Herausgabe und Sicherung elektronischer Beweismittel in Strafsachen

Gesetzentwürfe: 

Das BMJ hat am 28. Oktober 2024 einen Referentenentwurf zur Umsetzung der EU Richtlinie zur Herausgabe und Sicherung elektronischer Beweismittel in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union auf dem Weg gebracht. Er dient der Festlegung einheitlicher Regeln für die Benennung von Niederlassungen und die Bestellung von Vertretern sowie der Vollstreckung von Freiheitsstrafen nach Strafverfahren. „Mit dem neuen Stammgesetz, das den E-Evidence-Mechanismus in die deutsche Rechtsordnung implementiert, wird auf die stark zunehmende Bedeutung digitaler Medien bei der Anbahnung und Ausführung krimineller Handlungen reagiert.“ Ziel sei es, die Effizienz der Strafverfolgung in Deutschland und der Europäischen Union zu steigern. Dazu soll ein neues Stammgesetz (Elektronische-Beweismittel-Umsetzungs- und Durchführungsgesetz – EBewMG) geschaffen werden, dass sich in vier Teile unterteilt: 

  1. Allgemeine Regelungen 
  2. Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/1544 in nationales Recht 
  3. Einbettung der Verordnung (EU) 2023/1543 in das bestehend deutsche Regelungsgerüst
  4. Anpassung des TKG und der TKÜV

 

 


Verordnung (EU) 2023/1543 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 über Europäische Herausgabeanordnungen und Europäische Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafverfahren und für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen nach Strafverfahren: ABl. L 191/118

 

Verordnungsentwürfe: 

 

Der Fortschritt der Technologie führt dazu, dass sie auch immer häufiger für Straftaten eingesetzt wird. Strafverfolgungsbehörden sind daher zunehmend auf elektronische Beweismittel angewiesen um die entsprechenden Täter:innen ausfindig zu machen. Dies stellt sich jedoch kompliziert dar, wenn elektronische Beweismittel (bspw. E-Mails, SMS oder Inhalte aus Messaging Apps, audiovisuelle Inhalte oder Informationen über das Online-Konto eines Benutzers) im Ausland gespeichert sind. In 50 % der strafrechtlichen Ermittlungen ist ein grenzüberschreitendes Ersuchen erforderlich, um diese elektronischen Beweismittel zu erhalten. Die Europäische Kommission hat daher bereits 2018 einen Verordnungsvorschlag auf den Weg gebracht, der für einen verbesserten Zugang zu elektronischen Beweismitteln sorgen soll. Am 27. Juni 2023 hat der Europäische Rat den Verordnungsvorschlag angenommen. Die Verordnung über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen ist in allen Mitgliedstaaten verbindlich und wird 36 Monate nach ihrem Inkrafttreten anwendbar. Mit ihr wird ein zusätzliches Instrument zur internationalen Zusammenarbeit und Rechtshilfe geschaffen, das einen schnellen, effizienten und wirksamen grenzüberschreitenden Zugang zu den Beweismitteln ermöglicht. Die Justizbehörden sollen diese direkt bei den Dienstanbietern mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstatt anfordern können. Die Diensteanbieter werden dann wiederum verpflichtet, innerhalb von 10 Tagen (in dringenden Fällen binnen 8 Stunden) zu antworten. Das Instrument der Europäischen Sicherungsanordung eröffnet die Möglichkeit, ausländische Diensteanbieter an einer Löschung der Daten zu hindern. So können die erforderlichen Informationen auch zu einem späteren Zeitpunkt von den Justizbehörden angefordert werden. Konkret bezieht sich die Herausgabe- und Sicherungsanordnung auf alle Datenkategorien, auch auf Teilnehmer-, Verkehrs- und Inhaltsdaten. Letztere können jedoch nur bei Straftaten, die im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren geahndet werden, oder bei bestimmten Straftaten in Verbindung mit Cyberkriminalität, Kinderpornografie, Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln oder Terrorismus angefordert werden.

Um eine Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen entgegennehmen zu können, müssen Diensteanbieter, die ihre Dienste innerhalb der EU anbieten, einen Vertreter:in bestellen oder eine Niederlassung benennen, der/die in der EU physisch anwesend ist und an den/die sich die Justizbehörden wenden können. Bei einer Nichteinhaltung sind Sanktionen (bis zu 2 % ihres gesamten weltweiten Jahresumsatzes im vorangegangenen Geschäftsjahr) vorgesehen, für die die Mitgliedstaaten verantwortlich sind. Für die Bestellung von benannten Niederlassungen und Vertreter:innen wird es eine gesonderte Richtlinie geben. 

Am 28. Juli 2023 wurde die E-Evidence-Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union verkündet. Sie gilt ab dem 18. August 2026. 

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 40/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 4 StR 133/23: Vorstrafenbelastung in der Strafzumessung

Sachverhalt:

Die Angeklagte wurde wegen Beihilfe durch Unterlassen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das LG Münster hatte im zweiten Rechtsgang einen minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 4 StGB abgelehnt und die Verurteilung aufrechterhalten. Hiergegen legte die Angeklagte Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat im Hinblick auf den Strafausspruch Erfolg. Die Strafzumessung sei fehlerhaft erfolgt. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB ist das Vorleben des Täters zu berücksichtigen. Hierzu gehöre auch die Vorstrafenbelastung des Täters. Vorliegend sei die Angeklagte unbestraft gewesen. Das LG Münster habe aber unter dem Strafzumessungsaspekt des Vorlebens nur die Missbrauchserfahrungen und die Haftempfindlichkeit als Erstverbüßerin berücksichtigt und nicht explizit die bisherige Straffreiheit angeführt. Das straffreie Vorleben bilde jedoch einen „gewichtige[n] Strafzumessungsgrund“. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Münster zurückverwiesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 39/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier abrufbar.

BVerfG, Urt. v. 20.6.2023 – 2 BvR 166/16, 2 BvR 1683/17: Regelungen der Strafvollzugsgesetze der Länder Bayern und NRW sind verfassungswidrig (Gefangenenvergütung II)

Amtliche Leitsätze:

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer, Strafgefangene aus Bayern und NRW, arbeiteten in den jeweiligen Justizvollzugsanstalten in Betrieben. Beide Beschwerdeführer beantragten eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts, die abgelehnt wurde. Nachdem hiergegen eingelegte Rechtsbehelfe zu keinem Erfolg führten, wendeten sich die Beschwerdeführer mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen und gegen Art. 46 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 und Abs. 6 S. 1  BayStVollzG bzw. § 32 Abs. 1 S. 2, § 34 Abs. 1 StVollzG NRW, die die Vergütung von Gefangenenarbeit regeln. Diese seien mit dem Resozialisierungsgebot unvereinbar. 

Entscheidung des BVerfG:

Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet. Die Regelungen im BayStVollzG und StVollzG NRW zur Vergütung von Gefangenenarbeit stellen einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Resozialisierungsgebot (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar, so das BVerfG.

Bei der Ausgestaltung des Strafvollzugs müsse sich der Gesetzgeber nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept festlegen, sondern habe einen weiten Gestaltungsspielraum. Das Gesamtkonzept müsse jedoch aus dem Gesetz selbst erkennbar sein und sich am aktuellen Forschungsstand orientieren. Ebenso verhalte es sich mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Höhe der Gefangenenvergütung, sofern Arbeit als Maßnahme zur Erreichung des Resozialisierungsgebots diene. Diese müsse eine geeignete „angemessene Anerkennung“ finden, wobei sowohl monetäre als auch nicht monetäre Vergütungen zu berücksichtigen seien. 

