(Inter-) Nationale Strafverfolgung in der Cloud? Risiken unilateraler Zugriffe auf Auslandsdaten

von Christine Untch

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Abstract
Um Strafverfolgungsbehörden einen erleichterten und schnelleren Zugang zu Cloud-Daten im Ausland zu verschaffen, schlägt die Europäische Union unilaterale Direktzugriffe bei den Anbietern solcher Dienste vor. Der folgende Beitrag zeigt die daraus resultierenden Risiken für die internationale Zusammenarbeit, Interessen der Diensteanbieter und insbesondere den Grundrechts- und Datenschutz Betroffener auf und bietet alternative Lösungsmöglichkeiten an.

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Vorschlag zur Einführung eines Gesetzes über das Aufspüren verdächtiger Vermögensgegenstände und über die selbständige Vermögenseinziehung (Vermögenseinziehungsgesetz)

von Prof. Dr. Kilian Wegner, Constantin Ladwig, Prof. Dr. Till Zimmermann und Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi

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Abstract
Eine wesentliche Schwäche der investigativen Bekämpfung komplexer Geldwäschestrukturen in Deutschland liegt darin, dass die Strafverfolgungsbehörden sich auf die – zumeist fruchtlose – Verfolgung von Geldwäschevortaten fokussieren. Um zu besseren Ergebnissen zu gelangen, muss der Ermittlungsfokus zukünftig stärker auf präventive Finanzermittlungen gelegt werden, in deren Rahmen von Amts wegen nach verdächtigen Vermögenswerten gefahndet und Verdachtsmomenten bereits unterhalb der Schwelle eines strafrechtlichen Anfangsverdachts nachgegangen wird. Der nachfolgende Gesetzentwurf macht hierzu einen konkreten Vorschlag, indem er erstens neue Instrumente zum Aufspüren verdächtigen Vermögens schafft und zweitens das in Ansätzen bereits bestehende staatliche Einziehungsrecht auf dem Gebiet der non-conviction-based confiscation in ein außerstrafrechtliches Verfahren überführt und gleichzeitig weiterentwickelt.

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Der EU-Kommissionsvorschlag einer Verordnung für künstliche Intelligenz aus rechts- und kriminalpolitischer Perspektive – Zur unumgänglichen aber nachbesserungsbedürftigen Harmonisierung

von Jana Engelhard und Prof. Dr. Anja Schiemann

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Abstract
Am 21.4.2021 wurde von der Europäischen Kommission der Entwurf für eine Verordnung zur „Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz“ (KI-VO-E) vorgelegt. Ziel ist es, einen einheitlichen Rechtsrahmen für vertrauenswürdige künstliche Intelligenz zu schaffen. Durch den Verordnungsvorschlag zur künstlichen Intelligenz soll gewährleistet werden, dass KI-Systeme die Grundrechte der Union beachten und so Vertrauen und Rechtssicherheit geschaffen wird. Die KI-VO-E verfolgt einen sog. „risikobasierten Regulierungsansatz“, so dass je nach Risiko der KI-Anwendung für die Europäischen Grundrechte höhere oder niedrigere Anforderungen etwa in Bezug auf die Sicherheit oder Transparenz aufgestellt werden. So sehr insgesamt die Harmonisierung zu begrüßen ist, so muss doch am Feinschliff der Verordnung noch gearbeitet werden, um zu überzeugen. Dies gilt auch für diverse Privilegierungen der Strafverfolgungsbehörden. Diesen wird zwar – zu Recht – mehr gestattet als Privaten, allerdings ist ein sachlicher Grund nicht immer zu erkennen.

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Die Reichweite der Autonomie zur Lebensbeendigung – Überlegungen zur neuen österreichischen Rechtslage

von Prof. Dr. Kurt Schmoller

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Abstract
Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat im Dezember 2020 die generelle Strafbarkeit einer Mitwirkung an der Selbsttötung in § 78 öStGB mit Wirkung am 31.12.2021 als verfassungswidrig aufgehoben. Der österreichische Gesetzgeber hat daraufhin am 1.1.2022 ein eigenes „Sterbeverfügungsgesetz“ in Kraft gesetzt und in § 78 öStGB eine (nur) eingeschränkte Strafbarkeit der Mitwirkung an einer Selbsttötung vorgesehen. Unklar ist, ob mit der gesetzlichen Neuregelung das Autonomiekonzept des VfGH hinreichend umgesetzt wurde. Im folgenden Beitrag wird die weit formulierte Autonomie zur Lebensbeendigung in der Entscheidung des VfGH mit dem Autonomiekonzept der gesetzlichen Neuregelung verglichen und die Grenzziehung kritisch hinterfragt.

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KriPoZ-RR, Beitrag 32/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 5 StR 331/22: BGH zum symptomatischen Zusammenhang zwischen festgestelltem Hang und Anlasstat 

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz einer Schusswaffe und Munition sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstands strafbar gemacht. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht abgelehnt. Gegen die Entscheidung legte der Angeklagte Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der Strafsenat hat mangels Rechtsfehler die Verfahrens- und Sachrüge als unbegründet verworfen. Der Maßregelausspruch hingegen sei durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Das Merkmal des symptomatischen Zusammenhanges i.S.d. § 64 StGB habe das LG zu eng ausgelegt. Anders, als vom LG angenommen, müsse der Hang nicht die alleinige Ursache der Anlasstat darstellen, sondern lediglich mitursächlich für die Straftatenbegehung sein. Der BGH schließt sich der Argumentation des Generalbundesanwaltes an, der hierzu ausführt: „Es genügt, dass er für die Anlasstaten oder ihr Ausmaß und die Befürchtung, ein solcher Einfluss des Hanges sei auch in Zukunft zu erwarten, ursächlich geworden war.“ Naheliegend sei dies insbesondere bei Straftaten nach dem BtMG. Der hieraus erzielte Eigenkonsum sei auch dann ausreichend, wenn der wirtschaftlichen Vorteil im Vordergrund gestanden habe. Ein mittelbarer Betäubungsmittelkonsum habe in diesem Fall vorgelegen, wodurch das Merkmal des symptomatischen Zusammenhanges gegeben sei. Der BGH hält mit dieser Auslegung an der ständigen Rechtsprechung fest.

Auch beruhe das Urteil auf diesem Rechtsfehler. Dabei bezieht sich der Strafsenat auf die strafrechtlich einschlägige Vorbelastung des Angeklagten und begründet die Erfolgsaussicht (§ 64 S. 2 StGB) mit einer in der Vergangenheit bereits erfolgreich abgeschlossenen Entwöhnungsbehandlung. 

Über die Anordnung der Unterbringung ist damit neu zu entscheiden. 

Strafbarkeit der Mitwirkung am freiverantwortlich begangenen Suizid? Ein Beitrag zum neuen österreichischen Sterbeverfügungsgesetz und zur Novellierung des § 78 österreichisches StGB

von Univ.-Prof. Dr. iur. Erwin Bernat 

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Abstract
In Österreich war die Mitwirkung am Suizid (Verleitung und Beihilfe zur Selbsttötung) bis zum Ende des Kalenderjahres 2021 auch dann strafbar, wenn sich der Sterbewillige aus freien Stücken das Leben nahm (§ 78 StGB i.d. Stammfassung). Dieser Regelung wurde allerdings durch eine Entscheidung des VfGH (VfSlg. 20.433), die in weiten Teilen ein Spiegelbild des Urteils des BVerfG zu § 217 dStGB (BVerfGE 153, 182) ist, der Boden entzogen. In Reaktion auf VfSlg. 20.433 gewährleistet das mit 1.1.2022 in Kraft getretene Sterbeverfügungsgesetz (BGBl I 2021/242) ein Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe, verankert aber gleichzeitig einschneidende administrativ-prozedurale Regeln, die der Sterbewillige beachten muss, um das todbringende Präparat legal zu erwerben. Schließlich kann die Leistung von Suizidbeihilfe für den Suizidbeihelfer strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, wenn er gewisse Regeln des Sterbeverfügungsgesetzes missachtet (§ 78 StGB i.d.F. von Art. 3 des Sterbeverfügungsgesetzes).

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Anna Lohmann: Strafrecht im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz. Der Einfluss von autonomen Systemen und KI auf die tradierten strafrechtlichen Verantwortungsstrukturen

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2021, Nomos, ISBN: 978-3-8487-8330-4, S. 289, Euro 82,00.

Über die Frage strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Schäden beim Einsatz von KI ist schon viel geschrieben worden. Hierbei geht es häufig um die Auflösung von Dilemmata-Situationen im Bereich des autonomen Fahrens. Seltener sind grundlegende Arbeiten zur Reichweite des Sorgfaltsmaßstabs beim Inverkehrbringen von KI-Produkten sowie der individuellen (Unternehmens-)Verantwortung für KI-Produkte. Insofern ist es verdienstvoll, sich dieses zukunftsträchtigen Themenfeldes in einer Dissertation anzunehmen.

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Christian Kopetzki/Ulrich H.J. Körtner (Hrsg.): Leichenöffnung für wissenschaftliche Zwecke (Schriftenreihe Ethik und Recht in der Medizin, Bd. 14)

von Prof. Dr. Gunnar Duttge 

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2021, Verlag Österreich, ISBN: 978-3-7046-8654-1, S. 196, Euro 56,42.

Bekanntlich ist der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Toten ein „wichtiger Gradmesser“ nicht nur für die Einstellung dieser Gesellschaft zum Tod, sondern zugleich für „den Umgang der Lebenden miteinander“: „Der Tod ist abstrakt, die Toten sind jedoch konkret“. Mit dieser Eingangssentenz in der Präambel des vorliegenden Bandes, der aus einer Tagung des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin (IERM) an der Universität Wien hervorgegangen ist, treffen die Herausgeber einen zentralen Punkt: Selbstbestimmungs- und postmortales Persönlichkeitsrecht (Verfügungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz des Verstorbenen sowie seiner nahen Angehörigen) streiten, u.U. noch verstärkt durch die Glaubensfreiheit, für das grundsätzliche Tabu gegenüber Leichenöffnungen oder gar die Entnahme von Gewebeteilen oder Organen (was die Straftatbestände gegen eine „Störung der Totenruhe“ sicherstellen sollen, vgl. § 168 dStGB bzw. § 190 öStGB); für die Vornahme von Obduktionen bzw. Sektionen sprechen hingegen gewichtige gesamtgesellschaftliche Interessen, sei es etwa die Aufklärung von Straftaten (§ 87 dStPO bzw. § 128 öStPO), die frühzeitige Entdeckung von Infektionsquellen (§ 25 Abs. 4 dIfSG bzw. § 5 öEpidemieG, dazu näher M. Grimm, S. 145 ff., 168 ff.), die Qualitätssicherung ärztlichen Handelns (Behandlungsfehler?) oder generell die medizinische Forschung und akademische Lehre (Anatomie).

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Jörn Patzak: Konkurrenzverhältnisse beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2021, Nomos, ISBN: 978-3-8487-8075-4, S. 347, Euro 89,00.

Die Dissertation über das Konkurrenzverhältnis beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wurde von keinem Unbekannten verfasst. Vielmehr wird sie von einem ausgewiesenen Experten des Betäubungsmittelrechts vorlegt, nämlich dem Mitherausgeber und Kommentator des Beck´schen Kurzkommentars zum BtMG. Insofern durfte man gespannt sein auf die Auflösung der „fast täglich in obergerichtlichen Entscheidungen zu Tage tretende(n) Schwierigkeiten bei der Anwendung der Konkurrenzen im Betäubungsmittelrecht“ (S. 32).

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Gesetzentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung – Haupverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG)

Gesetzentwürfe: 

 

Am 22. November 2022 veröffentlichte das BMJ einen Referentenentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG). Der Entwurf soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzliche Hauptverhandlung vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten schaffen. Dort werden regelmäßig nur die wesentlichen Förmlichkeiten (sog. Formalprotokoll) schriftlich protokolliert, um sie in der Revisionsinstanz überprüfen zu können. Nur wenn es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt, wird von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung angeordnet (§ 273 Abs. 3 StPO). An den Amtsgerichten stellt sich die Praxis anders dar. Dort werden zumindest die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufgenommen. Für die Verfahrensbeteiligten an den Landes- und Oberlandesgerichten hat dies zur Folge, dass sie sich mangels einer objektiven Dokumentation der Hauptverhandlung selbst Notizen zum Inhalt fertigen müssen und sich nicht vollumfänglich auf das Geschehen in der Hauptverhandlung selbst konzentrieren können. Weiteres Gewicht bekommen hier lange Verfahrensdauern und sog. Umfangsverfahren, bei denen die Gefahr naheliegt, dass die Erinnerung an Einzelheiten  mit der Zeit zunehmend verblasst. 

Daher soll die Hauptverhandlung in Zukunft in Bild und Ton aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert werden. Die Aufzeichnungen treten neben das Protokoll, sollen aber keine unmittelbar prozessuale Wirkung entfalten. Sie sollen lediglich den Verfahrensbeteiligten als objektives Hilfsmittel zur Aufarbeitung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen. Zum Schutze der Persönlichkeitsrechte dokumentierter Personen sollen flankierend verfahrensrechtliche und materiell-strafrechtliche Regelungen geschaffen werden. Auch technische Maßnahmen, wie bspw. eine Verpixelung, können dabei helfen. Zunächst ist geplant, die digitale Dokumentation als erstes bei den Oberlandesgerichten einzusetzen, die in Organleihe Staatsschutzverfahren in der Zuständigkeit des Bundes führen. 

Am 7. Juli 2023 beschäftigte sich erstmals der Bundesrat mit dem Entwurf und hat entsprechend Stellung genommen (BR Drs. 227/1/23).  

Einen Überblick über den überarbeiteten Regierungsentwurf gibt der Beitrag von Dr. Eren Basar und Christian Heinelt in der KriPoZ 4/2023, 278 ff

Am Abend des 21. September 2023 wurde der Regierungsentwurf in erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 11. Oktober 2023 eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Während die Anwaltschaft den Regierungsentwurf begrüßte, äußerte sich die Richterschaft insbesondere hinsichtlich der Ressourcen der Strafjustiz kritisch. Dr. Margarete Gräfin von Galen (Fachanwältin für Strafrecht) betonte in ihrer Stellungnahme, dass es derzeit keine zuverlässige und objektive Dokumentation des Inhalts einer Hauptverhandlung gebe. Prof. Dr. Christoph Knauer (BRAK) empfand das bestehende Protokollsystem insbesondere als nicht mehr zeitgemäß. Eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung könne Missverständnissen entgegenwirken und Fehlurteile verhindern. Auch Stephan Schneider betonte, dass mit der digitalen Dokumentation ein wesentlicher Beitrag für den Rechtsstaat geleistet werde. Prof. Dr. Ali B. Norouzi (DAV) begrüßte ebenfalls den Regierungsentwurf, der durchaus dazu geeignet sei, das grundlegende Dokumentationsdefizit in der Hauptverhandlung zu beenden. Er äußerte lediglich Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit, die Dokumentationspflicht zu suspendieren. Bedauerlich sei, dass der Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf nunmehr nur noch eine Dokumentation per Tonaufnahme vorsehe und die Bild-Ton-Aufnahme optional bleibe. Richter am BGH Prof. Dr. Andreas Mosbacher betonte, dass es zu einer mindestens vorübergehenden Mehrbelastung der Strafjustiz komme. Daher sei es notwendig, die erforderlichen technischen und personellen Ressourcen im Blick zu behalten. Vors. Richter am LG Fernando Sanchez-Hermosilla sah keine Notwendigkeit, das bestehende Protokollsystem zu ändern. Aus seiner Sicht bringe es viele Nachteile mit sich, auf eine digitale Aufzeichnung der Hauptverhandlung umzustellen. Neben technischen und personellen Problemen, ergäben sich auch verfahrensspezifische Probleme, ohne dass ein substantieller Mehrwert für das Strafverfahren geschaffen werde. Es gelinge Richter:innen durchaus, die für die Entscheidungsfindung erheblichen Aussagen und sonstigen Ergebnisse der Beweiserhebung festzuhalten und sich daran zu erinnern, auch wenn die Verhandlungen sich über mehrere Tage ziehen. Dieter Killmer (DRB) kritisierte, dass der Entwurf die bezweckten Vorteile und die zu erwartenden Nachteile nicht abwäge. Schließlich berge die Dokumentation von Strafverfahren auch Missbrauchsrisiken und drohe den Opferschutz und die Wahrheitsfindung zu schwächen, insbesondere bei audiovisuellen Aufzeichnungen, die tief in die Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten eingriffen. Der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte wurde ebenso von Dr. Patrick Liesching vom Weißen Ring kritisiert. Vor allem für Opfer sexualisierter Gewalt sei dies schwerwiegend. Das nochmalige Durchleben der Tat durch die Schilderung in der Hauptverhandlung wird von den Betroffenen als extrem belastend empfunden. Dies werde durch die geplante Neuregelung verschärft, wenn die Zeug:innen in diesen Situationen auch noch Kameras und Mikrofonen gegenüberstehen und jeder Gefühlsausbruch festgehalten und letztlich auch eine Verbreitung gefürchtet werde. Der Opferschutz war ebenfalls für Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek  ein wichtiger Kritikpunkt. Es sei verheerend, wenn Opfer sexualisierter Gewalt mit der Verbreitung ihrer Aussagen in den sozialen Medien rechnen müssten. Dies führe letztlich zu einer verminderten Aussagebereitschaft und beschränke so die Wahrheitsfindung im Prozess. Dr. Ralf Wehowsky befürchtete, dass die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung eine Wesensänderung des Revisionsverfahrens herbeiführe. Viele Rügen würden sich dann in Zukunft auf Aussagen der Hauptverhandlung beziehen, die nicht zutreffend gewürdigt worden seien. 

Am 17. November 2023 hat der Bundestag des Gesetzentwurf in der Fassung des Rechtsausschusses (BT Drs. 20/9359) mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke gebilligt. Der Bundesrat beschäftigte sich am 15. Dezember 2023 erneute mit dem DokHVG und überwies den Entwurf zur grundlegenden Überarbeitung an den Vermittlungsausschuss. Laut Empfehlung des Rechtsausschusses (BR Drs. 603/1/23) begegne das Gesetz „erheblichen, grundlegenden und tiefgreifenden fachlichen Bedenken. Insbesondere müssen die folgenden zu erhebenden Bedenken:

  • zur Gefahr für die Wahrheitsfindung,
  • zur Beeinträchtigung des Opferschutzes,
  • zur Gefahr von Verzögerungen des Verfahrens,
  • zur optionalen Bildaufzeichnung der Hauptverhandlung,
  • zum Inkrafttreten der Regelung zur Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht bei den Landgerichten am 1. Januar 2030 sowie
  • zum Verhältnis von dem personellen, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand und Mehrwert

ausgeräumt werden.“

Insgesamt sah die Länderkammer keinen nachvollziehbaren Bedarf oder fachliche Notwendigkeit für die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung. 

 

 

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