719/21: BVerfG befindet mehrtägige Fesselung eines Sicherungsverwahrten als Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Leitsätze der Redaktion:

1. In das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird durch eine Fesselungsanordnung eingegriffen. 

2. Bei der Eingriffsintensität ist neben stigmatisierenden Auswirkungen auch das Alter und die gesundheitliche Verfassung sowie das Verhalten des Sicherungsverwahrten mit zu berücksichtigen. 

3. Fesselungen sind an Art. 3 EMRK zu messen, wonach individuell zu prüfen ist, ob eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr besteht.

Sachverhalt:

Der in der Sicherungsverwahrung untergebrachte Beschwerdeführer wurde aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Bei den Fahrten zwischen Justizvollzuganstalt und Krankenhaus war der Beschwerdeführer dauerhaft gefesselt. Weiterhin hatte man ihn seinen gesamten Aufenthalt im Krankenhaus über, entweder an Händen oder Füßen gefesselt. Während der Nachsorge blieb der Beschwerdeführer für drei Tage durchgängig an sein Bett gefesselt. Daraufhin hatte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Eilrechtsschutz beim LG Arnsberg hinsichtlich der Umstände seines Aufenthalts im Krankenhaus gestellt. Das LG Arnsberg hatte die Anträge des Beschwerdeführers jedoch abgewiesen und die Fesselung durch die Justizvollzugsanstalt als begründet angesehen.  Auch das OLG Hamm hatte die gegen den Beschluss des LG Arnsberg erhobene Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob Verfassungsbeschwerde und rügte, dass die mehrtägige Fesselung ihn in seinen Grundrechten verletze.

Entscheidung des BVerfG:

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschlüsse des LG Arnsberg und des OLG Hamm verletzen den Beschwerdeführer in seinem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das LG Arnsberg habe bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit die Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verkannt, indem es die 96-stündige Fesselung des Beschwerdeführers als verhältnismäßig bestimmt habe. Das Landgericht hätte mildere Mittel einsetzen müssen, wie ein phasenweises Aussetzen der Fesselung durch Erhöhung der bewaffneten Justizbediensteten. Des Weiteren hätte das Landgericht die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers intensiver berücksichtigen und die Wahrscheinlichkeit seiner Fluchtmöglichkeiten ausgiebiger überprüfen müssen. Beim Transport des Beschwerdeführers hat das Landgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 69 Abs. 9 StVollzG NRW missachtet, wonach eine Fesselung des Gefangenen nur erforderlich ist, wenn eine Beaufsichtigung nicht ausreicht. Zudem wurden die Vorgaben zur Dokumentation der Maßnahmen durch die anordnende Vollzugsbehörde in § 70 Abs. 4 S. 4 StVollzG NRW durch die Justizvollzugsanstalt weder eingehalten noch ging das Landgericht auf diesen Umstand ein. Das OLG Hamm habe durch seinen Beschluss den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Indem sich das OLG den Ausführungen des Landgerichts anschloss, hat es ebenfalls die Bedeutung und Tragweite des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht verkannt.

Das BVerfG hat die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen aufgehoben und die Sache zurück an das Landgericht verwiesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 23.11.2022 – 5 StR 347/22: BGH zur Aufhebung von angefochtenen Urteilen nach § 353 Abs. 1 StPO und Einhaltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens

Amtlicher Leitsatz:

Hat eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft allein zum Strafausspruch Erfolg, gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens, abweichend von § 353 Abs. 1 StPO auch den Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, wenn dieser auf einem im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgelegten Geständnis des Angeklagten beruht.

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Berlin wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt und eine Einziehung wurde angeordnet. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte, der zuvor verschiedene Rauschmittel konsumiert hatte, zusammen mit weiteren Mittätern, dem Tatopfer schwere Gesichtsverletzungen hinzugefügt und ihm diverse Wertgegenstände entwendet. Die Strafkammer war von einer verminderten, aber nicht aufgehobenen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Strafrahmen des Angeklagten gemildert werden müsste. Die Staatsanwaltschaft erhob, zuungunsten des Angeklagten, Revision gegen die Entscheidung des Landgerichts Berlin.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der 5. Strafsenat des BGH hob das Urteil auf. Die Strafzumessung durch das LG Berlin sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Die Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten haben nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht, so der BGH. Eine mehrstufige Prüfung über einen möglichen Ausschluss der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) oder Vorliegen des § 21 StGB sei von dem LG nicht vorgenommen worden. Hierzugehörige Feststellungen zu Ausmaß und Auswirkungen der Intoxikation auf die konkrete Tatsituation seien nicht getroffen worden. Dies habe zu einer rechtsfehlerhaften Strafbemessung durch die Strafkammer geführt.

Dieser Rechtsfehler führt nach Auffassung des 5. Strafsenats des BGH ausnahmsweise nicht nur zu einer Aufhebung des Straf-, sondern auch des Schuldausspruchs. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete es im Falle einer vorherigen Verständigung, die ein Geständnis des Angeklagten zum Gegenstand hatte, von § 353 Abs. 1 StPO abzuweichen. Weiterhin hat der Senat das vom Angeklagten in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis für die neue Verhandlung als verwertbar eingestuft. Voraussetzung sei die Nichtüberschreitung der in erster Instanz festgelegten Strafobergrenze durch die neue Strafkammer des LG Berlin. Zudem müsse in der neuen Verhandlung der Strafrahmen nach den Vorgaben des materiellen Rechts korrigiert werden.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer verwiesen.

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