KriPoZ-RR, Beitrag 51/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.07.2019 – 1 StR 363/18: Hinweispflicht auf mögliche Nebenfolge nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlich

Leitsatz der Redaktion:

Nach dem klaren Wortlaut des neu gefassten § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist ein Hinweis nach Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes auch bei der möglichen Anordnung von Nebenfolgen erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Neuruppin hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt und ihm das Recht, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen für 3 Jahre aberkannt.

Gegen die Anordnung dieser Nebenfolge nach §§ 375 Abs. 1 AO, 45 Abs. 2 StGB hat der Angeklagte Verfahrensrüge erhoben.

Die Möglichkeit, dass eine solche Nebenfolge angeordnet werden kann, war in der Anklageschrift nicht thematisiert worden, da der Angeklagte erst ca. drei Monate nach Anklageerhebung als Abgeordneter Mitglied eines Landtags geworden war. Auch während des Prozesses war kein dahingehender Hinweis von Seiten des Gerichts erfolgt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Verfahrensrüge für begründet, da ein Verstoß gegen § 265 Abs. 1 Nr. 1 iVm Abs. 1 StPO vorliege.

Durch die Änderung der Norm durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens habe der Gesetzgeber explizit auch Nebenstrafen und –folgen in den Anwendungsbereich der Norm aufnehmen wollen. Begründet worden sei dies damit, dass auch Nebenstrafen und –folgen für den Täter erhebliche Einschränkungen bedeuten könnten, was einen Hinweis aufgrund von Art. 103 Abs. 1 GG und des Fair Trial-Grundsatzes erforderlich mache, um dem Angeklagten eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen.

Auf eine entsprechende Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO komme es somit nicht mehr an und die frühere, eine Hinweispflicht verneinende Rechtsprechung, sei überholt.

Da ein Hinweis durch das Gericht unterblieben gewesen war, aber förmlich hätte erteilt werden müssen, sei das Urteil insoweit aufzuheben gewesen, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens finden Sie hier.

Beispiele für die frühere Rechtsprechung des BGH finden Sie hier.

Weitere KriPoZ-RR Beiträge zu § 265 StPO:

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019

KriPoZ-RR, Beitrag 46/2019

KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019

Sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) und Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB)

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Schlechte Gesetze beschädigen das Ansehen des Rechts und des Rechtsstaats. Sie diskreditieren die Legislative und zwingen die Rechtsanwendenden zu Entscheidungen auf Grundlage von Gesetzen, denen – weil sie so schlecht sind – kein Respekt entgegengebracht wird. Adressaten solcher Gesetze, die diese übertreten, Mangel an Normtreue und Gesetzesgehorsam vorzuwerfen, ist nur mit schlechtem Gewissen möglich. § 184i StGB und § 184j StGB sind zwei Anschauungsobjekte aus der neueren Produktion der Legislative, die besser so nicht das Licht der Welt erblickt hätten. Im Folgenden wird die Mängelliste, die sich bereits in StGB-Kommentaren und anderen Publikationen findet, um einige Punkte erweitert.

weiterlesen …

Schon wieder: Der „Gaffer“ im Blickpunkt des Referentenentwurfs des Bundesjustizministeriums vom 9. September 2019

von Dr. Maximilian Lenk 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Das Bundesjustizministerium hat am 9. September 2019 einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes von Verstorbenen“ veröffentlicht, mit dem erneut dem Phänomen des „Gaffens“ begegnet werden soll. Der folgende Beitrag beleuchtet die geplanten Neuerungen, arbeitet die damit einhergehenden Probleme heraus und zeigt zum Schluss einen alternativen Regelungsvorschlag auf.

weiterlesen …

Strafbarkeit der Bildaufnahmen des Intimbereichs durch sog. Upskirting

von Prof. Dr. Jörg Eisele und Wiss. Mit. Maren Straub 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Die Strafbarkeit des Anfertigens von Bildaufnahmen des Intimbereichs durch sog. Upskirting ist ein Phänomen, das in jüngerer Zeit aufgrund medialer Berichterstattung zum Thema breiter öffentlicher Debatten wurde. Inzwischen wurden über den Bundesrat sowie durch die Bundesregierung zwei Gesetzentwürfe für einen neuen Straftatbestand vorgelegt. Der nachfolgende Beitrag setzt sich nicht nur kritisch mit diesen Gesetzentwürfen auseinander, sondern bettet solche Verhaltensweisen in einen größeren Kontext ein.

weiterlesen …

Entwurf eines Gesetzes zur Nutzung audio-visueller Aufzeichnungen in Strafprozessen (BT-Drs. 19/11090)

von RA und Fachanwalt für Strafrecht Prof. Dr. Jan Bockemühl 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Das über eine Sitzung in Strafsachen zu erstellende Hauptverhandlungsprotokoll entfaltet gemäß § 274 StPO sowohl negative als auch positive Beweiskraft. Inhaltlich werden nach der lex lata allerdings lediglich die wesentlichen Förmlichkeiten protokolliert. Eine (wörtliche) Dokumentation des Inhalts von Zeugenaussagen oder Sachverständigengutachten findet nicht statt. Nunmehr liegen zwei Gesetzesentwürfe vor, die eine wörtliche Protokollierung der strafrechtlichen Sitzungen zumindest in erstinstanzlichen Verfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten vorschlagen.

weiterlesen …

Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.): Vollzug für das 21. Jahrhundert. Symposium anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Justizvollzugsanstalt Waldheim

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

Beitrag als PDF Version 

2019, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-4787-0, S. 129, Euro 42,00.

Der Tagungsband gibt die Vorträge wieder, die anlässlich des Symposiums „Vollzug für das 21. Jahrhundert“ in der JVA Waldheim gehalten worden sind.

weiterlesen …

Defence Counsel at the International Criminal Tribunals 

von RAin Pia Bruckschen 

Beitrag als PDF Version 

Am 26. Januar 2019 fand auf Einladung des „ICDL Germany e.V.“, einem Zusammenschluss von Strafverteidigern und Wissenschaftlern mit Interesse für das Wirken der internationalen Strafjustiz, die bereits 13. Auflage der Konferenz „Defence Counsel at the International Criminal Tribunals“ in den Räumlichkeiten des Hotels Intercontinental in Berlin statt. Die Veranstaltung wurde gefördert von der RAK Berlin. Wissenschaftler und Praktiker aus dem In- und Ausland fanden sich zur Diskussion und Analyse aktueller Probleme und Erfahrungen in Zusammenhang mit den Entwicklungen und Verfahren vor den Internationalen Gerichtshöfen zusammen. Auch dieses Jahr war die Konferenz von einem intensiven Erfahrungsaustausch mit an den Tribunalen praktizierenden Juristen als auch von der Diskussion erheblicher verfahrensrechtlicher und tatsächlicher Problematiken – neuer oder altbekannter Art – geprägt.

weiterlesen …

KriPoZ-RR, Beitrag 50/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 03.09.2019 – 3 StR 291/19: Einführung von DNA-Gutachten im Selbstleseverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Liegt kein Einverständnis des Angeklagten vor, kann ein von einem nicht allgemein vereidigten Sachverständigen erstelltes DNA-Gutachten, nicht im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingebracht werden.

Sachverhalt:

Das LG Wuppertal hat den Angeklagten wegen mehreren Wohnungseinbruchdiebstählen verurteilt.

Während der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO unter anderem auch für acht DNA-Gutachten angeordnet. Die Gutachten waren von privaten und nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO vereidigten Sachverständigen erstellt worden und hatten maßgeblich zur Verurteilung durch das LG beigetragen.

Ein ausdrückliches Einverständnis hatten weder der Angeklagte noch sein Verteidiger erklärt. Ein Widerspruch gegen die Verlesung war ebenfalls nicht erhoben worden.

Gegen diese Verfahrensweise hat der Angeklagte die Verfahrensrüge erhoben und eine Verletzung von § 250 StPO gerügt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH sah die Rüge als begründet an, da das LG den Grundsatz der persönlichen Vernehmung (§ 250 StPO) umgangen habe.

Die beiden einzig in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände – § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO und § 256 Abs. 1 Nr. 1 StPO – seien nicht erfüllt gewesen, sodass das Tatgericht die Sachverständigen persönlich in der Hauptverhandlung hätte befragen müssen.

Ein ausdrücklich erklärtes Einverständnis iSd § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO des Angeklagten habe nicht vorgelegen. Die Einlassung des Verteidigers, dem Selbstleseverfahren nicht entgegenzutreten, sei lediglich dahingehend zu verstehen gewesen, dass er mit den Modalitäten des Selbstleseverfahren einverstanden sei und sein Mandant die Urkunden auch als Nichtmuttersprachler lesen und verstehen könne.

Eine Aussage zum „Ob“ der Verlesung der Urkunden im Selbstleseverfahren sei hierin nicht zu sehen, so der BGH.

Auch eine konkludente oder stillschweigende Zustimmung sei nicht anzunehmen gewesen, da das Erfordernis eines Einverständnisses nie in der Verhandlung thematisiert worden sei und man daher nicht davon ausgehen dürfe, dass die Beteiligten die Tragweite ihres Schweigens realisiert hätten. Zudem hätte ein solches stillschweigendes Einverständnis auch im Zeitpunkt der Anordnung der Verlesung bereits bestehen müssen. Da der Vorsitzende aber erst in der Anordnung des Selbstleseverfahrens die betroffenen Urkunden benannt hatte, habe den Beteiligten die Möglichkeit gefehlt, ein Einverständnis bezogen auf die zur Verlesung bestimmten Urkunden zu erklären.

§ 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO sei schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich bei den Gutachtern nicht um allgemein vereidigte Sachverständige gehandelt habe. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm komme nicht in Betracht, da diese als Ausnahmevorschrift zu § 250 StPO eng auszulegen sei und somit die Reputation der Gutachter keine Rolle spiele. Es komme gerade auf die im Vereidigungsverfahren geprüfte sachliche und persönliche Befähigung des Sachverständigen an, die ihn mit einer Autorität ausstatteten, welche eine Gleichstellung mit einer öffentlichen Behörde (vgl. § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO) rechtfertige. Werde das Vereidigungsverfahren nicht durchlaufen, sei daher für die Ausnahme kein Raum.

Schließlich sei eine Beanstandung gemäß § 238 Abs. 2 StPO nicht erforderlich gewesen, da nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO der gesamte Spruchkörper über eine Verlesung zu entscheiden habe, was die Rüge einer Verletzung des § 251 Abs. 1 StPO ohne vorherige Beanstandung ermögliche. Zum anderen hätte der Vorsitzende bei der Stützung seines Vorgehens auf § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO zwingendes Recht ohne eigenen Ermessenspielraum anwenden müssen. Die Rüge der Verletzung solch zwingenden Rechts sei auch ohne Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO möglich.

Damit verstoße das Vorgehen des LG gegen § 250 StPO.

Anmerkung der Redaktion:

Schon in früheren Urteilen hat der BGH klargestellt, dass die gesetzlichen Ausnahmen zu § 250 StPO eng auszulegen und nur in besonderen Fällen zu erweitern sind.

Beispiele für diese Rechtsprechung finden Sie hier und hier.

An dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber auch mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens nichts ändern wollen.

Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Harmonisierung von § 252 Strafgesetzbuch

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktion der AfD hat am 8. November 2019 einen Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Harmonisierung von § 252 StGB in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/14764). 

Hintergrund ist die mit dem 6. StrRG (BT Drs. 13/7164) in die Tatbestände der §§ 242, 249 StGB eingefügte Drittzueignungsabsicht. Im Vergleich dazu sieht § 252 StGB für den subjektiven Tatbestand neben dem Vorsatz, der sich auf den Diebstahl und die Nötigung beziehen muss, nur die Absicht der Sicherung des Eigenbesitzes vor. Die reine Drittzueignungsabsicht reicht hier gerade nicht aus. Die Fraktion sieht darin eine Strafbarkeitslücke, die aufgrund der Nähe des Räuberischen Diebstahl zum Raub geschlossen werden müsse. 

Bereits am 15. Januar 2020 hat der Rechtsausschuss zu einer Ablehnung des Entwurfs der AfD geraten (BT Drs. 19/16541). Ein gleichlautender Beschluss wurde am 23. Juni 2021 durch den Bundestag ohne weitere Aussprache in einer abschließenden Beratung gefasst. 

 

 

 

Betäubungsmittel für den Eigengebrauch

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktion Die Linke hat am 8. November 2019 einen Antrag zur Festlegung einer bundeseinheitlichen geringen Drogenmege und zur Erleichterung von Harm Reduction in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/14828). Eine Reform des Drogenstrafrechts sei aus verfassungsrechtlicher, strafrechtstheoretischer und gesundheitswissenschaftlicher Sicht dringend erforderlich. Dir Drogenprohibition sei mit dem Feiheitspostulat der Verfassung nicht vereinbar und verletzte das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Schließlich habe die Vergangenheit gezeigt, dass der Drogenkonsum durch Repression nicht reduziert werde und die beabsichtigte generalpräventive Wirkung des Betäubungsmittelstrafrechts nicht eingetreten ist. Bei 77 Prozent der polizeilich erfassten Rauschgiftdelikte handele es sich um konsumnahe Delikte. Dazu komme, dass die Bundesländer die Grenzwerte für die geringe Menge (§ 31a BtMG) selbst festlegen und die Vorgaben des BVerfG selbst nach 25 Jahren noch nicht umgesetzt wurden. Dies führe zu einer uneinheitlichen Anwendungspraxis, die mit der Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung beendet werden soll. 

Die Fraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der u.a.: 

  • in § 31a BtMG das Absehen von der Strafverfolgung vorsieht, wenn der Konsument die BtM „lediglich zum Eigengebrauch anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt und folgende Bruttomengen nicht überschritten werden: drei Gramm bei Heroin, Kokain, Speed, MDMA in Pulverform, Methamphetamin und Crack, zehn Pillen Ecstasy (MDMA) und 15 Gramm getrocknete psychotrope Pilze. LSD soll zum Eigenbedarf ohne konkrete Grenzwertfestlegung entkriminalisiert werden“ und
  • die Möglichkeit des drug-checking in § 31a BtMG schafft. 

Am 26. Mai 2021 hat der Ausschuss für Gesundheit in seiner Beschlussempfehlung zu einer Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke geraten (BT Drs. 19/30042). Ein entsprechender Beschluss des Bundestage erging schließlich am 23. Juni 2021 ohne weitere Aussprache in einer abschließenden Beratung.  

 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen