Gesetzentwurf zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung

Gesetzentwürfe:

Am 10.9.2024 haben die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ in den Bundestag eingebracht (BT-Drs. 12806). Der Entwurf wurde anlässlich des Anschlages in Solingen vom 23. August 2024 eingebracht und soll das von der Koalition beschlossene Sicherheitspaket gesetzgeberisch umsetzen. Das Paket betrifft insbesondere drei Gebiete: das Waffenrecht, die Extremismus- und Terrorismusbekämpfung sowie das Aufenthaltsrecht.

Hierbei sollen insbesondere die Befugnisse der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden  – angepasst an die Herausforderungen in einer digitalisierten Welt –  erheblich ausgeweitet  werden: Hierzu gehören unter anderem der biometrische Internetabgleich, die automatisierte Datenanalyse sowie Anfragen des BKA bei Banken. Zudem soll die Festsetzung von Waffenverbotszonen erleichtert werden. 

Die Befugnis zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet sei erforderlich, damit die Strafverfolgungs- sowie Sicherheitsbehörden biometrische Daten von Gesichtern und Stimmen mittels automatisierter Daten mit Internetdaten (z.B. Auftritten auf sozialen Medien) abgleichen können. Dadurch sollen mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige identifiziert und lokalisiert werden können.

Zugleich soll es dem Bundeskriminalamt und der Bundespolizei ermöglicht werden, automatisierte Datananalysen durchzuführen. Hierdurch könne gewährleistet werden, dass diese Behörden große Datenmengen effektiv auswerten und ggf. Verbindungen/Beziehungen zwischen Informationen herstellen können. Zum Zwecke der Rechtssicherheit bedarf es hierzu einer entsprechenden Rechtsgrundlage.

Die Bundespolizei soll zukünftig auch dazu befugt sein, anlassbezogen im Bereich von Waffenverbotszonen oder im Geltungsbereich von bundespolizeilichen Allgemeinverfügungen stichprobenartige Befragungen, Identitätskontrollen sowie Durchsuchungen von Personen durchzuführen, die diese Bereiche betreten möchten oder sich darin befinden.

Am 23. September 2024 haben sich zahlreiche Sachverständige im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat zu den zahlreichen Gesetzesentwürfen des „Sicherheitspakets“ – hierzu zählt auch der Entwurf „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ – geäußert. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Sachverständigen erachteten die Vorschläge überwiegend kritisch.

Finn-Christopher Brüning (Deutscher Städte- und Gemeindebund) bemängelte, dass die vorgeschlagenen Änderungen die Sicherheitslage in Deutschland nicht verbessern könnten; vielmehr müssten die Sicherheitsbehörden personell besser aufgestellt und relevante Zuständigkeits- und Kompetenzerweiterungen vorgenommen werden. Eine ähnliche Stoßrichtung wiesen die Stellungnahmen von Jörg-Henning Gerdemann (Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg) und Niels Heinrich (Fachliche Leitstelle Nationales Waffenregister [NWR], Hamburg) auf. Gerdemann konstatierte, dass neue Waffenverbotszonen bzw. Verbotsgebiete schon aufgrund des Umfangs dazu führten, dass effektive polizeiliche Kontrollen nicht möglich seien. Heinrich sah in den geplanten Änderungen des Waffenrechts eine erhebliche und weitgehend folgenlose (Mehr-)Bürokratisierung; selbst die vorgeschlagenen waffenrechtlichen Maßnahmen hätten Taten wie Mannheim und Solingen nicht verhindern können. Neben der Kritik an der Effektivität der gesetzlichen Änderungen wurde auch vor einer unangemessenen Beeinträchtigung von (datenbezogenen) Grundrechten gewarnt. Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker von der Universität Bremen sprach von einem „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“ und sah mit der geplanten Vorfelderfassung von persönlichen Daten den Weg zum „gläsernen Bürger“ geebnet. Sarah Lincoln (Gesellschaft für Freiheitsrechte) konstatierte, dass die Verschärfungen an zahlreichen Stellen die Rechtsprechung des BVerfG sowie höherrangiges Recht nicht hinreichend beachteten und eine Abwägung von Grundrechten vermissen ließen; sie plädierte für weniger populistische Maßnahmen und mehr Bildung, Prävention und psychosoziale Unterstützung. Auch Dr. Stephan Schindler von der Universität Kassel wies auf die erheblichen Grundrechtseingriffe hin, die mit den vorgeschlagenen Ermächtigungen zum nachträglichen Datenabgleich einhergehen. Vielmehr seien Regelungen notwendig, die das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitprinzip wahrten (z.B. Überprüfung der Ergebnisse durch qualifizierte Personen). Prof. Dr.-Ing. Christoph Sorge (Universität des Saarlandes) sowie Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider (Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) bemängelten ebenfalls, dass die Vorschläge bezüglich einer Regelung zur Verarbeitung biometrischer Daten nicht konkret genug seien. Specht-Riemenschneider erachtete die Tatbestandsmerkmale geplanten Eingriffsermächtigungen zur Gesichtserkennung als zu unscharf; blieben diese Mängel bestehen, drohen Eingriffe in die (Grund-)Rechte unbeteiligter Personen.  Sorge bezweifelte die Vereinbarkeit des Vorhabens mit höherrangigem europäischem Recht. Hingegen sahen manche Sachverständigen durchaus positive Ansätze in den Gesetzesvorschläge. Die Einführung einer Regelung zum biometrischen Internetabgleich wurde von Martina Link (BKA) befürwortet; dadurch werde es deutlich einfacher, Attentäter und Gefährder, die noch nicht polizeilich registriert sind, zu identifizieren. Gerade für die zeitgemäße Polizeiarbeit sei eine Rechtsgrundlage für eine automatisierte Datenanalyse wichtig. Auch für Dr. Klaus Ritgen (Deutscher Landkreistag) gingen die Gesetzesvorschläge in die richtige Richtung; dieser betonte, dass die Gesetzesentwürfe der Begrenzung der hohen irregulären Migration angemessen dienen. Auch Andre Schuster des Deutschen Städtetages unterstützte grundsätzlich die sicherheitsbezogenen Maßnahmen; allerdings merkte Schuster auch an, dass trotzdem ein rechtsstaatliches und faires Verfahren im Umgang mit Asylsuchenden und Schutzberechtigten gewährleistet werden müsse. Abschließend äußerten sich einzelne Sachverständige zu dem Potenzial einer stärkeren Einbindung der Bundespolizei im Rahmen der Kontrolle illegaler Migration. Heiko Teggatz (DPolG, Bundespolizeigewerkschaft) bemängelte die fehlende Zuständigkeit der Bundespolizei für die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und sah hierzu Verbesserungsbedarf. Dr. Philipp Wittmann, Richter am VGH Baden-Württemberg, stellte klar, dass eine intensivere Beteiligung der Bundespolizei bei Abschiebeprozessen zwar zweckmäßig sein könnte, aber die verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisungen berücksichtigt werden müssten. 

Am 18. Oktober 2024 wurde der Entwurf erstmalig im Bundesrat zur Abstimmung gestellt und erreichte nicht die erforderlich Mindeststimmenzahl von 35 Mitgliedern. Die Bundesregierung und der Bundestag haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen. 

 

 

Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss vom 14. Oktober 2024:

zum Referentenentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten:

 

 

KriPoZ-RR 23/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Nimmt ein Opfer das Aufheulen des Motors eines Fahrzeuges wahr, erkennt aber nicht die von dem Fahrzeug ausgehende Gefahr, so ist die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nicht ausgeschlossen.

Sachverhalt:

Der Angeklagte fuhr mit dem KfZ seines Vaters in der Stadt A. herum. Dabei machte dessen Mitfahrer ihn darauf aufmerksam, dass der Liebhaber der Mutter des Angeklagten – einer der späteren Geschädigten – auf dem Bürgersteig entlanglief. Der Angeklagte hatte bereits zuvor den Liebhaber gewarnt, dass dieser kein Mitglied seiner Familie belästigen solle. Als der Angeklagte den Geschädigten erblickte, setzte er das Fahrzeug zurück. Der Geschädigte bemerkte den rückwärtsfahrenden PKW, ging jedoch davon aus, dass der Fahrer lediglich einen Parkplatz suche. Der Angeklagte bremste beim Beginn des abgesenkten Bordsteins ab und fuhr – mit durchgetretenem Gaspedal – in einer Kurve über den Bordstein auf den knapp 4m breiten Gehweg.

Zu diesem Zeitpunkt bemerkte der Angeklagte auch die neben dem Geschädigten gehende Geschädigte H. Trotzdem fuhr der Angeklagte von hinten auf die Geschädigten zu. Obwohl der Motor laut aufheulte, was der Geschädigte auch wahrnahm, drehte dieser sich nicht um. In der Folge erfasste das Auto den Geschädigten frontal bei einer Geschwindigkeit von 38 km/h; der Geschädigte wurde rücklings auf die Motorhaube aufgeladen und prallte mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe, die dadurch erheblich beschädigt wurde. Der Angeklagte nahm hierbei den Tod oder erhebliche Verletzungen von dem Geschädigten oder dessen Begleiterin billigend in Kauf. Der Geschädigte stürzte ein wenig später auf die Motorhaube eines anderen Pkw, der am Fahrbahnrand stand.  

Der Angeklagte bemerkte, dass die beiden Geschädigten potenziell tödliche Verletzungen aufweisen. Jedoch entfernte sich der Angeklagte trotzdem von der Kollisionsstelle, ohne sich über den Zustand der Geschädigten Gewissheit zu verschaffen. Der Geschädigte erlitt Hautabschürfungen und -unterblutungen, einen Teilabriss der linken Ohrmuschel und eine Verletzung am linken Zeh; die Geschädigte zog sich ein Hämatom am rechten Unterschenkel zu.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen und in Tateinheit mit Sachbeschädigung in fünf tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist festgesetzt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort anstrebte, hat Erfolg.

Insbesondere die Ausführungen der Kammer zum fehlenden Ausnutzungsbewusstseins des Täters seien widersprüchlich und lückenhaft. Heimtückisch handele, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu desse Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Tritt der Täter dem Opfer offen gegenüber, so schließe das nicht automatisch die Arglosigkeit aus, soweit die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, den Angriff abzuwehren. Der Täter muss sich hinsichtlich der heimtückischen Begehung bewusst sein, dass er einen durch seinen Angriff einen schutzlosen Menschen überrascht.

Diesen Vorgaben werden die Erwägungen im Urteil nicht gerecht. Die Kammer gehe insbesondere fehlerhaft davon aus, dass allein wegen dem aufheulenden Motor und dem angeschalteten Licht des Autos das Opfer mit einem Angriff rechnen musste. Jedoch ist ersichtlich, dass der Geschädigte davon ausging, dass der Fahrer vielmehr einen Parkplatz suchte. Insoweit sah der Geschädigte in den wahrgenommenen Motorgeräuschen keinen Anlass, sich umzudrehen. Selbst, wenn der Angeklagte aber sein Vorstellungsbild in diese Richtung angepasst hätte, so wäre die verbleibende Zeitspanne zu kurz gewesen, um der erkannten Gefahr zu begegnen. Die äußeren Umstände legen insoweit ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nahe.

Zudem hat die Jugendkammer auch rechtsfehlerhaft die Tatbestandsverwirklichung des § 142 Abs. 1 StGB abgelehnt. Hierbei ging die Kammer davon aus, dass ein Unfall im Straßenverkehr nicht vorläge. Ein Unfall im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird. Zudem ist das Vorliegen eines verkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhangs in der Weise erforderlich, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen.

Der Senat geht hierbei davon aus, dass sich zumindest in den Kollisionen mit den geparkten Fahrzeugen verkehrstypische Gefahren realisiert haben. Die entstandenen Sachschäden an den anderen Fahrzeugen könnte insoweit zum Begriff des Verkehrsunfalls gehören.

Neben diesen Rechtsfehlern erkennt der Senat jedoch auch an, dass insbesondere die Feststellungen der Kammer hinsichtlich des bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten bezogen auf die Geschädigte H. einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht standhält. Insbesondere die in Bezug auf die beiden Geschädigten unterschiedlichen konkreten Angriffsweisen des Angeklagten werden nicht hinreichend berücksichtigt. Die Kammer hätte insoweit die divergierenden Auswirkungen des Zusammenstoßes in den Blick nehmen müssen.

KriPoZ-RR 22/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Das Merkmal des Entführens iSd § 239a Abs. 1 Var. 1 StGB kann auch verwirklicht werden, wenn die Ortsveränderung nicht gewaltsam bewirkt wird, sondern vielmehr durch listiges Verhalten des Täters.

Sachverhalt:

Der Angeklagte Ri. hatte beschlossen, von dem Nebenkläger N., der leicht einzuschüchtern war, 400 Euro zu verlangen und ihn zur Durchsetzung zu erniedrigen und zu quälen. Ri. fuhr mit dem Angeklagten R. zu dem Standort des N., um diesen dort abzuholen. Unter dem Vorwand, zu McDonalds fahren zu wollen, veranlassten sie N. dazu, einzusteigen. Im weiteren Verlauf hielt Ri. abseits einer Straße. Ri. und R. stiegen beide aus und forderten N. auf, auch das Auto zu verlassen. Sodann forderten die beiden Angeklagten N. dazu auf, u.a. sein Mobiltelefon, seinen Ausweis und sein Portemonnaie auf die Motorhaube zu legen. Ri. verlangte dabei von N., 400 Euro an ihn zu zahlen.

In der Folge entnahm Ri. eine EC-Karte aus dem Portemonnaie des N. und verließ – nach Preisgabe der PIN-Nummer – den Standort, um bei einem nahegelegenen Bankautomaten Geld abzuheben. Dies gelang jedoch nicht. Ri. kam zu dem Standort zurück und begann mit R. zusammen den N. zu malträtieren. N. ließ dies aus Angst über sich ergehen.

Die beiden Angeklagten drängten N. erneut in das Auto und fuhren nun zu der Wohnung des Angeklagten Hi. Dieser wurde in das Vorhaben mit eingeweiht. Die drei Angeklagten gingen nun dazu über, den Nebenkläger zu schlagen und zu treten. Zudem wurde N. zum Zwecke weiterer Erniedrigungen dazu gezwungen, sich weitgehend zu entkleiden; die Angeklagten drückten sodann u.a. ihre Zigaretten am nackten Oberkörper des N. aus.

Zwei Tage später fuhren die Angeklagten zu der Wohnung des N., um das geforderte Geld zu beschaffen. Der Nebenkläger rief jedoch nach Erkennen der Situation die Polizei, woraufhin die Angeklagten wegfuhren.

Das LG hat die Angeklagten jeweils wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt zu (Gesamt-)Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und zehn Monaten und zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Strafen wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich darauf richtete, dass die Angeklagten nicht (auch) des erpresserischen Menschenraubs schuldig gesprochen worden sind, hat teilweise Erfolg.

Das Merkmal des Entführens iSd § 239a Abs. 1 Var. 1 StGB sei bereits erfüllt, wenn der Täter das Opfer ohne dessen Willen an einen anderen Ort bringt und dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten erheblich einschränkt. Diese Ortsveränderung müsse nicht durch Gewalt hervorgerufen werden; vielmehr reicht auch List als (alternatives) Mittel aus. Als List sei ein Verhalten zu verstehen, das darauf abzielt, unter geschicktem Verbergen der wahren Zwecke oder Mittel die Ziele des Täters durchzusetzen, indem dem Opfer gegenüber falsche Angaben über den Sinn der Ortsveränderung gemacht werden. Im konkreten Fall haben die Angeklagten Ri. und R. List angewandt, um die bei § 239a Abs. 1 StGB notwendige Bemächtigungslage zu schaffen.

Die Staatsanwaltschaft bemängelt zudem, dass das Vorliegen eines minder schweren Falles (vgl. § 250 Abs. 3 StGB) allein unter Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des Versuchs (§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB) angenommen wurde. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung sei vorab auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe abzustellen. Soweit nach Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen sei, müssten auch gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe berücksichtigt werden.

Zwar sei es rechtlich bedenklich, dass das LG für alle drei Angeklagten zusammenfassend das Vorliegen eines minder schweren Falles (vgl. § 250 Abs. 3 StGB) annehme. Jedoch sei auch erkennbar, dass die Kammer die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen hat, die für die Berücksichtigung allgemeiner Strafzumessungsgründe erforderlich ist.

Allerdings erkenne der Senat an, dass die strafmildernde Bewertung des Umstands, dass der Angeklagte Hi. ein „Erstverbüßer“ ist, rechtlich nicht haltbar sei. Zwar sei die Strafzumessung grundsätzlich Sache das Tatgerichts; allerdings kann das Revisionsgericht die Strafzumessung trotzdem überprüfen, wenn die Zumessungserwägungen z.B. in sich fehlerhaft oder von unzutreffenden Tatsachen ausgehen. Hierbei betont der BGH, dass die Tatsache der erstmaligen Verbüßung bei einer Freiheitsstrafe nur dann das Gewicht eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes bekommt, wenn besondere Gründe wie Alter oder Krankheit hinzukommen. Dies lasse sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.

KriPoZ-RR 21/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Wirft der Täter nach einem Gerangel mit dem Opfer die zweite mitgeführte Pistole auf den Boden, nachdem das Opfer die erste Waffe aus der Hand riss, so liegt noch kein Fehlschlag vor.  

Sachverhalt:

Die Angeklagte wollte die Geschädigte erschießen und lief mit jeweils einer Pistole in jeder Hand auf diese zu. Nachdem ein Schuss abgegeben wurde, wobei die Angeklagte eine tödliche Verletzung der Geschädigten billigend in Kauf nahm, brachte die Geschädigte die Angeklagte zu Boden. Innerhalb des Gerangels lösten sich drei weitere Schüsse; zwei dieser Schüsse trafen die Geschädigte erneut. Der Geschädigten gelang es schließlich, der Angeklagten eine der Pistolen aus der Hand zu schlagen. Die zweite Waffe wurde von der Angeklagten daraufhin fallengelassen; weitere Tätlichkeiten unterblieben.

Das LG hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Angeklagten, die sich auf die Verletzung materiellen Rechts richtete, hat Erfolg. Insbesondere die Verurteilung wegen versuchten Mordes ist rechtsfehlerhaft.

Hierbei bezieht sich der Senat insbesondere auf die vorherigen Ausführungen des GBA in seiner Antragsschrift. Demnach habe die Strafkammer die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB) nicht hinreichend in Betracht gezogen. Das Wegwerfen der Pistole begründe an sich nicht zwingend einen fehlgeschlagenen Versuch oder eine Aufgabe des (beendeten) Versuches. Vielmehr müsse sich die Kammer ausgiebiger mit der subjektiven Vorstellung der Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung auseinandersetzen. Der Senat stellt aber klar, dass die übrigen Feststellungen zum Tatgeschehen, insbesondere zum bedingten Tötungsvorsatz, rechtsfehlerfrei sind und daher bestehen bleiben können.

KriPoZ-RR 20/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtlicher Leitsatz:

Das Datum der Erstzulassung eines Kraftfahrzeuges ist keine Tatsache, die in der Zulassungsbescheinigung Teil II mit der besonderen Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde im Sinne des § 348 StGB beurkundet wird.

Sachverhalt:

S. bot im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit Dienstleistungen im Bereich des Fahrzeugzulassungswesens an und hatte gute Kontakte zu der Zulassungsstelle in W., insbesondere zu der Leiterin des Straßenverkehrsamtes (H.) und der Referatsleiterin „Kfz-Zulassungen“ (G.). Eines seiner Geschäftsmodelle bestand darin, durch die Weiterveräußerung von Kurzzeitkennzeichen Gewinne zu erwirtschaften. Hierbei zahlte S. aufgrund einer Sondervereinbarung unter Einbindung der H. und G. nur die Hälfte der normal zu entrichtenden Gebühr. Hierzu veranlasste S. zwei Freunde (beides Betreiber von Autohäusern),vermeintlich für im Ausland lebende ehemalige Kunden auf deren Namen Kurzzeitkennzeichen zu beantragen, die dann entsprechend von S. weitergegeben werden konnten.

Zu einem späteren Zeitpunkt ging S. dazu über, für nicht mehr zulassungsfähige Fahrzeuge bei der Zulassungsstelle in W. Zulassungsbescheinigungen Teil II unter Angabe einer nicht durchgeführten Erstzulassung im EU-Ausland zu beantragen. Hierzu wiesen G. und H. in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken unerfahrene Mitarbeiter der Zulassungsstelle an, ohne die Durchführung des vorher notwendigen Datenabgleichs bzw. eine sonstige Überprüfung der früheren Zulassung eine Zulassungsbescheinigung Teil II auszufertigen.

Das LG hat den Angeklagten S. wegen Anstiftung zur unbefugten Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten in 272 Fällen sowie wegen Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Angeklagten H. und G. wurden wegen Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt in sieben Fällen zu Gesamtgeldstrafen von 240 Tagessätzen zu je 150 Euro bzw. von 180 Tagesssätzen zu je 100 Euro verurteilt und bestimmt, dass hiervon jeweils 90 Tagessätze wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen der Angeklagten, die sich auf die Verletzung materiellen Rechts richteten, haben Erfolg.

Hierbei stellt der Senat klar, dass das Datum der Erstzulassung eines KfZ keine Tatsache ist, die iSd § 348 StGB besonders beurkundet wird. Eine öffentliche Urkunde gem. § 348 StGB umfasst nur solche Urkunden, die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. Hierbei sind nur solche Tatsachen erfasst, auf die sich der öffentliche Glaube auch tatsächlich bezieht. Eine erhöhte Beweiskraft komme insbesondere solchen Tatsachen zu, deren Angaben gesetzlich zwingend vorgeschrieben sind. Fehlt es daran, dann ist neben dem Beurkundungsinhalt auch das Verfahren, die Umstände des Beurkundungsvorgangs sowie die Überprüfungsmöglichkeiten des ausstellenden Amtsträgers maßgeblich.

Während der Senat offenlässt, ob der Zulassungsbescheinigung Teil II insgesamt die Qualität einer öffentlichen Urkunde iSd § 348 StGB, spreche seiner Ansicht nach doch vieles dafür. Hierbei rekurriert der BGH auf die Qualität der Zulassungsbescheinigung Teil II, die den veralteten Fahrzeugbrief ersetzen soll. Wie auch der Fahrzeugbrief diene die Bescheinigung jedoch vorranging als Nachweis der Verfügungsberechtigung im Zulassungsverfahren und sei danach allein eine verwaltungsrechtliche Urkunde ohne öffentlichen Glauben.

Eine ausdrückliche Vorschrift, die das einzutragende Datum der Erstzulassung mit voller Beweiskraft ggü. jedermann ausstattet, bestehe nicht. Vielmehr indiziere § 12 FVZ sowie die Richtlinie 1999/37/EG vom 29.4.1999, dass dem Erstzulassungsdatum keine erhöhte Beweiswirkung zukommt – vielmehr sei dieses Datum nur verwaltungsintern von Relevanz. Dass das Feld der Erstzulassung zwingend auszufüllen ist, könne nicht allein die erhöhte Beweiskraft begründen. Der Senat stellt hierzu auch klar, dass nicht jede Tatsache, die in irgendeiner Form im Rechtsleben große Relevanz hat, dem öffentlichen Glauben unterliegt.

KriPoZ-RR 19/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Der Täter muss keine Verwendungsabsicht eines mitgebrachten Werkzeuges aufweisen; das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges iSd § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB setzt kein subjektives Erfordernis voraus.

Sachverhalt:

Die fünf Mitangeklagten verschafften sich zusammen Zugang zu den Geschäftsräumen der Sparkasse; der Angeklagte T. war nicht am Tatort anwesend. Geplant war, dass sie den Alarm des Tresorvorraums überwinden und dann im Tresorraum die dortigen Schließfächer aufbrechen und den Inhalt entwenden. Hierbei erhofften sie sich, dass ein sechs- bis siebenstelliger Betrag zusammenkommt. Hierbei nahmen die Angeklagten verschiedene andere Tatmittel und Werkzeuge in das Gebäude. Hierzu gehörten u.a. ein Vorschlaghammer, ein Bohrhammer, ein Meißel mit Gummigriff, ein Spitzmeißel und ein Schraubenschlüssel.

Während die Mitangeklagten versuchten, in die Kellerwand zu bohren, wurden sie durch einen vor dem Gebäude installierten Späher vor der ankommenden Polizei gewarnt. Daraufhin verließen die Mitangeklagten das Gebäude und ließen das mitgebrachte Werkzeug in der Sparkasse.

Das LG hat alle Angeklagten wegen versuchten Diebstahls (in Mittäterschaft) zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und acht Monaten und drei Jahren und fünf Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich allein auf den Schuldspruch sowie das Unterbleiben der Einziehung eines PKW beschränkt, hat Erfolg.

Die Kammer ging zunächst fehlerhaft davon aus, dass §§ 244 Abs. 1, 244a Abs. 1 StGB durch die Angeklagten nicht verwirklicht wurde. § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB setze voraus, dass sich ein mitgebrachtes Werkzeug in Griffweite des Täters befand oder dieser sich des Werkzeuges jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen kann. Hierbei reiche es auch aus, wenn ein Gegenstand seiner objektiven Beschaffenheit nach geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Dass ein Gegenstand nur als Aufbruchswerkzeug dient, stehe einer Bewertung als gefährliches Werkzeug nicht entgegen. Die objektive Gefährlichkeit des Werkzeuges werde hierdurch nicht reduziert. Ein zusätzliches subjektives Element, z.B. eine Verwendungsabsicht, ist kein Erfordernis des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB.

Weiterhin sei auch die Verneinung eines versuchten schweren Diebstahls (§ 244a Abs. 1 StGB) fehlerhaft. Für eine Bande iSd § 244a Abs. 1 StGB sei ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Diebstähle zu begehen. Hier gehe die Kammer fehlerhaft davon aus, dass ein abweichender „modus operandi“ einer früheren Tat, die von drei der Mitangeklagten begangen wurde, eine Bandenabrede ausschlösse.

Zudem geht der Senat davon aus, dass auch die Einziehungsentscheidung rechtsfehlerhaft ist. Das LG habe insbesondere die aufgezeigten Folgen einer Einziehung des bei der Tat genutzten PKW nicht ins Verhältnis zu dem konkreten Unrechtsgehalt der Tat und dem den Angeklagten treffenden Schuldvorwurf gesetzt. Insbesondere der Beitrag der zu erzielenden Tatbeute wurde nicht hinreichend berücksichtigt.

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ALLGEMEINE BEITRÄGE

Zur Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze 
von Prof. Dr. Alexander Baur, Christina Rueß, Elena Schaffeld und Prof. Dr. Jörg M. Fegert

Zur Strafbarkeit von Aufnahmeritualen bei Spezialeinheiten mit nicht lebensgefährlichen bzw. nicht schweren Verletzungsfolgen am aktuellen Fallbeispiel "Mobiles Einsatzkommando (MEK) Leipzig"
von Marius Luciano, LL.M. 

Airport Fast Lanes als strafbare Korruption? 
von Dr. Sebastian Wollschläger und Prof. Dr. Mark A. Zöller

Zwischen Verschwiegenheitspflicht und Weltrechtsprinzip des Völkerstrafrechts - Die Pflichten der Sozialarbeiter beim Umgang mit potenziellen Völkerstraftätern 
von Dr. Gurgen Petrossian, LL.M. und Miriam Schäfer, B.A.

Das Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts - Zu den jüngsten Arbeiten am Bau für deutsche Weltrechtspflege 
von Dr. Svenja Raube, LL.M. 

Die Verwertbarkeit von AnomChat-Daten im Strafprozess 
von Alicia Althaus und Justin Samek

Die Jugendstrafe nach 101 Jahren JGG - ein Blick zurück und einer nach vorn   
von Prof. Dr. Ralf Kölbel

ENTSCHEIDUNGEN/ANMERKUNGEN

Tatbestandsmerkmal "als Zeuge" in § 153 StGB als besonderes persönliches Merkmal 
BGH, Beschl. v. 5.2.2024 - 3 StR 470/23

Für die Wahrheitspflicht des Zeugen als besonderes persönliches Merkmal - Anmerkung zu BGH, Beschl. vom 5.2.2024 - 3 StR 470/23
von Tim Stephan und Hannah Schulze Zurmussen 

BUCHBESPRECHUNGEN

Jan Nicklaus: Fahrlässigkeit als Irrtum. Eine Untersuchung von Sorgfalt und Erlaubnistatbeständen im Strafrecht 
von Prof. Dr. Anja Schiemann

Maximilian Schneider: DNA-Analyse und Strafverfahren. Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Datenschutz- und Strafverfahrensrecht
von Prof. Dr. Anja Schiemann 

 

 

 

 

 

Zur Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze

von Prof. Dr. Alexander Baur, Christina Rueß, Elena Schaffeld und Prof. Dr. Jörg M. Fegert

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Abstract
Auf der Tagesordnung der 95. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 5. bis zum 6. Juni 2024 in Hannover stand eine wissenschaftliche Studie zur Strafmündigkeitsgrenze. Am Ende hat sich der von Baden-Württemberg gestellte Antrag nicht durchsetzen können. Aus Sicht der Autoren ist dies zu bedauern – aber nicht deshalb, weil entwicklungsbiologische oder entwicklungspsychologische Befunde eine frühere Reife und strafrechtliche Verantwortlichkeit nahelegten. Vielmehr wurde eine wichtige Chance vergeben, sich evidenzbasiert mit dem bestehenden Gesamtsystem für die Prävention und Bewältigung normabweichenden Verhaltens junger Menschen zu befassen.

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KriPoZ-RR 18/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Einer Strafbarkeit gem. § 306 Abs. 1 Alt. 2 StGB steht nicht entgegen, dass ein Objekt in Brand gesetzt wurde, dass nicht von § 306 Abs. 1 StGB geschützt wird, solange der an dem Schutzobjekt eingetretene Zerstörungserfolg auf dieser Brandlegung zurückzuführen ist.

Sachverhalt:

Der Angeklagte setzte einen aus Holzpaletten und mit Verpackungsmaterialien gefüllten Kasten in Brand, der in unmittelbarer Nähe zu dem Schaufenster eines Lebensmittelgeschäftes aufgestellt war. In der Nähe deponierte der Angeklagte zudem eine CO2-Patrone. Das Feuer breitete sich aus und führte aufgrund der enormen Hitzeentwicklung dazu, dass die CO2-Patrone explodierte und das angrenzende Schaufenster zerstört wurde. Hitze, Rauch und Ruß drangen in das Gebäudeinnere und zerstörten Waren, Geräte und Mobiliar. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Brandlegung des Holzkastens unter Verwendung der CO2-Patrone unter enormer Hitzeeinwirkung platzen könnte und eine nicht unerhebliche Detonation herbeiführen könnte. Hierbei war dem Angeklagten auch bewusst, dass das angrenzende Lebensmittelgeschäft dadurch jedenfalls teilweise zerstört werden könnte. Dies nahm er billigend in Kauf.

Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen sowie formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Schuldspruches Erfolg. Die subjektive Tatseite könne nicht tragfähig belegt werden.

Nach der Ansicht des Senats hat der Angeklagte mit seinem Verhalten ein fremdes Gebäude ISd § 360 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch eine Brandlegung teilweise zerstört. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zerstörung nicht auf ein Inbrandsetzen des Gebäudes oder eines anderen Schutzobjektes iSd § 306 Abs. 1 StGB beruhte.

Hierfür spreche der Wortlaut des § 306 Abs. 1 StGB, der keine Begrenzung vorgibt. Tatbestandlich sind auch Fälle erfasst, in denen der Täter ein anderes Objekt in Brand setzt, soweit nur der an dem Schutzobjekt eingetretene Zerstörungserfolg auf diese Brandlegung zurückzuführen ist. Für eine einschränkende Auslegung dahin, dass nur das unmittelbare Inbrandsetzen eines Schutzobjekts von § 306 Abs. 1 Alt. 2 StGB tatbestandsmäßig sein soll, bestehe kein Anlass.

Der Senat erkennt jedoch an, dass die Entstehungsgeschichte der Vorschrift darauf hindeutet, dass mit § 308 Abs. 1 Alt. 2 StGB vordergründig Fälle erfasst werden sollen, in denen trotz des Inbrandsetzens des Schutzobjektes erhebliche Gefahren für Leben oder Gesundheit von Bewohnern oder von bedeutenden Sachwerten durch die unmittelbaren Folgen des Brandes (Ruß, Hitze, etc.) entstehen. Jedoch erscheinen die Strafrahmen der §§ 305, 305a StGB angesichts des begangenen Unrechts zu milde, um eine tat- und schuldangemessene Ahndung zu ermöglichen.

Auf subjektiver Tatseite bedarf es in solchen Fällen einer sorgfältigen Prüfung. Der Vorsatz müsse sich auch darauf beziehen, dass der eingetretene Zerstörungserfolg nicht auf einer Brandlegung am Schutzobjekt selbst zurückzuführen sei. Bei einem schweigenden Angeklagten könne die Vorstellung über die möglichen Folgen der Tatbegehung durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden. Wesentlicher Anknüpfungspunkt sei hierbei der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein Tatobjekt durch die Brandlegung ganz oder teilweise zerstört werde. Der Grad muss anhand einer Gesamtschau der Umstände festgestellt werden. Diesen Anforderungen genüge das Urteil des LG jedoch nicht.

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