Eine „Fundgrube“ für Polizeireformer – Zum Abschlussbericht der Experten-Kommission „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“

von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel

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Abstract 
In der hessischen Polizei ist es wie in den Polizeibehörden anderer Länder seit 2018 vermehrt zu höchst problematischen und Besorgnis erregenden Vorfällen gekommen. Chats mit rechtsextremistischen, rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Inhalten, unbefugte Datenabfragen und mit diesen im Zusammenhang stehende Drohnachrichten etwa der „NSU 2.0“ haben zu einer Vielzahl von Maßnahmen der Auswertung und Nachbereitung geführt. Die im August 2020 eingesetzte unabhängige Experten-Kommission „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“ hat jüngst ihren Abschlussbericht vorgelegt, der neben einer akribischen Aufarbeitung der Geschehnisse eine Fülle an Vorschlägen und Empfehlungen enthält. Diese werden in diesem Beitrag im Überblick dargestellt und bewertet.

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Polizeiliche Fehlerkultur – Progressivität im strafrechtlichen Korsett?

von Wiss. Mit. Daniel Zühlke

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Abstract
Eine rechtsstaatliche Polizei bedarf eines konstruktiven Umgangs mit dem eigenen Fehlverhalten. Der vorliegende Beitrag untersucht strafrechtliche Mechanismen, die einer Fehlerkultur nach rechtsfehlerhafter Zwangsanwendung im Wege stehen können, und wirbt für eine Differenzierung zwischen Individualversagen einzelner Beamt*innen und Institutionsversagen der Behörde Polizei. Eine solche strafrechtlich dringend gebotene Abgrenzung ist im Rahmen der Körperverletzung im Amt gem. § 340 StGB nach geltender Rechtslage jedoch nicht möglich. Dies steht einer wirksamen Fehlerkultur im Wege, da der zumeist ergebnislose strafrechtliche Bearbeitungsautomatismus jede Möglichkeit echter Aufarbeitung von Fehlverhalten innerhalb der Polizei als Behörde im Strafrechtskorsett erstickt.

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Tierschutz in das Strafgesetzbuch: folgenlose Symbolik oder evidenzbasierte Kriminalpolitik?

von Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel und Dr. Matthias Wachter 

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Abstract 
Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen hat im März 2021 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Tierschutzgesetzes in den Bundestag eingebracht. Dieser sieht eine Verlagerung des § 17 TierSchG in das Strafgesetzbuch vor und verschärft Randbereiche der Strafvorschrift. Der Beitrag setzt sich kritisch mit den hierfür vorgebrachten Argumenten auseinander und plädiert für eine Beibehaltung des status quo.

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Strafbarkeitsrisiken und -möglichkeiten bei der Weitergabe einer Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung durch Verfahrensbeteiligte

von Prof. Dr. Carsten Momsen und Wiss. Mit. Paula Benedict

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Abstract 
Die Einführung eines Inhaltsprotokolls in der Hauptverhandlung des deutschen Strafverfahrens ist dringend geboten, um Fehlentscheidungen vor Eintritt der Rechtskraft korrigieren zu können. Ein solches Protokoll wird vielfältige personenbezogene Daten und damit schützenswerte Informationen enthalten. Sofern eine Bild-Ton-Dokumentation erfolgt, werden diese Daten besonders ausgeprägt enthalten sein, das Problem besteht aber auch bei einer reinen Audio-Dokumentation. Daher wird es notwendig, sich über den Schutz dieser sensiblen Daten auch in strafrechtlicher Hinsicht Gedanken zu machen. Nachfolgend wird dargelegt, dass ein sektoraler zusätzlicher Schutz durch einen neuen Straftatbestand sinnvoll erscheint.

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Henning Hofmann: Predictive Policing Methodologie Systematisierung und rechtliche Würdigung der algorithmusbasierten Kriminalitätsprognose durch die Polizeibehörden

von Oliver Michaelis, LL.M., LL.M. 

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2020, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15374-9, S. 339, Euro 89,90

I. Einleitung

Hofmann untergliedert seine Arbeit in eine Einleitung (Kap. A, S. 15-35) bei der er in das Thema einführt und dieses abgrenzt, sowie dann drei sich anschließende Themenkapitel (Kap. B-D, S. 36-293) und eine Schlussbetrachtung (Kap. E, S. 294-319).

Der Autor widmet sich mit dieser Arbeit der wichtigen und aktuellen Frage: welche Auswirkungen die weltweit ständig steigende gesamtgesellschaftliche Datenerhebung in Verbindung mit der dadurch ermöglichten algorithmusbasierten Kriminalitätsprognose durch die Polizeibehörden haben kann und wie diese Ausweitung der Handlungskompetenzen der Polizeibehörden rechtlich zu würdigen sind (S. 27 f). Diese Sammlung der Big Data[1], der Zettabyte umfassenden Datensätze, kann eine enorme „Chance für Polizei- und Sicherheitsbehörden [sein], mithilfe neuer Befugnisse Kriminalität zu bekämpfen und andere Bedrohungslagen zu entschärfen“ ist (S. 27), eine aber auch zu beachtende Kehrseite dieser Digitalisierung sind die in den letzten Jahren gehäuften „Hackerangriffe u.a. auf kritische Infrastrukturen“ (S. 27) sowie die damit zusammenhängende Cyber-Kriminalität.[2]

Im Jahr 2004 stellte bereits Schoch[3] zutreffend fest, dass die Möglichkeiten und Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundesgrenzschutzes (BGS – seit 2005 in Bundespolizei (BPOL) umbenannt) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz[4] v. 9.1.2002 deutlich erweitert wurden – auch durfte das Bundeskriminalamt (BKA) durch den neu geschaffenen § 7 Abs. 2 BKAG nun eigenständig Daten sowohl aus den öffentlichen als auch nicht öffentlichen Stellen erheben. Erkennbar wurden die Handlungsbefugnisse der Polizei zur Ermittlung von Straftaten deutlich ausgeweitet – dies erläutert der Autor an einigen Beispielen und führt damit anschaulich in die Thematik seiner Arbeit ein.

II. Zum Kapitel B: Terminologie und Handlungskonzepte – S. 36-129

Da bisher keine allgemeinverbindliche Definition des „Predictive Policing“[5] existiert, nähert sich Hofmann diesem Thema beginnend terminologisch an und gelangt so zu seinem Ergebnis, dass es um die Gewinnung und den Umgang von Datenmaterial sowie deren Nutzung zur Gewinnung von Prognosen über die zukünftige Kriminalitätsentwicklung geht (S. 40). Auf den Seiten 43-49 erklärt er die interessante Entwicklung – von dem ersten geospatialen Kartenmuster über das GIS-System[6], dem Blue CRUSH-Programm[7], über die PredPol[8] hin zu den aktuellen Entwicklungstendenzen. Die Seiten 49-111 nutzt Hofmann dann, um ausführlich im Abschnitt III. die technische Funktionsweise von Predictive Policing darzustellen. Äußerst interessant ist in diesem Kapitel auch die Darstellung über den gegenwärtigen Einsatz von Predictive Policing – sowohl international, als auch bezogen auf Deutschland (B. IV, S. 111-129).

III. Zum Kapitel C: Rechtliche Würdigung von Predictive Policing – S. 130-257

Im Kapitel 3 konzentriert sich der Autor vorrangig auf die Darstellung der verfassungsrechtlichen Würdigung von Predictive Policing für Deutschland (S. 130-198) mit einem Exkurs in Bezug auf die Würdigung nach US-amerikanischem Verfassungsrecht (S. 199-213) sowie der interessanten und aktuellen Thematik der Datenschutzrechtlichen Betrachtung im spezifischen Kontext des Polizeirechts (S. 213-257). Hofman erläutert die datenschutzrechtlichen Aspekte dabei sehr umfassend vor dem Hintergrund der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG), des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 Var. 3 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Berufsfreiheit (Art 12 GG), der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) sowie der Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und würdigt diese potenziellen Verfassungsbeeinträchtigungen dann umfassend vor dem Hintergrund des Predictive Policing. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels (S. 213-257) erfährt der Leser höchst interessante und gut aufgearbeitete Grundlagen der polizeilichen Datenverarbeitungsmethodik sowie deren normative Grundlagen mit den geltenden unionsrechtlichen Vorgaben der Union. Hofmann beschreibt dabei die grundsätzliche Regelung aus Art. 8 Abs. 1 GRC und Art. 16 Abs. 1 AEUV, welche den Datenschutz zum Regelungsinhalt haben sowie die RL[9] (EU) 2016/680, welche den Bedarf der mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden an der immer schneller werdenden Datenverarbeitung zur Kriminalitätsbekämpfung begründet. Die Grundsätze der Verarbeitung personenbezogener Daten werden dabei u.a. an den Aspekten der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung (Art. 4 Abs. 1 lit. a RL (EU) 2016/680), der Zweckbindung (Art. 4 Abs. 1 lit. b und c RL), des Gebots der Datenrichtigkeit (Abs. 4 Abs. 1 lit. d RL), der Datenminimierung (Art. 4 Abs. 1 lit. e RL) sowie des Gebots der Datensicherheit (Art. 4 Abs. 1 lit. f RL) erläutert.

