Gesetzesantrag zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht

Gesetzentwürfe:

Das Land Baden-Württemberg hat am 15. Februar 2022 erneut einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht (BR Drs. 64/22, BR Drs. 360/20) auf den Weg gebracht. Der Entwurf wurde bereits im Oktober 2020 in den Bundestag eingebracht und unterfiel mit Ablauf der Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskontinuität. 

Am 11. März 2022 beschloss der Bundesrat den Entwurf erneut in den Bundestag einzubringen. Am 29. April 2022 veröffentlichte die Bundesregierung ihre Stellungnahme (BT Drs. 20/1541) und begrüßte das grundsätzliche Anliegen der Länder. Der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf sei jedoch in vielen Teilen veraltet und im Übrigen nicht zielführend, so dass er insgesamt abzulehnen sei. 

 


19. Legislaturperiode:  

 

Das Land Baden-Württemberg hat einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht (BR Drs. 360/20) in den Bundesrat eingebracht. Hintergrund des Antrags ist der „Staufener Missbrauchsfall“, der das Land dazu veranlasst hat, eine „Kommission Kinderschutz“ einzusetzen, um die Verfahren des Kinderschutzes auf allen Ebenen zu analysieren und einen möglichen Handlungsbedarf herauszuarbeiten. Die Einzelempfehlungen wurden am 17. Februar 2020 in einem Abschlussbericht vorgestellt. Mit dem Entwurf macht das Land Vorschläge zur Änderung des FamFG: 

  • Einbeziehung und Befassung mit dem betroffenen Kind stärken
  • Verstärkung des Informationsaustauschs zwischen Gericht und Jugendamt
  • Verpflichtung des Gerichts, die Umsetzung und die Umsetzbarkeit geplanter Maßnahmen mit dem Jugendamt zu erörtern
  • Klarstellung der Überprüfungspflicht von Anordnungen nach § 1666 Abs. 3 BGB in angemessenen Zeitabständen durch das Gericht 
  • Verstärkung der Möglichkeit der Anhörung Dritter 
  • Verstärkung der Möglichkeit des Einsatzes von Sachverständigen
  • Streichung des Regelvorbehalts in § 158 FamFG zur Verstärkung des Instituts der Verfahrensbeistandschaft 

Der federführende Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Frauen und Jugend empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf mit kleineren Änderungen in den Bundestag einzubringen. Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 im Plenum gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23567). 

 

 

Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 9. Dezember 2020: 

Zum Referentenentwurf (nähere Informationen dazu finden Sie hier) zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche 

 

 

 

 

Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern

Gesetzentwürfe: 

Hessen hat am 24. Februar 2022 erneut einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern auf den Weg gebracht. Der Entwurf wurde bereits im Oktober 2020 in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/23569) und unterfiel mit Ablauf der Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskontinuität. 

Der Bundesrat hat am 11. März 2o22 über die Initiative abgestimmt und den Entwurf erneut über die Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. Diese veröffentlichte am 29. April 2022 ihre Stellungnahme (BT Drs. 20/1543), in der sie sich ablehnen zu dem Entwurf äußerte: 

„Die Bundesregierung erachtet die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen des Strafgesetzbuchs (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) als nicht erforderlich, um den Schutz von Kindern zu verbessern. Die effektive strafrechtliche Verfolgung von Kindesentführungen ist auch aufgrund der bestehenden Rechtslage möglich.“

 


19. Legislaturperiode: 

 

Das Bundesland Hessen hat bereits 2018 einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 518/18). Bislang wurde dem Antrag jedoch wenig Beachtung geschenkt und immer wieder von der Tagesordnung abgesetzt. 

Im Hinblick auf die Tatumgebung des Internets und der besonderen körperlichen Unterlegenheit und Gutgläubigkeit von Kindern, sieht das Land Handlungsbedarf und möchte mit dem Entwurf Gesetzeslücken schließen. Zum einen sei dies für Fälle der Kindesentführung notwendig, „bei denen es (noch) nicht zu sexuellen Missbrauchshandlungen oder sonstigen Anschlusstaten gekommen ist. Bei Säuglingen oder Kleinstkindern scheiden mangels Vorliegen eines natürlichen Fortbewegungswillens die Tatbestände der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) oder der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) aus. Für eine Strafbarkeit nach § 235 Abs. 1 StGB (Entziehung Minderjähriger) ist nach der Rspr. des BGH eine Entziehung von gewisser Dauer erforderlich. Welcher Zeitraum hierfür zu veranschlagen ist, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Zudem sei bei versuchten Kindesentführungen der Nachweis des Tatvorsatzes zu einem versuchten Sexual- oder gar Tötungsdelikts nicht zu erlangen. Zum verbesserten Schutz sieht der Entwurf daher eine Erweiterung des Straftatbestandes des § 235 StGB vor, in der das Entführen oder das rechtswidrige Sich-Bemächtigen von Kindern einen Grundtatbestand mit einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bildet: 

§ 235 Abs. 4 StGB-E

„Folgende Nummern 3 bis 5 werden angefügt:

3. die durch die Tat geschaffene Lage zur Herstellung kinderpornographischer Schriften ausnutzt,

4. die Tat begeht, um das Kind oder die Person unter achtzehn Jahren zu töten, zu quälen oder roh zu misshandeln oder

5. die Tat begeht um eine Handlung nach Nummer 3 oder 4 zu ermöglichen.“

Darüber hinaus sind Qualifikationen für die Fälle gesteigerten Unrechts vorgesehen. Flankierend soll eine Erweiterung des Straftatenkatalogs des § 68c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a StGB erfolgen und damit eine Möglichkeit der unbefristeten Führungsaufsicht für Fälle des § 235 Abs. 4 StGB-E geschaffen werden. Eine Ergänzung des § 112a Abs. 1 S. 1 StPO soll die Anordnung der Untersuchungshaft in Fällen der Kindesentführung erleichtern. 

Als weiteren Aspekt zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern sieht der Entwurf die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit für das Cybergrooming vor. Dieser Aspekt dürfte sich seit dem Siebenundfünfzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings vom 3. März 2020: BGBl. I 2020 Nr. 11, S. 431 ff. erledigt haben. 

Die Ausschüsse haben bereits über den Antrag Hessens beraten und empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf mit kleineren Änderungen in den Bundestag einzubringen. Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 im Plenum gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23569).

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 65/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.08.2020 – StB 25/20: Kein Beschwerderecht gegen Pflichtverteidigerbestellung

Amtlicher Leitsatz:

Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu.

Sachverhalt:

Gegen den Angeklagten wird vor dem OLG Frankfurt ein Strafverfahren wegen Mordes geführt.

In diesem Verfahren war der Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet, was der Beschuldigte beantragt hatte, aufgrund von Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, rückgängig zu machen. Diesem Antrag war der Vorsitzende gefolgt und hatte den Beschwerdeführer von seinem Mandat entbunden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die sofortige Beschwerde als unzulässig.

Sie sei zwar gemäß § 304 Abs. 4 S. 2 HS 2 Nr. 1 StPO statthaft, jedoch sei eine Beschwer des Verteidigers nicht ersichtlich.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfolge allein im öffentlichen Interesse zum Schutz des Beschuldigten und nicht im Interesse des Verteidigers. Daher stehe dem Pflichtverteidiger, im Gegensatz zu den Fällen der Ablehnung einer von ihm beantragten Entpflichtung, in den Fällen, in denen die Entpflichtung auf Antrag des Angeklagten erfolgt, kein eigenes Beschwerderecht zu.

Die Rücknahme einer Bestellung als Pflichtverteidiger greife nicht beschwerend in dessen Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG ein, so der BGH. Es bestehe kein Anspruch auf Fortführung des Mandas, was auch wirtschaftliche Erwägungen oder ein etwaiges Rehabilitationsinteresse in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zu ändern vermögen.

Eine vergleichbare Interessenlage zu einem Wahlverteidiger sei aufgrund der öffentlichen Funktion des Pflichtverteidigers ebenfalls abzulehnen, da der entbundene Pflichtverteidiger auch weiterhin als Wahlverteidiger für den Mandanten tätig werden dürfe, was für den ausgeschlossenen Wahlverteidiger gerade nicht gelte.

Dieses Ergebnis stimme auch mit den gesetzgeberischen Wertungen und der Auslegung der EU-Richtlinie 2016/1919/EU überein, da der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 in Kenntnis der bisherigen Praxis für die sofortige Beschwerde in § 143a Abs. 4 StPO an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten habe und gerade für diese Konstellation keine andere Rechtsschutzmöglichkeit eingeführt habe.

 

Anmerkungen der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur Neureglung des Rechts der notwendigen Verteidigung, mit dem der Gesetzgeber die EU-Richtlinie über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in nationales Recht umgesetzt hat, finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 64/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 02.07.2020 – 4 StR 678/19: Schutzlose Lage in § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB ist nach obj. Maßstäben zu bestimmen

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Begriff der schutzlosen Lage ist rein objektiv zu bestimmen; einer subjektiven Zwangswirkung der Schutzlosigkeit auf das Tatopfer bedarf es nicht.

  2. Zum Begriff des „Ausnutzens“ im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Halle hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte im April 2018 das ihm bekannte sechs Jahre alte Tatopfer unter einem Vorwand in eine verlassene Fabrikhalle gelockt, ihr dort Hose und Unterhose ausgezogen und im Intimbereich berührt. Nachdem das Mädchen angefangen hatte zu weinen und den Angeklagten gebeten hatte aufzuhören, hatte er von ihr abgelassen.

Im November 2018 hatte der Angeklagte ein vor seinem Haus wartendes achtjähriges Mädchen entdeckt. Er hatte das Kind daraufhin hochgehoben und den Mund zugehalten. Im Anschluss hatte er das Mädchen unter Todesdrohungen zu einer verlassenen Ruine geführt. Wiederum hatte er dann Hose und Unterhose des Kindes sowie seine eigene ausgezogen und das Kind im Intimbereich geleckt. Danach hatte das Mädchen ihm einen Kuss geben sollen. Nach dessen Weigerung hatte der Beschuldigte das Kind geküsst und war mit seiner Zunge in ihren Mund eingedrungen. Danach hatte er das Mädchen auf ihre Bitte hin gehen lassen.

Die erste Tat ist vom LG als sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff im Sinne der § 176 Abs. 1 und § 177 Abs. 1 StGB abgeurteilt worden. Eine Verurteilung wegen § 177 Abs. 5 Nr. 3 ist nicht erfolgt, da es an einer schutzlosen Lage und auf Seiten des Opfers an der Kenntnis der schutzlosen Lage fehle.

Die zweite Tat ist vom LG als sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung im Sinne der § 176 Abs. 1, § 177 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 2 StGB abgeurteilt worden. Wiederum hat es dem LG für eine Verurteilung nach der Variante des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB an einer schutzlosen Lage und einer darauf beruhenden Willensbeugung des Opfers gefehlt.

Hiergegen wendete sich die Revision.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil zuungunsten des Angeklagten auf, da das LG von einem zu engen Verständnis der schutzlosen Lage i.S.d. § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB ausgegangen sei.

Die Vorschrift ist durch das 50. Gesetz zur Änderung des StGB – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung am 4. November 2016 eingeführt worden. Inhaltlich entspreche das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens einer schutzlosen Lage zwar dem § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F., dennoch lasse sich die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung nicht auf den neuen Tatbestand übertragen, so der BGH.

Ursprünglich sei auch nach der Rechtsprechung des BGH die Schutzlosigkeit einer Lage rein objektiv zu bestimmen und zu bejahen gewesen, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Tatopfers in einem solchen Maße verringert seien, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben sei. Dies sei dann der Fall, wenn sich das Opfer dem Täter alleine gegenübersieht und auf fremde Hilfe nicht rechnen könne.

Da nach der alten Gesetzesfassung jedoch für alle Tatbestandsalternativen zusätzlich eine nötigende Einwirkung des Täters gefordert worden war, ging die Rechtsprechung zu einer einschränkenden subjektivierten Auslegung über und verlangte von da an, dass das Tatopfer die Schutzlosigkeit der Lage erkannt und gerade deshalb auf ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet habe.

Diese einschränkende Auslegung des Merkmals sei nun für die neue Gesetzesfassung aus mehreren Gründen nicht zu übernehmen, so der Senat.

Zum einen setzte der neu konzipierte § 177 Abs. 5 StGB eine nötigende Einwirkung des Täters nicht mehr voraus. Mit der Gesetzesreform 2016 habe der Gesetzgeber einen Wechsel der Schutzrichtung erreichen wollen. Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit sei nicht mehr länger die Beugung des Opferwillens im Sinne einer Nötigung, sondern die Missachtung des erkennbar entgegenstehenden Willens des Opfers. Damit könne eine etwaige einschränkende subjektivierende Auslegung des Merkmals des Ausnutzens einer schutzlosen Lage nicht mehr mit dem Erfordernis einer nötigenden Einwirkung begründet werden.

Zum anderen seien auch die Ansichten in der Literatur, die dennoch an einer subjektiven Zwangswirkung beim Opfer festhielten, nicht mit dem Wortlaut oder den Gesetzesmaterialien vereinbar. Anderslautende Hinweise in den Gesetzesmaterialien seien widersprüchlich und nicht mit dem eigentlichen Zweck der Gesetzesänderung zu vereinbaren, so der BGH.

Auch die Systematik spreche gegen eine einschränke Auslegung, da ansonsten die für alle sexuellen Übergriffe in § 177 Abs. 1 und 2 StGB geschaffene Qualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB nicht auf die Grundtatbestände des § 177 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 StGB angewendet werden könne, da in diesen Fällen gerade kein entgegenstehender Wille beim Opfer gebildet werden könne.

Das Argument, dass in Fällen, in denen ein Kind das Tatopfer ist, bei einer rein objektiven Beurteilung regelmäßig eine schutzlose Lage anzunehmen sei und so der Tatbestand mit denen der §§ 176, 176a StGB verschwimmen würden, ließ der Senat nicht gelten. Schließlich schützten die Vorschriften gänzlich unterschiedliche Rechtsgüter, was eine Abgrenzung der Anwendungsfelder nicht erforderlich mache.

Schließlich sprächen aus Sinn und Zweck der Gesetzesreform für eine rein objektive Bestimmung der schutzlosen Lage, da nur so der umfassende Schutz der sexuellen Selbstbestimmung erreicht werden könne, den der Gesetzgeber gewollt habe.

Demnach sei im Ergebnis allein die objektive Schutzlosigkeit des Opfers genügend. Diese sei zu bejahen, wenn nach zusammenfassender Bewertung die Möglichkeiten des Täters, mit Gewalt auf das Opfer einzuwirken, größer sind als die Möglichkeiten des Tatopfers, sich solchen Einwirkungen des Täters mit Erfolg zu entziehen, ihnen erfolgreich körperlichen Widerstand entgegenzusetzen oder die Hilfe Dritter zu erlangen. Eine gänzliche Beseitigung jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten sei ebenso wenig Voraussetzung wie die Herbeiführung der schutzlosen Lage durch den Täter persönlich.

Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen äußeren Umstände und persönlichen Voraussetzungen von Täter und Opfer im jeweiligen Einzelfall.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung finden Sie hier.

 

 

 

Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte vom 27. Juni 2024, BGBl I Nr. 213

Gesetzentwürfe: 

 

Am 17. November 2023 hat das BMJ einen Referentenentwurf zur Anpassung der Mindeststrafe des § 184b Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StGB auf den Weg gebracht.

Durch die Neufassung des § 184b StGB im Juni 2021 wurden die Strafrahmen der Tatbestandsvarianten des § 184b Abs. 1 S. 1 StGB und des § 184b Abs. 3 StGB angehoben und stellen seither ein Verbrechen dar. Eine Regelung für minder schwere Fälle wurde nicht getroffen und eine Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen entfällt nunmehr aufgrund des Verbrechenscharakters.  Die Rückmeldung aus der Praxis habe gezeigt, dass „dies bei Verfahren, die einen Tatverdacht am unteren Rand der Strafwürdigkeit zum Gegenstand haben, dazu führt, dass eine tat- und schuldangemessene Reaktion nicht mehr in jedem Einzelfall gewährleistet ist“, so der Entwurf. Besonders fraglich erscheine die Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, wenn die beschuldigte Person ersichtlich nicht mit pädokrimineller Energie gehandelt habe, bspw. wenn kinderpornographische Inhalte an Lehrer:innen oder die Schulleitung weitergeleitet wurden, um über den Vorfall zu informieren. Ebenso können Inhalte ungewollt in den Besitz des/der Empfänger:in gelangen.

Der Referentenentwurf sieht daher vor, den Strafrahmen der Tatbestandvariante des § 184b Abs. 1 S. 1 StGB von einem Jahr auf sechs Monate und der Variante des § 184b Abs. 3 StGB von einem Jahr auf drei Monate herabzusenken. Somit wird den Strafverfolgungsbehörden wieder die Möglichkeit eröffnet, Verfahren, die sich am unteren Rand der Strafwürdigkeit befinden, gem. §§ 153 153a StPO einzustellen. Die Grenze der Höchststrafen soll jedoch beibehalten werden, um künftige schwere Taten angemessen sanktionieren zu können.

Die neue Regelung soll insbesondere auch dem großen Anteil jugendlicher Täter:innen zugute kommen, die aus „jugendlicher Unbedarftheit, Neugier, Abenteuerlust oder Imponierstreben“ und nicht aus pädophilen Motiven heraus handeln.

Am 7. Februar 2024 hat die Bundesregierung den vorgelegten Regierungsentwurf beschlossen. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann dazu: 

„Die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte ist eine schwere Straftat. Sie kann mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Das ist richtig so und daran wird sich nichts ändern. Die Änderung des unteren Strafrahmens aus dem Jahr 2021 hat jedoch zu zahlreichen Problemen in der Praxis der Strafverfolgung geführt. Insbesondere droht Menschen, die solches Material ungewollt – etwa im Rahmen einer WhatsApp-Eltern-Gruppe – zugespielt bekommen haben, eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Vergleichbares gilt beispielsweise auch im Falle von Lehrerinnen und Lehrern, die bei Schülern kinderpornographisches Material auf dem Handy entdeckt und es weitergeleitet haben, um betroffene Eltern zu alarmieren. Um den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit zurückzugeben, flexibel und verhältnismäßig auf jeden Einzelfall angemessen reagieren zu können, werden wir im Wesentlichen zur alten Rechtslage zurückkehren. Das ist ein dringender Wunsch insbesondere von Strafverfolgern, Staatsanwälten und Gerichten sowie der Landesjustizministerinnen und Landesjustizminister. Dieses Einvernehmen in der gesamten Fachwelt rührt insbesondere daher, dass künftig die Strafverfolgung wieder effizienter und zielgerichteter organisiert werden kann. Das ist in Anbetracht dieses schrecklichen Kriminalitätsfeldes auch dringend nötig.“

Am 14. März 2024 wurde der Entwurf in erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. In seiner Plenarsitzung am 22. März 2024 hat sich der Bundesrat erstmals mit der Anpassung des § 184b StGB beschäftigt und keine Einwendungen erhoben. Am 10. April 2024 fand im Rechtsausschuss eine Öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Die Sachverständigen waren einhellig der Ansicht, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 184b StGB im Juni 2021 „über das Ziel hinausgeschossen“ sei. Alexander Boger von der Staatsanwaltschaft Ravensburg erklärte, dass seither eine Einstellung der Verfahren selbst bei „Fällen mit geringstem Unrechtsgehalt“ nicht mehr möglich sei, was letztlich zu einer Verzögerung der Ermittlungen in schwerwiegenden Fällen beitrage. Auf der anderen Seite bestehe auch die Situation, dass ahnungslose Personen „harten Ermittlungsmaßnahmen“ unterzogen würden und sich Durchsuchungen oder Beschlagnahmen ausgesetzt sähen, so Alexander Poitz von der Gewerkschaft der Polizei. Davor hätten die Expert:innen bereits vor der Reform gewarnt und die Praxis rufe nun nach einer Reform, erklärte Dr. Oliver Piechaczek vom Deutschen Richterbund. Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe schlug die Einführung von minderschweren Fällen in § 184b StGB vor, die mit einem entsprechend niedrigen Strafrahmen versehen werden könnten. Er betonte, dass die geplante Gesetzesänderung gegen eine EU-Richtlinie verstoße, die Kinderpornografie in jeglicher Form als schwere Straftat einstufe. Fälle, in denen bspw. Eltern vor Kinderpornografie warnen und Beweisbilder verschicken, sollten ganz von der Strafverfolgung ausgenommen werden. Dem stimmten PD Dr. Anja Schmidt von der Goethe- Universität Frankfurt und Kerstin Klaus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, nicht zu. Auch in solchen Fällen bedürfe es der Möglichkeit der strafrechtlichen Beurteilung durch Ermittler:innen, so Klaus. Schmidt betonte zudem, dass mit der Weitergabe solcher Bilder auch immer eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Kinder einhergehe. Weiterhin sahen die Sachverständigen bei einem Ausschluss mehrerer Tatumstände ein Risiko für die gezielte Ausnutzung solcher Lücken. Prof. Dr. Jörg Eisele von der Universität Tübingen lehnte auch eine Einführung minderschwerer Fälle ab, da damit keine Einstellung von Verfahren erreicht werde. Dafür bedürfe es der vorgesehenen Senkung der Mindeststrafe. Abseits der Diskussion um die Änderung des Strafrahmens in § 184b StGB regte Prof. Dr. Beate Naake vom Kinderschutzbund an, den Begriff der „Kinderpornografie“ ganz aus dem Strafrecht zu streichen, da er eine Einvernehmlichkeit suggeriere, die von diesen Delikten gerade nicht ausgehe. Überwiegend waren sich die Expert:innen am Ende der Anhörung jedenfalls einig, dass die bestehende Regelung in § 184b StGB verfassungswidrig sei, weil sie gegen das Übermaßverbot bei der Strafverfolgung verstoße. Eine entsprechende Prüfung sei bereits vor dem BVerfG anhängig.

Am 16. Mai 2024 hat der Bundestag den Regierungsentwurf in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 20/11419) beschlossen. Dieser hatte auf Antrag der Koalitionsfraktionen eine Folgeänderung in § 127 StGB vorgenommen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass zum Vergehen herabgestufte Delikte entsprechend erfasst bleiben. Am 14. Juni 2024 passierte der Gesetzentwurf den Bundesrat. Das Gesetz wurde am 27. Juni 2024 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 des Strafgesetzbuches: BGBl. I 2024, Nr. 213) und trat bereits einen Tag später in Kraft.

 

 

 


19. Legislaturperiode: 

Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16. Juni 2021: BGBl. I 2021, S. 1810 ff. 

Gesetzentwürfe: 

 

Am 31. August 2020 hat das BMJV einen Referentenentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder veröffentlicht. 

Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder sei eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen und eine zentrale Aufgabe des Staates. Der technische Wandel habe dazu beigetragen, das Gefährdungspotential für Kinder nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt zu erhöhen. So biete z.B. das Darknet viel Raum, um kinderpornographisches Material zu verbreiten. Der Verbreitung und dem Konsum liege aber immer real sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde. Die Zahl der bekannt gewordenen Fälle sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Daher sei es notwendig, die entsprechenden Straftatbestände zu ändern, um ihre Schutzfunktion für Kinder zu verbessern. Vorgesehen sind hierzu u.a. Verschärfungen der Strafrahmen sowie eine effektivere Ausgestaltung der Strafverfolgung. Flankiert werden die Änderungen durch ein Bündel von Maßnahmen, die insbesondere die Prävention betreffen. 

Die Änderungen im StGB: 

Der bisherige Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern soll in drei Straftatbestände aufgespalten werden. Begrifflich soll der sexuelle Missbrauch als „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ neugefasst werden und damit das Unrecht dieser Straftaten klarer umschreiben und einer Bagatellisierung entgegenwirken. 

  • § 176 Sexualisierte Gewalt gegen Kinder 
  • § 176a Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind 
  • § 176b Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder
  • § 176c Schwere sexualisierte Gewalt gegen Kinder 
  • § 176d Sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge

Dabei soll bereits der Grundtatbestand des § 176 StGB-E als Verbrechen ausgestaltet werden. Mit der Änderung der Begrifflichkeit des Missbrauchs soll keine Anwendung von Gewalt oder eine Drohung mit Gewalt zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich sein. Vielmehr soll ein klares Signal gesetzt werden, dass der sexualisierten Gewalt gegen Kinder „mit aller Kraft entgegengetreten wird“. Von einer Strafverfolgung kann im Einzelfall abzusehen sein, wenn es sich in Fällen einvernehmlicher sexueller Handlungen um annähernd gleichaltrige Personen handelt. 

Alle bisherigen Tathandlungen, die keinen Körperkontakt mit einem Kind voraussetzen (das Vornehmen sexueller Handlungen vor einem Kind, das Bestimmen eines Kindes zu sexuellen Handlungen, das Einwirken auf ein Kind durch pornographischen Inhalt oder durch entsprechende Reden, das Anbieten eines Kindes für eine der zuvor genannten Tatbestandsvarianten sowie eine teilweise Versuchsstrafbarkeit) werden in § 176a StGB-E. – Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind zusammengefasst. Um auch hier das Unrecht der Tat angemessen abbilden zu können, soll der Strafrahmen auch bei diesen Straftatbeständen auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren angehoben werden (vorher: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren). Für das Vorzeigen pornographischer Inhalte soll zudem eine Versuchsstrafbarkeit eingeführt werden. Vergleichbar mit dem Cybergrooming soll der Täter auch dann strafbar sein, wenn seine Tatvollendung daran scheitert, dass er irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind. Damit werde zugleich die Strafverfolgung erleichtert. 

§ 176b StGB-E – Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder erfasst u.a. das Cybergrooming und soll auch hier den Unrechtsgehalt der Tat angemessener umschreiben. Der Strafrahmen (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) soll beibehalten werden. Das Anbieten oder Nachweisen eines Kindes für sexualisierte Gewalt bzw. das Verabreden zu einer solchen Tat soll künftig mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft werden, da sie besonders verwerflich sei. 

Im Falle der schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder (§ 176c StGB-E) sieht der Entwurf die Streichung der minder schweren Fälle vor. Auch hier soll das Unrecht der Tat deutlicher zum Vorschein gebracht werden und sich stärker als bisher im Strafmaß widerspiegeln. § 176c Abs. 1 StGB-E umfasst dabei alle Tathandlungen, die bislang unter § 176a Abs. 2 StGB gefasst werden und nimmt den alten Strafrahmen auf. § 176c Abs. 2 StGB-E regelt die Tatbestandsvariante, bei der der Täter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand pornographischer Inhalte zu machen (entspricht § 176a Abs. 3 StGB). Minder schwere Fälle sollen künftig nicht mehr erfasst sein. Die schwere körperliche Misshandlung und die Gefahr des Todes wird wie bislang von § 176a Abs. 5 StGB in § 176c Abs. 3 StGB-E geahndet. Die Qualifikation bei Wiederholungstaten (§ 176a Abs. 1 StGB) geht aufgrund der Hochstufung des Grundtatbestandes (§ 176 Abs. 1 StGB-E) zum Verbrechen in diesem auf. 

Der sexuelle Missbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB) wird beibehalten und in § 176d StGB-E – Sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge mit einer kleinen Folgeänderung neu verortet. 

Eine Verschärfung des Strafrahmens sollen auch die Straftatbestände der Kinderpornographie erfahren. Das Verbreiten, Zugänglichmachen, Besitzverschaffen, Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätig halten, Anbieten, Bewerben und das Ein- und Ausführen wird zu einem Verbrechen hochgestuft (§ 184b Abs. 1 StGB-E). Die Einordnung als Verbrechen erscheine geboten, um das Maß des verwirklichten Unrechts und der Schuld besser abbilden zu können. Schließlich stehe hinter der Kinderpornographie sehr häufig eine sexualisierte Gewalt gegen Kinder. des Weiteren solle dies eine Möglichkeit bieten, potentielle Täter abzuschrecken. Die Einordnung als Verbrechen hat prozessrechtlich die Folge, dass eine Einstellung von Verfahren aus Opportunitätsgründen (§§ 153, 153a StPO) nicht mehr in Betracht kommt. Soweit lediglich Fiktivpornographie zum Gegenstand der Verbreitung geworden ist, bleibt der bisherige Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren (§ 184b Abs. 1 S. 2 StGB-E) erhalten. Entsprechend der Anhebung des Strafrahmens in § 184b Abs. 1 StGB-E soll auch der Strafrahmen für die banden- und gewerbsmäßige Begehungsformen (§ 184b Abs. 2 StGB-E) auf eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren angehoben werden. 

Neben den Neuregelungen der §§ 176b ff. und § 184b StGB-E sollen bestehende Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Die §§ 174 bis 174c StGB (sexueller Missbrauch von Personen in Abhängigkeitsverhältnissen) sollen um Tathandlungen mit oder vor dritten Personen erweitert werden.

 

Die Änderungen in der StPO:

Aufgrund der Änderungen im StGB werden auch in der StPO Folgeänderungen vorgenommen. Das Zeugnisverweigerungsrecht für Berufsgeheimnisträger erfährt in § 53 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO durch die Angabe der Tatbestände der §§ 174 bis 174c, 176a, 176b StGB ein Update. 

Redaktionelle Änderungen erfahren auch die Katalogtaten der Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO), Onlinedurchsuchung (§ 100b StPO) und der Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g StPO). Dies soll eine effektive Strafverfolgung im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Kinderpornographie ermöglichen und zugleich „das Risiko der Entdeckung erhöhen und den zumeist abgeschotteten Foren für den Austausch kinderpornographischer Inhalte die tatanreizende Wirkung“ nehmen. 

Des Weiteren sieht der Entwurf vor, den Katalog des Untersuchungshaftgrundes der Schwerkriminalität in § 112 Abs. 3 StPO um den Straftatbestand der schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder gemäß § 176c StGBE und die sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge nach § 176d StGB-E zu erweitern. Die hohe Bedeutung der geschützten Rechtsgüter werde materiell durch die Erhöhung der Mindeststrafe auf zwei Jahre Freiheitsstrafe zum Ausdruck gebracht. Prozessual soll dies auch mit der Aufnahme der Delikte in den Katalog des Untersuchungshaftgrundes der Schwerkriminalität verdeutlicht werden. 

 

Die Änderungen des GVG: 

Neben den Änderungen des StGB und der StPO sollen im GVG Qualifikationsanforderungen für Familien- und Jugendrichter, Jugendstaatsanwälte sowie Verfahrensbeistände von Kindern gesetzlich geregelt und damit konkreter und verbindlicher gefasst werden. In Kindschaftsverfahren soll grundsätzlich die persönliche Anhörung des Kindes festgeschrieben werden. 

 

Die Änderung des BZRG

Wie bereits vom Bundesrat in seinem Gesetzentwurf vom 18. März 2020 (BT Drs. 19/18019) gefordert, sollen die Fristen für die Aufnahme von relevanten Verurteilungen in erweiterte Führungszeugnisse verlängert werden (weitere Informationen zum Gesetzentwurf des Bundesrates finden Sie hier). Die Frist zur Aufnahme von Eintragungen geringfügiger Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten wird von drei auf zehn Jahre verlängert und die Mindesttilgungsfrist für diese Verurteilungen verdoppelt. Damit sollen Stellen, die Personen mit einer beruflichen oder ehrenamtlichen Beschäftigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger beauftragen wollen, sowie Gerichten, Staatsanwaltschaften, Polizei und anderen auskunftsberechtigten Behörden (§ 41 BZRG) alle wichtigen Informationen zugänglich gemacht werden, die sie benötigen, um eine Entscheidung im Interesse der Strafrechtspflege und der öffentlichen Sicherheit zu treffen. 

 

Am 21. Oktober 2020 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen (Regierungsentwurf). Bundesjustizministerin Christine Lambrecht

„Immer wieder erleben wir, dass Kindern durch erschütternde sexualisierte Gewalttaten unermessliches Leid zugefügt wird. Um diese Gräueltaten mit aller Kraft zu bekämpfen und Kinder besser zu schützen, haben wir ein umfassendes Paket beschlossen. Dazu gehören deutlich schärfere Strafen, effektivere Strafverfolgung und Verbesserungen bei der Prävention auch durch Qualifikationsanforderungen in der Justiz. Täter fürchten nichts mehr als entdeckt zu werden. Den Verfolgungsdruck müssen wir deshalb massiv erhöhen. Das schreckliche Unrecht dieser Taten muss auch im Strafmaß zum Ausdruck kommen. Künftig muss sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Wenn und Aber ein Verbrechen sein. Gleiches gilt für die abscheulichen Bilder und Videos, mit denen diese Taten zu Geld gemacht werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, soll künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können. Wir brauchen höchste Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Um sicherzustellen, dass Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihren verantwortungsvollen Aufgaben gerecht werden können, legen wir konkrete Qualifikationsanforderungen in der Familien- und Jugendgerichtsbarkeit fest.“

Am 29. Oktober 2020 brachten die Fraktionen CDU/CSU und SPD einen gleichlautenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein (BT Drs. 19/23707). Dieser wurde am 30. Oktober 2020 in erster Lesung beraten. Christine Lambrecht betonte eingangs, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder erschütternde Verbrechen darstellen, die ins Mark träfen. Darum sei sie froh, einen Gesetzentwurf vorstellen zu können, der alle Möglichkeiten zum Handeln eröffne. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD betonten, dass sie froh seien, dass man nicht bei öffentlicher Empörung stehenbleibe, sondern mit zahlreichen Maßnahmen effektiv etwas für mehr Kinderschutz tue und begrüßten den Dreiklang des Gesetzentwurfs. Die Koalition habe entschieden den Entwurf gemeinsam einzubringen, um ihn zu beschleunigen. Dirk Wiese (SPD) sprach sich insbesondere für einen starken Fokus auf die Prävention aus. Die Opposition unterstütze grundsätzlich den Gesetzentwurf. Die AfD warf jedoch der Koalition vor, zu lange gewartet zu haben und nun in Aktionismus zu verfallen. So erschließe sich nicht, warum Tatvarianten ohne Körperkontakt milder bestraft werden sollen und die Mindeststrafe für Tauschbörsenbetreiber nur bei einem Jahr Freiheitsstrafe liege. Stattdessen forderte die AfD u.a. ein öffentlich einsehbares Register von Sexualstraftätern. Dr. Jürgen Martens (FDP) kritisierte, dass zu lange von einem sexuellen Missbrauch gesprochen worden sei, da es schließlich auch keinen zulässigen Gebrauch von Kindern gebe. Die Notwendigkeit zu handeln sei da, jedoch zweifelte er daran, ob mit dem Entwurf immer das Richtige getan werde und sprach sich für eine evidenzbasierte Strafrechtspolitik aus. Die Straferhöhung ziehe schließlich Folgeprobleme nach sich. So müsse nicht nur personell in der Justiz nachgesteuert werden, auch die Ermittlungsbehörden benötigten mehr Personal und Sachmittel, damit sie überhaupt von ihren erweiterten Befugnissen Gebrauch machen könnten. Ferner bestehe bei Bagatellfällen die Gefahr der Überstrafe. Ebenso wie die SPD sah die FDP einen Schwerpunkt in der Prävention, wofür im Haushalt aber keine Mittel bereit stünden. Die Linke wies insbesondere auf einen Verbesserungsbedarf im Hinblick auf den Wegfall der minderschweren Fälle hin. Annalena Baerbock von den Grünen befand den Gesetzentwurf der Koalition als absolut richtig und wichtig, schließlich seien auch viele Vorschläge der Grünen in den Entwurf eingeflossen. Es sei an der Zeit einen Perspektivwechsel vorzunehmen und Kinder auch im juristischen Verfahren als Rechtssubjekte anzusehen und nicht nur als Objekte. Es brauche Prävention und eine Trauma-Ambulanz für Kinder. Daher könne der Gesetzentwurf nur der Beginn einer notwendigen Debatte sein. 

Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen wurde im Anschluss an die Debatte gemeinsam mit einem Entschließungsantrag der Grünen (BT Drs. 19/23676) zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. 

Am 27. November 2020 befasste sich der Bundesrat mit dem Regierungsentwurf und nahm hierzu Stellung. Er fordert insbesondere im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Neuordnung und Harmonisierung des Sexualstrafrechts sowie die Beibehaltung der bisherigen Terminologie des „sexuellen Missbrauchs“. Des Weiteren soll an dem Vorhaben der Erhöhung der Strafandrohung bei Verstößen gegen Weisungen in der Führungsaufsicht festgehalten werden (so schon der Gesetzesentwurf aus Bayern, BR Drs. 362/20). Die Stellungnahme wird nun der Bundesregierung zugeleitet. 

Am 7. Dezember 2020 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Sachverständigen begrüßten einhellig das Anliegen, Kinder besser zu schützen. Kritik übten sie jedoch insbesondere an der geplanten begrifflichen Änderung. Prof. Dr. Jörg Kinzig kritisierte, dass der Entwurf in den meisten Bereichen nicht einer evidenzbasierten Kriminalpolitik entspreche. Es drohe der Verlust der Rechtsstaatlichkeit, wenn Kriminalpolitik nach den Vorgaben der Boulevardpresse betrieben werde. Vielmehr solle zum Schutz der Kinder ein Augenmerk auf die Prävention gelegt werden. Der Begriff der „sexualisierten Gewalt“ verwische schließlich den Unterschied zwischen sexuellen Handlungen mit und ohne Anwendung von Gewalt, was zu Auslegungsproblematiken führe. Dem schlossen sich auch Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer und Dr. Julia Bussweiler von der GenStA Frankfurt a.M. an. Letztere führte aus, dass es zu einer falschen Bewertung in der Gesellschaft führe, wenn ein bislang durchgängig negativ besetzter Begriff, wie der sexuelle Missbrauch, plötzlich umbenannt werde. Prof. Dr. Jörg Eisele äußerte sich ebenfalls kritisch zur Änderung der Begrifflichkeit des sexuellen Missbrauchs. Der Gesetzgeber meine zwar, das Unrecht der Taten besser zu verdeutlichen, verfehle damit aber die tatbestandliche Beschreibung. Außerdem entspreche der bisher gängige Begriff der einschlägigen EU-Richtlinie. Prof. Dr. Tatjana Hörnle gab zu bedenken, dass bei der Verwendung der generellen Begrifflichkeit „sexualisierte Gewalt“ alle die Formen der sexuellen Gewalt an Kindern verloren gingen, die mit brutalen körperlichen Attacken einhergehen und zu deren Charakterisierung die Begriffe erforderlich seien. Ein „Fehlschuss“ sei insbesondere die Annahme, dass man durch den Begriff des „Missbrauchs“ einen straflosen „Gebrauch“ von Kindern impliziere. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ sei eine Kurzfassung von „Missbrauch von Abhängigkeit und Unterlegenheit für sexuelle Zwecke“. Dr. Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund gab zu bedenken, dass der Gewaltbegriff im deutschen Strafrecht enger verstanden werde als im Völkerrecht und schlug die Verwendung des Begriffs „sexualisierte Übergriffe“ vor. Dr. Franziska Drohsel von der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend sprach sich als einzige Expertin für die Streichung des Begriffs des „sexuellen Missbrauchs“ aus. Was die Erhöhung des Strafrahmens betrifft, so waren sich die Experten einig, dass man mit dem Vorstoß über das Ziel hinaus schieße. Insbesondere die Heraufstufung des Grundtatbestandes zum Verbrechen lehnte die Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer ab. Es fehle eine rationale Begründung oder der empirische Beleg einer Wirksamkeit. Auch bei der beabsichtigten Einführung einer Strafbarkeit des Erwerbs von kindlichen „Sexpuppen“ würden Verhaltensweisen kriminalisiert, von denen man gar nicht wüsste, ob sie zwangsläufig zu Hands-on-Delikten führen. Dies widerspreche dem Ultima-Ratio-Grundsatz. Barbara Stockinger vom DRB betonte, dass eine Strafandrohung allein erfahrungsgemäß wenig Abschreckungswirkung entfalte. Die Anhebung des Strafrahmens bedeute nicht zuletzt auch eine massive Mehrbelastung der überlasteten Staatsanwaltschaften und Gerichte. Sie begrüßte jedoch die vorgesehene Erweiterung der Befugnisse der Ermittlungsbehörden, auch wenn die Umsetzung der Mindestspeicherfrist für Verkehrsdaten immer noch nicht erfolgt sei und dadurch ein wichtiges Instrument im Kampf  gegen die Kinderpornografie und sexualisierte Gewalt gegen Kinder fehle. Dr. Franziska Drohsel sprach sich für eine Erweiterung des Gesetzesentwurfs im Bereich des Opferschutzes aus. Außerdem sollte der Begriff der „Kinderpornografie“ abgeschafft und den Richterinnen und Richtern mehr Fachwissen in Bezug auf den Umgang mit traumatisierten Kindern vermittelt werden. 

Am 24. März 2021 beschäftigte sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz mit dem Entwurf der Koalitionsfraktionen (BT Drs. 19/23707), dem Regierungsentwurf (BT Drs. 19/24901) sowie mit den Gesetzentwürfen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes (BT Drs. 19/20541), zur Stärkung des Kinderschutzes im familiengerichtlichen Verfahren (BT Drs. 19/20540) und dem Antrag „Prävention stärken – Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen“ (BT Drs. 19/23676). Der Ausschuss empfiehlt in seinem Bericht (BT Drs. 19/27928) die Annahme des Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD in geänderter Fassung unter gleichzeitiger einvernehmlicher Erledigterklärung des Regierungsentwurfs. Die Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie deren Antrag zur Stärkung der Prävention hat der Ausschuss abgelehnt. In der geänderten Fassung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen wurde insbesondere auf den Begriff der „sexualisierten Gewalt“ verzichtet. 

Am 25. März 2021 hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen beschlossen. Der Regierungsentwurf wurde nach der Abstimmung für erledigt erklärt. 

Am 7. Mai 2021 hat der Bundesrat den Gesetzesbeschluss des Bundestages gebilligt. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16. Juni 2021 wurde am 22. Juni 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 1810 ff.). Es tritt vorbehaltlich des Absatzes 2 am 1. Juli 2021 in Kraft. Mit Ausnahme des Artikels 4 treten die übrigen Regelungen am 1. Januar 2022 in Kraft, Artikel 4 schließlich am 1. Juli 2022. 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 63/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 5 StR 146/19: Auch Kopie eines Ausweises für das Gebrauchen zur Täuschung im Rechtsverkehr nach § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB ausreichend

Amtlicher Leitsatz:

1. Auch durch Vorlage der Kopie oder durch elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Identitätstäuschung kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 S. 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.

2. Zur Fälschung beweiserheblicher Daten durch Anmeldung bei einer Auktionsplattform und durch Online-Verkaufsangebote unter falschem Namen.

Sachverhalt:

Den Sachverhalt finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 21/2019.

Entscheidung des BGH:

Die Entscheidung geht aus einem Anfragebeschluss des 5. Strafsenats hervor. Dieser hielt jetzt trotz der Einwände des 2. Strafsenats an seiner beabsichtigten Entscheidung fest.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den Anfragebeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 21/2019.

Die Antwort des 4. Strafsenats  finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 13/2020.

Die Antwort des 2. Strafsenats findne Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 39/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 62/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 27.05.2020 – 1 StR 118/20: Analoge Anwendung des § 306e Abs. 1 StGB

Amtlicher Leitsatz:

§ 306e Abs. 1 StGB ist auf die Qualifikation des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB analog anzuwenden, wenn der Täter – anstatt den Brand zu löschen – die (konkrete) Lebensgefahr für das Opfer freiwillig durch anderweitige Rettungshandlungen beseitigt.

Sachverhalt:

Das LG Heilbronn hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten der 65-jährige Angeklagte und seine 17-jährige Freundin beschlossen, sich gemeinsam das Leben zu nehmen. Dazu hatten sich beide im Wohnwagen des Angeklagten aufgehalten, den dieser daraufhin mithilfe von Benzin entzündet hatte.

Nachdem der Fluchtweg für beide durch die Flammen versperrt worden war, entschloss sich der Beschuldigte doch noch das Leben der beiden zu retten. Ihm war es gelungen ein Fenster zu öffnen und half dem Mädchen aus dem Wagen. Anschließend konnte er sich selbst durch das Fenster retten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch ab und verurteilte den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, da die abstrakte Lebensgefährdung in § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB von § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB verdrängt werde, die Gesundheitsbeschädigung des Grundtatbestandes der Körperverletzung jedoch nicht.

Den Strafausspruch hob er komplett auf, da das LG zu Unrecht eine Strafmilderung nach § 306e StGB abgelehnt habe.

Zwar erfordere die Vorschrift ihrem Wortlaut nach das Löschen des Brandes, allerdings komme eine analoge Anwendung in Betracht, wenn die Lebensgefahr für das Opfer vom Täter auf anderen Wegen beseitigt werde.

Eine Literaturansicht lehne eine solche Anwendung des § 306e StGB auf § 306a Abs. 2 StGB und § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB generell ab, da die Vorschrift andere Rechtsgüter in Bezug nehme.

§ 306e StGB beziehe sich auf den Schaden an den angezündeten oder zerstörten Gegenständen und wolle diesen verhindern, wohingegen § 306a Abs. 2 StGB und § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB Leib und Leben schützen wollten. Somit beziehe sich der „erhebliche Schaden“ in § 306e StGB auf den Sachschaden. Eine Beseitigung der Lebensgefahr komme daher nicht als Anknüpfungspunkt für die tätige Reue in Betracht.

Die Gegenansicht hält eine analoge Anwendung für möglich, da es sinnwidrig sei lediglich die Löschung des Brandes zu belohnen und andere – wahrscheinlich effektiverere und sicherere – Methoden der Gefahrbeseitigung außer Acht zu lassen.

Eine weitere Ansicht halte die analoge Anwendung der §§ 314a Abs. 2 und 3, 320 Abs. 2 und 3 StGB für die sachgerechteste Lösung.

Nach Ansicht des BGH sei die analoge Anwendung des § 306e StGB aus systematischen Gründen und nach dem Telos der tätigen Reue die vorzugswürdige Lösung.

Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der gewählten Formulierung in § 306e StGB andere Formen der Gefahrbeseitigung habe ausschließen wollen, so der Senat. Das Löschen des Brandes stelle nur einen speziellen Fall der Gefahrabwendung dar, weshalb die Interessenlage mit anderen Abwendungsmöglichkeiten vergleichbar sei.

Die Analoge Anwendung des § 306e StGB sei demnach aus systematischen Gründen die sachgerechteste Lösung.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die tätige Reue nach § 306e StGB war durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts in das StGB eingefügt worden. Dadurch sollten die Brandstiftungsdelikte umfassend neu geordnet und die Anwendung der Tätigen Reue für die jeweiligen gemeingefährlichen Straftaten besser handhabbar gemacht werden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 61/2020

Die Pressemitteilung finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 20.08.2020 – 3 StR 40/20: Antisemitische Beweggründe sind bei der Strafzumessung zu berücksichtigen

Leitsatz der Redaktion:

Der im Jahr 2015 geänderte § 46 Abs. 2 S. 2 StGB gebietet es, antisemitische Beweggründe und Ziele als strafzumessungsrelevante Umstände in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen.

Sachverhalt:

Das LG Koblenz hat den Beschuldigten wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung sowie Verstoßes gegen das Uniformverbot nach dem VersG verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten vier Schulgebäude mit rassistischen und rechtsradikalen Propagandasprüchen besprüht. Daneben waren sie bei einer Demonstration mit Fackeln hinter einem Banner mit der Aufschrift „Volkstod stoppen“ gelaufen, wobei sie absprachegemäß weiße Gesichtsmasken und dunkle Kleidung getragen hatten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da die Strafzumessungsentscheidung durchgreifende Rechtsfehler enthalte.

Es seien nur die für die Täter günstigen Umstände in die Gesamtbetrachtung eingestellt worden. Die gemäß § 46 Abs. 2 S. 2 StGB explizit zu berücksichtigende fremdenfeindliche Tatmotivation der Angeklagten sei unberücksichtigt geblieben, was auch für Taten, die vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung begangen worden seien, einen Rechtsfehler darstelle, da § 46 Abs. 2 S. 2 StGB nur klarstellende Funktion habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB ist 2015 durch das Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in das StGB eingefügt worden. Mittlerweile gibt es einen neuen Gesetzentwurf des Bundesrates zur Strafzumessung bei antisemitischen Straftaten. Weitere Informationen zu diesem Gesetzesvorhaben finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 60/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 05.08.2020 – 2 BvR 1985/19: Containern bleibt strafbar

Leitsatz der Redaktion:

Eine Verurteilung wegen Diebstahls aufgrund des sog. Containerns verstößt nicht gegen die Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts.

Sachverhalt:

Das AG Fürstenfeldbruck und bestätigend das Bayerische Oberste Landesgericht haben die Beschwerdeführerinnen wegen Diebstahls verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sie einige Lebensmittel aus einem verschlossenen Müllcontainer eines Supermarktes entwendet, um diese vor der Müllentsorgung zu bewahren (sog. Containern).

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Angeklagten, dass die strafgerichtlichen Verurteilungen ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und ihre allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzen würde.

Das Merkmal der Fremdheit in § 242 Abs. 1 StGB sei hier einschränkend auszulegen. Zudem dürfe das Strafrecht nur als Ultima Ratio dienen, was eine Strafbarkeit in diesem Fall als übermäßig erscheinen lasse, da die noch verzehrbaren Lebensmittel nur vor der Vernichtung gerettet worden seien und der Supermarkt kein berechtigtes Interesse mehr an ihnen gehabt habe. Der nachhaltige Umgang mit Lebensmitteln sei zudem ein Gemeinwohlbelang aus Art. 20a GG.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.

Die Annahme der Fremdheit der Lebensmittel nach einer zivilrechtsakzessorischen Betrachtung verstoße nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Auch ein Fehler bei der strafrichterlichen Beweiswürdigung sei nicht ersichtlich, indem das Tatgericht einen Besitzaufgabewillen des Berechtigten nicht vermocht habe festzustellen.

Schließlich gebiete auch das Ultima-Ratio-Prinzip keine Einschränkung des Diebstahlstatbestands in den Fällen des sog. Containerns. Zwar komme dem Übermaßverbot bei Straftatbeständen eine besondere Bedeutung zu, allerdings sei es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welches Verhalten als strafbar zu bewerten sei. Diese Entscheidung könne vom BVerfG nicht im Hinblick auf Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit, sondern nur anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe überprüft werden.

§ 242 StGB schütze das Eigentum (Art. 14 GG) als formale und zivilrechtsakzessorische Position unabhängig von seinem wirtschaftlichen Wert, was nicht gegen verfassungsrechtliche Wertungen verstoße. Die freie Verfügungsgewalt des Eigentümers über sein Eigentum sei von Jedermann zu respektieren, vor allem wenn er, wie in diesem Fall etwaige Haftungsrisiken verhindern will, indem die Lebensmittel ausschließlich an das dafür entlohnte Besorgungsunternehmen gelangen sollen.

Schließlich sei der Tatbestand auch verhältnismäßig, da er die Möglichkeit biete, Täter bei geringer Schuld dementsprechend milde zu bestrafen und von den Möglichkeiten der §§ 60, 59, 47, 56 StGB Gebrauch zu machen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Momentan befinden sich mehrere Anträge im parlamentarischen Prozess, die das sog. Containern entkriminalisieren wollen. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

 

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