KriPoZ-RR, Beitrag 39/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

EuGH, Urt. v. 15.10.2019 – C-128/18: Überprüfung der Haftbedingungen durch den Ausstellungsstaat vor Erlass eines Europäischen Haftbefehls

Amtliche Leitsätze:

Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde, wenn sie über objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben verfügt, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner Mängel der Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats belegen, zum Zweck der Beurteilung, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die Person, gegen die sich ein Europäischer Haftbefehl richtet, nach ihrer Übergabe an diesen Mitgliedstaat einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt sein wird, alle relevanten materiellen Aspekte der Haftbedingungen in der Haftanstalt, in der diese Person konkret inhaftiert werden soll, berücksichtigen muss, wie etwa den persönlichen Raum, über den jeder Gefangene in einer Zelle dieser Anstalt verfügt, die sanitären Verhältnisse und das Ausmaß der Bewegungsfreiheit des Gefangenen innerhalb dieser Anstalt. Diese Beurteilung ist nicht auf die Prüfung offensichtlicher Unzulänglichkeiten beschränkt. Für eine solche Beurteilung muss die vollstreckende Justizbehörde von der ausstellenden Justizbehörde die für notwendig erachteten Informationen erbitten und sich grundsätzlich auf die Zusicherungen dieser Behörde verlassen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte darauf schließen lassen, dass die Haftbedingungen gegen Art. 4 der Charta verstoßen.

Was speziell den persönlichen Raum betrifft, über den jeder Gefangene verfügt, so muss die vollstreckende Justizbehörde, da im Unionsrecht gegenwärtig keine Mindestnormen hierzu existieren, die Mindestanforderungen berücksichtigen, die sich aus Art. 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergeben. Bei der Berechnung dieses verfügbaren Raums ist zwar die durch Sanitärvorrichtungen belegte Fläche nicht einzuschließen, wohl aber die durch Möbel eingenommene Fläche. Den Gefangenen muss es jedoch möglich bleiben, sich in der Zelle normal zu bewegen.

Die vollstreckende Justizbehörde darf das Vorliegen einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nicht allein deshalb ausschließen, weil die betroffene Person im Ausstellungsmitgliedstaat über einen Rechtsbehelf verfügt, der es ihr ermöglicht, die Bedingungen ihrer Haft zu beanstanden, oder weil es in diesem Mitgliedstaat gesetzgeberische oder strukturelle Maßnahmen gibt, die darauf abzielen, die Kontrolle der Haftbedingungen zu verstärken.

Stellt diese Justizbehörde fest, dass es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die betroffene Person nach ihrer Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Haftbedingungen in der Haftanstalt, in der sie konkret inhaftiert werden soll, einer solchen Gefahr ausgesetzt sein wird, so darf bei der Entscheidung über die Übergabe keine Abwägung zwischen dieser Feststellung und Erwägungen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung erfolgen.

Sachverhalt:

Bei dem OLG Hamburg ist ein Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls anhängig. Ausstellungsstaat ist Rumänien in einem Verfahren zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe wegen Vermögens- und Urkundsdelikten.

Im Rahmen dieses Verfahrens hat das OLG dem EuGH die Frage vorgelegt, inwieweit die um Vollstreckung ersuchte Justizbehörde die Haftbedingungen im Ausstellungsstaat auf ein Mindestmaß an persönlichem Raum für den Gefangen hin zu prüfen hat. Zudem wollte es wissen, ob ihm eine Abwägung zwischen der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Strafvollzug einerseits und den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der Anerkennung zwischen den Mitgliedsstaaten andererseits, möglich sei.

Antwort des EuGH:

Zunächst erinnerte der EuGH an die grundlegende Prämisse des Europarechts, dass alle Mitgliedsstaaten gemeinsame Werte teilten und dies auch gegenseitig anerkennen würden, was einen gegenseitigen Vertrauensvorschuss im Hinblick auf die Einhaltung von Grundrechten rechtfertige.

Unter außergewöhnlichen Umständen sei dieser Vertrauensgrundsatz jedoch einzuschränken, was dazu führen könne, dass ein um Vollstreckung ersuchter Mitgliedsstaat bei gewichtigen Anhaltspunkten dafür, dass eine Auslieferung an den Ausstellungsstaat zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen würde, die Auslieferung stoppen müsse.

In einem solchen Fall habe die vollstreckende Behörde konkret und genau zu beurteilen, ob die vorliegenden Anhaltspunkte zustimmten oder nicht, um die Einhaltung des Art. 4 der Grundrechtecharta der Europäischen Union zu gewährleisten, so der EuGH.

Explizit zur Prüfung der Haftbedingungen führte der EuGH aus, dass eine solche auf einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen materiellen Haftbedingungen beruhen müsse. Daraus folge, dass im Hinblick auf die Konkretheit und Genauigkeit der Nachforschungen, nicht auf die allgemeinen Haftbedingungen in allen Haftanstalten dieses Mitgliedstaats abgestellt werden dürfe, sondern nur die Anstalten zu prüfen seien, in denen die betroffene Person konkret inhaftiert werden solle.

Im konkreten Falle werde der Inhaftierte in einer Gemeinschaftszelle untergebracht. Bei dieser Art der Unterbringung könne ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vermutet werden, wenn der dem Gefangenen zur Verfügung stehende Raum unter 3 m² betrage. Zwar könne ein Mitgliedstaat strengere Haftbedingungen festlegen als es Art. 4 der Charta und Art. 3 EMRK forderten, allerdings habe der vollstreckende Mitgliedstaat die Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls von der Erfüllung gerade dieser Kriterien abhängig zu machen. Die Einhaltung dieser Kriterien zu prüfen sei Aufgabe des vollstreckenden Staates.

Zudem sei allein die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den Betroffenen im Ausstellungsstaat kein Grund für den Vollstreckungsstaat, eine Gefahr für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung pauschal zu verneinen. 

Stelle der vollstreckende Staat ernsthafte Tatsachen fest, die den Schluss zuließen, dass der Inhaftierte in seinem konkreten Gefängnis im Ausstellungsstaat aufgrund der Haftbedingungen unmenschlich oder erniedrigend behandelt werde, dürfe bei der Auslieferungsentscheidung keine Abwägung zwischen diesen Tatsachen und Erwägungen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der justiziellen Zusammenarbeit sowie den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der Anerkennung mehr stattfinden.

Anmerkung der Redaktion:

Im Mai 2019 hatte der EuGH entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nicht unabhängig genug seien. Das Urteil finden Sie hier.

Daraufhin hatte das OLG Hamm eine gerichtliche Zuständigkeit für den Erlass solcher Haftbefehle begründet. Den Beitrag zu diesem Urteil finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 38/2019

Die Pressemitteilung zur Entscheidung finden Sie hier.

BayObLG, Beschl. v. 02.10.2019 – 206 StRR 1013/19; 206 StRR 1015/19: Containern

Leitsatz der Redaktion:

Das Entwenden von Lebensmitteln aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes ist als Diebstahl strafbar.

Sachverhalt:

Das AG Fürstenfeldbruck hat die Angeklagten wegen Diebstahls verurteilt.

Nach den Feststellungen des Gerichts hatten sie sich in der Nacht auf das nichtöffentliche Gelände eines Supermarktes begeben und dort einen verschlossenen Abfallcontainer mit einem Werkzeugschlüssel geöffnet. In dem Container waren Lebensmittel zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen gesammelt worden. Die Angeklagten hatten den Container daraufhin durchsucht und einige Lebensmittel entwendet.

Entscheidung des BayObLG:

Das BayObLG verwarf die Revision der Angeklagten als unbegründet.

Zur Begründung führte es an, dass die zur Tatzeit im Eigentum des Supermarktes stehenden Lebensmittel für die Angeklagten fremd gewesen seien.

Ein erkennbarer Wille des Marktes, das Eigentum aufgeben zu wollen, sei nicht erkennbar gewesen. Dies folge schon aus dem Umstand, dass die Lebensmittel in einem verschlossenen Container für die Abholung des Entsorgungsunternehmens gelagert und vor dem Zugriff durch Dritte geschützt worden seien.

Zudem sei der Supermarkt für die Qualität der Lebensmittel, die er in den Verkehr bringe, verantwortlich. Damit habe der Markt ein berechtigtes Interesse daran, die Lebensmittel, die er für nicht mehr verkehrsfähig halte, nur an den Entsorger abzugeben und eine anderweitige Wegnahme nicht zu dulden.

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Mittlerweile hat die Fraktion Die Linke einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der das Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren soll, da solche Taten nach ihrer Motivlage nicht den Supermarkt schädigen sollen. Es ginge den Tätern vielmehr darum, Lebensmittel vor der Verschwendung zu „retten“.

Alles zum Gesetzesantrag und zur Entkriminalisierungsdebatte finden Sie hier.

Ein ähnliches Urteil erließ das AG Köln in einem Prozess um Skizzen des Künstlers Gerhard Richter, die dieser im Papiermüll entsorgen wollte. Die zugehörige Pressemitteilung finden sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 37/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 12.09.2019 – 5 StR 325/19: Fahrlässigkeitsvorwurf beim Transport einer größeren Menge Rauschgift als gedacht

Leitsatz der Redaktion:

Das Unvermögen eines Drogenkuriers, die tatsächlich transportierte Menge an Drogen festzustellen, und das Durchführen einer Transportfahrt trotz des bestehenden Risikos, mehr Drogen zu transportieren als gedacht, kann einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.

Sachverhalt:

Das LG Hamburg hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte Schulden, die er durch den Transport von Drogen für seinen Bekannten hatte abbauen wollen.

Für einen dieser Transporte hatte er einen großen und im Laderaum leeren Lieferwagen gestellt bekommen, in dem, wie der Angeklagte gewusst hatte, irgendwo Drogen professionell versteckt gewesen waren. Der Beschuldigte hatte keine Kenntnis davon, wie groß die von ihm transportierte Drogenmenge gewesen war. Er hatte zudem keine Möglichkeit gehabt, die Menge vor Ort zu überprüfen. Allerdings war er lediglich von einer zu transportierenden Menge von ca. 15 kg Haschisch ausgegangen. Tatsächlich waren bei einer Kontrolle auf der Autobahn 350 kg des Betäubungsmittels durch den Zoll gefunden und sichergestellt worden.

Das LG hat keinen Fahrlässigkeitsvorwurf für die die 15 kg übersteigende Menge Haschisch angenommen, wogegen sich die Revision der StA gerichtet hat.

Entscheidung des BGH:

Der BGH gab der Revision statt, da das LG den Fahrlässigkeitsvorwurf rechtsfehlerhaft verneint habe.

Die eingeführte Rauschgiftmenge, die nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sei, dürfe nur schulderhöhend berücksichtigt werden soweit den Täter bezüglich dieser Menge ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe.

Die Anforderungen an diesen Fahrlässigkeitsvorwurf bestimmten sich nach der konkreten Tatsituation und den konkreten Kenntnissen und Fähigkeiten des Täters. Dabei müssten nicht alle Tatfolgen ganz genau vorhersehbar sein, es genüge vielmehr auch, dass der Täter trotz ungewisser Folgen und Tragweite seiner Tat gehandelt habe.

Dem Angeklagten sei bekannt gewesen, dass er ein großes Fahrzeug bewegte, in dem sich eine ihm unbekannte Menge Haschisch befunden habe. Es sei damit für ihn auch vorhersehbar gewesen, eine wesentlich größere Menge an Drogen zu transportieren als angenommen, so der Senat.

Das Unvermögen des Angeklagten, das Rauschgift selbst zu finden und die konkrete Menge festzustellen, ändere an dieser Bewertung nichts, denn gerade die Durchführung der Fahrt trotz Unkenntnis der konkreten Menge und der damit einhergehenden Gefahr für die Volksgesundheit, begründe die Sorgfaltspflichtverletzung.

 

Anmerkung der Redaktion:

Welche Anforderungen an den Vorsatz eines Drogenkuriers bezüglich der transportierten Menge zu stellen sind, hat der BGH in diesem Urteil aktuell wiedergegeben.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 05.06.2019 – 2 StR 42/19: Zur Anwendung des § 63 StGB bei Anlasstaten innerhalb einer psychiatrischen Einrichtung

Leitsatz der Redaktion:

  1. Dem ansonsten gewichtigen Indiz, dass der Beschuldigte über einen längeren Zeitraum keine mit der Anlasstat vergleichbaren Delikte begangen hat, kann keine Bedeutung zukommen, soweit dem Beschuldigten dies aufgrund einer Sicherungsmaßnahme ohnehin unmöglich war.
  2. Um zu beurteilen, ob eine Tat in einer psychiatrischen Einrichtung als rechtlich unerheblich anzusehen ist, ist auf ihre Ursache abzustellen.

Sachverhalt:

Das LG Limburg hat die von der StA beantragte Unterbringung des Beschuldigten in einer psychiatrischen Einrichtung abgelehnt. Dagegen hat die StA Revision eingelegt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der an einer paranoiden Schizophrenie, einer Störung der Impulskontrolle und einer gemischt dissoziativen Störung leidende Angeklagte während seiner Unterbringung in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung u.a. Bedrohungen, versuchte und vollendete Körperverletzungen und eine versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Klinikpersonals begangen.

Dennoch hat das LG die Voraussetzungen des § 63 StGB verneint, da die geforderte Gefahrenprognose nicht gestellt werden könne.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das LG.

Dadurch, dass das Tatgericht darauf abgestellt habe, dass die Gefahr für erhebliche Straftaten nur außerhalb einer Unterbringung bestünde und die innerhalb der Einrichtung zu befürchtenden Körperverletzungsdelikte nicht den erforderlichen Schweregrad erreichten, habe es einen unzutreffenden Maßstab angelegt, so der BGH.

Denn § 63 StGB erfasse auch Delikte der mittleren Kriminalität, zu denen die zu erwartenden Körperverletzungsdelikte sehr wohl zählten. Dies sei auch durch den Umstand bedingt, dass der Beschuldigte die Verletzungsfolgen seiner Aggressionstaten nicht zu steuern vermöge und es somit allein vom Zufall abhänge, wie schwer die von ihm verursachten Verletzungen seien.

Auch die Erwägung des LG, dass der Beschuldigte seit der letzten Anlasstat einen größeren Zeitraum verstreichen lassen habe ohne weitere Delikte zu begehen, begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Da der Angeklagte nach der letzten Tat in der Einrichtung über einen längeren Zeitraum fixiert worden war und immer wieder nur kurz und unter Aufsicht ohne Sicherungsmaßnahme untergebracht gewesen war, sei keine Indizwirkung aus dem längeren Zeitraum der Unauffälligkeit abzuleiten, so der Senat.

Abschließend stellte der BGH klar, dass Taten gegen Pflegepersonal innerhalb einer psychiatrischen Einrichtung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zwar nicht mit Taten außerhalb gleichzusetzen seien. Dies bedeute allerdings nicht, dass Aggressions- oder Gewaltdelikte generell nicht in die Prognose einfließen könnten nur weil sie in einer psychiatrischen Klinik begangen worden seien. Zur Beurteilung der Frage, ob eine solche Tat als rechtlich unerheblich anzusehen sei, müsse auf die Ursachen der Tat abgestellt werden. Maßgebliches Unterscheidungskriterium sei hierbei, ob die Tat in der durch die Unterbringung ausgelöste Ausnahmesituation begründet liege oder beispielsweise in einer Provokation, die auch außerhalb einer Klinik im Alltag auftreten könne.

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt hatte der BGH entschieden, dass sich die Gefährlichkeitsprognose auf den Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung beziehen müsse (BGH, Beschl. v. 13.08.2019 – 4 StR 342/19). Weitere Entscheidungen zur Gefährlichkeitsprognose im Rahmen des § 63 StGB finden Sie hier:

BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 4 StR 255/19

BGH, Beschl. v. 31.07.2019 – 5 StR 321/19

BGH, Beschl. v. 11.07.2019 – 3 StR 254/19

BGH, Beschl. v. 20.06.2019 – 5 StR 208/19

In einer aktuellen Entscheidung weist der 5. Strafsenat darauf hin, dass er der bisherigen Rechtsprechung des BGH nicht uneingeschränkt folgen wird. Auch er hält allerdings am Umterscheidungskriterium fest, wonach es auf die Umstände der Tat ankomme (durch die Unterbringung bedingt oder jederzeit auch im normalen Alltag möglich).

KriPoZ-RR, Beitrag 35/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.07.2019 – 3 StR 257/19: § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG verdrängt § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, nicht jedoch den § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG

Leitsatz der Redaktion:

Zwar verdrängt eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG regelmäßig den ebenfalls verwirklichten § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, liegt allerdings ein Fall des Handeltreibens mit einer nicht geringen Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vor, steht dieser zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Tateinheit.

Sachverhalt:

Das LG Stade hat den Angeklagten u.a. wegen Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der über 21 Jahre alte Angeklagte eine nicht geringe Menge Marihuana regelmäßig an Personen unter und über 18 Jahren veräußert, um sich dadurch eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.

Entscheidung des BGH:

Der GBA schlug dem Senat vor, die Strafbarkeit gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG tateinheitlich neben den verwirklichten § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG treten zu lassen.

§ 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG verdränge zwar das einfache Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, da dessen Unrechtsgehalt vollständig von § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG mitabgebildet werde. Allerdings bestehe im Falle der gleichzeitigen Verwirklichung des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ein zusätzlicher bzw. höherer Unrechtsgehalt durch die größere Menge an gehandelten Betäubungsmitteln. Dieser müsse durch eine tateinheitliche Verurteilung zum Ausdruck kommen.

Dieser Bewertung schloss sich der BGH an.

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt entschied der BGH zur Klammerwirkung des Besitzes von Betäubungsmitteln bei ansonsten selbstständigen Beihilfehandlungen. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 34/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.07.2019 – 2 StR 130/19: § 241 StGB tritt hinter § 177 StGB zurück, wenn die Drohung zur Durchführung der sexuellen Handlung eingesetzt wird

Leitsatz der Redaktion:

Die Reform des § 177 StGB hat keine Auswirkungen auf das Konkurrenzverhältnis zu § 241 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Köln hat den Angeklagten u.a. wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in drei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Bedrohung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte nachts eine junge Frau überwältigt, die gerade ihre Wohnungstür hatte aufschließen wollen. Er hatte sie gewaltsam von der Tür weggezogen, sie nach Gegenwehr ihrerseits gegen ein Geländer geschleudert und weitere Hilferufe der Geschädigten durch eine Todesdrohung zu unterbinden versucht.

Nachdem er sie in ein Gebüsch geführt und nochmals gedroht hatte sie „abzustechen“, wurde eine Zeugin auf das Geschehen aufmerksam, was den Angeklagten zur Flucht veranlasst hatte, ohne den Geschlechtsverkehr vollziehen zu können.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte das Urteil dahingehend, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Bedrohung entfällt.

Der Tatbestand der Bedrohung trete hinter der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung gesetzeskonkurrierend zurück, wenn die Todesdrohung Tatmittel der sexuellen Nötigung sei und der Ermöglichung der sexuellen Handlung diene. Gleiches gelte auch für den Versuch der Vergewaltigung.

Die Änderung des § 177 StGB vom 4. November 2016 ändere an dieser Rechtsprechungspraxis nichts, da das Tatbestandsmerkmal der qualifizierten Drohung zwar in einen Qualifikationstatbestand überführt worden sei, sich inhaltlich allerdings nicht verändert habe.

Anmerkung der Redaktion:

Diese konkurrenzrechtliche Betrachtung wurde vom BGH am 23. April 2002 entwickelt (1 StR 95/02).

§ 177 StGB wurde im November 2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches („Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“) reformiert. Eine Chronologie des Gesetzgebungsverfahrens finden Sie hier.

Prof. Hörnle, die ebenfalls als Sachverständige im Gesetzgebungsverfahren tätig war, ordnete die geplanten Änderungen in der KriPoZ kritisch ein. Den Beitrag finden Sie hier. Einen weiteren Beitrag zum neuen Sexualstrafrecht von Dr. Papathanasiou finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – 3 StR 155/19: Abschiebung nach Einlegung der Revision begründet kein Prozesshindernis

Leitsatz der Redaktion:

Eine Abschiebung des Angeklagten nach Einlegung der Revision und vor Zustellung des tatgerichtlichen Urteils stellt kein Prozesshindernis nach § 206a Abs. 1 bzw. § 205 Satz 1 StPO dar.

Sachverhalt:

Das LG Osnabrück hatte den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Nach Einlegung der Revision aber noch vor Zustellung des angefochtenen Urteils ist der Angeklagte in den Libanon abgeschoben worden. Dies stelle ein Prozesshindernis dar, welches im Hinblick auf ein faires Verfahren (§ 6 Abs. 1 MRK) und das Recht auf Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK) die Einstellung des Verfahrens gebiete, so die Revision.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten, da eine Abschiebung nach Einlegung der Revision kein Prozesshindernis darstelle.

Dies begründete der Senat damit, dass eine Abschiebung den Fortgang des Revisionsverfahrens, aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung und Zielsetzung desselben, nicht hindere. Es sei Aufgabe des Tatgerichts, die Aufklärung des Sachverhalts zu betreiben und eine gerechte Strafe auszusprechen. Auf dieses Verfahren könne der Beschuldigte massiv selbst einwirken und so auch die Überzeugung des Richters von der eigenen Schuld oder Unschuld beeinflussen. Im Revisionsverfahren hingegen solle das Instanzurteil allein auf Rechts- oder Verfahrensfehler hin überprüft werden, was die Mitwirkungsmöglichkeiten des Angeklagten auf die Einlegung und Rücknahme des Rechtsmittels beschränke. Andere Prozesshandlungen könne der Beschuldigte meist nur durch seinen Verteidiger vornehmen (vgl. § 344 StPO). Der Inhaftierte Angeklagte habe schon kein Recht auf Teilnahme an der Revisionsverhandlung, diese stehe im Ermessen des Revisionsgerichts (§ 350 Abs. 2 Satz 3 StPO).

Soweit der durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte zumindest mit seinem Verteidiger Kontakt haben könne, um zu entscheiden, ob die Revision weiterverfolgt oder zurückgenommen werden solle, sei dies auch unproblematisch, so der BGH.

Gleiches gelte bei Abschiebungen. Ein Prozesshindernis komme daher nur in Betracht, wenn der Angeklagte nicht mehr in der Lage sei mit seinem Verteidiger Kontakt aufzunehmen, was aufgrund der modernen Kommunikationsmittel unwahrscheinlich sei. Auch die durch die Abschiebung vereitelte Möglichkeit des Angeklagten, seine Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen, stelle bei anwaltlicher Vertretung keine erhebliche Einschränkung dar, zumal der Verteidiger mit großer Wahrscheinlichkeit rechtskundiger als sein Mandant sei.

Anmerkung der Redaktion:

Ähnlich hatte der BGH bereits zu Fällen der Verhandlungsunfähigkeit entschieden. Es genüge, wenn der Angeklagte derart gesund sei, dass er über die Einlegung des Rechtsmittels verantwortlich entscheiden könne und sporadisch über dessen Aufrechterhaltung oder Rücknahme mit seinem Verteidiger entscheiden könne (vgl. BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 4 StR 527/16).

 

KriPoZ-RR, Beitrag 32/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 23.07.2019 – 1 StR 107/18: Anforderungen an die Parallelwertung in der Laiensphäre bezüglich der Bedenklichkeit eines Arzneimittels

Amtlicher Leitsatz:

Um den sozialen Bedeutungsgehalt der Bedenklichkeit eines Arzneimittels zu erfassen, bedarf es auch der Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind. Diese muss der Täter nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre richtig in sein Vorstellungsbild aufgenommen haben, um einen Vorsatzschuldvorwurf zu begründen.

Sachverhalt:

Das LG Hildesheim hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln und wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte zwischen Dezember 2008 und Mai 2013 die Substanzen MMS und MMS2 über das Internet als Mittel zur Behandlung von verschiedenen Krankheiten und zur Desinfektion des Körpers vertrieben.

Bei den Präparaten hatte es sich um eine 28-prozentige Natriumchloritlösung (MMS) und ein 70-prozentiges Calciumhypochlorit (MMS2) gehandelt, die beide bei oraler Einnahme erhebliche Schäden hätten hervorrufen können. Das LG hat beide Substanzen als bedenkliche Arzneimittel gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 2 AMG eingeordnet. Der Angeklagte war aber von einer heilenden Wirkung ausgegangen, obwohl ihm die mögliche gesundheitsschädliche Wirkung bekannt gewesen war. Er hatte sich selbst nach der Einnahme immer besser gefühlt und war von vermeintlich wissenschaftlichen Publikationen davon überzeugt worden, dass die Mittel Krankheitserreger im Körper abtöten könnten. Mit dem Verkauf der Präparate hatte der Beschuldigte einen Umsatz von 270.206€ erzielt für den er weder Umsatzsteuer abgeführt noch eine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat sich gegen die Verurteilung wegen Fahrlässigkeit anstatt Vorsatzes gerichtet. Der Angeklagte hat eine auf die Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO gestützte Verfahrensrüge erhoben und auch die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils beantragt.

 

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf beide Revisionen als unbegründet.

Zur staatsanwaltschaftlichen Revision führte der Senat aus, dass eine Verneinung des Vorsatzes keinen sachlich-rechtlichen Bedenken begegne. Das LG habe tragfähig und unter Einbeziehung aller wesentlichen tatsächlichen Umstände begründet, warum es davon überzeugt gewesen war, dass der Angeklagte von einer heilenden Wirkung der Präparate ausgegangen war und die möglichen gesundheitsschädlichen Wirkungen als hinnehmbare Nebenwirkungen für die nach seiner Ansicht überwiegenden positiven Effekte angesehen hatte.

Auch die Annahme des Tatgerichts, dass dieses Vorstellungsbild für eine vorsätzliche Tatbegehung nicht ausgereicht habe, sei nicht zu beanstanden.

Für die Einordnung als bedenkliches Arzneimittel sei erforderlich, dass die negativen Folgen einer Einnahme die positiven Effekte nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft unvertretbar überwiegen. Um dieses Merkmal der Unvertretbarkeit korrekt erfassen zu können, sei eine Bewertung der therapeutischen und schädlichen Wirkungen in ihrem widerstreitenden Verhältnis nötig. Objektiv habe danach, wie vom LG angenommen, eine Unvertretbarkeit und somit auch ein bedenkliches Arzneimittel vorgelegen. Allerdings hätte sich der Vorsatz des Täters für eine Verurteilung auch auf beide oben genannten Elemente beziehen müssen, weshalb die Kenntnis von einer möglichen schädlichen Wirkung allein nicht ausreichend sei, so neben dem LG auch der BGH.

Der Angeklagte hätte auch die therapeutische Wirkung zumindest nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre erfassen müssen, um den sozialen Bedeutungsgehalt des Rechtsbegriffs der Bedenklichkeit in seinen Tatvorsatz aufnehmen zu können.

Genau über diese (nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht vorhandene) positive Wirkung seiner Präparate sei der Angeklagte aber im Irrtum (§ 16 Abs. 1 StGB) gewesen. Daher habe er das Tatbestandsmerkmal der Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen nicht einmal in seiner Laiensphäre erfassen können, was eine vorsätzliche Begehung der Tat ausschließe.

Auch die Revision des Angeklagten sei unbegründet, da ein ausreichender rechtlicher Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO vom Gericht erteilt worden sei und auch keine sonstigen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler erkennbar seien.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zur genügenden Bestimmtheit des § 5 Abs. 2 AMG siehe: Urteil des BVerfG vom 26.04.2000 und Beschluss des BGH vom 11.08.1999. Das Urteil des LG Hildesheim finden Sie hier.

 

Gesetzesantrag zur Strafbarkeit des Werbens für terroristische Straftaten

Gesetzentwürfe: 

Das Land NRW hat einen Gesetzesantrag (BR Drs. 421/19) in den Bundesrat eingebracht, mit dem ein neuer Straftatbestand hinsichtlich des Werbens für terroristische Straftaten in das StGB eingeführt werden soll. 

Die neuen technischen Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass terroristische Propaganda zu einer wachsenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geworden ist.  Vor allem im Internet wird auf professionell gestalteten Informationsplattformen ein erster Zugang zu extremistischem Gedankengut geboten. Ein weitergehender Austausch zu den Themen erfolgt über Chats und Foren. Nicht selten werden auch Propagandavideos über das Netz verbreitet. Dabei stellt die Einwirkung über das Internet insbesondere für junge Einzeltäter einen bedeutsamen Risikofaktor für Radikalisierungsprozesse dar. Dies gilt ebenso für anderweitige Extremismen. Insbesondere der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vom 2. Juni 2019 zeige, dass auch eine Bedrohung durch rechtsextremistisches Gedankengut vor staatlichen Institutionen nicht halt mache. 

Nach derzeitiger Rechtslage sei aufgrund eines fehlenden Organisationsbezugs der Straftatbestand des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung  nach § 129a Abs. 5 S. 2 StGB vielfach nicht einschlägig. Ebenso scheitert mangels einer Konkretisierung der Tat häufig eine Strafbarkeit auf Grundlage des § 111 StGB – Öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Da extremistische Propaganda meist keine Anleitung zu Straftaten (§§ 91 oder 130a StGB) oder eine Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten (§ 131 StGB) enthalte, bestehe hier eine Strafbarkeitslücke. Diese galt es nach Art. 5 der Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung durch die Einführung einer Strafbarkeit des Befürwortens terroristischer Straftaten bereits bis zum 8. September 2018 zu schließen. Die Einführung eines § 91a StGB – Werben für terroristische Straftaten – soll damit den Regelungsauftrag erfüllen. Der bisherige § 91a StGB wird demnach zu § 91b StGB. 

§ 91a Werben für terroristische Straftaten 

(1) Wer eine Schrift (§ 11 Absatz 3), die eine Befürwortung oder Verharmlosung einer der in § 129a Absatz 1 oder 2 bezeichneten rechtswidrigen Taten enthält und nach ihrem Inhalt bestimmt sowie nach den Umständen geeignet ist, die Bereitschaft anderer zur Begehung solcher Taten zu fördern oder zu wecken, verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht und sich dadurch absichtlich oder wissentlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. 

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung eine der in § 129a Absatz 1 oder 2 bezeichneten rechtswidrigen Taten befürwortet oder verharmlost, um die Bereitschaft anderer zur Begehung solcher Taten zu fördern oder zu wecken, und sich dadurch absichtlich oder wissentlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. 

(3) Absatz 1 gilt auch, wenn die Tat im Ausland begangen wird. Wird sie außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, gilt dies nur, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird oder sich die Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze richten.

(4) In den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wird das Zugänglichmachen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen, bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, wenn weder das Zugänglichmachen durch einen Deutschen erfolgt noch sich die Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland noch gegen Verfassungsgrundsätze richten.“

Die Ausschüsse des Bundesrates haben am 27. September bereits ihre Empfehlung (BR Drs. 421/1/19) ausgesprochen, den Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen. Das Plenum sollte hierüber am 11. Oktober 2019 entscheiden, die Abstimmung wurde aber kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt. 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 31/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.08.2019 – 1 StR 57/19: Keine besonderen Formerfordernisse für Atteste nach § 256 StPO

Leitsatz der Redaktion:

§ 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt nicht zwingend, dass ein ärztliches Attest unterschrieben worden ist.

Sachverhalt:

Das LG Heilbronn hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt und hatte in der Hauptverhandlung drei ärztliche Berichte über die Verletzungen des Opfers, die nicht unterschrieben gewesen waren, im Selbstleseverfahren eingeführt. Hiergegen hat sich der Beschuldigte mit der Verfahrensrüge gewendet, da das Vorgehen des LG eine Verletzung des Grundsatzes der persönlichen Vernehmung und der Vorschriften über den Urkundenbeweis darstelle.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision als unbegründet.

§ 256 StPO ordne eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes an und erlaube neben § 251 StPO die Verlesung von bestimmten Erklärungen von Behörden oder Sachverständigen.

Gerade bei Körperverletzungsdelikten sei es aufgrund ihrer Häufigkeit aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll, dass nicht jeder Arzt persönlich zu seinen Feststellungen vernommen werden müsse. Dies habe auch der Gesetzgeber erkannt und daher mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die Möglichkeit der Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf alle Körperverletzungen, unabhängig von dem konkreten Tatvorwurf, ausgeweitet. Dabei sei das Ziel gewesen, auf eine persönliche Vernehmung des Arztes in der Hauptverhandlung verzichten zu können, da diese sich sowieso oft nicht mehr an den Patienten erinnern könnten und daher nur ihren Bericht persönlich vorstellten.

Besondere Formerfordernisse stelle § 256 StPO dabei nicht, so der BGH, da der Gesetzeszweck schon erreicht werde, wenn aus dem Attest hervorgehe, welcher Arzt die Untersuchung durchgeführt habe und für die Feststellungen verantwortlich sei. Zudem müsse aus dem Dokument ersichtlich werden, dass es sich nicht um eine Entwurfsfassung handele.

Eine Unterschrift des Arztes sei nicht erforderlich.

Anmerkung der Redaktion:

Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens ist 2017 in Kraft getreten und für umfangreiche Änderungen in der StPO, aber auch im StGB, JGG und weiteren Gesetzen verantwortlich. Alle Informationen zum Gesetz finden Sie hier.

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