KriPoZ-RR, Beitrag 21/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier

EuGH, Urt. v. 20.09.2022 – C-793/19 und C-794/19: EuGH erklärt anlasslose Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig, sofern keine ernste Bedrohung vorliegt

Sachverhalt:

Ausgangspunkt für die Vorlage des BVerwG an den EuGH waren Anfechtungen, die die Speicherung von Daten auf Grundlage des TKG betrafen. Das Telekommunikationsgesetz verpflichtet Betreiber zu einer mehrwöchigen Vorratsspeicherung, die allgemein und unterschiedslos erfolgt. Das BVerwG zweifelt an der Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit dem Unionsrecht. Insbesondere Rückschlüsse auf das Privatleben und Missbräuche im Hinblick auf den Zugang der Daten seien möglich. 

Entscheidung des EuGH:

Der EuGH stellt klar, dass nationale Regelungen gegen Unionsrecht verstoßen, wenn die Speicherung der Daten präventiv, allgemein und unterschiedslos erfolge. Hingegen liege in Fällen, in denen eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vorliege, keine Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht vor. Bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität könne ebenfalls eine gezielte (nicht präventive) Vorratsspeicherung erfolgen. Ferner entwickelt der EuGH weitere Fallgruppen, in denen Ausnahmen von der grundsätzlichen verbotenen Vorratsspeicherung gelten. Im Hinblick auf das streitgegenständliche TKG beanstandet der EuGH, dass durch die lange Speicherung der Daten ein Rückschluss auf Informationen aus dem Privatleben der Person möglich seien und damit ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege.

Anmerkung der Redaktion:

Der deutsche Gesetzgeber hat nun die zulässigen Ausnahmen zu konkretisieren oder eine Streichung der unionsrechtswidrigen Normen vorzunehmen. 

Hintergründe zum Gesetzgebungsverfahren und zur Debatte zur anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten der vergangenen Legislaturperioden finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 07.09.2022 – 6 StR 52/22: Fehlendes voluntatives Vorsatzelement – BGH verneint Tötungsvorsatz

Sachverhalt:

Die Angeklagte wurde vom LG Würzburg wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.  Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war die Angeklagte als Altenpflegerin beschäftigt, wobei die Vergabe von Insulin nicht von ihrem Aufgabenbereich umfasst war. Am Tattag entschied die Angeklagte spontan beiden Geschädigten Insulin zu verabreichen. Die Angeklagte hoffte, durch eine anschließende stationäre Behandlung der Geschädigten eine eigene Arbeitsentlastung herbeizuführen. Dass die Insulingabe zu einer lebensgefährlichen Unterzuckerung führen könne, war der Angeklagten bewusst. Zugleich vertraute sie darauf, dass die Geschädigten aufgrund eines herbeigerufenen Notrufes nicht sterben würden, welches auch eintrat. Das Schwurgericht verneinte das Vorliegen des voluntativen Vorsatzelementes. Trotz „extrem hoher Gefährlichkeit“ des Handelns der Angeklagten, da der Angeklagten bewusst war, dass ein Notarzt gerufen werden würde. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision verworfen. Die Gesamtwürdigung des LG sei widerspruchsfrei. Der subjektive Tatbestand sei ausführlich erörtert worden; die für und gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechenden Umstände vollständig gegeneinander abgewogen worden.  

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 09.08.2022 – 3 StR 206/22: BGH bestimmt Grenzwert für weiteres Betäubungsmittel

Amtlicher Leitsatz:

Für 2C-B (Bromdimethoxyphenethylamin, BDMPEA) beginnt die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei einem Gramm.

Sachverhalt:

Wegen Einfuhr und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das LG Kleve den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen legte der Angeklagte Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen. Das LG hatte als Grenzwert 1 Gramm festgesetzt, welches zutreffend sei. Die Substanz 2C-B ähnele Rauschmitteln wie LSD, MDMA oder Amphetaminen. Gesicherte Erkenntnisse bezüglich der Wirkung lägen allerdings nicht vor, sodass der Grenzwert anhand eines Vergleichswertes (Mescalin) bestimmt werden müsse. 

Redaktionelle Anmerkung:

Der 3. Strafsenat des BGH hat in seinem Beschluss v. 08.03.2022 (3 StR 136/21) bereits Grenzwerte einzelner anderer Betäubungsmittel i.S.v. § 30a BtMG festgelegt. Hintergründe hierzu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 10/2022

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.05.2022 – 4 StR 99/22: Sicherungsverwahrung und Strafzumessung

Amtlicher Leitsatz:

Die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung ist kein bestimmender Strafzumessungsumstand.

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. Das LG Bielefeld hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und neben Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hatte teilweise Erfolg. Der Schuldspruch und Strafausspruch wiesen jedoch keine Rechtsfehler auf, so der BGH. Dass bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe das LG nicht erörtert habe, dass zugleich die Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, sei nicht rechtsfehlerhaft. 

Zu den in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB aufgeführten Strafzumessungsgründen gehöre nicht die Berücksichtigung der Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Strafe diene dem Schuldgrundsatz und Sicherungsverwahrung dem Schutz der Allgemeinheit. Damit würden verschiedene Zwecke mit unterschiedlichen Voraussetzungen verfolgt werden, woraus sich keine Wechselwirkung ergebe. 

Neben den Sanktionszwecken argumentiert der Senat mit dem Normzweck des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB: „Die Norm soll verhindern, dass die Rechtsfolgen zur Entsozialisierung des Täters führen oder seiner Resozialisierung entgegenstehen.“ Damit dürften Strafe und Maßregel nicht übermäßig sein, welches im Hinblick auf letzteres durch die entsprechenden Regelungen zur Anordnung und Vollstreckung gewährleistet werde. Die Verhältnismäßigkeit der Maßregel sei schließlich gemäß § 62 StGB zu prüfen. Für den Senat korreliere „ mit dem Strafmaß […] daher keine maßregelspezifische Mehrbelastung des Angeklagten, aus der sich ein bestimmender Strafzumessungsumstand zu seinen Gunsten ergeben könnte.“

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21: BGH zur Abgrenzung § 216 Abs. 1 StGB von strafloser Beihilfe zum Suizid 

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid erfordert eine normative Betrachtung.

  2. Der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit gefasste und erklärte Sterbewille führt zur situationsbezogenen Suspendierung der Einstandspflicht für das Leben des Ehegatten.

Sachverhalt:

Die Angeklagte pflegte ihren berenteten und erkrankten, bettlägerigen Ehemann. Unter anderem verabreichte die Angeklagte, welche als Krankenschwester gearbeitet hatte, ihrem Mann Insulin. Der Geschädigte äußerte mehrfach seinen Sterbewunsch, den die Angeklagte ernst nahm. 

Am Tattag reichte die Angeklagte, auf Wunsch ihres Mannes, Tabletten und Wasser, welche der Geschädigte selbständig einnahm. Weitere Insulinspritzen injizierte die Angeklagte, ebenfalls nach Aufforderung durch ihren Mann. Daraufhin verstarb der Geschädigte. Dass die Insulingabe geeignet war, den Tod herbeizuführen, war der Angeklagten bewusst. Das Gericht sah darin ein aktives Handeln der Angeklagten und den § 216 Abs. 1 StGB als verwirklicht an. 

Die Angeklagte wurde von dem LG Stendal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Entscheidung wurde Revision eingelegt.

Entscheidung des BGH

Die Revision hat Erfolg. Die Angeklagte wurde vom Tatvorwurf freigesprochen. Es liege keine Tötung auf Verlangen i.S.d. § 216 Abs. 1 StGB vor. Anders als das LG sieht der Senat im Verhalten der Angeklagten kein aktives Tun, sondern eine straflose Beihilfe zum Suizid. „Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt“, wobei es auf den Gesamtplan ankomme, so der BGH. 

Eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme erfordere in diesen Fällen eine normative Betrachtung. Der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.08.1963 – Gisela-Fall) widerspräche diese Auslegung nicht, da der Sachverhalt dort anders gelegen habe. Wohl aber sei der vorliegende Sachverhalt mit dem „Gashahn-Fall“ (RG, Urt. v. 27.08.1920) vergleichbar. 

Auf eine Entscheidung, ob und inwieweit § 216 Abs. 1 StGB selbst verfassungskonform sei, komme es vorliegend nicht an. Auch habe sich die Angeklagte nicht wegen anderer Straftatbestände (§§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1; 22; 323c Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.06.2022 – 5 StR 332/21: Zur Reichweite des Verwertungsverbotes des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO

Amtlicher Leitsatz:

Das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO gilt absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten.

Sachverhalt:

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte sich in 54 Fällen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht. Im Ermittlungsverfahren hatte der Angeklagte eine Einlassung abgegeben, welche bezogen auf eigene Angaben gemäß § 136a StPO für unverwertbar gehalten wurde. Angaben zu anderen Tatbeteiligten waren von der Unverwertbarkeit nicht umfasst. Das LG Flensburg hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Einziehung angeordnet. Der Angeklagte legte Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Der Senat hat die Revision des Angeklagten verworfen. Entgegen der im Schrifttum vertretenden Auffassung, wonach „auch im Fall eines Beweisverwertungsverbots gemäß § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO die entlastenden Angaben des Beschuldigten gleichwohl verwertbar sein sollen“, hat der Senat entschieden, dass das Verwertungsverbot absolut gelte. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO umfasse auch die Angaben, die Mitbeschuldigte betreffe, also zugunsten dieser ausfalle. Bemühungen des Angeklagten zur Aufklärung seien nicht im Rahmen des § 31 BtMG zu berücksichtigen, sondern im Rahmen der Strafzumessung. 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 15/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 14.07.2022 – 2 BvR 900/22: Eilantrag wegen Wiederaufnahme hat teilweise Erfolg 

Leitsatz der Redaktion:

Dem grundrechtlichen Schutz aus Art. 103 Abs. 3 sowie Art. 2 Abs. 2 S. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG kommt […] ein größeres Gewicht zu als dem durch die Untersuchungshaft gesicherten staatlichen Strafverfolgungsinteresse.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1983 vom Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes durch das Landgericht Stade freigesprochen. Nachdem am 30.12.2021 das Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit, mithin der neue Wiederaufnahmegrund § 362 Nr. 5 StPO in Kraft getreten ist, beantragte die zuständige Staatsanwaltschaft im Februar 2022 Wiederaufnahme des Verfahrens und Erlass eines Haftbefehls.

Das Landgericht Verden erklärte den Wiederaufnahmeantrag für zulässig und ordnete die Untersuchungshaft an. Das für das Rechtsmittelverfahren zuständige OLG Celle verwarf die vom Beschwerdeführer eingereichten Beschwerden gegen die Beschlüsse des LG Verden.

Am 19.5.2022 erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügte die Verletzung in Art. 103 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Gleichzeitig beantragte der Beschwerdeführer die Außervollzugsetzung des Haftbefehls im Wege der einstweiligen Anordnung. 

Entscheidung des BVerfG:

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das BVerfG teilweise stattgegeben. Die Verfassungsbeschwerde sei weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Der Vollzug des Haftbefehls wird unter Bedingungen ausgesetzt. Gemäß § 32 BVerfGG gelte ein strenger Maßstab, insbesondere, wenn ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden soll. Die Folgenabwägung habe ergeben, dass die für den Beschwerdeführer zu erwartenden Nachteile überwiegen würden. Es komme „[d]em grundrechtlichen Schutz aus Art. 103 Abs. 3 sowie Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 GG […] ein größeres Gewicht zu als dem durch die Untersuchungshaft gesicherten staatlichen Strafverfolgungsinteresse.“

Das BVerfG betont, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 362 Nr. 5 StPO offen sei und dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibe. Werde jedoch der Vollzug des Haftbefehls aufrechterhalten, würden irreversible, in Art. 103 Abs. 3 GG intensiv eingreifende, nicht mehr korrigierbare Nachteile drohen.

In seiner Begründung geht das BVerfG ferner auf das Spannungsverhältnis des Rechtsinstituts Untersuchungshaft ein (Freiheitsrecht des Einzelnen vs. wirksamer Verbrechensbekämpfung) und stellt dar, dass hierbei unabhängig von der zu erwartenden Strafe abzuwägen sei. Der Sorge der Fachgerichte, der Beschwerdeführer würde sich bei Aussetzung des Haftbefehls dem späteren Strafverfahren entziehen, entgegnet das BVerfG mit den Besonderheiten in diesem Fall: die Straftat liege bereits über 40 Jahre zurück, in dieser Zeit sei der Beschwerdeführer strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und das Strafverfahren sei ohnehin zügig durchzuführen. 

Die Entscheidung erging mit 5:3 Stimmen.

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des OLG Celle vom 20.4.2022 finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 09/2022. Hintergründe zu der Debatte um die Einführung des § 362 Nr. 5 StPO finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 14/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 08.06.2022 – 5 StR 406/21: Zum Bezugspunkt für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis i.S.d. § 239 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Bezugspunkt für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB ist der potentielle Fortbewegungswille.

Sachverhalt:

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben die Angeklagten die Geschädigte an einen anderen Ort verbracht. Das Einverständnis der Geschädigten in die Fahrt und in den Flug sei durch List erschlichen worden und ließe deshalb die Tatbestandsmäßigkeit nicht entfallen. Ein Verlust der Fortbewegungsfreiheit hat das LG Berlin mithin festgestellt.

Das Gericht hat die Angeklagten wegen Freiheitsberaubung zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurden. Im Übrigen wurden die Angeklagten freigesprochen. Gegen das Urteil legten die Angeklagten und die Generalstaatsanwaltschaft Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der 5. Strafsenat hat sowohl die Revisionen der Angeklagten als auch des Generalstaatsanwaltes mangels Verletzung formellen und materiellen Rechts verworfen. Das durch List und Täuschung erschlichene Einverständnis der Geschädigten führe nicht dazu, dass der Tatbestand entfiele. 

Der Senat folgt der bisherigen Rechtsprechung des BGH, wonach unter einer Freiheitsberaubung i.S.d. § 239 Abs. 1 StGB die „potentielle persönliche Bewegungsfreiheit“ falle. Hiervon umfasst sei auch, wenn die betroffene Person sich nicht wegbewegen will. „Entscheidend ist allein, ob es ihm unmöglich gemacht wird, seinen Aufenthalt nach eigenem Belieben zu verändern. Ausschlaggebend ist mithin nur, ob der Betroffene sich ohne die vom Täter ausgehende Beeinträchtigung seiner Bewegungsmöglichkeit fortbegeben könnte, wenn er es denn wollte.“, so der Senat. Entscheidend sei nicht, ob es zu einer Freiheitsbeschränkung komme.

Damit wendet sich der BGH gegen die im Schrifttum vertretene Auffassung, es sei nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit geschützt. Wortlaut, Systematik, Historie und Sinn und Zweck der Norm ließen keine andere Deutung zu als die der bisherigen Rechtsprechung des BGH

KriPoZ-RR, Beitrag 13/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BGH, Beschl. v. 02.02.2022 – 5 StR 390/21Vernehmungsfähigkeit ist nicht Voraussetzung für das Sicherungsverfahren

Amtlicher Leitsatz:

Das Sicherungsverfahren erfordert keine Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten.

Sachverhalt:

Im Sicherungsverfahren wurde die Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB angeordnet. Das LG ging von einer Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten aus. Gegen die Unterbringungsentscheidung legte der Beschuldigte Revision ein. Die Durchführung des Sicherungsverfahrens sei unzulässig gewesen. Zwar müsse keine Verhandlungs-, aber eine Vernehmungsfähigkeit nach Ansicht der Verteidigung vorgelegen haben. Dieses ergebe sich aus § 415 Abs. 2 und 3 StPO. Andernfalls sei eine sachgemäße Verteidigung nicht möglich. 

Entscheidung des BGH:

Der 5. Strafsenat hat die Revision als unbegründet verworfen. Es liege kein Verfahrenshindernis und keine Verletzung materiellen Rechts vor, da die Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten für das Sicherungsverfahren keine Verfahrensvoraussetzung sei. Aus dem Regelungszusammenhang der §§ 413 ff. StPO und des § 71 Abs. 1 StGB ergebe sich, dass das Sicherungsverfahren unabhängig vom psychischen Zustand des Beschuldigten durchgeführt werden könne. 

Das Sicherungsverfahren unterscheide sich, anders als von der Verteidigung des Beschuldigten angenommen, wesentlich vom Strafverfahren. Auch aus dem Wortlaut des § 415 StPO ergebe sich nicht die Voraussetzung, dass der Beschuldigte seine Interessen vertreten können müsse. 

Vielmehr würde die selbständige Anordnung von Maßregeln gegen gefährliche, aber zugleich verhandlungsunfähige Täter leerlaufen, wenn die Vernehmungsfähigkeit Verfahrensvoraussetzung sei. Kompensiert werden die Defizite des Beschuldigten durch die notwendige Verteidigung (§ 140 Abs. 1 Nr. 7 StPO), welches auch EU-Recht entspräche.

KriPoZ-Beitrag 11/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.03.2022 – 3 StR 375/2o: BGH zu Geldstrafe neben Freiheitsstrafe (§ 41 StGB)

Amtlicher Leitsatz:

Verhängt das Tatgericht neben der Freiheits- keine Geldstrafe nach § 41 StGB, obgleich die Verteidigung dies beantragt hat, ist es verfahrensrechtlich nicht analog § 267 Abs. 3 Satz 2 und 4 StPO verpflichtet, die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen darzulegen. Die Revision des Angeklagten kann in diesen Fällen grundsätzlich keinen ihm nachteiligen sachlichrechtlichen Erörterungsmangel dergestalt aufdecken, dass die zusätzliche Geldstrafe mit einer geringeren Bemessung der Freiheitsstrafe hätte einhergehen können.

Sachverhalt:

Die Angeklagten haben sich nach den Feststellungen des LG Osnabrück wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§§ 299 Abs. 1; 300 Nr. 1 StGB a.F.) strafbar gemacht und wurden zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Daneben hat das Gericht Kompensationsentscheidungen getroffen. Die Angeklagten legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts verworfen. Insbesondere sei keine Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Die Frist beginne mit der Beendigung der Tat (§ 78a S. 1 StGB) und sei durch Anklageerhebung am 28.12.2018 wirksam unterbrochen worden (§ 78c Abs. 1 S. 1 Nr. 6 StGB). 

Auch die Verfahrensrüge des weiteren Angeklagten sei unbegründet. Es liege kein Verstoß gegen § 267 Abs. 3 S. 2 und 4 StPO analog vor. Die Verteidigung forderte die Möglichkeit einer Kombination von Geld- und Freiheitsstrafe nach § 41 StGB anzusprechen. Der BGH sah hierfür keinen Anwendungsbereich. Der analogen Anwendung stehe das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke und einem vergleichbar geregelten Sachverhalt entgegen. Es bestand laut des 3. Strafsenats auch keine Erörterungspflicht. Der Wortlaut (Kann-Vorschrift) und der Sinn und Zweck der Norm sprächen bereits dagegen. 

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