Anwesenheitsrecht des Angeklagten

Gesetzentwürfe:

Zur Umsetzung der Richtlinie 2016/343/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren bedarf es im deutschen Recht punktueller Änderungen in der Strafprozessordnung. Der Referentenentwurf des BMJV schlägt Neuerungen mit Bezug zum Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung, insbesondere in der Revisionshauptverhandlung, vor.

So soll bei einer zulässigen Abwesenheitsverhandlung (§ 231 Abs. 2 StPO) eine Hinweispflicht für den Angeklagten eingeführt werden. Ebenso soll in Fällen der Abwesenheit in der Berufungs- und Revisionsverhandlung zur Anpassung an die Richtlinie eine ausdrückliche Belehrung des Angeklagten über seine Rechte aus § 329 Abs. 7 StPO (Ausbleiben des Angeklagten; Vertretung in der Berufungshauptverhandlung) und § 356a StPO (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei einer Revisionsentscheidung) ergänzt werden.

Des Weiteren sieht der Entwurf eine klarstellende Ergänzung in § 350 Abs. 2 S. 2 StPO (Revisionshauptverhandlung) vor. Es soll deutlich werden, dass es im Ermessen des Gerichts liegt, ob der inhaftierte Angeklagte der Revisionsverhandlung zugeführt wird oder nicht.

Die BRAK hat am 11. Juli 2018 eine Stellungnahme zu dem Referentenentwurf veröffentlicht und sieht darin eine „in weiten Teilen überzeugende und begrüßenswerte Konzeption zur Umsetzung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung, wie es europarechtlich nunmehr durch Art. 8 f. RL 2016/343/EU determiniert ist.“ Die Stellungnahme finden Sie hier

Auf Empfehlung des Rechtsausschusses erhob der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am 21. September 2018 gemäß Art. 76 Abs. 2 GG keine Einwendungen.

Am 26. September 2018 hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf (BT Drs. 19/4467) nun auch in den Bundestag eingebracht. Dort wurde er am frühen Morgen des 30. November 2018 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und AfD nach zweiter und dritter Lesung und auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (BT Drs. 19/6138) angenommen. 

In seiner Plenarsitzung am 14. Dezember 2018 stimmte der Bundesrat dem verabschiedeten Gesetz ebenfalls zu. Es wurde am 20. Dezember 2018 verkündet und trat am darauffolgenden Tag in Kraft.

 
 
 
 
 

Gesetzentwurf zur Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein

Gesetzentwürfe: 

Am 16. Juni 2022 brachte die Fraktion Die Linke einen Gesetzentwurf zur Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein in den Bundestag ein (BT Drs. 20/2081) und startet damit erneut die Diskussion um die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Der Entwurf ist wortgleich zu der Initiative aus 2018 (BT Drs. 19/1115). Die Fraktion zog bereits damals einen Vergleich zum Falschparken heran, welches nur als eine Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Sie lehnt es im Zuge dessen ab, den Straftatbestand des § 265a StGB zu einer Ordnungswidrigkeit herab zu stufen. Dies begründet sie mit dem erhöhten Beförderungsentgelt, das mit 60 EUR höher liege, als die meisten „Knollen“ für Parksünder. Schließlich würde zu guter Letzt durch die geforderte Entkriminalisierung des Schwarzfahrens Polizei und Justiz  sowie die Staatskasse entlastet. 

Am 26. Januar 2023 wurde der Gesetzentwurf zusammen mit einem Entwurf zur Entkriminalisierung des Containerns erstmals im Bundestag beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 19. Juni 2023 eine Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Die Expert:innen waren sich überwiegend einig, dass das Fahren ohne Fahrschein künftig nicht mehr als Straftat geahndet werden solle. Neben dem Vorschlag § 265a StGB ersatzlos zu streichen oder das Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen, wurde vorgeschlagen, die Fahrpreise des ÖPNV zu senken oder einen kostenfreien öffentlichen Personennahverkehr einzurichten. Markus Kühn vom Sozialdienst Katholischer Männer in Köln betonte, dass niemand eine Ersatzfreiheitsstrafe antrete, der sich ein Ticket leisten könne. Das Fahren ohne Fahrschein sei daher eher ein soziales Problem. Der gleichen Ansicht war auch Dr. Angelika Allgayer, Richterin am BGH, die die Lösung des Problems nicht im Strafrecht, sondern in der Ausgabe von Sozialtickets sah, um ein „normgetreues Verhalten möglich zu machen“. Dennoch sprach sie sich für einen Erhalt des § 265a StGB aus, da betrugsnahes Verhalten strafrechtlich zu würdigen sei. Neben den Sozialmaßnahmen hielt Dr. Jana Zapf vom Deutschen Richterbund eine Beschränkung auf solche Fälle für sinnvoll, in denen ein Kontrollmechanismus bei der Beförderungserschleichung umgangen werde, da dies mit einer erhöhten kriminellen Energie einhergehe. Benjamin Derin vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, Ali B. Norouzi vom Deutschen Anwälteverein und Arne Semsrott von der Initiative Freiheitsfonds sprachen sich eindeutig für eine ersatzlose Streichung des § 265a StGB aus, da es um einen rein zivilrechtlichen Konflikt ohne strafwürdiges Unrecht gehe, dessen Schäden im Bagatellbereich lägen. Um eine Doppelbelastung zu vermeiden, solle das Zivilrecht diesen Konflikt auch lösen. Prof. Dr. Roland Hefendehl fand ebenfalls deutliche Worte. Die ersatzlose Streichung der Beförderungserschleichung sei „nicht nur kriminalpolitisch sinnvoll, sondern verfassungsrechtlich geboten“. Eine alternative Lösung über das Ordnungswidrigkeitenrecht lehnte er ab. Eine Geldstrafe oder ein Bußgeld sei noch schwieriger einzutreiben, als der zivilrechtliche Anspruch. Auch Derin und Semsrott lehnten eine Herabstufung des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit ab. Dies führe nur zu einer Verlagerung des eigentlichen Problems und konterkariere das Ziel, mir einer Entkriminalisierung die Justiz zu entlasten. Prof. Dr. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg und Prof. Dr. Andreas Mosbacher, Richter am BGH, sprachen sich zwar für eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens aus, sahen aber beide eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit als vorzugswürdig an. Dabei handle es sich um eine kriminalpolitische Ermessensentscheidung, so Kubiciel. Es sei aus normativen Gründen nicht zwingend erforderlich, auf eine staatliche Sanktionierung zu verzichten. Mosbacher betonte, man solle sich aus Gründen der Ressourcennutzung in der Strafjustiz auf die Verfolgung wirklich strafwürdigen Unrechts konzentrieren. Das Schwarzfahren lasse sich als Bagatellunrecht im Ordnungswidrigkeitenrecht daher gut verorten. 

 


19. Legislaturperiode: 

Am 12. März 2018 brachte die Fraktion DIE LINKE einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein (BT Drs. 19/1115) in den Bundestag ein. Mit dem Entwurf soll der Straftatbestand des § 265a StGB gestrichen und das Fahren ohne Fahrschein nunmehr nicht mehr strafrechtlich sanktioniert werden. 

Wer ohne gültigen Fahrschein ein öffentliches Verkehrsmittel nutzt, macht sich bislang gem. § 265a Abs. 1 StGB wegen Beförderungserschleichung strafbar. Dies kann eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Nicht selten können die Geldstrafen wegen Zahlungsunfähigkeit nicht beglichen werden und  es kommt im Ergebnis dann zu einer Ersatzfreiheitsstrafe. 

Nach Ansicht der Fraktion treffe dies am häufigsten arme und hilfsbedürftige Menschen sowie Obdachlose, die sich einen Fahrschein nicht leisten können und denen dann zudem eine Eintragung ins Strafregister mit weiterer stigmatisierender Wirkung drohe. Des Weiteren komme es einer Doppelbestrafung gleich, wenn die Verkehrsbetriebe zusätzlich ein nicht unerheblich erhöhtes Beförderungsentgelt erheben. Die dadurch intendierte abschreckende Wirkung könne sich nie entfalten, weil die Gelder für die Beförderung schlichtweg nicht aufgebracht werden können. Das Strafrecht mit seiner Ultima-Ratio-Funktion dürfe daher hier nicht unverhältnismäßig hart zur Anwendung gelangen. Da bei der Beförderungserschleichung weder Personen noch Sachen zu schaden kommen, reiche es aus, wenn die Verkehrsbetriebe selbst für einen Ausgleich des finanziellen Schadens sorgen. Dies solle nicht den staatlichen Stellen aufgebürdet werden, da eine solche Privilegierung der Verkehrsbetriebe gegenüber anderen Gläubigern zudem auch nicht gerechtfertigt sei.

Als Vergleich zieht die Fraktion das Falschparken heran, welches nur als eine Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Sie lehnt es im Zuge dessen jedoch ab, den Straftatbestand des § 265a StGB zu einer Ordnungswidrigkeit herab zu stufen. Dies begründet sie mit dem erhöhten Beförderungsentgelt, das mit 60 EUR höher liege, als die meisten „Knollen“ für Parksünder. Schließlich würden zu guter Letzt durch eine Entkriminalisierung auch Polizei und Justiz  sowie die Staatskasse entlastet. 

Am 18. April 2018 brachte auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in den Bundestag ein (BT Drs. 19/1690). Auch die Grünen ziehen einen Vergleich zu den Parkverstößen. Die Fraktion betont jedoch, dass eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens nicht mir einer Legalisierung gleichzusetzen sei. Darum sieht der Gesetzentwurf der Grünen die Aufhebung des Tatbestandes der Beförderungserschleichung in § 265a Abs. 1 StGB in Verbindung mit der Schaffung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes vor. Damit seien die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz und schließlich durch den Wegfall von Ersatzfreiheitsstrafen auch der Strafvollzug entlastet. 

Beide Entwürfe wurden am 20. April 2018 im Plenum diskutiert und zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen.

Am 7.11.2018 fand eine öffentliche Anhörung zur Strafbarkeit des Schwarzfahrens  im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz statt. Sachverständige aus Wissenschaft, Justiz und Verbänden legten ihre Sicht auf Gesetzentwürfe der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen dar. Die beiden Entwürfe wurden kontrovers diskutiert. Die Staatsanwälte sprachen sich dafür aus, den Gesetzestext beizubehalten. Die Richter zeigten sich dagegen für Änderungen offen.

Die Abgeordneten interessierten sich vor allem für die Unterschiede zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht und deren Bedeutung für die Ahndung der Beförderungserschleichung.  Auch die Frage der besseren Kontrolle der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr wurde erörtert.

Die Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Mit der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens beschäftigten sich auch schon Lorenz/Sebastian in KriPoZ 6/2017. Den Beitrag finden Sie hier

Am 10. September 2019 brachte der Freistaat Thüringen einen Gesetzesantrag zum „Fahren ohne Fahrschein“ als Ordnungswidrigkeit (BR Drs. 424/19) in den Bundesrat ein. Auch er sieht vor, die Tatbestandsalternative der Beförderungserschleichung zu streichen und einen neuen Ordnungswidrigkeitentatbestand der unbefugten Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels einzuführen. Die Landesinitiative wurde am 20. September im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss an die Ausschüsse überwiesen. 

Am 27. Januar 2021 hat der Rechtsausschuss seine Beschlussempfehlung (BT Drs. 19/26271) zu den Entwürfen der Linken und der Grünen vorgelegt und empfahl dem Bundestag beide Entwürfe abzulehnen. Ein gleichlautender Beschluss erging am 23. Juni 2021 ohne weitere Aussprache. 

 

Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor ausländischen Gefährdern

Gesetzentwürfe: 

 

Am 28. Februar 2018 bracht die Fraktion der AfD einen Gesetzentwurf zum Schutz der Bevölkerung vor ausländischen Gefährdern (BT Drs. 19/931) in den Bundestag ein. Die derzeit geltenden Regelungen in Asyl- und Aufenthaltsgesetz seien nicht ausreichend, um die Bevölkerung vor gewalttätigen und bereits straffällig gewordenen Ausländern zu schützen. Ebenso könne durch deren Aufenthalt die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden. Die Fraktion betont, dass es insbesondere keine gesetzlichen Möglichkeiten gebe Gefährder in Haft zu nehmen, soweit eine Erteilung der Wohnsitzauflage und das Verbot sozialer Kontakte und die Nutzung bestimmter Kommunikationsmittel oder -dienste nach § 56 AufenthG nicht ausreichen, um eine Gefahr zu beseitigen. Dass die derzeitigen Regelungen zum Schutz der Bevölkerung nicht ausreichen, zeige das Beispiel des Attentats auf den Berliner Breitscheidplatz.

Darum soll durch eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes eine gesetzliche Meldepflicht für Ausländer eingeführt werden, gegen die eine Ausweisungsverfügung (§ 53 AufenthG) oder eine Abschiebeanordnung nach § 58a AufenthG besteht. Ebenso soll die Möglichkeit der Anordnung einer Haft eingeführt werden, wenn Meldepflichten oder Verbote sozialer Kontakt oder der Nutzung bestimmter Kommunikationsmittel oder -dienste unzureichend erscheinen. Die Möglichkeit der Haft soll dabei so lange bestehen, bis die Ausweisung vollzogen wurde. 

Des Weiteren sieht die Fraktion die Einführung eines § 56a AsylG vor: Während des laufenden Asylverfahrens soll demnach auch hier ein Haftgrund für den Fall geschaffen werden, dass von den Antragstellern eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter ausgeht. Außerdem soll die zuständige Behörde eine räumliche Beschränkung im Falle des Vorliegens jedweder Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter anordnen können. Dazu soll das Tatbestandsmerkmal der „erheblichen Gefahr“ in § 59b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gestrichen werden. 

Zuletzt hatte die Fraktion der AfD eine Kleine Anfrage (BT Drs. 19/561) zur Anwendung der elektronischen Fußfessel bei islamistischen Gefährdern und schweren Straftaten gestellt. Die Antwort der Bundesregierung finden Sie hier.

Am 1. März 2018 beschäftigte sich der Bundestag in erster Lesung mit dem eingebrachten Entwurf. Teil der Debatte war ebenfalls ein Antrag der AfD mit dem Titel „Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr von Gefahren“ (BT Drs. 19/932). Im Anschluss an die Debatte wurden die beiden Vorlagen zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss überwiesen. Dieser hat sich in seiner Beschlussempfehlung (BT Drs. 19/2226) gegen den Gesetzentwurf der AfD sowie gegen den Antrag zur „Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr von Gefahren“ ausgesprochen. 

Am 1. Februar 2019 debattierte der Bundestag über einen Antrag der FDP zur Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur und stimmte zugleich über beide Vorhaben der AfD ab. Gegen die Stimmen der Fraktion wurden beide Entwürfe einhellig abgelehnt. 

 

 

Cannabis-Modellprojekte

Anträge:

 

Die Fraktion der FDP brachte am 25. Januar 2018 einen Antrag zur Ermöglichung von Cannabis-Modellprojekten in den Bundestag ein (BT Drs. 19/515). Darin wird die Bundesregierung aufgefordert,

  1. die Grundlagen für die Genehmigung von Modellprojekten zur Erforschung der kontrollierten Abgabe von Cannabis als Genussmittel zu schaffen
    und diese Modellprojekte zu ermöglichen. Sollten hierzu gesetzliche Änderungen notwendig sein, so ist dem Bundestag eine Gesetzesvorlage bis zum 31.5.2018 vorzulegen;
  2. die bisherigen Antragssteller aktiv zur erneuten Antragsstellung aufzufordern und bei der Antragsstellung zu unterstützen;
  3. weitere interessierte Länder und Kommunen, die ein Cannabis-Modellprojekt zur Verwendung als Genussmittel umsetzen möchten, ebenfalls zu beraten und zu unterstützen;
  4. dem Bundestag über die Durchführung dieser Maßnahmen und über die Modellprojekte bis zum 31.8.2017 zu berichten (BT Drs. 19/515, S. 1 f.)

Die Fraktion ist der Meinung, es sei an der Zeit neue Wege zu beschreiten. Eine Bekämpfung des Cannabis-Konsums durch Repression sei gescheitert. Das Ziel soll sein, die Verbreitung zu kontrollieren und den Gesundheits- und Jugendschutz nach vorne zu bringen. Dazu benötige es wissenschaftliche Grundlagen, die durch die Cannabis-Modellprojekte gewonnen werden könnten. Sie sollen der Erforschung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis als Genussmittel dienen. Dabei müsse jedoch sichergestellt werden, dass Minderjährige keinen Zugang zu den ausgegebenen Cannabis-Produkten erhalten.

Auf eine kleine Anfrage der FDP zur kontrollierten Abgabe von Cannabis gab die Bundesregierung an, es gebe in Deutschland etwa 1,2 Millionen Personen zwischen 18 und 64 Jahren, die monatlich oder häufiger Cannabis konsumieren. Davon gaben 630.000 Personen an, sogar wöchentlich oder häufiger Cannabis zu konsumieren (BT Drs. 19/310). Dies zeige, dass die präventive Wirkung der Strafandrohung nicht den gewünschten Erfolg erziele.

Durch eine kontrollierte Abgabe von Cannabis als Genussmittel wäre die Qualität der Produkte regelbar und kontrollierbar, so dass Konsumenten nicht dem Risiko ausgesetzt seien, verunreinigte Produkte zu erhalten. Des Weiteren könnten durch eine Besteuerung wichtige Einnahmen generiert werden, die dann der Suchtprävention zugute kommen können. Auch die Strafverfolgungsbehörden könnten erheblich entlastet werden, wenn Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis weitgehend nicht mehr verfolgt werden müssten. Insgesamt werde so ein Beitrag zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung geleistet. 

Bislang haben ebenfalls die Stadt Münster und der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Modellprojekte zur Abgabe von Cannabis als Genussmittel beantragt. Die Anträge wurden allerdings durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgelehnt. Ein solches Projekt verstoße gegen den Schutzzweck des Betäubungsmittelgesetzes und sei auch nicht zur Verhinderung von Drogenabhängigkeiten geeignet.

Nachdem der Bundestag im Januar 2017 die Abgabe von Cannabis als Medizin ermöglichte (Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017: BGBl I 2017, Nr. 11. S. 403 ff.), beschäftigte er sich im Mai 2017 mit dem Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes. Nachdem sich der Gesundheitsausschuss gegen den Entwurf aussprach, wurde eine Legalisierung von Cannabis durch die Bundesregierung abgelehnt.

Am 27.6.2018 fand eine öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses statt, in der es um Anträge der Fraktionen von FDP und Die Linke sowie um einen Cannabis-Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ging. Eine mögliche Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Cannabis ist unter Experten weiter heftig umstritten. Es wurden der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap, der Suchtforscher Rainer Thomasius, der Rechtsexperte Lorenz Böllinger, der Sachverständige Uwe Wicha, Leiter einer Klinik für Drogenrehabilitation und ein Sprecher der Bundesärztekammer gehört. Psychiater sehen in Cannabis eine problematische Droge, deren Auswirkungen auf die Psyche noch nicht vollständig erforscht sind. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) verwies auch auf Wechselbeziehungen zwischen dem Cannabiskonsum und der Abhängigkeit von anderen Drogen wie Alkohol, Amphetaminen, Kokain und Nikotin.

Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Am 29. Oktober 2020 ist der Antrag vom Bundestag neben dem Cannabiskontrollgesetz abgelehnt worden.

 

EU – Cybersicherheitsagentur und EU – Zertifizierungsrahmen für die Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik

Entwürfe:

  • Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat – Abwehrfähigkeit, Abschreckung und Abwehr: die Cybersicherheit in der EU wirksam erhöhen JOIN(2017) 450 final: BR-Drs. 654/17

Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 654/1/17
Beschluss des Bundesrates: BR Drs. 654/17 (B)

  • Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die „EU-Cybersicherheitsagentur“ (ENISA) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 526/2013 sowie über die Zertifizierung der Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik („Rechtsakt zur Cybersicherheit“) COM(2017) 477 final: BR Drs. 680/17

Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 680/1/17

Stellungnahme der Europäischen Kommission: BR Drs. 362/18

 

Am 24. November 2017 hat sich der Bundesrat in seiner Plenarsitzung mit einer gemeinsamen Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Abwehrfähigkeit, Abschreckung und Abwehr: die Cybersicherheit in der EU wirksam erhöhen, JOIN(2017) 450 final, auseinandergesetzt und begrüßte ausdrücklich, dass sich die Kommission mit dem Thema der Cybersicherheit beschäftigt. Es wurden allerdings einige Verbesserungsvorschläge formuliert. Der Bundesrat sprach sich dafür aus, die Nutzerinnen und Nutzer weitergehend für die Problematik zu sensibilisieren und sich nicht nur mit technischen Fragen zu beschäftigen. So sollten bspw. die Gewährleistungsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Zusammenhang mit Sicherheitslücken bei IT-Produkten geregelt werden. Die Kommission wurde entsprechend gebeten Vorschläge zu erarbeiten.

Am 15. Dezember 2017 beriet der Bundesrat über einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die „EU-Cybersicherheitsagentur“ (ENISA) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 526/2013 sowie über die Zertifizierung der Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik („Rechtsakt zur Cybersicherheit“). Die Kommission verfolgt damit das Ziel, die ENISA zu reformieren und weiterzuentwickeln. Durch die Verordnung soll die ENISA als Sicherheitsagentur befähigt werden, die EU in der Zukunft angemessen zu unterstützen und der veränderten Wirklichkeit Rechnung zu tragen. Außerdem soll ein EU-Zertifizierungsrahmen für die Cybersicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik geschaffen werden.

Dem Vorschlag lassen sich folgende Maßnahmen entnehmen (BR Drs. 680/17, S. 3 f.):
  • Ausbau der Kapazitäten und der Abwehrbereitschaft der Mitgliedstaaten und Unternehmen, insbesondere in Bezug auf kritische Infrastrukturen
  • Verbesserung der Zusammenarbeit und der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU
  • Ausbau der Kapazitäten auf EU-Ebene, um die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu ergänzen, insbesondere im Fall von grenzüberschreitenden Cyberkrisen
  • stärkere Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen für Fragen der Cybersicherheit
  • Verbesserung der Transparenz bei den Angaben zur Vertrauenswürdigkeit der bescheinigten Cybersicherheit von IKT-Produkten und -Diensten
  • Vermeidung eines Nebeneinanders unterschiedlicher Zertifizierungssysteme in der EU sowie der damit verbundenen Anforderungen und Bewertungskriterien in den einzelnen Mitgliedstaaten und Sektoren.

Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten gaben hierzu eine Empfehlung ab (BR Drs. 680/1/17). Begrüßt wurde, dass die EU dem Thema „Cybersicherheit“ große Aufmerksamkeit widmet. Sie äußerten sich jedoch in vielen Punkten zu dem Vorschlag kritisch. U.a. bestehen dahingehend Zweifel, ob der Verordnungsvorschlag im Hinblick auf die Ausgestaltung der europäischen Systeme für die Cybersicherheitszertifizierung den Grundsätzen der Subsidiarität nach Art. 5 Abs. 3 EUV und der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV entspricht. Ebenso wurde betont, dass das vorgeschlagene Zertifizierungssystem nicht dazu dienen dürfe, gerechtfertigte nationale Anforderungen auszuhöhlen.

Die Stellungnahme wird nun an die Kommission übermittelt.

 

 
 
 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Bürgerrechte (Bürgerrechtestärkungs-Gesetz – BüStärG)

Gesetzentwürfe:

Am 12. Dezember 2017 hat der Bundestag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Stärkung der Bürgerrechte beraten. Nach Ansicht der FDP sei das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit aus der Balance geraten. In einer Vielzahl von Fällen habe der Gesetzgeber die Bürgerinnen und Bürger in der vergangenen Legislaturperiode unverhältnismäßig eingeschränkt, z.B. mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder der anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten. Der Staat müsse zwar seiner Schutzpflicht gegenüber der Bürgerinnen und Bürger nachkommen und sie vor Kriminalität und Terrorismus schützen, er habe hierbei jedoch insbesondere die Grenzen zu wahren, die ihm das Grundgesetz vorgibt. Eine Trendwende in der Innen- und Rechtspolitik sei daher dringend notwendig. Grundrechte sollten wieder respektiert und beachtet werden und nicht nur als Grenze staatlichen Handelns fungieren. Ein erster Schritt für diese Trendwende solle daher die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sowie der Vorratsdatenspeicherung sein.

Die bußgeldbewehrten Regelungen des NetzDG rund um die Löschpflicht der Netzwerkbetreiber könnten zu einer vorsorglichen Löschung zulässiger Meinungen führen. Einzig die Pflicht zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten sei sinnvoll und soll in das Telemediengesetz (TMG) übernommen werden. Die FDP bezweifelt des Weiteren, ob dem Bund überhaupt die Gesetzgebungskompetenz zur Regulierung von Telemedien im Umgang mit rechtswidrigen Inhalten zustehe.

Ferner sei die anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten europarechtswidrig sowie verfassungswidrig. Dies habe nicht nur der EuGH bereits festgestellt, sondern auch deutsche Gerichte – wie das OVG Münster – teilten diese Ansicht. Die Bundesrepublik Deutschland sei verpflichtet die Rechtsprechung des EuGH umzusetzen und die Regelungen zur anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten gemäß §§ 113a ff. TKG zu streichen.

Der Gesetzentwurf wurde im Anschluss an die Sitzung zur weiteren Beratung an den Hauptausschuss überwiesen.

Am 13. Juni 2018 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt. Unter der Leitung von Stephan Brandner wurden neun Experten aus Wissenschaft und Praxis zur Streichung der Vorratsdatenspeicherung befragt. Die Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Während sich die Richter und Staatsanwälte unter den Experten gegen die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung aussprachen, wurde der Entwurf durch den DAV und den Chaos Computer Club begrüßt. Eine Aufhebung der Regelungen sei dringend geboten, denn nach der Rechtsprechung des EuGH stehe fest, dass die anlasslose Speicherung von Daten unionsrechtswidrig sei. Es schaffe Rechtsunsicherheiten, wenn der Gesetzgeber nicht eingreife und die Beurteilung der Lage den Gerichten überlasse. 

Der DRB sieht hingegen keine Alternative zur Nutzung der Vorratsdaten für die Strafverfolgungsbehörden. Gerade in Fällen der Kinderpornographie oder der Volksverhetzung bleibe für die Ermittlungen nur die IP Adresse des Täters als Anhaltspunkt. Dies betonte auch OStA´in Petra Leister, die sich dafür aussprach die EuGH-Rechtsprechung umzusetzen, ohne die deutsche Regelung auszusetzen. Dann sei wenigstens eine teilweise Datenspeicherung möglich. 

Die anwesenden Vertreter der Wissenschaft beurteilten den Gesetzentwurf unterschiedlich. Während Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger ebenfalls dafür plädierte, trotz der EuGH-Rechtsprechung an den bestehenden Regelungen festzuhalten, betonte Prof. Dr. Mark Cole, dass die Vorratsdatenspeicherung mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen sei. Eine anlasslose und generelle Speicherung von Verkehrsdaten sei grundrechtlich bedenklich. Deshalb sprach er sich dafür aus, die Regelung in ihrer derzeitigen Form abzuschaffen. 

Alle Experten erhoffen sich noch in diesem Jahr eine Klärung durch das BVerfG

Am 30. Januar 2020 hat der Rechtsausschuss sich gegen den Entwurf der FDP ausgesprochen (BT Drs. 19/16919). Ein ablehnender Beschluss durch den Bundestag erging schließlich am 23. Juni 2021 ohne weitere Aussprache. 

 

Aufhebung des § 219a StGB – Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft

Gesetz zur Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes, zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Änderung des Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen vom 11. Juli 2022: BGBl. I 2022, S. 1082 ff.

Gesetzentwürfe: 

 

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann kündigte bereits kurz nach seinem Amtsantritt an, einen Entwurf zur Aufhebung des § 219a StGB auf den Weg bringen zu wollen. Das BMJ veröffentlichte am 25. Januar 2022 einen entsprechenden Referentenentwurf, der gleichzeitig zwecks Stellungnahmen an die Länder und Verbände geschickt wurde.

Die Aufhebung des § 219a StGB soll betroffenen Frauen die Möglichkeit eröffnen, sich auch außerhalb von persönlichen Beratungsgesprächen über einen Schwangerschaftsabbruch informieren zu können und zwar direkt bei den Ärztinnen und Ärzten, die einen solchen Eingriff vornehmen. Den betroffenen Medizinern soll die Unterstützung ihrer Patientinnen ermöglicht werden, ohne dass sie einen Strafverfolgung befürchten müssen. Trotz der Reform des § 219a StGB im Jahr 2019 sei dies immer noch nicht gewährleistet. 

Die ersatzlose Aufhebung des § 219a StGB sei mit der grundrechtlichen Schutzpflicht des Gesetzgebers für ungeborenes Leben durchaus vereinbar. Der Straftatbestand sei „kein tragender Bestandteil des danach gebotenen Schutzkonzepts, dem der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs Rechnung zu tragen“ habe. Dies ergebe sich schon daraus, dass das BVerfG in seinen Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch § 219a StGB nicht erwähne. 

Die bislang immer wieder geäußerte Gefahr unsachlicher und anpreisender Werbung für den Schwangerschaftsabbruch sieht der Referentenentwurf aufgrund bestehender strafrechtlicher und berufsrechtlicher Regelungen (§ 27 Abs. 3 der Berufsordnungen der Landesärztekammern, § 111 StGB – Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 140 StGB – Belohnung und Billigung von Straftaten) nicht. Damit sei „ausreichend sichergestellt, dass die Information über den Schwangerschaftsabbruch nicht in einer Weise erfolgt, welche die Entscheidungsfreiheit der Frau beeinträchtigt, in eine bestimmte Richtung lenkt oder gar Schwangerschaftsabbrüche kommerzialisiert“. Ferner zeige sich bereits eine alleinige Wirksamkeit des bestehenden Beratungskonzepts zum Schutz ungeborenen Lebens in den rückläufigen Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche seit 1996. 

Dr. Marco Buschmann erklärte dazu: 

„Frauen, die einen Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen, befinden sich in einer schwierigen Lebenssituation. Sie wollen sich informieren und suchen Rat zu Methoden und zu möglichen Risiken. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und damit am besten sachlich informieren können, nach der derzeitigen Rechtslage eine Strafverfolgung befürchten müssen. Das passt nicht in unsere Zeit. Sachliche Information von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch sollen daher nicht länger strafbar sein. So ermöglichen wir ratsuchenden Frauen die bestmögliche Information auch außerhalb eines persönlichen Beratungsgesprächs und geben Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit. Klar ist auch: Anpreisende Werbung bleibt selbstverständlich verboten.“

Eine Übersicht über die Stellungnahmen der Länder und Verbände finden Sie hier

Am 9. März 2022 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf  auf den Weg gebracht. Im Unterschied zum Referentenentwurf enthält die Begründung nunmehr keine Ausführungen mehr zu den §§ 111 und 140 StGB. Die Union lehnt den Entwurf ab und brachte am 15. März 2022 einen Antrag in den Bundestag ein, das Interessen der Frauen zu stärken und den Schutz des ungeborenen Kindes beizubehalten (BT Drs. 20/1017). § 219a StGB solle vielmehr modifiziert werden. Ärztinnen und Ärzte sowie entsprechende Einrichtungen sollen auf ihrer Internetseite wertungsfrei über die von ihnen angewendete Methoden bei einem Schwangerschaftsabbruch informieren dürfen. Es sollte bspw. aber auch die Möglichkeit für die Kostenübernahme ärztlich verordneter Verhütungsmittel geben. Eine Streichung des § 219a StGB sei zum Schutz des ungeborenen Lebens nicht angezeigt. Auch eine Rechtsunsicherheit für Ärztinnen und Ärzte könne die Union nicht sehen. Die geltende Rechtslage sei „unmissverständlich und einfach einzuhalten“. Vielmehr dürfe es auch nicht zu mehr Rechtssicherheit führen, „wenn die Vorschrift des § 219a StGB gestrichen, gleichzeitig aber die irreführende Werbung nach dem Heilmittelwerbegesetz unter Strafe gestellt wird. Denn gerade dann wird streitig werden, ob die Werbung irreführend ist.“ Die rein berufsrechtlichen Regelungen seien allein nicht ausreichend: „Diese berufsrechtlichen Regelungen genügen nicht den Vorgaben des BVerfG, wonach der Staat deutlich machen muss, dass ein Schwangerschaftsabbruch keine medizinische Dienstleistung wie jede andere ist. Denn beim berufsrechtlichen Werbeverbot handelt es sich außerdem um Standesrecht der Ärzte, das diese in jedem Bundesland selbständig abändern können. Zudem ist die Rechtsdurchsetzung in der Regel schwieriger. Das verfassungsrechtlich geforderte Schutzkonzept für das ungeborene Leben gebietet es, dass der demokratische Gesetzgeber selbst eine klar erkennbare „rote Linie“ gegen die Werbung für Abtreibungen zieht. Er kann diese Aufgabe nicht auf den ärztlichen Berufsstand delegieren.“ 

Am 3. Mai 2022 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf mit der Einstufung als „besonders eilbedürftig“ in den Bundesrat eingebracht. Bereits am 13. Mai 2o22 wurde der Entwurf zusammen mit dem Antrag der CDU/CSU und dem Antrag der Fraktion Die Linke in erster Lesung im Bundestag beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 18. Mai 2022 eine öffentlichen Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Die Expert*innen sprachen sich mehrheitlich für die geplante Abschaffung des § 219a StGB aus. Kristina Hänel betonte, dass sie keinen guten Grund sehe, ungewollt schwangeren Frauen Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch vorzuenthalten. § 219a StGB sei mit dafür verantwortlich, dass die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland immer schlechter werde. Auch Monika Börding, Bundesvorsitzende des Bundesverbandes pro familia, machte die Wichtigkeit der Streichung des § 219a StGB deutlich. Er verletze die Informationsrechte von Betroffenen, Ärztinnen und Ärzten. Letztere sähen sich bei einer Abschaffung auch nicht mehr der Anzeige von Gegner*innen der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung ausgesetzt. Dieser erste Schritt reiche jedoch noch nicht aus. Dem stimmte auch Dr. Leonie Steinl, Vorsitzende des Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes, zu, die insbesondere auch in der Rehabilitierung der auf Grundlage von § 219a StGB Verurteilten ein wichtiges Zeichen sah. Valentina Chiofalo vom Netzwerk Doctors for choice bezog sich in ihrer Stellungnahme auf die geplanten Änderungen im HWG und kritisierte, dass diese nicht weit genug gingen. Die jetzigen Defizite beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen seien der Kriminalisierung, Stigmatisierung und Tabuisierung des Abbruchs geschuldet. Einen Misstand bei der Versorgung und bei der Information von Frauen im Schwangerschaftskonflikt konnte jedoch Gynäkologin Prof. Dr. Angela Köninger nicht bestätigen und sprach sich für eine Diskussion fern von „theoretischen Angstkulissen“ aus. Der Grund, warum Ärztinnen und Ärzte keine Schwangerschaftsabbrüche durchführten, liege allein in deren Berufung auf ihr eigenes Selbstbestimmungsrecht. Prof. Dr. Elisa Hoven von der Universität Leipzig erklärte in ihrer Stellungnahme u.a., dass § 219a StGB seine Legitimation mit der strafrechtlichen Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen verloren habe. Die Bestrafung von neutralen Informationen sei verfassungsrechtlich bedenklich und ein Beharren auf die Strafnorm nicht mehr zeitgemäß. Auch Prof. Dr. Anna Katharina Mangold von der Europa Universität in Flensburg begrüßte  eine Streichung des § 219a StGB. Das BVerfG habe in seiner Rechtsprechung das Werbeverbot an keiner Stelle erwähnt, obgleich es alle entsprechenden Strafrechtsnormen überprüft habe. Einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck für den Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte*innen und die Informationsfreiheit der Schwangeren könne sie nicht erkennen. 

Gegen eine Streichung des § 219a StGB sprachen sich Dr. Natascha Sasserath vom Kommissariat der Deutschen Bischöfe und Albrecht Weißbach vom Verein „Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren“ (Kaleb) aus. § 219a StGB sei ein zentraler Punkt eines gut austarierten Schutzkonzepts. Daher solle er zum verfassungsrechtlich gebotenen Schutz ungeborenen Lebens erhalten bleiben und allenfalls hinsichtlich der Informationsbedarfe der Schwangeren angepasst werden. Eine Streichung sei weder notwendig, noch geboten. Weißbach sprach sich darüber hinaus noch dafür aus, dass der Gesetzgeber Maßnahmen ergreifen solle, die einer Einordnung von Abtreibung als „normale“ medizinische Heilbehandlung verhindere. Ähnlich argumentierte auch Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg. Er befand eine Streichung des Werbeverbots als verfassungsrechtlich bedenklich. Ein Mehr an Information für Betroffene lasse sich zielgerechter mit einer Änderung des § 219a StGB erreichen. Eine Abschaffung biete Spielräume für „meinungshaltige“ Darstellungen. Schließlich sei es eine Forderung des BVerfG, dass der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen habe, dass nicht der Eindruck entstehe, dass es sich bei einem Schwangerschaftsabbruch um einen „alltäglichen, also der Normalität entsprechenden Vorgang“ handele. 

Am 20. Mai 2022 beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und machte von seinem Recht der Stellungnahme vor einer Entscheidung des Bundestages keinen Gebrauch. Der Rechtsausschuss empfahl dem Bundestag in seinem Bericht (BT Drs. 20/2404) die Annahme des Gesetzentwurfs aus der BT Drs. 20/1635 in geänderter Fassung mit den Stimmen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und AfD in Abwesenheit der Fraktion Die Linke, sowie die Ablehnung der Anträge BT Drs. 20/1017, BT Drs. 20/1505, BT Drs. 20/1866 und BT Drs. 20/1736

Am 24. Juni 2022 beschäftigte sich der Bundestag abschließend mit den Gesetzesinitiativen und sprach sich mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke für eine Streichung des § 219a StGB aus. Die Fraktionen CDU/CSU und AfD votierten dagegen. In Folge soll der § 219a StGB ersatzlos gestrichen und die Urteile, die aufgrund des Werbeverbots erlassen worden sind, aufgehoben werden. Flankierend wird es eine Ergänzung im Heilmittelwerbegesetz und im Schwangerschaftskonfliktgesetz geben. Der Bundesrat hat sich am 8. Juli 2022 abschließend mit der Entscheidung befasst und den Entwurf gebilligt. 

Das Gesetz zur Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes, zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch und zur Änderung des Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen vom 11. Juli 2022 wurde am 18. Juli 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2022, S. 1082 ff.) und tritt am 19. Juli 2022 in Kraft. 

 

 


19. Legislaturperiode: 

Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 22. März 2019 (BGBl I Nr. 9, 28.03.2019)

Gesetzentwürfe:

Die Fraktion DIE LINKE brachte am 24. November 2017 einen dringlichen Antrag zur Abschaffung des § 219a StGB in den Hessischen Landtag ein. Sie forderte die Landesregierung auf, eine entsprechende Initiative im Bundesrat auf den Weg zu bringen.

Anlass für den Antrag war der am selben Tag stattfindende Prozess beim AG Gießen gegen eine Frauenärztin, die auf ihrer Homepage anbot, Infomaterial zu einem Schwangerschaftsabbruch per Mail zu versenden. Das Gericht verurteilte die Ärztin zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 EUR und schloss sich damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft an. Das Gericht war der Ansicht, dass die Vorschrift des § 219a StGB nicht verfassungswidrig sei und lehnte darum auch ein Vorlage an das BVerfG ab. Es handele sich bei § 219a StGB um eine verfassungsgemäße Einschränkung der Informationsfreiheit schwangerer Frauen. Diese, genauso wie die Berufsfreiheit der Ärzte, stehe dem Schutz des ungeborenen Lebens entgegen. Niemand könne das ungeborene Leben schützen, außer dem Staat.

Die Fraktion DIE LINKE kritisiert, dass es gerade die Ärztinnen und Ärzte seien, die für die Patientinnen eine Vertrauensperson darstellen. „Um das Recht auf eine freie Arztwahl zu garantieren, müssen Ärztinnen und Ärzte den betroffenen Frauen die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen dürfen. Schließlich sind Informations- auch Menschenrechte.“ Des Weiteren wurde angeführt, der § 219a StGB sei veraltet und überflüssig. Es gebe in Deutschland ausführliche gesetzliche Regelungen zum Arztwerberecht.

Auch die SPD und Die Grünen vertraten in der Landtagsdebatte die Ansicht, der § 219a StGB sei nicht mehr zeitgemäß. Ärzte dürften in ihrer Aufklärungspflicht nicht eingeschränkt werden, wenn sie als Vertrauensperson ihren Patientinnen in dieser schwierigen Situation zur Seite stehen.

Die CDU stellte klar, dass es in dem genannten Verfahren nicht um die Information als solche gegangen sei, sondern um die Werbung eines Abbruchs mit Preisbeispielen. Es sei wichtig, dass Frauen sich ausführlich über einen Schwangerschaftsabbruch informieren lassen können, dies solle aber weiterhin bei Beratungsgesprächen geschehen, die die Erhaltung der Schwangerschaft zum Ziel haben.

Am 28. November 2017 brachte die Fraktion DIE LINKE ebenfalls einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Werbeverbots in den Bundestag (BT Drs. 19/93) ein, am 6. Dezember folgte ihr Antrag in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Drs. 21/11248). 

Am 15. Dezember 2017 brachten die Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen einen Gesetzesantrag zur Aufhebung von § 219a StGB in den Bundesrat ein. Der Entwurf wurde im Plenum vorgestellt und im Anschluss zur weiteren Beratung an den Rechts- und Gesundheitsausschuss sowie an den Ausschuss für Frauen und Jugend überwiesen.

Auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN brachte am 6. Februar 2018 einen Gesetzentwurf zur Aufhebung von § 219a StGB in den Bundestag ein (BR Drs. 19/630). In dem Entwurf wird eine Entscheidung des BVerfG (Urt. v. 24.5.2006 – 1 BvR 1060/02, 1 BvR 1139/03, Rn. 36) zitiert: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“ Um dies in Zukunft sicherzustellen, bestehe gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Am 21. Februar 2018 brachte die Fraktion der FDP kurz vor der Bundestagsdebatte einen Entwurf zur Einschränkung des Verbots der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche (BT Drs. 19/820) in den Bundestag ein. Die FDP sieht vor, den § 219a StGB so anzupassen, dass eine Strafbarkeit nur für Werbung in grob anstößiger Weise in Frage kommt. Dies solle beispielsweise bei marktschreierischer, anpreisender, verharmlosender oder Schwangerschaftsabbrüche verherrlichender Werbung der Fall sein. Eine Werbung dieser Art verletze nicht nur das Empfinden breiter Teile der Bevölkerung, die Schwangerschaftsabbrüche aus moralischen Gründen ablehne, sondern stehe auch nicht im Einklang mit der Grundentscheidung des Gesetzgebers. Eine gänzliche Streichung des Straftatbestandes werde nicht dem staatlichen Schutzauftrag für das ungeborene Leben gerecht. Dass der Gesetzgeber auch in anderen Fällen eine Werbung verbiete, wie z.B. die Werbung für unerlaubte Veranstaltung des Glücksspiels oder irreführende Werbung durch unwahre Tatsachen, zeige, dass es unverständlich sei, wenn in Bezug auf das höhenwertige Schutzgut des ungeborenen Lebens nicht auf eine strafrechtliche Sanktionierung zurückgegriffen werde. 

Am 22. Februar 2018 fand in den Abendstunden die erste Lesung zu den Entwürfen der FDP, Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag statt. Am Ende der 45 minütigen Debatte wurden die Gesetzentwürfe  zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz weitergeleitet. 

Am 5. März 2018 bracht zu guter Letzt auch die Fraktion der SPD einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des § 219a StGB in den Bundestag ein (BT Drs. 19/1046). In der Begründung gibt die Fraktion an, dass die Mehrheit aller Staatsanwälte und Staatsanwältinnen bei dem bloßen Hinweis auf die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen erst gar keine Anklage erhebe. Es existiere durch das Tatbestandsmerkmal „anbietet“ ein Interpretationsspielraum, der Rechtsunsicherheit verursache und Ärztinnen und Ärzte davon abhalte, derartige Hinweise auf ihre Webseiten zu bringen. Diese seien aber die Quellen, wo üblicherweise Patienten ihre Informationen beziehen. Somit sei nicht nur das im Patientenrechtegesetz geregelte Recht auf Information, sondern auch das Recht auf freie Wahl des Arztes unzumutbar eingeschränkt.  

Am 27. April 2018 debattierte der Bundesrat erneut über den Gesetzesantrag der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen, obwohl die Beratungen in den Ausschüssen noch nicht abgeschlossen sind. Eine Abstimmung, ob der Entwurf beim Deutschen Bundestag eingebracht werden soll, erfolgte daher auch nicht. Die Ausschussberatungen werden nun fortgesetzt. 

Am 27. Juni 2018 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt. Die neun von den Fraktionen eingeladenen Sachverständigen aus Recht und Medizin sowie von Kirche und Gesellschaft beantworteten rund drei Stunden lang die Fragen der Abgeordneten. In der Anhörung sprachen sich jeweils vier Sachverständige für eine Streichung beziehungsweise Beibehaltung des Paragrafen aus, einer plädierte für den Entwurf der FDP, der nur noch „grob anstößige“ Werbung unter Strafe stellen will.

Kontrovers diskutiert wurde unter anderem, ob der Schutz des ungeborenen Lebens oder das Selbstbestimmungsrecht der Frau wichtiger sei. Katharina Jestaedt vom Kommissariat der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin, und der Mannheimer Gynäkologe Michael Kiworr, Mitglied der Organisation „Ärzte für das Leben“ sprachen sich ebenso wie der Augsburger Rechtsprofessor Michael Kubiciel und Andrea Redding, Geschäftsführerin des Vereins donum vitae zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens, gegen eine Streichung aus. Dieser Auffassung widersprachen die Professoren Ulrike Lembke vom Deutscher Juristinnenbund und Reinhard Merkel von der Universität Hamburg. Beide empfahlen, nach einer Streichung des Paragrafen „anstößige Werbung“ als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Auch Daphne Hahn vom Beratungsstellenverbund pro familia und Christiane Tennhard, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe aus Berlin und Fachberaterin des Familienplanungszentrums Balance sprachen sich für die Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch aus.

Der Gesetzentwurf der FDP wurde von den meisten Experten als nicht praktikabel angelehnt. Lediglich der Kölner Universitätsprofessor Thomas Weigend empfahl den FDP-Entwurf als sachgerechte Lösung.

Die Stellungnahmen – auch die bereits zuvor erfolgte des Kriminalpolitischen Kreises – sowie eine Liste der geladenen Sachverständigen finden sie hier.

Am 18. Oktober 2018 beriet der Bundestag über die Gesetzentwürfe der Fraktionen der FDP, Linke und die Grünen. Es gab nach der Debatte allerdings keine Abstimmung. Gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundestages kann 1o Wochen nach der Überweisung einer Vorlage an den Ausschuss eine Fraktion verlangen, dass dieser durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter dem Bundestag einen Bericht über den Stand der Beratungen (BT Drs. 19/5048BT Drs. 19/5049BT Drs. 19/4878) erstattet. Dieser Bericht muss auf Verlangen auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden und wird  wird im Anschluss an die Debatte stattfinden. 

Am 13. Dezember 2018 brachte die Fraktion der FDP einen Antrag (BT Drs. 19/6425) in den Bundestag ein, der die Bundesregierung auffordert unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche vorsieht.  Nach erster Beratung konnte sich die Fraktion jedoch nicht gegen die Mehrheit der CDU/CSU und SPD durchsetzen, die gegen eine Abstimmung und für eine Überweisung zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz plädierten. Am Abend zuvor hatten sich fünf Minister der GroKo (Horst Seehofer, Katarina Barley, Jens Spahn, Franziska Giffey und Helge Braun) darauf geeinigt, § 219a StGB im Grundsatz beizubehalten. Laut dem Eckpunktepapier will die Bundesregierung im Januar 2019 einen geeigneten Gesetzentwurf zu den vorgeschlagenen Ergänzungen des § 219a StGB und § 13 Schwangerschaftskonfliktgesetz vorlegen. 

Am 14. Dezember 2018 beschäftigte sich auch der Bundesrat erneut mit dem Gesetzesantrag der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen. Die Beratung wurde schließlich vertagt und zurück in den Rechtsausschuss verwiesen. 

Nach langer Diskussion innerhalb der großen Koalition hat das BMJV am 28. Januar 2019 einen Referentenentwurf zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch auf den Weg gebracht. Demnach soll § 219a StGB mit einem Abs. 4 um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden. Damit sollen künftig Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen öffentlich über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen informieren dürfen. Des weiteren soll über eine Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz eine von der Bundesärztekammer zentral geführte Liste mit Ärzten, Krankenhäusern und Einrichtungen eingerichtet werden, die mitgeteilt haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche gem. § 218a Abs. 1 bis 3 StGB durchführen. Diese Liste wird durch Die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Internet veröffentlicht. Ferner informiert das zentrale Hilfetelefon „Schwangere in Not“ (§ 1 Abs. 5 S. 1 SchKG) sowie die Schwangerschaftsberatungsstellen über die Angaben in der Liste. 

§ 219a Abs. 4 StGB-E lautet: 

„(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen

  1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraus- setzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder

  2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen.“

Am 6. Februar 2019 hat das Bundeskabinett den Referentenentwurf verabschiedet. Er wurde am 12. Februar 2019 durch einen gleichlautenden Entwurf der Koalitionsfraktionen in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/7693) und stand dort schon am 15. Februar 2019 auf der Tagesordnung. Ebenso stand er am 15. Februar 2019 auf der Tagesordnung des Bundesrates. In der Abstimmung erhielt aber weder die kritische Äußerung der Ausschüsse noch das positive Votum die Mehrheit. Daher wurde auf eine Stellungnahme seitens des Bundesrates verzichtet. 

Am 18. Februar 2019 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung zu dem Koalitionsentwurf statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Experten äußerten sich überwiegend kritisch zu dem Entwurf. Prof. Dr. Michael Kubiciel lehnte eine komplette Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche ab und nannte den Koalitionsentwurf eine deutlich bessere Alternative. Informationsdefizite könnten so vermieden und eine einheitliche qualitativ hochwertige Informationsgrundlage geschaffen werden. Zudem werde durch den Entwurf ein parteipolitisch hart umkämpfter Streit beendet. Trotz alledem gebe es für den Gesetzgeber aber noch einen „Optimierungsbedarf“. Prof. Dr. Reinhard Merkel sah in dem eingeschränkten, aber weiterhin bestehenden Werbeverbot einen Verfassungsverstoß. Im Fokus der Diskussion stehe immer die Informationsfreiheit der Frauen, obwohl es doch offensichtlich vorrangig darum gehen sollte, was der Staat mit Strafe bedrohen darf. Auch Prof. Dr. Ulrike Lembke, Vertreterin des Deutschen Juristinnenbundes, attestierte dem Koalitionsentwurf verfassungsrechtliche Mängel. Trotz der geplanten Änderungen liege darin ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit. Der Juristinnenbund fordere deswegen eine Streichung des § 219a StGB und die Schaffung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Prof. Dr. Ulrike Busch hielt den Gesetzentwurf insofern für ungeeignet, da nach wie vor die Informationsrechte limitiert seien. Insbesondere behandle der Entwurf sachliche Informationen unterschiedlich, je nachdem, ob sie auf einer ärztlichen Homepage oder auf der Liste zu finden seien. Lediglich aus parteipolitischen Erwägungen werde an einem gesellschaftlich überholten Straftatbestand festgehalten. Ähnliche Argumente fand auch Nora Szász, Gynäkologin aus Kassel. Prof. Dr. Elisa Hoven betonte ebenfalls die Ungleichbehandlung gleicher sachlicher Informationen. Der Entwurf stelle zwar eine Verbesserung der aktuellen Informationslage dar, löse aber nicht das Problem, dass Handlungen kriminalisiert werden die keinen Unrechtsgehalt aufweisen. Nadine Mersch vom Sozialdienst katholischer Frauen zeigte sich erleichtert darüber, dass die Koalitionsfraktionen eine gesetzliche Lösung gefunden haben. Bestehende Informationslücken seien so geschlossen und für die Ärzte und Kliniken eine Rechtssicherheit geschaffen. § 219a StGB könne nicht ersatzlos gestrichen werden, ohne die Vorgaben des BVerfG zum Lebensschutz zu unterlaufen. Es sei die Pflicht und die Verantwortung des Staates, das ungeborene Leben zu schützen und gleichzeitig Frauen in Konfliktsituationen angemessene Informationen bereitzustellen. Dr. med. Wolfgang Vorhoff aus Bad Aibling begrüßte ebenfalls die geplanten Änderungen des § 219a StGB. Eine komplette Streichung führe zu einem Wettbewerb um die beste Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Er betonte, genauso wie seine Kollegin Nora Szász, dass Kollegen, die einen Abbruch vornehmen, nicht länger stigmatisiert werden dürften. 

Am 19. Februar 2019 brachte die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf in den Bundestag ein (BT-Drs. 19/7834). Er entspricht im Wortlaut dem Koalitionsentwurf. Dort stand er bereits am 20. Februar 2019 auf der Tagesordnung. Ohne eine Aussprache wurde der Entwurf gleich an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zwecks weiterer Beratung überwiesen. Parallel beschäftigte sich der Ausschuss am 20. Februar 2019 mit dem Koalitionsentwurf. Dieser wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen durch den Ausschuss angenommen. 

Am 21. Februar 2019 hat der Bundestag den Entwurf von CDU/CSU und SPD mit 371 zu 277 (bei 4 Enthaltungen) angenommen. Gleichzeitig wurden die Gesetzentwürfe der Fraktion Die Linke (BT Drs. 19/93), der Fraktion der FDP (BT Drs. 19/6425) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BR Drs. 19/630) abgelehnt. Damit folgten die Abgeordneten einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (BT Drs. 19/7965). 

Am 15. März 2019 hat der Bundesrat ebenfalls den geplanten Änderungen des § 219a StGB zugestimmt und den Koalitionsentwurf gebilligt. Das Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 22. März 2019 (BGBl I Nr. 9, 28.03.2019) wurde am 28. März 2019 im Bundesgesetzblatt verkündet. 

Am 17. September 2021 stimmte der Bundesrat über einen erneute Länderinitiative aus Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Bremen (BR Drs. 761/17 (neu)) ab, die wiederholt die Abschaffung des Werbeverbots in § 219a StGB forderte. Der Antrag erhielt im Plenum jedoch nicht die erforderliche Mehrheit. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates

Einundsechzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates vom 10. März 2021: BGBl. I 2021, S. 333 ff.

Gesetzentwürfe:

Empfehlungen der Ausschüsse: BR-Drs. 653/1/17

 

Der Vorschlag der Europäischen Kommission soll den Rahmenbeschluss 2001/413/JI des Rates zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln ablösen. Dieser ist bislang für eine Einstufung von Betrug im unbaren Zahlungsverkehr als Straftatbestand maßgebend.

Der Zahlungsverkehr passt sich immer wieder an technologische Entwicklungen an und wird so vor neue Herausforderungen gestellt. Im aktuellen Rahmenbeschluss des Rates finden virtuelle Währungen und mobile Zahlungen nur unzulänglich Berücksichtigung.
 
Im Vergleich zum Vorjahr erreichte der Betrug im Zusammenhang mit im europäischen Zahlungsverkehr ausgestellten Karten im Jahr 2013 einen Zuwachs von 8%. Die Schadenssumme blief sich 2013 auf 1,44 Mrd. EUR. Da Kartenzahlungen gemessen an der Anzahl der Transaktionen das wichtigste unbare Zahlungsinstrument in der EU darstellen, führt diese Form des Betrugs zu einer Bedrohung für die Sicherheit. Er generiert nicht nur Einnahmen im Bereich der organisierten Kriminalität, sondern ermöglicht auch die Förderung von Terrorismus, Drogen- oder Menschenhandel.
 
In den Begleitunterlagen und der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission (SWD(2017) 299 final) wurden 3 Hauptprobleme in Bezug auf den aktuellen Rechtsrahmen thematisiert:
  1. Bei bestimmten Formen der Kriminalität ist eine wirksame Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung auf der Grundlage des derzeitigen rechtlichen Rahmens nicht möglich.
  2. Bei bestimmten Formen der Kriminalität ist eine wirksame Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung aufgrund operativer Hindernisse nicht möglich.
  3. Die Straftäter nutzen für ihre betrügerischen Handlungen Lücken in der Prävention.

Darum sollen nach dem Arbeitspapier 2 allgemeine und 3 spezielle Ziele verfolgt werden:

allgemeine Ziele:
  • Verbesserung der Sicherheit durch Verringerung der Attraktivität des Betrugs im unbaren Zahlungsverkehr als Einkommensquelle für kriminelle Vereinigungen (d.h. Verringerung der Gewinne, Erhöhung des Risikos).
  • Unterstützung des digitalen Binnenmarkts durch Steigerung des Vertrauens der Verbraucher und der Unternehmen in die Zahlungsprozesse sowie durch Verringerung der durch den Betrug im unbaren Zahlungsverkehr bewirkten unmittelbaren Verluste.
spezifische Ziele:
  • Schaffung eines klaren, soliden und technologieneutralen politischen/rechtlichen Rahmens
  • Beseitigung der operativen Hindernisse, die Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung behindern
  • Verbesserung der Prävention

Die Europäische Kommission unterbreitet daher den Vorschlag, im Bereich der Cyberkriminalität neue Straftatbestände zu schaffen. Sie möchte die Vorgaben für den Zahlungsverkehr an neue technologische Entwicklungen anpassen und durch die Regelung gerichtlicher Zuständigkeiten eine intensivere grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Strafjustizbehörden der EU-Mitgliedstaaten fördern.

Der Rechtsausschuss äußerte sich in seiner Stellungnahme bereits kritisch zu dem Thema. Die EU werde dadurch im Strafrecht gesetzgeberisch tätig. Dies obliege aber den Mitgliedstaaten. Der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union warnte davor, den Begriff der virtuellen Währung in das Strafrecht miteinzubeziehen. Bislang habe es keine Strafbarkeitslücken gegeben und ein Handeln des Gesetzgebers sei nicht angezeigt. Des Weiteren seien einige Formulierungen des Vorschlags rechtsstaatlich bedenklich.

Auch die Länder betonten in der Bundesratssitzung am 3. November 2017, dass vor dem Hintergrund der Souveränität der Mitgliedstaaten eine europaweite Regelung auf dem Gebiet des Strafrechts einer sorgfältigen Abwägung bedürfe. Nach ihrer Meinung dürften allein grenzüberschreitende Aspekte kein Grund für eine Harmonisierung der Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten sein. 

Am 5. April 2018 veröffentlichte der DAV eine Stellungnahme zu dem Vorschlag der Kommission und lehnte ihn ab. Die Stellungnahme finden Sie hier

Schließlich wurde die Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates am 10. Mai 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. L 123, S. 18) verkündet und trat am 30. Mai 2019 in Kraft. Sie enthält nunmehr Mindeststandards für die Definition von Straftatbeständen und Strafen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Betrug und Fälschung in Verbindung mit unbaren Zahlungsmitteln. Die Richtlinie muss bis zum 31. Mai 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Hierzu hat das BMJV am 3. September 2020 einen Referentenentwurf vorgelegt. Da das deutsche Recht bereits überwiegend der EU-Richtlinie entspricht, sind lediglich kleinere Anpassungen im StGB vorgesehen: 

  • § 152a StGB – Erweiterung des Tatbestandes auf Wechsel und andere körperliche unbaren Zahlungsinstrumente 
  • § 152b StGB – Streichung der Euroscheckvordrucke und Euroscheckkarten
  • Einfügung eines § 152c StGB – Vorbereitung des Diebstahls und der Unterschlagung von Zahlungskarten, Schecks, Wechseln und anderen körperlichen unbaren Zahlungsinstrumenten 

(1) Wer eine Straftat nach § 242 oder § 246, die sich auf inländische oder ausländische Zahlungskarten, Schecks, Wechsel oder andere körperliche unbare Zahlungsinstrumente bezieht, vorbereitet, indem er

      1. Computerprogramme oder Vorrichtungen, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft oder einem anderen überlässt oder
      2. Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die zur Begehung einer solchen Tat geeignet sind, herstellt, sich oder einem anderen verschafft oder einem anderen überlässt,
        wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 149 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. § 152a Absatz 4 ist anwendbar.“

  • Neufassung des § 263a Abs. 3 StGB:

„(3) Wer eine Straftat nach Absatz 1 vorbereitet, indem er 

      1. Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält, verwahrt oder einem anderen überlässt oder
      2. Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die zur Begehung einer solchen Tat geeignet sind, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält, verwahrt oder einem anderen überlässt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Am 4. November 2020 veröffentliche die Bundesregierung ihren Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie. Er wurde am 11. Februar 2021 im Bundestag beschlossen. Der Bundesrat erhob in seiner Sitzung am 5. März 2021 keine Einwendungen und billigte das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates. Es wurde am 17. März 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. 

 

 

 

 

 

 

 

Zweiter Strafkammertag in Würzburg, 26. September 2017 – Forderungskatalog der teilnehmenden Richter

 

Am 26. September 2017 fand in Würzburg der zweite Strafkammertag unter dem Motto „Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze“ statt. 80 Vorsitzende aus Strafkammern und Strafsenaten sowie viele Praktiker erarbeiteten Gesetzgebungsvorschläge, um den Strafprozesses weiter zu vereinfachen. Dabei ließen sie insbesondere ihre langjährige Erfahrung in der gerichtlichen Praxis mit einfließen.

Die Arbeitsgruppe „Zukunft des Strafprozesses“, in der sich die Präsidenten/innen des Bundesgerichtshofs, der Oberlandesgerichte und des Kammergerichts unter Leitung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg Clemens Lückemann zusammengefunden haben, veröffentlichte am 26. September 2017 eine Pressemitteilung, in der sie gemeinsam mit den Teilnehmern des Strafkammertages einen Appell an die Politik richteten, eine Verbesserung des deutschen Strafprozesses in die Koalitionsvereinbarungen einzubeziehen. Clemens Lückemann: „Die deutsche Strafjustiz erhofft sich ein Signal von der Politik durch die Aufnahme etwa folgender Vereinbarung in einen abzuschließenden Koalitionsvertrag: Wir werden das Strafverfahren weiter praxisgerecht verbessern und die Wahrheitsfindung im Strafprozess erleichtern.“

Sechs Arbeitsgruppen, die sich aus den Teilnehmern des Strafkammertages zusammensetzten, haben hierzu Kernvorschläge erarbeitet, die anschließend im Plenum verabschiedet wurden.

Der Forderungskatalog lautet:

  1. Nach Befangenheitsanträgen – vor und während der Hauptverhandlung – soll die Hauptverhandlung bis zum übernächsten Verhandlungstag, mindestens aber für zwei Wochen fortgesetzt werden können.
  2. Entscheidung über Besetzungsrügen im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, wobei die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet und die vom Beschwerdegericht getroffene Entscheidung für das Revisionsverfahren bindend ist.
  3. Unterbindung von „ins Blaue hinein“ gestellten Beweisanträgen durch erhöhte gesetzliche Anforderung an deren Begründung.
  4. Erweiterte Verlesbarkeit von Urkunden in Fällen – von Zeugenfragebögen/Strafanzeigen in gleichgelagerten Masseverfahren – von Berichten der Jugendgerichtshilfe und der Bewährungshilfe
  5. Revisionen sollen nur noch dann zulässig sein, wenn sie durch einen Verteidiger begründet werden, der die Sachrüge in gleicher Weise wie die Verfahrensrüge auszuführen hat. Die Revision gegen Entscheidungen der kleinen Strafkammer bedarf zusätzlich der Zulassung; die Sprungrevision wird abgeschafft.
  6. Das Verschlechterungsverbot bei Widerruf eines Geständnisses nach erfolgter Verständigung entfällt.
  7. Sofern mehrere Nebenkläger gleichgelagerte Interessen im Strafverfahren verfolgen, soll ihnen derselbe Rechtsbeistand bestellt werden. Dies ist in den Fällen des § 395 II Nr. 1 StPO in der Regel anzunehmen. Die Rechte aus §§ 68b und 406f StPO bleiben unberührt.
  8. Die Tatsachenfeststellungen und der Schuldspruch im Strafverfahren sollen eine Bindungswirkung in nachfolgenden Zivilverfahren entfalten.
  9. Wir fordern die Formulierung eines Anspruchs auf und eine Pflicht zur aufgabenorientierten Fortbildung (zeitnah, ortsnah, kompakt, nacharbeitsfrei) unter Berücksichtigung bei der Personalausstattung und tätigkeitsbegleitende Unterstützung durch Maßnahmen wie Coaching/Supervision gezielt für Strafrichter.
  10. Wir fordern zur Entlastung der Strafkammern und Professionalisierung der Pressearbeit eine gesetzliche Regelung, die gewährleistet, dass die Tätigkeit durch erfahrene, entsprechend geschulte und ausreichend freigestellte Mitarbeiter ausgeübt werden kann.
  11. Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze und zuverlässige technische Grundlagen. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern werden aufgefordert, für die elektronische Akte im Strafprozess einheitliche Standards zu schaffen und einen reibungslosen Datenaustausch zwischen sämtlichen beteiligten Stellen zu gewährleisten. Zur Wahrung der Rechte aller Verfahrensbeteiligten auf informationelle Selbstbestimmung sollte in Abänderung der neu gefassten Regelungen Einsicht in die eAkte nur durch Rechtsanwälte oder im Gericht erfolgen. Der missbräuchliche Umgang mit den Daten muss verhindert werden.
  12. Die Möglichkeiten der eAkte zur Konzentration der Hauptverhandlung sollen umfassend geprüft werden, zum Beispiel für das Selbstleseverfahren und für die (Selbst-) Augenscheinseinnahme auch durch die Öffentlichkeit.

Der Forderungskatalog wird den entsprechenden Partei- und Fraktionsvorsitzenden mit der Bitte um Berücksichtigung in der kommenden Legislaturperiode weitergeleitet.

Am 25. Oktober 2017 veröffentlichte der Deutsche AnwaltVerein eine Stellungnahme und kritisierte die Beschlüsse des Strafkammertages zur Reform des Strafprozesses. Die Stellungnahme finden Sie hier.

Nunmehr ist die Abschlussdokumentation des 2. Strafkammertages als PDF-Dokument verfügbar. Sie enthält auf 96 Seiten u.a. die Impulsreferate und Protokolle zu den 6 Arbeitsgruppen sowie die vom Strafkammertag formulierten Vorschläge. die Dokumentation finden Sie hier.

 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik

Gesetz zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik vom 5. Mai 2017: BGBl I 2017 Nr. 26, S. 1066 ff.

 

Gesetzentwürfe:

Beschlussempfehlung des Innenausschusses: BT Drs. 18/11438

Mit diesem Gesetzentwurf werden die bundespolizeilichen Befugnissen ausgeweitet. Die Bundesregierung begründet dies zum einen mit der Notwendigkeit, bestehende Schutzlücken, insbesondere vor dem Hintergrund der derzeitig bestehenden Terror- und Gefährdungslage, zu schließen. Zum anderen dient das Gesetz dem Schutz der Polizeivollzugsbeamten*innen.

Dem Entwurf zufolge soll die Bundespolizei die Befugnis zum Einsatz von Kennzeichenlesesystemen erhalten, um bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit die Fahndung nach Fahrzeugen und deren Insassen sowie die Strafverfolgung zu verbessern. Zudem sieht der Entwurf die Schaffung einer Rechtsgrundlage zum Einsatz sogenannter Bodycams -mobiler, am Körper getragener Videotechnik- vor. Die Regierung führt dazu aus, dass der Einsatz aufgrund entsprechender Befugnisnormen auf Landesebene gezeigt haben, dass der Einsatz aufgrund seiner deeskalierenden Wirkung erfolgreich die Eindämmung von Widerstandshandlungen fördern könne.
Darüber hinaus enthält der Entwurf die Befugnis zur Aufzeichnung von eingehenden Telefonaten in den Einsatzleitstellen.
Ausweislich des Entwurfs soll zudem klargestellt werden, dass personenbezogene Daten zum Zwecke der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung in das Schengener Informationssystem über das polizeiliche Informationssystem (INPOL-Bestand) eingegeben werden dürfen.

Am 27. Januar 2017 hat der Bundestag erstmals über den Gesetzentwurf debattiert. Gleichfalls in erster Lesung wurde über einen weiteren Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Videoüberwachung (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz) beraten.
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière wertete die angestrebten Befugnisse der Bundespolizei zum Einsatz von Bodycams und zur Nutzung von automatischen Kennzeichen-Lesesystemen als „große Hilfe bei der polizeilichen Arbeit“. Der Einsatz der Bodycams sei insbesondere nach den zunehmenden Angriffen auf die Polizeibeamten notwendig. So schrecke man Gewalttäter vor Exzessen ab oder dokumentiere sie zumindest. Ebenfalls könne so die Rechtmäßigkeit des Handelns besser thematisiert werden.
Die Fraktion die Linke stimmte zu, dass Bodycams ein nützliches Hilfsmittel sein könnten. Es bedürfe aber „klare Regelungen, was und wann aufgezeichnet werden darf und muss“. Nachbearbeitungsbedarf sah die Fraktion bei der Regelung zur Manipulationssicherheit relevanter Aufzeichnungen, bei den Datenschutzbestimmungen sowie bei den Zugriffsrechten und den  Beschäftigtenrechten.
Ähnlich äußerte sich auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Es gebe „gute Gründe“ für den Einsatz von Bodycams. Nachbearbeitungsbedarf sah die Fraktion ebenfalls beim Datenschutz.
Die SPD verwies darauf, dass bei Pilotprojekten bereits gute Erfahrungen gesammelt wurden, die die deeskalierende und präventive Wirkung von Bodycams belegt hätten. Die automatische Kfz-Kennzeichenerfassung solle nur anlassbezogen und „nicht flächendeckend, sondern bei bestimmten Gefahrensituationen“ erfolgen.
Die CDU/CSU bewertete die Gesetzentwürfe als sachlich notwendig, maßvoll und verhältnismäßig. Sie stellten einen „wesentlichen Schritt zur Verbesserung der Sicherheit in Deutschland“ dar.

In seiner Sitzung vom 10. Februar 2017 befürwortete der Bundesrat den Einsatz von Bodycams durch die Bundespolizei und äußerte keine Bedenken hinsichtlich des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Der Entwurf stand nun am 6. März 2017 im Mittelpunkt einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss. Eine Liste der Sachverständigen und ihre Stellungnahmen finden sie hier. Die dort angehörten Sachverständigen äußerten sich gegenüber dem Einsatz von Bodycams grundsätzlich positiv. Insbesondere Gewerkschaftsvertreter der Polizei begrüßen, dass mobile Videotechnik auch der Eigensicherung der eingesetzten Beamten dienen. Im gleichen Zuge wurde auch darauf hingewiesen, dass durch Bodycams aufgezeichnete Sachverhalte jedoch auch nur einen Teil der Perspektive darstellen. Zudem sollten sie ebenfalls zur Dokumentation polizeilichen Fehlverhaltens eingesetzt werden.

Am 9. März 2017 wurde der Entwurf abschließend im Bundestagsplenum beraten. Mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der Linken und Bündnis 90/Die Grünen wurde der Regierungsentwurf angenommen. Im gleichen Stimmenverhältnis wurde auch der Gesetzentwurf zum Videoüberwachungsverbesserungsgesetz (BT Drs. 18/10941) angenommen.

In seiner Sitzung am 31. März 2017 hat der Bundesrat den Einsatz von Bodycams gebilligt. Das Gesetz wurde am 15. Mai 2017 verkündet und tritt einen Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

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