IV. Zum Kapitel D: Chancen, Risiken und Handlungsempfehlungen – S. 258-293

Das vierte Kapitel über die Chancen, Risiken und Handlungsempfehlungen unterteilt Hofmann im Wesentlichen in drei Teile: Im Teil I (S. 258-267) werden die überschaubaren Chancen des Predictive Policing dargestellt. So offenbart Predictive Policing „eine vielversprechende Lösungsmöglichkeit zu sein, um effektiver und auch nachhaltiger gegen kriminelle Strukturen […] vorzugehen und gleichsam die […] Polizeikräfte sinnvoller einzusetzen, gar letzten Endes für [deren] Entlastung zu sorgen.“ (S. 259). Auch dem Aspekt, durch Predictive Policing Missstände in der Polizeiarbeit aufzudecken, kann einiges abgewonnen werden. Denn für gewöhnlich werden Polizeikontrollen im Vorfeld nicht begründet, „mit Predictive Policing wäre aber zumindest in manchen Fällen nachvollziehbar, warum einer bestimmten Handlung nachgegangen wurde.“ (S. 265). Durchaus ein nachvollziehbarer Vorteil.

In Teil II (S. 267-288) konzentriert sich der Autor auf die zahlreichen Risiken des Predictive Policing. So benennt er die mangelnde Objektivierbarkeit der Algorithmen, die mitunter umfangreichen Grundrechtseingriffe oder die fragwürdige ethische Grundlage, da „die Inputs zumeist ohne moralische Reflektion getätigt“ werden (S. 269), als Risiko für eine sinnvolle Anwendung. Ebenfalls sollte ein übertriebenes Technikvertrauen kritisch betrachtet werden, da die Abläufe in den Algorithmen zunehmend schwerer nachzuverfolgen sind, gerade auch, wenn sie durch Prozesse der Künstlichen Intelligenz (KI) erweitert werden. Weiterhin arbeitet kein System fehlerfrei – Sicherheitslücken, fehlerhafte Algorithmen, fehlerhafte Prognosen, fehlerhafte Anwendung und viele andere Risiken birgt das System und stellt mithin weiterhin eine ernstzunehmende Hürde dar. Diesen Bereich hat Hofmann sehr anschaulich und kritisch ausgearbeitet, so dass der Leser spätestens jetzt erkennen muss, dass die erträumte Zukunft hier noch nicht beginnen kann.

Mit 17 Lösungsvorschlägen in Teil III (S. 288-293) unter dem Stichwort „Best Practice-Ansätze für Predictive Policing“ rundet der Autor seine Darstellung sinnvoll ab.

V. Fazit

Die Darstellung Hofmann´s ist stets klar strukturiert und überzeugt in seiner Argumentation. Sie ist somit für den Fachkundigen, als auch für den (noch) fachfremden, aber interessierten Leser, eine gute Empfehlung. Hofmann´s Dissertation beschäftigt sich mit einem sehr wichtigen und weiterhin kritisch zu verfolgenden Thema. Auch wenn noch lange nicht alle Probleme gelöst sind, so stellt die vorliegende Arbeit doch schon einen Schlussstein dieser wissenschaftlichen Problematik dar – wie es Hofmann bereits selber beschreibt – und sie sei mithin ein „Ausgangspunkt für einen dringend angezeigten wissenschaftlichen sowie gesellschaftspolitischen Diskurs“ (S. 21). Dem kann nur zugestimmt werden.

 

[1]      Bspw. für Google Street View oder das Bestreben der Menschen ihre analogen Daten zu digitalisieren, um sie bspw. zu archivieren.
[2]      Weiterführend dazu, im Hinblick auf die Beweisverwertungsverboten bei durch Hacks erlangten Daten im Rahmen des CyberCrime, siehe: Michaelis, MMR 09/2020, 586-591.
[3]      Schoch, Der Staat 2004, 347, 351.
[4]      BGBl. I 2002, S. 361 – auch bekannt als „Sicherheitspaket II“.
[5]      „Predictive“ kann als Voraussage und „Policing“ als das Kontrollieren oder das Durchsetzen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch die Polizei umschrieben werden.
[6]      Geografisches Informationssystem (GIS) bei der Polizei.
[7]      Criminal Reduction Utilizing Statistical History (CRUSH), ein von der Stadt Memphis im US-Bundesstaat Tennessee von IBM beschafftes System, um seit 2006 damit Gesetzesübertritte vorhersehen zu können, bei dem das System neben polizeilichen Statistiken gerade auch auf öffentliche Quellen zurückgreift, wie Wetterberichte, geplante größere Veranstaltungen, Zahltage oder weiteres.
[8]      PredPol entstand 2010 aus einem Forschungsprojekt zwischen dem Los Angeles Police Department (LAPD) und der University of California, Los Angeles (UCLA); es stellt den in den USA am häufigsten verwendeten Algorithmus für die vorausschauende Polizeiarbeit dar – doch mangels einer unzureichenden Überwachung des Systems und einer nicht genauen und nachvollziehbaren Messung der Wirksamkeit beendete im April 2020 das LAPD offiziell das PredPol-Programm.
[9]      Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates.

 

 

Thomas Galli: Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen

von RA Dr. André Bohn, LL.M.

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2020, Edition Körber, Hamburg, ISBN: 978-3-89684-279-4, S. 304, Euro 18,00.

I. Einleitung

In der Strafrechtswissenschaft wird das im Strafgesetzbuch niedergelegte Sanktionensystem, das insbesondere Freiheits- und Geldstrafen vorsieht, kaum kritisch hinterfragt. Die Rechtfertigung von Freiheitsstrafen in der momentanen Form beruht maßgeblich auf Axiomen hinsichtlich der Wirkung von Strafen. Dabei ist längst bekannt, dass es deutlich sinnvollere Strafen als Freiheitsstrafen gibt. Thomas Galli fasst die Kritik an Gefängnisstrafen in seiner Monografie „Weggesperrt, Warum Gefängnisse niemandem nützen“ pointiert zusammen und setzt auch eigene Akzente. Dabei ist Galli mit seinem wissenschaftlichen und beruflichen Hintergrund prädestiniert dazu, ein solches Buch zu schreiben: Er war 15 Jahre lang im Strafvollzug tätig, zuletzt hintereinander als Leiter zweier Justizvollzugsanstalten, hat Rechtswissenschaften, Kriminologie und Psychologie studiert und zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zum Strafvollzug veröffentlicht. Kurzum: Er weiß, wovon er spricht, bzw. schreibt.

Obwohl der Titel leicht reißerisch wirkt, genügt das Buch durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen, richtet sich aber mit der überschaubaren Anzahl an Fußnoten und einigen Anekdoten aus dem Justizvollzug nicht ausschließlich an Fachpublikum. Die geäußerte Kritik ist vielmehr für jedermann verständlich und nachvollziehbar, auch ohne Hintergrundwissen.

Das Buch beginnt mit einer persönlichen Schilderung des Werdegangs des Autors und bereits angedeuteter exemplarisch vorgebrachte Kritik am bestehenden Gefängnissystem. Es folgen 14. Kapitel mit Unterkapiteln. Zunächst werden die Fragen beantwortet, warum wir Strafen (Kapitel 1, S. 21 ff.) und warum es Gefängnisse gibt (Kapitel 2, S. 31 ff.). Danach wird aufgedeckt, dass das hehre Ziel des Strafvollzugs, nämlich die Resozialisierung des Täters, die in nahezu jedem Strafvollzugsgesetz der Länder niedergelegt ist, und der sogar Verfassungsrang zukommt,[1] kaum einmal erreicht wird (Kapitel 3, S. 38 ff.). Vielmehr stellt der Autor die nahezu umgekehrte These auf, dass Gefängnisse unsere Sicherheit gefährden (Kapitel 4, S. 101 ff.). Weitere wichtige Kapitel befassen sich beispielsweise damit, dass abstrakte Strafandrohungen meist nicht abschrecken (Kapitel 5, S. 107 ff.) und dass das Prinzip von Schuld und Vergeltung überholt ist (insbesondere Kapitel 7, S. 119 ff.) Galli tritt dafür ein, das Sanktionensystem nach dem Verantwortungsprinzip und nicht nach dem Vergeltungsprinzip zu strukturieren (Kapitel 9, S. 170 ff.). In den letzten drei Kapiteln (Kapitel 12, 13 und 14, S. 181 ff.) entwirft Galli dann konkrete Alternativen zum momentanen Strafsystem.

II. Kritik am bestehenden System

1. Wie beschrieben klingt bereits auf den ersten Seiten Kritik am bestehenden Sanktionssystem an: So greift der Autor sich zum Beispiel die zahlreichen Disziplinarverfahren in Justizvollzugsanstalten bei Verstößen gegen die Anstaltsordnung heraus (S. 10 f.). Gerade die Sanktionierung von Drogenkonsum in der Anstalt sei bei Suchtkranken völlig fehl am Platz. Dem kann uneingeschränkt zugestimmt werden. Diesbezüglich setzt sich die generelle Problematik der strafrechtlichen Ahndung von Drogenkonsum in der Justizvollzugsanstalt fort.

Außerdem erläutert Galli in der Einleitung kurz, dass der Strafvollzug im Rahmen des strafrechtlichen Studiums kaum behandelt wird (S. 9 f.). Leider geht der Autor darauf nicht näher ein. Meines Erachtens liegt darin bereits ein Grundproblem: Unserer Sanktionensystem wird im Rahmen der Ausbildung nicht kritisch hinterfragt, was dann schlussendlich dazu führt, dass Praktiker*innen ohne mit der Wimper zu zucken lange Haftstrafen fordern oder verhängen ohne sich der Tragweite und Sinnhaftigkeit entsprechender Strafen bewusst zu sein.

2. In dem Kapitel über die Begründung von Strafe wagt Galli einen Blick über den Tellerrand, wenn er ausführt, dass Rache- und Vergeltungsgedanken wesentlich auf das Umfeld zurückzuführen sind, in dem eine Person sozialisiert wurde (S. 27, hier auch zum Folgenden). Dafür führt er Beispiele aus anderen Ländern an. Diese Erörterungen sind ein wichtiger Schritt dazu, die Leser*innen zum kritischen Nachdenken anzuregen. Dies ist auch notwendig, weil unser Sanktionssystem, das maßgeblich auf Freiheitsstrafen basiert, wie bereits angedeutet von Akteuren im Bereich der Strafrechtspflege kaum und von der breiten Bevölkerung so gut wie gar nicht in Frage gestellt wird. Es ist wichtig, dass man sich klarmacht, dass es das Gefängnis nicht schon immer gab, sondern es vielmehr „vor einigen Jahrhunderten erfunden“ (S. 31) wurde.

3. Sodann räumt der Autor mit Ziel der Resozialisierung auf. Vor dem Hintergrund des hohen Stellenwerts der Resozialisierung in den Strafvollzuggesetzen sei es erstaunlich, dass die Frage, ob der Strafvollzug dieses Ziel erreicht, durch die Justiz kaum hinterfragt wird (S. 46). Dieser Umstand ist zwar fatal, wundert mich aber vor dem Hintergrund der Lerninhalte des juristischen Studiums nicht. Kritisches Nachdenken und Hinterfragen wird im Rahmen des Studiums und des Referendariats allenfalls in Seminaren geschult. Eine rationale Kriminalpolitik müsste zu dem Ergebnis kommen, die Freiheitsstrafe abzuschaffen oder zumindest stark zu verändern, wenn der Zweck der Resozialisierung in den meisten Fällen nicht erreicht wird (vgl. zum Scheitern der Ansprüche der jeweiligen Strafvollzugsgesetze auch S. 99).

a) Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Resozialisierung sind derzeit Lockerungen, sogenannte vollzugsöffnende Maßnahmen. Inhaftierten werden auf Antrag Freigänge oder andere Lockerungen erlaubt, wenn keine Flucht- oder Missbrauchsgefahr in Bezug auf die Begehung von Straftaten gegeben ist. Galli schildert die derzeitige Situation hinsichtlich solcher Lockerungen: Es werden sehr viele entsprechende Anträge gestellt, die allermeisten werden abgelehnt, wenn etwas passiert wird ein enormer Druck auf die Anstaltsleitung ausgeübt und es kommt gegebenenfalls sogar zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Verantwortlichen für den Freigang, obwohl Studien darauf hindeuten, dass die meisten Inhaftierten, deren Anträge abgelehnt wurden, den Freigang tatsächlich nicht missbraucht hätten oder geflohen wären (S. 54 f. und Fn. 49).[2]

b) Dass es im Gefängnis überhaupt kaum zu einer Resozialisierung kommen kann, liegt zu einem wesentlichen Teil auch daran, dass die Inhaftierten in der Haft keinerlei Verantwortung übernehmen müssen und nahezu alles fremdbestimmt ist, so Galli (S. 64 f.). Es ist – euphemistisch formuliert – nicht nachvollziehbar, wie die Inhaftierten unter diesen Umständen lernen sollen, nach der Entlassung wieder für alles selbst verantwortlich zu sein und die richtigen Entscheidungen zu treffen, die nicht in der Begehung von Straftaten münden.

c) Galli räumt zwar ein, dass in den Justizvollzugsanstalten Maßnahmen wie Suchttherapien und Arbeit angeboten werden beziehungsweise Arbeit sogar verpflichtend ist (S. 74 f., hier auch zum Folgenden); er entlarvt diese Angebote und Verpflichtungen aber: Die Zwangsarbeit in den Gefängnissen sei nicht nötig, „um die Inhaftierten auf ein rechtstreues Leben in Freiheit vorzubereiten“ (S. 74), wie es so oft behauptet wird, sondern sie diene der Beschäftigung und Ruhigstellung der Gefangenen und führe wegen den so geringen Entlohnung sogar noch zu Gewinnen des Staates.[3] Hinsichtlich mancher Therapieangebote sei von vorneherein klar, dass diese nicht ansatzweise ausreichen, um den Gefangenen von der Begehung weiterer Straftaten abzubringen. Die JVA könne sich dann aber auf die durchgeführte Therapie berufen, wenn es bei Lockerungen zum Beispiel zu Straftaten kommt.

d) Zudem ist das Risiko, dass die Gefangenen während der Inhaftierung kriminell(er) werden, groß, sei es beispielsweise, weil erwartet wird, Gewalt anzudrohen oder auszuüben, um sich zu behaupten oder aufgrund einer sich in der Haft entwickelnden Drogensucht, weil manche die Situation ohne Drogen kaum ertragen (vgl. S. 80 f.).

e) Die wenigen Ressourcen, die zur Verfügung stehen, werden laut Galli noch nicht einmal ansatzweise größtenteils für die Resozialisierung der Inhaftierten eingesetzt. Vielmehr geht Galli hinsichtlich 80 Prozent der Ressourcen davon aus, dass diese für Sicherung, Kontrolle, Disziplinierung und Verwaltung und gerade nicht für die Resozialisierung genutzt werden (S. 81). Außerdem sei die Stigmatisierung ehemals Inhaftierter ein starker Hinderungsgrund der Resozialisierung (S. 155).

Galli merkt an, dass die nicht vorhandene Fehlerkultur in der Justiz Teil des Problems ist, weil sie positive Entwicklungen und Änderungen hin zu einem menschenfreundlicheren Strafvollzug verhindert (S. 97 f.). Dem ist zuzustimmen, weil eine Justiz, die nur sehr ungerne Fehler einräumt,[4] sicherlich nicht bereit ist, sich dazu zu bekennen, dass jahrzehntelang relativ sinnlose Freiheitsstrafen von der Justiz verhängt wurden ohne dies im Rahmen der Möglichkeiten kritisch zu hinterfragen.

5. Auch stimmt es nicht, dass Gefängnisse unsere Sicherheit erhöhen (S. 105, hier auch zum Folgenden). Dies mag für die Zeit des Vollzugs der Fall sein, aber sicherlich nicht für die Zeit danach. Zudem orientieren sich die Sicherungsmaßnahmen in den Anstalten an besonders gefährlichen Gefangenen, sodass die Mehrheit der nicht oder nur sehr bedingt gefährlichen Insassen mehr oder weniger grundlos zahlreichen restriktiven Einschränkungen in Haft unterliegt. Galli fordert folgerichtig, die einschneidenden Maßnahmen nur noch auf die geringe Anzahl an Schwerstkriminellen anzuwenden (S. 105).

6. Auch fordert Galli mehr Empathie und Einfühlvermögen ein; denn niemand könne in Bezug auf kleinere Delikte ausschließen nicht selber einmal zum Täter oder zur Täterin zu werden (S. 116, hier auch zum Folgenden). Mache man sich dies klar, führe das vielleicht zu einem Sinneswandel hinsichtlich des Wunsches, Straftäter schnell und möglichst lange wegzusperren. Diejenigen, die für große Ungerechtigkeiten auf der Welt verantwortlich seien, würden ohnehin eher selten mit Gefängnisstrafen sanktioniert (S. 117). Diese Aussage mutet etwas populistisch an, aber die Stoßrichtung und der Gedankengang werden deutlich, wenn er erhebliche Menschenrechtsverletzungen gegenüberstellt mit dem Diebstahl geringwertiger Sachen oder den Verkauf von Drogen. Zwar hinkt der Vergleich etwas; im Kern hat Galli jedoch Recht. Man kann sich bei vielen Straftatbeständen vor diesem Hintergrund durchaus die Frage deren Legitimation und damit auch der darauf beruhenden Sanktionierung stellen. Darauf und auf entsprechende Ent- und Dekriminalisierungsforderungen wird noch zurückzukommen sein.

7. Auch weist Galli auf die negativen Folgen der Inhaftierung auf nahestehende Personen hin, insbesondere auf Kinder der Inhaftierten (S. 134 f., hier auch zum Folgenden). Zu Recht betont der Autor, dass diese Personen kein strafbares Verhalten an den Tag gelegt haben, das negative Konsequenzen für sie rechtfertigen könnte. Wenn Elternteile teilweise jahrelang weggesperrt werden, hat das aber natürlich negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes. Dass insbesondere die Kinder, aber auch Partnerinnen und Partner und der Freundeskreis unter der Inhaftierung leiden, ist nicht nur unfair, sondern auch resozialisierungshindernd für die inhaftierte Person.

8. Galli kritisiert zudem mit den schon häufig diskutierten Argumenten die Ersatzfreiheitsstrafen, die verhängt werden, wenn jemand zu einer Geldstrafe verurteilt wird, diese aber nicht zahlen kann (S. 163 f.). Im Gegensatz zu seinen anderen Thesen und Forderungen dürften ihm diesbezüglich die Mehrzahl der Praktiker*innen zustimmen, auch weil die Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen das System nicht in seinen Grundfesten erschüttert wie Gallis andere Forderungen.

9. Der Autor streift außerdem die große Diskussion um die Willensfreiheit als Grundvoraussetzung unseres Strafrechts,[5] wenn er unter Verweis auf Studien, die auf einen großen Einfluss äußerer Faktoren und der Veranlagung auf Kriminalität hindeuten, ausführt, dass es nicht gerecht sei, jemanden zu bestrafen, weil er oder sie Risikofaktoren in sich vereint, auf die die Person keinen Einfluss hatte (S. 164 f., vgl. auch S. 167 ff.).

10. Galli stellt auch klar, dass die Mehrheit der Bevölkerung keiner großen Gefahr ausgesetzt ist, Opfer einer Straftat zu werden (S. 186, hier auch zum Folgenden). In den Gefängnissen sitze nur eine geringe Anzahl an Gewaltverbrechern ein, sodass in der Öffentlichkeit ein falsches Bild hinsichtlich des Risikos, Opfer einer (Gewalt-) Tat zu werden, entstehe, was im Enddefekt einer realistischen Fokussierung auf die Opfer und deren Schutz im Weg stehe.

11. Bei der ganzen Kritik verliert Galli auch nicht den Blick auf das große Ganze, wenn er feststellt, dass eine Justizvollzugsanstalt kein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist, weil Personen aus unteren sozialen Schichten deutlich überrepräsentiert sind bei den Gefängnisinsassen. Es sei gerade nicht so, dass die Menschen eingesperrt würden, die ihren Mitmenschen und/oder der Gesellschaft den größten Schaden zufügen (S. 187). Dies steht im Einklang damit, dass Kriminalität im Bereich der Kriminologie teilweise viel umfassender verstanden wird, als das Verhalten, das gegen strafrechtliche Verbote verstößt, und das Augenmerk eher auf den Schaden gerichtet wird, der aus bestimmten Verhaltensweisen, die teilweise vollkommen legal sind, resultiert.[6] In eine ähnliche Richtung gehen die Ausführungen dazu, dass ein Großteil der Strafgesetze das Vermögen schützt und damit in erster Linie Personen, die über Vermögen verfügen (S. 206, hier auch zum Folgenden). Letztlich geht damit eine Absicherung unseres kapitalistischen Systems einher. Dies muss nicht zwangsläufig falsch sein, man sollte sich diese Umstände aber bewusst machen.

12. Die Kritik am bestehenden System wird pointiert nochmal auf S. 180 zusammengefasst bevor der Autor eigene Ansätze zur Reaktion auf die Begehung von Straftaten entwickelt. Insgesamt stellt Galli dem bestehenden Strafsystem zu Recht ein vernichtendes Ergebnis aus. Dem kann man auch nicht die angebliche Kuscheljustiz in Deutschland und der Vergleich mit anderen Ländern und womöglich noch schlechteren Bedingungen entgegenstellen.

III. Eigenes Konzept des Autors

1. Ausgangspunkt eigener Überlegungen des Autors zu künftigen Reaktionen auf Straftaten ist die Reue des Täters und darauf aufbauend Wiedergutmachung und Vergebung seitens des Opfers (S. 122 f., hier auch zum Folgenden). Der Reue stellt Galli die Vergeltung gegenüber, die maßgeblich unser derzeitiges Sanktionssystem bestimme, aber nicht zielführend sei, vielmehr häufig Wiedergutmachung und Vergebung entgegenstehe (S. 154). Den Begriff der Schuld will Galli durch den Begriff der Verantwortung ersetzen, der im Gegensatz zum Begriff der Schuld einen Bezug zu den Mitmenschen aufweise und daher auf einen Ausgleich mit den durch die Straftat Betroffenen/Verletzten angelegt ist (S. 172 f.). Außerdem müsse mehr präventiv unternommen werden, und soziale und emotionale Kompetenzen von Jurist*innen müssten eine größere Rolle spielen.

Beide Ansätze sind richtig und nachvollziehbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass zumindest ich in der Praxis den Eindruck gewinne, dass die berufsmäßig an einem Strafverfahren Beteiligten die sozialen, emotionalen und in der Person des Angeklagten liegenden Gründe für die Begehung von Straftaten häufig weder thematisieren noch entsprechende Hintergrundkenntnisse haben. Gerade im Strafrecht als dem schärfsten Schwert des Staates sollte aber allen Beteiligten klar sein, dass es um viel mehr geht als die stumpfe Anwendung wie auch immer gearteter Strafgesetzgebung und der gebetsmühlenartig ausgeurteilten Freiheits- oder Geldstrafe. Der Autor plädiert beispielsweise für die Einführung der generellen Möglichkeit, als Strafe die Ableistung von Sozialstunden, also gemeinnütziger Arbeit, zu implementieren (S. 228 f.), was momentan nur in sehr engen Grenzen möglich ist. An dem Beispiel, dass in der jüngeren Vergangenheit als neue allgemeine Strafe das Fahrverbot eingeführt wurde, obwohl dies – nicht nur verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 3 GG – problematisch erscheint,[7] sieht man, dass solche Änderungen möglich sind, wenn der politische Wille dazu besteht.

2. Nicht neu, aber trotzdem nach wie vor richtig, sind Forderungen nach umfassenden Ent- und Dekriminalisierungen von vielen Betäubungsmitteldelikten,[8] Eigentumsdelikten bei geringwertigen Sachen, Beförderungserschleichung und vielem mehr (S. 232). In den Niederlanden hat man gute Erfahrungen mit entsprechenden Umsetzungen gemacht (S. 233). Nicht nur vor dem Hintergrund, dass die Anzahl der wegen solcher Delikte einsitzenden Personen ziemlich hoch ist und dies wegen des Bagatellcharakters der Anlassdelikte und der Kosten des Strafvollzugs unverhältnismäßig erscheint, sollten solche Ent- und Dekriminalisierungen ernsthaft in Betracht gezogen werden.

3. Pointiert stellt Galli das bestehende System seinem Vorschlag zum Ende der Monographie anhand eines konkreten Beispiels aus Sicht des Täters dar (S. 234 ff.). Dies veranschaulicht die Unterschiede und die negativen und positiven Folgen der beiden Systeme nochmal plastisch. Es folgen dann konkretere Umsetzungsvorschläge zu den zuvor abstrakt dargestellten Veränderungen des bestehenden Systems, so zum Beispiel die Einteilung der Delikte in verschiedene Unrechtskategorien (S. 242 ff.). Danach folgt nochmals ein konkretes Beispiel, dieses Mal aus Sicht des Opfers, um zu veranschaulichen, dass die Vorschläge des Autors sich mitnichten lediglich zugunsten des Täters auswirken, sondern vielmehr allen Beteiligten und auch der Gesellschaft an sich mit einem anderen Strafrechtssystem geholfen wäre (S. 256 ff.).

4. Die Monographie nimmt am Ende einen der wahrscheinlichsten häufigsten Einwände gegen eine Änderung des Systems vorweg. Galli thematisiert – ebenfalls anhand eines Beispiels – die schwersten Fälle und zeigt, dass sein Vorschlag bzw. seine Vorschläge auch mit solchen Personen, die indes nicht so omnipräsent sind, wie es in den Medien häufig suggeriert wird (s. dazu auch Fn. 174), umgehen kann (S. 262 ff.).

5. Wenn es um die tatsächliche Umsetzung geht, berichtet der Autor zunächst, dass viele Personen mit dem derzeitigen Justizvollzug ihr Geld verdienen, weil sie berufsmäßig damit beschäftigt sind. Diese Personen seien naturgemäß eher gegen grundlegende Änderungen des Systems (S. 190). Trotzdem ist festzuhalten, dass eine Änderung nicht unmöglich erscheint und – wie dargestellt – viele rationale Argumente für eine solche Änderung sprechen. Um es mit den Worten des Autors zu sagen: „Irgendwann wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass härtere Strafen keine Straftat verhindern und Gefängnisse nicht resozialisieren, so dass es auch für politische Kräfte zunehmend schwerer wird, aus entsprechenden Forderungen populistischen Gewinn zu ziehen.“ (S. 198).

IV. Fazit 

Insgesamt handelt es sich um eine enorm wichtige Monografie, die dazu einlädt, althergebrachte Axiome unseres Sanktionensystems kritisch zu hinterfragen. Jede*r berufsmäßig mit strafrechtlichen Sanktionen Befasste sollte dieses Buch gelesen haben; denn durch die tagtäglich in deutschen (Straf-)Gerichtssälen an den Tag gelegte Praxis des Strafens manifestiert sich das bestehende System stets von Neuem, obwohl es aus wissenschaftlicher Sicht längst als überholt gelten muss.

 

[1]      Vgl. nur: BVerfG 2 BvR 1156/19 Rn. 21.
[2]      Eine aktuelle Entscheidung des BGH zu solchen strafrechtlichen Ermittlungen, die auch Galli als Beispiel anführt, findet sich unter dem Aktenzeichen 2 StR 557/18.
[3]      Siehe auch eine aktuelle umfassende Recherche zur Arbeit in Justizvollzugsanstalten: Stukenberg/Argüeso, „Made in Germany“ –  Wer von der Arbeit in Gefängnissen profitiert, 2021, online abrufbar unter: https://correctiv.org/aktuelles/justiz-polizei/leben-im-gefaengnis/2021/07/21/made-in-germany-wer-von-der-arbeit-in-gefaengnissen-profitiert/ (zuletzt abgerufen am 25.7.2021).
[4]      Siehe dazu nur exemplarisch eine Kurzdokumentation zu einem Wiederaufnahmeverfahren: https://www.zdf.de/politik/frontal-21/unschuldig-im-gefaengnis-102.html (zuletzt abgerufen am 12.4.2021).
[5]      Siehe dazu recht aktuell nur: Mosch, Schuld, Verantwortung und Determinismus im Strafrecht, 2018, passim.
[6]      Siehe zu solchen Ansätzen nur: Rothe/Kauzlarich: Crimes of the Powerful: An introduction, 2016, S. 3 f. m.w.N.
[7]      Siehe dazu z.B. Schöch, NStZ 2018, 15 ff.
[8]      Ein aktueller Normkontrollantrag hinsichtlich des BtMG und der Sanktionierung des Besitzes geringer Mengen Cannabis des Richters am Amtsgericht Bernau Müller findet sich hier: https://hanfverband.de/files/vorlagebeschluss_20_04_2020_amtsgericht_bernau.pdf (zuletzt abgerufen am 5.4.2021).

 

 

„Das Phänomen ‚Digitaler Hass’ – ein interdisziplinärer Blick“ – Bericht zu der Online-Tagung der Universität Leipzig

von Wiss. Mit. Hannah Heuser und Wiss. Mit. Alexandra Witting 

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Am 8.7.2021 fand die Online-Tagung „Das Phänomen ‚Digitaler Hass’ – ein interdisziplinärer Blick“ statt.[1] Die Zunahme aggressiver Äußerungen und eine „Verrohung“ der Sprache wird bereits seit Jahren in den Medien thematisiert und stellt neben der (Rechts-)Wissenschaft und der Politik auch die Zivilgesellschaft vor die Frage, wie ein angemessener Umgang mit Hasskommentaren im digitalen Raum aussehen sollte. Um digitalem Hass und Online Hate Speech sachgerecht begegnen zu können, lohnt ein genauerer Blick auf deren Ursachen, Ausprägungen und Folgen.

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Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit)

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 21. Juni 2021: 

 

 

 

Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit)

Gesetz zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) vom 21. Dezember 2021: BGBl. I 2021, S. 5252 f. 

 

Gesetzliche Regelung zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Freigesprochenen in § 362 Nr. 5 StPO verfassungswidrig

Entscheidung im Volltext 

Am 31. Oktober 2023 hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass § 362 Nr. 5 StPO mit dem in Art. 103 Abs. 3 GG statuierten ne bis in idem Grundsatz und dem Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 3  GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar und damit nichtig ist. Die Entscheidung erging im Ergebnis einstimmig. Im Hinblick auf die Abwägungsfestigkeit des grundrechtsgleichen Rechts des Art. 103 Abs. 3 GG erging die Abstimmung mit 6:2 Stimmen (Sondervotum Richter Müller und Richterin Langenfeld).

§ 362 Nr. 5 StPO wurde im Dezember 2021 durch das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ in die StPO eingefügt. Ein Strafverfahren gegen den rechtskräftig Freigesprochenen konnte demnach wiederaufgenommen werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes, Völkermordes, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder des Kriegsverbrechens verurteilt wird. Der Verfassungsbeschwerde ging im Jahr 1983 ein Freispruch des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und des Mordes voraus. Sie richtet sich gegen den Beschluss des LG Verden vom 25. Februar 2022 – 1 Ks 148 Js 1066/22, in dem es den Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft am LG Verden für zulässig erklärte und Untersuchungshaft anordnete sowie gegen den Beschluss des OLG Celle vom 20. April 2022 – 2 Ws 86/22 (zur Entscheidung des OLG Celle siehe auch die Anmerkung von Fischer, KriPoZ 2022, 128 ff.), das die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf. Der Beschwerdeführer sah seine Rechte aus Art. 103 Abs. 3 sowie aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Das BVerfG stellte nun klar, dass das abstrakte Prinzip des Strafklageverbrauchs in Art. 103 Abs. 3 GG als grundrechtsgleiches Recht ausgestaltet sei und dem Verurteilten wie Freigesprochenen gleichermaßen Schutz gewähre, der sich auch gegenüber dem Gesetzgeber entfalte. Dieser könne das Verbot mehrfacher Strafverfolgung nicht durch eine einfachgesetzliche Regelung der Wiederaufnahme umgehen. Vizepräsidentin des BVerfG Prof. Dr. Doris König äußerte bei der Urteilsverkündung, dass jeder Betroffene darauf vertrauen können müsse, dass er nach dem Abschluss eines regelmäßig durchgeführten strafgerichtlichen Verfahrens nicht nochmal wegen derselben Tat vor Gericht stehen müsse. Er dürfe nicht zum Objekt der Ermittlungen des wahren Sachverhalts gemacht werden. Soweit § 362 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme für Verfahren ermöglicht, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits abgeschlossen waren, verstoße dies gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und stellt eine „echte“ Rückwirkung dar, die grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig sei.

Ein abweichendes Votum erging durch Richter Müller und Richterin Langenfeld. Sie sehen den Gewährleistungsinhalt des Art. 103 Abs. 3 GG nicht als abwägungsfest und grundsätzlich für eine Ergänzung der bestehenden Wiederaufnahmegründe offen. Schließlich seien die Möglichkeiten einer Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen gemäß § 362 Nr. 1-4 StPO verfassungsrechtlich unbedenklich und dem Gesetzgeber stehe eine Ergänzung der Wiederaufnahmegründe unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen offen. Art. 103 Abs. 3 GG sei insofern ein grundrechtsgleiches Recht, das verfassungsimmanenten Schranken unterliege. Die Wiederaufnahme gem. § 362 Nr. 5 StPO habe die Stabilisierung und Sicherung des Rechtsfriedens sowie die Durchsetzung von Normen zum Ziel und schütze damit höchstrangige Rechtsgüter. Darüber hinaus sei dies von fundamentalem völkerrechtlichen Interesse. Ob der streitgegenständliche § 362 Nr. 5 StPO verhältnismäßig und im engeren Sinne hinreichend bestimmt sei, bedürfe einer näheren Prüfung. Jedenfalls sei das Verbot der „echten“ Rückwirkung aus Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG betroffen. 

Einen Alternativ- und Ergänzungsvorschlag zur Reform der Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten von Freigesprochenen machte bereits Dr. Boris Bröckers in KriPoZ 2022, 15 ff. und Prof. Dr. Wolfgang Mitsch widmete sich in KriPoZ 2023, 371 ff. der Frage, warum § 362 Nr. 5 StPO aufgehoben werden sollte.

 


Gesetzentwürfe: 

 

Am 9. Juni 2021 haben die Fraktionen der CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten gem. § 362 StPO in den Bundestag eingebracht. Hintergrund ist, dass bei einer Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten neue Tatsachen und Beweismittel als allgemeiner Wiederaufnahmegrund zugelassen sind, im umgekehrten Fall jedoch nicht. Hier ist ein glaubhaftes gerichtliches oder außergerichtliches Geständnis erforderlich. Dies führe nach Ansicht der Fraktionen zu unbefriedigenden Ergebnissen, insbesondere wenn bei den schwersten Straftaten nachträgliche Beweismittel einen eindeutigen Hinweis auf eine Täterschaft geben. So könnten beispielsweise neue technische Untersuchungsmethoden weitere Beweismittel liefern. 

Der Entwurf sieht daher vor, die Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen bei schwersten Straftaten zu ermöglichen, wenn: 

  • nach Abschluss des Gerichtsverfahrens neue, belastende Beweismittel vorliegen
  • sich aus den Beweismitteln die hohe Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergibt und
  • eine Abwägung zwischen den Grundsätzen materieller Gerechtigkeit und des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit ergibt, dass das Festhalten an der Rechtskraft des freisprechenden Urteils zu unerträglichen Ergebnissen führt.

Letzteres wiege dann besonders schwer, wenn es sich um abgeurteilte Delikte handele, die nicht der Verjährung unterliegen. Daher bedürfe es eines weiteren eng umgrenzten Wiederaufnahmegrundes in § 362 StPO. Um dem Grundsatz ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG) gerecht zu werden, sollen die möglichen Fälle der Wiederaufnahme auf den Tatvorwurf des Mordes (§ 211 StGB) und auf den Vorwurf von  Tötungsverbrechen nach dem VStGB begrenzt werden, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind. 

Die Fraktionen schlagen vor, § 362 StPO eine Nr. 5 hinzuzufügen:

„5. wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.“

Am 11. Juni 2021 wurde der Gesetzentwurf nach einer halbstündigen Debatte zwecks weiterer Beratung in den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Dort fand am 21. Juni 2021 bereits eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen finden Sie hier. Die Experten sprachen sich überwiegend für den Entwurf zur Wiederaufnahme von Strafverfahren aus. Wolfram Schädler betonte, dass in einem Rechtsstaat nicht beliebig Urteile ausgetauscht werden dürften, die mit ihrem Ergebnis missfallen. Der Entwurf sei aber dahingehend zu begrüßen, da er die Wiederaufnahme nur auf unverjährbare Delikte wie Mord oder Völkermord beschränke. Auch Prof. Dr. Jörg Eisele begrüßte den Entwurf und erklärte, dass dieser mit Art. 103 Abs. 3 GG durchaus vereinbar sei. Prof. Dr. Klaus F. Gärditz ergänzte, dass das öffentliche Interesse an einer schuldangemessenen Bestrafung in diesen Fällen von überragender Wichtigkeit sei. Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel erklärte, dass der Entwurf einer seit fast zwei Jahrzehnten geführten rechtswissenschaftlichen Debatte entspreche. Er bilde keineswegs die Basis für weitere Durchbrechungen der Rechtskraft durch zukünftige Gesetzesnovellen. 

Prof. Dr. Helmut Aust und Stefan Conen sahen den Entwurf kritischer und lehnten ihn aus verfassungsrechtlichen Gründen ab. Der Gesetzentwurf stehe insbesondere im Widerspruch zum Verbot der Doppelverfolgung. Aust sah außerdem noch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, wenn die vorgesehene Regelungen auch auf  „Altfälle“ Anwendung finde. Stefan Conen erinnerte in seiner Stellungnahme daran, dass ein solches Vorhaben bereits 2009 gescheitert sei und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zuletzt 2016 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Erweiterung der Wiederaufnahmegründe zuungunsten Freigesprochener Art. 103 Abs. 3 GG zuwiderlaufe. Dr. Ulf Buermeyer bewertete die derzeitige Debatte als kein gutes Zeichen für einen Rechtsstaat, da versucht werde, einen klaren Normbefehl zu relativieren. Der Bundestag soll sich bereits am 24. Juni 2021 abschließend mit dem Gesetzentwurf befassen. 

Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag den Entwurf der Bundesregierung in geänderter Fassung des Rechtsausschusses in zweiter und dritter Lesung angenommen. Am 17. September 2021 beschäftigte sich auch der Bundesrat abschließend mit dem Entwurf und verzichtete auf ein Vermittlungsverfahren. 

Das Gesetz zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) vom 21. Dezember 2021 (BGBl. I 2021, S. 5252 f.) wurde am 29. Dezember 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat bereits einen Tag später in Kraft. 

 

 

 

 

 

 

 

EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden

Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vom 31.5.2023: BGBl I 2023, Nr. 140

Gesetzentwürfe: 

Die Europäische Kommission hat am 23. April 2018 einen Richtlinienvorschlag zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vorgelegt. Am 23. Oktober 2019 wurde diese Richtlinie verkündet. Sie hätte bereits bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. In der vergangenen Legislaturperiode gab es hierzu bereits zwei Umsetzungsvorschläge (s.u.). 

Nun hat das BMJ am 13. April 2022 erneut einen Referentenentwurf für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das unionsrecht melden, veröffentlicht. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hierzu:

„Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber übernehmen Verantwortung für die Gesellschaft und verdienen daher Schutz, wenn sie Missstände bei ihren Arbeitgebern melden. Der nun vorgelegte Referentenentwurf soll ihnen Rechtsklarheit darüber geben, wann und durch welche Vorgaben sie bei der Meldung oder Offenlegung von Verstößen geschützt sind. Ein effektiver Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern liegt aber auch ganz maßgeblich im Interesse der Unternehmen und Behörden selbst. Durch den Aufbau von internen Meldesystemen erhalten Hinweisgeber die Möglichkeit, ohne Angst vor Repressalien Verstöße dort zu melden, wo sie am schnellsten untersucht und abgestellt werden können. So lassen sich Missstände beheben, aber auch Haftungsansprüche gegebenenfalls vermeiden.“

Kern des Entwurfs ist ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das von Änderungen im Bundesbeamtengesetz, Beamtenstatusgesetz, Soldatengesetz, Finanzdienstleistungsaufsichtgesetz, Geldwäschegesetz und im Versicherungsaufsichtsgesetz flankiert wird. Der Entwurf beinhaltet überwiegend die bereits im November 2020 geplanten Neuregelungen. Hinweisgeber sollen zukünftig frei zwischen internen und externen Meldestellen wählen können. Während die zentrale externe Meldestelle beim BMJ angesiedelt wird, soll es weitere Stellen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, beim Bundeskartellamt und beim BfJ geben. Ebenso steht es den Ländern frei, für Meldungen, die die Landes- oder Kommunalverwaltung betreffen, eigene externe Meldestellen einzurichten. Arbeitgeber in der Privatwirtschaft sowie im öffentlichen Bereich trifft eine Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen, sofern mindestens 50 Personen beschäftigt sind. Bei Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten besteht zudem die Möglichkeit eine gemeinsame Meldestelle einzurichten oder hierfür einen Dritten zu beauftragen. Die Regelungen aus dem Entwurf von November 2020 bzgl. der Meldungen an die Öffentlichkeit und zum Vertraulichkeitsgebot wurden beibehalten, genauso wie die Regelungen zur Anonymität der Meldungen und dem Schutz vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen. Bei Verstößen gegen das HinSchG soll eine Geldbuße drohen. 

Die Länder und Verbände hatten bis zum 11. Mai 2022 Zeit zu dem Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen finden Sie hier

Am 27. Juli 2022 hat das Kabinett das Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen und den Regierungsentwurf vorgestellt. Der Bundesrat beschäftigte sich erstmals am 16.09.2022 mit dem Entwurf. Die Ausschüsse hatten empfohlen (BR Drs. 372/1/22) entsprechend Stellung zu nehmen (BR Drs. 372/22(B)).

Am 19. Oktober 2022 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Grundsätzlich begrüßten die Experten den Regierungsentwurf. Jedoch wurden auch Mängel im Schutzkonzept für Whistleblower deutlich. Annegret Falter (Vorsitzende des Whistleblower Netzwerks) wies darauf hin, dass beispielsweise nicht strafwürdiges, aber unethisches Verhalten nicht erfasst sei. So wäre der unbekannte Whistleblower des RBB-Skandals nicht durch das Gesetzt geschützt oder Fälle der Vernachlässigung in der Altenpflege nicht erfasst. David Werdemann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte warf einen Blick auf den öffentlichen Dienst. Auch hier sei der Whistleblowerschutz weitgehend ausgehöhlt, da Dokumente mit einem besonderen Geheimhaltungsschutz (wie Verschlusssachen) nicht verwertet werden dürften.  Ebenso fehle in der Auflistung des Regierungsentwurfs das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit seinen Begrifflichkeiten sei das Gesetz zudem teilweise ungenau. Rechtsanwalt Dr. Nico Herold äußerte Bedenken dahingehend, dass ein potentieller Whistleblower gar nicht erkennen könne, ob er in seinem Fall auch tatsächlich durch das Schutzgesetzt erfasst wird. Damit sei dem Entgegenwirken der „Melde-Angst“ nicht ausreichend gedient. Dr. Simon Gerdemann kritisierte den Begriff des „Fehlverhaltens“ und äußerte den Vorschlag, diesen durch „erhebliche Missstände“ zu ersetzen. Damit soll klargestellt sein, dass nicht nur auf einzelne Personen beziehbare Sachverhalte erfasst seien. 

Als problematisch angesehen wurde auch das Fehlen eines Vorranges für unternehmensinterne Meldestellen vor den externen. Kristina Harrer-Kouliev (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) berichtete, dass bereits viele Unternehmen freiwillige Meldestrukturen geschaffen hätten, um von Fehlverhalten in den eigenen Reihen Kenntnis zu erlangen. Jedoch sei auch gerade bei kleineren Unternehmen „die Sorge vor dem Gesetz groß“, da die Pflicht der Einrichtung einer Meldestelle für Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern mit erheblichen Kosten verbunden sei, so Hildegard Reppelmund vom Deutschen Industrie- und Handleskammertag. Auch wachse angesichts des im Entwurf vorgesehenen Kündigungsschutzes die Angst vor falschen Anschuldigungen. Im Bereich des Kündigungsschutzes sah dagegen Jana Wömper vom Deutschen Gewerkschaftsbund Verbesserungsbedarf. „Wer Missstände meldet, handelt im Interesse aller“, betonte sie. In den Schutzkreis mit aufzunehmen seien vor allem auch die Mitarbeiter in betriebsinternen Meldestellen. 

Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn kritisierte die Möglichkeit, sich an die Öffentlichkeit wenden zu können, wenn eine externe Meldestelle den Hinweis nicht fristgerecht bearbeite. Dies führe zu erheblichen Nachteilen für zu unrecht beschuldigte Personen und Unternehmen. Letztendlich sei auch die personelle Ausstattung der externen Meldestelle im Bundesamt für Justiz völlig unzureichend. 

Am 14. Dezember 2022 passierte der Regierungsentwurf den Rechtsausschuss. Allerdings gibt es einige von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Änderungen, die mehrheitlich angenommen wurden.

U.a. wurden Meldungen zu verfassungsfeindlichen Äußerungen von Beamtinnen und Beamten in den Hinweisgeberschutz eingeschlossen. Umfasst werden sollen dabei schriftliche wie mündliche oder durch Gebärden getätigte Äußerungen. Dies soll auch für solche unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gelten. „Die Verfassungstreue ist insbesondere verletzt, wenn ein Beamter beispielsweise die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede stellt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt. Er verletzt so seine gesetzliche normierte Verfassungstreuepflicht in schwerwiegender Weise“, so die Koalitionsfraktionen, die sich damit auf die Diskussion um sog. „Reichsbürger“ im öffentlichen Dienst beziehen. Außerdem sollen sich nunmehr nur die Meldestellen mit anonymen Meldungen beschäftigen und der Digital Markets Act der Europäischen Union wurde in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes gezogen. Letztere Entscheidung wurde gegen die Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und AfD und mit Enthaltung der Fraktion Die Linke getroffen. 

Am 16. Dezember 2022 stimmte der Bundestag für den geänderten Entwurf. In der Plenarsitzung am 10. Februar 2023 erhielt die Gesetzesänderung jedoch nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen im Bundesrat. Daher haben die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 15. März 2023 zwei „neue“ Gesetzentwürfe zum Hinweisgeberschutz in den Bundestag eingebracht. Der „Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (BT Drs. 20/5992) entspricht weitestgehend dem vom Bundestag verabschiedeten Entwurf vom 16. Dezember 2022 (BT Drs. 20/4909). Aus dem Anwendungsbereich herausgelöst wurden allerdings „Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, sonstige der Aufsicht eines Landes unterstehende Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst“. Die Fraktionen sind der Ansicht, dass der Entwurf in seiner geänderten Form einer Zustimmung des Bundesrates nicht mehr bedürfe und so schneller verabschiedet werden könne. In einem zweiten Gesetzentwurf „zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“ (BT Drs. 20/5991) werden die Ausnahmen wieder aufgehoben und der Anwendungsbereich erweitert. Zur vollständigen Umsetzung der HinSch-RL sei „eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des HinSchG auf den Personenkreis erforderlich, der nach § 1 Absatz 3 HinSchG ausgeschlossen ist.“ Beide Entwürfe wurden schon am 17. März 2023 im Bundestag beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Am 27. März 2023 fand dort eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.  

Die Experten sahen insbesondere das gesetzgeberische Vorgehen als problematisch an. Prof. Dr. Winfried Kluth erörterte, dass das BVerfG in der Vergangenheit eine Aufspaltung von Gesetzgebungsverfahren in einen zustimmungsbedürftigen und einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil zwar mehrfach gebilligt habe, allerdings nur dann, wenn nicht gegen das Willkürverbot verstoßen werde. Diesen Punkt sah Kluth bei den vorliegenden Entwürfen eindeutig als gegeben an: „Die Aufteilung in zwei Gesetzesvorhaben war einzig die Reaktion auf die Verweigerung der Zustimmung zum ersten, alle Aspekte umfassenden Gesetzesentwurf.“ Prof. Dr. Gregor Thüsing fand für das Vorgehen ebenfalls klare Worte: „Wenn es sich hier nicht um Willkür, also nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigte, sondern nur aus dem System der Zustimmungsbedürftigkeit hergeleiteten Trennung handelt, wann dann?“ Er verwies auf das Vermittlungsverfahren. Kosmas Zittel vom Whistleblower-Netzwerk wies zudem auf ein weiteres Problem hin. Sollte das als zustimmungspflichtig eingestufte Gesetz im Bundesrat keine Zustimmung finden, dann bestünde zwischen den Beamten des Bundes und der Länder und Kommunen ein „Zwei-Klassen-Recht“, das zudem auch nicht der EU-Vorgabe entspreche, denn die EU-Richtlinie sei für das gesamte Land umzusetzen und somit auch für Landesbedienstete. Inhaltlich gab es für die Entwürfe die bereits bei der Anhörung vom 19. Oktober 2022 geäußerte Kritik. Seitdem hatte der Rechtsausschuss kleinere Änderungen in der ursprünglichen Fassung vorgenommen, die sich auch jetzt in den Gesetzentwürfen wiederfinden. Diskussionsthema waren unter anderem die verpflichtenden anonymen Meldestellen. Diese seien – so Louisa Schloussen – auf die Kritik von Transparency International nach der Anhörung im Oktober 2022 in den Entwurf aufgenommen worden. Hildegard Reppelmund kritisierte, dass dies gerade für kleinere Unternehmen eine enorme Belastung darstelle. Dr. Christoph Klahold vom Deutschen Institut für Compliance hingegen sprach sich klar für anonyme Meldestellen auf Betriebsebene aus. Er berichtete aus seiner Praxis, dass in kleinen Betrieben die Leitung weniger an der Klärung des Sachverhalts interessiert sei als daran, wer die Meldung getätigt habe. Jana Wömper vom Deutschen Gewerkschaftsbund gab zu bedenken, dass der Gesetzentwurf mit uneindeutigen Rechtsbegriffen wie dem „hinreichenden Grund zur Annahme“ keine Rechtsklarheit schaffe. Außerdem blieben einige Regelungen zum Hinweisgeberschutz und zum Schadenersatz immer noch hinter der EU-Richtlinie zurück. Bezüglich des Hinweisgeberschutzes machte Dr. Simon Gerdemann von der Universität Göttingen auf eine Entscheidung des EGMR aufmerksam, die im Zusammenhang  mit dem LuxLeaks-Skandal ergangen ist. Daraus ergebe sich, dass der Schutz des Gesetzes auch auf die Hinweisgeber erstreckt werden müsse, die zwar auf legale aber gesellschaftlich bedenkliche Vorgänge hinweisen. Kontrovers wurde auch die Regelung zur Erfassung von Hinweisen auf verfassungsrechtlich bedenkliche Äußerungen von Beamten diskutiert. Während David Werdemann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte die Möglichkeit begrüßte, so auch gegen geschlossene Chatgruppen vorgehen zu können die rechtsextreme Äußerungen austauschen, warnten andere Experten vor einer Kollision mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit. 

Am Abend des 27. März 2023 hat der Rechtsausschuss die Gesetzentwürfe verabschiedet. Sie wurden ohne Änderungen mit Gegenstimmen der Fraktion CDU/CSU und AfD mit Enthaltung von Die Linke angenommen. Der Bundestag sollte bereits am 30. März 2023 über die Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen abstimmen. Der Rechtsausschuss hat dazu eine Beschlussempfehlung vorgelegt. Der Tagesordnungspunkt wurde jedoch kurzfristig gestrichen. Am 5. April 2023 hat die Bundesregierung sich dazu entschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dieser befasste sich am 9. Mai 2023 mit dem Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden und konnte eine Einigung erzielen. 

Folgende Änderungen wurden vereinbart: 

  • Es besteht keine Pflicht für die internen als auch externen Meldestellen anonyme Meldungen zu ermöglichen. Für den Fall, dass intern wirksam gegen Verstöße vorgegangen werden kann, sollen hinweisgebende Personen die Meldung auch an eine interne Meldestelle bevorzugen. 
  • Der sachliche Anwendungsbereich soll auf den beruflichen Kontext beschränkt werden. Hinweise sollen demnach nur dann in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, wenn sie sich auf den Beschäftigungsgeber beziehen oder auf eine Stelle, mit der die hinweisgebende Person im beruflichen Kontakt stand.
  • Die Beweislastumkehr, die in dem Fall greift, dass die hinweisgebende Person eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erleidet, bleibt bestehen. Sie soll aber an die Bedingung geknüpft werden, dass die hinweisgebende Person dies auch geltend macht. 
  • Die Höhe der Bußgelder wurde auf einen Maximalbetrag von 50.000 EUR reduziert. 

Der Bundestag hat den geänderten Entwurf am 11. Mai 2023 angenommen. Im Anschluss stimmte auch der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am 12. Mai 2023 für das Hinweisgeberschutzgesetz.

Das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (BGBl I 2023, Nr. 140) wurde am 2. Juni 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet. Art. 1, § 41 des Hinweisgeberschutzgesetzes tritt bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt das Gesetz am 2. Juli 2023 in Kraft.




 


19. Legislaturperiode:

Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)

Im November 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, erarbeitet.

Der Entwurf soll einen wirksamen und nachhaltigen Schutz für Hinweisgeber vor Benachteiligungen bilden und zugleich die EU-Hinweisgeberschutzrichtlinie umsetzen. 

Dafür ist ein gänzlich neues Stammgesetz (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) geplant, in dem alle Regelungen zum Hinweisgeberschutz enthalten sein sollen. Die maßgeblichen geplanten Neuregelungen sind:

  • Der persönliche Anwendungsbereich (§ 1 HinSchG-E) soll alle Personen umfassen, die in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erlangt haben.

  • Der sachliche Anwendungsbereich (§ 2 HinSchG-E) soll die durch die Richtlinie vorgegebenen Rechtsbereiche aufgreifen. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden und die praktische Anwendung für hinweisgebende Personen handhabbar zu gestalten, werden die Rechtsbereiche in begrenztem Umfang auf korrespondierendes nationales Recht ausgeweitet. Einbezogen werden dabei insbesondere das Strafrecht und das Recht der Ordnungswidrigkeiten.

  • Für hinweisgebende Personen werden mit internen und externen Meldekanälen zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege vorgesehen, zwischen denen sie frei wählen können (§§ 7 bis 30 HinSchG-E).

  • In Umsetzung der Anforderungen der Hinweisgeberschutz-Richtlinie und unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR werden die Voraussetzungen festgelegt, unter denen eine hinweisgebende Person Informationen über Verstöße öffentlich zugänglich machen darf (§ 31 HinSchG-E).

  • Sofern hinweisgebende Personen die Anforderungen des HinSchG-E an eine Meldung oder Offenlegung einhalten, werden sie umfangreich vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen geschützt (§§ 32 bis 38 HinSchG-E).

Daneben sieht der Entwurf kleinere Änderungen im Arbeitsschutzgesetz und dem Beamtenstatusgesetz vor.

In KriPoZ 3/2021 haben sich Kim Erlebach und Miguel Veljovic in ihrem Beitrag (KriPoZ 2021, 165 ff.) mit dem HinSchG-E beschäftigt. 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz)

 

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen brachte am 5. Oktober 2018 einen Gesetzentwurf zum Schutz von Whistlewblowern in den Bundestag ein. Nach Ansicht der Fraktion bedürfen Menschen, die Informationen der Öffentlichkeit zugänglich machen und damit dem Allgemeinwohl dienen, einen besonderen Schutz. Sie sollen insbesondere vor Strafverfolgung und dienst- oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt werden. 

Ein Schutz alleine durch die Rechtsprechung reiche nicht aus. Die Europäische Kommission hat am 23. April 2018 einen Richtlinienvorschlag zum Schutze von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vorgelegt. Am 23. Oktober 2019 wurde diese Richtlinie verkündet. Um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, sei eine deutsche Positionierung in Form eines „vorbildlichen nationalen Whistleblower-Schutzgesetzes“ notwendig. 

Hierzu sollen Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, Berufsbildungsgesetz, Bundesbeamtengesetz und Beamtenstatusgesetz vorgenommen werden, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen Hinweisgeber sich an andere Stellen oder an die Öffentlichkeit wenden dürfen. Insbesondere sollen in § 353c StGB Regelungen geschaffen werden, die Whistleblower straffrei stellen: 

„§ 353c StGB – Befugtes Offenbaren eines Geheimnisses

Befugt ist das Offenbaren eines Geheimnisses dann, wenn der Täter zur Aufklärung, Verhinderung oder Beendigung einer Grundrechtsverletzung oder der Begehung einer schweren Straftat (§ 100c Absatz 2 der Strafprozessordnung) handelt, rechtzeitige Abhilfe nicht zu erwarten ist und das öffentliche Interesse an der Weitergabe der Information das Geheimhaltungsinteresse erheblich überwiegt. Das Gleiche gilt für das Offenbaren eines Geheimnisses zur Verhinderung oder Beendigung einer drohenden oder gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit, das Persönlichkeitsrecht, die Freiheit der Person, die Stabilität des Finanzsystems oder die Umwelt.“

Bislang regeln lediglich die §§ 93 ff. StGB die Strafbarkeit der Preisgabe von Staatsgeheimnissen und § 353b StGB die Verletzung von Dienstgeheimnissen. 

Im Rahmen der netzpolitik.org.-Affäre hatte die Fraktion bereits 2016 die Geheimnisverrats- Straftatbestände  (Landesverrat, Verrat von Dienstgeheimnissen) überarbeitet und in den Bundestag eingebracht (Drs. 18/ 10036). Die damaligen Änderungsvorschläge wurden in den Gesetzentwurf aufgenommen. 

Der Bundestag beriet am 18. Oktober 2018 erstmals über den Regierungsentwurf zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (BT Drs. 19/4724) und über den Gesetzentwurf der Fraktion. Beide Entwürfe wurden im Anschluss an die Debatte zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz weitergeleitet. 

 

 

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