Änderung des Betäubungsmittelgesetzes – Einführung von „Drug-Checking“

Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz — ALBVVG) vom 26. Juli 2023: BGBl. I 2023, Nr. 197

 

Gesetzentwürfe: 

  • Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit: BT Drs. 20/7397

Am 23. Juni 2023 hat der Bundestag einen Regierungsentwurf zur Bekämpfung von Arzneimittel-Lieferengpässen verabschiedet. Der Gesundheitsausschuss hatte zuvor 31 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen gebilligt. Darunter befanden sich 10 fachfremde Änderungen. Unter anderem wurde eine Regelung zum Drug Checking im BtMG getroffen. Damit soll es den Ländern ermöglicht werden, Modellvorhaben zu schaffen.

Hierzu ist geplant, einen § 10b in das BtMG einzufügen: 

„§ 10b – Erlaubnis für die Durchführung von Modellvorhaben zu Substanzanalysen

(1) Die zuständigen Landesbehörden können eine Erlaubnis für Modellvorhaben zur qualitativen und quantitativen chemischen Analyse von mitgeführten, nicht ärztlich, zahnärztlich oder tierärztlich verschriebenen Betäubungsmitteln erteilen, wenn mit der Analyse eine Risikobewertung und gesundheitliche Aufklärung über die Folgen des Konsums für die die Betäubungsmittel besitzende Person verbunden ist (Drug-Checking Modellvorhaben).

(2) Die Landesregierungen haben zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes und einer besseren gesundheitlichen Aufklärung durch Rechtsverordnung Bestimmungen über die Erteilung einer in Absatz 1 genannten Erlaubnis einschließlich der hierfür geltenden Voraussetzungen zu erlassen. In der Rechtsverordnung nach Satz 1 sind insbesondere folgende Anforderungen an die Durchführung von Drug-Checking Modellvorhaben festzulegen:

1. Vorhandensein einer zweckdienlichen sachlichen Ausstattung;

2. Gewährleistung einer Aufklärung über die Risiken des Konsums von Betäubungsmitteln einschließlich einer Beratung zum Zweck der gesundheitlichen Risikominderung beim Konsum;

3. Gewährleistung einer Vermittlung in weiterführende Angebote der Suchthilfe bei Bedarf seitens der Konsumierenden;

4. Dokumentation der zur Untersuchung eingereichten Substanzen mit Untersuchungsergebnis und der angewandten Methode zur Ermöglichung der in Absatz 3 Satz 1 genannten gesundheitlichen Aufklärung und wissenschaftlichen Begleitung und zur Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse in öffentlichen substanzbezogenen Warnungen;

5. Vorgaben zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs bei Verwahrung und Transport von zu untersuchenden Proben und zur Vernichtung der zu untersuchenden Proben nach der Substanzanalyse;

6. Festlegung erforderlicher Formen der Zusammenarbeit mit den für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständigen örtlichen Behörden;

7. ständige Anwesenheit während der üblichen Geschäftszeiten des Modellvorhabens von persönlich zuverlässigem Personal in ausreichender Zahl, das für die Erfüllung der in den Nummern 1 bis 6 genannten Anforderungen fachlich qualifiziert ist;

8. Vorhandensein einer sachkundigen Person, die für die Einhaltung der in den Nummern 1 bis 7 genannten Anforderungen, der Auflagen der Erlaubnisbehörde sowie der Anordnungen der Überwachungsbehörde verantwortlich ist und die die ihr obliegenden Verpflichtungen ständig während der üblichen Geschäftszeiten des Modellvorhabens erfüllen kann und gegenüber der zuständigen Behörde vor Erteilung der in Absatz 1 genannten Erlaubnis zu benennen ist. 

In der Rechtsverordnung nach Satz 1 sind das Verfahren der Erteilung der in Absatz 1 genannten Erlaubnis und die hierfür jeweils zuständige Behörde zu bestimmen.

(3) Die Länder stellen jeweils eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung der Modellvorhaben im Hinblick auf die Erreichung der Ziele einer besseren gesundheitlichen Aufklärung sowie eines verbesserten Gesundheitsschutzes sicher. Die Länder übermitteln dem Bundesministerium für Gesundheit oder einem von ihm beauftragten Dritten auf Anforderung die Ergebnisse der Modellvorhaben.“

In seiner Sitzung am 7. Juli 2023 hat der Bundesrat das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz gebilligt. Das Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz — ALBVVG) wurde am 26. Juli 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2023, Nr. 197). Es tritt vorbehaltlich der Abs. 2 bis 4 am Tag nach der Verkündung in Kraft. Art. 2 Nr. 5 lit. b, die Art. 2a und 4 Nr. 2 sowie Art. 4a treten am 1. August 2023 in Kraft. Art. 3 Nr. 2 und Art. 4 Nr. 1 und 3 sowie Art. 7 treten am 27. Dezember 2023 in Kraft. Der übrige Art. 2 Nr. 4 tritt erst am 1. Februar 2024 in Kraft.


 


19. Legislaturperiode: 

 

Das Bundesland Hessen hat einen Gesetzesantrag zur Einführung des sog. Drug-Checking in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 643/20). 

Dabei handelt es sich um eine Einrichtung zur qualitativen und quantitativen chemischen Analyse und Bewertung unbekannter Substanzen, damit Konsumierende oder Dritte sich nicht nur über den untersuchten Stoff, sondern auch über ihre möglichen Gefahren und Gesundheitsrisiken informieren können. Gleichzeitig ist eine Kontaktaufnahme der Drogenhilfe zu den Konsumierenden möglich. 

In anderen europäischen Ländern wird Drug-Checking bereits seit Jahrzehnten durchgeführt. In Deutschland scheiterte der Versuch der Einführung des Drug Checking bislang am BtMG, da der Verkehr mit Betäubungsmitteln unter Erlaubnisvorbehalt steht. Der Entwurf sieht die Aufnahme eines § 10b in das BtMG vor, der die Rechtsgrundlage für das Drug-Checking schafft. Dabei soll sich die Regelung an § 10a BtMG anlehnen, der die Grundlage für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen schafft. 

„§ 10b Erlaubnis für den Betrieb von Drogenuntersuchungseinrichtungen

(1) Einer Erlaubnis der zuständigen obersten Landesbehörde bedarf, wer eine Einrichtung zur qualitativen und quantitativen chemischen Analyse von zur Untersuchung überlassenen Betäubungsmitteln sowie neuen psychoaktiven Stoffen einschließlich einer Risikobewertung und Aufklärung (Drogenuntersuchungseinrichtung) betreiben will; einer Erlaubnis bedarf es auch, wenn die Einrichtung einen Laborbetrieb mit der chemischen Analyse der überlassenen Substanzen beauftragt. Eine Erlaubnis kann nur erteilt werden, wenn die Landesregierung die Voraussetzungen für die Erteilung in einer Rechtsverord- nung nach Maßgabe des Absatzes 2 geregelt hat.

(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis nach Absatz 1 zu regeln. Die Regelungen müssen insbesondere folgende Mindeststandards für die Sicherheit und Kontrolle bei dem Betrieb von Drogenuntersuchungseinrichtungen festlegen:

1. die zweckdienliche sachliche Ausstattung der Räumlichkeiten, die als Drogenuntersuchungseinrichtung dienen sollen, 

2. die Art und Weise der Aufbewahrung der überlassenen Substanzen sowie gegebenenfalls der Weiterleitung an den beauftragten Laborbetrieb,

3. die Beratung der Nutzerinnen und Nutzer der Drogenuntersuchungseinrichtung über gesundheitliche Risiken des Konsums von Betäubungsmitteln und neuen psychoaktiven Stoffen sowie über Maßnahmen zur Verminderung gesundheitlicher Risiken,

4. die Vermittlung von weiterführenden und ausstiegsorientierten Angeboten der Beratung und Therapie,

5. die Art und den Umfang der Veröffentlichung und Weitergabe der Untersuchungsergebnisse, 

6. die Anforderungen zur Vernichtung der überlassenen Substanzen nach der Untersuchung, 

7. die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten nach diesem Gesetz im Zusammenhang mit dem Betrieb der Drogenuntersuchungseinrichtungen, abgesehen vom Besitz von Betäubungsmitteln nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zum Eigenverbrauch in geringer Menge,

8. die erforderlichen Formen der Zusammenarbeit mit den für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständigen örtlichen Behörden, um Straftaten im unmittelbaren Umfeld der Drogenuntersuchungseinrichtungen soweit wie möglich zu verhindern,

9. die Dokumentations- und Evaluationspflichten der Drogenuntersuchungseinrichtungen,

10. die Anwesenheit von persönlich zuverlässigem Personal, das für die Erfüllung der in den Nummern 2 bis 9 genannten Anforderungen fachlich ausgebildet ist, in ausreichender Zahl,

11. die Qualifikation der mit der Untersuchung der Substanzen betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

12. die Anforderungen an einen mit der Untersuchung beauftragten Laborbetrieb und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

13. die Benennung einer sachkundigen Person, die für die Einhaltung der in den Nummern 1 bis 12 genannten Anforderungen, der Auflagen der Erlaubnisbehörde sowie der Anordnungen der Überwachungsbehörde verantwortlich ist (verantwortliche Person) und die ihr obliegenden Verpflichtungen ständig erfüllen kann.

(3) Für das Erlaubnisverfahren gelten § 7 Satz 1 und 2 Nummer 1 bis 4 und 8, die §§ 8, 9 Absatz 2 und § 10 entsprechend; dabei tritt an die Stelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte jeweils die zuständige oberste Landesbehörde, an die Stelle der obersten Landesbehörde jeweils das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.“

Der Gesetzentwurf wurde am 6. November 2020 im Plenum vorgestellt und anschließend an die Ausschüsse überwiesen. Der federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, den Entwurf in den Bundestag einzubringen, der Rechtsausschuss lehnt dies ab (BR Drs. 643/1/20). Der Bundesrat sollte am 27. November 2020 darüber entscheiden, der Tagesordnungspunkt wurde jedoch kurzfristig wieder gestrichen. 

Am 20. April 2021 brachte die Fraktion Die Linke einen entsprechenden Antrag in den Bundestag ein (BT Drs. 19/28774). 

Am 26. Mai 2021 hat der Ausschuss für Gesundheit in seiner Beschlussempfehlung dem Bundestag zu einer Ablehnung des Antrags der Fraktion geraten (BT Drs. 19/30042). Ein entsprechender Beschluss des Bundestage erging schließlich am 23. Juni 2021 ohne weitere Aussprache in einer abschließenden Beratung.  

 

 

Gesetz zur Entfristung von Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung

Gesetz zur Entfristung von Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung vom 3. Dezember 2020: BGBl I 2020 Nr. 59, S. 2667

Gesetzentwürfe: 

 

Am 28. Oktober 2020 haben die Fraktionen CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zur Entfristung von Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/23706). Um den Herausforderungen im Bereich des internationalen Terrorismus und Rechtsterrorismus begegnen zu können, bedürfe es einer Verstetigung der Befugnisse, um die Aufklärung von Angriffen auf den demokratischen Rechtsstaat zu gewährleisten. 

Die im BVerfSchG durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 befristet eingeführten Regelungen sollen dazu dauerhaft konsolidiert werden. Ebenfalls eingeschlossen werden sollen die Verweisungen im MAD- und BND-Gesetz. Dabei geht es insbesondere um Auskunftspflichten von Luftverkehrsunternehmen und Finanzdienstleistern. Aber auch Unternehmen aus der Branche der Telekommunikation und Telemedien sind zwecks Netzwerkaufklärung sowie Regelungen zum IMSI-Catcher-Einsatz zur Feststellung genutzter Mobiltelefonnummern und zur Ausschreibung im Schengener Informationssystem zur Nachverfolgung internationaler Bezüge davon betroffen. Nach vier Evaluierungen sei der praktische Bedarf für diese Regelungen bestätigt worden. 

Am 29. Oktober 2020 wurde der Gesetzentwurf der Fraktionen bereits erstmalig im Bundestag debattiert. Er wurde im Anschluss zusammen mit dem Evaluationsbericht (BT Drs. 19/23350) der Bundesregierung zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss überwiesen. Dort fand am 2. November 2020 eine Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen finden Sie hier. Die Experten äußerten Bedenken hinsichtlich der Festschreibung der erweiterten Befugnisse der Nachrichtendienste und wiesen auf zwischenzeitlich ergangene Urteile des BVerfG hin, aus denen abzuleiten sei, dass die Entfristung der entsprechenden Regelungen grundgesetzwidrig seien, insbesondere die Vorschriften zur Datenübermittlung zum Zweck der Strafverfolgung, so Prof. Dr. Matthias Bäcker. Es sei „eine verfassungsrechtlich abgeleitete Reform“ dringend erforderlich. Dr. Nikolaos Gazeas nannte das Recht der Nachrichtendienste einen „Trümmerhaufen“, weshalb eine Reform „kein leichtes Unterfangen“ sei. Prof. Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, betonte, dass zunächst die vorgegebenen Aufgaben des BVerfG zu erledigen seien, bevor über eine Entfristung diskutiert werden könne. Das Vorhaben wurde jedoch von Prof. Dr. Ferdinand Gärditz als verfassungsrechtlich und inhaltlich unbedenklich angesehen. Er betonte zwar, dass es „gute Gründe“ für eine Gesamtreform gebe, allerdings sei dafür „jetzt nicht die Zeit“. Die Nachrichtendienste hätten in der Vergangenheit von ihren erweiterten Befugnissen lediglich „selektiv“ Gebrauch gemacht. Jürgen Peter (BKA) befürwortete ausdrücklich den Gesetzentwurf, da Terrorismus heute „aktueller denn je“ sei. Schließlich seien die Erkenntnisse der Nachrichtendienste auch für die polizeiliche Ermittlungsarbeit und die Strafverfolgung unerlässlich.

Am 5. November 2020 hat das Plenum über den Entwurf in 2. und 3. Lesung abgestimmt und ihn mit der Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen von FDP, Grünen und Linken angenommen. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT Drs. 19/24008) zugrunde. 

Am 27. November 2020 befasste sich der Bundesrat abschließend mit dem Entwurf und stimmte dem Gesetz zu. Das Gesetz zur Entfristung von Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung vom 3. Dezember 2020 (BGBl I 2020 Nr. 59, S. 2667) wurde am 9. Dezember 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. 

 

 

 

 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften

Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 10. August 2021: BGBl. I 2021, S. 3420 ff

Gesetzentwürfe:

 

Der Referentenentwurf vom 14. Oktober 2020 nimmt Anpassungen an der StPO und am BZRG vor, um die Durchführung der unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung zu gewährleisten.

Ziel der Verordnung ist die Verbesserung des Europäischen Strafregisterinformationssystems „ECRIS“. Dieses System vernetzt die verschiedenen Strafregister der Mitgliedstaaten, ohne diese inhaltlich zu verändern. Mit der Verordnung sollen nun der Austausch von Strafregisterinformationen über verurteilte Personen, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind oder die neben einer EU-Staatsbürgerschaft auch die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besitzen, über verurteilte Staatenlose oder Personen, deren Staatsangehörigkeit unbekannt ist, verbessert werden.

Um die Durchführung der Verordnung zu ermöglichen, müssen zum einen die Grundlagen zur Aufnahme von Fingerabdrücken in der StPO geschaffen werden (§ 81b StPO-E) und zum anderen Regelungen zur Datenverarbeitung und zum Datenaustausch im BZRG.

Daneben sieht das BMJV weitere Änderungen des BZRG vor. Sie dienen der durchgehenden geschlechtsneutralen Formulierung des BZRG oder sehen Klarstellungen zum datenschutzrechtlichen Umfang von Rechtsgrundlagen für automatisierte Übermittlungsverfahren vor. Außerdem soll die Bewährungshilfe in Zukunft eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister erhalten können. Weitere Anpassungen betreffen das Gewerbezentralregister und die Gewerbeordnung.

Am 27. Januar 2021 wurde der Entwurf vom Bundeskabinett beschlossen. Am 20. Mai 2021 hat der Bundestag den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses unverändert angenommen. Am 25. Juni 2021 passierte er den Bundesrat, der auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtete. 

Das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 10. August 2021 wurde am 17. August 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 3420 ff.). Es trat überwiegend bereits am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften

Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021: BGBl I 2021 Nr. 37, S. 2099 ff.

Gesetzentwürfe: 

 

Das BMJV hat am 15. Oktober 2020 einen Referentenentwurf zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften veröffentlicht. 

Unter Fortentwicklung soll das Anliegen verstanden werden, „das Strafverfahren an die sich ständig wandelnden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen anzupassen und so dafür Sorge zu tragen, dass die Strafrechtspflege ihre wesentlichen verfassungsrechtlichen Aufgaben – die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch den Freispruch des Unschuldigen – zum Schutz der Bürger in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten Verfahren zu erfüllen vermag.“ 

An erster Stelle soll daher das Recht des Ermittlungsverfahrens an den entsprechenden Stellen modernisiert und Regelungslücken auf dem Sektor der Ermittlungsbefugnisse geschlossen werden. 

Der Entwurf sieht daher einen umfangreichen Katalog an Änderungen, bzw. Erweiterungen in verschiedenen Bereichen vor: 

Ermittlungsverfahren:

  • Einsatz sog. automatisierter Kennzeichenlesesysteme (AKLS) zu Fahndungszwecken:

§ 163g StPO-E – Automatische Kennzeichenerfassung zu Fahndungszwecken

„(1) An bestimmten Stellen im öffentlichen Verkehrsraum dürfen ohne das Wissen der betroffenen Personen amtliche Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung durch den Einsatz technischer Mittel automatisch erhoben werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist und die Annahme gerechtfertigt ist, dass diese Maßnahme zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten führen kann. Die automatische Datenerhebung darf nur vorübergehend und nicht flächendeckend erfolgen. 

(2) Die nach Maßgabe von Absatz 1 erhobenen amtlichen Kennzeichen von Kraftfahrzeugen dürfen automatisch abgeglichen werden mit Halterdaten von Kraftfahrzeugen, 

1. die auf den Beschuldigten zugelassen sind oder von ihm genutzt werden, oder 

2. die auf andere Personen als den Beschuldigten zugelassen sind oder von ihnen genutzt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, und die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert wäre. 

Der automatische Abgleich hat unverzüglich nach der Erhebung nach Absatz 1 zu erfolgen. Im Trefferfall ist unverzüglich die Übereinstimmung zwischen den erhobenen amtlichen Kennzeichen und den in Satz 1 bezeichneten Halterdaten manuell zu überprüfen. Wenn kein Treffer vorliegt oder die manuelle Überprüfung den Treffer nicht be-stätigt, sind die erhobenen Daten sofort und spurenlos zu löschen. 

(3) Die Anordnung der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ergeht schriftlich. Sie muss das Vorliegen der Voraussetzungen der Maßnahmen darlegen und diejenigen Halterdaten, mit denen die automatisch zu erhebenden Daten nach Absatz 2 Satz 1 abgeglichen werden sollen, genau bezeichnen. Die bestimmten Stellen im öffentlichen Verkehrsraum (Absatz 1 Satz 1) sind zu benennen und die Anordnung ist zu befristen. 

(4) Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der Zweck der Maßnahmen erreicht, sind diese unverzüglich zu beenden.“ 

  • Erweiterung der Befugnis im Rahmen der Postbeschlagnahme in § 99 Abs. 2 StPO-E (einen ähnlichen Vorstoß gab es bereits aus dem Freistaat Bayern, BR Drs. 401/20): 

„(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 ist es auch zulässig, von Personen oder Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Postsendungen zu verlangen, die an den Beschuldigten gerichtet sind, von ihm herrühren oder für ihn bestimmt sind. Die Auskunft umfasst ausschließlich die aufgrund von Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts erhobenen Daten, soweit sie Folgendes betreffen: 

1. Namen und Anschriften von Absendern und Empfängern, 
2. Art des in Anspruch genommenen Postdienstes,
3. Maße und Gewicht der jeweiligen Postsendung sowie
4. Zeit- und Ortsangaben zum jeweiligen Postsendungsverlauf. 

Auskunft über den Inhalt der Postsendung darf darüber hinaus nur verlangt werden, wenn die in Satz 1 bezeichneten Personen oder Unternehmen davon auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt haben. Auskunft nach den Sätzen 2 und 3 müssen sie auch über solche Postsendungen erteilen, die sich noch nicht oder nicht mehr in ihrem Gewahrsam befinden.“ 

  • Einschränkungen bei den Rechtsinstituten der Sicherheitsleistung und des Zustellungsbevollmächtigten (§ 132 StPO)
  • Vereinheitlichung des Begriffs der Nachtzeit im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung (§ 104 Abs. 3 StPO):

„(3) Die Nachtzeit umfasst den Zeitraum von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens.“ 

  • Anpassung des § 114b StPO (Belehrung des verhafteten Beschuldigten) und gleichzeitig die Reform der Vernehmungsvorschriften (§§ 136, 163a StPO), u.a. die ausdrückliche Regelung der Vernehmung im Ermittlungsverfahren mit Hilfe von Bild- und Tonübertragung (§ 58b StPO)

Ergänzende Regelungen im Bereich der Reform des Strafverfahrens seit 2017

  • Nachsteuerung bei der Vermögensabschöpfung (Änderungen im StGB, in der StPO, im RPflG, im EGStGB, in der AO und im EGAO), insbesondere soll der Ausschlusstatbestand des § 73e Abs. 1 StGB ergänzt werden 
  • Änderungen und Ergänzungen im Rahmen der Einführung der elektronischen Akte
  • Änderungen im Gerichtsdolmetschergesetz
  • Streichung irrtümlicher Doppelungen in § 479 StPO – Übermittlungsverbote und Verwendungsbeschränkungen (Streichung des Abs. 3, der fast wortgleich mit § 100e Abs. 6 Nr. 2 und § 101a Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2 bis 5 StPO ist)

Sonstige Korrekturen und Anpassungen, u.a.

  • Einführung einer Definition des Verletzten in der StPO (§ 373b StPO-E)
  • Stärkung des Zeugenschutzes in Bezug auf personenbezogene Daten (§§ 68, 200, 222 StPO)
  • Neuregelung im Rahmen der Protokollierung richterlicher und ermittlungsbehördlicher Untersuchungshandlungen (§§ 168 bis 168b StPO)

„§ 168aStPO-E  Art der Protokollierung; Aufzeichnungen 

Die Absätze 2 bis 4 werden durch die folgenden Absätze 2 bis 5 ersetzt: 

(2) Wird das Protokoll während der Verhandlung erstellt, so ist es den an der Verhandlung beteiligten Personen, soweit es sie betrifft, zur Genehmigung auf einem Bildschirm anzuzeigen, vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen, soweit sie nicht darauf verzichten. Die Genehmigung und ein etwaiger Verzicht sind zu vermerken. 

(3) Wird die Verhandlung in Bild und Ton oder nur in Ton aufgezeichnet, so kann das Protokoll während der Verhandlung nach Maßgabe des Absatzes 2 oder nach Beendigung der Verhandlung anhand der Aufzeichnung erstellt werden. Wird das Protokoll nach Beendigung der Verhandlung in Form einer Zusammenfassung ihres Inhalts erstellt, so ist es den an der Verhandlung beteiligten Personen zur Genehmigung zu übermitteln, soweit sie nicht darauf verzichtet haben. Wird eine wörtliche Übertragung vorgenommen oder eine maschinelle Übertragung von einer Person überprüft, so versieht diese Person die Übertragung mit ihrem Namen und dem Zusatz, dass die Richtigkeit der Übertragung bestätigt wird. 

(4) Wird die Verhandlung in Form einer Zusammenfassung ihres Inhalts vorläufig aufgezeichnet, so ist die vorläufige Aufzeichnung den beteiligten Personen zur Genehmigung auf einem Bildschirm anzuzeigen, vorzuspielen, vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen, soweit sie nicht darauf verzichten. In dem nach Beendigung der Verhandlung gemäß Absatz 3 Satz 3 zu erstellenden Protokoll sind das jeweilige Vorgehen, ein etwaiger Verzicht und die Genehmigung zu vermerken. 

(5) Aufzeichnungen nach Absatz 3 und vorläufige Aufzeichnungen nach Absatz 4 sind zu den Akten zu nehmen oder, wenn sie sich nicht dazu eignen, bei der Geschäftsstelle mit den Akten aufzubewahren. Der Nachweis der Unrichtigkeit des Protokolls anhand der Aufzeichnung ist zulässig.“ 

  • Stärkung der Rechte des Verteidigers bei Beschuldigtenvernehmungen (§ 168c StPO)

Satz 3: „Die Benachrichtigung des Verteidigers von der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten unterbleibt nur, wenn sie den Untersuchungserfolg erheblich gefährden würde.“ 

  • Einführung des Schutzguts der sexuellen Selbstbestimmung in das GewSchG

Am 20. Januar 2021 hat die Bundesregierung den Referentenentwurf des BMJV beschlossen. Justizministerin Christine Lambrecht dazu:

„Wir müssen Betroffene bestmöglich vor Gewalt schützen. Deshalb sollen in Zukunft nicht nur Verletzungen und Bedrohungen des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit vom Gewaltschutzgesetz erfasst sein, sondern auch Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung. Die Zivilgerichte können künftig auch in solchen Fällen unter anderem anordnen, dass der Täter die gemeinsame Wohnung verlässt und sich dem Opfer nicht mehr nähert. Ein Verstoß gegen solche Schutzanordnungen ist mit Strafe bedroht. Zeugen im Strafverfahren sollen keine Angst vor einer Aussage haben. Die vollständige Anschrift von Zeugen im Strafverfahren soll deshalb besser geschützt werden. In bestimmten Fällen soll die Staatsanwaltschaft außerdem eine Auskunftssperre veranlassen, um zu verhindern, dass bei gefährdeten Zeugen die vollständige Anschrift über eine Abfrage bei der Einwohnermeldebehörde des Wohnorts erlangt werden kann.“

Der Regierungsentwurf enthält im Vergleich zum Referentenentwurf einige Erweiterungen für das Entwicklungsprogramm im Bereich der StPO: 

  • Schaffung einer Zurückstellungsmöglichkeit der Benachrichtigung des Beschuldigten bei der Beschlagnahme (§ 95a StPO-E) und Folgeänderungen in § 110 StPO
  • Erweiterung der TKÜ auf die Steuerhinterziehung in großem Ausmaß, wenn der Täter die Tat als Mitglied einer Bande begeht (§ 100a Abs. 2 Nr. 2 lit. a StPO)
  • Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 StPO) bei besonders langer Urteilsabsetzungsdauer
  • Anpassung der Vorschrift zum Urteilsverkündungstermin (§ 268 StPO)
  • Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik im Strafvollstreckungsverfahren (§ 463e StPO-E)

Am 14. April 2021 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt, bei der die Experten den Entwurf unterschiedlich bewerteten. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Stefan Conen vom Deutschen Anwaltverein (DAV) bewertet den Entwurf äußerst kritisch. Es handele sich in kurzer Abfolge um den dritten Entwurf dieser Legislaturperiode, der seinem Titel nach den Anschein zu erwecken suche, eine kohärente Fortschreibung der Strafprozessordnung für künftige Herausforderungen in Angriff zu nehmen. An dieser Aufgabe scheiterten jedoch alle bisherigen Entwürfe, so Conen. Konkret lehne der DAV die geplante Anpassung der Belehrungsvorschriften ab, weil sie rechtsstaatlich untauglich sei und dem Beschuldigten nicht den europäischen Mindeststandard garantiere. Ebenfalls lehnte er die vorgesehene Regelung der Geheimhaltung und Zurückstellung von Benachrichtigungen bei Beschlagnahme und Durchsuchung ab. Änderungen sieht er laut der Stellungnahme bei der Einführung automatisierter Kfz-Kennzeichenabgleichsysteme und bei der Ausdehnung des Verletztenbegriffes für unerlässlich.

Dilken Çelebi, Deutscher Juristinnenbund (djb), nannte die Einführung einer Legaldefinition des Begriffs der „Verletzten“ in der StPO einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie. Daneben bewertete sie die Verbesserung des Schutzes der Zeuginnen und Zeugen, die zugleich Verletzte und deshalb potentiell in größerer Gefahr seien, durch die Änderungen bezüglich der Angaben zu Wohn- und Aufenthaltsort, positiv. Es mangele dem djb jedoch an einem Anspruch für erwachsene Verletzte eines sexuellen Übergriffs und von Partnerschaftsgewalt auf kostenfreie anwaltliche Vertretung und psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren.

Ali Norouzi, ebenfalls Mitglied im Strafrechtsausschuss des DAV, sah den Entwurf ebenfalls sehr kritisch. Er wolle angesichts des Entwurfs eines „Pizza-mit-Allem-Gesetz“ nicht in Rechtsstaatspessimismus verfallen. Viele Kritikpunkte seien bereits angesprochen worden, weshalb er die Regelung zur Revisionsbegründungspflicht hervorhob, die der einzige Lichtblick des Entwurfs sei.

Christoph Knauer, BRAK, plädierte für Änderungen des Entwurfs, da er als „Flickwerk“gerade nicht der umfassende große Wurf sei, wie er eigentlich nötig sei. Einseitige, verkürzte und unterkomplexe Begründungen für Änderungen seien vor dem Hintergrund der Bedeutsamkeit der Beschuldigtenrechte für den Einzelnen nicht brauchbar. Die Einführung der Zurückstellung der Benachrichtigung des Beschuldigten sei sehr kritisch zu bewerten, so Knauer. Damit werde mit dem Prinzip gebrochen, dass spätestens mit einer Zwangsmaßnahme das Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten transparent zu machen ist, um ihm Rechtsschutz zu ermöglichen.

Gerwin Moldenhauer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, sprach sich für das Ziel des Gesetzgebers aus, das Strafprozessrecht in einer Vielzahl von Einzelaspekten behutsam zu modernisieren. Hervorzuheben sei, dass der Entwurf insbesondere wichtige neue Ermittlungsinstrumente wie beispielsweise die retrograde Auskunft von Postdienstleistern oder die automatische Kennzeichenerfassung biete und bestehende Instrumente nachjustiere. Im Gegensatz zu Knauer sah er die Möglichkeit zur Zurückstellung der Benachrichtigung des Beschuldigten auf richterliche Anordnung hin als sehr wertvoll an.

Alexander Ecker, Oberstaatsanwalt von der Generalstaatsanwaltschaft München, kritisierte, dass die Ermächtigungsgrundlage für die Abfrage von Sendungsdaten bei Postdienstleistern zur Bekämpfung des organisierten Handels mit illegalen Waren nicht weitreichend genug ausgestaltet sei. Die Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur automatischen Erhebung von Fahrzeugkennzeichen sei ebenfalls viel zu eng gefasst, weshalb der praktische Anwendungsbereich damit äußerst begrenzt sei.

Schließlich bewertete Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück, die geplante Zurückstellung der Benachrichtigung des Beschuldigten positiv. Sie schließe eine bestehende Lücke, wodurch bisher bestehende Schwierigkeiten bei der Ermittlung in Fällen der Kinderpornografie, des Drogenhandels und zahlreichen Delikten im Darknet, gelöst würden. Zudem begrüßte er die weiteren Regelungen zur Verbesserung der Arbeit der Ermittlungsbehörden.

Axel Isak, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Baden-Baden, mahnte weiteren Diskussionsbedarf bei diesen Regelungen an.

Am 10. Juni 2021 hat der Bundestag den Regierungsentwurf in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT Drs. 19/30517) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Am 25. Juni 2021 passierte der Entwurf auch den Bundesrat. Das Gesetz wird nun dem Bundespräsidenten zur Unterschrift zugeleitet. 

 

 

Gesetzentwurf zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Einziehung von Taterträgen

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am 10. September 2020 einen Gesetzentwurf zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Einziehung von Taterträgen (BT Drs. 19/22113) in den Bundestag eingebracht. Hintergrund ist das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz. Seitdem beschränkt § 34 EGAO gleichzeitig mit § 375a AO die Einziehbarkeit von steuerschuldrechtlich durch Verjährung erloschene Taterträge aus Steuerhinterziehung auf alle am 1. Juli 2020 noch nicht verjährten Steueransprüche. 

Während die Steuerschuld bei Steuerhinterziehung nach 10 Jahren verjährt, verjährt die mögliche Einziehung nach § 76b Abs. 2 StGB erst in 30 Jahren ab Tatbeendigung. Dieses Missverhältnis soll nun aufgelöst werden, damit auch eine Einziehung von Taterträgen in großem Umfang, wie bspw. bei CumEx-Fällen, möglich bleibt. Der Entwurf sieht daher eine gesetzliche Klarstellung dahingehend vor, dass Taterträge aus Steuerhinterziehung, die zwar durch den neuen § 375a AO durch Verjährung erloschen sind, wohl aber der strafrechtlichen Einziehung unterliegen.  

Aus den gleichen Gründen brachte am 10. September 2020 auch die Fraktion Die Linke einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein (BT Drs. 19/22119). Sie möchte § 34 EGAO aufheben. 

Am 16. September 2020 fanden beide Entwürfe keine Mehrheit im Finanzausschuss. Es wurde jedoch eine Initiative seitens der Bundesregierung angekündigt. 

 

 

 

 

 

 

 

Gesetzesantrag zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten

Gesetzentwürfe: 

 

Der Freistaat Bayern hat einen Gesetzesantrag zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten (BR Drs. 401/20) in den Bundesrat eingebracht. Damit möchte das Bundesland gegen den Trend des Versandhandels vorgehen, der mehr und mehr für kriminelle Zwecke eingesetzt wird. Der anonyme und mittels Krypto-Währung abgewickelte Handel mit illegalen Waren über das Darknet habe erheblich zugenommen. Ebenso seien vermehrt Betrugsfälle im Versandhandel zu verzeichnen. Dabei stehe vor allem das Problem der Identifizierbarkeit der Täter im Vordergrund. Ermittlungsansätze ergeben sich dabei beim Übergang der digitalen in die analoge Welt. Als Schlüsselstelle sind dies die Daten, die die Postdienstleister bei der Aufgabe und der Annahme entsprechender Waren festhalten. Für retrograde Auskunftsverlangen besteht jedoch de lege lata keine Verpflichtung der Postdienstleister. Ähnliches ergebe sich für Postsendungen, die sich noch nicht im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden. Diese Gesetzeslücke soll der Entwurf nunmehr schließen. Vorgesehen ist die Verankerung einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für Auskunftsverlangen der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Postdienstleistern in § 99 Abs. 2 StPO, die sich auf noch nicht ein- oder bereits ausgelieferte Sendungen erstreckt. 

§ 99 Abs. 2 StPO-E:

„(2) Statt einer Beschlagnahme kann der Richter, unter den Voraussetzungen des § 100 auch der Staatsanwalt, von Personen oder Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen, Auskunft über die in Absatz 1 genannten Sendungen verlangen, die vom Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind. Die Auskunft wird auch über solche Sendungen erteilt, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr oder noch nicht im Machtbereich der Person oder des Unternehmens befinden.“

Auf Antrag des Freistaates Bayern wurde der Gesetzentwurf am 18. September 2020 den Ausschüssen des Bundesrates zur Beratung zugewiesen. Der federführende Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 401/1/20). So entschied auch das Plenum am 27. November 2020.

 

 

Gesetzesantrag zur Erleichterung der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Nordrhein-Westfalen hat einen Gesetzesantrag zur Erleichterung der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen (BR Drs. 476/20) in den Bundesrat eingebracht.

Die Ermächtigungsgrundlage für den Datenaustausch zwischen den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und den Jugendämtern ist in § 17 Nr. 5 EGGVG geregelt. Danach ist die Übermittlung personenbezogener Daten dann zulässig. wenn die Kenntnis der Daten aus Sicht der übermittelnden Stelle „zur Abwehr einer erheblichen Gefährdung Minderjähriger“ notwendig ist. Nach Ansicht des Landes ist diese Regelung defizitär. Ohne einen Einblick in die familiären Verhältnisse seien Gericht und Staatsanwaltschaften gar nicht in der Lage beurteilen zu können, ob Maßnahmen der Jugendhilfe angezeigt seien. Daher soll die Möglichkeit der Datenübermittlung moderat unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweitert werden. 

Der Gesetzentwurf wurde am 18. September 2020 im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss an die Fachausschüsse zur Beratung überwiesen, die Ende September stattfand. Der federführende Rechtsausschuss, der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Dieser Entschluss wurde am 9. Oktober 2020 im Plenum gefasst.  

 

 

 

Gesetzesantrag zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht

Gesetzentwürfe:

Das Land Baden-Württemberg hat am 15. Februar 2022 erneut einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht (BR Drs. 64/22, BR Drs. 360/20) auf den Weg gebracht. Der Entwurf wurde bereits im Oktober 2020 in den Bundestag eingebracht und unterfiel mit Ablauf der Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskontinuität. 

Am 11. März 2022 beschloss der Bundesrat den Entwurf erneut in den Bundestag einzubringen. Am 29. April 2022 veröffentlichte die Bundesregierung ihre Stellungnahme (BT Drs. 20/1541) und begrüßte das grundsätzliche Anliegen der Länder. Der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf sei jedoch in vielen Teilen veraltet und im Übrigen nicht zielführend, so dass er insgesamt abzulehnen sei. 

 


19. Legislaturperiode:  

 

Das Land Baden-Württemberg hat einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht (BR Drs. 360/20) in den Bundesrat eingebracht. Hintergrund des Antrags ist der „Staufener Missbrauchsfall“, der das Land dazu veranlasst hat, eine „Kommission Kinderschutz“ einzusetzen, um die Verfahren des Kinderschutzes auf allen Ebenen zu analysieren und einen möglichen Handlungsbedarf herauszuarbeiten. Die Einzelempfehlungen wurden am 17. Februar 2020 in einem Abschlussbericht vorgestellt. Mit dem Entwurf macht das Land Vorschläge zur Änderung des FamFG: 

  • Einbeziehung und Befassung mit dem betroffenen Kind stärken
  • Verstärkung des Informationsaustauschs zwischen Gericht und Jugendamt
  • Verpflichtung des Gerichts, die Umsetzung und die Umsetzbarkeit geplanter Maßnahmen mit dem Jugendamt zu erörtern
  • Klarstellung der Überprüfungspflicht von Anordnungen nach § 1666 Abs. 3 BGB in angemessenen Zeitabständen durch das Gericht 
  • Verstärkung der Möglichkeit der Anhörung Dritter 
  • Verstärkung der Möglichkeit des Einsatzes von Sachverständigen
  • Streichung des Regelvorbehalts in § 158 FamFG zur Verstärkung des Instituts der Verfahrensbeistandschaft 

Der federführende Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Frauen und Jugend empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf mit kleineren Änderungen in den Bundestag einzubringen. Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 im Plenum gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23567). 

 

 

Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern

Gesetzentwürfe: 

Hessen hat am 24. Februar 2022 erneut einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern auf den Weg gebracht. Der Entwurf wurde bereits im Oktober 2020 in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/23569) und unterfiel mit Ablauf der Legislaturperiode dem Grundsatz der Diskontinuität. 

Der Bundesrat hat am 11. März 2o22 über die Initiative abgestimmt und den Entwurf erneut über die Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. Diese veröffentlichte am 29. April 2022 ihre Stellungnahme (BT Drs. 20/1543), in der sie sich ablehnen zu dem Entwurf äußerte: 

„Die Bundesregierung erachtet die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen des Strafgesetzbuchs (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) als nicht erforderlich, um den Schutz von Kindern zu verbessern. Die effektive strafrechtliche Verfolgung von Kindesentführungen ist auch aufgrund der bestehenden Rechtslage möglich.“

 


19. Legislaturperiode: 

 

Das Bundesland Hessen hat bereits 2018 einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 518/18). Bislang wurde dem Antrag jedoch wenig Beachtung geschenkt und immer wieder von der Tagesordnung abgesetzt. 

Im Hinblick auf die Tatumgebung des Internets und der besonderen körperlichen Unterlegenheit und Gutgläubigkeit von Kindern, sieht das Land Handlungsbedarf und möchte mit dem Entwurf Gesetzeslücken schließen. Zum einen sei dies für Fälle der Kindesentführung notwendig, „bei denen es (noch) nicht zu sexuellen Missbrauchshandlungen oder sonstigen Anschlusstaten gekommen ist. Bei Säuglingen oder Kleinstkindern scheiden mangels Vorliegen eines natürlichen Fortbewegungswillens die Tatbestände der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) oder der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) aus. Für eine Strafbarkeit nach § 235 Abs. 1 StGB (Entziehung Minderjähriger) ist nach der Rspr. des BGH eine Entziehung von gewisser Dauer erforderlich. Welcher Zeitraum hierfür zu veranschlagen ist, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Zudem sei bei versuchten Kindesentführungen der Nachweis des Tatvorsatzes zu einem versuchten Sexual- oder gar Tötungsdelikts nicht zu erlangen. Zum verbesserten Schutz sieht der Entwurf daher eine Erweiterung des Straftatbestandes des § 235 StGB vor, in der das Entführen oder das rechtswidrige Sich-Bemächtigen von Kindern einen Grundtatbestand mit einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bildet: 

§ 235 Abs. 4 StGB-E

„Folgende Nummern 3 bis 5 werden angefügt:

3. die durch die Tat geschaffene Lage zur Herstellung kinderpornographischer Schriften ausnutzt,

4. die Tat begeht, um das Kind oder die Person unter achtzehn Jahren zu töten, zu quälen oder roh zu misshandeln oder

5. die Tat begeht um eine Handlung nach Nummer 3 oder 4 zu ermöglichen.“

Darüber hinaus sind Qualifikationen für die Fälle gesteigerten Unrechts vorgesehen. Flankierend soll eine Erweiterung des Straftatenkatalogs des § 68c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a StGB erfolgen und damit eine Möglichkeit der unbefristeten Führungsaufsicht für Fälle des § 235 Abs. 4 StGB-E geschaffen werden. Eine Ergänzung des § 112a Abs. 1 S. 1 StPO soll die Anordnung der Untersuchungshaft in Fällen der Kindesentführung erleichtern. 

Als weiteren Aspekt zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern sieht der Entwurf die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit für das Cybergrooming vor. Dieser Aspekt dürfte sich seit dem Siebenundfünfzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings vom 3. März 2020: BGBl. I 2020 Nr. 11, S. 431 ff. erledigt haben. 

Die Ausschüsse haben bereits über den Antrag Hessens beraten und empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf mit kleineren Änderungen in den Bundestag einzubringen. Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 im Plenum gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23569).

 

 

 

Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte vom 27. Juni 2024, BGBl I Nr. 213

Gesetzentwürfe: 

 

Am 17. November 2023 hat das BMJ einen Referentenentwurf zur Anpassung der Mindeststrafe des § 184b Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StGB auf den Weg gebracht.

Durch die Neufassung des § 184b StGB im Juni 2021 wurden die Strafrahmen der Tatbestandsvarianten des § 184b Abs. 1 S. 1 StGB und des § 184b Abs. 3 StGB angehoben und stellen seither ein Verbrechen dar. Eine Regelung für minder schwere Fälle wurde nicht getroffen und eine Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen entfällt nunmehr aufgrund des Verbrechenscharakters.  Die Rückmeldung aus der Praxis habe gezeigt, dass „dies bei Verfahren, die einen Tatverdacht am unteren Rand der Strafwürdigkeit zum Gegenstand haben, dazu führt, dass eine tat- und schuldangemessene Reaktion nicht mehr in jedem Einzelfall gewährleistet ist“, so der Entwurf. Besonders fraglich erscheine die Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, wenn die beschuldigte Person ersichtlich nicht mit pädokrimineller Energie gehandelt habe, bspw. wenn kinderpornographische Inhalte an Lehrer:innen oder die Schulleitung weitergeleitet wurden, um über den Vorfall zu informieren. Ebenso können Inhalte ungewollt in den Besitz des/der Empfänger:in gelangen.

Der Referentenentwurf sieht daher vor, den Strafrahmen der Tatbestandvariante des § 184b Abs. 1 S. 1 StGB von einem Jahr auf sechs Monate und der Variante des § 184b Abs. 3 StGB von einem Jahr auf drei Monate herabzusenken. Somit wird den Strafverfolgungsbehörden wieder die Möglichkeit eröffnet, Verfahren, die sich am unteren Rand der Strafwürdigkeit befinden, gem. §§ 153 153a StPO einzustellen. Die Grenze der Höchststrafen soll jedoch beibehalten werden, um künftige schwere Taten angemessen sanktionieren zu können.

Die neue Regelung soll insbesondere auch dem großen Anteil jugendlicher Täter:innen zugute kommen, die aus „jugendlicher Unbedarftheit, Neugier, Abenteuerlust oder Imponierstreben“ und nicht aus pädophilen Motiven heraus handeln.

Am 7. Februar 2024 hat die Bundesregierung den vorgelegten Regierungsentwurf beschlossen. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann dazu: 

„Die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte ist eine schwere Straftat. Sie kann mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Das ist richtig so und daran wird sich nichts ändern. Die Änderung des unteren Strafrahmens aus dem Jahr 2021 hat jedoch zu zahlreichen Problemen in der Praxis der Strafverfolgung geführt. Insbesondere droht Menschen, die solches Material ungewollt – etwa im Rahmen einer WhatsApp-Eltern-Gruppe – zugespielt bekommen haben, eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Vergleichbares gilt beispielsweise auch im Falle von Lehrerinnen und Lehrern, die bei Schülern kinderpornographisches Material auf dem Handy entdeckt und es weitergeleitet haben, um betroffene Eltern zu alarmieren. Um den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit zurückzugeben, flexibel und verhältnismäßig auf jeden Einzelfall angemessen reagieren zu können, werden wir im Wesentlichen zur alten Rechtslage zurückkehren. Das ist ein dringender Wunsch insbesondere von Strafverfolgern, Staatsanwälten und Gerichten sowie der Landesjustizministerinnen und Landesjustizminister. Dieses Einvernehmen in der gesamten Fachwelt rührt insbesondere daher, dass künftig die Strafverfolgung wieder effizienter und zielgerichteter organisiert werden kann. Das ist in Anbetracht dieses schrecklichen Kriminalitätsfeldes auch dringend nötig.“

Am 14. März 2024 wurde der Entwurf in erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. In seiner Plenarsitzung am 22. März 2024 hat sich der Bundesrat erstmals mit der Anpassung des § 184b StGB beschäftigt und keine Einwendungen erhoben. Am 10. April 2024 fand im Rechtsausschuss eine Öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Die Sachverständigen waren einhellig der Ansicht, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 184b StGB im Juni 2021 „über das Ziel hinausgeschossen“ sei. Alexander Boger von der Staatsanwaltschaft Ravensburg erklärte, dass seither eine Einstellung der Verfahren selbst bei „Fällen mit geringstem Unrechtsgehalt“ nicht mehr möglich sei, was letztlich zu einer Verzögerung der Ermittlungen in schwerwiegenden Fällen beitrage. Auf der anderen Seite bestehe auch die Situation, dass ahnungslose Personen „harten Ermittlungsmaßnahmen“ unterzogen würden und sich Durchsuchungen oder Beschlagnahmen ausgesetzt sähen, so Alexander Poitz von der Gewerkschaft der Polizei. Davor hätten die Expert:innen bereits vor der Reform gewarnt und die Praxis rufe nun nach einer Reform, erklärte Dr. Oliver Piechaczek vom Deutschen Richterbund. Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe schlug die Einführung von minderschweren Fällen in § 184b StGB vor, die mit einem entsprechend niedrigen Strafrahmen versehen werden könnten. Er betonte, dass die geplante Gesetzesänderung gegen eine EU-Richtlinie verstoße, die Kinderpornografie in jeglicher Form als schwere Straftat einstufe. Fälle, in denen bspw. Eltern vor Kinderpornografie warnen und Beweisbilder verschicken, sollten ganz von der Strafverfolgung ausgenommen werden. Dem stimmten PD Dr. Anja Schmidt von der Goethe- Universität Frankfurt und Kerstin Klaus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, nicht zu. Auch in solchen Fällen bedürfe es der Möglichkeit der strafrechtlichen Beurteilung durch Ermittler:innen, so Klaus. Schmidt betonte zudem, dass mit der Weitergabe solcher Bilder auch immer eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Kinder einhergehe. Weiterhin sahen die Sachverständigen bei einem Ausschluss mehrerer Tatumstände ein Risiko für die gezielte Ausnutzung solcher Lücken. Prof. Dr. Jörg Eisele von der Universität Tübingen lehnte auch eine Einführung minderschwerer Fälle ab, da damit keine Einstellung von Verfahren erreicht werde. Dafür bedürfe es der vorgesehenen Senkung der Mindeststrafe. Abseits der Diskussion um die Änderung des Strafrahmens in § 184b StGB regte Prof. Dr. Beate Naake vom Kinderschutzbund an, den Begriff der „Kinderpornografie“ ganz aus dem Strafrecht zu streichen, da er eine Einvernehmlichkeit suggeriere, die von diesen Delikten gerade nicht ausgehe. Überwiegend waren sich die Expert:innen am Ende der Anhörung jedenfalls einig, dass die bestehende Regelung in § 184b StGB verfassungswidrig sei, weil sie gegen das Übermaßverbot bei der Strafverfolgung verstoße. Eine entsprechende Prüfung sei bereits vor dem BVerfG anhängig.

Am 16. Mai 2024 hat der Bundestag den Regierungsentwurf in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 20/11419) beschlossen. Dieser hatte auf Antrag der Koalitionsfraktionen eine Folgeänderung in § 127 StGB vorgenommen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass zum Vergehen herabgestufte Delikte entsprechend erfasst bleiben. Am 14. Juni 2024 passierte der Gesetzentwurf den Bundesrat. Das Gesetz wurde am 27. Juni 2024 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 des Strafgesetzbuches: BGBl. I 2024, Nr. 213) und trat bereits einen Tag später in Kraft.

 

 

 


19. Legislaturperiode: 

Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16. Juni 2021: BGBl. I 2021, S. 1810 ff. 

Gesetzentwürfe: 

 

Am 31. August 2020 hat das BMJV einen Referentenentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder veröffentlicht. 

Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder sei eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen und eine zentrale Aufgabe des Staates. Der technische Wandel habe dazu beigetragen, das Gefährdungspotential für Kinder nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt zu erhöhen. So biete z.B. das Darknet viel Raum, um kinderpornographisches Material zu verbreiten. Der Verbreitung und dem Konsum liege aber immer real sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde. Die Zahl der bekannt gewordenen Fälle sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Daher sei es notwendig, die entsprechenden Straftatbestände zu ändern, um ihre Schutzfunktion für Kinder zu verbessern. Vorgesehen sind hierzu u.a. Verschärfungen der Strafrahmen sowie eine effektivere Ausgestaltung der Strafverfolgung. Flankiert werden die Änderungen durch ein Bündel von Maßnahmen, die insbesondere die Prävention betreffen. 

Die Änderungen im StGB: 

Der bisherige Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern soll in drei Straftatbestände aufgespalten werden. Begrifflich soll der sexuelle Missbrauch als „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ neugefasst werden und damit das Unrecht dieser Straftaten klarer umschreiben und einer Bagatellisierung entgegenwirken. 

  • § 176 Sexualisierte Gewalt gegen Kinder 
  • § 176a Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind 
  • § 176b Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder
  • § 176c Schwere sexualisierte Gewalt gegen Kinder 
  • § 176d Sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge

Dabei soll bereits der Grundtatbestand des § 176 StGB-E als Verbrechen ausgestaltet werden. Mit der Änderung der Begrifflichkeit des Missbrauchs soll keine Anwendung von Gewalt oder eine Drohung mit Gewalt zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich sein. Vielmehr soll ein klares Signal gesetzt werden, dass der sexualisierten Gewalt gegen Kinder „mit aller Kraft entgegengetreten wird“. Von einer Strafverfolgung kann im Einzelfall abzusehen sein, wenn es sich in Fällen einvernehmlicher sexueller Handlungen um annähernd gleichaltrige Personen handelt. 

Alle bisherigen Tathandlungen, die keinen Körperkontakt mit einem Kind voraussetzen (das Vornehmen sexueller Handlungen vor einem Kind, das Bestimmen eines Kindes zu sexuellen Handlungen, das Einwirken auf ein Kind durch pornographischen Inhalt oder durch entsprechende Reden, das Anbieten eines Kindes für eine der zuvor genannten Tatbestandsvarianten sowie eine teilweise Versuchsstrafbarkeit) werden in § 176a StGB-E. – Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind zusammengefasst. Um auch hier das Unrecht der Tat angemessen abbilden zu können, soll der Strafrahmen auch bei diesen Straftatbeständen auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren angehoben werden (vorher: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren). Für das Vorzeigen pornographischer Inhalte soll zudem eine Versuchsstrafbarkeit eingeführt werden. Vergleichbar mit dem Cybergrooming soll der Täter auch dann strafbar sein, wenn seine Tatvollendung daran scheitert, dass er irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind. Damit werde zugleich die Strafverfolgung erleichtert. 

§ 176b StGB-E – Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder erfasst u.a. das Cybergrooming und soll auch hier den Unrechtsgehalt der Tat angemessener umschreiben. Der Strafrahmen (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) soll beibehalten werden. Das Anbieten oder Nachweisen eines Kindes für sexualisierte Gewalt bzw. das Verabreden zu einer solchen Tat soll künftig mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft werden, da sie besonders verwerflich sei. 

Im Falle der schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder (§ 176c StGB-E) sieht der Entwurf die Streichung der minder schweren Fälle vor. Auch hier soll das Unrecht der Tat deutlicher zum Vorschein gebracht werden und sich stärker als bisher im Strafmaß widerspiegeln. § 176c Abs. 1 StGB-E umfasst dabei alle Tathandlungen, die bislang unter § 176a Abs. 2 StGB gefasst werden und nimmt den alten Strafrahmen auf. § 176c Abs. 2 StGB-E regelt die Tatbestandsvariante, bei der der Täter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand pornographischer Inhalte zu machen (entspricht § 176a Abs. 3 StGB). Minder schwere Fälle sollen künftig nicht mehr erfasst sein. Die schwere körperliche Misshandlung und die Gefahr des Todes wird wie bislang von § 176a Abs. 5 StGB in § 176c Abs. 3 StGB-E geahndet. Die Qualifikation bei Wiederholungstaten (§ 176a Abs. 1 StGB) geht aufgrund der Hochstufung des Grundtatbestandes (§ 176 Abs. 1 StGB-E) zum Verbrechen in diesem auf. 

Der sexuelle Missbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB) wird beibehalten und in § 176d StGB-E – Sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge mit einer kleinen Folgeänderung neu verortet. 

Eine Verschärfung des Strafrahmens sollen auch die Straftatbestände der Kinderpornographie erfahren. Das Verbreiten, Zugänglichmachen, Besitzverschaffen, Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätig halten, Anbieten, Bewerben und das Ein- und Ausführen wird zu einem Verbrechen hochgestuft (§ 184b Abs. 1 StGB-E). Die Einordnung als Verbrechen erscheine geboten, um das Maß des verwirklichten Unrechts und der Schuld besser abbilden zu können. Schließlich stehe hinter der Kinderpornographie sehr häufig eine sexualisierte Gewalt gegen Kinder. des Weiteren solle dies eine Möglichkeit bieten, potentielle Täter abzuschrecken. Die Einordnung als Verbrechen hat prozessrechtlich die Folge, dass eine Einstellung von Verfahren aus Opportunitätsgründen (§§ 153, 153a StPO) nicht mehr in Betracht kommt. Soweit lediglich Fiktivpornographie zum Gegenstand der Verbreitung geworden ist, bleibt der bisherige Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren (§ 184b Abs. 1 S. 2 StGB-E) erhalten. Entsprechend der Anhebung des Strafrahmens in § 184b Abs. 1 StGB-E soll auch der Strafrahmen für die banden- und gewerbsmäßige Begehungsformen (§ 184b Abs. 2 StGB-E) auf eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren angehoben werden. 

Neben den Neuregelungen der §§ 176b ff. und § 184b StGB-E sollen bestehende Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Die §§ 174 bis 174c StGB (sexueller Missbrauch von Personen in Abhängigkeitsverhältnissen) sollen um Tathandlungen mit oder vor dritten Personen erweitert werden.

 

Die Änderungen in der StPO:

Aufgrund der Änderungen im StGB werden auch in der StPO Folgeänderungen vorgenommen. Das Zeugnisverweigerungsrecht für Berufsgeheimnisträger erfährt in § 53 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO durch die Angabe der Tatbestände der §§ 174 bis 174c, 176a, 176b StGB ein Update. 

Redaktionelle Änderungen erfahren auch die Katalogtaten der Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO), Onlinedurchsuchung (§ 100b StPO) und der Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g StPO). Dies soll eine effektive Strafverfolgung im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Kinderpornographie ermöglichen und zugleich „das Risiko der Entdeckung erhöhen und den zumeist abgeschotteten Foren für den Austausch kinderpornographischer Inhalte die tatanreizende Wirkung“ nehmen. 

Des Weiteren sieht der Entwurf vor, den Katalog des Untersuchungshaftgrundes der Schwerkriminalität in § 112 Abs. 3 StPO um den Straftatbestand der schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder gemäß § 176c StGBE und die sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge nach § 176d StGB-E zu erweitern. Die hohe Bedeutung der geschützten Rechtsgüter werde materiell durch die Erhöhung der Mindeststrafe auf zwei Jahre Freiheitsstrafe zum Ausdruck gebracht. Prozessual soll dies auch mit der Aufnahme der Delikte in den Katalog des Untersuchungshaftgrundes der Schwerkriminalität verdeutlicht werden. 

 

Die Änderungen des GVG: 

Neben den Änderungen des StGB und der StPO sollen im GVG Qualifikationsanforderungen für Familien- und Jugendrichter, Jugendstaatsanwälte sowie Verfahrensbeistände von Kindern gesetzlich geregelt und damit konkreter und verbindlicher gefasst werden. In Kindschaftsverfahren soll grundsätzlich die persönliche Anhörung des Kindes festgeschrieben werden. 

 

Die Änderung des BZRG

Wie bereits vom Bundesrat in seinem Gesetzentwurf vom 18. März 2020 (BT Drs. 19/18019) gefordert, sollen die Fristen für die Aufnahme von relevanten Verurteilungen in erweiterte Führungszeugnisse verlängert werden (weitere Informationen zum Gesetzentwurf des Bundesrates finden Sie hier). Die Frist zur Aufnahme von Eintragungen geringfügiger Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten wird von drei auf zehn Jahre verlängert und die Mindesttilgungsfrist für diese Verurteilungen verdoppelt. Damit sollen Stellen, die Personen mit einer beruflichen oder ehrenamtlichen Beschäftigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger beauftragen wollen, sowie Gerichten, Staatsanwaltschaften, Polizei und anderen auskunftsberechtigten Behörden (§ 41 BZRG) alle wichtigen Informationen zugänglich gemacht werden, die sie benötigen, um eine Entscheidung im Interesse der Strafrechtspflege und der öffentlichen Sicherheit zu treffen. 

 

Am 21. Oktober 2020 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen (Regierungsentwurf). Bundesjustizministerin Christine Lambrecht

„Immer wieder erleben wir, dass Kindern durch erschütternde sexualisierte Gewalttaten unermessliches Leid zugefügt wird. Um diese Gräueltaten mit aller Kraft zu bekämpfen und Kinder besser zu schützen, haben wir ein umfassendes Paket beschlossen. Dazu gehören deutlich schärfere Strafen, effektivere Strafverfolgung und Verbesserungen bei der Prävention auch durch Qualifikationsanforderungen in der Justiz. Täter fürchten nichts mehr als entdeckt zu werden. Den Verfolgungsdruck müssen wir deshalb massiv erhöhen. Das schreckliche Unrecht dieser Taten muss auch im Strafmaß zum Ausdruck kommen. Künftig muss sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Wenn und Aber ein Verbrechen sein. Gleiches gilt für die abscheulichen Bilder und Videos, mit denen diese Taten zu Geld gemacht werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, soll künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können. Wir brauchen höchste Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Um sicherzustellen, dass Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihren verantwortungsvollen Aufgaben gerecht werden können, legen wir konkrete Qualifikationsanforderungen in der Familien- und Jugendgerichtsbarkeit fest.“

Am 29. Oktober 2020 brachten die Fraktionen CDU/CSU und SPD einen gleichlautenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein (BT Drs. 19/23707). Dieser wurde am 30. Oktober 2020 in erster Lesung beraten. Christine Lambrecht betonte eingangs, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder erschütternde Verbrechen darstellen, die ins Mark träfen. Darum sei sie froh, einen Gesetzentwurf vorstellen zu können, der alle Möglichkeiten zum Handeln eröffne. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD betonten, dass sie froh seien, dass man nicht bei öffentlicher Empörung stehenbleibe, sondern mit zahlreichen Maßnahmen effektiv etwas für mehr Kinderschutz tue und begrüßten den Dreiklang des Gesetzentwurfs. Die Koalition habe entschieden den Entwurf gemeinsam einzubringen, um ihn zu beschleunigen. Dirk Wiese (SPD) sprach sich insbesondere für einen starken Fokus auf die Prävention aus. Die Opposition unterstütze grundsätzlich den Gesetzentwurf. Die AfD warf jedoch der Koalition vor, zu lange gewartet zu haben und nun in Aktionismus zu verfallen. So erschließe sich nicht, warum Tatvarianten ohne Körperkontakt milder bestraft werden sollen und die Mindeststrafe für Tauschbörsenbetreiber nur bei einem Jahr Freiheitsstrafe liege. Stattdessen forderte die AfD u.a. ein öffentlich einsehbares Register von Sexualstraftätern. Dr. Jürgen Martens (FDP) kritisierte, dass zu lange von einem sexuellen Missbrauch gesprochen worden sei, da es schließlich auch keinen zulässigen Gebrauch von Kindern gebe. Die Notwendigkeit zu handeln sei da, jedoch zweifelte er daran, ob mit dem Entwurf immer das Richtige getan werde und sprach sich für eine evidenzbasierte Strafrechtspolitik aus. Die Straferhöhung ziehe schließlich Folgeprobleme nach sich. So müsse nicht nur personell in der Justiz nachgesteuert werden, auch die Ermittlungsbehörden benötigten mehr Personal und Sachmittel, damit sie überhaupt von ihren erweiterten Befugnissen Gebrauch machen könnten. Ferner bestehe bei Bagatellfällen die Gefahr der Überstrafe. Ebenso wie die SPD sah die FDP einen Schwerpunkt in der Prävention, wofür im Haushalt aber keine Mittel bereit stünden. Die Linke wies insbesondere auf einen Verbesserungsbedarf im Hinblick auf den Wegfall der minderschweren Fälle hin. Annalena Baerbock von den Grünen befand den Gesetzentwurf der Koalition als absolut richtig und wichtig, schließlich seien auch viele Vorschläge der Grünen in den Entwurf eingeflossen. Es sei an der Zeit einen Perspektivwechsel vorzunehmen und Kinder auch im juristischen Verfahren als Rechtssubjekte anzusehen und nicht nur als Objekte. Es brauche Prävention und eine Trauma-Ambulanz für Kinder. Daher könne der Gesetzentwurf nur der Beginn einer notwendigen Debatte sein. 

Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen wurde im Anschluss an die Debatte gemeinsam mit einem Entschließungsantrag der Grünen (BT Drs. 19/23676) zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. 

Am 27. November 2020 befasste sich der Bundesrat mit dem Regierungsentwurf und nahm hierzu Stellung. Er fordert insbesondere im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Neuordnung und Harmonisierung des Sexualstrafrechts sowie die Beibehaltung der bisherigen Terminologie des „sexuellen Missbrauchs“. Des Weiteren soll an dem Vorhaben der Erhöhung der Strafandrohung bei Verstößen gegen Weisungen in der Führungsaufsicht festgehalten werden (so schon der Gesetzesentwurf aus Bayern, BR Drs. 362/20). Die Stellungnahme wird nun der Bundesregierung zugeleitet. 

Am 7. Dezember 2020 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Sachverständigen begrüßten einhellig das Anliegen, Kinder besser zu schützen. Kritik übten sie jedoch insbesondere an der geplanten begrifflichen Änderung. Prof. Dr. Jörg Kinzig kritisierte, dass der Entwurf in den meisten Bereichen nicht einer evidenzbasierten Kriminalpolitik entspreche. Es drohe der Verlust der Rechtsstaatlichkeit, wenn Kriminalpolitik nach den Vorgaben der Boulevardpresse betrieben werde. Vielmehr solle zum Schutz der Kinder ein Augenmerk auf die Prävention gelegt werden. Der Begriff der „sexualisierten Gewalt“ verwische schließlich den Unterschied zwischen sexuellen Handlungen mit und ohne Anwendung von Gewalt, was zu Auslegungsproblematiken führe. Dem schlossen sich auch Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer und Dr. Julia Bussweiler von der GenStA Frankfurt a.M. an. Letztere führte aus, dass es zu einer falschen Bewertung in der Gesellschaft führe, wenn ein bislang durchgängig negativ besetzter Begriff, wie der sexuelle Missbrauch, plötzlich umbenannt werde. Prof. Dr. Jörg Eisele äußerte sich ebenfalls kritisch zur Änderung der Begrifflichkeit des sexuellen Missbrauchs. Der Gesetzgeber meine zwar, das Unrecht der Taten besser zu verdeutlichen, verfehle damit aber die tatbestandliche Beschreibung. Außerdem entspreche der bisher gängige Begriff der einschlägigen EU-Richtlinie. Prof. Dr. Tatjana Hörnle gab zu bedenken, dass bei der Verwendung der generellen Begrifflichkeit „sexualisierte Gewalt“ alle die Formen der sexuellen Gewalt an Kindern verloren gingen, die mit brutalen körperlichen Attacken einhergehen und zu deren Charakterisierung die Begriffe erforderlich seien. Ein „Fehlschuss“ sei insbesondere die Annahme, dass man durch den Begriff des „Missbrauchs“ einen straflosen „Gebrauch“ von Kindern impliziere. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ sei eine Kurzfassung von „Missbrauch von Abhängigkeit und Unterlegenheit für sexuelle Zwecke“. Dr. Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund gab zu bedenken, dass der Gewaltbegriff im deutschen Strafrecht enger verstanden werde als im Völkerrecht und schlug die Verwendung des Begriffs „sexualisierte Übergriffe“ vor. Dr. Franziska Drohsel von der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend sprach sich als einzige Expertin für die Streichung des Begriffs des „sexuellen Missbrauchs“ aus. Was die Erhöhung des Strafrahmens betrifft, so waren sich die Experten einig, dass man mit dem Vorstoß über das Ziel hinaus schieße. Insbesondere die Heraufstufung des Grundtatbestandes zum Verbrechen lehnte die Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer ab. Es fehle eine rationale Begründung oder der empirische Beleg einer Wirksamkeit. Auch bei der beabsichtigten Einführung einer Strafbarkeit des Erwerbs von kindlichen „Sexpuppen“ würden Verhaltensweisen kriminalisiert, von denen man gar nicht wüsste, ob sie zwangsläufig zu Hands-on-Delikten führen. Dies widerspreche dem Ultima-Ratio-Grundsatz. Barbara Stockinger vom DRB betonte, dass eine Strafandrohung allein erfahrungsgemäß wenig Abschreckungswirkung entfalte. Die Anhebung des Strafrahmens bedeute nicht zuletzt auch eine massive Mehrbelastung der überlasteten Staatsanwaltschaften und Gerichte. Sie begrüßte jedoch die vorgesehene Erweiterung der Befugnisse der Ermittlungsbehörden, auch wenn die Umsetzung der Mindestspeicherfrist für Verkehrsdaten immer noch nicht erfolgt sei und dadurch ein wichtiges Instrument im Kampf  gegen die Kinderpornografie und sexualisierte Gewalt gegen Kinder fehle. Dr. Franziska Drohsel sprach sich für eine Erweiterung des Gesetzesentwurfs im Bereich des Opferschutzes aus. Außerdem sollte der Begriff der „Kinderpornografie“ abgeschafft und den Richterinnen und Richtern mehr Fachwissen in Bezug auf den Umgang mit traumatisierten Kindern vermittelt werden. 

Am 24. März 2021 beschäftigte sich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz mit dem Entwurf der Koalitionsfraktionen (BT Drs. 19/23707), dem Regierungsentwurf (BT Drs. 19/24901) sowie mit den Gesetzentwürfen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes (BT Drs. 19/20541), zur Stärkung des Kinderschutzes im familiengerichtlichen Verfahren (BT Drs. 19/20540) und dem Antrag „Prävention stärken – Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen“ (BT Drs. 19/23676). Der Ausschuss empfiehlt in seinem Bericht (BT Drs. 19/27928) die Annahme des Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD in geänderter Fassung unter gleichzeitiger einvernehmlicher Erledigterklärung des Regierungsentwurfs. Die Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie deren Antrag zur Stärkung der Prävention hat der Ausschuss abgelehnt. In der geänderten Fassung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen wurde insbesondere auf den Begriff der „sexualisierten Gewalt“ verzichtet. 

Am 25. März 2021 hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen beschlossen. Der Regierungsentwurf wurde nach der Abstimmung für erledigt erklärt. 

Am 7. Mai 2021 hat der Bundesrat den Gesetzesbeschluss des Bundestages gebilligt. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16. Juni 2021 wurde am 22. Juni 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 1810 ff.). Es tritt vorbehaltlich des Absatzes 2 am 1. Juli 2021 in Kraft. Mit Ausnahme des Artikels 4 treten die übrigen Regelungen am 1. Januar 2022 in Kraft, Artikel 4 schließlich am 1. Juli 2022. 

 

 

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