KriPoZ-RR, Beitrag 87/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 11.11.2020 – 5 StR 124/20: Heimtücke und niedrige Beweggründe

Leitsatz der Redaktion:

Schafft der Täter unter Ausnutzung der Arglosigkeit seines Opfers Bedingungen, die fortwirken und ihm die spätere Tötung erleichtern, kann dies Heimtücke begründen auch, wenn später nicht genau aufgeklärt werden kann, wie die eigentliche Tötung ablief.

Sachverhalt:

Das LG Lübeck hat den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der aus dem Irak stammende Angeklagte eine Beziehung mit seinem späteren Opfer geführt und es auch heiraten wollen. Allerdings war es immer wieder zu Streitereien und Trennungen zwischen den beiden gekommen, da der Angeklagte sehr besitzergreifend und eifersüchtig gewesen war. Insbesondere hatte ihm nicht gefallen, dass sie Kontakt zu einem anderen Mann gehabt hatte.

Nach einer erneuten Trennung und Versöhnung hatte der Angeklagte das Opfer bei einem Treffen mit diesem Mann gesehen. Er war sehr wütend und eifersüchtig gewesen und hatte das Opfer für eine Aussprache mit seinem Auto abgeholt. Seine Hoffnung war, sie noch für sich gewinnen zu können. Gleichzeitig hatte er jedoch für den Fall, dass seine Hoffnungen enttäuscht würden, ein Messer eingesteckt. Nach einer längeren Fahrt hatte der Angeklagte das Fahrzeug in einer unbewohnten, ländlichen Gegend angehalten. Beide waren ausgestiegen und nachdem der Angeklagte hatte erkennen müssen, dass das Opfer kein Interesse mehr an einer Beziehung mit ihm hatte, hatte er sie erstochen und am Straßenrand liegen gelassen. Dabei hatte er nach der Wertung des LG den Tötungsentschluss spontan erst nach dem Verlassen des Wagens gefasst.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da die Feststellungen des LG rechtsfehlerhaft gewesen seien.

Die Ansicht des LG, dass im Moment der Tat keine Arglosigkeit des Opfers habe festgestellt werden können und der spontane Tötungsentschluss ein bewusstes Ausnutzen einer etwaigen Arglosigkeit durch den Angeklagten ebenfalls fernliegend erscheinen lasse, sei nicht tragbar.

Zum einen spreche zwar für die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke, dass im grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs eine Arglosigkeit des Opfers nicht habe festgestellt werden können. Zum anderen genüge es bei einer geplanten Tat jedoch, wenn die Vorkehrungen, die der Täter ergreife um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, auf der Arglosigkeit des Opfers beruhten und diese im Zeitpunkt der Tötung noch fortwirkten.

Dies habe das LG außer Acht gelassen, indem es nicht erörtert habe, dass das bei Fahrtbeginn arglose Opfer von dem Angeklagten in ein unbewohntes Gebiet verbracht worden sei, wo es seinem Angriff schutzlos ausgeliefert gewesen sei.

Gegen einen spontanen Tatentschluss des Angeklagten spreche zudem, dass er sich mit dem Messer bewaffnet habe.

Auch die Ablehnung der niedrigen Beweggründe sei widersprüchlich, so der BGH.

Die Bewertung der Motivlage als niedrig erfordere eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Dabei seien die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich. Indem das LG wiederum die Spontanität des Tötungsentschlusses als Argument gegen das Mordmerkmal anführe, verkenne es abermals den Umstand, dass sich der Angeklagte vor der Tat gezielt mit dem Messer bewaffnet habe.

 

Anmerkungen der Redaktion:

Zur Beurteilung der Motivlage nach den sittlichen und rechtlichen Werten der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland siehe: BGH, Urt. v. 28.11.2018 – 5 StR 379/18.

Zur Heimtücke bei von langer Hand geplanten Taten siehe: BGH, Beschl. v. 31.07.2018 – 5 StR 296/18.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 86/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 16.10.2020 – 1 ARs 3/20: Zuständigkeitsstreit und Geheimdienste

Leitsatz der Redaktion:

Wird ein Verfahren von einem Gericht rechtskräftig an ein Gericht eines anderen Rechtswegs gem. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG verwiesen, entfaltet dies lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs eine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Innerhalb der zuständigen Gerichtsbarkeit tritt keine Bindung hinsichtlich der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit durch die Verweisung ein.

Sachverhalt:

Gegen den Angeklagten läuft am LG Bochum ein Strafprozess wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung im zweiten Rechtsgang. Im ersten Prozess hatte sich der Angeklagte auf einen Zeugen vom Mossad berufen, der ihn entlasten sollte. Die Strafkammer hatte daraufhin die StA beauftragt, das BKA um Amtshilfe zu ersuchen. Dieses hatte danach beim Mossad angefragt, ob bei Ladung des Zeugen Sicherheitsbedenken bestünden. Eine Antwort hatte die Strafkammer nicht erhalten. Dafür allerdings E-Mails, die angeblich von besagtem Zeugen stammen sollten. In diesen gab er zunächst Bedenken für seine eigene Sicherheit an, später war er jedoch zu einer Aussage bereit gewesen. Zur Hauptverhandlung war der geladene Zeuge dann allerdings nicht erschienen, sodass das LG im ersten Rechtsgang den Beweisantrag zur Zeugenvernehmung wegen Unerreichbarkeit des Zeugen abgelehnt hatte.

Nach Ansicht des Angeklagten, habe das BKA dem Mossad bei der Anfrage mitgeteilt, dass der Zeuge in Deutschland festgesetzt werde, wenn er zur Vernehmung in der Hauptverhandlung erscheine. Um diesen Verdacht aufzuklären hatte der Angeklagte daraufhin vor dem VG Wiesbaden Feststellungsklage erhoben, um die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des BKA im Rahmen des Amtshilfeersuchens feststellen zu lassen. Ebenfalls wollte er das BKA mit einer Verpflichtungsklage zur Akteneinsichtsgewährung verpflichten lassen.

Das VG erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das OLG Frankfurt, da das BKA Amtshilfe für die StA Bochum geleistet habe und daher funktionell als Justizbehörde tätig geworden sei, was gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit begründe.

Das OLG Frankfurt hatte die Sache dann an die im ersten Rechtsgang zuständige Kammer beim LG Bochum abgegeben. Die Verweisung sei hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit innerhalb der Strafgerichtsbarkeit nicht gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend. Für den Verfahrensgegenstand seien auch nicht die Regelungen der §§ 23 ff. EGGVG einschlägig, sondern der Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, was die Zuständigkeit des LG Bochums nach § 162 Abs. 3 StPO, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog für den Feststellungsantrag und nach § 147 Abs. 5 StPO für den Akteneinsichtsantrag des Antragstellers begründe.

Die mittlerweile im zweiten Rechtsgang zuständige Kammer beim LG Bochum hatte die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, da die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG in analoger Anwendung auch die Zuweisung in den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG erfasse.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das LG Bochum für die Entscheidung über die Anträge zuständig ist, da die Verweisung des VG Wiesbaden lediglich hinsichtlich des Rechtswegs zur ordentlichen Gerichtsbarkeit binde.

Das OLG Frankfurt sei nicht gemäß §§ 23, 25 Abs. 1 EGGVG zuständig, da der vom Antragsteller beanstandete Vorgang kein Justizverwaltungsakt sei. Die Amtshilfe im Rahmen eines Strafprozesses stelle eine Prozesshandlung dar, die dem Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG entzogen seien.

Zudem sei § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die Überprüfung Staatsanwaltschaftlicher Eingriffsmaßnahmen oder solcher von deren Ermittlungspersonen analog anwendbar, sodass ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe.

Zur Bindungswirkung der Verweisung führte der BGH aus, das § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG auf Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine unmittelbare Anwendung finde, da die Vorschriften der §§ 17 bis 17b GVG nur den Rechtsweg, also das Verhältnis der verschiedenen Gerichtsbarkeiten untereinander, regelten. Dies ergebe sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG.

Auch eine analoge Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG komme nicht in Betracht, da es an der planwidrigen Regelungslücke fehle.

Der Gesetzgeber habe die §§ 17 ff. GVG im Jahr 1990 neu geregelt, wobei ihm nach den Gesetzesmaterialien bewusst gewesen sei, dass die Bindungswirkung auch nach alter Regelung nur zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten bestand und nicht innerhalb einer Gerichtsbarkeit. An diesem Zustand habe der Gesetzgeber auch explizit nichts ändern wollen, so der BGH.

Ebenfalls sei ihm die Debatte um eine analoge Anwendung der Norm bekannt gewesen, sodass nicht mehr von der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke gesprochen werden könne. Vielmehr stelle die Nichtregelung den Willen des Gesetzgebers dar, eine Bindungswirkung innerhalb einer Gerichtsbarkeit nur in den extra geregelten Sonderfällen des § 17a Abs. 6 GVG entstehen zu lassen.

Damit verböte sich seit der Neuregelung eine Analogie.

Daher sei das OLG Frankfurt zur Abgabe des Verfahrens befugt gewesen. Zudem sei das LG Bochum auch gemäß §§ 98 Abs. 2 Satz 3, 163 Abs. 3 Satz 1 StPO sachlich und örtlich zuständig.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dieser Meinung entsprechend hatten auch schon entschieden: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.07.1994 – 2 VAs 5/94; KG Berlin, Beschl. v. 29.09.1999 – 2 AR 120/99 – 4 VAs 26/99; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschl. v. 25.06.2014 – 2 VAs 9/14.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 85/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 19.08.2020 – 1 StR 474/19Vorsatzanforderungen bei Verdeckungsmorden durch Unterlassen

Amtlicher Leitsatz:

Zum versuchten Verdeckungsmord durch Unterlassen nach Medikamentenverwechslung bei einem Palliativpatienten durch Pflegekräfte.

