Abstract
In der niederbayerischen Metropole Passau sowie einigen weiteren Städten der Region ist gegenwärtig in der Bevölkerung eine heftige Auseinandersetzung über ein Lied im Gang, das regelmäßig auf Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen aufgeführt und gesungen wird. Es handelt sich um das „Donaulied“, das die Initiatoren einer Petition – Studenten der Universität Passau – wegen sexistischer Textpassagen verbieten lassen wollen, während es ihre Widersacher als Ausdrucksform bayerischer Volkstümlichkeit für unantastbar erklären. „Weg mit dem Donaulied“ und „Hände weg vom Donaulied“ könnte man die konträren Standpunkte propagandistisch zugespitzt etikettieren. Die Trumpfkarte des Strafrechts wird in diesem Streit von den Gegnern des Liedes zur Bekräftigung ihrer Forderungen offenbar noch nicht ausgespielt. Das kann daran liegen, dass diese Karte (noch) nicht sticht, weil das Strafrecht in Bezug auf diesen Gegenstand seine vielgepriesene Fragmentarität zeigt, also eine Strafbarkeitslücke aufweist. Angesichts des Bestrafungseifers, mit dem die Politik in den letzten Jahren das Strafrecht vielfältig zur Bekämpfung sexuell konnotierter Übergriffe – z.B. zuletzt „Upskirting“ – ertüchtigt hat, wäre das ein überraschender Befund. Aber die Analyse des geltenden Strafrechts wird bestätigen, dass hier tatsächlich noch eine strafrechtsfreie Nische existiert. Die nunmehr öffentlich wahrgenommene Anstößigkeit des Donaulieds könnte also im wahrsten Sinne des Wortes Anstoß sein zu einer Gesetzgebungsinitiative. Ob es dieser aber wirklich bedarf, sollte gründlich überlegt werden.
Sabine Horn
Die Sicherstellung von Buchgeld – repressive und präventive Handlungsmöglichkeiten
von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel und Ref. iur. Dr. Theresa Regina Disselkamp
Abstract
Nicht nur Bargeld, sondern auch auf Konten befindliches sog. „Buchgeld“ kann zur Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten genutzt werden. Polizei und Staatsanwaltschaft haben daher häufig ein Interesse daran, die mit Buchgeld untrennbar verbundene, gegen die kontoführende Stelle gerichtete Forderung „sicherzustellen“, um einem (potenziellen) Täter die finanziellen Mittel zu entziehen. Dieser Beitrag untersucht, welche rechtlichen Möglichkeiten auf der Grundlage der Strafprozessordnung bzw. des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes bestehen bzw. geschaffen werden sollten, und unterbreitet einen konkreten Normvorschlag für die präventive Sicherstellung von Forderungen und anderen Vermögensrechten.
Werkstattbericht zur Europäischen Ermittlungsanordnung aus dem Projekt EIO-LAPD
von Dipl.-Jur. Luca Alexander Petersen
Abstract
Die Europäische Ermittlungsanordnung ist im Gesamtbild als Fortschritt zu werten. In der Umsetzung der Rl. EEA in den §§ 91a ff. IRG kommt jedoch die Skepsis des Gesetzgebers gegenüber dem Anerkennungsprinzip deutlich zum Ausdruck. Dadurch wurden bestehende Kritikpunkte an der Richtlinie auf nationaler Ebene übernommen und teilweise noch verstärkt. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Diskussion über einen umfassenden Ablehnungsgrund gem. § 91f Abs. 1 Nr. 2 IRG. Dass sich daraus resultierende Probleme auch auf die Strafverfolgungspraxis auswirken, zeigen die jüngsten Erkenntnisse aus dem Projekt EIO-LAPD.
Containern – Strafbare Wegnahme einer fremden Sache? BVerfG, Beschl. v. 5.8.2020 – 2 BVR 1985/19 und 2 BvR 1986/19
[…]
Gründe:
I.
1 1. Am 4. Juni 2018 gegen 23:00 Uhr entwendeten die beiden Beschwerdeführerinnen diverse Lebensmittel aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes (sogenanntes „Containern“). Der Abfallcontainer, den die Beschwerdeführe- rinnen mit Hilfe eines mitgebrachten Vierkantschlüssels öffneten, befand sich in der Anlieferzone des Supermarktes und stand dort zur entgeltlichen Abholung durch den Abfallentsorgerbereit.
Sandra Riebel: Verdeckte Online-Durchsuchung in der Bundesrepublik Deutschland – Eine Analyse anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Vorschriften der Strafprozessordnung und des Bundeskriminalamtgesetzes
2019, Verlag Dr. Kovač, ISBN: 978-3-339-11214-9, S. 325, Euro 99,80.
Die Dissertation von Riebel widmet sich insbesondere der Untersuchung des im August 2017 neu in Kraft getretenen § 100b StPO sowie ergänzender Vorschriften in der StPO bezüglich der Einhaltung der durch das BVerfG definierten Anforderungen an die verdeckte Online-Durchsuchung. Der Fokus liegt dabei auf der Rechtsprechung des BVerfG, an Hand der analysiert wird, ob die Vorschriften einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten werden. Auch die entsprechende Regelung im BKAG wird flankierend untersucht.
Senta Bell: Strafverfolgung und die Cloud – Strafprozessuale Ermächtigungsgrundlagen und deren völkerrechtliche Grenzen
2019, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-15620-7, S. 225, Euro 79,90.
Die Dissertation von Bell zu Strafverfolgung und der Cloud wurde im Sommersemester 2018 eingereicht, so dass der Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen leider nicht in die Überlegungen mit einbezogen werden konnte. Gleichwohl handelt es sich um eine umfassende rechtliche Würdigung sämtlicher Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit dem Cloud Computing. Da angesichts der Kritik an dem Verordnungsvorschlag eine europäische Lösung vermutlich ohnehin noch auf sich warten lässt, bietet die vorliegende Arbeit einen guten Überblick über die derzeit bestehenden strafprozessualen Ermächtigungsgrundlagen und deren völkerrechtliche Grenzen.
Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder
Hier finden Sie folgende Stellungnahmen:
Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 7. Dezember 2020:
- Stellungnahme Dr. Julia Bussweiler, GenStA Frankfurt a.M.
- Stellungnahme Dr. Franziska Drohsel, LL.M., BKSF
- Stellungnahme Prof. Dr. Jörg Eisele, Universität Tübingen
- Stellungnahme Prof. Dr. Tatjana Hörnle, M.A., Max-Planck-Institut, Freiburg im Breisgau
- Stellungnahme Prof. Dr. Jörg Kinzig, Eberhard-Karls Universität Tübingen
- Stellungnahme Dr. Jenny Lederer, Fachanwältin für Strafrecht, Essen
- Stellungnahme Dr. Leonie Steinle, LL.M., djb
- Stellungnahme Barbara Stockinger, DRB
zum Referentenentwurf des BMJV
- Stellungnahme Anwalt des Kindes – München e.V.
- Stellungnahme Arbeitskreis der Opferhilfen in Deutschland e.V.
- Stellungnahme Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichentherapeuten e.V.
- Stellungnahme Berufsverband der Verfahrensbeistände – BVEB
- Stellungnahme Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen
- Stellungnahme BRAK
- Stellungnahme Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK)
- Stellungnahme Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW)
- Stellungnahme Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF)
- Stellungnahme Bundesverband der Adoptiv- und Pflegefamilien
- Stellungnahme DAV
- Stellungnahme Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V.
- Stellungnahme Deutsche Kinderhilfe e.V.
- Stellungnahme Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.
- Stellungnahme Deutscher Familiengerichtstag e.V.
- Stellungnahme Deutscher Kinderschutzbund
- Stellungnahme Deutscher Landkreistag
- Stellungnahme Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.
- Stellungnahme Deutsches Institut gut Jugendhilfe und Familienrecht eV (DIJuF)
- Stellungnahme Deutsches Kinderhilfswerk
- Stellungnahme Die Kinderschutz-Zentren
- Stellungnahme DRB
- Stellungnahme EKD
- Stellungnahme Frauenhaus-Koordinierung e.V.
- Stellungnahme Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter
- Stellungnahme Neue Richtervereinigung – Fachgruppe Strafrecht
- Stellungnahme Opferschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein
- Stellungnahme Prof. em. Dr. Arthur Kreuzer, Justus-Liebig-Universität Gießen
- Stellungnahme Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, Universität Potsdam
- Stellungnahme Tour41 e.V. – Aktionsbündnis gegen sexuelle Gewalt
- Stellungnahme Verband der Bürgerrechte und Objektivismus (VBO)
- Stellungnahme Weisser Ring
- Stellungnahme Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht
Gesetzentwurf zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Einziehung von Taterträgen
Gesetzentwürfe:
- Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen: BT Drs. 19/22113
- Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke: BT Drs. 19/22119
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am 10. September 2020 einen Gesetzentwurf zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Einziehung von Taterträgen (BT Drs. 19/22113) in den Bundestag eingebracht. Hintergrund ist das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz. Seitdem beschränkt § 34 EGAO gleichzeitig mit § 375a AO die Einziehbarkeit von steuerschuldrechtlich durch Verjährung erloschene Taterträge aus Steuerhinterziehung auf alle am 1. Juli 2020 noch nicht verjährten Steueransprüche.
Während die Steuerschuld bei Steuerhinterziehung nach 10 Jahren verjährt, verjährt die mögliche Einziehung nach § 76b Abs. 2 StGB erst in 30 Jahren ab Tatbeendigung. Dieses Missverhältnis soll nun aufgelöst werden, damit auch eine Einziehung von Taterträgen in großem Umfang, wie bspw. bei CumEx-Fällen, möglich bleibt. Der Entwurf sieht daher eine gesetzliche Klarstellung dahingehend vor, dass Taterträge aus Steuerhinterziehung, die zwar durch den neuen § 375a AO durch Verjährung erloschen sind, wohl aber der strafrechtlichen Einziehung unterliegen.
Aus den gleichen Gründen brachte am 10. September 2020 auch die Fraktion Die Linke einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein (BT Drs. 19/22119). Sie möchte § 34 EGAO aufheben.
Am 16. September 2020 fanden beide Entwürfe keine Mehrheit im Finanzausschuss. Es wurde jedoch eine Initiative seitens der Bundesregierung angekündigt.
Gesetzesantrag zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten
Gesetzentwürfe:
- Gesetzesantrag des Freistaates Bayern: BR Drs. 401/20
- Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 401/1/20
Der Freistaat Bayern hat einen Gesetzesantrag zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten (BR Drs. 401/20) in den Bundesrat eingebracht. Damit möchte das Bundesland gegen den Trend des Versandhandels vorgehen, der mehr und mehr für kriminelle Zwecke eingesetzt wird. Der anonyme und mittels Krypto-Währung abgewickelte Handel mit illegalen Waren über das Darknet habe erheblich zugenommen. Ebenso seien vermehrt Betrugsfälle im Versandhandel zu verzeichnen. Dabei stehe vor allem das Problem der Identifizierbarkeit der Täter im Vordergrund. Ermittlungsansätze ergeben sich dabei beim Übergang der digitalen in die analoge Welt. Als Schlüsselstelle sind dies die Daten, die die Postdienstleister bei der Aufgabe und der Annahme entsprechender Waren festhalten. Für retrograde Auskunftsverlangen besteht jedoch de lege lata keine Verpflichtung der Postdienstleister. Ähnliches ergebe sich für Postsendungen, die sich noch nicht im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden. Diese Gesetzeslücke soll der Entwurf nunmehr schließen. Vorgesehen ist die Verankerung einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für Auskunftsverlangen der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Postdienstleistern in § 99 Abs. 2 StPO, die sich auf noch nicht ein- oder bereits ausgelieferte Sendungen erstreckt.
§ 99 Abs. 2 StPO-E:
„(2) Statt einer Beschlagnahme kann der Richter, unter den Voraussetzungen des § 100 auch der Staatsanwalt, von Personen oder Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen, Auskunft über die in Absatz 1 genannten Sendungen verlangen, die vom Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind. Die Auskunft wird auch über solche Sendungen erteilt, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr oder noch nicht im Machtbereich der Person oder des Unternehmens befinden.“
Auf Antrag des Freistaates Bayern wurde der Gesetzentwurf am 18. September 2020 den Ausschüssen des Bundesrates zur Beratung zugewiesen. Der federführende Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 401/1/20). So entschied auch das Plenum am 27. November 2020.
Gesetzesantrag zur Erleichterung der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen
Gesetzentwürfe:
- Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen: BR Drs. 476/20
- Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 476/1/20
Das Land Nordrhein-Westfalen hat einen Gesetzesantrag zur Erleichterung der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen (BR Drs. 476/20) in den Bundesrat eingebracht.
Die Ermächtigungsgrundlage für den Datenaustausch zwischen den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und den Jugendämtern ist in § 17 Nr. 5 EGGVG geregelt. Danach ist die Übermittlung personenbezogener Daten dann zulässig. wenn die Kenntnis der Daten aus Sicht der übermittelnden Stelle „zur Abwehr einer erheblichen Gefährdung Minderjähriger“ notwendig ist. Nach Ansicht des Landes ist diese Regelung defizitär. Ohne einen Einblick in die familiären Verhältnisse seien Gericht und Staatsanwaltschaften gar nicht in der Lage beurteilen zu können, ob Maßnahmen der Jugendhilfe angezeigt seien. Daher soll die Möglichkeit der Datenübermittlung moderat unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweitert werden.
Der Gesetzentwurf wurde am 18. September 2020 im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss an die Fachausschüsse zur Beratung überwiesen, die Ende September stattfand. Der federführende Rechtsausschuss, der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Dieser Entschluss wurde am 9. Oktober 2020 im Plenum gefasst.