KriPoZ-RR, Beitrag 51/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 08.09.2021 – 6 StR 174/21: Jagdhochsitz als Hütte

Amtlicher Leitsatz:

Ein Jagdhochsitz kann eine Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Brandstiftung in sieben Fällen, davon in einem Fall in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in einem weiteren Fall in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, versuchter Brandstiftung in zwei Fällen, davon in
einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Diebstahls in neun Fällen, davon
in einem Fall in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen fahrlässiger Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition und eines einer Schusswaffe gleichgestellten Gegenstands unter Einbeziehung anderweitig verhängter Freiheitsstrafen zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte versucht, in die Jägergemeinschaft an seinem Wohnort aufgenommen zu werden. Dieser Versuch war gescheitert, weshalb der Angeklagte in seiner Wut und seiner Enttäuschung aus Rache mehrere Jagdhochsitze anzündete, die teils komplett abbrannten.

Das LG wertete diese Hochsitze als Hütten im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wogegen sich die Revision gewendet hat.

Entscheidung des BGH:

Nach dem Generalbundesanwalt zeichneten sich Hütten gerade dadurch aus, dass an ihre Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen als bei Gebäuden gestellt würden. Erforderlich sei wenigstens, dass eine Erdverbundenheit und damit eine Immobilität vorläge sowie eine nicht ganz unerhebliche Bedeckung der Bodenfläche durch ein ausreichend abgeschlossenes Bauwerk.

Erforderlich für die Abgeschlossenheit sei lediglich eine auf Dauer angelegte Begrenzung, keine komplette Verschlossenheit.

Demnach seien auch Jagdhochsitze eine Hütte, da sie durch Dächer und Wände abgeschlossen und zum Verweilen von zumindest zwei Menschen geeignet seien. Die Erdverbundenheit erfolge entweder durch bauliche Maßnahmen oder schon aufgrund des bloßen Eigengewichts.

Dieser Rechtsauffassung schloss sich der BGH an.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 50/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 01.07.2021 – 3 StR 518/19: Ausgedruckte E-Mail als Beweismittel und das Recht der Einziehung bei Ausfuhrtaten

Amtliche Leitsätze:

1. Ausdrucke einer ansonsten nur digital vorhandenen E-Mail stellen präsente Beweismittel im Sinne des § 245 Abs. 2 StPO dar.

2. Die Verjährung der Erwerbstaten ist eine Einwendung gegen den Schuldspruch i.S.d. § 431 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. Sie unterliegt daher nur dann der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts, wenn die einschränkenden Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO gegeben sind. Dem stehen verfassungs- und konventionsrechtliche Belange, insbesondere Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und
Art. 13 EMRK, nicht entgegen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 10. Juli 2018
– 1 StR 628/17, juris).

3. Führt der Täter Güter ohne die erforderliche Genehmigung aus, umfasst das aus der Tat Erlangte i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB nicht nur die für das Genehmigungsverfahren ersparten Aufwendungen, sondern sämtliche aus der Tat bezogenen Vermögenswerte. Dies gilt ungeachtet der Genehmigungsfähigkeit der Ausfuhr (Aufgabe von BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 – 3 StR 343/11, BGHSt 57, 79 Rn. 14 ff., 19). Diese wirkt sich auch nicht auf die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen nach § 73d Abs. 1 StGB aus.

4. § 73b Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt auch für rechtsgeschäftliche Übertragungen im Wege partieller Gesamtrechtsnachfolge. Wird nicht das ursprünglich Erlangte, sondern dessen Wertersatz übertragen, ist die Haftung des Übernehmenden nach § 73b Abs. 2 StGB auf den Wert der übertragenen Vermögenswerte beschränkt und erfordert auch nach der Gesetzesnovelle einen Bereicherungszusammenhang in dem Sinne, dass die Verschiebung mit der Zielrichtung vorgenommen wird, den Wertersatz dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen oder die Tat zu verschleiern.

5. Für die Wertbestimmung des Erlangten können grundsätzlich auch Auslandsgeschäfte in den Blick genommen werden. So finden etwa – unabhängig von dem Sitz der Drittbegünstigten – durch legale Weiterverkäufe im Ausland erzielte Erlöse Berücksichtigung (Aufgabe von BGH, Urteil vom 6. Februar 1953 – 2 StR 714/51, BGHSt 4, 13, und RG, Urteil vom 13. November 1919 – I 460/19, RGSt 54, 45).

6. Das Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB gilt auch für versuchte Taten.

Sachverhalt:

Das LG Kiel hat die Angeklagten wegen Ausfuhr von in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannten Gütern ohne Genehmigung, dies teilweise im Versucht, verurteilt und eine Einziehungsentscheidung gegen verschiedene Konzerntochterunternehmen erlassen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren die Angeklagten Ausfuhrverantwortliche der Einziehungsbeteiligten gewesen. In dieser Funktion waren sie dafür verantwortlich gewesen, dass für die Ausfuhr von Pistolen eine Ausfuhrgenehmigung vorliegt. Sie hatten durch mehrere Angestellte Ausfuhrgenehmigungen beantragt, wobei sie einen Letztverbleib der Pistolen in den USA garantiert hatten. Tatsächlich waren die Waffen über die USA nach Kolumbien geliefert worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revisionen der Einziehungsbeteiligten überwiegend als unbegründet.

Zunächst habe die Geltendmachung des Verfahrenshindernisses der Verjährung der Erwerbstaten der Angeklagten durch die Einziehungsbeteiligten keinen Erfolg. Die Verjährung der Erwerbstaten sei nur dann revisionsgerichtlich zu prüfen, wenn die Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO vorlägen, da es sich um Einwendung gegen rechtskräftige Schuldsprüche handele, so der BGH.

Diese Voraussetzungen lägen bei der Einziehungsbeteiligten jedoch nicht vor.

Weiterhin sei es rechtsfehlerfrei, dass das Tatgericht die Aufwendungen der Einziehungsbeteiligten für Herstellung und Transport der Waffen sowohl bei den vollendeten als auch den versuchten Taten nicht in Abzug gebracht hat.

Die Herstellungs- und Transportkosten der Schusswaffen seien im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB für die Begehung der Tat oder ihre Vorbereitung aufgewendet worden, so der BGH.

Dies gelte auch für die bloß versuchten Taten, da auch Versuchstaten als Anknüpfungstat einer Einziehung in Betracht kämen, wenn dem Begünstigten schon aus dieser ein Vermögensvorteil zugeflossen sei. Das Abzugsverbot des § 73d StGB gelte damit auch für versuchte Taten, was sich bereits aus dem Wortlaut ableiten lasse, der von der „Begehung der Tat“, also auch ihrem Versuch spreche. Ebenfalls kämen eine historische und teleologische Auslegung zu diesem Ergebnis.

Zudem entschied der BGH, dass im Prozess eingebrachte ausgedruckte E-Mails präsente Beweismittel im Sinne des § 245 Abs. 2 StPO darstellten. Es sei nicht erforderlich, dem Tatgericht die beweisgegenständlichen digitalen Urkunden ebenfalls digital zu übermitteln. Dass die Neuregelung des § 249 Abs. 1 Satz 2 StPO die ausschließliche elektronische Übermittlung fordere, sei nicht ersichtlich, so der BGH.

Die tatsächliche Genehmigungsfähigkeit der Ausfuhren sei darüber hinaus für die Einziehung nicht von Bedeutung, da nach der Neuregelung des Rechts der Einziehung eine normative Betrachtung zur Bestimmung des erlangten Vorteils nicht mehr stattfinde. Damit sei auch bei einer genehmigungsfähigen Ausfuhr der volle Verkaufserlös durch die Tat erlangt. Auch bei der grundsätzlich normativ zu betrachtenden Abzugsentscheidung nach § 73d StGB sei eine etwaige Genehmigungsfähigkeit irrelevant, da die Aufwendungen bewusst und willentlich für die Tat getätigt worden seien und ihr Abzug demnach gegen den Wortlaut des § 73d Abs. 1 Satz 2 HS 1 StGB verstieße.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hat das Recht der Einziehung in §§ 73 ff. StGB umfassend reformiert. Alle Informationen zu der Reform finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 49/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 307/21: Bestellung einer Pflichtverteidigerin auch für Adhäsionsverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers umfasst auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren.

Sachverhalt:

Das LG Dessau-Roßlau hatte den Angeklagten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Daraufhin beantragte er für das Revisionsverfahren zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin.

Entscheidung des BGH:

Der BGH lehnte den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab, da dem Angeklagten bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet sei und sich diese Beiordnung ebenfalls auf das Adhäsionsverfahren erstrecke.

Zwar sei diese Frage umstritten und manche sähen eine unabhängige Beiordnung für das Adhäsionsverfahren als erforderlich an.

Allerdings vertritt der Sechste Senat die Auffassung, dass sich die notwendige Verteidigung auf das gesamte Verfahren, mithin auch auf das Adhäsionsverfahren erstrecke.

Dies folge zum einen aus der tatsächlichen und rechtlichen Nähe zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des Adhäsionsanspruchs. Zweck des Adhäsionsverfahrens sei gerade die Effizient, die eine gemeinsame Aburteilung biete, weshalb diese Effizient auch bei der Verteidigerbestellung als Ziel anzustreben sei.

Ebenfalls komme in Nr. 4143 RVG-VV zum Ausdruck, dass die Gebühr für das Adhäsionsverfahren „dem Pflichtverteidiger“ zustehe, was nur die bereits bestellte Pflichtverteidigerin meinen könne.

Schließlich sei die umfassende Wirkung der Beiordnung der neuen Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen, in der sich der Gesetzgeber bewusst gegen die antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung entschieden habe, also gerade kein Nebeneinander von PKH und notwendiger Verteidigung gewollte habe, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 143 Abs. 1 StPO ist durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 neu gefasst worden. Mit dem Gesetz hat der deutsche Gesetzgeber Vorgaben der EU-Richtlinie 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren in nationales Recht umgesetzt. Mehr dazu finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 48/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.06.2021 – 3 StR 61/21: Hawala-Netzwerk ist kriminelle Vereinigung, wenn überindividuelles Interesse am Fortbestehen existiert

Amtliche Leitsätze:

  1. Bei einer ein Hawala-System betreibenden Organisation kann es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB handeln. Insbesondere kann nach den konkreten Tatumständen ein über individuelle Einzelinteressen hinausgehendes übergeordnetes gemeinsames Interesse am Fortbestand des Hawala-Systems bestehen.

  2. Die Übermittlungen von Geldbeträgen im Rahmen eines Hawala-Systems stellen grundsätzlich Finanztransfergeschäfte nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG dar.

  3. Das wiederholte Erbringen von Zahlungsdienstleistungen innerhalb eines einheitlichen Betriebes ist als eine Tat im Rechtssinne zu werten.

Sachverhalt:

Das LG Mannheim hat den Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in 124 Fällen, jeweils in Tateinheit mit der vorsätzlichen unerlaubten Erbringung von Zahlungsdienstleistungen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte als sog. Einsammler am Hawala-System beteiligt. Dieses System ermöglicht einen beleglosen und schwer nachzuvollziehenden Geldtransfer über Ländergrenzen hinweg, indem das Geld vom Sender an einen Einsammler übergeben wird, der dann einen Kontakt im Zielland anweist, das Geld an den Empfänger auszuzahlen. Eine staatliche Genehmigung der BaFin wird von den Betreibern des Systems bewusst nicht angestrebt, da sich das System jeglicher staatlicher Kontrolle entziehen wolle, so der BGH.

Der Angeklagte hatte bei einer Vielzahl von Einzahlstellen Gelder von Hawala-Kunden abgeholt und sie innerhalb des Netzwerks weitergeleitet und dafür eine monatliche Vergütung von 700€ bis 1500€ erhalten. Dafür war er auch in die WhatsApp-Gruppe des Netzwerks aufgenommen worden und hatte zum Teil auch als deren Buchhalter fungiert.

Entscheidung des BGH:
Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG im Wesentlichen, änderte jedoch die konkurrenzrechtliche Bewertung ab.

Das LG habe das konkrete Hawala-Netzwerk zurecht als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB eingeordnet. Im Bereich der organisierten Wirtschaftskriminalität sei es insbesondere erforderlich, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolge, das über das Interesse an der Begehung der konkreten Straftaten zur persönlichen Bereicherung hinausgehe, so der BGH. Der Beweiswürdigung des LG sei es zu entnehmen, dass es neben der finanziellen Bereicherung durch die Gebühren (welches als gemeinsames Interesse nicht genügt hätte) bei den Mitgliedern der Vereinigung gerade auch ein gemeinsames unabhängiges Interesse am Fortbestand des Hawala-Systems als Ganzes gegeben habe. Dies habe sich laut dem LG bereits aus dem Umfang und dem Ausmaß der grenzüberschreitenden Organisationsstrukturen ergeben, die darauf gerichtet seien, ein vor der Kontrolle durch staatliche Institutionen geschütztes Schattenfinanzsystem zu errichten und zu erhalten. Das könne auch aus der Höhe der Geldbeträge geschlossen werden, die innerhalb kürzester Zeit über das System versendet worden seien (über acht Millionen Euro). Dieses weitergehende Interesse rechtfertige die Einordnung als kriminelle Vereinigung.

Der Angeklagte habe sich zudem gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG strafbar gemacht, indem er als Mittäter vorsätzlich Zahlungsdienste ohne Erlaubnis erbracht habe, so der BGH.

Im Rahmen der konkurrenzrechtlichen Bewertung widersprach der BGH dem LG allerdings. Die Mitwirkung des Angeklagten am Hawala-System sei nicht als mehrere Einzeltaten, sondern als eine tatbestandliche Handlungseinheit zu werten.

Dies begründet der BGH zum einen mit dem Wortlaut der Norm, die schon im Plural von Zahlungsdiensten spreche. Zum anderen sei nur die gewerbsmäßige Erbringung von Zahlungsdiensten strafbar, was per Definition schon mehrfache Finanztransaktionsgeschäfte erfordere.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 63 ZAG wurde zuletzt am 17. Juli 2017 geändert, weil die Zweite Zahlungsdiensterichtlinie der EU umgesetzt werden musste. Die Richtlinie sollte den Schutz der Nutzer von Zahlungsdiensten im Binnenmarkt verbessern und Regelungen für den digitalen Zahlungsverkehr schaffen.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 47/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 28.04.2021 – 2 StR 47/20: Zum „Anderen“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB

Amtlicher Leitsatz:

„Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3007; jetzt: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB) kann auch ein Beteiligter an dem in einer kinderpornographischen Schrift dargestellten sexuellen Missbrauch sein, dem vom Hersteller dieser Schrift der (erstmalige) Besitz daran verschafft wird.

Sachverhalt:

Das LG Wiesbaden hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffens von jugendpornographischen Schriften, jeweils in Tateinheit mit Sichverschaffen von jugendpornographischen Schriften und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, wegen Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Besitzverschaffung und Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften und mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen sowie wegen Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften und wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ein Kind, von dem er nicht gewusst hatte, dass es unter 14 Jahre alt gewesen war, dazu gebracht, sich vor einer Webcam zu entkleiden und zu masturbieren. Davon hatte der Angeklagte dann ohne Wissen des Geschädigten eine Videodatei gefertigt und einem weiteren Beteiligten zur Verfügung gestellt.

Bei einer weiteren Tat hatte der Angeklagte eine Videodatei von dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes durch einen anderen Beteiligten angefertigt, indem er eine Skype-Übertragung von diesem aufgezeichnet hatte. Die Datei hatte er dem Beteiligten danach absprachegemäß zur Verfügung gestellt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch ab und verurteilte den Angeklagten im hier interessierenden zweiten Tatkomplex wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch, Besitzverschaffen und Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften.

Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 3 aF StGB entfalle nicht deswegen, weil der anderweitig verfolgte Beteiligte Täter des sexuellen Missbrauchs war und gemäß des Tatplans nur dieser die vom Angeklagten erstellte Videodatei erhalten sollte. „Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 aF StGB könne nämlich auch ein Beteiligter am sexuellen Missbrauch sein, der selbst abgebildet werde. Einer Strafbarkeit nach § 176a Abs. 3 aF StGB stünde gerade nicht entgegen, dass der Täter in der Absicht gehandelt habe, die von dem sexuellen Missbrauch gefertigte Aufzeichnung nur einer weiteren am Missbrauch selbst beteiligten Person zur Speicherung zur Verfügung zu stellen, so der BGH.

Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der Norm, der es sei, jeden möglichen Markt für Kinderpornographie auszutrocknen. Auch mit einer nur einmaligen Weitergabe der Schrift an einen anderen Tatbeteiligten erhöhe sich die Gefahr einer weiteren Weitergabe und eines In-Umlauf-kommens der Schrift. Auch werde die Persönlichkeitsrechtsverletzung auf Seiten des Opfers bereits durch die einmalige Weitergabe perpetuiert, was ebenfalls vom Gesetz verhindert werden wolle.

Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Wortlaut oder der Gesetzessystematik.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 176a StGB ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach geändert worden:

Am 3. März 2020 durch das Siebenundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde die Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming eingeführt.

Am 30. November 2020 wurde der Schriftenbegriff modernisiert und am 1. Juli 2021 wurde die Norm durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder umfangreich reformiert.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 46/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.01.2021 – GSSt 2/20: Zur Einziehung im Jugendstrafrecht

Amtlicher Leitsatz:

Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) steht auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts.

Sachverhalt:

Das LG München II hatte den Angeklagten nach Jugendstrafrecht wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und weiteren Betrugsdelikten verurteilt. Von einer Einziehung der Taterträge hatte es jedoch abgesehen, da die Einziehung nach der Reform des Vermögensabschöpfungsrechts nun im Ermessen des Tatgerichts stünde und es der Erziehungsgedanken in diesem Verfahren geboten hätte, von einer Einziehung abzusehen, um den Angeklagten nicht komplett zu demotivieren.

Der 1. Strafsenat hat dieser Rechtsauffassung folgen wollen. Allerdings hat er sich aufgrund divergierender Rechtsprechung des 4. und 6. Senats daran gehindert gesehen und deshalb dem Großen Strafsenat die Frage vorgelegt, ob die Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts liege.

Entscheidung des Großen Senats:

Der Große Senat sprach sich gegen einen besonderen jugendstrafrechtlichen Ermessenvorbehalt aus.

Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung habe keine speziellen Auswirkungen auf das Jugendstrafrecht gehabt.

§ 73c Satz 1 StGB sei als zwingendes Recht ausgestaltet und gehöre zu den allgemeinen Vorschriften, die gem. § 2 Abs. 2 JGG direkt auch im Jugendstrafrecht anwendbar seien, wenn dort nichts Anderes bestimmt sei. Eine solche andere Bestimmung ergebe sich nicht aus § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG, da dieser lediglich die Kumulation von Rechtsfolgen betreffe.

Bereits die frühere gesetzliche Regelung habe für eine obligatorische Verfallsanordnung im Jugendstrafrecht gesorgt. Bei der Reform habe der Gesetzgeber dieses Regelungskonzept beibehalten und sich für eine Härtefallklause im Vollstreckungsrecht entschieden. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dieses Regelungskonzept nicht auf das Jugendstrafverfahren zur Anwendung kommen lassen wollte. Würde man nun besondere Ermessenstatbestände im JGG annehmen, würde die Härtefallklausel im Vollstreckungsrecht für das Jugendstrafverfahren leerlaufen.

Es sei auch mit den Prinzipien des Jugendstrafverfahrens zu vereinbaren, dass das gesetzgeberische Regelungskonzept der Vermögensabschöpfung auf diesen Bereich übertragen und bei jugendlichen Straftätern ebenfalls zur Anwendung komme.

Indem das Hauptverfahren so von aufwendigen Finanzermittlungen freigehalten werde, streite dieses Regelungskonzept sogar für den im Jugendstrafverfahren so gewichtigen Beschleunigungsgrundsatz, so der BGH.

Zudem könnte nicht von der Unzulässigkeit der Geldstrafe im Jugendstrafrecht auf eine Unzulässigkeit der Vermögensabschöpfung geschlossen werden, da diese keinen strafähnlichen Charakter aufweise.

Da der Verurteilte durch die Härtefallklausel des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO wirksam geschützt sei und diese auch im Jugendstrafverfahren anwendbar sei, bestünden keine Gründe für einen Ermessensvorbehalt der Einziehungsentscheidung.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hatte das Recht der Vermögensabschöpfung im  Jahr 2017 umfassend reformiert. Auf besondere Anpassungen im Jugendstrafrecht verzichtete er dabei. Die Historie des Reformvorhabens finden Sie hier.

Am 10. März 2020 beschloss der vierte Senat (Beschl. v. 10.03.2020 – 4 ARs 10/19), dass er an seiner Rechtsprechung festhalte und damit dem Anfragebeschluss des ersten Senats (Beschl. v. 11.07.2019 – 1 StR 467/18) nicht stattgebe. Der sechste Senat beschloss am 1. Dezember 2020 ebenfalls, dass er sich der Meinung des vierten Senats anschließe und von keinem besonderen Ermessensvorbehalt ausgehe (BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 6 ARs 15/20).

Daraufhin beschloss der erste Senat, dem großen Senat für Strafsachen folgende Frage vorzulegen:

Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?

Den Vorlagebeschluss finden Sie hier: Beschl. v. 08.07.2020 – 1 StR 467/18.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 45/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.05.2021 – 3 StR 302/20: Zu den Tathandlungen der Terrorismusfinanzierung

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Tathandlung des Sammelns umfasst neben dem Einsammeln bei anderen Personen das Zusammentragen im Sinne eines Ansammelns.

  2. Die bloße Umwidmung vorhandenen, gegebenenfalls zu anderen Zwecken gesammelten Vermögens begründet keine Strafbarkeit wegen Terrorismusfinanzierung.

  3. Ein Entgegennehmen im Sinne des § 89c Abs. 2 StGB liegt nicht vor, wenn im Rahmen eines Austauschverhältnisses erworbene Vermögenswerte durch eine Gegenleistung kompensiert werden und deshalb keinen Vermögenszuwachs zur Folge haben.

Sachverhalt:

Das LG Aachen hat den Angeklagten wegen Terrorismusfinanzierung zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte den Plan gefasst sich in Ägypten dem „Islamischen Staat“ anzuschließen. Um das Flugticket dorthin bezahlen zu können, hatte er ein Mobiltelefon verkauft und den Restbetrag aus zu Geschäftszwecken angesparten 1.000€ beglichen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da der Angeklagte keine Vermögenswerte im Sinne des § 89c Abs. 2 Var. 1 StGB gesammelt habe.

Sammeln sei das auf eine größere Menge gerichtete Zusammentragen verschiedener Gegenstände durch das Einsammeln bei anderen Personen oder das Zusammentragen im Sinne eines Ansammelns, so der BGH. Ein solches weites Verständnis der Tathandlung sei aufgrund des Gesetzeszwecks geboten, denn dieser sei es, künftigen Taten die materielle Grundlage zu entziehen, was nicht gelänge, wenn nur das Einsammeln bei dritten Personen tatbestandsmäßig wäre.

Dadurch werde der Tatbestand auch nicht zu sehr ausgedehnt, da er auf subjektiver Seite eine Einschränkung durch das Absichtserfordernis in Absatz 2 erfahre. Tatbestandsmäßig seien nämlich nur solche Sammel-Handlungen, die der Täter schon in der Absicht, eine Katalogtat zu begehen, vorgenommen habe. Fasse er diesen Entschluss erst, wenn die Vermögenswerte bereits vorhanden sind und sollen diese dann umgewidmet werden, erfülle dies den Tatbestand gerade nicht.

Da der Angeklagte nur zwei bei ihm bereits vor seinem Ausreiseentschluss vorhandene Vermögenswerte zusammengeführt habe, habe er den Tatbestand nicht erfüllt.

Ebenfalls sei eine Strafbarkeit wegen Entgegennahme eines Vermögenswerts nach § 89c Abs. 2 Variante 2 StGB nicht zu sehen. Zwar habe der Angeklagte Vermögenswerte in Form des Verkaufserlöses und des Tickets entgegengenommen, für diese habe er aber jeweils eine Gegenleistung weggegeben, sodass aus den Geschäften kein Vermögenszuwachs resultiert habe. Ein solcher sei allerdings im Rahmen einer einschränkenden Auslegung des Tatbestands zu fordern, so der BGH.

Dies ergebe sich daraus, dass von einem Güterumsatz, der keinen Vermögenszuwachs beim Täter bewirke, keine erhöhte Gefahr für das vom Tatbestand geschützte Rechtsgut ausgehe. Dies könnte zwar der Fall sein, wenn der Täter sich beispielsweise durch einen Güterumsatz konkrete Anschlagsmittel zulege. Allerdings sei für diesen Spezialfall § 89a Abs. 2 Nr. 2 und 3 StGB geschaffen. Würde man nun das Erhalten eines Anschlagsmittels auch ohne Vermögenszuwachs immer als Terrorismusfinanzierung bestrafen, liefe der Spezialtatbestand mit seinen zusätzlichen Anforderungen an die erworbenen Gegenstände weitgehend leer.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber versucht, die Terrorismusfinanzierung durch einen besseren Austausch von Finanzinformationen zu bekämpfen. Das Gesetz zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1153 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Nutzung von Finanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen schweren Straftaten (Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz) wurde am 25. Juni 2021 beschlossen.

Einen Artikel zum neuen Terrorismusstrafrecht von Prof. Dr. Jens Puschke finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 44/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.04.2021 – 1 StR 78/21: Trojaner

Amtlicher Leitsatz:

Zur Strafbarkeit der Verbreitung eines Erpressungstrojaners über das Internet (sog. Ransomware).

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur versuchten Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten Computersabotage in 396 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur Computersabotage in 393 Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte mit weiteren Tätern zu einer Bande zusammengeschlossen, um über das Internet einen Erpressungstrojaner (sog. Ransomware) zu verbreiten.

Dazu hatte sie Werbung auf verschiedenen Internetseiten geschaltet, bei deren anklicken sich eine Schadsoftware selbstständig auf den Rechnern der Opfer installiert hatte. Diese Software hatten die Täter dann genutzt, um einen Sperrbildschirm anzeigen zu lassen, der in der jeweiligen Landessprache der Opfer einschüchternd zur Zahlung einer bestimmten Summe aufgefordert hatte, damit das System wieder entsperrt würde. Zu einer solchen Entsperrung kam es auch nach Zahlung durch die Opfer nicht.

Aufgaben des Angeklagten waren gegen ein Festgehalt von 1.000 $ u.a. die Anmietung neuer Server, die Installation wichtiger Programme, die Verlinkung der Server und die allgemeine Betreuung sowie das Troubleshooting.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch derart ab, dass der Angeklagte sich wegen einer einheitlichen Beihilfe zur Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur Computersabotage strafbar gemacht hat.

Seine Unterstützungshandlungen seien sowohl als Beihilfe zur vollendeten Erpressung als auch zur versuchten Erpressung zu werten. 

Gleiches gelte für die Computersabotage und die versuchte Computersabotage nach § 303b Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Der Tatbestand sei durch das Aufspielen der Schadsoftware auf die Rechner erfüllt. Die Systemdateien, die die Täter verändert hätten, seien taugliche Tatobjekte im Sinne des § 202a Abs. 2 StGB.

Diese seien auch durch das Herbeiführen von Funktionsbeeinträchtigungen, die eine Änderung ihres Informationsgehalts oder des Aussagewerts zur Folge haben, verändert worden.

Das Herbeiführen von Funktionsbeeinträchtigungen sei durch das Hinzufügen der Einträge in der Windows-Registry-Datei erfolgt, das für das automatisierte Laden des Sperrbildschirms gesorgt habe.

Das LG sei auch zurecht von der Qualifikation der Computersabotage gem. § 303b Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgegangen, da eine Datenverarbeitung von wesentlicher Bedeutung gegeben sei. Zwar könne dies nicht bei allen Opfern belegt werden, jedoch habe es sich immer um eine Unbrauchbarmachung des kompletten Computers gehandelt und viele Opfer hätten den Erpressungsbetrag gezahlt, was auch ein Indiz für die Erfüllung des einschränkenden Merkmals sei.

Beide Tatbestände der Erpressung und der Computersabotage stünden dabei in Tateinheit zueinander, da unmittelbar durch die Veränderung der System-Dateien und Anzeige des Sperrbildschirm zur Geldzahlung aufgefordert worden sei, so der BGH.

Es habe sich jedoch nur um eine einheitliche Beihilfe des Angeklagten gehandelt. Da sich die Tatbeiträge des Angeklagten nicht auf individuelle Taten bezogen hätten, sondern eine einheitliche Unterstützungshandlung dargestellt habe, sei nicht von Beihilfe in 789 Einzelfällen auszugehen, sondern von einer Beihilfe im Rechtssinne, die führ mehrere selbstständige Taten des Haupttäters gewirkt habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der BGH hatte bereits im Juli 2017 wesentliche Konturen der §§ 303a f. herausgearbeitet. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 43/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.05.2021 – 4 StR 350/20: keine Vermögensbetreuungspflicht eines Arztes für das Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen bei der Verordnung häuslicher Krankenpflege

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Verordnung von häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V obliegt dem verordnenden Kassenarzt keine Betreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB hinsichtlich des Vermögens der gesetzlichen Krankenkassen (Abgrenzung zur BGH, Beschluss vom 16. August 2016 – 4 StR 163/16).

Sachverhalt:

Das LG Bochum hat den Angeklagten wegen Untreue verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte bewusst falsche Atteste für häusliche Krankenpflege ausgestellt, die die betreffenden Patienten dann bei dem von seiner Ehefrau mitgegründeten Pflegedienst eingelöst hatten. Die Pflegeleistungen waren tatsächlich nicht oder nur zu einem geringen Teil erbracht worden. Um Zahlungen der Krankenhasse zu erhalten, hatte die Ehefrau des Angeklagten im Anschluss falsche Leistungsbescheinigungen über einen Abrechnungsdienst bei der Krankenkasse eingereicht. Dieses Vorgehen war dem Angeklagten bewusst gewesen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilung wegen Untreue auf, da den Angeklagten als Arzt – im Gegensatz zur Verordnung von Heilmitteln und bei der Abrechnung ärztlichen Sprechstundenbedarfs – bei der Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V keine Vermögensbetreuungspflicht für das Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen getroffen habe.

Die für eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB erforderliche Vermögensbetreuungspflicht gründe sich auf vertragliche oder gesetzliche Sonderbeziehungen, die eine Einwirkung auf das Vermögen des anderen ermöglichten und in denen die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen eine, im Vergleich zur generellen Rücksichtnahmepflicht in Rechtsbeziehungen, herausragende Stellung einnehme, so der BGH. Dies bestimme sich anhand einer Gesamtabwägung, bei der der Frage, ob die Betreuungspflicht Hauptpflicht des Rechtsverhältnisses sei, erhebliche Bedeutung zukomme. Daneben spielten aber auch das Maß der Eigenständigkeit und die Möglichkeiten zur Kontrolle durch den Auftraggeber eine große Rolle.

Da es – anders als bei der Verordnung von Medikamenten – bei der Verordnung von häuslicher Krankenpflege nicht allein auf den Arzt ankomme und die Krankenkasse in diesen Fällen eigene zusätzliche Prüfungs- und Kontrollmechanismen hätte, hänge die Leistungserbringung von der Genehmigungsentscheidung der Krankenkasse ab. Daraus ergebe sich, dass die Einwirkungsmöglichkeiten des Arztes auf das Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen begrenzt sei und dieser somit keine Vermögensbetreuungspflicht habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bei der Verordnung von Medikamenten erfolgt keine gesonderte Prüfung durch die Krankenkassen und es ergibt sich direkt ein Leistungsanspruch des Versicherten. Daher bestehe in diesem Fall eine Vermögensbetreuungspflicht des Arztes, so der BGH in seinem Beschluss vom 16.08.2016 – 4 StR 163/16.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 42/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 5 StR 484/20: Zur Verständigung bei Aussetzung des Hauptverfahrens

Amtliche Leitsätze:

  1. Wird das Verfahren, in dem es zu einer Verständigung gekommen war, ausgesetzt, entfällt die Bindung des Gerichts an die Verständigung.

  2. Das aus der Aussetzung resultierende Entfallen der Bindungswirkung führt grundsätzlich zur Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung abgegebenen Geständnisses in der neuen Hauptverhandlung.

  3. Eine Pflicht, den Angeklagten zu Beginn der neuen Hauptverhandlung über die Unverwertbarkeit seines in der ausgesetzten Hauptverhandlung abgegebenen Geständnisses ausdrücklich („qualifiziert“) zu belehren, besteht nicht, wenn der Angeklagte vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war; es genügt, wenn er zu Beginn der neuen Hauptverhandlung darüber informiert wird, dass eine Bindung an die in der ausgesetzten Hauptverhandlung getroffene Verständigung entfallen ist (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 24. April 2019 – 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12).

Sachverhalt:

Das LG Zwickau hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen verurteilt.

In der ersten Hauptverhandlung hatte es eine Verständigung gem. § 257c StPO gegeben, bei der der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgegeben hatte. Nach Erkrankung eines Schöffen und eines Beisitzers hatte die Hauptverhandlung ausgesetzt werden müssen. Nach dem Neubeginn der Verhandlung hatte der Vorsitzende den Inhalt der Verständigung soweit mitgeteilt, dass bei einer glaubhaften und geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen 2 Jahren und 6 Monaten und 2 Jahren und 9 Monaten verhängt werde und nach Aussetzung der Verhandlung die Bindung an diese Verständigung entfallen sei. Danach hatte der Angeklagte ein Teilgeständnis abgelegt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren oder etwaige Belehrungspflichten nach § 257c Abs. 5 StPO nicht verletzt worden seien.

Zunächst stellte der Senat klar, dass ein Aussetzen der Hauptverhandlung die Bindungswirkung einer ordnungsgemäß getroffenen Verständigung entfallen lasse. Dies folge aus der gesetzgeberischen Wertung, dass auch in weiteren Instanzen oder bei Zurückverweisung eine Bindungswirkung nicht eintreten solle. Dadurch komme zum Ausdruck, dass eine Bindungswirkung nur beim konkreten Tatgericht und dessen Spruchkörper eintreten solle. Bei einem anders besetzten Spruchkörper nach Aussetzung und Neubeginn der Hauptverhandlung komme demnach eine Bindungswirkung nicht in Betracht.

In solchen Fällen, entfalle dann auch die Verwertbarkeit des abgegebenen Geständnisses. Dieses Ergebnis sei jedoch nicht aus einer analogen Anwendung des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO zu erzielen, da die Regelungslücke nicht planwidrig entstanden sei, so der BGH. Im Gesetzgebungsverfahren habe die Bundesrechtsanwaltskammer auf solche Fälle hingewiesen und der Gesetzgeber habe die Vorschläge bewusst nicht übernommen.

Vielmehr sei das Verwertungsverbot aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens unter Vertrauensschutzgesichtspunkten abzuleiten, da in solchen Konstellationen eine Bindung an die Verständigung nicht mehr gegeben sei und der Angeklagte nicht durch das Verschlechterungsverbot geschützt werde.

Eine Pflicht zur qualifizierten Belehrung folge daraus allerdings nicht, so der BGH.

Denn aus der ordnungsgemäßen Belehrung bei der Verständigung könne der Angeklagte ableiten, was aus einem Wegfall der Bindungswirkung für sein Geständnis folge.

Dies sei auch kein Widerspruch zum Beschluss des 1. Senats vom 24. April 2019, da dieser Fall entscheidend anders gelagert gewesen sei, denn der Vorsitzende hatte nach Neubeginn der Verhandlung ausdrücklich festgestellt, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden hätten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 1. Senats finden Sie hier. Die Vorschriften zur Verständigung im Strafverfahren waren 2009 durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren reformiert worden.

 

 

 

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