KriPoZ-RR, Beitrag 03/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.11.2022 – 3 StR 64/22: Zur Anwendung deutschen Strafrechts

Amtlicher Leitsatz:

Eine Inlandstat im Sinne der §§ 3, 9 StGB ist nicht allein tatbestandsbezogen zu verstehen, sondern umfasst regelmäßig die im Rahmen desselben Lebensvorgangs verwirklichten Delikte und führt auch für diese zur Anwendung deutschen Strafrechts.

Sachverhalt:

Die Angeklagten wurden vom LG Düsseldorf u.a. wegen Geiselnahme zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen trafen sich die Angeklagten mit dem Geschädigten in den Niederlanden, um Gegenstände von diesem abzunehmen. Hierzu griff einer der Angeklagten den Geschädigten aus dem Hinterhalt an. Der Geschädigte wurde sodann in den Pkw befördert, unter Gewaltanwendung eine Bankkarte und Bargeld entwendet und aufgefordert seine in den Niederlanden lebende frühere Ehefrau zu kontaktieren, um Uhren an die Angeklagten auszuhändigen. Nach erfolgter Übergabe fuhren die Angeklagten den Geschädigten wieder zurück. An verschiedenen Geldautomaten in den Niederlanden und Deutschland hoben die Angeklagten mit der Bankkarte des Geschädigten Geld ab. Die Angeklagten legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen und Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Es liege kein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 Abs. 2 StPO), beweisantragsrechtliche Vorschriften (§ 244 Abs. 3 und 5 StPO) und das Konfrontationsrecht (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) vor.
Auch bezogen auf die Sachrügen seien keine Rechtsfehler ersichtlich. Die Beweiswürdigung und die rechtliche Bewertung durch das LG Düsseldorf sei nicht zu beanstanden. Der BGH erörtert, dass die abgeurteilten Delikte deutschem Strafrecht unterfallen, weshalb kein Verfahrenshindernis bestehe. Der Anwendungsbereich des §§ 3, 9 Abs. 1, 2 S. 1 StGB sei eröffnet, denn Vorbereitungshandlungen hätten schon in Deutschland stattgefunden und die Tatbegehung sich über die niederländische Grenze nach Deutschland gezogen. Im Hinblick auf die allein in den Niederlanden verwirklichten Taten gelte nichts anderes. Denn entscheidend sei der Lebensvorgang und nicht allein der Tatbestand. Liege eine Tatbestandsverwirklichung „im Rahmen desselben Lebensvorgangs“, sei ebenso deutsches Strafrecht anzuwenden. 

KriPoZ-RR, Beitrag 05/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 16.1.2023 finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 16.1.2023 – 5 StR 269/22: BGH bestätigt: CBD-Produkte fallen unter das BtMG

Sachverhalt:

Die Angeklagten wurden vom LG Berlin vom Vorwurf der Begehung von Straftaten u.a. nach dem Betäubungsmittelgesetz freigesprochen. Das Gericht hat festgestellt, dass die Angeklagten zwar den objektiven Tatbestand erfüllt haben. Die CBD-Produkte, mit denen gehandelt wurde, würden unter das BtMG fallen. Sie wiesen einen THC-Gehalt von 0,2 Prozent auf. Die Bestandteile der Cannabispflanzen hätten trotz geringen Gehaltes von THC durch Verbacken durch die Endkunden zu Rauschzwecken missbraucht werden können. Die Angeklagten hätten aber dies nicht erkannt, sodass das LG Berlin kein subjektives strafrechtliches Fehlverhalten feststellen konnte und die Angeklagten freisprach. Die Staatsanwaltschaft erhob Revision gegen das Urteil.

Entscheidung des BGH:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Der 5. Strafsenat des BGH hob das Urteil auf. Die Beweiswürdigung durch das LG Berlin sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Weder seien Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten getroffen noch die Glaubhaftigkeit der Einlassungen geprüft worden. Eine kritische Würdigung der Erklärungen sei erforderlich gewesen. Ein mögliches Erkennen der Betäubungsmitteleigenschaft sei allein schon aus der Nutzung sozialer Medien zur Vermarktung der CBD-Produkte nicht auszuschließen. 

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer verwiesen. 

Anmerkung der Redaktion:

Mit Beschluss vom 23.06.2022 (5 StR 490/21) hatte der BGH weitere Verurteilungen wegen Handeltreibens mit CBD-Blüten bestätigt. Hintergründe zur Entscheidung finden Sie hier

KriPoZ-RR, Beitrag 04/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 4.1.2023 – 5 StR 522/22: BGH bestätigt Verurteilung im „Berliner Wettbüro-Mordfall“

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Das LG Berlin hat mit Urteil vom 1.10.2019 die Angeklagten wegen Mordes bzw. Anstiftung zum Mord zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Einen Teil der Mindestverbüßungsdauer hat das Landgericht für alle neun Angeklagte für vollstreckt erklärt. Mit Urteil vom 7.2.2022 hat der BGH die Verurteilungen bestätigt, einen der Strafaussprüche jedoch aufgehoben. Hintergründe zum Sachverhalt und zur Entscheidung finden Sie hier. 

Zu neuer Verhandlung und Entscheidung wurde an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Das LG hat den Angeklagten erneut zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und eine Strafmilderung abgelehnt. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Mit Beschluss vom 4.1.2023 hat der BGH die Revision ohne weitere Begründung verworfen. Rechtsfehler waren für den 5. Strafsenat nicht ersichtlich. Das LG habe ermessensfehlerfrei entschieden. 

KriPoZ-RR, Beitrag 02/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 6 StR 95/22: Ein Verstoß gegen § 229 StPO liegt auch vor, wenn das Gericht nicht die substantielle Förderung des Verfahrens beabsichtigt

Amtlicher Leitsatz:

Auch wenn in einem Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung Verfahrensvorgänge stattfinden, die als Sachverhandlung anzusehen sind, verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Das LG Ansbach hat den Angeklagten zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt strafbar gemacht. Die Hauptverhandlung begann am 4.5.2017 und endete mehr als drei Jahre später im Jahr 2020 nach 62 Sitzungstagen. Einen Teil der Strafe hat das Gericht daher wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein. Er rügte eine Verletzung des § 229 StPO. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg und das Urteil wird aufgehoben. Der 6. Strafsenat des BGH hat festgestellt, dass ein Verstoß gegen § 229 StPO vorliegt. Die gesetzlichen Unterbrechungsfristen würden den Zweck der Förderung des Urteilsspruches dienen, mithin vor allem der Sachverhaltsaufklärung. Der Strafsenat konkretisiert, dass kein Verhandeln zur Sache mehr vorliege, „[…] wenn das Gericht dabei nur der äußeren Form nach zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt.“ Dies liege zum einen vor, wenn eine Zerstückelung in kleinere Verfahrensabschnitte willkürlich erfolge. Zum anderen sei § 229 StPO auch nicht mehr gewahrt, wenn lediglich die Unterbrechung der Hauptverhandlung im Vordergrund stehe und nicht die „substantielle Förderung des Verfahrens.“ Vorliegend sei das Landgericht teilweise inhaltlich nicht in der Art tätig geworden, dass der Urteilsspruch inhaltlich gefördert wurde. Darüber hinaus sei an einigen Verhandlungstagen deutlich, dass die Vorschrift des § 229 StPO umgangen werden sollte, da das Gericht nur nach der äußeren Form tätig geworden sei. Die Hauptverhandlung hätte ausgesetzt werden und nicht unterbrochen werden müssen. 

Die Sache wird an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 01/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 23.11.2022 – 4 StR 310/22: Eine „mäßig schmerzhaft“ empfundene Ohrfeige stellt eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB dar

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte mit einem Schlagring gegen den Oberarm des Geschädigten geschlagen, um von diesem einen Geldbetrag zu erhalten und ihn zur Rücknahme einer Strafanzeige zu bewegen. Der Angeklagte erteilte dem Geschädigten anschließend eine Ohrfeige, die nicht mit voller Kraft ausgeführt und vom Geschädigten als „mäßig schmerzhaft“ empfunden wurde. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung des LG Paderborn wegen Verletzung materiellen Rechts Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Schuldspruchs insoweit Erfolg, dass der Angeklagte der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und Führen eines Schlagrings schuldig ist. Zu entfallen habe der Schuldspruch wegen der einfachen Körperverletzung. Im Übrigen wird die Revision verworfen. 
Der BGH schließt sich den Ausführungen des LG Paderborn an, wonach die Ohrfeige die erforderliche Erheblichkeitsschwelle für eine körperliche Misshandlung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB überschritten habe. Diese werde jedoch auf Konkurrenzebene von der gefährlichen Körperverletzung verdrängt, da das Geschehen als eine Tat (§ 52 Abs. 1 StGB) zu werten sei. 

KriPoZ-RR, Beitrag 37/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier abrufbar. 

BVerfG, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 BvR 900/22: Keine geänderte Sach- und Rechtslage im Verfahren wegen Wiederaufnahme eines Strafverfahrens

Sachverhalt und Prozessverlauf: 

Der Beschwerdeführer wurde am 13.5.1983 vom LG Stade vom Tatvorwurf des Mordes freigesprochen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Herstellung materieller Gerechtigkeit vom 21.12.2021, beantragte die Staatsanwaltschaft Verden (Aller) die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grundlage des neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO. Das LG Verden (Aller) erklärte den Wiederaufnahmeantrag für zulässig und ordnete die Untersuchungshaft an. Der Beschwerdeführer legte gegen die Beschlüsse Rechtsmittel ein. Das zuständige OLG Celle wies die sofortige Beschwerde zurück. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Celle. Der neue § 362 Nr. 5 StPO sei mit Art. 103 Abs. 3 GG unvereinbar. Darüber hinaus seien das Rückwirkungsverbot und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. 

Das BVerfG hat die am 19.5.2022 eingegangene Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen. Am 14.7.2022 beschloss das BVerfG gemäß § 32 BVerfGG den Vollzug des Haftbefehls des LG Verden (Aller) unter bestimmten Bedingungen auszusetzen. 

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hat die einstweilige Anordnung des LG Verden gemäß § 32 Abs. 6 S. 2 BVerfGG wiederholt. Bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Dies gilt für die Dauer von maximal sechs Monaten. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass seien noch gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich an alle ihm auferlegten Weisungen gehalten (Ausweispapiere zu den Akten geben, zweimal wöchentlich melden, Stadt nicht ohne Erlaubnis verlassen). Außerdem habe sich weder die Sach- noch die Rechtslage seit dem 14.7.2022 wesentlich geändert. Zuletzt sei der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten. Vor diesem Hintergrund erachtet das BVerfG die Verlängerung um weitere sechs Monate für verhältnismäßig. 

Eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers und damit über die Vereinbarkeit des § 362 Nr. 5 StPO mit dem Grundgesetz bleibt abzuwarten. 

Anmerkung und Nachtrag der Redaktion:

Das Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit vom 21.12.2021 ist mit erheblichen Bedenken in Kraft getreten. Eine Zusammenfassung der Debatte ist hier nachzulesen. 

Am 24.5.2023 wurde die Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG unter Anhörung Sachverständiger verhandelt. Ein Urteil erging nicht. Die einstweilige Anordnung gegen den Beschwerdeführer wurde am 16.6.2023 verlängert. Der Beschluss des BVerfG (2 BvR 900/22) ist hier abrufbar. 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier

BVerfG, Beschl. v. 7.12.2022 – 2 BvR 1404/20: Keine Verfassungswidrigkeit durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz

Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den sog. „Ku’damm-Raser-Fall“. Bei einem Autorennen verursachte der Beschwerdeführer den Tod eines Menschen. Unter anderem wegen Mordes wurde der Beschwerdeführer zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Näheres zum Sachverhalt und zur Entscheidung finden Sie hier. Der Beschwerdeführer hält sowohl die Entscheidung im ersten Rechtszug des LG Berlin, Urt. v. 26.3.2019 als auch das Urteil des BGH v. 18.6.2020 für verfassungswidrig. Durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz liege eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots und des Schuldgrundsatzes vor. 

Der Beschwerdeführer führt an, dass nicht erkennbar sei, welcher Tatbestand erfüllt und Strafrahmen anwendbar sei. Die Gerichte hätten unzulässigerweise den Vorsatz aus der objektiven Gefährlichkeit und der Evidenz abgeleitet. Dies sei aber erst im Nachhinein und damit nicht zum erforderlichen Zeitpunkt der Handlung möglich und verstoße somit gegen das Bestimmtheitsgebot. Auch liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG deshalb vor, da durch die normative Vorsatzbestimmung eine Abgrenzung zwischen – den hier streitentscheidenden – §§ 315c f. und §§ 211 f. StGB nicht mehr vorhersehbar und nahezu jeder Fall eine Strafbarkeit der §§ 211, 212 StGB begründen würde. 

Durch die normative Vorsatzbestimmung werde der Vorsatz auch nicht mehr individuell festgestellt (Wissen und Wollen eines bestimmten Täters), sondern ein „rational Handelnder“ bewertet. Auch ein Verstoß gegen das Gebot des schuldangemessenen Strafens liege vor. Die Auslegung hätte zur Konsequenz, dass eine Vielzahl von Fällen unter § 211 StGB falle und die Gerichte sich hier dem Bevölkerungswillen angeschlossen und damit die Aufgabe des Gesetzgebers eingenommen hätten. 

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es liege keine Verletzung in Art. 103 Abs. 2 GG und in dem Schuldgrundsatz vor.

1. Bestimmtheitsgebot

Art. 103 Abs. 2 GG garantiere die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung, wobei die Wortlautgrenze – aus Sicht des Normadressaten – vor dem Hintergrund des Rechtsgutschutzes zu bestimmen sei. Die Gerichte haben die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG beachtet, so dass BVerfG.

Die vorgenommene Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sei nicht widersprüchlich, das StGB enthalte keine Definitionen für diese Begriffe. Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftige Begriffe seien grundsätzlich zulässig. Für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit liege eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Diese Unterscheidung werde zwar in der Literatur kritisiert, sei jedoch von Art. 103 Abs. 2 GG gedeckt. 

Das BVerfG widerspricht der Argumentation des Beschwerdeführers: Die Gerichte hätten in ihren Entscheidungen nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern die Umstände des Einzelfalls (Wissens- und Willenselement des Täters) beachtet. Im Übrigen sei das BVerfG auch nicht für die Würdigung des Tatbestandes zuständig. 

2. Schuldgrundsatz

Die sich am Schuldgrundsatz orientierenden Maßstäbe (Eigenverantwortlichkeit des Menschen, Rechtsstaatsprinzip, Menschenwürdegarantie) seien vorliegend durch die Annahme des Tötungsvorsatzes gewahrt. Insbesondere seien durch die Gerichte die Persönlichkeit und Motivation des Beschwerdeführers in den Blick genommen worden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Begründung auf fiktive Vergleichsfälle abgestellt, die allerdings nicht maßgeblich für die individuelle Schuldbestimmung des Beschwerdeführers seien. 

Schließlich sei der Vorwurf, die Gerichten kämen dem Bestrafungswillen der Bevölkerung nach, hier kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gerichte hätten nicht willkürlich, auf sachfremden Erwägungen beruhend, entschieden. Die Umstände, die für und gegen einen Tötungsvorsatz sprächen, seien sowohl vom LG Berlin als auch vom BGH erörtert worden. 

Anmerkung der Redaktion:

Einen Beitrag von Prof. Zehetgruber zur Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei sog. Raser-Fällen finden Sie hier. Ebenfalls hat sich Prof. Momsen in der KriPoZ mit den sog. Raser-Fällen auseinandergesetzt.

KriPoZ-RR, Beitrag 35/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 8.8.2022 – 5 StR 372/21: BGH zur Anwendung des § 261 StGB n.F.

Amtliche Leitsätze:

1. Den Qualifikationstatbestand des § 261 Abs. 4 StGB n.F. erfüllt nur, wer bei der Geldwäsche in Ausübung seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, die ihn zum Verpflichteten nach § 2 des Geldwäschegesetzes macht.

2. Ist die Anwendung einer neuen Gesetzesvorschrift geboten, weil sie gegenüber der zur Tatzeit geltenden die geringere Strafe vorsieht, kann eine nach der neuen Vorschrift zulässige Einziehung auch angeordnet werden, wenn dies nach der früheren Vorschrift rechtlich nicht möglich war. Die Beurteilung teilweise nach der alten und teilweise nach der neuen Vorschrift ist auch mit Blick auf § 2 Abs. 5 StGB nicht zulässig.

Sachverhalt:

Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. wegen Geldwäsche zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen verschaffte sich der Angeklagte Lenkräder und Airbags und veräußerte diese gewerbsmäßig über eBay Kleinanzeigen. Aus diesen und vergleichbaren früheren Straftaten erwarb der Angeklagte mittels Scheinkäufern zwei Pkws, die er bis zum Verkauf an einen einen Dritten nutzte. 

Der Angeklagte hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat teilweise Erfolg. Zwar liege kein Rechtsfehler zum Schuldspruch vor, die Einzelstrafen seien jedoch aufgrund eines falsch angenommenen Strafrahmens aufzuheben. Das LG habe bezüglich § 261 Abs. 1 StGB den Strafrahmen der alten Fassung des Gesetzes vom 23.6.2017 entnommen. Seit dem 18.3.2021 gilt aber ein neuer Strafrahmen für § 261 Abs. 1 StGB (BGBl. I, S. 327 ff.), der keine erhöhte Mindeststrafe mehr vorsieht. § 261 Abs. 1 StGB n.F. stelle damit das mildeste Gesetz i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB dar, welches vorliegend anzuwenden war, so der BGH.

Der Senat führt sodann aus, welches bei zwei Gesetzen das mildere sei und hält an höchstrichterlicher Rechtsprechung fest, wonach der Grundsatz der strikten Alternativität gelte. Eine Beurteilung teilweise nach der alten und teilweise nach der neuen Rechtslage sei danach nicht zulässig. Dies gebiete schon die Rechtssicherheit. Es sei eine sogenannte abgestufte Prüfungsreihenfolge aus Strafbarkeitsfeststellung und Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. 

§ 261 Abs. 4 StGB n.F. sei hier nicht einschlägig. Diese gelte nur, „[…] wenn der Täter in Ausübung seines Gewerbes oder Berufs, der ihn zum Verpflichteten macht, handelt […]“, also die Verpflichteteneigenschaft i.S.v. § 2 GwG erfülle. Andere Handlungen würden nur den Grund- und nicht den Qualifikationstatbestand erfüllen. 

Vorliegend sei damit ein Vergleich der Hauptstrafen vorzunehmen, da der Angeklagte sich gemäß § 261 Abs. 1 StGB sowohl nach a.F. als auch nach n.F. strafbar gemacht habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das LG Bremen in diesem Fall einen anderen, niedrigeren Strafrahmen gewählt hätte. Die Einzelstrafen seien deshalb aufzuheben, welches zu einer Aufhebung der Gesamtstrafe führe. 

Das Urteil des LG Bremen wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

Redaktionelle Anmerkung:

Durch das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9.3.2021 (BGBl. I, S. 327 ff.) wurde u.a. § 261 StGB neu gefasst. Insbesondere wurde die zuvor geltende erhöhte Mindeststrafe durch eine allgemein geltende Geld- bzw. Freiheitsstrafe abgelöst. Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/24180) können Sie hier nachlesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 34/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 25.10.2022 – 5 StR 276/22: Der BGH bestimmt Maßstäbe zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung 

Amtlicher Leitsatz:

Für die zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung gebotene ex ante-Betrachtung ist entscheidend, wie sich die Lage aus Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt orientierten Dritten in der Tatsituation des Angeklagten nach der unter Beachtung des Zweifelssatzes zu bildenden tatrichterlichen Überzeugung darstellt. Geprägt wird die Tatsituation eines Verteidigers dabei auch durch den ihm in diesem Moment zugänglichen Erkenntnishorizont; maßgeblich ist nicht die Sicht eines allwissenden Beobachters, sondern die Perspektive des sorgfältig beobachtenden Verteidigers. 

Sachverhalt:

Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Totschlags zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte mit dem Nebenkläger, um von diesem eine Pistole zu kaufen. Nachdem der Angeklagte dem Nebenkläger und einem weiteren Zeugen, der zwischenzeitlich hinzugetreten war, das Geld zeigte, sprühte dieser Pfefferspray in Richtung des Angeklagten und der Zeuge nahm das Geld an sich. Der Angeklagte schoss, nach erfolgloser Aufforderung das Geld zurückzugeben, mindestens zweimal auf beide mit seiner mitgebrachten Waffe, verfehlte diese aber. Der Nebenkläger und Zeuge flohen. Als der Angeklagte den Nebenkläger erreichte, schoss er ein weiteres Mal und traf diesen lebensgefährlich, bevor dieser erneut floh und der Angeklagte die Verfolgung abbrach.

Das LG Bremen stellte fest, dass der Angeklagte den Tod zumindest billigend in Kauf nahm, dabei aber mit dem Willen handelte sich gegen das entwendete Geld zur Wehr zur setzen. Das LG Bremen verneinte allerdings das Vorliegen von Notwehr. Eine für § 32 StGB erforderliche Notwehrlage habe zwar vorgelegen. Es scheitere aber an der Erforderlichkeit. Dem Angeklagten sei es zumutbar gewesen vorher Warnschüsse abzugeben. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg. Das LG Bremen habe rechtsfehlerhaft das Vorliegen von Notwehr verneint. Es sei keine differenzierte Betrachtung vorgenommen worden. Die Schüsse des Angeklagten seien unter unterschiedlichen Bedingungen abgegeben worden. Das LG Bremen habe diese aber einheitlich gewürdigt. Bei dem letzten Schuss hätten sich die Tatumstände derart geändert, dass dieser allein auf den Nebenkläger abgegeben wurde. Nicht festgestellt habe das LG, wo sich das Geld zu diesem Zeitpunkt befand. 

Bei der Erforderlichkeit sei eine ex-ante-Betrachtung vorzunehmen. Das heißt, der Angegriffene darf ein Mittel wählen, welches die Gefahr endgültig beseitigt. Bei der Bestimmung sei die Sicht eines objektiven, nicht aber allwissenden, Dritten unter Beachtung des Zweifelssatzes heranzuziehen. Auch, wenn nicht erkennbar gewesen wäre, wo sich das Geld befanden habe, stelle die Verhinderung der Flucht des Nebenklägers eine geeignete Handlung zur Abwehr dar. Es lasse sich aus dem Urteil nicht entnehmen, wo sich das Geld befunden habe. Dies sei auch nicht aus einem Verteidigungswillen ableitbar, wie das LG Bremen es angenommen habe. Auch die äußeren Umstände zum Zeitpunkt des dritten Schusses (Entfernung, erfolglose erste Schüsse) seien außer Betracht gelassen worden. 

Das Urteil beruhe auf diesen Rechtsfehlern, sodass die Sache der Aufhebung und neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf. 

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 15.11.2022 – 6 StR 68/22: „3-2-1-0“ Der BGH zur bandenmäßigen Begehungsweise

Leitsatz der Redaktion:

Eine Bande i.S.d. § 244a Abs. 1 StGB setzt drei Mitglieder voraus. In die konkrete Tatbegehung muss das dritte Mitglied nicht eingebunden sein, jedoch ist erforderlich, dass eine Mitwirkung vorliegt und die Einzeltat Ausfluss der Bandenabrede ist. 

Sachverhalt:

Die drei Angeklagten wurden vom LG Potsdam u.a. wegen schweren Bandendiebstahls zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben sich die drei Angeklagten zusammengeschlossen, um in Restaurants unter Verwendung eines Spezialwerkzeuges einzudringen mit dem Ziel werthaltige Gegenstände zu entwenden. Arbeitsteilig gingen die beiden Angeklagten H. und B., in weiteren Fällen die Angeklagten H. und K. – ohne Wissen des B – vor. Die Angeklagten H. und B. rügten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. 

Entscheidung des BGH: 

Die Revisionen haben teilweise Erfolg. Eine Verurteilung wegen § 244a Abs. 1 StGB erweise sich mangels Vorliegen einer Bandentat als rechtsfehlerhaft. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass eine bandenmäßige Begehungsweise vorgelegen habe. Diese setzte nicht nur die Mitwirkung eines weiteren Bandenmitgliedes voraus, sondern auch „[…], dass die Einzeltat Ausfluss der Bandenabrede ist und nicht losgelöst davon ausschließlich im eigenen Interesse der jeweils unmittelbar Beteiligten ausgeführt wird.“ 

Ausführungen zum von der Bandenabrede vorgesehenen Tatbild seien vom LG Potsdam rechtsfehlerfrei erfolgt. Die Motivation (Ausfluss der Bandenabrede) hingegen sei nicht ausreichend in den Blick genommen worden. Zwar sei grundsätzlich die Kenntnis des „Bandenchefs“ nicht erforderlich. Hier haben H. und K. ihre Alleingänge aber bewusst allein gehalten, sodass der BGH – anders als das LG Potsdam – keinen konkreten Bandenbezug in diesen Fällen feststellen konnte. 

Die Sache bedarf diesbezüglich neuer Verhandlung und Entscheidung. 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen