KriPoZ-RR, Beitrag 37/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier abrufbar. 

BVerfG, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 BvR 900/22: Keine geänderte Sach- und Rechtslage im Verfahren wegen Wiederaufnahme eines Strafverfahrens

Sachverhalt und Prozessverlauf: 

Der Beschwerdeführer wurde am 13.5.1983 vom LG Stade vom Tatvorwurf des Mordes freigesprochen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Herstellung materieller Gerechtigkeit vom 21.12.2021, beantragte die Staatsanwaltschaft Verden (Aller) die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grundlage des neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO. Das LG Verden (Aller) erklärte den Wiederaufnahmeantrag für zulässig und ordnete die Untersuchungshaft an. Der Beschwerdeführer legte gegen die Beschlüsse Rechtsmittel ein. Das zuständige OLG Celle wies die sofortige Beschwerde zurück. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Celle. Der neue § 362 Nr. 5 StPO sei mit Art. 103 Abs. 3 GG unvereinbar. Darüber hinaus seien das Rückwirkungsverbot und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. 

Das BVerfG hat die am 19.5.2022 eingegangene Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen. Am 14.7.2022 beschloss das BVerfG gemäß § 32 BVerfGG den Vollzug des Haftbefehls des LG Verden (Aller) unter bestimmten Bedingungen auszusetzen. 

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hat die einstweilige Anordnung des LG Verden gemäß § 32 Abs. 6 S. 2 BVerfGG wiederholt. Bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Dies gilt für die Dauer von maximal sechs Monaten. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass seien noch gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich an alle ihm auferlegten Weisungen gehalten (Ausweispapiere zu den Akten geben, zweimal wöchentlich melden, Stadt nicht ohne Erlaubnis verlassen). Außerdem habe sich weder die Sach- noch die Rechtslage seit dem 14.7.2022 wesentlich geändert. Zuletzt sei der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten. Vor diesem Hintergrund erachtet das BVerfG die Verlängerung um weitere sechs Monate für verhältnismäßig. 

Eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers und damit über die Vereinbarkeit des § 362 Nr. 5 StPO mit dem Grundgesetz bleibt abzuwarten. 

Anmerkung und Nachtrag der Redaktion:

Das Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit vom 21.12.2021 ist mit erheblichen Bedenken in Kraft getreten. Eine Zusammenfassung der Debatte ist hier nachzulesen. 

Am 24.5.2023 wurde die Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG unter Anhörung Sachverständiger verhandelt. Ein Urteil erging nicht. Die einstweilige Anordnung gegen den Beschwerdeführer wurde am 16.6.2023 verlängert. Der Beschluss des BVerfG (2 BvR 900/22) ist hier abrufbar. 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier

BVerfG, Beschl. v. 7.12.2022 – 2 BvR 1404/20: Keine Verfassungswidrigkeit durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz

Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den sog. „Ku’damm-Raser-Fall“. Bei einem Autorennen verursachte der Beschwerdeführer den Tod eines Menschen. Unter anderem wegen Mordes wurde der Beschwerdeführer zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Näheres zum Sachverhalt und zur Entscheidung finden Sie hier. Der Beschwerdeführer hält sowohl die Entscheidung im ersten Rechtszug des LG Berlin, Urt. v. 26.3.2019 als auch das Urteil des BGH v. 18.6.2020 für verfassungswidrig. Durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz liege eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots und des Schuldgrundsatzes vor. 

Der Beschwerdeführer führt an, dass nicht erkennbar sei, welcher Tatbestand erfüllt und Strafrahmen anwendbar sei. Die Gerichte hätten unzulässigerweise den Vorsatz aus der objektiven Gefährlichkeit und der Evidenz abgeleitet. Dies sei aber erst im Nachhinein und damit nicht zum erforderlichen Zeitpunkt der Handlung möglich und verstoße somit gegen das Bestimmtheitsgebot. Auch liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG deshalb vor, da durch die normative Vorsatzbestimmung eine Abgrenzung zwischen – den hier streitentscheidenden – §§ 315c f. und §§ 211 f. StGB nicht mehr vorhersehbar und nahezu jeder Fall eine Strafbarkeit der §§ 211, 212 StGB begründen würde. 

