KriPoZ-RR, Beitrag 41/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.04.2021 – 3 StR 300/20: Fristsetzung für Beweisanträge auch bei Wiedereintritt in Beweisaufnahme

Amtliche Leitsätze:

  1. Bestimmt der Vorsitzende des Tatgerichts nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen, steht einer Bescheidung von nach deren Ablauf gestellten Beweisanträgen im Urteil nicht grundsätzlich entgegen, dass wieder in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist. Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht für solche Beweisanträge, die sich erst aus der Beweisaufnahme nach Wiedereintritt ergeben.

  2. Hierzu sind regelmäßig Darlegungen im Beweisantrag erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung und Diebstahls verurteilt. Der erhobenen Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Im Hauptverfahren hatte die Vorsitzende der Strafkammer eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge bis zum 21. Mai 2019 gesetzt, nach deren Ablauf die Beweisanträge im Urteil beschieden werden könnten. Am 17. Juni 2019, also nach Fristablauf hatte der Angeklagte weitere Beweisanträge gestellt. Am 15. Juli war die Kammer erneut in die Beweisaufnahme eingetreten, woraufhin der Angeklagte am 19. August und 3. September 2019 weitere Beweisanträge gestellt hatte. Die Beweisaufnahme war endgültig am 24. Oktober 2019 geschlossen worden. Alle nach Fristablauf vom Angeklagten gestellten Beweisanträge sind dann jedoch nicht durch Beschluss in der Hauptverhandlung, sondern im Urteil beschieden worden.

Der Angeklagte hat hierin einen Verstoß gegen § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO gesehen und Verfahrensrüge erhoben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Revision für unbegründet.

Zwar brauche es grundsätzlich nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO einen Ablehnungsbeschluss vor dem Ende der Beweisaufnahme, allerdings sei die Norm durch das Gesetz zu effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens dahingehend geändert worden, dass nach einer angemessenen Frist für weitere Beweisanträge nach der Beweisaufnahme auch die Bescheidung von nicht mehr fristwahrenden Anträgen im Urteil möglich sei.

Auch, wenn nach Fristablauf wieder in die Beweisaufnahme eingetreten werde und weitere Beweise erhoben würden, könne das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so der BGH. Dies ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut des § 244 Abs. 6 Satz 3, bzw. nach den Änderungen des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens, Satz 4 StPO. Dieser erfordere im Tatbestand lediglich Beweisanträge nach Fristablauf und keine Unmöglichkeit der fristgemäßen Stellung. Diese Voraussetzungen seien auch erfüllt, wenn nach Fristablauf noch weitere Beweise erhoben würden.

Dieses Verständnis stimmte auch mit dem Willen des Gesetzgebers überein, der im Gesetzgebungsverfahren für den Fall eines erneuten Eintritts in die Beweisaufnahme ausgedrückt hätte, dass eine erneute Frist nur für solche Beweisanträge gesetzt werden müsse, die sich aus den Informationen der erneuten Beweisaufnahme ergeben hätten.

Für alle anderen Beweisanträge sollte die ursprüngliche Frist ihre Wirkung behalten.

Diese Auslegung stimme auch mit Sinn und Zweck der Gesetzesänderung durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens überein, da so eine Verfahrensverzögerung mit Beweisanträgen verhindert werden könne und gleichzeitig das Beweisantragsrecht für Antrage, die sich aus der weiteren Beweisaufnahme ergeben, nicht beschnitten werde.

Da es durch diese Auslegung zu Unsicherheiten darüber kommen könne, ob ein Beweisantrag, der nach Fristablauf gestellt wurde, nun auf Erkenntnissen der weiteren Beweisaufnahme beruhe oder nicht, müsse ein solcher Zusammenhang im Beweisantrag dargelegt werden.

Dieses Ergebnis laufe auch nicht dem Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren zuwider.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alle Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 finden Sie hier.

Informationen zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019, welches die hier in Rede stehende Regelung allerdings inhaltlich nicht verändert hat, finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 40/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 25.02.2021 – 1 StR 423/20: Kostenentscheidung und Einziehung

Amtlicher Leitsatz:

Zur Kostenentscheidung bei Verringerung der Einziehung durch das Revisionsgericht.

Sachverhalt:

Das LG Mannheim hat die Angeklagten jeweils wegen Marktmanipulation verurteilt und Einziehungsanordnungen getroffen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten eine informations- und handlungsgestützte Manipulation beim Aktienhandel begangen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Einziehungsentscheidungen auf.

Indem das LG sämtliche von den Angeklagten erzielten Erlöse aus dem Verkauf ihrer Aktien abgeschöpft hat, habe es einen sachlichrechtlichen Fehler begangen.

Die von den Angeklagten begangene informations- und handlungsgestützte Manipulation rechtfertige, im Gegensatz zur handelsgestützten, lediglich die Einziehung der Wertsteigerung der Aktien, nicht jedoch den gesamten Erlös aus dem Aktienverkauf, da dieser an sich nicht tatbestandsmäßig ist.

Daher sei der einzuziehende Betrag zu verringern.

Die Kostenentscheidung über die zusätzlichen Verfahrenskosten, die lediglich die Einziehungsentscheidung betreffen, beruhe für das Revisionsverfahren auf § 473 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO und im Übrigen auf § 465 Abs. 2 und § 464d StPO, so der BGH.

Da sich der Einziehungsumfang für die Angeklagten erheblich verringert habe, müsse sich dieser Teilerfolg auch in der Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO niederschlagen. Daher sei die zusätzliche Rechtsanwaltsgebühr (Nr. 4142 der Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 zum RVG) anzupassen und die zusätzlich entstehende Gerichtsgebühr (Teil 3 Hauptabschnitt 4 Vorbemerkung 3.4 Abs. 1 Satz 2 Abschnitt 4 Nr. 3440 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) zu ermäßigen. Dies folge daraus, dass die Angeklagten den zunächst höheren Gebührenbetrag nicht veranlasst hätten.

Gleiches gelte für die zusätzlichen Verteidigergebühren im Verfahren der ersten Instanz. Auch diese Differenz zum eigentlichen Betrag haben die Angeklagten nicht veranlasst, da sie sich anhand der Höhe des Einziehungsbetrags bemesse.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 39/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 30.03.2021 – 3 StR 474/19: Zur Einziehung von Taterträgen bei juristischen Personen

Amtliche Leitsätze:

  1. Erteilte Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz sind nicht deshalb strafrechtlich unbeachtlich, weil sie durch die Vorlage falscher amtlicher Endverbleibserklärungen erschlichen wurden.

  2. Der Einziehung von Taterträgen bei einer juristischen Person gemäß § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nF steht nicht entgegen, dass deren Organwalter bei Erlangung des Vorteils gutgläubig waren.

  3. Das bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten zu beachtende Abzugsverbot (§ 73d Abs. 1 Satz 2 StGB nF) gilt auch für einen gutgläubigen Drittbegünstigten.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten S. wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einstellung zweier Vorwürfe wegen Verjährung und Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Die Angeklagte B. hat es wegen Beihilfe zur bandenmäßigen Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in drei Fällen, davon in einem Fall in sechs tateinheitlichen Fällen sowie in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben hat es gegen die Einziehungsbeteiligte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.730.044€ angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten als Angestellte eines Waffenherstellers Verträge über Waffenlieferungen mit der mexikanischen Regierung abgeschlossen. Als Grundlage für die Ausfuhrgenehmigung der Waffen hatte die Regierung bescheinigt, dass die Waffen in Mexiko verbleiben würden und lediglich in solchen Bundesstaaten eingesetzt würden, die von der deutschen Regierung als unproblematisch eingestuft werden.

Die Angeklagten hatten damit gerechnet, dass diese Endverbleibserklärungen hinsichtlich konkreter Bundesstaaten unrichtig sein könnten. Sie waren jedoch nicht davon ausgegangen, dass der Verbleib in den konkret angegebenen Bundesstaaten Inhalt der jeweiligen Ausfuhrgenehmigung geworden war.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Verurteilungen für rechtsfehlerfrei. Das LG habe den Inhalt der verwaltungsrechtlichen Genehmigung revisionsrechtlich unproblematisch ausgelegt und sei zu dem tragbaren Ergebnis gekommen, dass die Verwendung der Gewehre in konkreten Bundesstaaten nicht Bestandteil der Genehmigung geworden sei.

Dass die Genehmigung, an dessen Nichtbestehen die Strafbarkeit geknüpft werde, mit Hilfe unrichtiger Angaben erschlichen worden sei, ändere an diesem Ergebnis nichts.

Auch bei rechtsmissbräuchlich erlangten Genehmigungen sei kein Handeln ohne Genehmigung anzunehmen. Eine unter unrichtigen Angaben erteilte Genehmigung sei zwar rechtswidrig, allerdings nicht nichtig und behalte somit auch im Strafrecht ihre Gültigkeit bis sie widerrufen oder zurückgenommen werde, so der BGH.

Der Streit, ob eine Durchbrechung der Verwaltungsakzessorietät in solchen Fällen angezeigt sei, in denen die behördliche Genehmigung lediglich eine Rechtfertigung bilde und nicht die Tatbestandsmäßigkeit entfallen lasse, könne hier dahinstehen.

Denn im KrWaffKG gebe es Regelungen, die eine erschlichene Genehmigung einer nicht vorhandenen Genehmigung gleichstellten. In den für diesen Fall relevanten Normen, habe der Gesetzgeber jedoch bewusst auf diese Gleichstellung verzichtet. Daher könne davon ausgegangen werden, dass die Verwaltungsakzessorietät nicht durchbrochen werden sollte.

Hinsichtlich der Einziehungsentscheidung führte der BGH aus, dass die Voraussetzungen des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB auch dann erfüllt seien, wenn der Drittbegünstigte bei Erlangung des Vorteils gutgläubig gewesen sei. Dies sie bereits nach alter Rechtslage der Fall gewesen, was der Gesetzgeber mit der Reform der Vermögensabschöpfung auch nicht habe ändern wollen.

Ebenfalls ändere die Gutgläubigkeit der Einziehungsbeteiligten nichts an der Anwendung des Bruttoprinzips und der Ausnahme des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB. Bei der Einziehung handele es sich auch nach der Gesetzesreform nicht um eine Maßnahme mit strafähnlichem Charakter, sodass es auf ein schuldhaftes Verhalten des Drittbegünstigten und eine etwaige Gutgläubigkeit seiner Organe nicht ankommen könne. Etwas anderes folge auch nicht aus der Streichung der Härtefallklausel in § 73c Abs. 1 StGB aF, da diese Streichung vom Gesetzgeber bewusst nicht mit einer Ausnahme beim Bruttoprinzip kompensiert worden sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alles zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 38/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 29.04.2021 – 2 BvR 1543/20: Wenn die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist, du aber unbedingt etwas zur Begründetheit sagen willst…

Leitsatz der Redaktion:

Die Zustimmung zu einer Verständigung im Strafprozess nach § 257c Abs. 3 Satz 3 StPO muss ausdrücklich und nicht lediglich konkludent erklärt werden.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde gegen eine strafrechtliche Verurteilung des LG Lüneburg und den bestätigenden BGH-Beschluss erhoben.

In dem dort geführten Strafverfahren hatte der vorsitzende Richter einen Verständigungsvorschlag gemacht, den der Beschwerdeführer angenommen und daraufhin auch gestanden hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte keine ausdrückliche Zustimmungserklärung abgegeben.

Diese Verständigung sei nach Ansicht des Beschwerdeführers deshalb rechtsfehlerhaft zustande gekommen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da sie mangels ausreichender Angaben zur Fristwahrung unzulässig gewesen sei, machte allerdings dennoch Ausführungen zur Begründetheit.

Demnach spreche, laut BVerfG, einiges dafür, dass die Entscheidungen der Fachgerichte den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das wirksame Zustandekommen einer Verständigung nicht gerecht geworden seien.

Grundsätzlich begegne eine Verständigung im Strafprozess keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie nach den Vorgaben der Strafprozessordnung zustande komme.

Demnach sei das ebenfalls für die Staatsanwaltschaft geltende Zustimmungserfordernis ein wesentlicher Bestandteil der Verständigung, um die Verantwortung der StA zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards zu stärken.

Dieses Zustimmungserfordernis müsse allerdings auch die Transparenzregeln des Verständigungsverfahrens wahren und daher sei zu verlangen, dass sowohl die Zustimmung des Angeklagten als auch die der StA ausdrücklich – und nicht lediglich konkludent – im Prozess erklärt werden, so das BVerfG. Ansonsten sei eine Kontrolle des Verständigungsgeschehens nicht zur Gänze möglich, da eine lediglich konkludente Zustimmung, Raum für informelle Absprachen und sog. Deals lasse, die aufgrund der Gefährdung des Schuldprinzips, nicht mit der Verfassung vereinbar seien.

Die strengen formalen Regelungen zum Verständigungsverfahren erfüllten eine wesentliche Schutzfunktion, was dazu führe, dass ein Verstoß gegen solche grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung führe. Gehe das Gericht dennoch von dessen Wirksamkeit aus, beruhe das Urteil regelmäßig auf diesem Verfahrensfehler.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das BVerfG hatte im März 2013 entschieden, dass das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der Verständigung sicherstelle. Das Urteil finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 37/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 15.04.2021 – 5 StR 371/20: Drogendeal mit Folgen

Amtlicher Leitsatz:

Zur Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung in Fällen, in denen der Käufer von Betäubungsmitteln gegen den Verkäufer die Zahlung von Wechselgeld mit Nötigungsmitteln durchzusetzen sucht.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Von einer Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung hat es abgesehen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten der Angeklagte und sein Bekannter beim späteren Geschädigten Betäubungsmittel gekauft, wobei ihnen später aufgefallen war, dass sie einen um 5,00€ zu geringen Betrag als Wechselgeld vom Geschädigten erhalten hatten.

Als sie das Opfer dann in der Nähe wieder erkannt hatten, waren sie entschlossen gewesen, die fehlenden 5,00€ zu erlangen. Da der Geschädigte die Forderung verneint hatte, hatte sich eine körperliche Auseinandersetzung mit gegenseitigen Körperverletzungen entwickelt.

Nachdem der Geschädigte von seinen Freunden aus der Situation entfernt worden war und an einer nahe gelegenen S-Bahn-Station gestanden hatte, war der Angeklagte erneut auf diesen zugegangen und hatte ihm erneut kräftig ins Gesicht geschlagen, um sich für eine Schnittwunde zu rächen, die der Geschädigte dem Angeklagten in der ersten Auseinandersetzung zugefügt hatte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da das Unterlassen der Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung rechtsfehlerhaft gewesen sei.

Das LG habe sich nicht zu der Tatsache geäußert, dass eine solche Verurteilung schon nahe gelegen hätte, wenn der Angeklagte es nur für möglich gehalten hätte, dass seine Wechselgeldforderung nicht bestand bzw. nicht von der Rechtsordnung gebilligt ist. Selbst bei tatsächlichem Bestehen der Forderung, hätte es sich dann bei einem solchen Vorstellungsbild des Angeklagten um einen untauglichen Versuch gehandelt.

Zu der Frage, ob sich der Angeklagte vorgestellt hatte, dass sein Anspruch unter Umständen nicht von der Rechtsordnung gedeckt sei, habe das LG keine Feststellungen getroffen, was eine revisionsrechtliche Überprüfung verhindere.

Zur objektiven zivilrechtlichen Lage führte der BGH aus, dass ein Rückzahlungs- oder -übereignungsanspruch ausscheide, da gem. § 134 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG alle schuldrechtlichen und dinglichen Vereinbarungen betreffend des Geschäfts nichtig gewesen seien. Demnach habe ein Anspruch auf Zahlung des Wechselgeldes nicht entstehen können. Ein Vindikationsanspruch der ursprünglich gezahlten Banknoten sei vom Angeklagten nicht geltend gemacht worden. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch scheitere an § 817 S. 2 BGB.

Weiterhin sei die unterbliebene Rücktrittsprüfung und die Zurechnung des vom Bekannten des Angeklagten genutzten gefährlichen Werkzeugs rechtsfehlerhaft.

 

Anmerkung der Redaktion:

2003 hatte der BGH entschieden, dass ein Betäubungsmittelhändler, der seinem Kunden aufgrund dessen Täuschung Betäubungsmittel zur späteren Bezahlung überlässt, keinen Anspruch auf Rückgabe der Betäubungsmittel hat und daher auch kein Anspruch auf Geldersatz bei Verbrauch dieser bestehe. Das Eintreiben einer solchen vermeintlichen Forderung mit Nötigungsmitteln erfülle dann den § 253 Abs. 1 StGB. Das Urteil finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 19.04.2021 – 1 BvR 1732/14: Dritte Verfassungsbeschwerde gegen Bestandsdatenauskunft ohne Erfolg

Leitsatz der Redaktion:

Die bloße Behauptung, Telemediendienste zu nutzen, genügt nicht, um die wahrscheinliche persönliche Betroffenheit von einer heimlichen Auskunftsabfrage darzulegen.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführenden haben sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Regelungen zur (Bestands-)Datenauskunft in § 180a des Landesverwaltungsgesetztes Schleswig-Holstein und § 8a Abs. 1 des Landesverfassungsschutzgesetztes Schleswig-Holstein sowie gegen § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG in der Fassung des Gesetzes vom 26. Februar 2007 gewendet.

Sie sähen sich in ihren Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt.

Die Befugnisse zum Datenabruf für Polizei- und Verfassungsschutzbehörden bei Telekommunikations- und Telemediendiensteanbietern seien unverhältnismäßig, da die Eingriffsschwellen zu niedrig angesetzt und die Vorgaben an Transparenz, Rechtsschutz und Kontrolle nicht gewahrt seien.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an, da sie zum Teil unzulässig und zum Teil unbegründet seien.

Soweit sich die Beschwerden gegen § 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und gegen die Befugnisse der §§ 180a Abs. 4 LVwG, 8a Abs. 1 Satz 1 LVerfSchG in Bezug auf Telemediendiensteanbieter richteten, seien sie unzulässig.

Zum einen sei bezüglich der §§ 15 Abs. 5 Satz 4 TMG und 8a Abs. 1 Satz 1 HS 1 LVerfSchG Verfristung nach § 93 Abs. 3 BVerfGG eingetreten, da die Jahresfrist seit Inkrafttreten der Normen bereits verstrichen sei und die inhaltlichen Änderungen der Regelungen im Nachgang keinen nicht schon vorher bestehenden Regelungsinhalt eingeführt hätten, so das BVerfG.

Hinsichtlich der Befugnisse in § 180a Abs. 4 LVwG und § 8a Abs. 1 Satz 1 HS 2 LVerfSchG zum Datenabruf bei Telemediendiensteanbietern hätten die Beschwerdeführenden keine hinreichende persönliche Betroffenheit geltend gemacht.

Zwar genüge bei Ausforschungsbefugnissen, die eine Mitteilung ihres Vollzugs an den Betroffenen nicht vorsehen, die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführende von staatlichen Ausforschungsmaßnahmen betroffen sei. Diese Wahrscheinlichkeit müsse allerdings nachvollziehbar dargelegt und verdichtet sein. Der allgemeine Hinweis auf die Nutzung von Telemediendiensten durch die Beschwerdeführenden als Abgeordnete genüge für eine solche hinreichend verdichtete Wahrscheinlichkeit nicht, da es im Gegensatz zu Telekommunikationsdiensten bei Telemediendiensten eine Fülle von Angeboten mit mal intensiverer und mal wenig intensiver Datenspeicherung gebe. Daher sei es auch für die Nutzer solcher Dienste nicht gleichermaßen wahrscheinlich in das Visier staatlicher Überwachungsbehörden zu gelangen. Es komme immer auf den jeweiligen Nutzer und den jeweiligen genutzten Telemediendienst an. Daher genüge die pauschale Behauptung, man nutze solche Dienste, nicht, um die persönliche Betroffenheit von einer Ausforschungsmaßnahme zu begründen.

Im Übrigen seien die Verfassungsbeschwerden unbegründet, da die Befugnisse zum Datenabruf bei Telekommunikationsdienstleistern den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügten.

Die Befugnisse sähen jeweils ausreichende Eingriffsschwellen in Form einer konkreten Gefahr, teilweise für nur bestimmte gewichtige Rechtsgüter, im Einzelfall vor. Damit genügten sie den Anforderungen des BVerfG sowohl für den Bestandsdatenabruf bei Telekommunikationsdiensteanbietern als auch den Abruf solcher Daten über dynamische IP-Adressen zu nachrichtendienstlichen Zwecken, da sie zweckgebunden und zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter eingesetzt werden müssten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen zur Bestandsdatenauskunft (Bestandsdatenauskunft I im Jahr 2012 und II im Jahr 2020) bereits festgelegt, dass der Gesetzgeber sowohl Übermittlungs- als auch Abrufbefugnisse schaffen muss, die die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, mithin die Datenverwendung an bestimmte Zwecke, tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichenden gewichtigen Rechtsgüterschutz binden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 35/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 16.03.2021 – 5 StR 35/21: Beweisantrag ins Blaue hinein bleibt nur in Ausnahmefällen Beweisermittlungsantrag

Leitsatz der Redaktion:

Ein als Beweisantrag bezeichneter Antrag, der lediglich eine Beweisbehauptung ins Blaue hinein aufstellt und dem es an der Ernsthaftigkeit i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO fehlt, kann von den Gerichten nach einer Gesamtschau aller relevanten Faktoren als Beweisermittlungsantrag behandelt werden.

Sachverhalt:

Das LG Leipzig hat die Angeklagten aufgrund mehrerer Raub und Körperverletzungstaten verurteilt.

Im Prozess hatte der Verteidiger des Angeklagten eine Zeugenvernehmung beantragt, die das Alibi seines Mandanten hatte bestätigen und diesen als Mittäter in zwei Fällen hatte ausschließen sollen.

Diesen Antrag hatte das LG am nächsten Verhandlungstag nach einer argumentativen Auseinandersetzung abgelehnt, da die Beweisbehauptung nur ins Blaue hinein abgegeben worden sei und der Antrag deshalb lediglich als Beweisermittlungsantrag zu werten sei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG.

Es entspreche der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass Beweisanträge keine Beweisanträge im Rechtssinne darstellten, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung lediglich aufs Geratewohl und ins Blaue hinein aufgestellt werde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handele. An dieser Wertung habe der Gesetzgeber trotz der breiten Kritik auch festhalten wollen, da er das Beweisantragsrecht mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens angepasst, aber diese Wertung gezielt übernommen habe, so der BGH. Demnach komme es auch in Zukunft nicht auf die Sichtweise des Tatgerichts an, ob dieses eine beantrage Beweiserhebung für erforderlich halte, sondern die Ernsthaftigkeit eines solchen Antrags beurteile sich aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen. Eine Ablehnung mangels Ernsthaftigkeit habe äußerst zurückhaltend und nur unter diesen strengen Voraussetzungen zu erfolgen.

Diese Entscheidung des Gesetzgebers sei von der Rechtsprechung zu akzeptieren, auch wenn sie zu Widersprüchen mit der Neuregelung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO führe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alle Informationen zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 34/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 1 StR 463/20: Rechtfertigende Einwilligung in Körperverletzung in einer Haftanstalt

Leitsatz der Redaktion:

Verabreden sich zwei Insassen einer Haftanstalt (auch konkludent) zu einer körperlichen Auseinandersetzung, die grundsätzlich nicht lebensgefährlich werden soll, sind die gegenseitigen Körperverletzungen aufgrund einer Einwilligung gerechtfertigt.

Sachverhalt:

Das LG Traunstein hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren der Angeklagte und das Opfer Insassen in verschiedenen Häusern derselben Justizvollzugsanstalt gewesen. Sie hatten sich in der Vergangenheit vermehrt gestritten und es war allen Beteiligten klar gewesen, dass es bald zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen würde. Bei dem nächsten Aufeinandertreffen der beiden Insassen hatten sie sodann mit Fäusten aufeinander eingeschlagen, wobei das Opfer nach einem wuchtigen Schlag gegen den Kopf aufgrund dessen Beschleunigung einen Gefäßabriss im Bereich der Hirnbasis erlitten hatte, was zu starken Blutungen und wenig später zu seinem Tod geführt hatte. Das LG hat weder feststellen können, wer die tätliche Auseinandersetzung letztendlich begonnen, noch welcher Schlag des Angeklagten zum Tode geführt hatte. Zugunsten des Angeklagten ist es davon ausgegangen, dass der zu Boden gestürzte Angeklagte noch für einen Moment eingeschränkt handlungsfähig war und versucht hatte, sich am Shirt des Angeklagten hochzuziehen, weshalb dieser ihm nochmals in das Gesicht geschlagen hatte. Schließlich hatte der Angeklagte dem Opfer noch einen Tritt auf die Stirn versetzt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da die Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge rechtsfehlerhaft erfolgt sei.

Da der Grundtatbestand der Körperverletzung aufgrund einer Einwilligung des Geschädigten gerechtfertigt gewesen sei, könne der Angeklagte sich nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht haben, wenn man zu seinen Gunsten annehme, dass der erste Schlag gegen den Kopf bereits tödlich gewesen sei.

Beide Beteiligten hätten sich durch ihr Verhalten vor der Auseinandersetzung konkludent zu dieser verabredet, wobei sie davon ausgegangen seien, dass es zu gegenseitigen Körperverletzungen in Form von Schlägen gegen den Körper und ins Gesicht kommen werde. Dadurch hätten beide wirksam über ihre körperliche Unversehrtheit disponiert und in das Tatgeschehen rechtfertigend eingewilligt (§ 228 StGB).

Eine Unwirksamkeit der Einwilligung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten sei abzulehnen, so der BGH.

Zwar sei eine Körperverletzung als sittenwidrig und damit einwilligungsunfähig zu bewerten, wenn bei objektiver Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. Dabei seien auch Eskalationsgefahren von gruppendynamischen Prozessen zu berücksichtigen. Sorge das konkret vereinbarte Geschehen jedoch für eine ausreichende Sicherheit der Verhinderung solch gravierender Folgen und begrenze die Gefahr für die Beteiligten, sei dies als freie Disposition des Rechtsgutträgers hinzunehmen.

Nach diesen Maßstäben sei die Körperverletzungshandlung nicht als sittenwidrig einzustufen, da beide Kontrahenten abwehrbereit und abwehrfähig gewesen waren und mit einer konkreten Todesgefahr nicht hätte gerechnet werden müssen. Ebenfalls war ein Eingreifen anderer Gefangener nicht verabredet, sodass zwar im Grundsatz eine Eskalationsgefahr bestanden habe, diese jedoch aufgrund anderer Argumente, wie beispielsweise des präsenten Wachpersonals und ihrer Doppelrelevanz als deeskalierendes Eingreifen der anderen Gefangenen, nicht zu einer Sittenwidrigkeit führe.

Dass eine körperliche Auseinandersetzung in einer Haftanstalt unerwünscht sei und disziplinarisch geahndet werde, mache diese noch nicht sittenwidrig, so der BGH, da dieses ordnungsrechtliche Verbot nur den äußeren Rahmen der einverständlichen Körperverletzungshandlungen berühre.

Etwas Anderes gelte für den Sturz des Opfers auf den Boden bzw. den darauffolgenden Stampftritt des Angeklagten, da dieser Geschehensablauf nicht mehr von der Vereinbarung gedeckt gewesen und darüber hinaus aufgrund der konkreten Todesgefahr eines Tritts gegen den Kopf auch sittenwidrig gewesen sei. Allerdings müsse in dubio pro reo davon ausgegangen werden, dass dieses Verhalten des Angeklagten nicht todesursächlich gewesen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2013 hatte der BGH entschieden, dass die Eskalationsgefahr gruppendynamischer Prozesse zu einer Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlung führen kann (BGH, Beschl. v. 20.02.2013 – 1 StR 585/12).

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 12.01.2021 – 4 StR 280/20: Vorbehaltene Sicherungsverwahrung im JGG

Amtlicher Leitsatz:

Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG.

Sachverhalt:

Das LG Bochum hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Diebstahl sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte mit dem Mitangeklagten das Opfer gewaltsam zu Boden gebracht, um ihm Wertsachen und Betäubungsmittel zu entwenden. Nach der Wegnahme hatte der Angeklagte dem Opfer einen wuchtigen Tritt in das Gesicht versetzt.

Bei der zweiten Tat hatte der Angeklagte die Nebenklägerin unter Anwendung von Gewalt und trotz ihrer Gegenwehr gezwungen, den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr mit ihm auszuüben, wobei sie sich Verletzungen zugezogen hatte. Im Anschluss daran hatte der Angeklagten dann noch ihr Mobiltelefon und eine Packung Zigaretten entwendet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG hob jedoch die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG auf.

Die formellen Voraussetzungen einer vorbehaltenen Anordnung der Sicherungsverwahrung seien allerdings erfüllt gewesen, so der BGH. Der Angeklagte sei wegen eines Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt worden, durch welches das Opfer auch schwere seelische und körperliche Schäden erlitten habe. Ebenfalls sei eine Strafe oberhalb der Siebenjahresgrenze ausgeurteilt worden. Dass es sich bei der Strafe um eine einheitliche Jugendstrafe handele, die neben der Katalogtat auch andere tateinheit- und –mehrheitlich begangene Nicht-Katalogtaten ahnde, sei nicht von Belang.

Der Wortlaut widerspreche dem nicht und auch der gesetzgeberische Wille lasse nichts Anderes erkennen, da im Gesetzgebungsprozess literaturseitig auf diesen Punkt hingewiesen worden sei und der Gesetzgeber die Regelung dennoch unverändert beibehalten habe.

Es sei auch nicht als besondere Einschränkung zu verlangen, dass das Tatgericht in den Urteilsgründen festhalte, dass die Katalogtat schon alleinig eine Strafe über der Siebenjahresgrenze rechtfertige. Eine solche Einschränkung sei im Wortlaut der Norm nicht angelegt und der Gesetzgeber habe mit dem Erfordernis der schweren seelischen oder körperlichen Schäden durch die Katalogtat schon für eine hinreichend prägende Bedeutung der Katalogtat für die Strafzumessung Sorge getragen, so der Senat. Die anderslautende Rechtsprechung, die sich zu § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und § 66a Abs. 1 Nr. 1 StGB entwickelt habe, sei auf die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG nicht übertragbar, da sich die Tatbestandsvoraussetzungen beider Normen derart unterschieden, dass eine vergleichbare Rechtslage nicht bestehe.

Ebenfalls könne eine solche Einschränkung nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach Erwachsenenstrafrecht bei Heranwachsenden gemäß § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG auch anhand der Strafzumessung für die konkrete Katalogtat anzuordnen sei. Eine drohende Schlechterstellung, wenn ein Heranwachsender nach Jugendstrafrecht verurteilt werde, sei nicht gegeben, da die sonstigen formellen Voraussetzungen ein gleiches Schutzniveau für den Täter gewährleisten würden.

Dennoch sei die vorbehaltene Sicherungsverwahrung hier aufzuheben gewesen, da die Gefährlichkeitsprognose als materielle Voraussetzung nicht den revisionsrechtlichen Anforderungen entspreche.

Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung des Jugendlichen und seiner Tat oder seiner Taten, die ergebe, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG bezeichneten Art begehen werde.

Der Begriff „hohe Wahrscheinlichkeit“ in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG entspreche der Gefährlichkeitsstufe für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach einer Maßregelerledigung gemäß § 66b Satz 1 Nr. 2 StGB. Diese liege über der Gefährlichkeit im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB, § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG und der Erwartung erheblicher Straftaten gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB und könne nur angenommen werden, wenn ein „hohes Maß an Gewissheit“ (Prognosesicherheit) über die Gefahr bestehe, dass der Täter neue Katalogtaten begehen werde, so der BGH.

Die Prognose müsse inhaltlich eine Auseinandersetzung mit der Person des Betroffenen, seiner Taten und seiner Entwicklung bis zur Entscheidung erkennen lassen und sowohl inhaltlich, als auch qualitativ höchsten Anforderungen entsprechen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Im Februar 2021 hatte der BGH entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung endgültig durchgeführt werden kann. Mehr dazu im KriPoZ-RR, Beitrag 16/2021.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 32/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 416/20: Garantenstellung aus Ingerenz als bes. pers. Merkmal

Amtliche Leitsätze:

1a. Die Garantenstellung aus Ingerenz ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB.

 b. Fehlen mehrere besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nur einmal zu mildern (insoweit nicht tragend).

2. Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gilt nur für den Täter.

Sachverhalt:

Das LG Aachen hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord und zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort verurteilt. Daneben hat es eine Fahrerlaubnissperre von fünf Jahren angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten der Angeklagte und der Mitangeklagte in einer Gaststätte Alkohol konsumiert und waren danach jeweils in ihren Autos ohne Fahrerlaubnis und mit überhöhter Geschwindigkeit nach Hause gefahren. Dabei hatte der Mitangeklagte einen vorfahrtsberechtigten Radfahrer übersehen und diesen tödlich verletzt. Er hatte angehalten und es für möglich gehalten, dass das Opfer noch gelebt hatte und durch seine Hilfe hätte gerettet werden können. Dennoch hatte er sich zur Weiterfahrt entschieden. Währenddessen war der Angeklagte nach Hause gefahren. Dem Mitangeklagten war die Weiterfahrt nicht gelungen, sodass er den Angeklagten angerufen und um Hilfe gebeten hatte. Dieser war der Bitte nachgekommen und hatte den Mitangeklagten daraufhin abgeschleppt. Auch er war im Zeitpunkt des Abschleppens davon ausgegangen, dass das Opfer noch gelebt hatte und hätte gerettet werden können.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte den Schuldspruch und hob das Urteil im Strafausspruch aus, da das LG eine Strafmilderung gem. § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nicht bedacht habe.

Indem der Mitangeklagte davon ausging, dem Opfer noch das Leben retten zu können und dennoch die Unfallstelle verließ, um seine Trunkenheitsfahrt zu verschleiern, habe sich dieser wegen versuchten Mordes durch Unterlassen strafbar gemacht. Im Abschleppen des Angeklagten sei daher eine Beihilfehandlung zu dieser Tat zu sehen. Da dieser den Unfall jedoch nicht verursacht hätte, fehle bei ihm die Garantenstellung aus Ingerenz.

Weil diese allerdings ein besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB darstelle, hätte das LG eine Strafmilderung i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB in Erwägung ziehen müssen, so der BGH.

Zwar werde in der Literatur konstatiert, dass Garantenstellungen generell nicht dem § 28 Abs. 1 StGB unterfielen, da diese lediglich die Funktion hätten, positives Tun und Unterlassen bei der Zurechnung des Erfolgs gleichzustellen. Nach dieser Ansicht sei es ungerecht, dem nicht garantenpflichtigen Teilnehmer eines unechten Unterlassungsdelikts eine Strafmilderung zuzugestehen, welche der Teilnehmer an einem durch aktives Tun verwirklichten Delikt nicht erhalte, wenn dem Haupttäter beide Tatvarianten zur Verfügung gestanden hätten.

Eine andere Meinung ginge davon aus, dass jedenfalls die Garantenstellung aus Ingerenz bzw. Überwachungsgaratenstellungen generell keine besonderen persönlichen Merkmale seien, das diese an situative, also tatbezogene, Umstände vor der Tat anknüpfe.

Nach Ansicht des BGH, charakterisiere eine Garantenstellung aus Ingerenz jedoch den Täter und seine persönliche Verpflichtung zur Erfolgsabwendung. Die Erfolgsabwendungspflicht sei eine Verpflichtung mit starkem persönlichen Einschlag, da sie ausschließlich in der Person des Täters verankert sei, was auch ihren maßgeblicheen Unterschied zur unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c Abs. 1 StGB darstelle.

Daneben gab der BGH noch den Hinweis, dass bei fehlender Verdeckungsabsicht des Angeklagten die Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB dennoch nur einmal in Betracht komme.

Außerdem äußerte er sich zur Maßregelanordnung nach § 69a Abs. 1 S. 3 StGB, die ebenfalls nicht bestehen bleiben könne, da das LG die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB angewendet hätte, diese jedoch nur für Täter und nicht für Gehilfen gelte. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Norm und auch aus den Gesetzesmaterialien. Auch beeinflusse der Tatbeitrag eines Gehilfen die Sicherheit des Straßenverkehrs meist weniger stark, als der des Täters, weshalb auch nach dem Telos der Norm, eine Vermutungswirkung nur für den Täter der Katalogtaten anzunehmen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Da die Garantenstellung bei unechten Unterlassensdelikten immer ein strafbegründendes Merkmal ist und das LG sich hier nicht von einer eignen Verdeckungsabsicht des Angeklagten hatte überzeugen können, kam es hier auf die Streitfrage des Verhältnisses von Mord und Totschlag nicht an. Zu diesem Problem siehe: BGH, Beschl. v. 10.01.2006 – 5 StR 341/05

 

 

 

 

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