Abstract
Doping gehört zu den potentiell größten Bedrohungen des Sports, dem eine überragende gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf mit der Schaffung des Anti-Doping-Gesetzes (AntiDopG) reagiert, das Ende 2015 in Kraft getreten ist und erstmals Selbstdoping durch ausgewählte Sportler unter Strafe stellt (§§ 3, 4 Abs. 1 Nrn. 4, 5, Abs. 2, 7 AntiDopG). Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes erhält es aufgrund der soweit ersichtlich erstmaligen Verurteilung eines Spitzensportlers nach Durchführung der Hauptverhandlung – des ehemaligen Boxweltmeisters Felix Sturm – und der jüngst abgeschlossenen Evaluation des AntiDopG erneut erhebliche Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Wissenschaft. [1] Der vorliegende Beitrag nimmt das zum Anlass, ausgewählte strafrechtsdogmatische (I.), verfassungsrechtliche (II.) und rechtspolitische (III.) Problemfelder der Neuausrichtung der staatlichen Dopingbekämpfung aufzuzeigen.[2] Diese erscheint im Ergebnis eher als staatliche Symbolpolitik denn als ernsthaftes Bekenntnis gegen Doping im Spitzensport.
Sabine Horn
Vorratsdatenspeicherung 3.0 – Allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ohne Anlass unzulässig
EuGH, Urt. v. 6.10.2020 – C-511/18, C-512/18 und C-520/18 (Volltext)
1. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften entgegensteht, die zu den in Art. 15 Abs. 1 genannten Zwecken präventiv eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen. Dagegen steht Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in der durch die Richtlinie 2009/136 geänderten Fassung im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte Rechtsvorschriften nicht entgegen, die
Davina Theresa Stisser: Die Sicherungswahrung – de lege lata et de lege ferenda
2019, Nomos, ISBN: 978-3-8487-5558-5, S. 314, Euro 82,00.
Über die „wohl härteste und umstrittenste Sanktion des deutschen Strafrechts“ (S. 19) ist schon viel geschrieben worden. Was aber die Dissertation von Stisser auszeichnet, ist die systematische historische Zusammenstellung von Gesetzgebung und gerichtlichen Entscheidungen sowie die ausführliche Erörterung des Urteils des BVerfG vom 4.5.2011, das schließlich zu einer bundesgesetzlichen aber auch ländergesetzlichen Neuorientierung führen musste. Dabei werden nicht nur die Änderungen nachgezeichnet, sondern auch de lege ferenda Vorschläge unterbreitet.
Corinna Götze: Durchbrechung der ärztlichen und psychotherapeutischen Schweigepflicht bei in sicherheitsrelevanten Berufen tätigen Personen
2019, Nomos, ISBN: 978-3-8487-5500-4, S. 563, Euro 157,00.
Anlass der Dissertation von Götze war der tragische Flugzeugabsturz des Airbusses A320-211 der Lufthansa-Tochter Germanwings. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der Kopilot die Maschine durch gezielten Sinkflug zum Absturz gebracht hatte. In der Folgezeit wurde darüber diskutiert, inwiefern Ärzte oder Psychotherapeuten den Arbeitgeber über psychische Krankheitsbilder zu informieren haben. Hier wurde kriminalpolitisch eine Durchbrechung der Schweigepflicht in sicherheitsrelevanten Berufen gefordert. Ziel der Arbeit von Götze ist es nun, die Reichweite der Schweigepflicht bei Schweigepflichtskonfliktfällen zu bestimmen, die Praxis des Umgangs mit der Schweigepflicht zu beschreiben und dogmatische, verfassungsrechtliche und medizinethisch vertretbare sowie praxisgerechte Lösungen zu entwickeln, um derartigen Katastrophenfällen in Zukunft entgegenwirken zu können (S. 25).
Erlanger Cyber² Crime Tag 2020: IT-Forensik und Strafprozessrecht
von Dr. Christian Rückert und Wiss. Mit. Marlene Wüst
Der Tagungsbericht enthält sprachlich bereinigte Zusammenfassungen der Transkriptionen der Vorträge und Diskussionsbeiträge. Der Vortragsstil der einzelnen Beiträge wurde überwiegend beibehalten. Dementsprechend wurde generell auch auf Fußnoten verzichtet. Der Erlanger Cyber² Crime Tag 2020 und die Erstellung dieses Tagungsberichts wurden vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert.
Gesetzentwurf zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020
Hier finden Sie folgende Stellungnahmen:
Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat am 25. Januar 2021:
- Stellungnahme Prof. Dr. Matthias Bäcker, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
- Stellungnahme Prof. Dr. Markus Löffelmann, Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung
- Stellungnahme Holger Münch, Präsident des BKA
- Stellungnahme Prof. Dr. Ulrich Kelber, Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
- Stellungnahme Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- Stellungnahme Jonas Breyer, Rechtsanwalt, Wiesbaden
- Stellungnahme BRAK
Gesetzentwurf zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020
Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020: BGBl. I 2021, S. 448 ff.
Gesetzentwürfe:
- Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU uns SPD: BT Drs. 19/25294
- Gesetzesbeschluss des Bundestages: BR Drs. 84/21
- Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses: BT Drs. 19/27900
Am 15. Dezember 2020 haben die Fraktionen CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des BVerfG vom 27. Mai 2020 in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 19/25294). Bereits am 13. Januar 2021 wurde der Entwurf erstmals im Bundestag vorgestellt und zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss überwiesen.
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 27. Mai 2020 festgestellt, dass § 113 TKG sowie weitere Fachgesetze des Bundes, die sich mit der Bestandsdatenauskunft beschäftigen, verfassungswidrig seien und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie die Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses verletzen. Bei der manuellen Bestandsdatenauskunft wird Sicherheitsbehörden ermöglicht, von Telekommunikationsunternehmen Auskunft über den Anschlussinhaber oder einer zugewiesenen IP-Adresse zu erlangen. Dabei werden personenbezogenen Daten, die im Zusammenhang mit dem Anschluss stehen, nicht aber Daten, die durch die Nutzung von Telekommunikationsdiensten entstehen (Verkehrsdaten) oder gar deren Inhalt, weitergegeben. Das BVerfG verdeutlichte, dass eine Erteilung der Auskunft über Bestandsdaten grundsätzlich möglich sei, diese aber durch ein sog. Doppeltürmodell abgesichert sein müsse. Dies bedeutet, dass sowohl die Übermittlungs- als auch die Abrufregelungen einer verhältnismäßigen Rechtsgrundlage bedürfen und damit die Verwendungszwecke der Daten begrenzt werden müssen, indem Eingriffsschwellen vorgesehen werden, die einen hinreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten.
Die Fraktionen wollen mit ihrem Gesetzentwurf die Vorgaben des Beschlusses umsetzen und die für verfassungswidrig erklärten Normen, sowie die inhaltsgleichen Vorschriften des Gesetzes zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität ändern. Davon ist insbesondere § 15a TMG (Informationspflicht bei unrechtmäßiger Kenntniserlangung von Daten) und § 113 TMG (Manuelles Auskunftsverlangen) betroffen, außerdem die Abrufregelungen des BPolG, BKAG, ZFdG, SchwarzArbG, BVerfSchG, MADG, BNDG und es § 100j StPO.
§ 113 Abs. 3 TMG-E soll u.a. künftig bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine Auskunft erteilt werden darf (entsprechendes gilt für die Nachrichtendienste):
(3) Die Auskunft nach Absatz 1 Satz 1 darf nur erteilt werden
-
an die für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden, soweit zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit vorliegen und die zu erhebenden Daten erforderlich sind, um den Sachverhalt zu erforschen, den Aufenthaltsort eines Beschuldigten zu ermitteln oder eine Strafe zu vollstrecken,
-
an die für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, um
a) eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren oder
b) eine drohende Gefahr für ein Rechtsgut von erheblichem Gewicht abzuwehren, wenn Tatsa- chen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes sowie zeitlich absehbares Geschehen zulassen, an dem bestimmte Personen beteiligt sein werden, oder
c) eine drohende Gefahr für ein besonders gewichtiges Rechtsgut abzuwehren, wenn das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in einem übersehbaren Zeitraum eine gegen ein solches Rechtsgut gerichtete Straftat begehen wird, oder
d) eine Straftat von erheblicher Bedeutung zu verhüten, sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine ihrer Art nach konkretisierten Weise als Täter oder Teilnehmer an der Begehung einer Tat beteiligt ist, oder
e) eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Absatz 3 der Strafprozessordnung zu verhüten, sofern das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums die Tat begehen wird,(…)
Am 25. Januar 2021 fand im Ausschuss für Inneres und Heimat eine öffentliche Anhörung zu dem Entwurf statt. Eine Liste der Sachverständigen sowie deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Experten sahen in dem Entwurf in wesentlichen Details Mängel. Prof. Dr. Matthias Bäcker betonte, dass der Gesetzentwurf zwar den wesentlichen Punkten des Beschlusses des BVerfG Rechnung trage, jedoch andere getroffene Regelungen mit höherrangigem Recht nicht vereinbar seien, wie bspw. der spezifischen Sensibilität von Telemediendaten. Ebenso seien EU-rechliche Anforderungen hinsichtlich der gesetzlichen Erlaubnis zur Auflösung dynamischer IP-Adressen unter Verwendung bevorrateter Telekommunikations-Verkehrsdaten nicht beachtet worden. Rechtsanwalt Jonas Breyer sah die Mängel der Regelungen rund um die Bestandsdatenauskunft nur teilweise als behoben und befürchtete, dass es zu einer weiteren Entscheidung durch das BVerfG kommen werde. Prof. Dr. Ulrich Kelber kritisierte die nachrichtendienstliche Gesetzgebung insgesamt und sprach sich für eine umfassende Gesamtreform aus, statt einzelne „Reparaturgesetze“ auf den Weg zu bringen. Die einzelnen Neuregelungen kritisierte auch Prof. Dr. Markus Löffelmann, der betonte, dass sie in dem ausdifferenzierten Umfang nicht mehr nachzuvollziehen und zu erfassen seien. Dies betreffe nicht nur die formalen Voraussetzungen einer Abfrage durch die Behörden, sondern auch deren Überprüfung durch die Verpflichteten. Holger Münch hingegen befand den vom BVerfG gesteckten Rahmen zur Bestandsdatenabfrage durch den Entwurf deutlich erkennbar abgebildet und für die Praxis handlungs- und rechtssicher formuliert. Gleicher Meinung war auch Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, der erläuterte, dass das Korsett, das das BVerfG dem Gesetzgeber angelegt habe, in der Fachliteratur bereits als „juristischer Overkill“ in Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betitelt werde. Der Entwurf genüge in wesentlichen Zügen den gestellten Anforderungen, schließlich habe der Gesetzgeber versucht, die Vorgaben kleinteilig umzusetzen.
Der Bundestag hat bereits am 28. Januar 2021 abschließend über den Entwurf entschieden und ihn in der vom Innenausschuss geänderten Fassung (BT Drs. 19/26267) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Gleichzeitig wurde der Antrag der Fraktion der Grünen, das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verfassungskonform auszugestalten (BT Drs. 19/22888), abgelehnt.
Am 12. Februar 2021 hat der Bundesrat dem Gesetz die erforderliche Zustimmung trotz gegenteiliger Ausschussempfehlung nicht erteilt.
Der daraufhin angerufene Vermittlungsausschuss ist am 24. März 2021 zu einer Übereinkunft gelangt (BT Drs. 19/27900).
Demnach soll die Herausgabe von Nutzungsdaten zur Strafverfolgung nur noch bei einem Verdacht auf Straftaten und nicht mehr bei bloßen Ordnungswidrigkeiten möglich sein und die Pflicht zur Passwortherausgabe im Besonderen nur bei einem Verdacht auf bestimmte besonders schwere Straftaten. Die Herausgabe von Bestandsdaten soll auf den Bereich besonders gewichtiger Ordnungswidrigkeiten limitiert werden.
Am 26. März 2021 hat der Bundesrat dem Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft zugestimmt. Nur wenige Stunden zuvor hatte auch der Bundestag aufgrund der Empfehlung des Vermittlungsausschusses (BT Drs. 19/27900) den Entwurf verabschiedet. Mit der Bestätigung beider Häuser ist das Gesetzgebungsverfahren damit abgeschlossen. Es wird in Folge dem Bundespräsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt. Dieser hat derweil zwei weitere Gesetze zunächst nicht ausgefertigt, die Bezug zur Bestandsdatenauskunft haben. Dazu gehört das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität sowie das Gesetz zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstes. Beide Entwürfe sollen nun ebenfalls an die Vorgaben des BVerfG angepasst werden.
Am 1. April 2021 wurde das Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 (BGBl. I 2021, S. 448 ff.) im Bundesgesetzblatt verkündet. Es tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.
Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren – Stellungnahmen
Hier finden Sie folgende Stellungnahmen:
Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 17. April 2023:
- Stellungnahme Jochen Brühl, Tafel Deutschland e.V.
- Stellungnahme Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi, Universität Trier
- Stellungnahme Prof. Dr. Olaf Hohmann, Rechtsanwalt
- Stellungnahme Elisa Kollenda, Berlin
- Stellungnahme Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universität Augsburg
- Max Malkus, Rechtsanwalt
- Prof. Dr. Ali B. Norouzi, DAV
Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 10. Dezember 2020:
- Stellungnahme Prof. Dr. Annika Dießner, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
- Stellungnahme Prof. Dr. Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am BGH a.D.
- Stellungnahme Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universität Augsburg
- Stellungnahme Nicole Luther, Staatsanwaltschaft Tübingen
- Stellungnahme Max Malkus, Rechtsanwalt, Leipzig
- Stellungnahme Univ.-Prof. Dr. Anja Schiemann, Deutsche Hochschule der Polizei Münster
- Stellungnahme Evelin Schulz, Tafel Deutschland e.V. Berlin
Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet
Gesetz zur Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen vom 12. August 2021: BGBl. I 2021, S. 3544 ff.
Gesetzentwürfe:
- Referentenentwurf des BMJV
- Regierungsentwurf: BT Drs. 19/28175
- Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates: BR Drs. 147/1/21
- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: BT Drs. 19/30941
- Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: BT Drs. 19/31108
- Gesetzesbeschluss des Bundestages: BR Drs. 571/21
Am 27. November 2020 hat das BMJV einen Referentenentwurf zur Änderung des StGB – „Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen“ auf den Weg gebracht. Durch das Internet sei der Austausch von Waren und Dienstleistungen stark vereinfacht worden. Leider befänden sich nicht nur Plattformen mit rechtmäßigen Angeboten im Web, sondern es seien vermehrt auch verbotene Gegenstände und Dienstleistungen und er Vergangenheit gehandelt worden. Dabei sei die Ausgestaltung sehr vielfältig. Von Betäubungsmitteln, über Waffen, Kinderpornografie, Falschgeld, gefälschte Ausweise bis hin zu gestohlenen Kreditkarten sei alles denkbar. Problematisch sei, dass letztlich die Strafverfolgungsbehörden auch die Möglichkeiten haben müssten, diesem Phänomen effektiv und konsequent zu begegnen. Zwar gebe es spezialgesetzliche Verbote für den Verkauf solcher Waren und auch derjenige, der einer anderen Person hierzu Hilfe leistet, kann strafrechtlich verfolgt werden. Werde die Verkaufsplattform jedoch vollautomatisiert betrieben, könne nicht jeder Sachverhalt erfasst werden. Daher bedürfe es einer Ergänzung strafrechtlicher Regelungen.
Der Entwurf sieht daher vor, einen neuen Straftatbestand des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet in das StGB einzufügen (§ 127 StGB-E, § 127 StGB wird dann zu § 128 StGB). Erfasst werden sollen damit ausschließlich Plattformen, die zweckmäßig darauf ausgerichtet sind, die Begehung von bestimmten Straftaten zu fördern. Die Tat soll mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden können. Bei gewerbsmäßigem Handeln soll der Strafrahmen bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe liegen. Parallel sieht der Entwurf vor, effektive Ermittlungsmöglichkeiten zur Aufklärung ebendieser Straftaten zu schaffen. Der Straftatenkatalog der §§ 100a und 100b StPO soll daher um die gewerbsmäßige Begehung des Betreibens krimineller Handelsplattformen ergänzt werden.
Ein ähnlicher Vorschlag wurde bereits durch den Bundesrat im April 2019 in den Bundestag eingebracht (nähere Informationen dazu finden Sie hier) und auch der Referentenentwurf zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 aus März 2019 enthielt einen entsprechenden Regelungsvorschlag in § 126a StGB-E. Hierzu finden Sie bereits einige Beiträge im Heft:
- Prof. Dr. Mark A. Zöller – Strafbarkeit und Strafverfolgung des Betreibens internetbasierter Handelsplattformen für illegale Waren und Dienstleistungen, KriPoZ 5/2019, 274
- Dr. Anna Oehmichen und Björn Weißenberger – Digitaloffensive im Strafrecht! Verbesserte Bekämpfung von Cyberkriminalität durch das IT-Sicherheitsgesetz 2.0?, KriPoZ 3/2019, 174
- Nicole Selzer – Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der digitalen Welt – Kritische Betrachtung des Referentenentwurfs zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 unter systematischen Gesichtspunkte, KriPoZ 4/2019, 221
Auch der Kriminalpolitische Kreis hatte zum Entwurf eines § 126a StGB im März 2020 Stellung genommen (die Stellungnahme finden Sie hier).
Die Bundesregierung teile laut Entwurf zwar die Zielsetzung, die vorgeschlagene Regelung setze dies jedoch besser um.
„§ 127 – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet
(1) Wer eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausge-richtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten im Sinne des Satzes 2 zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind
1. Verbrechen
2. Vergehen nach
a) den §§ 147, 149, 152a, 152b, 176a Absatz 2, § 176b Absatz 2, § 184b Ab-satz 1 Satz 2, § 184c Absatz 1, § 184l Absatz 1 und 3 sowie den §§ 202a, 202b, 202d, 259, 263a, 275, 276, 303a und 303b,
b) § 95 Absatz 1 und 2 des Arzneimittelgesetzes,
c) § 29 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes,
d) § 19 Absatz 1 und 2 des Grundstoffüberwachungsgesetzes,
e) § 52 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3 Nummer 1 des Waffengesetzes,
f) § 40 Absatz 1 und 2 des Sprengstoffgesetzes,
g) den §§ 143, 143a und 144 des Markengesetzes sowie
h) den §§ 51 und 65 des Designgesetzes.
(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Tat im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 angedrohte Strafe.
(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Tat gewerbsmäßig begeht.“
Die Länder und Verbände können nun bis zum 7. Januar 2021 zu dem Entwurf Stellung nehmen.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte:
„Wir brauchen eine effektive und konsequente Strafverfolgung im digitalen Raum. Wenn auf kriminellen Plattformen Geschäfte gemacht werden mit entsetzlichen Bildern von sexualisierter Gewalt gegen Kinder, soll sich niemand herausreden, er habe nur die Plattform bereitgestellt und nichts gewusst. Gleiches gilt für Waffen- oder Drogenhandel, den Verkauf von gehackten Passwörtern oder gestohlenen Kreditkartendaten. All diese Geschäfte sind strafbar. Aber Ermittlungen gegen die Betreiber solcher Plattformen waren bisher oftmals schwierig, wenn diese sich ahnungslos gaben. Deshalb schaffen wir einen neuen Straftatbestand und effektive Ermittlungsmöglichkeiten.“
Am 10. Februar 2021 hat die Bundesregierung den Entwurf beschlossen und ihren Regierungsentwurf vorgestellt. Im Vergleich zum Referentenentwurf hat § 127 StGB-E einige Änderungen erfahren. Nach § 127 Abs. 1 S. 2 StGB-E soll ebenso bestraft werden, wer absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur für eine Tat nach S. 1 bereitstellt. Die Gleichstellung der Bestrafung rechtfertige sich dadurch, dass es unerheblich sei, ob das kriminelle Handelsgeschäft durch das Bereitstellen der Hardware (Server) oder der virtuellen Plattform ermöglicht oder gefördert werde. Das qualifizierte Vorsatzerfordernis stelle sicher, dass nur Fälle erfasst werden, bei denen der Server Betreiber tatsächliche Kenntnis davon hatten, dass entsprechende Plattformen auf den Servern gehostet wurden. Die Katalogtaten des § 127 Abs. 1 Nr. 2 StGB-E wurden modifiziert. Neu hinzugekommen ist bspw. das Verbreiten von Propagandamitteln (§ 86 StGB), die Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 91 StGB), die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 Abs. 2 StGB), der Menschenhandel (§ 232 StGB), die gewerbsmäßige Hehlerei und Bandenhehlerei (§ 260 StGB), der Betrug nach § 263 StGB (im RefE war nur der Computerbetrug enthalten), die Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und die Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB). Insbesondere wurden auch das AntiDopG (§ 4 Abs. 1 bis 3 AntiDopG) und das NpSG (§ 4 Abs. 1 und 2 NpSG) aufgenommen. Außerdem wurde in Abs. 4 eine Verbrechensqualifikation geschaffen, bei der sich die Zweckausrichtung der Handelsplattform auf die Ermöglichung oder Förderung von Verbrechen bezieht und der Täter dies auch beabsichtigen muss. Dadurch soll der Handel mit Verbrechen als Dienstleistung („crime as a service“) erfasst werden oder die Fälle, bei denen der Handel selbst bereits als Verbrechen zu qualifizieren ist, wie bspw. bei der Verbreitung kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Die Unterstreichungen zeigen die inhaltlichen Änderungen des Regierungsentwurfs:
„§ 127 – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet; Bereitstellen von Server-Infrastrukturen
(1) Wer eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Ebenso wird bestraft, wer absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur für eine Tat nach Satz 1 bereitstellt. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind
1. Verbrechen,
2. Vergehen nach
a) den §§ 86, 86a, 91, 130, 147 und 148 Absatz 1 Nummer 3, den §§ 149, 152a, 152b und 176a Absatz 2, § 176b Absatz 2, § 180 Absatz 2, § 184b Absatz 1 Satz 2, § 184c Absatz 1, § 184l Absatz 1 und 3, den §§ 202a, 202b, 202c, 202d, 232 und 232a Absatz 1, 2, 5 und 6, § 232b Absatz 1, 2 und 4 in Verbindung mit § 232a Absatz 5 sowie den §§ 233, 233a, 236, 259, 260, 263, 263a, 267, 269, 275, 276, 303a und 303b,
b) § 4 Absatz 1 bis 3 des Anti-Doping-Gesetzes,
c) § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, auch in Verbindung mit Absatz 6, und Absatz 2 sowie 3 des Betäubungsmittelgesetzes,
d) § 19 Absatz 1 bis 3 des Grundstoffüberwachungsgesetzes,
e) § 4 Absatz 1 und 2 des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes,
f) § 95 Absatz 1 bis 3 des Arzneimittelgesetzes,
g) § 52 Absatz 1 Nummer 1 und 2 Buchstabe b und c, Absatz 2 und 3 Nummer 1 und 7 sowie Absatz 5 und 6 des Waffengesetzes,
h) § 40 Absatz 1 bis 3 des Sprengstoffgesetzes,
i) § 13 des Ausgangsstoffgesetzes,
j) den §§ 143, 143a und 144 des Markengesetzes sowie
k) den §§ 51 und 65 des Designgesetzes.
(2) Handelsplattform im Internet im Sinne dieser Vorschrift ist jede virtuelle Inf-rastruktur im frei zugänglichen wie im durch technische Vorkehrungen zugangsbeschränkten Bereich des Internets, die Gelegenheit bietet, Menschen, Waren, Dienst-leistungen oder Inhalte (§ 11 Absatz 3) anzubieten oder auszutauschen.
(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer im Fall des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer bei der Begehung einer Tat nach Absatz 1 Satz 1 beabsichtigt oder weiß, dass die Handelsplattform im Internet den Zweck hat, Verbrechen zu ermöglichen oder zu fördern.“
Am 26. März 2021 beschäftigte sich der Bundesrat erstmals mit dem Entwurf und nahm entsprechend der Empfehlungen der Ausschüsse dazu Stellung (BR Drs. 147/1/21).
Am 16. April 2021 hat der Bundestag in erster Lesung den Regierungsvorschlag beraten. Er wurde im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 3. Mai 2021 eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Ob die Einführung eines neuen Straftatbestandes erforderlich ist, darüber waren sich die Experten uneinig. Prof. Dr. Matthias Jahn sah in erster Linie die Gefahr einer Überkriminalisierung. Strafbarkeitslücken seien derzeit in diesem Bereich nicht vorhanden. Einzelfalllösungen fänden sich bereits in den Deliktsbereichen des Betäubungsmittel-, Waffen- oder Arzneimittelrechts. Gleicher Ansicht war auch Prof. Dr. Mark A. Zöller. Darüber hinaus sei auch der Straftatenkatalog des § 127 StGB-E zu weit geraten und verstoße damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem schloss sich ebenfalls Dr. Christian Rückert an. Mit dem Entwurf des § 127 StGB verlagere man die Strafbarkeit in das sog. Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung. So könnte schließlich auch ein Anfangsverdacht gegen legale Plattformen begründet werden. Prof. Dr. Jörg Eisele zog das Beispiel des Attentats beim Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016 heran um zu zeigen, wo im deutschen Recht Strafbarkeitslücken bestünden. Er kam zu dem Ergebnis, dass es vertretbar sei, eine Strafbarkeit rein an das Betreiben einer Platform zu knüpfen, die kriminellen Zwecken diene. Jun.-Prof. Dr. Dominik Brodowski gab allgemein zu bedenken, dass die derzeitige hohe Taktung von Änderungen in der Strafgesetzgebung eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung erschwere und es nicht verwundere, dass über die Ausgestaltung des Entwurfs Streit bestehe. Prof. Ulrich Kelber (BfDI) griff in seiner Stellungnahme an den Rechtsausschuss einen ähnlichen Aspekt auf. Es solle wieder eine neue Überwachungsmöglichkeit geschaffen werden, ohne dass ein Bedarf geprüft worden sei.
Dr. Oliver Piechaczek vom DRB begrüßte den Entwurf. Hinzukommen sollte jedoch eine entsprechende Aufstockung der personellen Ressourcen bei den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden. Dem widersprach auch OStA Thomas Goger nicht. So würden Nachweisschwierigkeiten aufgegriffen und rechtssicher gelöst. Verbesserungsbedarf bestehe aber bspw. in der Aufnahme des Tatbestandes der Erpressung in den Straftatenkatalog sowie in der Anhebung des Strafrahmens im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Dem schloss sich OStA Thomas Wullrich an. Er empfahl, den Tatbestand der Geldwäsche ebenfalls zusätzlich in den Straftatenkatalog aufzunehmen sowie die Möglichkeit zur TKÜ zu erweitern.
Am 24. Juni 2021 nahm der Bundestag den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss geänderten Fassung (BT Drs. 19/30941/BT Drs. 19/31108) mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der FDP, Linke und Grüne an. Die AfD enthielt sich ihrer Stimme. Bereits einen Tag später passierte das Gesetz den Bundesrat, der auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtete.
Das Gesetz zur Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet wurde am 19. August 2o21 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 3544 ff.). Es tritt am 1. Oktober 2021 in Kraft.
Triage – Pflichtenkollision beim Lebensschutz – Diskussionsbericht des Online-Seminars „Digital Thursdays – Strafrecht in der Pandemie“ der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung WisteV e.V.
von Oliver Michaelis, LL.M., LL.M. und Dr. Angela Michaelis
Es bewahrheitet sich tagtäglich der Charles Darwin zugeschriebene Ausspruch, dass nichts beständiger ist, als der Wandel. Alleine nur durch das „Corona-Phänomen“ im Jahr 2020 hat sich vieles in rasantem Tempo und mit einer bisher ungeahnten und nie dagewesenen Dynamik verändert. Diese plötzlich-faktischen Veränderungen führen aber zwingend zu einer Auseinandersetzung mit den neuen Situationen, denn nicht nur die Gesellschaft und die Politik stehen vor großen Herausforderungen, auch die Strafrechtswissenschaft muss sich mit einigen Themen beschäftigen. So hat der WisteV kurzerhand eine Informationsrunde „Digital Thursdays – Strafrecht in der Pandemie“ in Form von kurzen Online-Seminaren initiiert, bei denen „über die strafrechtlichen Implikationen der Pandemie in einer kleinen Serie von kurzen Informationsrunden im Rahmen eines digitalen Lunchs“ (Infoflyer) diskutiert werden soll.