Durch die normative Vorsatzbestimmung werde der Vorsatz auch nicht mehr individuell festgestellt (Wissen und Wollen eines bestimmten Täters), sondern ein „rational Handelnder“ bewertet. Auch ein Verstoß gegen das Gebot des schuldangemessenen Strafens liege vor. Die Auslegung hätte zur Konsequenz, dass eine Vielzahl von Fällen unter § 211 StGB falle und die Gerichte sich hier dem Bevölkerungswillen angeschlossen und damit die Aufgabe des Gesetzgebers eingenommen hätten. 

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es liege keine Verletzung in Art. 103 Abs. 2 GG und in dem Schuldgrundsatz vor.

1. Bestimmtheitsgebot

Art. 103 Abs. 2 GG garantiere die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung, wobei die Wortlautgrenze – aus Sicht des Normadressaten – vor dem Hintergrund des Rechtsgutschutzes zu bestimmen sei. Die Gerichte haben die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG beachtet, so dass BVerfG.

Die vorgenommene Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sei nicht widersprüchlich, das StGB enthalte keine Definitionen für diese Begriffe. Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftige Begriffe seien grundsätzlich zulässig. Für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit liege eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Diese Unterscheidung werde zwar in der Literatur kritisiert, sei jedoch von Art. 103 Abs. 2 GG gedeckt. 

Das BVerfG widerspricht der Argumentation des Beschwerdeführers: Die Gerichte hätten in ihren Entscheidungen nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern die Umstände des Einzelfalls (Wissens- und Willenselement des Täters) beachtet. Im Übrigen sei das BVerfG auch nicht für die Würdigung des Tatbestandes zuständig. 

2. Schuldgrundsatz

Die sich am Schuldgrundsatz orientierenden Maßstäbe (Eigenverantwortlichkeit des Menschen, Rechtsstaatsprinzip, Menschenwürdegarantie) seien vorliegend durch die Annahme des Tötungsvorsatzes gewahrt. Insbesondere seien durch die Gerichte die Persönlichkeit und Motivation des Beschwerdeführers in den Blick genommen worden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Begründung auf fiktive Vergleichsfälle abgestellt, die allerdings nicht maßgeblich für die individuelle Schuldbestimmung des Beschwerdeführers seien. 

Schließlich sei der Vorwurf, die Gerichten kämen dem Bestrafungswillen der Bevölkerung nach, hier kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gerichte hätten nicht willkürlich, auf sachfremden Erwägungen beruhend, entschieden. Die Umstände, die für und gegen einen Tötungsvorsatz sprächen, seien sowohl vom LG Berlin als auch vom BGH erörtert worden. 

Anmerkung der Redaktion:

Einen Beitrag von Prof. Zehetgruber zur Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei sog. Raser-Fällen finden Sie hier. Ebenfalls hat sich Prof. Momsen in der KriPoZ mit den sog. Raser-Fällen auseinandergesetzt.

KriPoZ-RR, Beitrag 35/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 8.8.2022 – 5 StR 372/21: BGH zur Anwendung des § 261 StGB n.F.

Amtliche Leitsätze:

1. Den Qualifikationstatbestand des § 261 Abs. 4 StGB n.F. erfüllt nur, wer bei der Geldwäsche in Ausübung seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, die ihn zum Verpflichteten nach § 2 des Geldwäschegesetzes macht.

2. Ist die Anwendung einer neuen Gesetzesvorschrift geboten, weil sie gegenüber der zur Tatzeit geltenden die geringere Strafe vorsieht, kann eine nach der neuen Vorschrift zulässige Einziehung auch angeordnet werden, wenn dies nach der früheren Vorschrift rechtlich nicht möglich war. Die Beurteilung teilweise nach der alten und teilweise nach der neuen Vorschrift ist auch mit Blick auf § 2 Abs. 5 StGB nicht zulässig.

Sachverhalt:

Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. wegen Geldwäsche zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen verschaffte sich der Angeklagte Lenkräder und Airbags und veräußerte diese gewerbsmäßig über eBay Kleinanzeigen. Aus diesen und vergleichbaren früheren Straftaten erwarb der Angeklagte mittels Scheinkäufern zwei Pkws, die er bis zum Verkauf an einen einen Dritten nutzte. 

Der Angeklagte hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat teilweise Erfolg. Zwar liege kein Rechtsfehler zum Schuldspruch vor, die Einzelstrafen seien jedoch aufgrund eines falsch angenommenen Strafrahmens aufzuheben. Das LG habe bezüglich § 261 Abs. 1 StGB den Strafrahmen der alten Fassung des Gesetzes vom 23.6.2017 entnommen. Seit dem 18.3.2021 gilt aber ein neuer Strafrahmen für § 261 Abs. 1 StGB (BGBl. I, S. 327 ff.), der keine erhöhte Mindeststrafe mehr vorsieht. § 261 Abs. 1 StGB n.F. stelle damit das mildeste Gesetz i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB dar, welches vorliegend anzuwenden war, so der BGH.

Der Senat führt sodann aus, welches bei zwei Gesetzen das mildere sei und hält an höchstrichterlicher Rechtsprechung fest, wonach der Grundsatz der strikten Alternativität gelte. Eine Beurteilung teilweise nach der alten und teilweise nach der neuen Rechtslage sei danach nicht zulässig. Dies gebiete schon die Rechtssicherheit. Es sei eine sogenannte abgestufte Prüfungsreihenfolge aus Strafbarkeitsfeststellung und Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. 

§ 261 Abs. 4 StGB n.F. sei hier nicht einschlägig. Diese gelte nur, „[…] wenn der Täter in Ausübung seines Gewerbes oder Berufs, der ihn zum Verpflichteten macht, handelt […]“, also die Verpflichteteneigenschaft i.S.v. § 2 GwG erfülle. Andere Handlungen würden nur den Grund- und nicht den Qualifikationstatbestand erfüllen. 

Vorliegend sei damit ein Vergleich der Hauptstrafen vorzunehmen, da der Angeklagte sich gemäß § 261 Abs. 1 StGB sowohl nach a.F. als auch nach n.F. strafbar gemacht habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das LG Bremen in diesem Fall einen anderen, niedrigeren Strafrahmen gewählt hätte. Die Einzelstrafen seien deshalb aufzuheben, welches zu einer Aufhebung der Gesamtstrafe führe. 

Das Urteil des LG Bremen wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

Redaktionelle Anmerkung:

Durch das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9.3.2021 (BGBl. I, S. 327 ff.) wurde u.a. § 261 StGB neu gefasst. Insbesondere wurde die zuvor geltende erhöhte Mindeststrafe durch eine allgemein geltende Geld- bzw. Freiheitsstrafe abgelöst. Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/24180) können Sie hier nachlesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 34/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 25.10.2022 – 5 StR 276/22: Der BGH bestimmt Maßstäbe zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung 

Amtlicher Leitsatz:

Für die zur Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung gebotene ex ante-Betrachtung ist entscheidend, wie sich die Lage aus Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt orientierten Dritten in der Tatsituation des Angeklagten nach der unter Beachtung des Zweifelssatzes zu bildenden tatrichterlichen Überzeugung darstellt. Geprägt wird die Tatsituation eines Verteidigers dabei auch durch den ihm in diesem Moment zugänglichen Erkenntnishorizont; maßgeblich ist nicht die Sicht eines allwissenden Beobachters, sondern die Perspektive des sorgfältig beobachtenden Verteidigers. 

