Terrorismus effektiv bekämpfen, Verantwortlichkeiten klären – Einsetzung einer Kommission zur Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur – Föderalismuskommission III

Gesetzentwürfe: 

 

Am 29. Januar 2019 brachte die Fraktion der FDP einen Antrag zur Einsetzung einer Kommission zur Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur in den Bundestag ein (BT Drs. 19/7424). Die Kommission soll sich aus 32 Mitgliedern zur Hälfte aus Bundestag und Bundesrat zusammensetzen und bis Ende 2020 Vorschläge erarbeiten, die eine bessere Handlung- und Entscheidungsfähigkeit des Bundes und der Länder im Sicherheitsbereich gewährleistet. 

Nach Ansicht der Fraktion sei die nationale Sicherheitsarchitektur in Deutschland durch neue Bedrohungen in Schieflage geraten. Durch die Vorbereitung terroristischer Taten über die Ländergrenzen hinweg seien die föderalen Strukturen an Grenzen gestoßen. Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste des Bundes und der Länder seien nun herausgefordert. Es fehle an einer geordneten Kompetenz und Verantwortlichkeit der über 40 Behörden, die in Fragen der Inneren Sicherheit und der Terrorismusabwehr beteiligt sind. Die Struktur und die Anzahl der in Fragen der Inneren Sicherheit beteiligten Behörden seien auf den Prüfstand zu stellen. Es sei denkbar, im Bereich der Nachrichtendienste Schwerpunktbehörden auf Länderebene zu schaffen, die dann in enger Kooperation mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz agieren. Auch die Entwicklung gemeinsamer IT-Programme bei Polizei und Nachrichtendiensten sei nötiger denn je. Vor dem Hintergrund jüngster terroristischer Ereignisse seien erneut Rufe nach einer Verbesserung des Informationsaustausches auf europäischer Ebene laut geworden. Dazu bedürfe es aber zuerst eines funktionierenden und klar geregelten Datenaustauschs auf nationaler Ebene.

Die Kommission soll daher insbesondere: 

  • „Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern beim Verfassungsschutz klarer regeln und effizienter gestalten, etwa durch Fusionen oder Kooperationen, die über Staatsverträge ausgestaltet werden,

  • Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Finanzierung bei den Sicherheits- und Polizeibehörden von Bund und Ländern sowie in Fragen der Cybersicherheit klarer regeln und effizienter gestalten,

  • das Selbsteintrittsrecht der Bundesbehörden bei nationalen bzw. länderübergreifenden Bedrohungslagen klar regeln,

  • die Zuständigkeit für die Abschiebung von ausreisepflichtigen Gefährdern, einschließlich der Beantragung von Abschiebehaft, neu regeln,

  • Regeln für das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten erarbeiten, mit denen die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit angesichts neuer Entwicklungen in Kriminalität und Terrorismus gewahrt wird und die den Bedürfnissen des Informationsaustausches gerecht werden,

  • verbindliche Rechtsgrundlagen für das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), das Gemeinsame Internet-Zentrum (GIZ), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) und das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) schaffen, mit dem Ziel eine parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen und für klare Verantwortlichkeiten zu sorgen,

  • eine Grundlage für eine gemeinsame digitale Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die einen reibungslosen Kommunikations- und Informationsablauf ermöglichen sowie

  • die Beschaffungsprozesse der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern auf die Kompatibilität der auszuschreibenden Systeme und mögliche Synergieeffekte hin überprüfen.“

Der Antrag wurde erstmalig am 1. Februar 2019 im Bundestag debattiert und traf bei den übrigen Fraktionen auf unterschiedlich guten Anklang. Die CDU betonte, dass sich zwar hinsichtlich der Ziele alle einig seien, eine Kommission zur Reform einzusetzen sei allerdings ein Weg, der „ausgelatscht und bisher völlig unerfolgreich“ geblieben sei. Die Fraktion Die Linke warnte vor einem Abbau der Grund- und Freiheitsrechte der Bürger. Damit die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden besser funktioniere brauche man keine neue Förderalismusreform, sondern eine „Reform der inneren Strukturen und der Kommunikationswege in der Polizei und mit ihren Partnern.“ Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beklagte eine „Unverbindlichkeit und auch ein Kompetenzchaos“ im Bereich der Innenpolitik und befand einige Punkte des Antrages als „gut“. Jedoch sei die Vorlage insgesamt etwas substanzlos. Die AfD stimmte der Beschreibung der Sicherheitslage uneingeschränkt zu und betonte, man habe nicht mehr bis zum Jahr 2020 Zeit, um eine Lösung der Sicherheitslage herbeizuführen. Die aktuelle Gefahr terroristischer Anschläge sei „so hoch wie nie zuvor“. Die Fraktion warb für Grenzkontrollen und für eine Abschiebung aller Gefährder. Wenn weder eine Abschiebung oder eine Abschiebehaft möglich sei, müsse ein „längerfristiger Gewahrsam zur Anwendung kommen“. Die SPD warf der FDP vor, sie sei durch Kürzungen von Polizeistellen in der Zeit von Schwarz-Gelb dafür verantwortlich, dass nun ein „nicht handlungsfähiger Staat“ dastehe. Sicherheit sei ein soziales Recht und Freiheit sei nur durch einen handlungsfähigen und dadurch starken Staat möglich. Dabei gehe es aber nicht um die Frage von Zuständigkeiten, sondern um die Leistungsfähigkeit. Im Anschluss an die Sitzung wurde der Antrag der FDP an die zuständigen Ausschüsse unter der Federführung des Innenausschusses zur weiteren Beratung überwiesen. 

Gleichzeitig stimmte der Bundestag über einen Gesetzentwurf der AfD zum Schutz der Bevölkerung vor ausländischen Gefährden (BT Drs. 19/931) sowie einen weiteren Antrag der AfD zur Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr von Gefahren (BT Drs. 19/932) ab (nähere Informationen zu dem Gesetzentwurf und dem Antrag finden Sie hier).  Gegen die Stimmen der Fraktion der AfD wurden beide Entwürfe einhellig abgelehnt. Der Innenausschuss hatte bereits zuvor in seiner Beschlussempfehlung (BT Drs. 19/2226) zur Ablehnung beider Vorhaben geraten. 

Nachdem der Ausschuss für Inneres und Heimat eine Beschlussempfehlung (BT Drs. 19/15129) vorgelegt hatte, stand der Antrag der FDP „Terrorismus effektiv bekämpfen, Verantwortlichkeiten klären – Einsetzung einer Kommission zur Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur – Föderalismuskommission III“ am 19. Dezember 2019 nun zur Abstimmung im Bundestag. Mit 506 zu 139 Stimmen und 3 Enthaltungen wurde er abgelehnt. 

 

Gesetzesantrag zur Einführung einer eigenständigen Strafbarkeit für das Betreiben von internetbasierten Handelsplattformen für illegale Waren und Dienstleistungen

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land NRW möchte künftig einen Straftatbestand des Anbieters von Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten in das StGB einführen. Er soll lediglich internatsbasierte Angebote (insbesondere im Darknet) erfassen, deren Leistung auf die Ermöglichung von Delikten basiert, bei deren Begehung eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. 

Hintergrund des Antrags ist das zunehmende Phänomen an Angeboten mit strafrechtlicher Relevanz im Darknet. Straftäter nutzen die Anonymisierung über das „The Union Router“ (Tor)-Netzwerk für ihre Geschäfte, aber auch für Foren, Chatrooms oder auch Inhalte bekannter Servicebetreiber wie Facebook. Ein Hauptaugenmerk liegt jedoch auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, Kinderpornographie, Waffen, Schadsoftware und Ausweispapieren. Dabei unterscheiden sich die Angebote kaum von üblichen Online-Handelsplattformen. Es gibt Vorschaubilder, Werbung und Bewertungen anderer Käufer. Der Zugang zu den einschlägigen Angeboten ist zwar beschränkt, bedarf in der Regel aber keinen besonderen technischen Aufwand. Dadurch setzen die Handelsplattformen auch für Personen, die herkömmliche Beschaffungswege für Waffen, Betäubungsmittel oder kriminelle Dienstleistungen nicht beschreiten würden, einen niedrigschwelligen Zugriff auf logistische Infrastrukturen für die Begehung von Straftaten.

Die Zentralstellen der Staatsanwaltschaften für die Verfolgung von Cybercrime der einzelnen Bundesländer haben bereits zahlreiche Verfahren gegen die Verantwortlichen einschlägiger Foren oder Plattformen wie z. B. „Deutschland im Deep Web“ oder „crimenetwork.biz“ geführt. International machten Verfahren gegen die Betreiber der Plattformen  „Silkroad“, „AlphaBay“ und „Hansa Market“ Schlagzeilen. 

EUROPOL stellt in der Bedrohungsanalyse 2017 zur Organisierten Kriminalität im Internet (Internet Organised Crime Threat Assessment 2017) fest, dass die illegalen Onlinehandelsplattformen eine zentrale Schnittstelle für Cybercrime und weiterer Kriminalitätsformen darstellen. Aus den bislang geführten Ermittlungsverfahren lässt sich ein arbeitsteiliges Zusammenwirken der Betreiber und Nutzer erkennen. Die klassischen Organisationsdelikte und die historischen gesetzgeberischen Vorstellungen von Täterschaft und Teilnahme lassen sich nach Ansicht des Landes kaum auf moderne, internetbasierte Täterstrukturen übertragen.

Anlässlich der Herbstkonferenz am 17. November 2016 haben sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder bereits mit der Effektivität von strafrechtlichen Ermittlungen im Darknet befasst und halten es für erforderlich, dass das öffentliche Feilbieten von Gegenständen und Dienstleistungen zur Vorbereitung von Straftaten im Internet unterbunden wird. 

Dies soll nun mit der Einführung eines § 126a StGB – Anbieten von Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten – erreicht werden: 

„§ 126a – Anbieten von Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten

(1) Wer eine internetbasierte Leistung anbietet, deren Zugang und Erreichbarkeit durch besondere technische Vorkehrungen beschränkt und deren Zweck oder Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten im Sinne von Satz 2 zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind

1. § 95 Absatz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln,
2. §§ 29 Absatz 1 Nr. 1, 29a, 30, 30a des Betäubungsmittelgesetzes,
3. § 19 Absatz 1 des Grundstoffüberwachungsgesetzes,
4. § 52 Absatz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Waffengesetzes,
5. § 40 Absatz 1 und 2 des Sprengstoffgesetzes,
6. §§19 Absatz 1, 20Abs. 1, 20a Absatz 1, 22a Absatz 1 Nr. 1, 2 und 4 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen sowie
7. §§ 146, 147, 149, 152a, 152b, 184b Abs.1, 202a, 202b, 202c, 263a, 275, 276, 303a und 303b des Strafgesetzbuches.

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein, als die für die Tat im Sinne von Absatz 1 Satz 2 angedrohte Strafe.

(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Tat gewerbsmäßig begeht.“

Die Qualifikation des Abs. 3 soll im Katalog des § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. d StPO ergänzt werden und Anknüpfungstat für die cyberspezifische, eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahme der Telekommunikationsüberwachung sein.

Am 15. Februar 2019 wurde der Gesetzesantrag in der Plenarsitzung des Bundesrates vorgestellt und zur weiteren Beratung an die Fachausschüsse überweisen. Diese empfahlen dem Bundesrat den Entwurf mit diversen Änderungen in den Bundestag einzubringen. Dieser Empfehlung kam der Bundesrat nun in seiner Sitzung am 15. März 2019 nach. Der Entwurf wurde über die Bundesregierung dem Bundestag zugeleitet und am 23. April 2019 in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/9508). 

 

 

Antrag zur Einrichtung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene

Gesetzentwürfe: 

 

Am 22. Januar 2019 brachte die Fraktion Die Linke einen Antrag zur Einrichtung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene in den Bundestag ein (BT Drs. 19/7119). Polizeiliches Verhalten überprüfen zu lassen sei ein zentrales Gebot in einem Rechtsstaat. Mögliches Fehlverhalten und Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols müsse von polizeiunabhängigen Stellen überprüfbar und anzeigbar gemacht werden.

Zur Überzeugung der Fraktion sei aber auch ein unabhängiger Beschwerdemechanismus für die Polizeibeamten selbst wichtig. Obwohl sie vielleicht häufig mit der Art von Ermittlungen oder mit dem Umgang von Zeugen oder Beschuldigten nicht einverstanden sind, sei es oft der Corpsgeist oder der „Cop Culture“, der sie davon abhält sich an ihre Vorgesetzten zu wenden. Auch sie sollen daher die Möglichkeit haben, sich zur Beschwerde an eine Institution außerhalb der Polizei wenden zu können. 

Einige Bundesländer, wie bspw. Rheinland-Pfalz oder Thüringen, haben bereits verschiedene Beschwerdemöglichkeiten geschaffen. Es sei aber notwendig eine einheitliche Beschwerdestelle auf Bundesebene einzurichten. Dabei sollen einige Grundsätze beachtet werden um die Unabhängigkeit, Angemessenheit, Öffentlichkeit und Einbeziehung der Betroffenen zu fördern: 

  • Die Beschwerdestelle soll unabhängig ermitteln und muss räumlich von den Polizeidienststellen getrennt arbeiten. 
  • Die Mitarbeiter dürfen in keinem hieratischen Verhältnis zu den von der Beschwerde betroffenen Polizeibeamten stehen. 
  • Die Beschwerdestelle soll auch von ihr identifizierte systemische Mängel untersuchen können die diskriminierendes Verhalten fördern. 
  • Die Beschwerdestelle erhält alle notwendigen Befugnisse, insbesondere das Akteneinsichtsrecht und die Möglichkeit eigener Beweiserhebung. 
  • Die Arbeit der Beschwerdestelle wird jährlich durch einen Bericht öffentlich gemacht. 
  • Die Beschwerdeführer sollen in das Verfahren einbezogen werden, damit ihre Interessen im Prozess der Ermittlungen berücksichtigt werden können. 

Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert,

„1. auf Bundesebene eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle einzurichten, die den oben genannten Grundsätzen folgt und dem Bundestag hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Kompetenzen und Pflichten einer Polizeibeschwerdestelle festlegt.

2. Die Polizeibeschwerdestelle des Bundes soll mit ähnlichen Einrichtungen der Bundesländer zusammenarbeiten und kann in diesem Rahmen gemeinsame Untersuchungen von Vorgängen vornehmen, in die sowohl Polizeien des Bundes als auch des betroffenen Bundeslandes einbezogen waren.“

 

 

 

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Prof. Dr. Dr. h.c. Yener Ünver

 

 

 

 

EDITORIAL

ALLGEMEINE BEITRÄGE

Europäische Prozesskostenhilfe im System notwendiger Verteidigung
und Pflichtverteidigung
von Prof. Dr. Reinhold Schlothauer

Soziale Netzwerke als Ort der Kriminalität und Ort von Ermittlungen 
von Prof. Dr. Carsten Momsen und Philipp Bruckmann, B.A.

Maßstäbe für wissenschaftliche Strafgesetzgebungskritik 
"Traditionelle Maßstäbe"
von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

Maßstäbe wissenschaftlicher Strafgesetzgebungskritik 
von Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel und Prof. Dr. Thomas Weigend 

Strafprozessrechtliche Vorhaben im Koalitionsvertrag 
von Prof. Dr. Karsten Altenhain 

Kriminalpolitische "Lücken" im Koalitionsvertrag?
von Prof. Dr. Anja Schiemann 

AUSLANDSBEITRAG

Zur gesetzlichen Gewährleistung der Patientenautonomie in Taiwan 
von Assistant Prof. Dr. Chun-Jung Chen

BUCHBESPRECHUNGEN 

Astrid Kempe: Lückenhaftigkeit und Reform des deutschen Sexualstrafrechts 
vor dem Hintergrund der Istanbul-Konvention 
von RA Priv.-Doz. Dr. Kay H. Schumann 

Johann Sieber: Sanktionen gegen Wirtschaftskriminalität
von Prof. Dr. Anja Schiemann 

TAGUNGSBERICHT 

Strafen "im Namen des Volkes"? - Expertentagung in Augsburg
von Wiss. Mit. Lukas Cerny

 

 

 

 

Ruth Blufarb: Geschichten im Recht. Übertragbarkeit von „Law as Narrative“ auf die deutsche Rechtsordnung

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2017, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-4172-4, S. 572, Euro 119,00.

Wer meint, Literatur habe nichts mit Recht zu tun, der irrt. Umgekehrt hat auch Recht mehr mit Literatur zu tun, als man denkt. Dennoch ist die narratologische Perspektive des Rechts als Teil der „Law as Literature“-Bewegung in Deutschland bislang weitgehend unerforscht geblieben (S. 31). Diese Bewegung ist aber nicht nur für die Rechtswissenschaft an sich, sondern auch für die Rechtspolitik interessant, da sie durchaus rechtspolitische Forderungen stellt, denen die Dissertation von Blufarb neben einem Überblick über den Forschungsgegenstand an sich nachgeht.

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Editorial

 

Beitrag als PDF Version 

Am 9. November 2018 trafen sich die Mitglieder des Kriminalpolitischen Kreises auf Einladung von Professor Cornelius Prittwitz an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. zu ihrer Jahrestagung. Unter dem Titel „Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik“ beschäftigte sich der Kreis mit dem Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft als (kritische) Begleiterin der Strafgesetzgebung. Für die großzügige finanzielle Förderung der Tagung danken die Organisatoren und Teilnehmer dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Der erste Teil der Tagung diente der Selbstreflexion: Welchen Einfluss haben politische Einstellungen und nebenberufliches Engagement auf die eigenen wissenschaftlichen Positionen?

Nicht nur stark ethisch gefärbte kriminalpolitische Fragen – etwa zur Strafbarkeit von Sterbehilfe oder zum Schwangerschaftsabbruch – werden durch allgemeine politische Überzeugungen geprägt; auch scheinbar rein rechtsdogmatische Ansichten können von einer grundlegenden Einstellung – etwa: liberal oder konservativ, punitiv oder eher permissiv – beeinflusst sein. In der Diskussion nach einem einführenden Referat von Prittwitz herrschte im Kreis weitgehend Einigkeit, dass sich politische Ansichten und strafrechtliche Positionen in der Person des Strafrechtswissenschaftlers nicht klar trennen lassen. Für die Arbeit der Strafrechtswissenschaft ist dieser – an sich triviale – Befund nicht unwichtig. Einerseits erleichtert er einen offenen Umgang mit Ansichten, die von der je eigenen abweichen: Akzeptiert man den Einfluss von Vorprägungen und Vorverständnissen, so erweist sich die eigene Auffassung nicht als alternativlos, und andere Meinungen lassen sich von ihren Prämissen her verstehen und einordnen. Andererseits sollten VertreterInnen der Strafrechtswissenschaft, wenn sie den Gesetzgeber kritisieren, stets offenlegen, ob Hintergrund ihrer Kritik tatsächlich normative und rechtsdogmatische Erwägungen oder in Wahrheit kriminalpolitische Überzeugungen sind. Große Sensibilität ist im Bereich der Kriminologie geboten, da im Umgang mit Daten und Statistiken in besonderer Weise der Anspruch auf Wahrheit erhoben wird. Zugleich berührt die Auseinandersetzung mit Phänomenen der Kriminalität nicht selten heikle oder stark politisch besetzte Themen (etwa Ausländerkriminalität, Resozialisierung oder Jugendstrafrecht). Im Bereich der empirischen Forschung dürfen politische Überzeugungen weder bei der Formulierung von Forschungsfragen noch bei der Interpretation der Ergebnisse eine Rolle spielen.

Der Kreis sprach, im Anschluss an ein Referat von Professor Hans Kudlich (Erlangen-Nürnberg), auch über die Gefahren einer Beeinflussung strafrechtswissenschaftlicher Publikationen durch Verteidigungs- oder Gutachtertätigkeit. Es bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass auf solchen Tätigkeiten beruhende Veröffentlichungen nicht zu beanstanden sind, wenn sie einen wissenschaftlichen Mehrwert bieten. Die Wissenschaftsethik gebietet es jedoch, deutlich auf den Hintergrund des Beitrages hinzuweisen. Zudem sollte das Wissen um die eigene Parteilichkeit zu Zurückhaltung in der Formulierung der vertretenen Position Anlass geben. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, in welchem Umfang eine nebenberufliche Verteidigungs- oder Gutachtertätigkeit rechtlich und ethisch vertretbar ist. Der Kreis hat sich vorgenommen, über die Einführung (und mögliche Regelungsinhalte) eines diesbezüglichen Code of Conduct für Wissenschaftler zu diskutieren.

Für einen Kreis, der seine Aufgabe in der kritischen Begleitung von Gesetzgebungspolitik sieht, besteht eine wesentliche Herausforderung darin, Maßstäbe zu entwickeln, anhand derer das Gelingen oder Misslingen legislatorischer Bemühungen (oder deren Ausbleiben) bestimmt werden soll. Mit dieser Frage setzten sich Professor Wolfgang Mitsch (Potsdam) sowie in einem gemeinsamen Beitrag die Professoren Michael Kubiciel (Augsburg) und Thomas Weigend (Köln) auseinander. Mitsch (in diesem Heft S. 29 ff.) verteidigte für den Bereich der Gesetzgebungskritik den Wert des Rechtsgutsbegriffs, den er als im Kern individualschützend interpretierte. Kubiciel und Weigend (in diesem Heft S. 35 ff.) sahen das Potential des Rechtsgutskonzepts dagegen als eher gering an. Sie schlugen als alternative Gesichtspunkte die Fragen vor, ob ein Gesetzgebungsvorhaben der bestehenden „inneren Grammatik“ des Strafrechts gerecht wird und ob es den Freiheits(grund)rechten des potentiellen Täters genügend Spielraum belässt.

In einem weiteren Panel wurde über die Perspektiven von straf- und strafverfahrensrechtlichen Reformen in der laufenden Legislaturperiode diskutiert. Ministerialdirigent Dr. Matthias Korte (BMJV) gab einen instruktiven Überblick über die nach dem Koalitionsvertrag auf den Agenda der nächsten Jahre stehenden Reformprojekte, wie beispielsweise eine Verstärkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden sowie eine Regelung zu unternehmensinternen Ermittlungen und zur Verwendung der durch sie gewonnenen Informationen. Er wies außerdem auf die wichtigen Wechselbeziehungen zwischen Gesetzgebungsinitiativen der EU und der nationalen Reformpolitik hin. Korte kritisierte, dass Äußerungen aus der Strafrechtswissenschaft häufig erst nach dem Inkrafttreten von Gesetzen erfolgten und sich dann auf den (oft vergeblichen) Versuch konzentrierten, die Verfassungswidrigkeit der Gesetzgebung darzutun. Er regte an, dass sich die Strafrechtswissenschaft möglichst frühzeitig mit Vorschlägen und Stellungnahmen in das Gesetzgebungsverfahren – auch auf europäischer Ebene – einbringen sollte.

Beispielhaft behandelten Professorin Susanne Beck (Hannover) die Pläne für eine Überarbeitung des Cyber-Strafrechts und Professor Karsten Altenhain (Düsseldorf) mögliche Veränderungen im Strafverfahrensrecht (in diesem Heft S. 41 ff.). Altenhain monierte, dass die ins Auge gefassten Änderungen (z.B. Erweiterung der Möglichkeiten des Gerichts, Ablehnungs- und Beweisanträge zurückzuweisen bzw. zurückzustellen; Ausdehnung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO) hauptsächlich auf Anstöße aus der richterlichen Praxis reagierten und kein Gesamtkonzept einer Modernisierung des Strafverfahrens erkennen ließen. Professorin Anja Schiemann (DHPol Münster) referierte über Sachgebiete, die der Reform bedürfen, aber aus dem Blickfeld der Bundesregierung geraten zu sein scheinen, wie etwa die Lösung der Probleme uneinbringlicher Geldstrafen und der Ersatzfreiheitsstrafe, die Streichung des Tatbestandes der Beförderungserschleichung und die gebotene Neuformulierung der §§ 20 und 211 StGB (in diesem Heft S. 47 ff.).

Die lebhaften Diskussionen unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen machten die Brisanz der in den Referaten angesprochenen  grundsätzlichen Fragen  für  das Unternehmen einer konstruktiven Begleitung der Kriminalpolitik deutlich. Der Kriminalpolitische Kreis greift einige der aktuellen Politikfelder in Arbeitsgemeinschaften (etwa zum Allgemeinen Teil, zur Digitalisierung, zum Medizinstrafrecht und zum Strafprozessrecht) auf, in denen konkrete Vorschläge zur Gesetzgebung entwickelt werden sollen. Auf seiner nächsten Tagung im November 2019 in Berlin wird er sich mit dem Einfluss empirisch-kriminologischer Erkenntnisse auf die Kriminalpolitik beschäftigen.

Prof. Dr. Elisa Hoven, Universität Leipzig
Prof. Dr. Thomas Weigend, Universität zu Köln

 

 

 

Europäische Prozesskostenhilfe im System notwendiger Verteidigung und Pflichtverteidigung – Zum „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (Referentenentwurf des BMJV v. 11.10.2018)

von Prof. Dr. Reinhold Schlothauer

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Abstract
Die dem Gesetzgeber bis zum 25.5.2019 aufgegebene Umsetzung der EU-Richtlinie zu „Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen im Strafverfahren“ hat in dem Referentenentwurf des BMJV vom 11.10.2018 Gestalt angenommen. Dem Vorhaben bläst schon jetzt der Wind ins Gesicht: Die Landesjustizverwaltungen sehen eine Kostenlawine auf sich zukommen. Ermittler befürchten eine Erschwernis ihrer Arbeit, weil „Spontangeständnisse“ bei Einschaltung eines Verteidigers nicht mehr zu erlangen seien. Der Entwurf werde dem „Rechtsstaat erheblichen Schaden“ zufügen (bild.de v. 28.12.2018). Umso wichtiger ist ein nüchterner Blick darauf, ob und wie der Entwurf die „alternativlosen“ Vorgaben des europäischen Pflichtenkatalogs umsetzen will. Unter dem Strich wird es zu einer Optimierung unseres Strafverfahrens kommen müssen, das durch frühzeitige Verteidigerbeteiligung Verfahrensfehler, unnötige oder mangelhafte Anklageerhebungen und im Einzelfall Fehlurteile vermeiden hilft. Ein Gewinn für den Rechtsstaat!

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Soziale Netzwerke als Ort der Kriminalität und Ort von Ermittlungen – Wie wirken sich Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ auf die Nutzung sozialer Netzwerke aus?

von Prof. Dr. Carsten Momsen und Philipp Bruckmann, B.A.

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Abstract
Mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens wurde das in der Strafprozessordnung normierte repressive Arsenal der Ermittlungsbehörden um Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ erweitert. Damit soll u.a. der weithin gängigen Verschlüsselungspraxis begegnet werden, an der die Überwachung von Online-Kommunikation auf Basis bisheriger Befugnisse vielfach scheitert. Diese Form der „digitalen“ Strafverfolgung erfasst auch und gerade die Kommunikation mittels „Social Media“.

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Maßstäbe für wissenschaftliche Strafgesetzgebungskritik – „Traditionelle“ Maßstäbe

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

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Abstract
Traditionelle und neue Maßstäbe strafrechtswissenschaftlicher Gesetzgebungskritik schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Tradition hat die Argumentation mit dem Rechtsgüterschutz. Zweifellos produziert die Fokussierung auf das Rechtsgut viele richtige Ergebnisse. Das Rechtsgut ist allerdings kein Allheilmittel zur vernünftigen Begrenzung von Strafrecht.  In Grenzbereichen leisten aber auch andere – „moderne“ – Maßstäbe nicht mehr. Daher sollte man auf das Rechtsgut nicht verzichten.

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Maßstäbe wissenschaftlicher Strafgesetzgebungskritik

von Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel und Prof. Dr. Thomas Weigend

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Abstract
Als Maßstab für eine Bewertung von Vorhaben der Strafgesetzgebung werden vielfach die Topoi des Rechtsgüterschutzes sowie des Strafrechts als ultima ratio vorgeschlagen. Beide weisen jedoch Defizite auf, insbesondere lassen sich „Rechtsgüter“ relativ leicht postulieren, ohne dass ihre Notwendigkeit rational überprüfbar wäre. Präziser ist der Maßstab des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; hier ist insbesondere die Eignung neuer Strafnormen zur Erreichung ihrer Zwecke ein auch praktisch relevantes Kriterium. Darüber hinaus schlagen die Autoren vor, Strafrechtsnormen vor allem danach zu beurteilen, ob sie in die vorhandenen Strukturen des Strafrechts einzupassen sind und ob sie den Freiheits(grund)rechten potentieller Täter genügend Raum lassen.

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