KriPoZ-RR, Beitrag 82/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 2 StR 434/19: Zur mutmaßlichen Einwilligung in eine palliativmedizinische Behandlung trotz Überschreitens der ärztlichen Anordnung

Leitsatz der Redaktion:

Überschreitet ein Nichtarzt bei einer palliativmedizinischen Medikamentenverabreichung eigenmächtig den Rahmen der ärztlichen Anordnung, schließt das nicht per se eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung aus. Das Vorliegen einer solchen ist vielmehr im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände vom Tatgericht zu ermitteln.

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat den Angeklagten wegen Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der als Pfleger des Opfers tätige Angeklagte mit einer weiteren unerfahrenen Kollegin im Nachtdienst eingeteilt gewesen. Der Geschädigte hatte aufgrund einer Krebserkrankung starke Schmerzen und sein Tod hatte unmittelbar bevorgestanden. Für den Fall, dass der Angeklagte starke Schmerzen verspüre und die bisherige Medikation nicht ausreiche, hatte der zuständige Arzt die Verabreichung von 5mg Morphium angeordnet. Gegen 22:30 Uhr hatte der Patient über starke Schmerzen geklagt und die verordnete Dosis vom Angeklagten gespritzt bekommen.

Gegen 6:00 Uhr litt der Geschädigte wiederum sehr stark, sodass der Angeklagte und seine Kollegin Mitleid mit ihm hatten und seinen Zustand nur schwer mit ansehen konnten. Um seiner Kollegin zu imponieren, weil er in sie verliebt war, und aus Mitleid mit dem Geschädigten, hatte der Angeklagte ihm daraufhin 10mg Morphin, also das doppelte der ärztlich verordneten Maximaldosis, verabreicht.

Wenig später verstarb der Patient. Das Morphium war nicht todesursächlich.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilung durch das LG auf.

Die Verabreichung des Medikaments sei tatbestandlich zwar eine Körperverletzung, das LG habe jedoch die Möglichkeit einer Rechtfertigung nicht ausreichend geprüft.

Eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten habe nicht vorgelegen. Die Wertung des LG, dass auch eine mutmaßliche Einwilligung von vornherein ausscheide, da der Eingriff durch einen Nichtarzt erfolgt sei, sei jedoch rechtsfehlerhaft, so der BGH.

Einwilligungsfähig seien nach den Grundsätzen der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes auch Maßnahmen eines Nichtarztes, wenn diese den Regeln der ärztlichen Kunst und dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprächen.

Gerade bei der Schmerzlinderung im Todeskampf bestünde eine besondere Ausnahmesituation, die auch das Handeln eines Nichtarztes unter Abweichung von der ärztlichen Anordnung rechtfertigen könne. Somit wäre die Möglichkeit einer Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung des Geschädigten zumindest vom Tatgericht zu prüfen gewesen.

Dies habe im Wege einer Gesamtabwägung und im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten anhand seiner persönlichen Umstände, individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen zu erfolgen. Dass die Beachtung und Einhaltung der ärztlichen Anordnung gemeinhin als Vernünftig anzusehen sei, sei lediglich ein Indiz für die gerichtliche Bewertung. Gerade im Todeskampf könne jedoch auch ein darüberhinausgehendes Handeln innerhalb den Regeln der ärztlichen Kunst als vernünftig angesehen werden. Vor allem, wenn – wie im vorliegenden Fall – die ärztliche Anordnung an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen habe.

Eine solche Gesamtabwägung lasse das landgerichtliche Urteil vermissen.

Auch, dass der Angeklagte neben Mitleid mit dem Geschädigten auch handelte, um seiner unerfahrenen Kollegin zu imponieren, sei kein Ausschlussgrund für eine Rechtfertigung, da das Mitleidsmotiv nicht völlig in den Hintergrund gedrängt worden sei.

Anmerkung der Redaktion:

Gerade vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zur Straffreiheit der Sterbehilfe wird hier deutlich, dass der Wille des einzelnen Patienten auch bei einer Einwilligung in palliativmedizinische Behandlungen sehr großes Gewicht hat und sogar die Abweichung von ärztlichen Anordnungen rechtfertigen kann.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 27/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 30.01.2019 – 2 StR 325/17: Verabreichung von Medikamenten kann trotz Verstoßes gegen ärztliche Verordnung durch erklärte oder mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein

Amtlicher Leitsatz:

Die Verabreichung von Morphin zur Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen bei einem Sterbenden durch eine Pflegekraft kann auch dann durch erklärte oder mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn sie nicht der ärztlichen Verordnung entspricht. Ein zugleich vorliegender Verstoß gegen §29 Abs.1 Satz 1 Nr.6 Buchst. b BtMG steht dem nicht zwingend entgegen (Abgrenzung von BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14,  BGHSt 60, 166).

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat die Angeklagte wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte die als Pflegekraft in einer Seniorenresidenz arbeitende Angeklagte einem im Sterbeprozess befindlichen Patienten absichtlich die doppelte Menge des ihm ärztlich verordneten Morphins gespritzt. Dies hatte sie aus Mitleid getan, da sie der Ansicht war, dass die ärztlich verordnete Medikation nicht zur vollständigen Schmerzlinderung ausreichend gewesen war. Der Patient hatte an einer Darmkrebs-Erkrankung im Endstadium gelitten und in seiner Patientenverfügung auf Lebenserhaltene Maßnahmen verzichtet sowie der Verabreichung von Medikamenten zur Erleichterung des Sterbeprozesses zugestimmt.

Dass die Verabreichung der erhöhten Morphin-Dosis den Tod des Patienten beschleunigt hatte, hatte das LG nicht festzustellen vermocht.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Schwurgerichtskammer zurück.

Diese Entscheidung begründete der Senat zum einen damit, dass das LG eine Gesundheitsschädigung iSd § 223 Abs. 1 StGB schon allein in der Verabreichung des Morphins gesehen, es allerdings keine Feststellungen zur konkreten pathologischen Wirkung des Medikaments in diesem Einzelfall getroffen habe. Dies wäre aber für eine lediglich auf der Medikamentenverabreichung basierenden Verurteilung erforderlich gewesen.

Zum anderen sei auch die Ablehnung einer möglichen Rechtfertigung der Angeklagten rechtsfehlerhaft gewesen.

Eine solche komme zwar nicht in Betracht, wenn die Körperverletzung gegen die guten Sitten verstoßen habe. Dies sei jedoch vom Tatgericht nicht abschließend geprüft worden.

Der Begriff der guten Sitten sei im Lichte des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) verfassungskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass die Sittenwidrigkeit der Tat nach allgemein gültigen Maßstäben eindeutig aus der Rechtsordnung hervorgehen müsse. Gerade bei medizinischen Eingriffen stehe allerdings ein anerkannter Zweck im Vordergrund, nämlich die Behandlung einer Krankheit oder die Rettung des Lebens. Dies führe dazu, dass eine medizinisch indizierte Maßnahme grundsätzlich nicht gegen die guten Sitten verstoße und das Gegenteil unzweifelhaft festgestellt werden müsse. An einer solchen Feststellung fehle es hier.

Auch ein möglicher Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG lasse eine Rechtfertigung nach § 228 StGB nicht von vornherein ausscheiden, so der BGH.

Die Einnahme illegaler Drogen sei heute nicht mehr als Verstoß gegen die guten Sitten zu werten, was somit auch auf die Verabreichung solcher Drogen bei vorliegender Einwilligung zu übertragen sei. Auch die entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats bei verabredeten Schlägereien könne auf Fälle der medizinisch indizierten Verabreichung von Betäubungsmitteln nicht übertragen werden, da es in solchen Fällen der indirekten Sterbehilfe auf den Zweck der Handlung und nicht auf das Gewicht des Rechtsgutseingriffs ankomme.

Da die Betäubungsmitteldelikte das Rechtsgut der Volksgesundheit schützten, was als Rechtsgut der Allgemeinheit der Disposition des Einzelnen entzogen sei, könne auch eine etwaige Verwirklichung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Einwilligung des Dispositionsbefugten Individuums aufgrund der Sittenwidrigkeit der Körperverletzung liefern.

Da das LG aufgrund des möglichen Verstoßes gegen das BtMG eine Rechtfertigung von vornherein ausgeschlossen habe, habe es auch zwingend erforderliche Feststellungen zur mutmaßlichen Einwilligung nicht getroffen.

Das Handeln einer Person, die kein Arzt ist, schließe in der Ausnahmesituation, die ein Sterbeprozess darstelle, eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung nicht zwingend aus.

Daher hätte das Tatgericht hier eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Patientenverfügung, vornehmen müssen, um das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung in die Körperverletzung durch Erhöhung der Morphindosis durch die Angeklagte zu prüfen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Am 3. Juli 2019 hatte der BGH entschieden, dass ein Arzt, der den freiverantwortlichen Sterbewillen seines Patienten kennt, nicht wegen Totschlags durch Unterlassen bestraft werden kann, wenn er lebenserhaltende Maßnahmen unterlässt. Siehe dazu: KriPoZ-RR, Beitrag 03/2019

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