Jan Christoph Bublitz/Jochen Bung/Anette Grünewald/Dorothea Magnus/Holm Putzke/Jörg Scheinfeld (Hrsg.): Recht – Philosophie – Literatur. Festschrift für Reinhard Merkel zum 70. Geburtstag

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2020, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-15566-8, zwei Teilbände, insg. S. 1672, Euro 299,90.

Die monumentale, in zwei Teilbänden erschienene Festschrift für den Jubilar Merkel deckt vielfältigste Facetten ab, die Recht, Philosophie und Literatur zu bieten haben. Im Vorwort wird die Vita Merkels kurz nachgezeichnet, bevor, wen würde es wundern, „Literarisches“ den Auftakt der Festschrift macht. Gleich zwei der sechs Beiträge dieses Kapitels, nämlich die von Bung und Scheichl widmen sich Karl Kraus und tragen somit der Tatsache Rechnung, dass sich Merkel in seiner sehr umfangreichen Dissertation ebenfalls mit „Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus“ auseinandergesetzt hat. Bung legt den Schwerpunkt seiner Ausarbeitung nicht nur auf Kraus, sondern auch seinen Interpreten Adorno, um hier zudem „das spannungsvolle Verhältnis Sexualität und Strafrecht“ zu vermitteln (S. 4). Schleichl spürt den Prozessakten als Quellen des Wirkens von Karl Kraus am Beispiel des Prozesses Pisk gegen Kraus nach.

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Rita Haverkamp/ Michael Kilchling/Jörg Kinzig/ Dietrich Oberwittler/ Gunda Wössner (Hrsg.): Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht – Exploring the World of Crime and Criminology. Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2020, Duncker & Humblot GmbH, ISBN: 978-3-428-18251-0, S. 1278, Euro 219,90.

Die umfangreiche Festschrift zu Ehren von Albrecht führt in 6 Kapiteln 64 Aufsätze zusammen. Dabei wird dem Titel der Festschrift durchaus Rechnung getragen, kommen doch nicht nur deutsche Strafrechtswissenschaftler und Kriminologen zu Wort, sondern auch Kollegen aus Spanien, Kroatien, Griechenland, den Niederlanden, Uruguay, Georgien, dem Vereinigten Königreich, Ungarn, der Schweiz, China, Italien, Südafrika, der Tschechischen Republik und der Türkei.

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„Medizinrecht aktuell: COVID-19 – letzter Ausweg Impfpflicht?“

von Erik Scheiter und Tom Hendrik Becker

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Am 21.12.2021 fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Medizinrecht aktuell” des Göttinger Zentrums für Medizinrecht aufs Neue ein virtueller Diskussionsabend statt. Die Thematik hätte angesichts der jüngeren und aktuellen Entwicklung sowohl in Bezug auf das epidemiologische Geschehen als auch hinsichtlich der politischen und gesamtgesellschaftlichen Debatte nicht aktueller sein können. Solche Themen werden unter dem institutionellen Dach des Göttinger Zentrums für Medizinrecht in der Veranstaltungsreihe „Medizinrecht aktuell” seit mehreren Jahren regelmäßig behandelt. Das Göttinger Zentrum ist ein interfakultativer Zusammenschluss an der Georg-August-Universität, der sich eine vertiefte interdisziplinäre Erforschung von Fragestellungen im Querschnittsbereich des Medizinrechts und der Medizin- und Bioethik zum Ziel gesetzt hat.

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Versicherungsschutz im Unternehmensstrafrecht – Diskussionsbericht zur WisteV-Veranstaltung vom 25. Januar 2022

von Oliver Michaelis, LL.M., LL.M. 

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Am 25. Januar 2022 erfolgte eine durch die WisteV initiierte Fortbildung zu dem Thema „Versicherungsschutz im Unternehmensstrafrecht“ in der Zeit von 16.00 Uhr bis 18.15 Uhr inklusive einer umfassenden Fragerunde. Glücklicherweise wurde die Veranstaltung (der Entwicklung durch Corona geschuldet sowie mittlerweile auch dem Zeitgeist des Jahres 2022 entsprechend) online mittels eines Zoom-Meetings durchgeführt, so dass die zeitintensiven (und häufig ja auch unnötigen) Reisezeiten entfielen und man dem interessanten und sehr praxisrelevanten Thema entspannt in der gewohnten Arbeitsumgebung folgen konnte.

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Novellierung des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB

Gesetzentwürfe: 

Bericht der Bund-Länder Arbeitsgruppe: 

Im Oktober 2020 wurde auf Initiative der Gesundheit- und Justizministerkonferenz durch das BMJV eine Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Prüfung des Novellierungsbedarfs zum Recht zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ins Leben gerufen. Am 13. Januar 2022 veröffentlichte das BMJV schließlich den Abschlussbericht. Dieser enthält einen Regelungsvorschlag, der sich stärker auf die Unterbringung von wirklich behandlungsbedürftigen und behandlungsfähigen Straftäter*innen beschränkt um die Entziehungsanstalten zu entlasten. Hierzu sollen insbesondere die Anordnungsvoraussetzungen enger gefasst werden. 

Dazu Justizminister Dr. Marco Buschmann

„(…) Die Behandlung der Straftäterinnen und Straftäter in den Entziehungsanstalten sollte sich daher wieder stärker auf diejenigen Personen konzentrieren, die wirklich eine Therapie brauchen. Nur so lassen sich gute Behandlungserfolge erreichen und eine weitere Überlastung der Kliniken vermeiden. Aus diesem Grund ist es gut, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe nun einen umfassenden Bericht mit konkreten Regelungsvorschlägen vorgelegt hat. Diese bieten eine sehr gute Grundlage für die Überarbeitung des Sanktionenrechts im Bereich des Maßregelvollzugs. Ich werde zeitnah einen Entwurf vorlegen, in den die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe einfließen werden.“

Am 11. Mai 2022 brachte die Fraktion CDU/CSU einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in den Bundestag ein (BT Drs. 20/1723). Um eine Entlastung des Maßregelvollzugs zu erreichen, soll zunächst die Orientierung der Reststrafaussetzung am Halbstrafenzeitpunkt abgeschafft werden. Damit soll in Zukunft die vorzeitige Aussetzung zur Bewährung nur noch ab dem Zweidrittelzeitpunkt möglich sein (§ 67d Abs. 5 S. 2 StGB-E). Bei den meist schon mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getretenen Personen bestünde ohne die Sonderregelung im Maßregelvollzug eine nur geringe Chance auf vorzeitige Haftentlassung und regelmäßig erst ab 2/3 der verbüßten Strafe. Aus den Belegungszahlen der Entziehungsanstalten, dem Wandel in der Struktur der Klientel und aus konkreten Erfahrungen aus der richterlichen und forensischen Praxis schließt die Fraktion, dass die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung bereits zum Halbstrafenzeitpunkt aus Sicht der Angeklagten einen sachwidrigen Anreiz bieten könne – gerade bei hohen Begleitstrafen – die Unterbringung in der Entziehungsanstalt vorzuziehen. Dies sei mit dem Grundgedanken des Maßregelvollzugs nur schwer vereinbar. 

Des Weiteren sieht der Entwurf vor, die Anordnungsvoraussetzungen entsprechend dem Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu reformieren. Im Falle einer sofortigen Beschwerde durch den Verurteilten soll in § 67d Abs. 5 StGB-E eindeutig formuliert werden, dass es durch Einlegung der Beschwerde trotzdem bei der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Entscheidung bleibt (§ 307 Abs. 1 StPO). Schließlich soll auch eine Anhörung nur noch dann verpflichtend sein, wenn nach Einschätzung des Gerichts eine Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt tatsächlich konkret zu erwägen sei. Dies biete den Gerichten einen größeren Einschätzungsspielraum für die Frage der Anhörung eines Sachverständigen. 

Am Abend des 1. Dezember 2022 wurde der Entwurf der Fraktion CDU/CSU in 2. und 3. Lesung beraten und mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linke abgelehnt. Der Rechtsausschuss hatte zuvor eine entsprechende Beschlussempfehlung vorgelegt (BT Drs. 20/4726). Als Hauptgrund für die Ablehnung wurde der sich durch das BMJ in Vorbereitung befindende Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Sanktionenrechts (nähere Informationen dazu finden Sie hier) angeführt. Er werde viele Punkte enthalten, die auf Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion stoßen würde. 

 

 

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 02/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BGH, Urteil v. 16.12.2021 – 1 StR 197/21: BGH präzisiert Rechtsprechung zu Grenzen rechtsstaatswidriger Tatprovokation

Leitsätze der Redaktion:

Eine Straftat kann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn der Täter aufgrund des Einwirkens des Verdeckten Ermittlers eine Tat mit erheblich höherem Unrechtsgehalt begeht („Aufstiftung“).

Dabei kommt es auf das Ausmaß des ausgeübten physischen oder psychischen Drucks des Verdeckten Ermittlers und auf den Umfang der Verwicklung in Betäubungsmittelgeschäfte durch den Täter an.      

Sachverhalt:

Das LG Freiburg hat zwei Angeklagte unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen betrieb der Angeklagte H. Handel mit Kokain und Cannabisprodukten in kleinen Mengen. Vorbestraft war weder der Angeklagte H. noch der Mitangeklagte I., der sich mit dem Angeklagten zum gemeinsamen Veräußern von Betäubungsmitteln zusammenschloss.

Ein Verdeckter Ermittler erwarb von beiden Angeklagten zunächst eine kleine Menge Marihuana, anschließend – auf eigene Nachfrage – größere Mengen. Zur Beschaffung der vom Verdeckten Ermittler nachgefragten Mengen konnten die Angeklagten sich weder ihres bisherigen Lieferanten bedienen, noch waren ihnen die gängigen Preise bekannt. Es gelang den Angeklagten die gewünschte Menge über den weiteren Angeklagten Hö. zu beschaffen. Bei der letzten Übergabe der Betäubungsmittel an den Verdeckten Ermittler kam es zum Zugriff durch die Polizei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat das Urteil des LG Freiburg im Hinblick auf die Revision des Angeklagten H. teilweise aufgehoben und gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten I. erstreckt. Das LG soll eine weitere Aufklärung betreiben, ob eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation (Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK) vorgelegen habe, die ein Verfahrenshindernis begründen würde.

Verdeckte Ermittler dürften sich zwar als Scheinkäufer von Betäubungsmitteln ausgeben. Die Tatverdächtigen müssten allerdings bereits „tatgeneigt“ gewesen sein. Problematisch seien hingegen Lockspitzel-Einsätze, die bewirken, dass Personen erst zur Tat angestiftet werden. Bei der Abgrenzung sei entscheidend inwieweit bereits eine Verwicklung in BtMG-Geschäfte vorgelegen habe („Aufstiftung“) und das Ausmaß des ausgeübten psychischen oder physischen Drucks des Verdeckten Ermittlers. 

Die Revision des Angeklagten Hö. hat der 1. Strafsenat hingegen verworfen. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation hat der Senat hier verneint, da keine Beeinflussung durch den Verdeckten Ermittler festgestellt werden konnte. Die Tatprovokation des Verdeckten Ermittlers habe weder direkt noch indirekt auf ihn eingewirkt.

Anmerkung der Redaktion:

Die rechtsstaatswidrige Tatprovokation verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK). Der EGMR verurteilte Deutschland 2014 und 2020 wegen Verstößen gegen das Fairnessgebot. 

KriPoZ-RR, Beitrag 01/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BGH, Urteil v. 08.12.2021 – 5 StR 312/21: Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist im gleichen Umfang möglich wie im Strafverfahren

Amtlicher Leitsatz:

Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist seit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 413 StPO zum 1. Juli 2021 im gleichen Umfang wie im Strafverfahren möglich; ein besonderer Antrag der Staatsanwaltschaft ist hierfür nicht erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Görlitz hat die schuldlos handelnde Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und eine Waffe sowie Munition und Pfefferspray gemäß § 74 StGB eingezogen. Bei der Einziehungsentscheidung wurde durch die Strafkammer kein Ermessen ausgeübt und keine erforderlichen Feststellungen getroffen. Auch wurde durch die Staatsanwaltschaft kein Antrag auf Anordnung der Einziehung gestellt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil teilweise auf, soweit gegen die Beschuldigte die Einziehung angeordnet worden ist.

Das LG Görlitz habe verkannt, dass die Rechtsfolge nur nach § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB angeordnet werden könne und im Falle schuldlos Handelnder nicht § 74 StGB greife. Die erforderlichen Feststellungen und das der Strafkammer zustehende Ermessen seien nicht ausgeübt worden, wodurch ein Rechtsfehler vorliege.

Zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung führe hingegen nicht der fehlende Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Einziehung gemäß § 435 Abs. 1 S. 1 StPO. Anders als die bisherige Rechtsprechung des BGH, wonach die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB von einem zusätzlichen Antrag der Staatsanwaltschaft abhängig war, sei seit der Neuregelung des § 413 StPO zum 01.07.2021 kein gesonderter Antrag der Staatsanwaltschaft im Sicherungsverfahren mehr erforderlich.

Sowohl der neue Wortlaut des § 413 StPO (Ergänzung um die Worte: „sowie als Nebenfolge die Einziehung“) als auch der gesetzgeberische Wille (Vereinfachung des Verfahrens) sowie die Systematik (§§ 413 StPO als prozessuales Gegenstück zu § 71 StGB) widersprächen der Ansicht des Generalbundesanwaltes, ein Antrag sei Verfahrensvoraussetzung.

Die weitergehende Revision der Beschuldigten verwarf der BGH.

Anmerkung der Redaktion:

§ 413 StPO ist mit Wirkung zum 01.07.2021 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 geändert worden.

KriPoZ-RR, Beitrag 59/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20: Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen

Amtliche Leitsätze:

  1. Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt sich für den Staat das Verbot unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung wegen Behinderung und ein Auftrag, Menschen wirksam vor Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen.

  2. Der Schutzauftrag des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kann sich in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit zu einer konkreten Schutzpflicht verdichten. Dazu gehören die gezielte, als Angriff auf die Menschenwürde zu wertende Ausgrenzung von Personen wegen einer Behinderung, eine mit der Benachteiligung wegen Behinderung einhergehende Gefahr für hochrangige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter wie das Leben oder auch Situationen struktureller Ungleichheit. Der Schutzauftrag verdichtet sich hier, weil das Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen besteht.

  1. Dem Gesetzgeber steht auch bei der Erfüllung einer konkreten Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Entscheidend ist, dass er hinreichend wirksamen Schutz vor einer Benachteiligung wegen der Behinderung bewirkt.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen staatlicher Maßnahmen erhoben. Verbunden war die Verfassungsbeschwerde mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dieser zielte auf einen wirksamen Schutz der Beschwerdeführenden vor Benachteiligungen wegen ihrer Behinderung im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung im Laufe der Coronavirus-Pandemie ab. Der Eilantrag wurde am 16.07.2020 mit Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats mit der Begründung zurückgewiesen, dass notwendige Maßnahmen nicht ergriffen werden müssten. Zu diesem Zeitpunkt sei nicht absehbar, dass die Plätze nicht ausreichen würden, um alle Behandlungsbedürftigen zu versorgen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde an und gab ihr statt. Der Gesetzgeber habe Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verletzt, da er es unterlassen habe, für Situationen, in denen nicht für alle intensivmedizinische Ressourcen zur Verfügung stehen würden, Vorkehrungen zu treffen. Bei der Zuteilung der Ressourcen dürfe niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden.

Für Menschen mit einer Behinderung liege eine besondere Gefährdung in der Corona-Pandemie vor. Es gebe ein höheres Infektionsrisiko, schwerere Erkrankungen und im Falle einer Triage könnte es wahrscheinlicher zu tödlichen Folgen kommen.

Um in der Pandemie zu vermeiden, dass Intensivmedizin knapp werde, existierten bereits zahlreiche Verordnungen und Triage-Empfehlungen. Bindende gesetzliche Regelungen für Fälle, in denen es zu einer Triage komme, würden hingegen fehlen.

Aus dem Verbot einer Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und der hier vorliegenden bestimmten Konstellation, dass der Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) in Rede stehe, ergebe sich eine konkrete Handlungspflicht.

Der Gesetzgeber sei nun daran gehalten hierfür geeignete Vorkehrungen zu treffen. Bei der Ausgestaltung der Schutzpflicht stehe dem Gesetzgeber zwar ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, für einen wirksamen Grundrechtsschutz müssten allerdings Regelungen geschaffen werden, die schematische und stereotype Triage-Entscheidungen vermeiden, so das BVerfG. Kein zulässiges Kriterium sei die „längerfristig erwartbare Überlebensdauer.“

Anmerkung der Redaktion:

Bislang maßgeblich für die Entscheidungen von Ärzten sind die Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

Verordnung zur Regelung der technischen und organisatorischen Umsetzung der Mitwirkungspflichten nach § 2 Absatz 1a Satz 1 Nummer 4 des Artikel 10-Gesetzes (G 10-Mitwirkungsverordnung – G 10-MitwV)

Verordnungsentwurf: 

  • Verordnung des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat vom 12. Oktober 2021: BR Drs. 762/21

 

Am 9. Juli 2021 ist in weiten Teilen das Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts (BGBl. I 2021, S. 2274 ff.) in Kraft getreten. Es war Teil des von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmenpakets zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Das Gesetz beinhaltet unter anderem die Festschreibung einer ausdrücklichen Regelung zur Quellen-TKÜ. 

Zur Durchführung einer TKÜ wird eine Software auf das Endgerät der zu überwachenden Person installiert, wozu regelmäßig die Mitwirkung des Telekommunikationsunternehmens erforderlich ist. § 2 Abs. 1a S. 1 Nr. 4 des Art. 10-Gesetzes setzt hierfür bereits Unternehmenspflichten fest: 

(…) 
a) durch Mitteilung der zur Erbringung in den umgeleiteten Datenstrom erforderlichen Informationen über die Strukturen der von ihm betriebenen Telekommunikationsnetze und Telekommunikationsanlagen sowie die von ihm erbrachten Telekommunikationsdienste;

b) durch sonstige Unterstützung bei der Umleitung einschließlich der Gewährung des Zugangs zu seinen Einrichtungen während seiner üblichen Geschäftszeiten sowie der Ermöglichung der Aufstellung und des Betriebs von Geräten für die Durchführung der Maßnahme.“

Gemäß § 2 Abs. 1b des Art. 10-Gesetzes ist das BMI ermächtigt, „das Nähere zur technischen und organisatorischen Umsetzung der Mitwirkungspflichten nach Abs. 1a S. 1 Nr. 4 (durch Rechtsverordnung) zu bestimmen“. Hiervon hat es am 12. Oktober 2021 Gebrauch gemacht und einen Verordnungsentwurf zur Regelung der technischen und organisatorischen Umsetzung der Mitwirkungspflichten in den Bundestag eingebracht (BR Drs. 762/21). Am 17. Dezember 2021 beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Verordnungsentwurf und stimmte entgegen der Empfehlung des Innen- und Wirtschaftsausschusses gegen den Vorschlag des BMI. 

 

 

 

Gesetz zur Stärkung der Impfprävention

Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie: BGBl 2021, S. 5162 ff.

 

Gesetzesentwurf:

  • Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: BT Drs. 20/188

 

Am 06.12.2021 haben die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP einen Entwurf zur Stärkung der Impfprävention und weiterer Gesetzesänderungen vorgelegt. Es soll insbesondere eine einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt und der Kreis der impfberechtigten Personen erweitert werden.

Die Fraktionen sehen für Personal in Gesundheits- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung mit einem zugleich hohen Infektionsrisiko. Für Personen, die sich in diesen Tätigkeitsverhältnissen befänden, müsse bis zum 15. März 2022 ein entsprechender Nachweis vorliegen bzw. für neue Tätigkeitsverhältnisse ab dem 16. März 2022 ein solcher eingehen.

Darüber hinaus sieht der Entwurf vor, dass neben Ärzten auch Zahnärzte, Tierärzte sowie Apotheker mit entsprechenden fachlichen Voraussetzungen Schutzimpfungen vornehmen können, um eine schnelle Auffrischungsimpfung zu ermöglichen.

Am 08. Dezember 2021 fand eine öffentliche Anhörung im Hauptausschuss statt. Eine Liste der über 30 Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Prof. Dr. Kiesling begrüßt die Änderungen des Entwurfes, regt jedoch an, die Impfpflicht auch auf weitere Berufsgruppen auszuweiten (Impfpflicht für das Personal an Kitas und Schulen) und eine Befristung bis Ende 2022 zu streichen. Prof. Dr. Klafki spricht sich ebenfalls für eine Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht aus. Weder sei eine Impfpflicht per se verfassungswidrig (vgl. Masern- und Pockenimpfpflicht), noch in der konkreten Ausgestaltung des § 20a E-IfSG. Der Schutz des Lebens besonders schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen überwiege gegenüber den Grundrechtseingriffen der Adressaten. 

Änderungsanträge anderer Parteien wurden in der zweiten und dritten Lesung abgelehnt.

Am 09. Dezember 2021 fand im Hauptausschuss eine abschließende Beratung statt, in der nach sieben Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen der Entwurf angenommen wurde.

Am 10. Dezember 2021 hat der Bundestag das Gesetz beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet.

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