Sachverhalt:

Das LG Landshut hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte die Angeklagte, die als Pflegekraft und Schichtleitung auf einer Palliativstation eines Pflegeheims arbeitet, mit einer mitangeklagten Kollegin die Medikamente zweier Patienten verwechselt.

Dadurch hatte sich der Gesundheitszustand des schwer kranken Opfers verschlechtert. Ob das Medikament letztlich todesursächlich oder -beschleunigend war, hatte nicht mehr festgestellt werden können.

Aus Angst vor Konsequenzen hatte die Angeklagte weder einen Arzt verständigt noch die Falschmedikation dokumentiert.

Nach der Wertung des LG habe sie den Tod des Angeklagten bewusst in Kauf genommen, um ihren Fehler zu vertuschen.

Ein letztlich von einem weiteren Mitangeklagten nach 4 Tagen hinzugerufener Arzt hatte entschieden, den Patienten aufgrund seines schlechten Zustands nur noch palliativmedizinisch zu versorgen. Er war drei Tage später verstorben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da der Senat bereits Zweifel am Tötungsvorsatz hatte.

Für bedingten Tötungsvorsatz sei es erforderlich, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkenne (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfinde, möge ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).

Beide Elemente seien unabhängig voneinander zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Es müsse eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände stattfinden, bei der insbesondere die Persönlichkeit des Täters und dessen psychische Verfassung bei Tatbegehung, seine Motivation und die Art der Angriffsweise beleuchtet werden müssten.

Diese Grundsätze gölten auch für Unterlassungsdelikte, wobei diese zusätzlich Vorsatz bezüglich der Umstände der Untätigkeit, der physisch-realen Handlungsmöglichkeit, des Erfolgseintritts, der Quasi-Kausalität und der objektiven Zurechnung forderten.

Dabei sei es explizit nicht erforderlich, dass dem Unterlassungstäter bewusst sei, dass der Rettungserfolg mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde. Dies fordere zwar der 5. Strafsenat, stelle damit jedoch zu enge Voraussetzungen auf, so der 1. Senat.

Nach diesen Grundsätzen stelle sich die Beweiswürdigung des Tatgerichts als lückenhaft bezüglich des voluntativen Elements dar.

Das LG habe nicht in den Blick genommen, dass die Angeklagte freiwillig einen anderen Kollegen eingeweiht hatte und diesen gebeten hatte, öfter nach dem Patienten zu sehen. Dies spreche gegen einen bedingten Tötungsvorsatz. Zudem sei es für das Vertuschen des Behandlungsfehlers für die Angeklagte sogar vorteilhaft gewesen, wenn der Patient nicht gestorben wäre.

Daneben sei auch die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht nicht genügend begründet. Zwar seien die rechtlichen Maßstäbe zutreffend vom LG bestimmt worden, da es richtigerweise angenommen habe, dass die Verdeckungshandlung nach Tätervorstellung Mittel der Verdeckung sein soll auch, wenn der Tod des Opfers vom Täter nicht direkt angestrebt sondern nur in Kauf genommen werde.

Hier habe das LG nicht berücksichtigt, dass die Angeklagte möglicherweise auch aus Mitleid den Tod des Opfers begrüßte, um sein Leiden beendet zu wissen. Dieses weitere Motive habe das Tatgericht dann jedoch nicht in die nötige Gesamtbetrachtung eingestellt.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 5. Strafsenats zu den höheren Anforderungen an den Vorsatz bezüglich der Rettungsmöglichkeit finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 84/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 12.11.2020 – StB 34/20: Entscheidungszuständigkeit beim Pflichtverteidigerwechsel

Amtlicher Leitsatz:

Zur Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel ist nach Anklageerhebung ausschließlich der Vorsitzende des erkennenden Gerichts zuständig; nicht erledigte Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse des Ermittlungsrichters sind ihm deshalb zur weiteren Entscheidung vorzulegen.

Sachverhalt:

Der Angeschuldigte befindet sich momentan in Untersuchungshaft und hatte beantragt, seinen Pflichtverteidiger aufgrund zerrütteten Vertrauensverhältnisses gegen seinen Wahlverteidiger auszutauschen.

Der Pflichtverteidigerwechsel war vom Ermittlungsrichter beim BGH abgelehnt worden. Gegen diesen Beschluss hatte sich der Angeschuldigte mit der sofortigen Beschwerde zum BGH gewandt, obwohl zwischenzeitlich vom GBA Anklage zum OLG Stuttgart erhoben worden ist.

Entscheidung des BGH:

Der BGH sah sich als nicht mehr befugt an, um über die Beschwerde des Untersuchungsgefangenen zu entscheiden, sondern deutete sie in einen erneuten Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel um, über den nun der Vorsitzende des zuständigen Senats beim OLG Stuttgart entscheiden müsse.

Die Zuständigkeit des BGH sei nicht mehr gegeben, da mit Anklageerhebung das OLG Stuttgart das mit dem Erkenntnisverfahren befasste Gericht geworden sei und für die Pflichtverteidigerbestellung nun ausschließlich der Vorsitzende gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO zuständig sei.

Die Vorschrift knüpfe an § 141 Abs. 4 StPO aF an und erfasse daher unbeeinflusst vom Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 auch Entscheidungen über einen Pflichtverteidigerwechsel, was dazu führe, dass Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse nur bis zur Anklageerhebung in die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts fielen. Danach sei das mit dem Erkenntnisverfahren befasste Gericht ausschließlich entscheidungsbefugt.

Zudem sei es ein bekannter Grundsatz, dass die Anklageerhebung einen Verfahrenseinschnitt bilde, der Zuständigkeiten auf das erkennende Gericht übergehen lasse.

Darüber hinaus sei die Regelung auch sachdienlich, da der Vorsitzende Richter am ehesten einschätzen könne, welcher und wie viele Verteidiger notwendig seien, um die Gewähr für eine zügige Verfahrensdurchführung zu gewährleisten.

Diese Grundsätze sollten nach Ansicht des BGH vom Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung auch unangetastet bleiben, da es dem Gesetzgeber bei der Neufassung des § 141 Abs. 4 StPO aF ausweislich der Gesetzesmaterialien lediglich auf eine bessere Übersichtlichkeit angekommen sei.

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 83/2020

Die Pressemitteilung im Original finden Sie hier.

OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020 – III-3 RVs 47/20: Keine Garantenpflicht für Vereinsvorstand zur Entfernung des Kennzeichens eines verbotenen Vereins von der Vereinsimmobilie

Leitsatz der Redaktion:

Unternimmt ein Vereinsvorstand nichts zur Entfernung eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins von der eigenen Vereinsimmobilie, begründet dies keine strafrechtliche Garantenstellung, wenn der Vorstand das Kennzeichen weder selbst angefertigt, noch bei Anfertigung bereits in einer leitenden Position war.

Sachverhalt:

Das AG Bielefeld hatte den Angeklagten wegen Verwendens eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte seit 2013 Vorsitzender eines Vereins in Bielefeld gewesen, der sich für ein unabhängiges Jugendzentrum in der Stadt eingesetzt hatte.

Auf einer Jalousie des Vereinsgebäudes war höchstwahrscheinlich im Jahr 1994 ein Bild aufgemalt worden, dass neben einer Person die Flagge der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) zeigt, welche eine verbotene Unterorganisation der PKK darstellt. Diese Flagge war auch von der öffentlichen Straße zu sehen gewesen.

Der Angeklagte hatte sich nach Ansprache durch die Behörden geweigert, das Bild zu entfernen und war daraufhin vom AG Bielefeld verurteilt worden. Ihn treffe als Vereinsvorstand eine Garantenpflicht zur Entfernung des Bildes, so die Ansicht des AG.

Das LG Bielefeld gab dem Angeklagten im Berufungsverfahren Recht und sprach in frei.

Entscheidung des OLG:

Diese Entscheidung bestätigte das OLG Hamm. Da der Angeklagte erst viele Jahre nach Anbringen des Bildes Vereinsvorstand geworden sei, das Bild zudem nicht selbst angebracht habe und auch bei Anbringung in keiner sonstigen leitenden Funktion gewesen sei, könne ihn keine strafrechtliche Garantenpflicht zur Entfernung des Bildes treffen.

Auch komme es für eine Strafbarkeit nicht auf die Beweggründe des Vorsitzenden bzw. des Vereins an, das Bild weiterhin zu dulden. Demnach habe das LG auch keine tatsächlichen Feststellungen zur politischen Einstellung des Angeklagten treffen müssen, so der Senat. Dies würde nämlich im Ergebnis dazu führen, dass eine politische Gesinnung unter Strafe gestellt würde, was gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstieße.

Eine ordnungsrechtliche Verpflichtung zur Entfernung des Bildes, welche möglicherweise auch mit Zwang durchgesetzt werden könne, bleibe von dem Urteil natürlich unberührt.

Anmerkung der Redaktion:

Bisher finden sich keine Verurteilungen nach §§ 86a, 13 StGB.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 82/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 2 StR 434/19: Zur mutmaßlichen Einwilligung in eine palliativmedizinische Behandlung trotz Überschreitens der ärztlichen Anordnung

Leitsatz der Redaktion:

Überschreitet ein Nichtarzt bei einer palliativmedizinischen Medikamentenverabreichung eigenmächtig den Rahmen der ärztlichen Anordnung, schließt das nicht per se eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung aus. Das Vorliegen einer solchen ist vielmehr im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände vom Tatgericht zu ermitteln.

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat den Angeklagten wegen Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der als Pfleger des Opfers tätige Angeklagte mit einer weiteren unerfahrenen Kollegin im Nachtdienst eingeteilt gewesen. Der Geschädigte hatte aufgrund einer Krebserkrankung starke Schmerzen und sein Tod hatte unmittelbar bevorgestanden. Für den Fall, dass der Angeklagte starke Schmerzen verspüre und die bisherige Medikation nicht ausreiche, hatte der zuständige Arzt die Verabreichung von 5mg Morphium angeordnet. Gegen 22:30 Uhr hatte der Patient über starke Schmerzen geklagt und die verordnete Dosis vom Angeklagten gespritzt bekommen.

Gegen 6:00 Uhr litt der Geschädigte wiederum sehr stark, sodass der Angeklagte und seine Kollegin Mitleid mit ihm hatten und seinen Zustand nur schwer mit ansehen konnten. Um seiner Kollegin zu imponieren, weil er in sie verliebt war, und aus Mitleid mit dem Geschädigten, hatte der Angeklagte ihm daraufhin 10mg Morphin, also das doppelte der ärztlich verordneten Maximaldosis, verabreicht.

Wenig später verstarb der Patient. Das Morphium war nicht todesursächlich.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilung durch das LG auf.

Die Verabreichung des Medikaments sei tatbestandlich zwar eine Körperverletzung, das LG habe jedoch die Möglichkeit einer Rechtfertigung nicht ausreichend geprüft.

Eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten habe nicht vorgelegen. Die Wertung des LG, dass auch eine mutmaßliche Einwilligung von vornherein ausscheide, da der Eingriff durch einen Nichtarzt erfolgt sei, sei jedoch rechtsfehlerhaft, so der BGH.

Einwilligungsfähig seien nach den Grundsätzen der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes auch Maßnahmen eines Nichtarztes, wenn diese den Regeln der ärztlichen Kunst und dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprächen.

Gerade bei der Schmerzlinderung im Todeskampf bestünde eine besondere Ausnahmesituation, die auch das Handeln eines Nichtarztes unter Abweichung von der ärztlichen Anordnung rechtfertigen könne. Somit wäre die Möglichkeit einer Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung des Geschädigten zumindest vom Tatgericht zu prüfen gewesen.

Dies habe im Wege einer Gesamtabwägung und im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten anhand seiner persönlichen Umstände, individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen zu erfolgen. Dass die Beachtung und Einhaltung der ärztlichen Anordnung gemeinhin als Vernünftig anzusehen sei, sei lediglich ein Indiz für die gerichtliche Bewertung. Gerade im Todeskampf könne jedoch auch ein darüberhinausgehendes Handeln innerhalb den Regeln der ärztlichen Kunst als vernünftig angesehen werden. Vor allem, wenn – wie im vorliegenden Fall – die ärztliche Anordnung an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen habe.

Eine solche Gesamtabwägung lasse das landgerichtliche Urteil vermissen.

Auch, dass der Angeklagte neben Mitleid mit dem Geschädigten auch handelte, um seiner unerfahrenen Kollegin zu imponieren, sei kein Ausschlussgrund für eine Rechtfertigung, da das Mitleidsmotiv nicht völlig in den Hintergrund gedrängt worden sei.

Anmerkung der Redaktion:

Gerade vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zur Straffreiheit der Sterbehilfe wird hier deutlich, dass der Wille des einzelnen Patienten auch bei einer Einwilligung in palliativmedizinische Behandlungen sehr großes Gewicht hat und sogar die Abweichung von ärztlichen Anordnungen rechtfertigen kann.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 81/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.03.2020 – 3 StR 574/19: Raub mit Todesfolge bei Tod aufgrund wirksamer Patientenverfügung

Amtlicher Leitsatz:

Der qualifikationsspezifische Risikozusammenhang im Sinne des § 251 StGB wird nicht dadurch unterbrochen, dass die behandelnden Ärzte mit Blick auf eine wirksame Patientenverfügung in rechtmäßiger Weise von einer Weiterbehandlung des moribunden Raubopfers absehen.

Sachverhalt:

Das LG Krefeld hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte seinem 84jährigen Opfer die Handtasche aus dem Rollator gerissen, um diese zu entwenden. Da die Schlaufe der Tasche um den Griff der Gehhilfe gewickelt war, war die Geschädigte schwer gestürzt und musste aufgrund ihrer Verletzungen im Krankenhaus operiert werden. Nach der Operation hatte sich der Gesundheitszustand der vorerkrankten Geschädigten massiv verschlechtert, sodass die Ärzte nach Absprache mit den Angehörigen und aufgrund einer wirksamen Patientenverfügung die weitere Behandlung eingestellt hatten. Das Opfer war 13 Tage nach der Tat verstorben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung des LG wegen Raubes mit Todesfolge.

Die empfindlich höhere Strafandrohung des § 251 StGB erfordere eine einschränkende Auslegung der Norm, der mit dem Erfordernis des gefahrspezifischen Zusammenhangs Rechnung getragen werde. Dieser Zusammenhang sei nur gegeben, wenn zwischen den tatbestandsspezifischen Risiken und der Todesfolge eine Verknüpfung bestehe. Beim Dazwischentreten Dritter oder des Opfers könne dieser Zusammenhang unterbrochen werden, was jedoch nicht bedeute, dass in den Fällen, in denen die tödliche Folge nicht unmittelbar durch die Nötigungshandlung eintrete, stets die Verwirklichung des § 251 StGB ausscheide.

Es komme vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung der Umstände im Einzelfall an. In diese müssten alle maßgeblichen Faktoren Einfluss finden, wie beispielsweise das Gewicht und die Bedeutung des Eingriffs des Dritten für den weiteren Geschehensablauf, ob das Eingreifen des Opfers die Todesgefahr erst geschaffen oder nur beschleunigt habe sowie die rechtliche Einordnung der Handlung des Dritten bzw. des Opfers.

Nach dieser Abwägung sei dem Angeklagten hier der Tod des Opfers trotz dessen Patientenverfügung und dem letztlich todesursächlichen Behandlungsabbruch zuzurechnen.

Zwar sei der Tod nicht auf die durch die Tat ausgelöste Gehirnblutung direkt zurückzuführen, sondern auf die Vorerkrankungen des Opfers in Kombination mit der Operation. Diese lege artis durchgeführte Behandlung und die mit ihr verbundenen Risiken seien jedoch bereits zum Zeitpunkt der Tat in der Konstitution des Raubopfers angelegt gewesen.

Auch der Abbruch der Weiterbehandlung aufgrund der Patientenverfügung vermöge den Risikozusammenhang nicht unterbrechen, so der BGH.

Generell setzte das Verzichten des Opfers auf ärztliche Hilfe kein neues Todesrisiko. Es wirke nur dem vom Täter gesetzten Risiko nicht entgegen. Dazu sei ein Gewaltopfer jedoch auch nicht verpflichtet, da es jedem Opfer aufgrund seines verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts frei bleibe selbstbestimmt zu entschieden, ob es ärztliche Hilfe in Anspruch nehme oder nicht. Dies gelte auch für eine Patientenverfügung, denn vor dem Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Wertung sei der Wille des Opfers einer Straftat, dem durch diese in Gang gesetzten tödlichen Verlauf nicht um jeden Preis durch lebenserhaltende Maßnahmen Einhalt zu gebieten, als eine aus der Schwere der Verletzung folgende und mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Reaktion zu werten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bei einem schweren ärztlichen Behandlungsfehler komme eine Unterbrechung des Gefahrzusammenhangs durchaus in Betracht, so der BGH: Beschl. v. 08.07.2008 – 3 StR 190/08

Dennoch müsse auch in dieser Konstellation eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall erfolgen.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 80/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.09.2020 – 2 BvR 1810/19: Zur Ermessensausübung bei körperlichen Durchsuchungen im Strafvollzug

Leitsatz der Redaktion:

Bei einer körperlichen Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung im Strafvollzug genügt ein Formblatt mit Ankreuzmöglichkeiten nicht, um eine genügende Ermessenausübung durch die Strafvollzugsbeamten zu dokumentieren.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat sich gegen die Entscheidungen des LG Regensburg – Strafvollstreckungskammer und des Bayerischen Obersten Landesgerichts zum BVerfG gewendet.

Er war nach einem Familienbesuch in der Anstaltscafeteria unter vollständiger Entkleidung körperlich durchsucht worden. Die Durchsuchung war auf einem Formblatt mit Ankreuzmöglichkeiten von zwei männlichen Strafvollzugsbeamten protokolliert worden. Die Anstaltsleitung hatte zuvor die Durchsuchung jedes sechsten Gefangenen nach Besuchskontakten genehmigt, wobei die Maßnahme bei einer sehr fernliegenden Gefahr des Missbrauchs des Besuchsrechts unterbleiben solle.

Der Beschwerdeführer hatte daraufhin die gerichtliche Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung beantragt, da sie ohne konkreten Anlass erfolgt und damit rechtswidrig gewesen sei.

Sowohl Land– als auch Oberstes Landesgericht hatten die Entscheidung der JVA bestätigt.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt.

Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletze den Beschwerdeführer in dem aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Die Durchsuchung unter vollständiger Entkleidung stelle einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Gefangenen dar.

Deshalb habe der Bayerische Landesgesetzgeber in Art. 91 BayStVollzG ein ausdifferenziertes Regelungskonzept für Durchsuchungen geschaffen.

Nach der Konzeption der Regelungen in Art. 91 Absatz 2 und Absatz 3 BayStVollzG sei es zwar von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn auf der Grundlage von Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BayStVollzG mit Entkleidung verbundene Durchsuchungen – etwa im Wege der Stichprobe – auch für persönlich an sich unverdächtige Gefangene angeordnet werden, sofern Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, gefährliche Häftlinge könnten sonst die für sie angeordneten Kontrollen auf dem Umweg über von ihnen unter Druck gesetzte Mithäftlinge umgehen. Dabei dürfe aber nicht die in Art. 91 BayStVollzG vorgesehene Abstufung der Anordnungsbefugnisse unterlaufen werden. Eine Anordnung auf der Grundlage des Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BayStVollzG dürfe daher jedenfalls nicht zur Durchsuchung aller oder fast aller Gefangenen vor jedem Besuchskontakt und damit zu einer Durchsuchungspraxis führen, die das Strafvollzugsgesetz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nur in den Konstellationen des Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG erlaube.

Mit seiner Annahme, die Durchsuchungsanordnung sei sowohl auf Art. 91 Absatz 3 als auch auf Absatz 2 BayStVollzG zu stützen, habe das LG die abgestufte und ausdifferenzierte Regelung der Ermächtigungsgrundlagen im BayStVollzG verkannt.

Dies sei aber im Ergebnis nicht durchschlagend, da die Durchsuchung auch allein auf Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG hätte gestützt werden können.

Allerdings habe das LG Bedeutung und Tragweite des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts dadurch verkannt, dass es angenommen habe, eine ausreichende Ermessensausübung durch die Justizbeamten ergebe sich ohne darüber hinausgehende Prüfung bereits aus dem bei der Durchsuchung ausgefüllten Formblatt.

Auf dem Formblatt habe sich lediglich ankreuzen lassen, ob die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs nach den genannten Kriterien besonders fern gelegen habe oder nicht. Ein Feld zur Dokumentation konkreter Erwägungen oder eine sonstige Möglichkeit zur Begründung der Gefahr eines Missbrauchs des Besuchs durch den Gefangenen sei in dem verwandten Formblatt nicht vorgesehen gewesen. Daher habe das bloße Ankreuzen des vorgesehenen Feldes in dem konkret eingesetzten Formblatt nicht genügt, um bereits daraus auf eine sorgfältige Ermessensabwägung im Einzelfall zu schließen.

Zudem habe sich das LG nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob möglicherweise mildere Mittel zur Gefahrbeseitigung hätten eingesetzt werden können.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits im Jahr 2016 hatte das BVerfG entschieden, dass körperliche Durchsuchungen unter vollständiger Entkleidung auch stichprobenartig zulässig seien, solange in der Anordnung die Abweichungskompetenz des jeweiligen Beamten im Einzelfall vorgesehen sei. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 79/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 19.08.2020 – 5 StR 558/19: Zum ärztlichen Abrechnungsbetrug

Amtlicher Leitsatz:

Zum Abrechnungsbetrug im Fall eines medizinischen Versorgungszentrums bei unzulässiger Beteiligung eines Apothekers.

Sachverhalt:

Das LG Hamburg hat die Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 13 Fällen, die Angeklagten Z. und D. zusätzlich wegen Betruges in elf weiteren Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte F. als Alleingesellschafter ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) betrieben. Um das unternehmerische Risiko nicht allein schultern zu müssen, hatte er dem Apotheker Z. eine Beteiligung angeboten. Diese war dem Z. jedoch aufgrund des § 95 Abs. 1a SGB V nicht möglich gewesen, da er als Apotheker kein MVZ betreiben bzw. Anteile daran erwerben hatte dürfen.

Daraufhin hatte Z. den Plan gefasst, mithilfe eines sog. Strohmanns am MVZ beteiligt zu werden. Er hatte dem F. mehrere Darlehen gewährt und als Sicherheit die Übertragung der Gesellschafteranteile auf eine durch ihn zu bestimmende dritte Person vereinbart.

Nach Kündigung des Darlehns hatte Z. die Sicherheit in Anspruch genommen und den D. als neuen Mehrheitsgesellschafter eingesetzt. Dieser hatte als Arzt die Möglichkeit, ein MVZ zu betreiben und handelte von Z. gesteuert als dessen Strohmann.

Dem F. war dieser Plan bekannt gewesen.

Trotz Kenntnis davon, dass das MVZ aufgrund der faktischen Beherrschung durch den Z. nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt gewesen war und somit dessen Leistungen auch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nicht abrechnungsfähig gewesen waren, stellten die Angeklagten mehrere Quartalsabrechnungen und hatten sich die Beträge durch die KV auszahlen lassen.

Der Z. hatte zudem als Apotheker bei der Techniker Krankenkasse über eine Verrechnungsstelle mehrere in seiner Apotheke eingelöste Verordnungen abgerechnet, obwohl auch diese von den Ärzten des MVZ ausgestellten Rezepte nicht anrechenbar gewesen waren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte weitestgehend die Verurteilung der Angeklagten durch das LG.

Das LG habe zu Recht eine konkludente Täuschung der Mitarbeiter der KV darin gesehen, dass die Angeklagten die Abrechnungen eingereicht hatten. Bei der Abrechnung von ärztlichen Leistungen sei es in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Arzt aufgrund seiner Vertrauensstellung durch die vertragsärztliche Zulassung mit der Abrechnung konkludent zum Ausdruck bringe, die rechtlichen Voraussetzungen der Abrechenbarkeit seien eingehalten. Diese erhöhte Erwartungshaltung an ärztliche Abrechnungserklärungen lasse sich schon mit der Bestätigungspflicht aus § 45 Abs. 1 BMV-Ä rechtfertigen, die letztlich eine Garantiepflicht des Vertragsarztes begründe.

Auch die Einmalige Zulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung lasse die Pflicht zur Prüfung der Voraussetzungen der Kassenzulassung bei jedem Abrechnungsvorgang nicht entfallen, da eine rechtswidrige Statusentscheidung der KV jederzeit zurücknehmbar sei, so der BGH.

Ebenfalls sei der Vermögensschaden zutreffend vom LG bejaht worden.

Die kassenärztlichen Vereinigungen seien als Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Lage, Vermögen zu bilden. Die von den Krankenkassen überwiesenen Vergütungen seien ihnen als eigene zugewiesen was dazu führe, dass ihnen ein eigenes Guthaben entstanden sei. Die Gesamtvergütungen stellten keinen bloßen Durchlaufposten vor der Honorarverteilung an die Ärzte dar.

Da die Angestellten der KV auf eine tatsächlich nicht bestehende Verbindlichkeit an die Ärzte die Vergütungen geleistet hätten, sei der KV auch kein gleichwertiges Äquivalent zugeflossen, sodass ein Vermögensschaden nach der Gesamtsaldierung anzunehmen sei.

Auch der Gegenwert der ärztlichen Leistung könne nicht schadensmindernd in Abzug gebracht werden, da dieser bereits vor der betrugsrelevanten Abrechnung entstanden sei. Strafrechtlich bemakelt sei nicht die Art und Weise der ärztlichen Leistungserbringung, sondern lediglich deren Abrechnung unter Täuschung darüber, dass die sozialrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorlägen.

Auch etwaige ersparte Aufwendungen der KV durch die gleiche Behandlung bei einem anderen Arzt seien als hypothetische Annahmen bei der Schadensberechnung nicht relevant.

Auch die Wertungen des LG zum Betrug zu Lasten der Techniker Krankenkasse hielten der revisionsrechtlichen Prüfung stand.

Der BGH korrigierte im Wesentlichen lediglich die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten durch das LG sowie die Einziehungsentscheidung.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt hatte der BGH 2017 entschieden, dass sog. Kick-Back-Zahlungen und Übermengenbestellungen durch ein MVZ den Betrugstatbestand erfüllen.  Die Entscheidung finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 78/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 3 StR 275/20: Einordnung einer Schrift als kinderpornographisch ausschließlich nach objektiven Kriterien

Amtlicher Leitsatz:

Eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB liegt vor, wenn die genannten Körperteile aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters in sexuell motivierter Weise im Blickfeld stehen. Hierfür sind die aus der Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zu entnehmenden Umstände heranzuziehen; auf die daraus nicht ersichtlichen Beweggründe der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person kommt es nicht an.

Sachverhalt:

Das LG Duisburg hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornographischen Schrift verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte Bilder vom unbekleideten Gesäß eines fünf- bis neunjährigen Mädchens aus dem Internet auf sein Mobiltelefon geladen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH konnte in der Einordnung der Bilder als kinderpornographische Schriften durch das LG keine Rechtsfehler erkennen.

Sexuell aufreizend sei eine Wiedergabe, die eine sexuell konnotierte Fokussierung auf die näher bezeichneten unbekleideten Körperregionen eines Kindes enthalte. Demnach müsse die Abbildung des Körperteils über eine neutrale Darstellung, wie beispielsweise bei unverfänglichen Urlaubsfotos sowie medizinischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Abbildungen, hinausgehen.

Für diese Abgrenzung seien jedoch ausschließlich die sich aus der Schrift ergebenden Umstände relevant. Auf die Intention der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person komme es gerade nicht an.

Dafür spreche zum einen der Wortlaut, der als Bezugsobjekt auf die „sexuell aufreizende Wiedergabe“ abstelle und gerade nicht auf davon losgelöste Umstände.

Auch systematische Erwägungen stützten dieses Ergebnis, so der BGH, da ansonsten ein und dieselbe Schrift je nach Intention des Erstellers bzw. Besitzers mal als kinderpornographisch einzuordnen sei und mal nicht. Eine solche subjektivierte Betrachtungsweise eines objektiven Tatbestandsmerkmals sei im Gesetz nicht angelegt.

Gleiches fordere auch die Historie und der Zweck des Gesetzes.

Anmerkung der Redaktion:

Der Wortlaut des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB war im Januar 2015 durch das Neunundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches eingefügt worden, um europäische Vorgaben zum Sexualstrafrecht umzusetzen.

Näheres zum Gesetz und der Richtlinie finden Sie hier.

 

 

 

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