Das Resozialisierungskonzept des Bundeslandes Bayern sei im Hinblick auf Vollzugsziele und Behandlungsmaßnahmen in sich schlüssig. Die Regelungen zur Arbeitspflicht seien hingegen unvereinbar mit dem Opferschutz, der im Rahmen des Resozialisierungskonzepts weiter ausgeweitet werden solle. Eine Schadenswiedergutmachung sei nur mit einer entsprechenden Vergütung für geleistete Arbeit durch den Strafgefangenen umsetzbar. Das BayStVollzG werde zudem – abgesehen vom Kriminologischen Dienst Bayern, der sich jedoch nicht schwerpunktartig mit der Bedeutung von Arbeit und ihrer Vergütung als Behandlungsmaßnahme befasse – nicht wissenschaftlich evaluiert. 

Gleiches gelte für das Resozialisierungskonzept des StVollzG NRW. Zwar seien, nach Ablösung des Strafvollzugsgesetzes des Bundes, die Freistellungstage erhöht worden. Positives Arbeitsverhalten und Anerkennung in Form einer angemessenen Gegenleistung wirke sich jedoch günstiger aus. Auch im Hinblick auf etwaige Entschädigungsleistungen könne durch die Regelungen im StVollzG NRW kein Behandlungserfolg erreicht werden. Der Handlungsspielraum der Strafgefangenen sei angesichts der niedrigen Vergütung für Gefangenenarbeit, also des überhaupt erreichbaren Entgeltes, „realitätsfern“. Eine wissenschaftliche Begleitung des Strafvollzugs zeige sich zwar durch das Projekt „Evaluation im Strafvollzug (EVALiS)“ des Kriminologischen Dienstes NRW. Nicht hingegen werden Auswirkungen von Arbeit im Vollzug und deren Vergütung untersucht, wodurch das Resozialisierungsgebot nicht gewahrt werde. 

Die gesetzlichen Regelungen des BayStVollzG und des StVollzG NRW bleiben bis zum Inkrafttreten einer neuen Regelung anwendbar. 

Anmerkung der Redaktion:

Am 27. und 28.4.2022 erfolgte die mündliche Verhandlung in Sachen Gefangenenvergütung. Mehrere Sachverständige erörterten die Resozialisierungskonzepte der Bundesländer Bayern und NRW sowie die Bedeutung des Faktors Arbeit und der Vergütung. Die Stellungnahme von Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn (DBH) finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 38/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

LG Berlin, Beschl. v. 31.5.2023 – 502 Qs 138/22: Straßenblockaden der „Letzten Generation“ als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Leitsatz der Redaktion:

Das Festkleben der Hand auf die Fahrbahn stellt eine strafbewehrte Widerstandshandlung i.S.v. § 113 Abs. 1 StGB dar.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Angeschuldigte habe im Sommer 2022 mit weiteren Angeschuldigten an einer Straßenblockade teilgenommen, wobei dieser sich auf die Straße gesetzt und an dieser festgeklebt habe. Nach Lösung des Klebstoffs durch die Polizeivollzugsbeamten, welches zwei Minuten gedauert habe, sei der Angeschuldigte durch die Beamten von der Straße getragen worden. Die Blockade habe zu einem 15-minütigen Stau geführt. Das AG Tiergarten hat den Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Mangels Verwerflichkeit liege kein hinreichender Tatverdacht für eine Verurteilung wegen § 240 StGB vor. Einer Verurteilung wegen § 113 Abs. 1 StGB stehe das Vorliegen von Gewalt entgegen. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des LG Berlin:

Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Zwar liege, wie vom AG Tiergarten angenommen, kein hinreichender Tatverdacht wegen Nötigung vor. Der Eröffnungsbeschluss bezüglich Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sei jedoch zu Unrecht abgelehnt worden und damit aufzuheben.

Die Straßenblockade erfülle – entsprechend der Zweite-Reihe-Rechtsprechung – das Tatbestandsmerkmal der Gewalt. Diese sei vorliegend jedoch nicht rechtswidrig. Die Zweck-Mittel-Relation ergebe, dass die Fortbewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer (Art. 2 Abs. 2 GG) hinter die Versammlungsfreiheit des Angeschuldigten (Art. 8 Abs. 1 GG) zurücktrete. Das LG Berlin verweist dabei insbesondere darauf, dass es zu keinen außergewöhnlichen Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen sei und der Protestgegenstand einen sehr konkreten Bezugspunkt aufweise. 

Anders verhalte es sich im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen § 113 Abs. 1 StGB. Hier sieht das LG Berlin sowohl im Versuch sich auf die Fahrbahn zu setzen als auch im Festkleben strafbare Widerstandshandlungen. Widerstand stelle eine aktive (nicht passive) Tätigkeit dar, die eine Verhinderung oder ein Erschweren der Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme zur Folge habe. Ein Erschweren erfordere, dass „eine nicht ganz unerhebliche Kraft“ seitens der Beamten aufgewendet werden müsse. Straflos hingegen seien einfache Sitzblockaden oder Verweigerungen. Vorliegend habe der Angeschuldigte aber versucht, sich aktiv auf die Fahrbahn zu setzen, sodass die Beamten Zwang in Form von Schieben und Drücken, mithin Kraft anwenden mussten. Das Festkleben der Hand auf die Fahrbahn stelle ebenfalls einen strafbaren Widerstand dar. Hierdurch sei das Wegtragen, mit welchem der Angeschuldigte rechnen musste, erschwert worden. Dieser sei auch „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ erfolgt. Es genüge, bei entsprechendem Vorsatz, wenn die notwendige Kraftentfaltung schon vor der Durchführung der Maßnahme der Beamten begonnen habe. Von einer solchen Absicht sei hier auszugehen. 

Die Sache wird zur Anberaumung einer Hauptverhandlung an das AG Tiergarten zurückverwiesen.

Anmerkung der Redaktion:

Kritisch mit der Entscheidung des LG Berlin und dem Gewaltbegriff von § 113 StGB befasst sich Prof. Dr. Martin Heger im Verfassungsblog.

Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übertragung von Verfahren in Strafsachen

Gesetzentwürfe: 

 

Im April 2023 hat das Europäische Parlament und der Rat einen Verordnungsvorschlag über die Übertragung von Verfahren in Strafsachen auf den Weg gebracht. 

Mit zunehmender grenzüberschreitender Kriminalität wird die Strafjustiz in der EU mit Zuständigkeitsproblemen konfrontiert. In dem einen Mitgliedsstaat erfolgt die Vorbereitung, in einem anderen wird die Tat begangen, im dritten Mitgliedsstaat werden die Täter:innen festgenommen, während die Taterträge bereits in einen vierten Staat verbracht werden. Dabei liegt die Herausforderung nicht nur bei einer mehrfachen  Verfolgung der Tat, sondern auch die Rechte und Interesse der einzelnen Protagonisten können beeinträchtigt sein. Angeklagte:r, Zeug:innen und Opfer müssen ggf. zu allen Verhandlungen in den einzelnen Ländern geladen werden. Dies soll die Verordnung nun unterbinden und verfolgt daher vier Ziele:

  1. „Verbesserung der effizienten und geordneten Rechtspflege in der EU,

  2. Verbesserung der Achtung der Grundrechte bei der Übertragung von Strafverfahren,

  3. Verbesserung der Effizienz und Rechtssicherheit bei Übertragungen von Strafverfahren und

  4. Ermöglichung der Übertragung von Strafverfahren in Fällen, in denen dies im Interesse der Gerechtigkeit liegt, aber derzeit zwischen den Mitgliedstaaten nicht möglich ist, und Verringerung des Phänomens der Straflosigkeit.“

Sie sieht vor, das Strafverfahren in dem Mitgliedsstaat durchzuführen, dass dafür am besten geeignet ist. Ein Entscheidungskriterium soll bspw. sein, in welchem Staat der größte Teil der Straftat begangen wurde. Genaueres ist in Kapitel 2 der Verordnung geregelt. 

Bislang wurde dergestalt keine Form der Zusammenarbeit in der EU praktiziert. Ein Übereinkommen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten über die Übertragung von Strafverfahren wurde 1990 unterzeichnet, aber nie ratifiziert. Die Zusammenarbeit beruht derzeit auf einer Vielzahl von Rechtsinstrumenten, eines davon ist das Europäische Übereinkommen über die Übertragung von Strafverfolgung vom 15. Mai 1972 und wurde nur von 13 Mitgliedstaaten ratifiziert. Daher greifen viele Staaten auf Art. 21 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 zurück, in dem das Übertragungsverfahren jedoch weitgehend ungeregelt ist. 

Der Verordnungsvorschlag beinhaltet 5 Kapitel: Kapitel 1 – Allgemeine Bestimmungen, Kapitel 2 – Übertragung von Strafverfahren, Kapitel 3 – Wirkungen der Übertragung von Strafverfahren, Kapitel 4 – Kommunikationsmittel, Kapitel 5 – Schlussbestimmungen. 

Am 16. Juni 2023 befasste sich erstmals der Bundesrat mit dem Verordnungsvorschlag. Die Ausschüsse hatten empfohlen entsprechend Stellung zu nehmen (BR Drs. 175/1/23). Ein dahingehender Beschluss konnte in der Plenarsitzung jedoch nicht gefasst werden (BR Drs. 175/23 (B)).

Eine erste Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Verordnungsvorschlag finden Sie hier

 

 

 

 

 

 

Gesetz über künstliche Intelligenz – Artificial Intelligence Act

Gesetzentwürfe: 

 

Die Europäische Kommission hat am 21. April 2021 einen Entwurf für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz vorgelegt. Ziel der Kommission ist es, einen einheitlichen Rechtsrahmen für vertrauenswürdige KI zu schaffen und dabei die KI-Systeme in Risikostufen zu klassifizieren, die je nach Anwendung in Bezug auf Sicherheit und Transparenz weiteren Regulierungen unterliegen. Eine genaue Darstellung des Verordnungsentwurfs finden Sie bei Engelhard/Schiemann, KriPoZ 2022, 444 ff

Ein unannehmbares Risiko ergibt sich für KI Systeme, wenn sie für Menschen eine Bedrohung darstellen können. Diese Systeme werden verboten und können nur ausnahmsweise zulässig sein. Dazu gehören z.B. kognitive Verhaltensmanipulationen von Menschen (bspw. Spielzeug, das sprachgesteuert ist und gefährdende Verhaltensweisen fördern kann), Klassifizierungen von Menschen durch Soziales Scoring oder biometrische Echtzeit-Identifizierungssysteme, wie die Gesichtserkennung. 

Hochrisiko-Systeme bilden die Gruppe, die für die Grundrechte, die Gesundheit oder die Sicherheit gefährdend sein können und werden vor Inverkehrbringen und während ihres Verwendungszyklus bewertet. Sie werden in zwei Kategorien eingeteilt:

I. Systeme, die in Produkten verwendet werden, die unter Produktsicherheitsvorschriften der Europäischen Union fallen (bspw. Fahrzeuge, medizinische Geräte, Luftfahrt) und

II. Systeme, die zwingend in einer EU-Datenbank registriert werden müssen, wenn sie in einer der acht Bereiche fallen:

  1. „Biometrische Identifizierung und Kategorisierung natürlicher Personen:

    a) KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für die biometrische Echtzeit- Fernidentifizierung und nachträgliche biometrische Fernidentifizierung natürlicher Personen verwendet werden sollen;

  2. Verwaltung und Betrieb kritischer Infrastrukturen:

    a) KI-Systeme, die bestimmungsgemäß als Sicherheitskomponenten in der Verwaltung und im Betrieb des Straßenverkehrs sowie in der Wasser-, Gas-, Wärme- und Stromversorgung verwendet werden sollen;

  3. Allgemeine und berufliche Bildung:

    a)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für Entscheidungen über den Zugang oder die Zuweisung natürlicher Personen zu Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung verwendet werden sollen;

    b)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für die Bewertung von Schülern in Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung und für die Bewertung der Teilnehmer an üblicherweise für die Zulassung zu Bildungseinrichtungen erforderlichen Tests verwendet werden sollen;

  4. Beschäftigung, Personalmanagement und Zugang zur Selbstständigkeit:

    a)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für die Einstellung oder Auswahl natürlicher Personen verwendet werden sollen, insbesondere für die Bekanntmachung freier Stellen, das Sichten oder Filtern von Bewerbungen und das Bewerten von Bewerbern in Vorstellungsgesprächen oder Tests;

    b)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für Entscheidungen über Beförderungen und über Kündigungen von Arbeitsvertragsverhältnissen, für die Aufgabenzuweisung sowie für die Überwachung und Bewertung der Leistung und des Verhaltens von Personen in solchen Beschäftigungsverhältnissen verwendet werden sollen;

  5. Zugänglichkeit und Inanspruchnahme grundlegender privater und öffentlicher Dienste und Leistungen:

    a)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Behörden oder im Namen von Behörden verwendet werden sollen, um zu beurteilen, ob natürliche Personen Anspruch auf öffentliche Unterstützungsleistungen und -dienste haben und ob solche Leistungen und Dienste zu gewähren, einzuschränken, zu widerrufen oder zurückzufordern sind;

    b)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für die Kreditwürdigkeitsprüfung und Kreditpunktebewertung natürlicher Personen verwendet werden sollen, mit Ausnahme von KI-Systemen, die von Kleinanbietern für den Eigengebrauch in Betrieb genommen werden;

    c)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß für die Entsendung oder Priorisierung des Einsatzes von Not- und Rettungsdiensten, einschließlich Feuerwehr und medizinischer Nothilfe, verwendet werden sollen;

  1. Strafverfolgung:

    a)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Strafverfolgungsbehörden für individuelle Risikobewertungen natürlicher Personen verwendet werden sollen, um das Risiko abzuschätzen, dass eine natürliche Person Straftaten begeht oder erneut begeht oder dass eine Person zum Opfer möglicher Straftaten wird;

    b)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Strafverfolgungsbehörden als Lügendetektoren und ähnliche Instrumente oder zur Ermittlung des emotionalen Zustands einer natürlichen Person verwendet werden sollen;

    c)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Strafverfolgungsbehörden zur Aufdeckung von Deepfakes gemäß Artikel 52 Absatz 3 verwendet werden sollen;

    d)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Strafverfolgungsbehörden zur Bewertung der Verlässlichkeit von Beweismitteln im Zuge der Ermittlung oder Verfolgung von Straftaten verwendet werden sollen;

    e)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Strafverfolgungsbehörden zur Vorhersage des Auftretens oder erneuten Auftretens einer tatsächlichen oder potenziellen Straftat auf der Grundlage des Profils natürlicher Personen gemäß Artikel3 Absatz4 der Richtlinie (EU)2016/680 oder zur Bewertung von Persönlichkeitsmerkmalen und Eigenschaften oder vergangenen kriminellen Verhaltens natürlicher Personen oder von Gruppen verwendet werden sollen;

    f)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von Strafverfolgungsbehörden zur Erstellung von Profilen natürlicher Personen gemäß Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie (EU)2016/680 im Zuge der Aufdeckung, Ermittlung oder Verfolgung von Straftaten verwendet werden sollen;

    g)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß zur Kriminalanalyse natürlicher Personen eingesetzt werden sollen und es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, große komplexe verknüpfte und unverknüpfte Datensätze aus verschiedenen Datenquellen oder in verschiedenen Datenformaten zu durchsuchen, um unbekannte Muster zu erkennen oder verdeckte Beziehungen in den Daten aufzudecken;

  2. Migration, Asyl und Grenzkontrolle:

    a)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von zuständigen Behörden als Lügendetektoren und ähnliche Instrumente oder zur Ermittlung des emotionalen Zustands einer natürlichen Person verwendet werden sollen;

    b)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von zuständigen Behörden zur Bewertung eines Risikos verwendet werden sollen, einschließlich eines Sicherheitsrisikos, eines Risikos der irregulären Einwanderung oder eines Gesundheitsrisikos, das von einer natürlichen Person ausgeht, die in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen beabsichtigt oder eingereist ist;

    c)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß von zuständigen Behörden zur Überprüfung der Echtheit von Reisedokumenten und Nachweisunterlagen natürlicher Personen und zur Erkennung unechter Dokumente durch Prüfung ihrer Sicherheitsmerkmale verwendet werden sollen;

    d)  KI-Systeme, die bestimmungsgemäß zuständige Behörden bei der Prüfung von Asyl- und Visumanträgen sowie Aufenthaltstiteln und damit verbundenen Beschwerden im Hinblick auf die Feststellung der Berechtigung der den Antrag stellenden natürlichen Personen unterstützen sollen;

8. Rechtspflege und demokratische Prozesse:

a) KI-Systeme, die bestimmungsgemäß Justizbehörden bei der Ermittlung und Auslegung von Sachverhalten und Rechtsvorschriften und bei der Anwendung des Rechts auf konkrete Sachverhalte unterstützen sollen.“

Generative Foundation-Modelle müssen bestimmte Transparenzanforderungen erfüllen. So muss bspw. die Gestaltung der KI verhindern, dass illegale Inhalte erzeugt werden können. Bei einem lediglich begrenzten Risiko müssen lediglich minimale Transparenzanforderungen erfüllt werden, die den Nutzer in die Lage versetzen, selbst entscheiden zu können, ob er die KI weiter verwenden möchte. 

Am 14. Juni 2023 haben die Abgeordneten über die Vorlage abgestimmt und den Kompromisstext angenommen. In der Folge beginnen die Gespräche mit den EU-Mitgliedstaaten über die endgültige Fassung des Gesetzes. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 37/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 4.4.2023 – 3 StR 73/23: Dolus directus ersten Grades in der Strafzumessung

Leitsatz der Redaktion:

Es liegt kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB vor, wenn das Vorliegen des dolus directus ersten Grades strafschärfend bewertet wird. 

Sachverhalt:

Die Angeklagten wurden vom LG Duisburg wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen verletzten die Angeklagten die Nebenkläger mittels eines Schlagstocks und Baseballschlägers erheblich. Strafschärfend würdigte das LG, dass es den Angeklagten gerade auf die Verletzung eines der Nebenkläger ankam und dabei mit dolus directus ersten Grades handelten. Die Angeklagten haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen wurden verworfen. Der direkte Vorsatz könne in der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden, sodass die Strafzumessung vorliegend rechtsfehlerfrei erfolgt sei. Grundsätzlich hätten die Vorsatzformen (dolus directus ersten Grades, dolus directus zweiten Grades, dolus eventualis) einen unterschiedlichen Schuldgehalt. Der Strafsenat führt bezüglich der Schuldschwere aus: „Die kriminelle Intensität des Täterwillens ist beim [dolus directus ersten Grades] in der Regel am stärksten ausgeprägt.“ Dem Täter komme es hierbei in erster Linie auf den tatbestandlichen Erfolg an. Die im Rahmen des § 46 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen Beweggründe und Ziele des Täters sowie Gesinnung und aufgewendeter Wille könnten sich durch das Vorliegen von Absicht strafschärfend auswirken. Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) liege dadurch nicht vor, denn das „unbedingte Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges“ sei kein Tatbestandsmerkmal der Körperverletzungsdelikte. 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22: Eine mit einem anderen gemeinschaftlich begangene Körperverletzung kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden

Amtliche Leitsätze:

Der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Die hierfür erforderliche höhere Gefährlichkeit ist regelmäßig gegeben, wenn sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zu einem Nichtstun verabreden und mindestens zwei von ihnen zumindest zeitweilig am Tatort anwesend sind. 

Sachverhalt:

Das LG Verden hat die Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß §§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 StGB schuldig gesprochen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen wurde die psychisch erkrankte Geschädigte zwangsprostitiuiert, wobei die Angeklagten Unterstützung leisteten. Am infrage stehenden Tattag wurde die Geschädigte nach einer körperlichen Auseinandersetzung in die Garage der Angeklagten verbracht. Diese erkannten, dass sich die Geschädigte aufgrund ihrer „akut psychotischen Symptomatik in Not befand und fachärztlicher Hilfe bedurfte.“ Trotzdem wurde keine Hilfe organisiert. Die Geschädigte sollte als „Einnahmequelle“ erhalten bleiben. Durch eine entsprechende Medikation hätte die Geschädigte weniger Leid erfahren, welches die Angeklagten in Kauf nahmen. Die Geschädigte verstarb in der Garage. Nicht festgestellt werden konnte, wer den Tod verursacht hat. Die Angeklagten haben Revision gegen die Entscheidung eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision (bezogen auf die obige Tat) wurde verworfen. Die Angeklagten haben das Qualifikationsmerkmal des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt, so der BGH. Die Körperverletzung „mit einem anderen gemeinschaftlich“ setze grundsätzlich eine Beteiligung voraus. Die erhöhte Anzahl an Angreifern erhöhe die abstrakte Gefährlichkeit der Körperverletzung und verringere die Verteidigungsmöglichkeiten für die geschädigte Person, welches das erhöhte Strafmaß rechtfertige. Voraussetzungen seien insbesondere mindestens zwei handelnde Angreifer. 

Aus dem Wortlaut und Sinn und Zweck ergebe sich nicht, dass die gefährliche Körperverletzung nicht auch durch Unterlassen begangen werden könne. Beabsichtigt sei der umfassende, effektive Schutz körperlicher Unversehrtheit. Eine erhöhte Gefahr und verringerte Verteidigungsmöglichkeiten könnten auch bei einer Tatbeteiligung durch Unterlassen vorliegen. Der Strafsenat verweist dabei auf die jeweilige Betrachtung im Einzelfall. Nicht ausreichen würde allerdings weder die Anwesenheit einer sich nur passiv verhaltenen Person noch reiner Nebentäter. Zu bejahen sei das Qualifikationsmerkmal aber in Fällen, in denen „sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zu einem Nichtstun verabreden […] und mindestens zwei handlungspflichtige Garanten zumindest zeitweilig am Tatort präsent sind.“ Diese gruppendynamischen Effekte führen zu einer Verstärkung des Tatentschlusses und damit zu einer Gefahrsteigerung für die geschädigte Person, so der BGH. Vorliegend sei genau dies der Fall gewesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 35/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier abrufbar.

BGH, Beschl. v. 24.5.2023 – 4 StR 116/23: BGH bejaht Mordmerkmal der Grausamkeit

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Münster u.a. wegen versuchten Mordes unter Bejahung des Mordmerkmales „grausam“ zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte Benzin auf seinen Bruder geschleudert, der sich vor einer geöffneten Haustür befand. Unmittelbar danach zündete der Angeklagte das Benzin an, woraufhin die Tür des Wohnhauses Feuer fing und der Geschädigte erhebliche Verbrennungen erlitt. Der Angeklagte hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision des Angeklagten verworfen. Das Urteil, insbesondere die Bejahung des Mordmerkmales der Grausamkeit, weise keine Rechtsfehler auf. 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen