Lauter Verrisse

von Prof. Dr. Elisa Hoven 

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Im vergangenen Jahr haben gleich zwei Rezensionen strafrechtswissenschaftlicher Qualifikationsschriften in der Online-Zeitschrift ZIS für Aufregung gesorgt. Insbesondere die Besprechung der Habilitationsschrift von Frauke Rostalski durch Carl-Friedrich Stuckenberg gibt Anlass,[1] über die Bedeutung von Rezensionen sowie die Anforderungen an Unvoreingenommenheit und Stil zu diskutieren.[2] Einige meiner Gedanken möchte ich hier skizzieren.

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Diskurs statt Diffamierung – Über die Funktion von Buchrezensionen

von Prof. Dr. Thomas Weigend

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Die prononciert negativen Rezensionen von Monographien zweier jüngerer Strafrechtlerinnen in der Online-Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik[1] (ZIS) haben die community des Strafrechts in Aufregung versetzt. Stellungnahmen dazu wurden in der ZIS veröffentlicht,[2] und der Kriminalpolitische Kreis aus 35 deutschen StrafrechtsprofessorInnen hat sich anhand der beiden „Fälle“ auf einer internen Veranstaltung am 4. Mai 2021 mit den Aufgaben und Problemen von Buchbesprechungen beschäftigt. Der folgende Beitrag greift manche der dort geäußerten Gedanken auf, gibt aber selbstverständlich nur die Meinung des Autors wieder. Der Fokus liegt dabei nicht auf einer Beurteilung der beiden (in Ton und Inhalt durchaus unterschiedlichen) Rezensionen, sondern auf der allgemeinen Frage, was von Besprechungen strafrechtlicher Bücher geleistet werden kann und sollte – und was nicht.

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Die Kronzeugenregelung des § 4a Anti-Doping-Gesetz-E – allein ein Aufbruchsignal

von Dr. Carsten Kusche 

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Abstract
Der Deutsche Bundestag hat am 22.4.2021 in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Anti-Doping-Gesetzes vom 19.04.2021[1] beraten. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs ist die Einführung einer Kronzeugenregelung in § 4a AntiDopG-E. Danach soll auf Strafmilderung oder Absehen von Strafe hoffen können, wer als Täter einer Dopingstraftat des § 4 AntiDopG dazu beiträgt, dass               (irgend‑)ein mit der eigenen Tat in Zusammenhang stehendes Dopingdelikt eines Dritten aufgedeckt oder qualifiziertes Fremddoping verhindert wird. Der Beitrag verschafft einen ersten Überblick über den Regelungsgehalt der Vorschrift und analysiert deren rechtspolitische Durchschlagskraft. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass die Einführung einer Kronzeugenregelung aufgrund der bei (Selbst-) Dopingstraftaten geringen Aufdeckungsgefahr und deshalb überschaubaren Anreizwirkung des § 4a AntiDopG-E allein nicht geeignet ist, das Dopingproblem im Spitzensport entscheidend einzudämmen. Sie muss daher Auftakt einer umfassenderen gesellschaftlichen Dopingbekämpfung sein.

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Anforderungen an die Beweiswürdigung zur Täterschaft eines Angeklagten – BGH, Urt. 14.1.2021 – 3 StR 124/20

Urteil als Vollversion / Vorinstanz: LG Düsseldorf, Urt. v. 31.7.2018 – 111 Js 379/00 1 Ks 17/17

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[…]

Gründe:

1    Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in zwölf Fällen in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion freigesprochen und ihm eine Entschädigung wegen der gegen ihn durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen zuerkannt. Hiergegen wendet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, auf mehrere Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird. Gleichzeitig hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde gegen   die Entschädigungsentscheidung eingelegt.

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Rechtspolitische Lehren aus dem Wehrhahn-Prozess – BGH, Urt. v. 14.1.2021 – BGH 3 StR 124/20

von RA Dr. Gerd J. van Venrooy

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I. Sachverhalt

Das Revisionsurteil ist seit dem 10. März 2021 auf der BGH-Internetseite nachzulesen. In den Worten des BGH ging es um Folgendes:

„Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde am 27. Juli 2000 im Bereich des S-Bahnhofs Düsseldorf-Wehrhahn auf der Rückseite des zu den Gleisen gelegenen Geländers einer Fußgängerbrücke eine mit dem Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) befüllte Rohrbombe zur Explosion gebracht. Der Sprengkörper war nicht industriell hergestellt, mit einem externen Zündmechanismus versehen und wurde mit einer funkgesteuerten Fernzündung ausgelöst. Zum Zeitpunkt der Explosion befand sich auf der Fußgängerbrücke eine Gruppe aus Russland, der Ukraine und Aserbaidschan stammender Personen – davon vier jüdischer Abstammung –, die zuvor eine anliegende Sprachschule besucht hatte. Zehn dieser Personen wurden von den durch die Sprengung ausgelösten Splittern – teilweise lebensgefährlich – verletzt. Eine im sechsten Monat schwangere Geschädigte verlor ihr Kind. Der rechtsradikal eingestellte Angeklagte, der längere Zeit als Berufssoldat tätig gewesen war, wohnte rund 500 Meter vom Explosionsort entfernt und war Inhaber einer unweit gelegenen Militariahandlung. Er befand sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Nähe des Tatorts. Dass er die Explosion ausgelöst hatte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.“

II. Notwendiger Freispruch

In der Tat: Dass der Angeklagte die Explosion ausgelöst hätte, „hat die Strafkammer nicht festgestellt“. Es war abzusehen, dass der Prozess so enden würde, und zwar von vornherein. Nicht einmal ein Fehl-Geständnis des Angeklagten, wie es nicht selten vorkommt, hätte zu einer anderen Einschätzung führen können. Mehr als schwache Mutmaßungen und „Zeugen“ in Anführungszeichen hatte der Angeklagte nicht gegen sich. Ob es überhaupt einen einzigen außerhalb des Strafrechtssystems und der Medien Stehenden gab, der an die Täterschaft des Angeklagten geglaubt hätte, darf bezweifelt werden. Die Strafkammer jedenfalls gehörte nicht dazu. Und die Bundesanwaltschaft genauso wenig; laut BGH-Urteil vertrat sie nämlich die Revision der Staatsanwaltschaft nicht. Der BGH schließlich gab der Strafkammer in knappen Worten recht.

In eine solche Lage kann jeder geraten. Grund ist § 200 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO, der für den Inhalt der Anklageschrift nur recht großzügige Vorgaben macht. Diese Stelle beschreibt gründlicher und erlebbarer als der gesamte GG-Grundrechtskatalog, wie in diesem Land die Freiheit eingestuft wird. Eine Reform ist überfällig, etwa mit folgender Formulierung:

„§ 200 Abs. 1 Satz 1 und 2 werden durch folgende Sätze 1 bis 3 ersetzt: Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung anhand einer Herleitung aus den gesetzlichen Merkmalen der Straftat und der anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). Die Beweismittel sind dem Anklagesatz so zuzuordnen, dass erkennbar ist, welche Umstände mit jedem von ihnen bewiesen werden sollen. In ihr sind ferner das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben.“

Auf einer solchen Basis würde die Zahl gerichtlicher Nichteröffnungsbeschlüsse (§ 204 Abs. 1 StPO) nach oben schnellen. Das wäre schon einmal ein gutes Zwischenergebnis. Die Entwicklung würde auf längere Sicht dahin gehen, dass deutlich weniger Anklageschriften verfasst würden; das hätte auch Personaleinsparungen zur Folge.

III. Öffentliche Vorverurteilung

Die Strafkammer blieb stets unbeeindruckt von der Ablehnung, die dem Angeklagten in der Öffentlichkeit entgegengebracht wurde, insbesondere nachdem sie noch während der Hauptverhandlung den Haftbefehl aufgehoben hatte mit der zutreffenden Begründung, der Verdacht gegen ihn sei nicht mehr dringend (§ 120 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StPO). Die Medien hätten ihn gern verurteilt gesehen und kritisierten demnach auch die Haftentscheidung, wahrscheinlich weil sie die vorprozessuale Presseverlautbarung der Kriminalpolizei über ihre Ermittlungen positiv kommentiert hatten und sich jetzt ins Unrecht gesetzt sahen.

Das Thema „öffentliche Vorverurteilung“ ist alles andere als neu. Aber dieser Fall weist eindrücklich darauf hin, dass es noch lange nicht bewältigt ist. Man glaubt gern jeder Strafkammer, dass sie darauf nicht hereinfällt. Aber auch ohne ein derartiges Fehlverhalten leidet die Lebensgestaltung eines nicht in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten erheblich unter einer solchen Situation. Dieser sah sich nach Aufhebung des Haftbefehls veranlasst, sich zwischen den Hauptverhandlungsterminen zu verstecken (was wiederum als Haftgrund nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StPO hätte aufgefasst werden können, wenn es nicht mit der Strafkammer abgestimmt war). Und er musste sich von den Medien die Frage gefallen lassen, ob er jetzt in irgendeinem Zelt hinter dem Landgericht (wo es in der Tat ein entsprechendes, teilweise benutztes offenes Gelände gibt) sein Essen zubereite. Die Berichterstattung über den Freispruch und die Verwerfung der Revision durch den BGH blieb auf eben diesem Niveau. Von einer Reaktion des Deutschen Presserats war nichts zu vernehmen. Ebenso stumm blieb der NRW-Ministerpräsident als Inhaber der Rechtsaufsicht über den WDR nach § 54 Abs. 1 Satz 1 WDR-Gesetz. Und er hätte Grund gehabt, laut zu werden: Den Umstand, dass der Angeklagte sich gegen die Vorwürfe aus der Anklageschrift verteidigte, als „Erzählen von Räuberpistolen“ zu bezeichnen, verstieß glatt gegen die persönliche Ehre des Angeklagten (§ 5 Abs. 1 S. 2 WDR-Gesetz) und seine Menschenwürde (§ 5 Abs. 2 WDR-Gesetz).

Das darf so nicht weitergehen. Es muss zumindest dafür gesorgt werden, dass die Medien nicht offen Stimmung machen gegen einen Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten. Angesichts der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) ist das problematisch, aber eine Abwägung mit den Interessen einer solchen Person (Art. 5 Abs. 3 GG) sollte doch wenigstens ermöglichen, Wertungen anderer Art als juristischer zu untersagen, solange keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist. Eine entsprechende Bestimmung würde im Sachzusammenhang mit der StPO stehen, könnte also dort oder bei § 169 GVG ihren Platz bekommen. Aber angesichts der Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Pressewesen würde man vielleicht eher dort nach einer Regelung suchen. Im Landespressegesetz NRW wäre § 6 über die Sorgfaltspflicht der Presse um folgenden Abs. 2 zu ergänzen:

„Wenn die Presse über Strafverfahren berichtet, darf sie über die Person des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten (§ 157 der Strafprozessordnung), solange dieser nicht rechtskräftig verurteilt ist, nur Tatsachen verbreiten.“

Die Ordnungswidrigkeitenbestimmung des § 23 wäre in Abs. 1 um folgende Nr. 2a zu ergänzen:

„2a. gegen die Verpflichtung aus § 6 Abs. 2 verstößt,“

Für die weiteren Landesgesetze über Presse, Rundfunk, Fernsehen und sonstige Medien sowie einschlägige Staatsverträge würde Paralleles gelten.

IV. Ankündigungs- und Einräumungszeugen

Der Angeklagte sollte zwei Zeuginnen gegenüber den Anschlag angekündigt und ihn gegenüber zwei weiteren Zeugen eingeräumt haben. Die Strafkammer glaubte diesen vier Zeugen nicht. Einer der beiden Einräumungszeugen verzichtete öffentlichkeitswirksam auf die Belohnung, die für die Ergreifung der Tatperson(en) ausgesetzt war, zugunsten der Opfer. Die Medien sahen das als Beleg seiner Glaubwürdigkeit. Das Gegenteil war selbstverständlich richtig. Wegen Betrugs vorbestraft (§ 68a Abs. 2 S. 2 StPO), konnte er mit seiner Erklärung eigentlich nur einen Umkehrschluss provozieren. Die Strafkammer hatte ihn aber ohnehin schon vor seiner Zusage für unglaubwürdig gehalten. Bemerkenswert ist es, dass die Strafkammer bei keinem der beiden Einräumungszeugen ein „Motiv für eine Falschbelastung“ feststellen konnte. Umso schwerer wiegt es, dass sie ihnen keine Glaubwürdigkeit zubilligte. Es zeigt aber auch, wie gefährlich die beiden Zeugen waren. – Hinsichtlich der beiden Ankündigungszeuginnen sah die Strafkammer keine andere Beurteilungsgrundlage. – Der BGH fasst zusammen: „Auch dass insgesamt vier Personen von Bemerkungen des Angeklagten berichtet haben, die auf seine Tatbegehung hätten hinweisen können, hat die Strafkammer erwogen. Die Bewertung, dass dennoch keiner der Aussagen gefolgt werden konnte, ist nicht zu beanstanden.“

Die Beweiswürdigung der Strafkammer zeigt, dass eine solche Situation gut handhabbar ist. Der „Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung“ des § 261 StPO hat in diesem Fall mithin nicht versagt. Gleichwohl drängt sich eine Ergänzung des § 338 StPO über „Absolute Revisionsgründe“ auf, damit eine bedrohliche Beweiswürdigungslage wie diese stets besondere Aufmerksamkeit erfährt. § 338 StPO würde also um eine Nr. 7a ergänzt:

„7a. wenn das Urteil ausschließlich auf der Aussage eines Zeugen beruht, nach dessen Aussage der Angeklagte die Tat, derentwegen er verurteilt worden ist, ihm gegenüber angekündigt oder eingeräumt hat, oder wenn nicht auszuschließen ist, dass das Urteil ausschließlich auf der Aussage beruht;“

V. Haftgründe

Der Angeklagte hatte geraume Zeit in der Untersuchungshaft verbringen müssen. Der Fehler liegt in § 112 Abs. 3 StPO, wonach gegen eine Person, die (unter anderem) des Mordes dringend verdächtig ist, die Haft auch ohne „Haftgrund nach Abs. 2“ angeordnet werden darf. Die in § 112 Abs. 2 StPO aufgelisteten, ohnehin schon ausufernden, also alle nur denkbaren Sicherheitsbelange überkompensierenden Haftgründe genügen vollkommen. Folgerichtig würde ein StPO-Änderungsgesetz lauten: 

„§ 112 Abs. 3 wird aufgehoben.“

VI. Ermittlungserwägungen

Soweit das von außen nachvollzogen werden konnte, ließen die vorprozessualen Ermittlungen einige auf der Hand liegende Fragen offen. Vor allem scheint nicht darüber nachgedacht worden zu sein, ob von dem Anschlag tatsächlich die Opfer getroffen werden sollten oder wirklich alle: Der in Betracht kommende Täterkreis ändert sich zwangsläufig, wenn vielleicht nur eine Person aus dieser Gruppe das Ziel des Anschlags war und Tod oder Verletzung der anderen lediglich in Kauf genommen wurden – oder wenn im äußersten Fall die Bombe aus Tätersicht bei einer „falschen“ Gruppe zur Explosion gebracht wurde. Das nähme der Tat zwar weder ihre Tragweite noch ihre rechtliche Einstufung als versuchter Mord; die mögliche Motivlage würde sich jedoch ganz anders darstellen. – Auch der Ort, von dem aus die Rohrbombe gezündet worden sein soll, steht keineswegs außer Zweifel. Laut Anklage soll die Zündung von einer Person vorgenommen worden sein, die auf einem Verteilerkasten saß und von dort die Stelle im Blick hatte, wo die Bombe befestigt war. Um einiges näher liegt die Annahme, dass sie gezündet wurde aus einem der vielen Häuser, von denen aus man den Platz einsehen kann, ohne selbst gesehen zu werden. – Ebenso wenig ist wohl untersucht worden, ob es Zeugen für das Anbringen der Bombe gab, mag es auch nicht erkennbar gewesen sein, dass es um eine Bombe ging. Immerhin steht im BGH-Urteil über den Angeklagten der Satz: „Er befand sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Nähe des Tatorts.“

Wenn alles so war, wie es sich dem neutralen Beobachter darstellte, besteht wiederum legislativer Handlungsbedarf, auch wenn die Sicht der Strafkammer davon nicht beeinträchtigt wurde. Das BGH-Urteil berichtet von einer „operativen Fallanalyse“, in der aber „nicht die Person des Angeklagten, sondern die eines potentiellen Täters beschrieben wird“. Vielleicht wäre man nach einer Lektüre der Fallanalyse klüger. Verlassen sollte man sich jedoch nicht darauf. Demnach würde man § 338 StPO um eine Nr. 7b ergänzen:

„7b. wenn das Urteil auf einer Annahme beruht, die nicht zwingend ist, oder wenn nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf der Annahme beruht;“

Ein solcher Vorschlag mag wegen des auch strafrechtlichen BGH-Grundsatzes (wohl zuletzt ausformuliert im Urt. v. 25.10.2012 – 4 StR 346/12), Denkfehler der Vor-instanz als Revisionsgrund zu behandeln, überflüssig erscheinen. Doch wäre sinngemäße Erst-Adressatin dieser Nr. 7b die Kriminalpolizei, die sich daran orientieren könnte, bevor sie nach § 163 Abs. 2 S. 1 StPO „ihre Verhandlungen“ der Staatsanwaltschaft übersendet. Auch dadurch würde die Zahl der Anklageschriften reduziert.

VII. Fazit

Die Tat ist lange her, mittlerweile rund 21 Jahre. Man sollte trotzdem hoffen, auch wenn der Glaube daran schwerfällt, dass irgendwann doch noch festgestellt wird, wem sie zur Last gelegt werden muss; Verjährung droht nicht, § 78 Abs. 2 StGB. Gegen eine Anklage, die Hand und Fuß hätte, wäre aus juristischer Sicht gewiss nichts einzuwenden. Auf den Freispruch reagierte die Kriminalpolizei konsensfähig: „Weiter ermitteln.“

 

 

 

Nathalie Isabelle Thorhauer: Jurisdiktionskonflikte im Rahmen transnationaler Kriminalität – Zur Koordination der Strafgewalten über nationale Personen und Unternehmen in der Europäischen Union

von Oliver Michaelis, LL.M., LL.M. 

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2019, Nomos Verlag, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-5396-3, S. 853, Euro 146,00

I. Einleitung 

Thorhauer gliedert ihre Arbeit in eine Einleitung, acht Themenkapitel (Kapitel 1-8, S. 60-794) und ihr Ergebnis (S. 795-803).

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Mani Jaleesi: Die Kriminalisierung von Manipulationen im Sport – Eine Untersuchung zum Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben gem. § 265c und § 265d StGB

von Dipl.-Jur. Till Pörner

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2020, Nomos Verlag, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-6662-8, S. 321, Euro 84,00

I. Einleitung

Mani Jaleesi widmete sich in seinem Promotionsvorhaben mit den Strafvorschriften zum Sportwettbetrug und Manipulationen im Sport einem Untersuchungsgegenstand, welcher in der jüngeren Vergangenheit Inhalt einer Vielzahl weiterer Publikationen war. So wurde die Einfügung der §§ 265c ff. StGB in das Kernstrafrecht seitens der Rechtswissenschaft von Beginn an kontrovers diskutiert. An dieser Stelle setzt daher auch Jaleesi an, dessen 321 Seiten langes Werk unter der Betreuung von Prof. Dr. Gereon Wolters 2019 an der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen wurde.

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KriPoZ-RR, Beitrag 41/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.04.2021 – 3 StR 300/20: Fristsetzung für Beweisanträge auch bei Wiedereintritt in Beweisaufnahme

Amtliche Leitsätze:

  1. Bestimmt der Vorsitzende des Tatgerichts nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen, steht einer Bescheidung von nach deren Ablauf gestellten Beweisanträgen im Urteil nicht grundsätzlich entgegen, dass wieder in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist. Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht für solche Beweisanträge, die sich erst aus der Beweisaufnahme nach Wiedereintritt ergeben.

  2. Hierzu sind regelmäßig Darlegungen im Beweisantrag erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung und Diebstahls verurteilt. Der erhobenen Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Im Hauptverfahren hatte die Vorsitzende der Strafkammer eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge bis zum 21. Mai 2019 gesetzt, nach deren Ablauf die Beweisanträge im Urteil beschieden werden könnten. Am 17. Juni 2019, also nach Fristablauf hatte der Angeklagte weitere Beweisanträge gestellt. Am 15. Juli war die Kammer erneut in die Beweisaufnahme eingetreten, woraufhin der Angeklagte am 19. August und 3. September 2019 weitere Beweisanträge gestellt hatte. Die Beweisaufnahme war endgültig am 24. Oktober 2019 geschlossen worden. Alle nach Fristablauf vom Angeklagten gestellten Beweisanträge sind dann jedoch nicht durch Beschluss in der Hauptverhandlung, sondern im Urteil beschieden worden.

Der Angeklagte hat hierin einen Verstoß gegen § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO gesehen und Verfahrensrüge erhoben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Revision für unbegründet.

Zwar brauche es grundsätzlich nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO einen Ablehnungsbeschluss vor dem Ende der Beweisaufnahme, allerdings sei die Norm durch das Gesetz zu effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens dahingehend geändert worden, dass nach einer angemessenen Frist für weitere Beweisanträge nach der Beweisaufnahme auch die Bescheidung von nicht mehr fristwahrenden Anträgen im Urteil möglich sei.

Auch, wenn nach Fristablauf wieder in die Beweisaufnahme eingetreten werde und weitere Beweise erhoben würden, könne das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so der BGH. Dies ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut des § 244 Abs. 6 Satz 3, bzw. nach den Änderungen des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens, Satz 4 StPO. Dieser erfordere im Tatbestand lediglich Beweisanträge nach Fristablauf und keine Unmöglichkeit der fristgemäßen Stellung. Diese Voraussetzungen seien auch erfüllt, wenn nach Fristablauf noch weitere Beweise erhoben würden.

Dieses Verständnis stimmte auch mit dem Willen des Gesetzgebers überein, der im Gesetzgebungsverfahren für den Fall eines erneuten Eintritts in die Beweisaufnahme ausgedrückt hätte, dass eine erneute Frist nur für solche Beweisanträge gesetzt werden müsse, die sich aus den Informationen der erneuten Beweisaufnahme ergeben hätten.

Für alle anderen Beweisanträge sollte die ursprüngliche Frist ihre Wirkung behalten.

Diese Auslegung stimme auch mit Sinn und Zweck der Gesetzesänderung durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens überein, da so eine Verfahrensverzögerung mit Beweisanträgen verhindert werden könne und gleichzeitig das Beweisantragsrecht für Antrage, die sich aus der weiteren Beweisaufnahme ergeben, nicht beschnitten werde.

Da es durch diese Auslegung zu Unsicherheiten darüber kommen könne, ob ein Beweisantrag, der nach Fristablauf gestellt wurde, nun auf Erkenntnissen der weiteren Beweisaufnahme beruhe oder nicht, müsse ein solcher Zusammenhang im Beweisantrag dargelegt werden.

Dieses Ergebnis laufe auch nicht dem Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren zuwider.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alle Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 finden Sie hier.

Informationen zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019, welches die hier in Rede stehende Regelung allerdings inhaltlich nicht verändert hat, finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 40/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 25.02.2021 – 1 StR 423/20: Kostenentscheidung und Einziehung

Amtlicher Leitsatz:

Zur Kostenentscheidung bei Verringerung der Einziehung durch das Revisionsgericht.

Sachverhalt:

Das LG Mannheim hat die Angeklagten jeweils wegen Marktmanipulation verurteilt und Einziehungsanordnungen getroffen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten eine informations- und handlungsgestützte Manipulation beim Aktienhandel begangen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Einziehungsentscheidungen auf.

Indem das LG sämtliche von den Angeklagten erzielten Erlöse aus dem Verkauf ihrer Aktien abgeschöpft hat, habe es einen sachlichrechtlichen Fehler begangen.

Die von den Angeklagten begangene informations- und handlungsgestützte Manipulation rechtfertige, im Gegensatz zur handelsgestützten, lediglich die Einziehung der Wertsteigerung der Aktien, nicht jedoch den gesamten Erlös aus dem Aktienverkauf, da dieser an sich nicht tatbestandsmäßig ist.

Daher sei der einzuziehende Betrag zu verringern.

Die Kostenentscheidung über die zusätzlichen Verfahrenskosten, die lediglich die Einziehungsentscheidung betreffen, beruhe für das Revisionsverfahren auf § 473 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO und im Übrigen auf § 465 Abs. 2 und § 464d StPO, so der BGH.

Da sich der Einziehungsumfang für die Angeklagten erheblich verringert habe, müsse sich dieser Teilerfolg auch in der Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO niederschlagen. Daher sei die zusätzliche Rechtsanwaltsgebühr (Nr. 4142 der Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 zum RVG) anzupassen und die zusätzlich entstehende Gerichtsgebühr (Teil 3 Hauptabschnitt 4 Vorbemerkung 3.4 Abs. 1 Satz 2 Abschnitt 4 Nr. 3440 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) zu ermäßigen. Dies folge daraus, dass die Angeklagten den zunächst höheren Gebührenbetrag nicht veranlasst hätten.

Gleiches gelte für die zusätzlichen Verteidigergebühren im Verfahren der ersten Instanz. Auch diese Differenz zum eigentlichen Betrag haben die Angeklagten nicht veranlasst, da sie sich anhand der Höhe des Einziehungsbetrags bemesse.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 39/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 30.03.2021 – 3 StR 474/19: Zur Einziehung von Taterträgen bei juristischen Personen

Amtliche Leitsätze:

  1. Erteilte Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz sind nicht deshalb strafrechtlich unbeachtlich, weil sie durch die Vorlage falscher amtlicher Endverbleibserklärungen erschlichen wurden.

  2. Der Einziehung von Taterträgen bei einer juristischen Person gemäß § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nF steht nicht entgegen, dass deren Organwalter bei Erlangung des Vorteils gutgläubig waren.

  3. Das bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten zu beachtende Abzugsverbot (§ 73d Abs. 1 Satz 2 StGB nF) gilt auch für einen gutgläubigen Drittbegünstigten.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten S. wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einstellung zweier Vorwürfe wegen Verjährung und Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Die Angeklagte B. hat es wegen Beihilfe zur bandenmäßigen Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in drei Fällen, davon in einem Fall in sechs tateinheitlichen Fällen sowie in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben hat es gegen die Einziehungsbeteiligte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.730.044€ angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten als Angestellte eines Waffenherstellers Verträge über Waffenlieferungen mit der mexikanischen Regierung abgeschlossen. Als Grundlage für die Ausfuhrgenehmigung der Waffen hatte die Regierung bescheinigt, dass die Waffen in Mexiko verbleiben würden und lediglich in solchen Bundesstaaten eingesetzt würden, die von der deutschen Regierung als unproblematisch eingestuft werden.

Die Angeklagten hatten damit gerechnet, dass diese Endverbleibserklärungen hinsichtlich konkreter Bundesstaaten unrichtig sein könnten. Sie waren jedoch nicht davon ausgegangen, dass der Verbleib in den konkret angegebenen Bundesstaaten Inhalt der jeweiligen Ausfuhrgenehmigung geworden war.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Verurteilungen für rechtsfehlerfrei. Das LG habe den Inhalt der verwaltungsrechtlichen Genehmigung revisionsrechtlich unproblematisch ausgelegt und sei zu dem tragbaren Ergebnis gekommen, dass die Verwendung der Gewehre in konkreten Bundesstaaten nicht Bestandteil der Genehmigung geworden sei.

Dass die Genehmigung, an dessen Nichtbestehen die Strafbarkeit geknüpft werde, mit Hilfe unrichtiger Angaben erschlichen worden sei, ändere an diesem Ergebnis nichts.

Auch bei rechtsmissbräuchlich erlangten Genehmigungen sei kein Handeln ohne Genehmigung anzunehmen. Eine unter unrichtigen Angaben erteilte Genehmigung sei zwar rechtswidrig, allerdings nicht nichtig und behalte somit auch im Strafrecht ihre Gültigkeit bis sie widerrufen oder zurückgenommen werde, so der BGH.

Der Streit, ob eine Durchbrechung der Verwaltungsakzessorietät in solchen Fällen angezeigt sei, in denen die behördliche Genehmigung lediglich eine Rechtfertigung bilde und nicht die Tatbestandsmäßigkeit entfallen lasse, könne hier dahinstehen.

Denn im KrWaffKG gebe es Regelungen, die eine erschlichene Genehmigung einer nicht vorhandenen Genehmigung gleichstellten. In den für diesen Fall relevanten Normen, habe der Gesetzgeber jedoch bewusst auf diese Gleichstellung verzichtet. Daher könne davon ausgegangen werden, dass die Verwaltungsakzessorietät nicht durchbrochen werden sollte.

Hinsichtlich der Einziehungsentscheidung führte der BGH aus, dass die Voraussetzungen des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB auch dann erfüllt seien, wenn der Drittbegünstigte bei Erlangung des Vorteils gutgläubig gewesen sei. Dies sie bereits nach alter Rechtslage der Fall gewesen, was der Gesetzgeber mit der Reform der Vermögensabschöpfung auch nicht habe ändern wollen.

Ebenfalls ändere die Gutgläubigkeit der Einziehungsbeteiligten nichts an der Anwendung des Bruttoprinzips und der Ausnahme des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB. Bei der Einziehung handele es sich auch nach der Gesetzesreform nicht um eine Maßnahme mit strafähnlichem Charakter, sodass es auf ein schuldhaftes Verhalten des Drittbegünstigten und eine etwaige Gutgläubigkeit seiner Organe nicht ankommen könne. Etwas anderes folge auch nicht aus der Streichung der Härtefallklausel in § 73c Abs. 1 StGB aF, da diese Streichung vom Gesetzgeber bewusst nicht mit einer Ausnahme beim Bruttoprinzip kompensiert worden sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alles zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung finden Sie hier.

 

 

 

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