Markus Abraham: Sanktion, Norm, Vertrauen. Zur Bedeutung des Strafschmerzes in der Gegenwart

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2018, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15528-5, S. 280, Euro 79,90.

Kriminalstrafe im herkömmlichen Sinne definiert man als intentionale Übelszufügung, die von einer staatlich zuständigen Stelle für eine Straftat gegenüber dem Täter in einem rechtlichen Verfahren verhängt wird. Durch diese Sicht wird laut Verfasser der Dissertation eine wesentliche Komponente der Strafe verdeckt, da gerade in den letzten Jahren Strafe als im Wesentlichen kommunikativer Vorgang herausgearbeitet worden sei. Dies sei die im Schuldspruch zum Ausdruck kommende Missbilligung der Tat, die den Verurteilten als verantwortlichen Urheber eines strafbaren Verhaltens identifiziert und ihm die Tat zuschreibt (S. 16 f.).

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Michael Kilchling: Opferschutz innerhalb und außerhalb des Strafrechts. Perspektiven zur Übertragung opferschützender Normen aus dem Strafverfahrensrecht und anderen Verfahrensordnungen

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2018, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15196-7, S. 164, Euro 30,00.

 Der schmale Band geht auf eine explorative Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zurück, die im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im Zeitraum zwischen Herbst 2016 und Frühjahr 2017 erarbeitet wurde. Es ging um die Frage, ob und in welchem Umfang und auf welche Weise die seit vielen Jahren im Strafprozessrecht etablierten und bewährten Opferschutzstandards auch in andere gerichtliche Verfahrensordnungen übertragen werden könnten und sollten. Der veröffentlichte Band geht dabei über die auch auf der Webseite des BMJV abrufbare Ursprungsversion hinaus, da er um einen Gesetzesanhang aller wesentlichen Normen mit Opferrelevanz erweitert wurde. Zudem ist er insoweit aktualisiert worden, als in der käuflichen Buchversion die Änderungen durch das Gesetz zur Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung mitberücksichtigt worden sind.

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Bericht zur 65. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes – Innere Sicherheit weiterdenken: Ausgrenzung, Hass und Gewalt – Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden

von Ltd. Kriminaldirektor a.D. Prof. Ralph Berthel 

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Die 65. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes fand am 27. und 28. November 2019 in Wiesbaden statt. Mit der Thematik Hasskriminalität griff das Bundeskriminalamt im Rahmen dieser traditionsreichen Tagungsreihe ein politisch hoch aktuelles und für die Sicherheitsbehörden herausforderndes Thema auf. Dem übergreifenden Betrachtungsansatz der vergangenen Jahre folgend, kamen auch bei dieser Veranstaltung Referenten aus der Polizeipraxis, kriminalwissenschaftlichen und angrenzenden Disziplinen sowie der Zivilgesellschaft zu Wort.

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KriPoZ-RR, Beitrag 06/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.01.2020 – 5 StR 366/19: Nichtwahl des günstigsten Angebots begründet nicht grundsätzlich eine Pflichtwidrigkeit im Rahmen der Haushaltsuntreue

Amtlicher Leitsatz:

  1. Ein Entscheidungsträger handelt im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht stets pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt. Beim Unterlassen eines Preisvergleichs oder einer Ausschreibung kommt eine Strafbarkeit nur bei evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstößen in Betracht.
  2. Ein Vermögensnachteil kann bei der Haushaltsuntreue auch nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags eintreten.

Sachverhalt:

Das LG Saarbrücken hat den Angeklagten wegen Untreue verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als Oberbürgermeister einer Gemeinde eine Detektei beauftragt, um städtische Mitarbeiter des Baubetriebshofs der Gemeinde zu überwachen. Diese hatte er verdächtigt, während der Arbeitszeit private Tätigkeiten auszuführen und illegal Holz der Gemeinde auf eigene Rechnung zu verkaufen.

Der Angeklagte hatte gewusst, dass er nach der Geschäftsordnung des Stadtrats der Gemeinde nur Aufträge in einer Höhe bis 25.000€ selbstständig hatte vergeben dürfen.

Die mit der Detektei für die Überwachung vereinbarten Preise hatten über dem ortsüblichen Niveau gelegen und nach Beendigung der Überwachung war schlussendlich ein Rechnungsbetrag von 276.762,43€ angefallen.

Ein vorheriger Preisvergleich mit anderen Detekteien war nicht erfolgt.

Die Überwachung hatte am 1. November 2015 begonnen und am 3. Dezember 2015 war eine Abschlagszahlung in Höhe von 100.000€ vereinbart und wenig später auch gezahlt worden.

Beendet worden war die Überwachung am 18. Dezember 2015.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil überwiegend auf und verwies es zurück.

Zwar treffe den vertretungsberechtigen Oberbürgermeister eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Stadt, allerdings trügen die Feststellungen des LG keinen für eine Strafbarkeit ausreichenden Pflichtverstoß des Angeklagten.

Rechtsfehlerhaft sei schon die Annahme des Tatgerichts, dass die ungeprüfte und zu höheren Preisen erfolgte Vergabe des Auftrags, eine strafbare Treuepflichtverletzung darstelle.

Richtig sei, dass ein Oberbürgermeister im Rahmen der Auftragsvergabe an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden sei und eine Verletzung dieser Gebote eine Pflichtwidrigkeit nach Maßgabe des § 266 StGB darstellen könne.

Jedoch setzten diese haushaltsrechtlichen Grundsätze nur die äußeren Grenzen des Ermessensspielraums des einzelnen Amtsträgers und verböten nur solche Maßnahmen, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar seien.

Daher begründe die Auswahl des nicht sparsamsten Angebots nicht per se eine Pflichtwidrigkeit, sondern lediglich dann, wenn die Auswahl eine evidente und schwerwiegende, also gravierende, Pflichtverletzung darstelle.

In diesem Fall hätten jedoch gerade aufgrund der Ungeregeltheit des Berufsbildes „Privatdetektiv“ weitere Auswahlkriterien vorgelegen, beispielsweise Seriosität, Auftreten am Markt, Größe sowie Empfehlungen, die im einzelnen Falle höher gewichtet werden dürften als der Preis. Ein evidenter Pflichtverstoß liege bei einem Abstellen auf solche Kriterien fern.

Zudem sei der Preis der Detektei zwar im Vergleich zu Mitbewerben überhöht gewesen, die Mehrkosten in Höhe von ca. 25% fielen wirtschaftlich jedoch nicht komplett aus dem Rahmen, so der BGH.

Das Nichteinholen von Vergleichsangeboten könne grundsätzlich einen Pflichtverstoß darstellen, eine gravierende Pflichtverletzung sei jedoch in diesem Falle durch die Feststellungen nicht belegt.

Weiterhin sei es durch die tatgerichtlichen Feststellungen nicht nachweisbar, dass der Angeklagte von vornherein von einer Überschreitung der 25.000€-Grenze und damit seiner Vergabekompetenzen ausgegangen sei.

Dafür spreche nach der Argumentation des LG zwar, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen und keine Frist zur Wiedervorlage gesetzt worden war. Allerdings habe sich das Tatgericht nicht ausreichend mit den Gegenargumenten befasst. So spreche der Umstand, dass von vornherein keine Frist des Vertrages bis zum 18. Dezember 2015 vereinbart worden war und die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des Vertrages nicht dafür, dass der Angeklagte schon zu Beginn der Überwachung von einem derart langen Zeitraum ausgegangen sei.

Der Senat sehe jedoch eine Strafbarkeit wegen Untreue durch Unterlassen ab dem 3. Dezember 2015 als gegeben an, da der Angeklagte spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste, dass die Überwachung Kosten in Höhe von 100.000€ verursacht hatte. Allerdings könne er den Schuldspruch nicht auf durch Unterlassen begangene Untreue umstellen.

Schließlich führt der BGH aus, dass die erhaltenen Überwachungsleistungen durch die Detektei aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit keinen Wert für die an Recht und Gesetz gebundene Gemeinde gehabt hätten und die Kosten somit einen Schaden nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags darstellten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Entscheidungen zur Vermögensbetreuungspflicht von Bürgermeistern finden Sie hier und hier.

Eine ähnliche Entscheidung des BGH zum Sparsamkeitsgrundsatz von 2007 finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 05/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 15.01.2020 – 2 BvR 1763/16: Begründete Verfassungsbeschwerde gegen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, das eine Zwangsfixierung zum Gegenstand hatte

Leitsatz der Redaktion:

Unterlässt es ein Gericht, die durch eine Fixierung entstandenen Tatfolgen gewissenhaft aufzuklären, um eine staatsanwaltschaftliche Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO zu überprüfen, verletzt es damit den Anspruch auf effektive Strafverfolgung des Fixierten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin war vom Pferd gestürzt und aufgrund dieses Unfalls in die Universitätsklinik in Kiel eingeliefert worden. Dort war ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert und die Patientin zur weiteren Beobachtung stationär aufgenommen worden.

Gegen ärztlichen Rat hatte sie am nächsten Morgen das Krankenhaus verlassen wollen, was von zwei herbeigerufenen Polizeibeamten verhindert worden war. Gegen ihren Willen war die Beschwerdeführerin dann aufgrund ärztlicher Anordnung an ihr Krankenbett fixiert worden. Ein Amtsarzt ordnete anschließend die weitere zwangsweise Fixierung und Beobachtung in der Neurologie des Universitätsklinikums nach dem schleswig-holsteinischen PsychKG an. Diese Anordnung war von einer Richterin am AG genehmigt worden. Die Einweisung und Fixierung der Patientin gegen ihren fehlerfrei gebildeten Willen war rechtswidrig gewesen, was später vom LG und VG Kiel festgestellt worden war.

Aufgrund dieses Vorgangs hatte die Beschwerdeführerin später Anzeige gegen den behandelnden Stationsarzt, einen Pfleger, den herbeigerufenen Amtsarzt und die Richterin am AG gestellt.

Alle daraufhin eröffneten Ermittlungsverfahren waren von der StA eingestellt worden. Gegen diese Einstellungsentscheidung und die im Klageerzwingungsverfahren erlassenen nicht abhelfenden Beschlüsse hat die Beschwerdeführerin das BVerfG angerufen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt und sah es als begründet an, dass die Beschwerdeführerin durch die staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidungen und die bestätigenden gerichtlichen Beschlüsse  in ihrem Recht auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist.

Zwar bestehe in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich kein Anspruch auf die Strafverfolgung eines Dritten. In Ausnahmefällen – z.B. bei erheblichen Straftaten gegen das Leben, die persönliche Freiheit oder die körperliche Unversehrtheit – könne sich ein solcher Anspruch jedoch als Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.

Dies sei nötig, da in solchen Fällen nur durch eine effektive Strafverfolgung das Vertrauen des Einzelnen in das Gewaltmonopol des Staates bewahrt werden könne. Eine unterbleibende Strafverfolgung würde ansonsten zu einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit führen, so das BVerfG.

Einen Anspruch auf Erhebung der öffentlichen Klage, könne aus diesem Grundrecht jedoch nicht zwingend abgeleitet werden. Das effektive und ergebnisoffene Führen eines Ermittlungsverfahrens sei in den meisten Fällen ausreichend.

Da sich das OLG im vorliegenden Fall nicht im gebotenen Umfang mit den tatsächlichen Voraussetzungen der Einstellung durch die StA nach § 153 StPO und § 170 Abs. 2 StPO befasst habe, sei dadurch der Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektive Strafverfolgung verletzt worden.

Das Gericht habe weder die im Rahmen des § 153 StPO erforderlichen lediglich geringen Tatfolgen hinreichend festgestellt, noch habe es bei der Auslegung des Merkmals des öffentlichen Verfolgungsinteresses den möglicherweise bestehenden Anspruch auf effektive Strafverfolgung der Beschwerdeführerin berücksichtigt.

Diese Tatsachenfragen hätten im Klageerzwingungsverfahren durchaus der Prüfungskompetenz des OLG unterlegen.

Lediglich in Bezug auf die Richterin am AG sei die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet, da die richterliche Entscheidung nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Im Juli 2018 hatte das BVerfG entschieden, dass die 5-Punkt- sowie 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzer Dauer eine Freiheitsentziehung darstelle, die nur aufgrund einer richterlichen Anordnung zulässig sei.

Das Urteil finden Sie hier.

Daraufhin wurde das „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen“ erlassen und auf Länderebene wurden die verschiedenen PsychKG angepasst. Informationen zu den Gesetzesvorhaben und eine Übersicht bezüglich der verschiedenen Bundesländer finden Sie hier und hier.

 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

Öffentliche Anhörung am 6. Mai 2020: 

Zum Regierungsentwurf:

Zum Referentenentwurf des BMJV:

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 04/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 27.11.2019 – 3 StR 233/19: 3. Strafsenat hält § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG nicht für verfassungswidrig

Leitsatz der Redaktion:

§ 6a Abs. 2 Satz 1 AMG ist trotz der Verweisung auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping nicht verfassungswidrig.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, mit Herstellen und Inverkehrbringen von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen sowie mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ab Mitte 2011 angefangen Anabolika zum Vertrieb an Kraftsportler herzustellen und es an seine Kunden zu verkaufen sowie zu versenden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH nahm den Vorwurf des Herstellens und Inverkehrbringens von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 8 Abs. 1 Nr. 1 AMG) von der Verfolgung aus, verwarf die Revision allerdings im Übrigen.

Zur Begründung führte der Senat zunächst an, dass es sich bei den hergestellten Anabolika um Arzneimittel nach § 2 AMG handele. Dies könne nach den bisherigen vom EuGH aufgestellten Grundsätzen unproblematisch festgestellt werden, da keine grundsätzlichen und für diesen Fall relevanten Rechtsfragen mehr bestünden. Eine Anfrage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV müsse daher in Bezug auf das Tatbestandmerkmal des Arzneimittels nicht gestellt werden.

Des Weiteren seien auf den Sachverhalt richtigerweise gemäß § 2 Abs. 2 StGB die §§ 95 Abs. 1 Nr. 2a, 6a Abs. 1 AMG in der Fassung vom 19. Oktober 2012 angewendet worden.

Von einer Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG sei der Senat nicht überzeugt, sodass eine Entscheidung des BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht habe eingeholt werden müssen.

Zwar bestünden Bedenken aufgrund der am 26. Oktober 2012 eingeführten dynamischen Verweisung auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping, allerdings seien die Zweifel in diesem Fall nicht von genügendem Gewicht.

Eine dynamische Verweisung in einer Strafnorm könne im Hinblick auf die Wahrung der Rechtssetzungshoheit des parlamentarischen Gesetzgebers problematisch sein. Dabei bestimme sich der nötige Grad an gesetzlicher Bestimmtheit nach einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Regelungsalternativen im Einzelfall, so der BGH.

In § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG habe der parlamentarische Gesetzgeber jedoch selbst die Strafbarkeit und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 6a Abs. 1 AMG geregelt. Die Verweisung des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG stelle in diesem Zusammenhang lediglich eine einschränkende Konkretisierung der Verbotsnorm des Absatzes 1 dar. Dieses Vorgehen sei letztlich als unproblematisch zu bewerten.

Auch der Verweis auf Normen aus einem völkerrechtlichen Übereinkommen sei im Ergebnis zulässig, da das Grundgesetz völkerrechtsfreundlich angelegt sei und der Inhalt der Verweisung im Wesentlichen feststehe.

Zudem sei die konkrete Version des damals geltenden Anhangs zum Übereinkommen schon im Gesetzgebungsverfahren zu § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG bekannt gewesen, was diese Art der Regelungstechnik ebenfalls als unproblematisch erscheinen lasse.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der BGH hatte in einer anderen Entscheidung Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG geäußert.

Aufgrund dieser Bedenken des BGH hatte der Gesetzgeber den § 6a AMG am 10. Dezember 2015 durch § 2 AntiDopG ersetzt und dort eine andere Regelungstechnik gewählt. Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 03/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.11.2019 – 1 StR 58/19: Anfragebeschluss zum Beginn der Verjährungsfrist bei § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen.

Sachverhalt:

Der Angeklagte ist vom LG Kiel wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als Geschäftsführer einer Bau GmbH von 2007 bis 2012 Schwarzarbeiter beschäftigt und somit Beiträge zur Sozial- und Unfallversicherung nicht abgeführt sowie Lohnsteuern und Solidaritätszuschläge verkürzt.

Dabei hatten die Fälligkeitszeitpunkte für Sozialversicherungszahlungen in 17 Fällen zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008 gelegen, in einem Fall hatte der Angeklagte am 6. Februar 2008 eine unvollständige Meldung an die Berufsgenossenschaft abgegeben und in fünf Fällen waren unrichtige Steuererklärungen von ihm zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 abgegeben worden.

Der Generalbundesanwalt hat daraufhin beantrag, das Verfahren bezüglich der Steuerhinterziehungstaten wegen Verjährung einzustellen.

Entscheidung des BGH:

Der erste Senat beabsichtigt von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und ebenfalls die Verfahren bezüglich der 17 Fälle mit Fälligkeitszeitpunkten zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008 sowie den Fall der unterlassenen Meldung an die Berufsgenossenschaft wegen Verjährung dieser Taten einzustellen.

In seiner bisherigen Rechtsprechung vertrat der BGH stets die Ansicht, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht zu laufen beginne, was dazu führe, dass eine Verjährung dieser Taten noch nicht in Betracht komme.

Nun ist der Senat allerdings der Ansicht, die Verjährungsfrist bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB müsse bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen beginnen.

Die frühere Rechtsprechung war damit begründet worden, dass § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB echte Unterlassungsdelikte darstellten und damit der für die Verjährungsfrist maßgebliche Beendigungszeitpunkt dieser Taten erst im Wegfall der Handlungspflicht zu sehen sei. Damit liege der Beendigungszeitpunkt bei den verfahrensgegenständlichen Delikten erst im Erlöschen der Beitragspflicht.

Im Gegensatz dazu sei § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB ein Erfolgsdelikt, welches aktiv verwirklicht werden müsse und dessen Beendigungszeitpunkt daher schon im Fälligkeitszeitpunkt der Beiträge zu sehen sei.

An dieser Argumentation möchte der Senat nicht länger festhalten und begründet seine Ansicht zunächst damit, dass die Rechtsgutsverletzung auch in Fällen des § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB schon bei Nichtzahlung im Fälligkeitszeitpunkt irreversibel eingetreten sei. Deswegen sei ein weiteres bzw. fortgeführtes Unterlassen nicht mehr strafbar. Dies führe dazu, dass die strafbewehrte Pflicht zur Abführung der Beiträge mit der Tatvollendung entfalle und somit Vollendungs- und Beendigungszeitpunkt zusammen lägen.

Unbeachtlich sei, dass die sozialversicherungsrechtliche Zahlungspflicht weiterhin bis zum Erlöschen der Beitragspflicht bestehe, da beispielweise auch bei § 370 AO der staatliche Steueranspruch nach dem Beendigungszeitpunkt fortbestehe.

Zudem ermögliche diese Sichtweise eine Gleichschaltung des Verjährungsbeginns bei § 266a Abs. 2 StGB und § 370 Abs. 1 AO, was aufgrund des häufigen Zusammentreffens beider Delikte sinnvoll sei.

Ebenfalls vorteilhaft sei, dass nun Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB nicht mehr unterschiedlich verjährten.

Auch die „ultima-ratio“-Funktion des Strafrechts wird vom BGH als Argument angeführt.

Gegen die Beibehaltung der früheren Rechtsprechung spreche schließlich auch die mögliche Gesamtverjährungszeit von 35 bzw. 36 Jahren, welche vor dem Hintergrund des Unrechtsgehalts der Tat unangemessen hoch erscheine.

Abschließend greift der BGH ein Argument aus der Literatur auf wonach die alte Rechtsprechung dazu führen könne, dass Einzelunternehmer gegenüber Vertretungsorganen sowie Teilnehmer gegenüber Tätern benachteiligt werden.

Da § 266a StGB ein Sonderdelikt darstelle, das nur von Arbeitgebern verwirklicht werden könne, sei die Tat immer mit dem Entfallen der Arbeitgeberstellung beendet. Dieses Entfallen der Arbeitgeberstellung könne allerdings bei Vertretungsorganen z.B. mit dem Ausscheiden aus einer Gesellschaft, im Gegensatz zu Einzelunternehmern, mutwillig herbeigeführt werden.

Ähnliches gelte für Teilnehmer, sodass es zu Situationen kommen könne, in denen es für Beteiligte günstiger sein könnte als Täter, statt als Teilnehmer eingestuft zu werden, so der BGH.

Aus diesen Gründen fragt der Senat bei den anderen Senaten des BGH an, ob an etwaiger entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten werde.

 

Anmerkung der Redaktion:

Entgegenstehende Entscheidungen anderer Senate finden Sie hier:

BGH, Beschl. v. 27.09.1991 – 2 StR 315/91

BGH, Beschl. v. 17.12.2013 – 4 StR 374/13

BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08

 

KriPoZ-RR, Beitrag 02/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 17.10.2019 – 3 StR 521/18: Limitierte Akzessorietät bei der Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei und banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung

Amtlicher Leitsatz:

Handelt der Gehilfe einer Hehlerei gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat, macht er sich auch dann wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei strafbar, wenn der von ihm unterstützte Haupttäter diese besonderen persönlichen Merkmale nicht erfüllt. Das gilt entsprechend für die Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung.

Sachverhalt (gekürzt):

Das LG Osnabrück hat den Angeklagten wegen neun Fällen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei jeweils in Tateinheit mit banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sich mit mindestens drei Personen zusammengeschlossen, um Fahrzeuge zu stehlen und nach Manipulation der Identifikationsnummer weiter zu verkaufen.

Dabei war es seine Aufgabe gewesen, die manipulierten Autos mit gefälschten Dokumenten zuzulassen und in vier Fällen auch zu veräußern. Dafür hatte er eine feste Provision erhalten. Das Entwenden und Umarbeiten der Fahrzeuge hatten andere, teilweise unbekannt gebliebene Täter übernommen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch dahingehend ab, dass sich der Angeklagte nur in vier Fällen wegen mittäterschaftlicher gewerbsmäßiger Bandenhehlerei strafbar gemacht habe und in den weiteren Fällen nur Beihilfe zu dieser geleistet habe. Der Angeklagte sei nach den Feststellungen des LG nicht an den konkreten Diebstählen beteiligt gewesen und habe nur in den ersten vier Fällen konkret bei der Veräußerung der Autos mitgewirkt, was eine Zurechnung über § 25 Abs. 2 StGB rechtfertigen könne.

In den anderen Fällen stützten die Feststellungen nur eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei, da die Verkaufstätigkeiten dem Angeklagten schon mangels gemeinsamen Tatplans mit dem ihm unbekannten Verkäufer nicht zugerechnet werden könnten, so der BGH.

Dass der Haupttäter in den Fällen fünf bis neun kein Mitglied der Bande gewesen war, ändere gemäß § 28 Abs. 2 StGB nichts daran, dass der Angeklagte Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei geleistet habe.

Die durch § 28 Abs. 2 StGB gelockerte Akzessorietät führe zu diesem Ergebnis, wenn ein besonderes persönliches Merkmal beim Teilnehmer vorliege und beim Haupttäter fehle.

Dagegen spreche auch nicht der Wortlaut des § 260a Abs. 1 StGB, da sich aus diesem nicht ergebe, dass die Qualifikationsmerkmale beim Haupttäter vorhanden sein müssten.

Gleiches ergebe sich auch aus historischen und teleologischen Argumenten, so der BGH.

Zur Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung führte der Senat aus, dass auch in diesem Kontext nur bei den ersten vier Taten von einer mittäterschaftlich begangenen banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung ausgegangen werden könne und in den übrigen Fällen nur Beihilfe geleistet worden sei.

Im Hinblick auf § 28 Abs. 2 StGB gelte dieselbe limitierte Akzessorietät, wie bei dem Vorwurf der Hehlerei.

Damit habe sich der Angeklagte im Ergebnis in acht Fällen der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Bandenhehlerei und in den anderen vier Fällen jeweils in Tateinheit mit schwerer mittelbarer Falschbeurkundung, mit Begünstigung und mit Geldwäsche sowie in weiteren fünf Fällen der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung jeweils in Tateinheit mit schwerer mittelbarer Falschbeurkundung, mit Begünstigung, mit Geldwäsche, mit Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei und mit Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung schuldig gemacht.

 

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Entscheidungen des BGH zu § 28 Abs. 2 StGB und zur Bandenmitgliedschaft als besonderes persönliches Merkmal finden Sie hier und hier.

 

 

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