KriPoZ-RR, Beitrag 23/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 23.06.2022 – 5 StR 490/21: BGH bestätigt Verurteilungen wegen Handeltreibens mit CBD-Blüten

Sachverhalt:

Die beiden Angeklagten haben sich nach den Feststellungen des LG Berlin wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bzw. Beihilfe hierzu strafbar gemacht. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten B. zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe des Angeklagten K. setzte es zur Bewährung aus. 

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben die Angeklagten mit CBD-Blüten gehandelt, die Betäubungsmittel i.S.d. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG darstellen und nicht unter die Ausnahmeregelung fallen würden, obwohl der THC Gehalt bei 0,2 % liege. Entscheidend sei, dass ein Missbrauch dieser Blüten zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen gewesen sei. Die Angeklagten legten gegen die Entscheidungen Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen der Angeklagten wurden verworfen. Die landgerichtlichen Feststellungen seien zutreffend, auch sei eine ausreichende Beweiswürdigung erfolgt. Weder falle der vorliegende Sachverhalt unter eine Ausnahmeregelung des BtMG, noch würden Verstöße gegen europarechtliche Vorschriften vorliegen.

I. Verstoß gegen das BtMG

Der Angeklagte B. habe gewusst, dass ein Cannabisrausch erzeugt werden könne. Der Strafsenat sieht für eine weitere Klärung der Wirksamkeit von CBD-Blüten keinen Bedarf. Dass die Angeklagten nicht beabsichtigten, CBD-Blüten zu konsumieren, sei für die Ausnahmevorschrift irrelevant. Entscheidend sei die Möglichkeit des Missbrauchs beim Endabnehmer. Dies sei vom Vorsatz der Angeklagten umfasst gewesen. Auch komme es nicht darauf an, ob weitere Zwischenhändler zufällig zwischen geschaltet werden. 

II. Kein Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften

Eine Notwendigkeit für ein Vorabentscheidungsverfahren i.S.d. Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV bestehe nicht. Entgegen der Argumentation des Angeklagten B. liege kein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) vor. Bereits der Anwendungsbereich sei nicht eröffnet, weil es sich bei CBD-Blüten um Suchtstoffe i.S.d. Einheit-Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1961 handele. Im Übrigen stelle ein Verkehrsverbot eine verhältnismäßige Beschränkung vor dem Hintergrund des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dar. 

Der Strafsenat sieht auch keine Gründe für eine Verfassungswidrigkeit der Strafbarkeit des Handels mit CBD-Blüten, sodass auch kein Erfordernis für eine konkrete Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) bestehe.

Anmerkung der Redaktion:

Der CBD-Beschluss wird im Hinblick auf die rechtliche Wertung und die Strafhöhe kontrovers diskutiert. Im Koalitionsvertrag 2021-2025 wurde beschlossen „[…] die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften […]“ einzuführen. Alle Gesetzentwürfe zum Betäubungsmittelrecht und Entkriminalisierung von Cannabis finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 04.05.2022 – 1 StR 3/21: BGH bestimmt Voraussetzungen zur Strafbarkeit des sog. AGG-Hopping 

Amtlicher Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit bei vorgespiegelten Bewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote zur Erlangung von Entschädigungsansprüchen (sog. AGG-Hopping).

Sachverhalt:

Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen fassten der Angeklagte und sein Bruder den Entschluss, Scheinbewerbungen zu verschicken mit dem Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend zu machen. Kein Unternehmen kam der Forderung des Angeklagten nach. Das LG hat in dem Versenden der Schreiben eine Täuschungshandlung gesehen. Durch das Einfordern der Entschädigung werde konkludent die Ernsthaftigkeit der Bewerbung behauptet, über die der Angeklagte täuschte. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg. Ein vollendeter Betrug liege mangels Täuschungshandlung in den vom LG München I angenommen Fällen nicht vor. Zwar könne eine Täuschung i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB grundsätzlich auch konkludent erfolgen. Für den Inhalt der Erklärung seien die Verkehrsanschauung und der rechtliche Rahmen maßgeblich. In den vorliegenden Fällen fehle es jedoch durch das Versenden der Schreiben durch den Angeklagten an einer konkludent erklärten unwahren Tatsachenbehauptung. Der Angeklagte habe nicht über die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung getäuscht. 

Zum einen fehle es an einer gefestigten Rechtsprechung zur Behandlung von Entschädigungsklagen bei Scheinbewerbern. Zum anderen ließe sich nicht begründen, die Bewerbung des Angeklagten sei nicht ernst gemeint. Der Senat verweist darauf, dass im AGG nicht normiert sei, dass „[…] die Geltendmachung von Ansprüchen unzulässig ist, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich sind […].“ Hier liege ein entscheidender Unterschied zum UWG.

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Der Referentenentwurf zur Reform der Ersatzfreiheitsstrafe – mehr Tradition als Fortschritt

von Dr. Frank Wilde

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Abstract
Die Ersatzfreiheitsstrafe (§43 StGB) stellt seit Jahrzehnten ein kriminalpolitisches Dauerthema. Jährlich werden geschätzt 50.000 Menschen inhaftiert, obwohl gegen sie eigentlich nur eine Geldstrafe verhängt wurde. Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf vorgelegt, der eine deutliche Reduzierung der Anwendung der Ersatzfreiheitsstrafe erreichen will. Allerdings dürfte das Ziel mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zu erreichen sein. Dies liegt insbesondere daran, weil der Entwurf Armut als Kernproblem der uneinbringlichen Geldstrafe ignoriert. Dadurch wir nicht die Frage gestellt, warum es so viele uneinbringliche Geldstrafe gibt und welche Reformen im Prozess der Verurteilung notwendig wären.Der Entwurf wird in diesem Beitrag dargestellt und kritisch diskutiert. Anschließend wird begründet, warum eine Reform der Ersatzfreiheitsstrafe bei einer Reform der Geldstrafe anfangen muss.

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Eckpunktepapier für die Errichtung einer Freiheitskommission – Vorschlag zur gesetzlichen Verankerung eines unabhängigen Gremiums für eine Evaluation der Sicherheitsgesetze und die Erstellung einer Überwachungsgesamtrechnung

von Prof. Dr. Robert Esser, Prof. Dr. Mark A. Zöller, Beate Büttner, Prof. Dr. Jan-Hendrik Dietrich, Dr. Oliver Harry Gerson, Prof. Dr. Dieter Kugelmann, Prof. Dr. Markus Löffelmann, Dr. Markus Mavany, Dr. Tanja Niedernhuber und Dr. Martin Wiacek

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Abstract
Im aktuellen Koalitionsvertrag (2021-2025) der Regierungsparteien der „Ampelkoalition“ ist im Zusammenhang mit dem Themenbereich „Sicherheit und Freiheit“ auch die Einrichtung einer sog. Freiheitskommission als unabhängiges Expertengremium vorgesehen. Mit dieser Kommission sollen für den Bereich der Sicherheitsgesetzgebung die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärker in den Fokus rücken und insgesamt die Qualität der Gesetzgebung im Zusammenhang mit staatlichen Überwachungsbefugnissen verbessert werden. Klare Konturen und Inhalte für die Arbeit einer solchen Freiheitskommission lassen sich allerdings im politischen Raum derzeit allenfalls in Ansätzen erkennen. Insofern stellen sich drängende Fragen nach Aufgaben, Befugnissen sowie der rechtlichen und organisatorischen Verankerung eines solchen Gremiums, das die Gesetzgebungspraxis im Bereich des Rechts der Inneren Sicherheit zukünftig maßgeblich prägen und verändern könnte. Zur möglichen Beantwortung solcher Fragen sollen mit dem vorliegenden Eckpunktepapier erste Vorschläge unterbreitet werden, um die rechtspolitische Diskussion über die Einrichtung der Kommission weiter anzuregen und nach Möglichkeit zu einer besseren Rechtssetzungspraxis beizutragen. 

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Die kriminalstrafrechtliche Sanktionierung der Eizellspende – Schutz christlicher Moralvorstellungen im säkularen Staat am Beispiel des ESchG

von Julia Lisa Engelbert

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Abstract
Der Beitrag untersucht die Legitimität des in § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 ESchG strafrechtlich sanktionierten Verbots der Eizellspende. Ausgehend von der Entscheidung des BayObLG vom 4.11.2020, welche eine 2-PN-Spende als strafbare Eizellspende einordnet, wird dargelegt, welchen Anforderungen eine Strafnorm genügen muss, um als legitim zu gelten und inwiefern diese im vorliegenden Fall durch die Reproduktionsfreiheit beeinflusst werden. Die Rechtfertigungsversuche für das Eizell-spendeverbot – Schutz der Spenderin, Schutz des Kindeswohls, Schutz bestimmter Wertvorstellungen – werden dargelegt und anhand der Maßstäbe für legitimes Strafrecht wird erläutert, warum jene diesen Maßstäben nicht genügen. Daraus folgt ein dringender kriminalpolitischer Appell an den Strafgesetzgeber.

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Sollte die Leihmutterschaft in Deutschland zulässig sein? Abstammung und gesellschaftlicher Wandel

von Luise Paetow 

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Abstract
Die Leihmutterschaft stellt für manche Paare die einzige Möglichkeit dar, sich den langersehnten Kinderwunsch zu erfüllen. Der folgende Beitrag setzt sich kritisch mit den zur Gesetzesbegründung genannten und weiterhin vorgebrachten Argumenten auseinander, die einer Legalisierung vermeintlich entgegenstehen. Im Ergebnis können nach der hier vertretenen Meinung die Prämissen der Kindeswohl- und Leihmuttergefährdungen nicht überzeugen. Ein allumfassendes strafrechtliches Verbot ist weder mit dem Recht auf Fortpflanzungsfreiheit der Wunscheltern zu vereinbaren, noch stellt es die überzeugendste Lösung zum Schutze der Beteiligten dar.

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Einschränkungen der Funktionalität des Zwischenverfahrens im Strafprozess und Möglichkeiten diesen zu begegnen

von Carla Ellbrück 

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Abstract
Das Zwischenverfahren steht als zweiter Verfahrensabschnitt an zentraler Stelle im Strafprozess. In seinem Rahmen kommt es zu den ersten Berührungspunkten des erkennenden Gerichts mit dem Sachverhalt. Inwieweit dies das weitere Verfahren sowie den Richter beeinflusst und welche Reformbedarfe und -möglichkeiten zur Diskussion stehen, wird im Beitrag betrachtet.

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Je länger desto besser? – Europols neue extensive Speicherfrist für die Voranalyse nicht-kategorisierter Datensätze

von Lewin Rexin, LL.M. 

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Abstract
Der Beitrag untersucht Europols Voranalyse von unbekannten Datensätze zu Zwecken der Identifizierung von Personenkategorien, deren personenbezogene Daten Europol nicht verarbeiten darf. Zunächst wird aufgezeigt, dass für die Voranalyse unter der bis zum 27.6.2022 geltenden Europol-Verordnung keine Rechtsgrundlage existierte. Anschließend wird auf die Entscheidung des Europäischen Datenschutzbeauftragten aus Januar 2022 eingegangen, der Europol eine Höchstspeicherfrist für die Daten, die voranalysiert werden müssen, auferlegte. Dem gegenübergestellt wird die durch die Reform der Europol-Verordnung eingeführte Rechtsgrundlage für die Voranalyse. Diese wird kritisch auf ihre Vereinbarkeit mit geltendem Primärrecht geprüft. Abschließend werden Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die die Defizite der neuen Rechtsgrundlage adressieren.

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„Catcalling“ – Möglichkeiten und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung

von Nora Labarta Greven, Laura-Romina Goede und Paul Brodtmann

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Abstract
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Catcalling unter Strafe gestellt werden kann. Hierfür wird zunächst der Gewährleistungsgehalt des Grundrechts auf sexuelle Selbstbestimmung herausgearbeitet, um anschließend Grenzen und Implikationen für eine strafrechtliche Normierung abzuleiten. Auf Grundlage dessen werden empirische Daten einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. herangezogen, um zu untersuchen, ob ein Straftatbestand angemessen wäre.

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