KriPoZ-RR, Beitrag 26/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.09.2022 – 6 StR 332/22: Zu den Anforderungen an die Freiwilligkeit beim strafbefreienden Rücktritt

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Halle unter anderem wegen Totschlags zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat sich der Angeklagte mit einem Messer in Richtung Hals des Geschädigten begeben, um sich zu rächen. Über die tödlichen Folgen war sich der Angeklagte bewusst, diese ihm aber gleichgültig. Der Geschädigte konnte ausweichen und die Freunde des Angeklagten zogen diesen weg. Schließlich bedrohte der Angeklagte den Geschädigten mit den Worten: „Das nächste Mal gibt es den Tod.“ 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hält eine Verneinung eines Rücktritts vom Versuch, wie es das LG Halle angenommen hat, für rechtsfehlerhaft. Das vorliegend in der Auslegung umstrittene Merkmal der Freiwilligkeit (§ 24 Abs. 1 StGB) hat das LG deshalb für nicht gegeben angesehen, weil das Ablassen vom Geschädigten aufgrund des Wegziehens der Freunde geschah. Der Sechste Strafsenat hingegen erörtert, dass das LG keine Ausführungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten „nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung“ getroffen habe und verweist auf die Rechtsprechung des BGH zur „Lehre vom Rücktrittshorizont.“  

Der Senat nimmt vorliegend einen fehlgeschlagenen Versuch an, von dem zumindest zurückgetreten hätte werden können. Weitere Ausführungshandlungen wären auch nach dem Wegziehen noch möglich gewesen, so der BGH. Dabei sei es nicht entscheidend, ob die Motive von innen oder außen kommen würden, sondern ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben sei. 

Der Senat hebt das Urteil auf und verweist zur neuen Entscheidung an eine andere Kammer zurück.

KriPoZ-RR, Beitrag 25/2022

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BVerfG, Beschl. v. 30.09.2022 – 2 BvR 2222/21: Verfassungsbeschwerde im „NSU-Prozess“ nicht zur Entscheidung angenommen

Leitsatz der Redaktion:

Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung. Dem stehen auch die Grundsätze der EMRK nicht entgegen.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin wurde vom OLG München zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Die vor dem OLG München Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen unter anderem wegen mittäter- und mitgliedschaftlicher Beteiligung an mehreren Mordtaten einer rechtsterroristischen Vereinigung schuldig gemacht. Die gegen das Urteil eingelegte Revision der Beschwerdeführerin hat der BGH, ebenso wie die anschließende Anhörungsrüge verworfen. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde. Hierin rügt sie insbesondere, dass in der Revisionsinstanz von einer mündlichen Verhandlung abgesehen wurde.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen zur Annahme nicht erfüllt seien. Weder sei eine Verletzung in Art. 103 Abs. 1 GG noch in Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ersichtlich. 

I. Rechtliches Gehör

Die Zweite Kammer des Zweiten Senats stellt in ihrer Begründung zum Einen darauf ab, dass durch die Revisionsbegründung die Möglichkeit gegeben sei, sich umfassend zu äußern. Ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung bestehe nicht. Auch gegen die EMRK verstoße diese Auslegung nicht, da für Rechtsmittelverfahren eine eingeschränkte Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK gelte. Im Übrigen sei ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden, da Folgen und Inhalt des Vortrags nur fragmentarisch mitgeteilt worden seien. Dass der BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme abgewichen sei, treffe nicht zu, sodass auch in der Sache kein Gehörverstoß vorliege. 

II. Willkürverbot

Die Feststellungen des OLG München warum die Beschwerdeführerin als Mittäterin einzuordnen sei, habe der Senat in verfassungsgemäßer Weise ausgeführt. Der Verwerfungsbeschluss – gegen den sich die Beschwerdeführerin ebenfalls wendet – ist nach dem BVerfG in die höchstrichterliche Rechtsprechung einzuordnen. Eine willkürliche Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO sei nicht erkennbar und der Vortrag der Beschwerdeführerin auch nicht geeignet.

III. Gesetzlicher Richter

Zuletzt macht die Beschwerdeführerin geltend, der Begriff der „kriminellen Vereinigung“ sei nicht unionsrechtlich ausgelegt worden. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG kann auch verletzt sein, wenn eine gebotene Zurückweisung unterlassen wird, so das BVerfG. Eine eigene Feststellung durch den BGH habe allerdings nicht vorgelegen.

KriPoZ-RR, Beitrag 24/2022

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BGH, Beschl. v. 12.05.2022 – 5 StR 398/21: Kein Strafantrag per „einfacher“ E-Mail 

Amtlicher Leitsatz:

 Keine wirksame Anbringung eines Strafantrags mittels „einfacher“ E-Mail. 

Sachverhalt:

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verstoßen. Der Angeklagte wurde vom LG Dresden zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen die Entscheidungen legte der Angeklagte Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der 5. Strafsenat entschied, das Verfahren im Hinblick auf die Verurteilung in zwölf von dreizehn Fällen gemäß § 206a StPO einzustellen. Es fehle der form- und fristgerechte Strafantrag der Aufsichtsstelle, der gemäß § 68a StGB erforderlich sei. Die zuständige Sachbearbeiterin habe per E-Mail der Staatsanwältin geschrieben, dass Strafantrag gestellt werde. Dabei habe sie als Postfach das der Staatsanwältin persönlich zugeordnete dienstliche ausgewählt und nicht ein elektronisches Postfach der Staatsanwaltschaft. Die Schriftform setze voraus, dass grundsätzlich eine Unterschrift des Antragstellers erforderlich sei. Lockerungen seien dann möglich, wenn aus dem Schriftstück zweifelsfrei hervorgehe, wer erklärt hat und es sich um keinen Entwurf handele. Der BGH zählt sodann Formen auf, die unter § 158 Abs. 2 StPO fallen (Faksimilestempel, Blankounterschrift, maschinell erstellt). 

Vergleichbar sei auch der Fall der Einreichung mittels einfacher E-Mail, wenn der Antragsteller erkennbar sei. Vorliegend stehe allerdings § 158 Abs. 2 StGB im Wege, da § 32a Abs. 3 StPO maßgeblich sei und die Regelung eine qualifizierte elektronische Signatur verlange. Zivilrechtliche Rechtsprechung und landesrechtliche Regelungen seien vorliegend unbeachtlich. Auch aus § 32b StPO ergebe sich keine Wirksamkeit des Strafantrages, da die Aufsichtsstelle bereits keine Strafverfolgungsbehörde sei. 

KriPoZ-RR, Beitrag 23/2022

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BGH, Beschl. v. 23.06.2022 – 5 StR 490/21: BGH bestätigt Verurteilungen wegen Handeltreibens mit CBD-Blüten

Sachverhalt:

Die beiden Angeklagten haben sich nach den Feststellungen des LG Berlin wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bzw. Beihilfe hierzu strafbar gemacht. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten B. zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe des Angeklagten K. setzte es zur Bewährung aus. 

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben die Angeklagten mit CBD-Blüten gehandelt, die Betäubungsmittel i.S.d. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG darstellen und nicht unter die Ausnahmeregelung fallen würden, obwohl der THC Gehalt bei 0,2 % liege. Entscheidend sei, dass ein Missbrauch dieser Blüten zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen gewesen sei. Die Angeklagten legten gegen die Entscheidungen Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen der Angeklagten wurden verworfen. Die landgerichtlichen Feststellungen seien zutreffend, auch sei eine ausreichende Beweiswürdigung erfolgt. Weder falle der vorliegende Sachverhalt unter eine Ausnahmeregelung des BtMG, noch würden Verstöße gegen europarechtliche Vorschriften vorliegen.

I. Verstoß gegen das BtMG

Der Angeklagte B. habe gewusst, dass ein Cannabisrausch erzeugt werden könne. Der Strafsenat sieht für eine weitere Klärung der Wirksamkeit von CBD-Blüten keinen Bedarf. Dass die Angeklagten nicht beabsichtigten, CBD-Blüten zu konsumieren, sei für die Ausnahmevorschrift irrelevant. Entscheidend sei die Möglichkeit des Missbrauchs beim Endabnehmer. Dies sei vom Vorsatz der Angeklagten umfasst gewesen. Auch komme es nicht darauf an, ob weitere Zwischenhändler zufällig zwischen geschaltet werden. 

II. Kein Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften

Eine Notwendigkeit für ein Vorabentscheidungsverfahren i.S.d. Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV bestehe nicht. Entgegen der Argumentation des Angeklagten B. liege kein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) vor. Bereits der Anwendungsbereich sei nicht eröffnet, weil es sich bei CBD-Blüten um Suchtstoffe i.S.d. Einheit-Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1961 handele. Im Übrigen stelle ein Verkehrsverbot eine verhältnismäßige Beschränkung vor dem Hintergrund des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dar. 

Der Strafsenat sieht auch keine Gründe für eine Verfassungswidrigkeit der Strafbarkeit des Handels mit CBD-Blüten, sodass auch kein Erfordernis für eine konkrete Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) bestehe.

Anmerkung der Redaktion:

Der CBD-Beschluss wird im Hinblick auf die rechtliche Wertung und die Strafhöhe kontrovers diskutiert. Im Koalitionsvertrag 2021-2025 wurde beschlossen „[…] die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften […]“ einzuführen. Alle Gesetzentwürfe zum Betäubungsmittelrecht und Entkriminalisierung von Cannabis finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 04.05.2022 – 1 StR 3/21: BGH bestimmt Voraussetzungen zur Strafbarkeit des sog. AGG-Hopping 

Amtlicher Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit bei vorgespiegelten Bewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote zur Erlangung von Entschädigungsansprüchen (sog. AGG-Hopping).

Sachverhalt:

Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen fassten der Angeklagte und sein Bruder den Entschluss, Scheinbewerbungen zu verschicken mit dem Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend zu machen. Kein Unternehmen kam der Forderung des Angeklagten nach. Das LG hat in dem Versenden der Schreiben eine Täuschungshandlung gesehen. Durch das Einfordern der Entschädigung werde konkludent die Ernsthaftigkeit der Bewerbung behauptet, über die der Angeklagte täuschte. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg. Ein vollendeter Betrug liege mangels Täuschungshandlung in den vom LG München I angenommen Fällen nicht vor. Zwar könne eine Täuschung i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB grundsätzlich auch konkludent erfolgen. Für den Inhalt der Erklärung seien die Verkehrsanschauung und der rechtliche Rahmen maßgeblich. In den vorliegenden Fällen fehle es jedoch durch das Versenden der Schreiben durch den Angeklagten an einer konkludent erklärten unwahren Tatsachenbehauptung. Der Angeklagte habe nicht über die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung getäuscht. 

Zum einen fehle es an einer gefestigten Rechtsprechung zur Behandlung von Entschädigungsklagen bei Scheinbewerbern. Zum anderen ließe sich nicht begründen, die Bewerbung des Angeklagten sei nicht ernst gemeint. Der Senat verweist darauf, dass im AGG nicht normiert sei, dass „[…] die Geltendmachung von Ansprüchen unzulässig ist, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich sind […].“ Hier liege ein entscheidender Unterschied zum UWG.

KriPoZ-RR, Beitrag 21/2022

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EuGH, Urt. v. 20.09.2022 – C-793/19 und C-794/19: EuGH erklärt anlasslose Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig, sofern keine ernste Bedrohung vorliegt

Sachverhalt:

Ausgangspunkt für die Vorlage des BVerwG an den EuGH waren Anfechtungen, die die Speicherung von Daten auf Grundlage des TKG betrafen. Das Telekommunikationsgesetz verpflichtet Betreiber zu einer mehrwöchigen Vorratsspeicherung, die allgemein und unterschiedslos erfolgt. Das BVerwG zweifelt an der Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit dem Unionsrecht. Insbesondere Rückschlüsse auf das Privatleben und Missbräuche im Hinblick auf den Zugang der Daten seien möglich. 

Entscheidung des EuGH:

Der EuGH stellt klar, dass nationale Regelungen gegen Unionsrecht verstoßen, wenn die Speicherung der Daten präventiv, allgemein und unterschiedslos erfolge. Hingegen liege in Fällen, in denen eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vorliege, keine Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht vor. Bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität könne ebenfalls eine gezielte (nicht präventive) Vorratsspeicherung erfolgen. Ferner entwickelt der EuGH weitere Fallgruppen, in denen Ausnahmen von der grundsätzlichen verbotenen Vorratsspeicherung gelten. Im Hinblick auf das streitgegenständliche TKG beanstandet der EuGH, dass durch die lange Speicherung der Daten ein Rückschluss auf Informationen aus dem Privatleben der Person möglich seien und damit ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege.

Anmerkung der Redaktion:

Der deutsche Gesetzgeber hat nun die zulässigen Ausnahmen zu konkretisieren oder eine Streichung der unionsrechtswidrigen Normen vorzunehmen. 

Hintergründe zum Gesetzgebungsverfahren und zur Debatte zur anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten der vergangenen Legislaturperioden finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2022

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BGH, Urt. v. 07.09.2022 – 6 StR 52/22: Fehlendes voluntatives Vorsatzelement – BGH verneint Tötungsvorsatz

Sachverhalt:

Die Angeklagte wurde vom LG Würzburg wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.  Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war die Angeklagte als Altenpflegerin beschäftigt, wobei die Vergabe von Insulin nicht von ihrem Aufgabenbereich umfasst war. Am Tattag entschied die Angeklagte spontan beiden Geschädigten Insulin zu verabreichen. Die Angeklagte hoffte, durch eine anschließende stationäre Behandlung der Geschädigten eine eigene Arbeitsentlastung herbeizuführen. Dass die Insulingabe zu einer lebensgefährlichen Unterzuckerung führen könne, war der Angeklagten bewusst. Zugleich vertraute sie darauf, dass die Geschädigten aufgrund eines herbeigerufenen Notrufes nicht sterben würden, welches auch eintrat. Das Schwurgericht verneinte das Vorliegen des voluntativen Vorsatzelementes. Trotz „extrem hoher Gefährlichkeit“ des Handelns der Angeklagten, da der Angeklagten bewusst war, dass ein Notarzt gerufen werden würde. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision verworfen. Die Gesamtwürdigung des LG sei widerspruchsfrei. Der subjektive Tatbestand sei ausführlich erörtert worden; die für und gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechenden Umstände vollständig gegeneinander abgewogen worden.  

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2022

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BGH, Beschl. v. 09.08.2022 – 3 StR 206/22: BGH bestimmt Grenzwert für weiteres Betäubungsmittel

Amtlicher Leitsatz:

Für 2C-B (Bromdimethoxyphenethylamin, BDMPEA) beginnt die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei einem Gramm.

Sachverhalt:

Wegen Einfuhr und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das LG Kleve den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen legte der Angeklagte Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen. Das LG hatte als Grenzwert 1 Gramm festgesetzt, welches zutreffend sei. Die Substanz 2C-B ähnele Rauschmitteln wie LSD, MDMA oder Amphetaminen. Gesicherte Erkenntnisse bezüglich der Wirkung lägen allerdings nicht vor, sodass der Grenzwert anhand eines Vergleichswertes (Mescalin) bestimmt werden müsse. 

Redaktionelle Anmerkung:

Der 3. Strafsenat des BGH hat in seinem Beschluss v. 08.03.2022 (3 StR 136/21) bereits Grenzwerte einzelner anderer Betäubungsmittel i.S.v. § 30a BtMG festgelegt. Hintergründe hierzu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 10/2022

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.05.2022 – 4 StR 99/22: Sicherungsverwahrung und Strafzumessung

Amtlicher Leitsatz:

Die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung ist kein bestimmender Strafzumessungsumstand.

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. Das LG Bielefeld hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und neben Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hatte teilweise Erfolg. Der Schuldspruch und Strafausspruch wiesen jedoch keine Rechtsfehler auf, so der BGH. Dass bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe das LG nicht erörtert habe, dass zugleich die Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, sei nicht rechtsfehlerhaft. 

Zu den in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB aufgeführten Strafzumessungsgründen gehöre nicht die Berücksichtigung der Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Strafe diene dem Schuldgrundsatz und Sicherungsverwahrung dem Schutz der Allgemeinheit. Damit würden verschiedene Zwecke mit unterschiedlichen Voraussetzungen verfolgt werden, woraus sich keine Wechselwirkung ergebe. 

Neben den Sanktionszwecken argumentiert der Senat mit dem Normzweck des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB: „Die Norm soll verhindern, dass die Rechtsfolgen zur Entsozialisierung des Täters führen oder seiner Resozialisierung entgegenstehen.“ Damit dürften Strafe und Maßregel nicht übermäßig sein, welches im Hinblick auf letzteres durch die entsprechenden Regelungen zur Anordnung und Vollstreckung gewährleistet werde. Die Verhältnismäßigkeit der Maßregel sei schließlich gemäß § 62 StGB zu prüfen. Für den Senat korreliere „ mit dem Strafmaß […] daher keine maßregelspezifische Mehrbelastung des Angeklagten, aus der sich ein bestimmender Strafzumessungsumstand zu seinen Gunsten ergeben könnte.“

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21: BGH zur Abgrenzung § 216 Abs. 1 StGB von strafloser Beihilfe zum Suizid 

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid erfordert eine normative Betrachtung.

  2. Der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit gefasste und erklärte Sterbewille führt zur situationsbezogenen Suspendierung der Einstandspflicht für das Leben des Ehegatten.

Sachverhalt:

Die Angeklagte pflegte ihren berenteten und erkrankten, bettlägerigen Ehemann. Unter anderem verabreichte die Angeklagte, welche als Krankenschwester gearbeitet hatte, ihrem Mann Insulin. Der Geschädigte äußerte mehrfach seinen Sterbewunsch, den die Angeklagte ernst nahm. 

Am Tattag reichte die Angeklagte, auf Wunsch ihres Mannes, Tabletten und Wasser, welche der Geschädigte selbständig einnahm. Weitere Insulinspritzen injizierte die Angeklagte, ebenfalls nach Aufforderung durch ihren Mann. Daraufhin verstarb der Geschädigte. Dass die Insulingabe geeignet war, den Tod herbeizuführen, war der Angeklagten bewusst. Das Gericht sah darin ein aktives Handeln der Angeklagten und den § 216 Abs. 1 StGB als verwirklicht an. 

Die Angeklagte wurde von dem LG Stendal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Entscheidung wurde Revision eingelegt.

Entscheidung des BGH

Die Revision hat Erfolg. Die Angeklagte wurde vom Tatvorwurf freigesprochen. Es liege keine Tötung auf Verlangen i.S.d. § 216 Abs. 1 StGB vor. Anders als das LG sieht der Senat im Verhalten der Angeklagten kein aktives Tun, sondern eine straflose Beihilfe zum Suizid. „Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt“, wobei es auf den Gesamtplan ankomme, so der BGH. 

Eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme erfordere in diesen Fällen eine normative Betrachtung. Der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.08.1963 – Gisela-Fall) widerspräche diese Auslegung nicht, da der Sachverhalt dort anders gelegen habe. Wohl aber sei der vorliegende Sachverhalt mit dem „Gashahn-Fall“ (RG, Urt. v. 27.08.1920) vergleichbar. 

Auf eine Entscheidung, ob und inwieweit § 216 Abs. 1 StGB selbst verfassungskonform sei, komme es vorliegend nicht an. Auch habe sich die Angeklagte nicht wegen anderer Straftatbestände (§§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1; 22; 323c Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

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