Sachverhalt:

Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Totschlags zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte mit dem Nebenkläger, um von diesem eine Pistole zu kaufen. Nachdem der Angeklagte dem Nebenkläger und einem weiteren Zeugen, der zwischenzeitlich hinzugetreten war, das Geld zeigte, sprühte dieser Pfefferspray in Richtung des Angeklagten und der Zeuge nahm das Geld an sich. Der Angeklagte schoss, nach erfolgloser Aufforderung das Geld zurückzugeben, mindestens zweimal auf beide mit seiner mitgebrachten Waffe, verfehlte diese aber. Der Nebenkläger und Zeuge flohen. Als der Angeklagte den Nebenkläger erreichte, schoss er ein weiteres Mal und traf diesen lebensgefährlich, bevor dieser erneut floh und der Angeklagte die Verfolgung abbrach.

Das LG Bremen stellte fest, dass der Angeklagte den Tod zumindest billigend in Kauf nahm, dabei aber mit dem Willen handelte sich gegen das entwendete Geld zur Wehr zur setzen. Das LG Bremen verneinte allerdings das Vorliegen von Notwehr. Eine für § 32 StGB erforderliche Notwehrlage habe zwar vorgelegen. Es scheitere aber an der Erforderlichkeit. Dem Angeklagten sei es zumutbar gewesen vorher Warnschüsse abzugeben. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg. Das LG Bremen habe rechtsfehlerhaft das Vorliegen von Notwehr verneint. Es sei keine differenzierte Betrachtung vorgenommen worden. Die Schüsse des Angeklagten seien unter unterschiedlichen Bedingungen abgegeben worden. Das LG Bremen habe diese aber einheitlich gewürdigt. Bei dem letzten Schuss hätten sich die Tatumstände derart geändert, dass dieser allein auf den Nebenkläger abgegeben wurde. Nicht festgestellt habe das LG, wo sich das Geld zu diesem Zeitpunkt befand. 

Bei der Erforderlichkeit sei eine ex-ante-Betrachtung vorzunehmen. Das heißt, der Angegriffene darf ein Mittel wählen, welches die Gefahr endgültig beseitigt. Bei der Bestimmung sei die Sicht eines objektiven, nicht aber allwissenden, Dritten unter Beachtung des Zweifelssatzes heranzuziehen. Auch, wenn nicht erkennbar gewesen wäre, wo sich das Geld befanden habe, stelle die Verhinderung der Flucht des Nebenklägers eine geeignete Handlung zur Abwehr dar. Es lasse sich aus dem Urteil nicht entnehmen, wo sich das Geld befunden habe. Dies sei auch nicht aus einem Verteidigungswillen ableitbar, wie das LG Bremen es angenommen habe. Auch die äußeren Umstände zum Zeitpunkt des dritten Schusses (Entfernung, erfolglose erste Schüsse) seien außer Betracht gelassen worden. 

Das Urteil beruhe auf diesen Rechtsfehlern, sodass die Sache der Aufhebung und neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf. 

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 15.11.2022 – 6 StR 68/22: „3-2-1-0“ Der BGH zur bandenmäßigen Begehungsweise

Leitsatz der Redaktion:

Eine Bande i.S.d. § 244a Abs. 1 StGB setzt drei Mitglieder voraus. In die konkrete Tatbegehung muss das dritte Mitglied nicht eingebunden sein, jedoch ist erforderlich, dass eine Mitwirkung vorliegt und die Einzeltat Ausfluss der Bandenabrede ist. 

Sachverhalt:

Die drei Angeklagten wurden vom LG Potsdam u.a. wegen schweren Bandendiebstahls zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben sich die drei Angeklagten zusammengeschlossen, um in Restaurants unter Verwendung eines Spezialwerkzeuges einzudringen mit dem Ziel werthaltige Gegenstände zu entwenden. Arbeitsteilig gingen die beiden Angeklagten H. und B., in weiteren Fällen die Angeklagten H. und K. – ohne Wissen des B – vor. Die Angeklagten H. und B. rügten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. 

Entscheidung des BGH: 

Die Revisionen haben teilweise Erfolg. Eine Verurteilung wegen § 244a Abs. 1 StGB erweise sich mangels Vorliegen einer Bandentat als rechtsfehlerhaft. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass eine bandenmäßige Begehungsweise vorgelegen habe. Diese setzte nicht nur die Mitwirkung eines weiteren Bandenmitgliedes voraus, sondern auch „[…], dass die Einzeltat Ausfluss der Bandenabrede ist und nicht losgelöst davon ausschließlich im eigenen Interesse der jeweils unmittelbar Beteiligten ausgeführt wird.“ 

Ausführungen zum von der Bandenabrede vorgesehenen Tatbild seien vom LG Potsdam rechtsfehlerfrei erfolgt. Die Motivation (Ausfluss der Bandenabrede) hingegen sei nicht ausreichend in den Blick genommen worden. Zwar sei grundsätzlich die Kenntnis des „Bandenchefs“ nicht erforderlich. Hier haben H. und K. ihre Alleingänge aber bewusst allein gehalten, sodass der BGH – anders als das LG Potsdam – keinen konkreten Bandenbezug in diesen Fällen feststellen konnte. 

Die Sache bedarf diesbezüglich neuer Verhandlung und Entscheidung. 

KriPoZ-RR, Beitrag 32/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 5 StR 331/22: BGH zum symptomatischen Zusammenhang zwischen festgestelltem Hang und Anlasstat 

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz einer Schusswaffe und Munition sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstands strafbar gemacht. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht abgelehnt. Gegen die Entscheidung legte der Angeklagte Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der Strafsenat hat mangels Rechtsfehler die Verfahrens- und Sachrüge als unbegründet verworfen. Der Maßregelausspruch hingegen sei durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Das Merkmal des symptomatischen Zusammenhanges i.S.d. § 64 StGB habe das LG zu eng ausgelegt. Anders, als vom LG angenommen, müsse der Hang nicht die alleinige Ursache der Anlasstat darstellen, sondern lediglich mitursächlich für die Straftatenbegehung sein. Der BGH schließt sich der Argumentation des Generalbundesanwaltes an, der hierzu ausführt: „Es genügt, dass er für die Anlasstaten oder ihr Ausmaß und die Befürchtung, ein solcher Einfluss des Hanges sei auch in Zukunft zu erwarten, ursächlich geworden war.“ Naheliegend sei dies insbesondere bei Straftaten nach dem BtMG. Der hieraus erzielte Eigenkonsum sei auch dann ausreichend, wenn der wirtschaftlichen Vorteil im Vordergrund gestanden habe. Ein mittelbarer Betäubungsmittelkonsum habe in diesem Fall vorgelegen, wodurch das Merkmal des symptomatischen Zusammenhanges gegeben sei. Der BGH hält mit dieser Auslegung an der ständigen Rechtsprechung fest.

Auch beruhe das Urteil auf diesem Rechtsfehler. Dabei bezieht sich der Strafsenat auf die strafrechtlich einschlägige Vorbelastung des Angeklagten und begründet die Erfolgsaussicht (§ 64 S. 2 StGB) mit einer in der Vergangenheit bereits erfolgreich abgeschlossenen Entwöhnungsbehandlung. 

Über die Anordnung der Unterbringung ist damit neu zu entscheiden. 

KriPoZ-RR, Beitrag 30/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 28.09.2022 – 1 BvR 2354/13: Regelungen nach dem BVerfSchG zur Weitergabe personenbezogener Daten sind verfassungswidrig

Amtliche Leitsätze:

[…]

3. Die Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener personenbezogener Daten und Informationen durch den Verfassungsschutz zur Gefahrenabwehr kann als Übermittlungsschwelle grundsätzlich auch an die Gefahr der Begehung solcher Straftaten anknüpfen, bei denen die Strafbarkeitsschwelle durch die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen oder bloßen Rechtsgutgefährdungen in das Vorfeld von Gefahren verlagert wird. Der Gesetzgeber muss dann aber sicherstellen, dass in jedem Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr für das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut vorliegt. Diese ergibt sich nicht notwendiger Weise bereits aus der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung selbst.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess rechtskräftig verurteilt. Von diesem wurden durch die Verfassungsschutzbehörden – zwecks Bekämpfung gewaltbezogenen Rechtsextremismus – personenbezogene Daten gespeichert. Rechtsgrundlage hierzu stellt das RED-G (Rechtsextremismus-Datei-Gesetz) dar. Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Verfassungsbeschwerde gegen diese Befugnisse. Er macht eine Verletzung seines Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung geltend.

Entscheidung des BVerfG:

Der Angriff einer allgemeinen Übermittlungsbefugnis scheitert bereits aufgrund einer Gesetzänderung an einem fortdauernden Rechtsschutzbedürfnis. Die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Übermittlung heimlich erhobener personenbezogener Daten ist zulässig und begründet. Das BVerfG stellt sowohl einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit aufgrund von mehrgliedrigen Verweisungsketten, als auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fest. 

a) legitimer Zweck

Die in § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 BVerfSchG geregelten Übermittlungsbefugnisse würden dem Zweck dienen Staatsschutzdelikte effektiv zu bekämpfen. Der damit einhergehende Bevölkerungsschutz stelle einen legitimen Zweck dar.

b) geeignet und erforderlich

Der Senat zweifelt auch nicht an der Geeignetheit oder Erforderlichkeit der Befugnisse.

c) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Die Normen halten allerdings den Anforderungen an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht stand, so der Senat. Das informationelle Trennungsprinzip verlange für derart weitreichende Überwachungsbefugnisse erhöhte Rechtfertigungsvorschriften. Hierbei sei auf eine hypothetische Neuerhebung, und ob diese erlaubt werden dürfte, abzustellen. Kriterien hierbei seien der Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsgutes (1) und eine hinreichend konkrete Gefahr (2). Hierbei könne auch an die Gefahr einer Straftatenbegehung angeknüpft werden, sofern im Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr bestehe. Voraussetzung sei außerdem die Verfolgung einer besonders schweren Straftat (3). Die angegriffenen Normen verweisen auf Delikte nach §§ 74a, 120 GVG. Bei den nach dem GVG aufgezählten Delikten liegt jedoch nicht bei allen eine besonders schwere Straftat vor. Auch durch das in § 23 Nr. 1 BVerfSchG verankerte Verbot unverhältnismäßiger Übermittlungen stelle keinen zulässigen Abwägungsprozess dar. Ebenso liege im Hinblick auf eine Übermittlungsschwelle ein verfassungsrechtlicher Verstoß vor. Tatsächliche Anhaltspunkte seien nicht ausreichend, da hierdurch unabhängig von einer konkretisierten Gefahrenlage übermitteln werden könne.

Bis zum 31.12.2023 gelten die angegriffenen Normen fort, wobei einschränkende Maßgaben für die betroffenen Grundrechte gelten. 

KriPoZ-RR, Beitrag 29/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.10.2022 – 5 StR 394/22: Für das Vorliegen eines Hangs muss keine physische Abhängigkeit erreicht sein

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Berlin zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde nicht angeordnet. Es liege bei dem Angeklagten ein Missbrauch i.S.d. ICD-10: F10.1., jedoch kein Hang vor, im Übermaß berauschende Mittel zu konsumieren. Zwar habe der Angeklagte im frühen Lebensalter mit dem Konsum von Alkohol begonnen, es lägen aber keine körperlichen Entzugssymptome vor. Diese Ausführungen führte das LG Berlin ebenso für den Konsum von Amphetaminen aus. Gegen die Entscheidung wendet sich der Angeklagte in seiner Revision.

Entscheidung des BGH:

Revisionsgerichtlicher Überprüfung hält die Entscheidung des LG nicht stand. Die Ausführungen zur Ablehnung eines Hangs widersprächen höchstrichterlicher Rechtsprechung:

„Für einen Hang ist […] eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss setzt weder ein Abhängigkeitssyndrom noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit voraus.“ 

Weiter führt der Strafsenat aus, dass eine derartige Beeinträchtigung nur als Indiz diene, um das Vorliegen eines Hangs zu bejahen. Dies bedeute wiederum nicht, dass ein Nichtvorliegen diesem notwendigerweise entgegenstehe. Ferner benennt der BGH das Kriterium der sozialen Gefährdung, welches Folge eines übermäßigen Konsums von Rauschmitteln und damit eine typische Begleiterscheinung (bspw. bei Beschaffungskriminalität) darstelle. 

Die Frage der Unterbringung bedarf damit einer erneuten Überprüfung. 

KriPoZ-RR, Beitrag 28/2022

Die Pressemitteilung Nr. 127/22 finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Urt. v. 25.08.2022 – 3 StR 359/21: BGH verwirft alle Revisionen im Verfahren zur Ermordung des Dr. Lübcke

Sachverhalt:

Das OLG Frankfurt a.M. hat den Angeklagten u.a. wegen Mordes  zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Daneben hat das Gericht Einziehungsentscheidungen getroffen und die Anordnung der  Sicherungsverwahrung vorbehalten. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte Informationen über den Geschädigten Regierungspräsidenten gesammelt, ihn beobachtet und sich dazu entschlossen, diesen zu töten. Hierzu schlich der Angeklagte sich unbemerkt an diesen heran und schoss aus kurzer Distanz in den Kopf des Geschädigten. Das OLG bejahte eine heimtückische Begehungsweise sowie das Vorliegen fremdenfeindlicher und damit sonstiger niedriger Beweggründe i.S.d. § 211 StGB. Gegen die Entscheidungen legten der Angeklagte, der Generalbundesanwalt und die Nebenkläger Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Der 3. Strafsenat hat alle Revisionen verworfen. Es lägen im Hinblick auf Beweiswürdigung und Schuldspruch – mit Blick auf die eingeschränkte Prüfungskompetenz des Revisionsgerichtes – keine Rechtsfehler vor. Dies gelte auch für die getroffene Rechtsfolgenentscheidung. Zulässig sei zudem die gesonderte Berücksichtigung der rassistischen und ausländerfeindlichen Beweggründe im Rahmen der besonderen Schwere der Schuld. 

KriPoZ-RR, Beitrag 27/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 21.09.2022 – 6 StR 47/22: Kein Totschlag durch Unterlassen im “Flutkanal-Prozess“

Sachverhalt:

Die Angeklagten hatten zusammen mit dem Geschädigten erhebliche Mengen Alkohol konsumiert. Der Geschädigte begab sich zum Flußkanal hinab, der sich in der Nähe befand. Allen Angeklagten war bewusst, dass sich der Geschädigte in einer hilflosen Lage befand. Dieser schluchzte und bat um Hilfe. Schließlich fiel der Geschädigte in den Flutkanal und ertrank. Die Angeklagten wurden wegen Aussetzung mit Todesfolge bzw. unterlassener Hilfeleistung zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung das LG Weiden i.d. Opf. im Falle des Angeklagten Go zur Bewährung aussetzte. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revisionen der Angeklagten und der Nebenkläger. Die Angeklagten rechneten nicht damit, dass sich die Gefahr des Todes realisieren würde. Auch war der Tod des Geschädigten den Angeklagten nicht gleichgültig noch fanden sie sich damit ab, womit der Senat  das Urteil des LG bestätigt.

Der Angeklagte Go habe keine Garantenstellung i.S.d. § 13 StGB gehabt, weshalb auch die Verurteilung gemäß § 323c Abs. 1 StGB keine Rechtsfehler aufweise. Der Senat verweist auf die Grundsätze der Garantenstellung im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte, die im vorliegenden Fall heranzuziehen waren. Für jedermann geltende Hilfspflichten (§ 323c Abs. 1 StGB) seien zu unterscheiden von der Beistandspflicht i.S.d. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Letztere entfalle erst in folgenden Fällen:

  • eine anderweitige Gefahrenvorsorge kann getroffen werden
  • die hilflose Lage entfällt
  • Hilfe ist erkennbar nicht gewollt.

Auf die Angeklagten habe keine der Fälle zugetroffen. Der Geschädigte habe sich durch seine erhebliche Intoxikation bereits in einer lebensgefährlichen Lage befunden, bevor er in den Kanal fiel. Die der Aussetzung typischen Gefahr habe sich durch den Eintritt der schweren Folge verwirklicht. 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen