Ziviler Ungehorsam als Strafunrechtsausschließungsgrund

von Prof. Dr. Till Zimmermann

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Abstract
Die strafrechtliche Beurteilung zivilen Ungehorsams in der Gestalt von Straßenblockaden ist ein ewiger Zankapfel. Die philosophische Empfehlung Jürgen Habermas‘, den zivilen Ungehorsam in der Schwebe zwischen Legitimität und Legalität zu belassen, ist mit den zwei widerstreitenden Mainstream-Konzepten – Legalisierung vs. Kriminalisierung – allerdings nicht zu bewerkstelligen. Der Beitrag plädiert für den verfassungskonformen Ausweg, die Verwerflichkeitsklausel des Nötigungsparagrafen (§ 240 Abs. 2 StGB) im Lichte der von Günther in den 1980er Jahren entwickelten Figur des Strafunrechtsausschließungsgrundes zu interpretieren.

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Strafrechtlicher Wahrheitsschutz bei der politischen Meinungs- und Willensbildung?

von Prof. Dr. Armin Engländer 

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Abstract
Der Beitrag befasst sich mit der Frage, ob zum Schutz der Demokratie politische Fake News stärker als bislang mit dem Mittel des Strafrechts bekämpft werden sollen. Er zeigt auf, dass die Antwort auf diese Frage davon abhängt, welche Rolle Wahrheit in der politischen Meinungs- und Willensbildung spielt. Das wiederum steht im Zusammenhang mit der Frage, ob man Demokratie besser in einem deliberativen oder in einem elektoral-interessenbasierten Sinn versteht. 

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Alles eine Frage der Wirkung? Zur Strafbarkeit der Verbreitung von individuen- und gruppenbezogenen Fake News im Spiegel der Beleidigungs- und Volksverhetzungsdelikte de lege lata

von Prof. Dr. Susanne Beck, LL.M. (LSE) und Dr. Maximilian Nussbaum 

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Abstract
Die Behauptung und (wissentliche) Verbreitung falscher Tatsachen, insbesondere innerhalb sozialer Medien, ist gesellschaftlich höchst problematisch, ohne jedoch zwangsläufig strafbar zu sein, was Diskussionen über Expansionen des Strafrechts hervorruft. Daneben ist aber auch zu diskutieren, inwieweit schon das geltende Recht an die Entwicklung angepasst werden kann und sollte. Dies tut der vorliegende Beitrag mit Blick auf individuen- und gruppenbezogene Fake News, wobei der Fokus darauf gerichtet ist, inwiefern die faktischen Wirkungen von (medial verbreiteten) falschen Tatsachen auf Einzelne und Gruppen eine weite Auslegung der Ehrschutz- und Volksverhetzungsdelikte rechtfertigen.

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Gesetzentwurf zur modernen und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur Modernisierung der Zeugnisverweigerungsrechte in gerichtlichen Verfahren und zur Überarbeitung von Vermögensabschöpfung und Unterbringung im Jugendstrafrecht

Gesetzentwürfe: 

Am 17. Dezember 2024 hat die Fraktion der FDP einen Gesetzentwurf zur modernen und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur Modernisierung der Zeugnisverweigerungsrechte in gerichtlichen Verfahren und zur Überarbeitung von Vermögensabschöpfung und Unterbringung im Jugendstrafrecht in den Bundestag eingebracht. Um die Bürger:innen selbst und ihr Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, seien die Mittel des Strafrechts unerlässlich. Dazu gehöre aber auch, Strafverfahren in angemessener Dauer durchzuführen und dabei Beschuldigtenrechte zu wahren. Um das Strafverfahren an moderne Entwicklungen anzupassen, sollen bestimmte Aspekte praxistauglicher gestaltet werden. Ein zeitgemäßes Strafverfahren erfordere die Stärkung einer effektiven Verteidigung, eine transparente Verfahrensführung sowie eine zielgerichtete Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten und den Einsatz moderner Technik. Hinsichtlich moderner Entwicklungen seien insbesondere die Zeugnisverweigerungsrechte von Angehörigen nicht mehr zeitgemäß. Sie bilden die modernen Formen der Familie und des Zusammenlebens nicht mehr ausreichend ab. So habe das Verlöbnis an Bedeutung verloren und Kinder würden in vielfältigeren Familienkonstellationen und Lebensmodellen aufwachsen, die ein ebenso starkes Vertrauensverhältnis begründen, wie zwischen Ehegatten oder Verwandten. Dementsprechend könne dieses Vertrauensverhältnis auch zu einer vergleichbaren Konfliktlage führen. Ebenfalls seien Anpassungen im Jugendstrafrecht erforderlich. Im Rahmen von Reformen der StPO und der Vermögensabschöpfung seien flankierend Änderungen im Jugendstrafrecht vorgenommen worden, die letztlich dazu geführt hätten, dass die erforderliche Ausrichtung aller Rechtsfolgen am spezialpräventiven Ziel des Jugendstrafrechts in Einzelfällen erschwert worden sei. Weiteren Reformbedarf sieht der Entwurf im Rahmen des Jugendstrafrechts bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung sowie bei der vollstreckungsrechtlichen Entscheidung über die Fortdauer dieser Maßregeln. Hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit bestehe hier eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden gegenüber Erwachsenen. Eine Entscheidung über die Unterbringung nach § 63 StGB wird im allgemeinen Strafrecht von drei Berufsrichtern gefällt, während sie im Jugendstrafrecht vom Jugendschöffengericht gefällt werden kann, das nur mit einem Berufsrichter besetzt ist. Gleiches gilt für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung.

Der Entwurf sieht daher in den einzelnen Bereichen vor:

Recht der Verteidigung

  • konzentriertere Durchführung von Strafverfahren
  • Wegfall des Antragserfordernisses bei der notwendigen Verteidigung und Bestellung eines Pflichtverteidigers in allen Fällen der notwendigen Verteidigung ab der ersten Vernehmung oder Gegenüberstellung von Amts wegen
  • Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung von Verweigerungen zur Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft
  • Recht zur Anwesenheit bei Tatortrekonstruktionen
  • Gewährleistung der Vertraulichkeit von Gesprächen inhaftierter Beschuldigter mit einem potentiellen Verteidiger bereits bei Gesprächen über die Begründung eines Mandatsverhältnisses

Beweiserhebung und Beweisaufnahme

  • Möglichkeit der Bezugnahme auf Abbildungen und Videomaterial, das sich auf elektronischen Speichermedien befindet
  • Möglichkeit der audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung von Zeug:innen im Ermittlungsverfahren
  • Überarbeitung der Vorschriften über eine Trennung von beschuldigter Person und Zeug:innen während der Vernehmung im Ermittlungs- und Hauptverfahren
  • Ausweitung der Regelungen des sogenannten Selbstleseverfahrens auf Augenscheinsobjekte, die zugleich Urkunden sind
  • Möglichkeit der Zulassung englischsprachiger Urkunden ohne Übersetzung als Beweismittel, wenn alle Verfahrensbeteiligten über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen
  • Beweisverwertungsverbot für belastende Angaben aus einem Verwaltungsverfahren

Förderung der Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten

  • Möglichkeit der Unterbrechung der Hauptverhandlung von bis zu zwei Monaten
  • Erweiterung der Möglichkeit einer Eröffnungserklärung der Verteidigung
  • Einführung einer Hinweispflicht des Gerichts im Rahmen der Beweisaufnahme bei unterschiedlicher Beurteilung von Beweis- oder Rechtslage

Anpassungen im Bereich des Rechtsmittelrechts

  • Ergänzung zum Rechtsmittelverzicht bei der strafprozessualen Verständigung
  • Stärkere Berücksichtigung des Einzelnen bei Revisionsverfahren von Mitverurteilten

Änderung des Zeugnisverweigerungsrechts der Angehörigen des Beschuldigten

  • Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte entfällt
  • neue Zeugnisverweigerungsrechte für Partner:innen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, oder Partner:innen, deren Eheschließungstermin bereits amtlich festgesetzt wurde
  • Zeugnisverweigerungsrecht für Personen, die durch eine soziale Eltern-Kind Beziehung oder soziale Geschwisterbeziehung verbunden sind

Änderung des JGG

  • Möglichkeit des (teilweise) Absehens von der obligatorischen Anordnung der Wertersatzeinziehung i.R.d. § 73c StGB i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG
  • sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer bei einer zu erwartenden Unterbringung nach § 63 StGB
  • Anpassung von § 33b JGG, so dass sichergestellt ist, dass die künftig ausnahmslos zuständige Jugendkammer in einschlägigen Fällen stets mit drei Berufsrichtern besetzt ist
  • Zuständigkeit der Jugendkammer für Entscheidungen über die Fortdauer der Vollstreckung der Maßregel

 

 

 

Die Strafbarkeit von Fake News de lege ferenda – mit besonderem Augenmerk auf Deepfakes, Social Bots und Filter Bubbles

von Prof. Dr. Frank Zimmermann

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Abstract
Der Beitrag befasst sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für eine weitergehende Kriminalisierung politischer Fake News, plädiert insoweit aber für gesetzgeberische Zurückhaltung. Am ehesten denkbar erschiene eine eng zugeschnittene Norm, die an technische Modalitäten der Erstellung oder Verbreitung von Fake News anknüpft, namentlich im Fall von Deepfakes oder des Einsatzes von Social Bots. Insoweit ist allerdings das bereits bestehende unionsrechtliche Sanktionsregime der KI-Verordnung zu beachten: Es wirft die Frage auf, inwieweit es den Mitgliedstaaten überhaupt noch freisteht, über diesen Rahmen hinauszugehen, und inwieweit die Regelungen in der KI-Verordnung als unionsrechtliche Obergrenze einer Kriminalisierung zu verstehen sind.

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Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen:

Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 4. Dezember 2024: 

 

 

Modernisierung des Strafrechts

Gesetzentwürfe: 

Am 19. Dezember 2024 hat die Fraktion der FDP einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafrechts in den Bundestag eingebracht. Das Strafrecht sei für den elementaren Rechtsgüterschutz der Gemeinschaft unerlässlich. Ein regelmäßiges Übermaß an Repression gebe jedoch Motive für weitere Rechtsgütergefährdungen, denn schließlich stehe das Strafrecht „im Spannungsfeld zu wichtigen Gemeinschaftsgütern wie Freiheit, Verhältnismäßigkeit und Menschenwürde“. Zudem sei es eine Frage des sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Wandels, welche konkreten Rechtsgüter des strafrechtlichen Schutzes überhaupt bedürften. Der Gesetzgeber schöpfe und verschärfe regelmäßig Straftatbestände. Dabei sei es aber nach dem Ultima-Ratio-Grundsatz auch erforderlich, das Strafrecht daraufhin zu prüfen, ob Straftatbestände ganz oder teilweise überholt seien, weil sie ihren Zweck nicht oder nicht mehr angemessen erfüllen. Nicht zuletzt könne aus einem praktischen Nutzen heraus so auch die Justiz entlastet werden. Der Entwurf sieht daher folgende Änderungen vor:

  • Der Tatbestand des § 142 StGB soll in zwei Tatbestände gefasst werden: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach einem Unfall mit Personenschaden (§ 142 StGB-E) und Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach einem Unfall ohne Personenschaden (§ 143 StGB-E). Bei letzterem wird eine alternative Meldemöglichkeit eingeführt, so dass bei entsprechender Wahrnehmung kein strafbarer Verstoß vorliegt.
  • Die Beförderungserschleichung (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB) wird gestrichen. Sie wird in einen Ordnungswidrigkeitentatbestand überführt, der das Fahren ohne Fahrschein mit einer Geldbuße bedroht (§ 118a OWiG-E).
  • Die Straftatbestände § 134 StGB (Verletzung amtlicher Bekanntmachungen), § 184f StGB (Ausübung der verbotenen Prostitution), § 290 StGB (Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen), § 316a StGB (Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer), § 323b StGB (Gefährdung einer Entziehungskur) und § 352 StGB (Gebührenüberhebung) werden aufgehoben.
  • Im Rahmen der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) sowie der Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB) soll die Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH umgesetzt werden.
  • § 266b StGB soll den neuen technischen Gegebenheiten angepasst und der Scheckkartenmissbrauch gestrichen werden.
  • Innerhalb der Tötungsdelikte soll eine sprachliche Bereinigung erfolgen (in § 211 StGB soll der Begriff „Mörder“, in § 212 StGB sollen die Begriffe „ohne Mörder zu sein“ und „als Totschläger“ gestrichen werden). Im JGG sollen die Begriffe „Schädliche Neigungen“ sowie „Zuchtmittel“, die historisch belastet seien, durch angemessene Formulierungen ersetzt werden („Entwicklungsmängel im Sinne des § 17 Ab. 2 Nr. 1“ und „unrechtsverdeutlichenden Maßnahmen“).
  • Die Rechtsmittelbeschränkung in § 55 Abs. 1 JGG soll aufgehoben werden.

 

 

 

 

Gesetzes für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben am 4. Dezember 2024 einen Gesetzentwurf für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in den Bundestag eingebracht. Dunkelfeldbefragungen hätten gezeigt, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer physischer oder sexualisierter Gewalt geworden ist. Laut Lagebild des BKA wurden im Berichtsjahr 2023 jeden Tag mehr als 364 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt, wobei nahezu jeden zweiten Tag ein Fall tödlich endete.  Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt stieg 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 % an. Dabei sind 79,2 % der Opfer von Partnerschaftsgewalt und 70,5 % der Opfer häuslicher Gewalt weiblich. Die Zahlen zeigen aber, dass auch Jungen und Männer in beträchtlichem Maß betroffen sind. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folge nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern auch die Verpflichtung des Staates, das Leben und die körperliche Unversehrtheit jedes Einzelnen vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu schützen, wenn der Grundrechtsberechtigte selbst nicht dazu in der Lage ist. Häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt sei ein strukturelles gesamtgesellschaftliches Problem massiven Ausmaßes. Das Angebot an Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen sei jedoch nicht flächendeckend genug oder es fehlten dort Kapazitäten. Ebenso fehle es an passgenauen Angeboten für Menschen mit besonderen Bedarfen und die Kostenübernahme sei nicht immer einfach zu klären. Der Gesetzentwurf sieht daher eine bundeseinheitliche Regelung zum Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt vor. Es soll für jeden Mensch, der von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt betroffen ist, ein bedarfsgerechtes Netz an Schutz- und Beratungsangeboten bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Damit soll letztlich auch der Umsetzung der Istanbul-Konvention Rechnung getragen werden.

Am 20. Dezember 2024 hat sich der Bundesrat mit dem Entwurf der Fraktionen beschäftigt und entsprechend der Empfehlungen der Ausschüsse Stellung genommen (BR-Drs. 289/24(B)). Am 2. Januar 2025 hat die Bundesregierung einem dem Fraktionsentwurf gleichlautenden Entwurf in den Bundestag eingebracht. 

Am 27. Januar 2025 fand im Familienausschuss eine Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Entwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen fanden bei den Expert:innen überwiegend Zuspruch. Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund betonte, dass die Einführung eines Gewalthilfegesetzes einen notwendigen Paradigmenwechsel darstelle, der dem DJB ein „prioritäres Anliegen“ sei. Sie forderte, die Wohnsitzauflage und die Meldepflicht laut Aufenthaltsgesetz aufzuheben, damit auch „migrierte und geflüchtete Frauen und TIN-Personen“ auf diese Weise Hilfe in Anspruch nehmen könnten. Mit Blick auf die Probleme bei der Finanzierung von ambulanten Fachberatungsstellen, begrüßten auch Stefanie Fraaß vom AWO-Landesverband Bayern und Katja Griegervom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe die Gesetzesentwürfe. Sie wünschten sich eine unbefristete finanzielle Beteiligung des Bundes. Grieger plädierte zudem ebenfalls für eine Aufnahme von trans-, inter- und nicht-binären Personen. Sylvia Haller von der Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser verdeutlichte die Dringlichkeit des Gewalthilfegesetzes. “Jeder Moment, der vergeht, ist mehr Zeit in einer lebensgefährlichen Situation, weil Frauen mit ihren Kindern keinen Platz im Frauenhaus finden oder aus anderen Gründen nicht aufgenommen werden können“, so Haller. Ähnlich argumentierte Prof. Dr. Barbara Kavemann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Es sei überfällig, dass Angebote zum Schutz und zur Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in einen Rechtsanspruch überführt würden. Das Gesetz trage einen maßgeblichen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, gewaltfreiem Aufwachsen, sozialer Gerechtigkeit und damit sozialem Zusammenhalt bei. Erika Krause-Schöne vom Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei erläuterte, dass derzeit mehr als 14.000 Frauenhausplätze in Deutschland fehlten, was auch die Polizei vor große Herausforderungen stelle. Schutzbedürftige seien so meist nicht adäquat unterzubringen. Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung sah in dem Gewalthilfegesetz eine Chance, „den Ländern die Regie über gewachsene Strukturen zu lassen, sie aber durch aktive Finanzunterstützung zu einem Mehr zu animieren“, so dass ihrem Wunsch nach bis spätestens 2030 „alle Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt verlässlich und garantiert ein bedarfsgerechtes Angebot für Beratung und Schutz erhalten“. Monne Kühn vom Verein Frauen- und Kinderhaus Uelzen sowie Dennis Triebsch, Leiter des Amtes für Soziale Leistungen, Senioren und Menschen mit Behinderung der Stadt Augsburg kritisierten die Einbeziehung jeglicher Geschlechtsidentität in das Gewalthilfegesetz. Während Kühn bei Mitbewohnern männlichen Geschlechts in Frauenhäusern die Gefahr einer Retraumatisierung und Verunsicherung von betroffenen Frauen sah, legte Triebsch den Fokus auf die Kosten. Frauen seien am, häufigsten von Gewalt betroffen. Ein Rechtanspruch für alle sei nicht in angemessener Zeit und mit angemessenen Kosten umzusetzen. Vertreterinnen und Vertreter vom Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag sowie dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sprachen sich mit Blick auf den Fachkräftemangel und die Dauer von Bauvorhaben für ein Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung zum 1. Januar 2030 aus.

 

 

 

Änderung des Gewaltschutzgesetzes

Gesetzentwürfe: 

 

Am 2. Dezember 2024 hat das BMJ einen Referentenentwurf zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes auf den Weg gebracht, um den zivilrechtlichen Gewaltschutz zu verbessern. Dafür soll zum einen die elektronische Aufenthaltsüberwachung verankert werden, zum anderen ist geplant, eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen zu schaffen. Das Beispiel Spaniens zeige, dass von einer weiteren Risikoverringerung auszugehen sei. Dort seien seit Anwendung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Jahr 2009 keine Opfer mehr getötet worden. Ordnet das Familiengericht in Deutschland eine Maßnahme nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GewSchG an, ist dieser Verstoß bereits strafbewehrt („im Jahr 2023 wurden insgesamt 7.070 Tatverdächtige von Straftaten nach § 4 GewSchG registriert, davon 91,7 % männlichen (6483) und 8,3 % weiblichen Geschlechts (587), siehe Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023, S. 34“). Trotzdem geht das BMJ davon aus, „dass das Risiko eines Verstoßes durch eine zusätzliche Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung signifikant abnehmen wird. (…) Durch die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Gewaltschutzgesetz wird die Gewaltschutzanordnung auch in Deutschland effektiver überwacht werden. Zudem muss der Täter damit rechnen, dass die Polizei nach dem Verstoß gegen die Gewaltschutzanordnung – sei es ein statisches Verbot oder Abstandsgebot – und ausgelöstem Alarm ihn unmittelbar aufsuchen wird. Damit entfaltet die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung eine abschreckende Wirkung.“ Des Weiteren biete die elektronische Fußfessel auch zeitlich gesehen einen verbesserten Opferschutz. So müsse das Opfer die Polizei nicht mehr selbst informieren, wenn sich der Täter bereits in seiner Nähe aufhalte. Dies könne in diesem Fall bereits frühzeitig erkannt und Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen haben bereits eine Rechtsgrundlage für einen landespolizeilichen Schutz vor häuslicher Gewalt geschaffen und die elektronische Aufenthaltsüberwachung dort implementiert. Eine bundeseinheitliche Regelung soll diese nun ergänzen. Dies habe vor allem den entscheidenden Vorteil, dass der Schutz durch die elektronische Aufenthaltsüberwachung nicht an den Landesgrenzen der Länder ende. Ebenso bestehe in gravierenden Fällen die Notwendigkeit einer unmittelbaren Krisenintervention durch die Polizei. Letztlich hänge es derzeit häufig auch nur vom Zufall ab, ob zuerst ein Gewaltschutzantrag oder eine polizeiliche Standardmaßnahme ergriffen werde, die letztlich die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach sich ziehen könne. Es sei nicht sachgerecht, dass in einem anders gelagerten Fall, wenn das Opfer beispielsweise vorübergehend (ohne polizeiliche Standradmaßnahme) aus der Wohnung fliehe und einen Gewaltschutzantrag stelle, das Familiengericht keine Anordnungskompetenz zur Aufenthaltsüberwachung habe. Des Weiteren soll mit den Änderungen dem Aspekt Rechnung getragen werden, dass eine polizeiliche Krisenintervention – bspw. bei Rückkehrverboten – auf 10 Tage begrenzt ist, während eine Gewaltschutzanordnung auf eine längere Regelungsdauer abziele. Letztlich komme man mit der Gesetzesänderung auch den Vorgaben der „Istanbul-Konvention“ (Art. 52. Und Art. 53) nach, wonach Verstöße gegen Näherungs- und Kontaktverbote Gegenstand wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender strafrechtlicher oder sonstiger rechtlicher Sanktionen sein müssen. Zwar sei die elektronische Aufenthaltsüberwachung keine Sanktion, diene aber der Effektivität der Gewaltschutzmaßnahme.

Mit der Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen werde eine aus Fachkreisen stammende Forderung aufgegriffen (Kotlenga, ZKJ 2023, 396, 399; Deutsches Institut für Menschenrechte, Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt, Häusliche Gewalt im Umgangs- und Sorgerecht, 2023, Analyse, S. 41 f.; Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Januar 2024, S. 16). Im Hinblick auf Gewaltprävention sei die Täterarbeit ein wichtiges Instrument, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.

Am 8. Januar 2025 hat das Bundeskabinett den Referentenentwurf beschlossen und eine Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Die Stellungnahmen der Verbände zum Referentenentwurf finden Sie hier

 

 

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ALLGEMEINE BEITRÄGE

Die "Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit" als zusätzliches Mordmerkmal 
von Florian Rebmann und Sabine P. Maier  

Leerstellen in der Debatte um ein Sexkaufverbot in Deutschland 
von Teresa Katharina Harrer 

Die gesetzliche Neuregelung der Geldwäsche und ihre Auswirkungen auf gerichtliche Feststellungen und schutzpolizeiliche Maßnahmen
von Dr. Tamina Preuß, M.A.

Europäische Staatsanwaltschaft - Zuständigkeit auch für die Verfolgung von Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Europäischen Union?
von Anna Seebon, B.A.

AUSLANDSBEITRAG

Die Herabsetzung der Strafmündigkeit in China: Ein Scheitern zwischen Jugend und Kriminalpolitik? 
von Assoc. Prof. Dr. He Liu 

ENTSCHEIDUNGEN/ANMERKUNGEN

BVerfG erklärt BKAG teilweise für verfassungswidrig
BVerfG, Urt. v. 1.10.2024 - 1 BvR 1160/19

Verfassungsrechtlicher "Feinschliff" für das Bundeskriminalamt der Zukunft
von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel

BGH äußert sich zu Immunität bei Spionagetätigkeiten 
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Völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen der allgemeinen Funktionsträgerimmunität abseits des Völkerstrafrechts - Von fremdstaatlicher Spionage und dem deklaratorischen Charakter des § 20 Abs. 2 S. 2 GVG
von Dr. Svenja Raube, LL.M. 

BUCHBESPRECHUNGEN

Christian Rückert: Digitale Daten als Beweismittel im Strafverfahren 
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Matthias Schaum: Das Recht des mittellosen Beschuldigten auf unentgeltlichen Verteidigerbeistand 
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TAGUNGSBERICHT 

"Sounds X Nature" - Drittes Symposium zu Musik, Recht und Geschichte am Mittelalterlichen Kriminalmuseum Rothenburg o.d.T 
von Dr. Markus Hirte, LL.M. und RiOLG Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu

 

 

 

 

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