KriPoZ-RR, Beitrag 56/2019

Die Pressemitteilung finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Keine fahrlässige Tötung nach Gewährung von Vollzugslockerungen

Leitsatz der Redaktion:

Gewähren Strafvollzugsbedienstete einem Gefangenen im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums Vollzugslockerungen und wägen dabei alle maßgeblichen Argumente sorgfaltspflichtgemäß gegeneinander ab, sind sie für die unvorhersehbaren Folgen eines Fluchtversuchs nicht verantwortlich.

Sachverhalt:

Das LG Limburg hat die Angeklagten – beide Abteilungsleiter in verschiedenen Justizvollzugsanstalten – wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sie einem Strafgefangenen Vollzugslockerungen mit der Maßgabe gewährt, dass dieser kein Kraftfahrzeug führen dürfe. Während seines Freigangs war der Häftling dennoch mit einem Auto gefahren und in eine Polizeikontrolle geraten. Er hatte versucht zu flüchten und dabei eine junge Frau getötet. Dafür war er wegen Mordes verurteilt worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH sprach die beiden Angeklagten frei.

Die Verlegung des Gefangenen in den offenen Vollzug sowie die Gewährung von Vollzugslockerungen seien nicht sorgfaltswidrig gewesen. Beide hätten im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums und auf Grundlage einer den Landesbestimmungen entsprechenden Entscheidungsgrundlage zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit und dem Resozialisierungsinteresse des Gefangenen abgewogen. Somit sei die Gewährung der Lockerungen kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Fahrlässigkeitstat.

Ob möglicherweise Kontroll- oder Überwachungspflicht verletzt worden sind, hatte der BGH nicht zu entscheiden, da eine etwaige Verletzung mangels Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts auch keinen Fahrlässigkeitsvorwurf hätte begründen können, so der Senat.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Volltext der Entscheidung ist mittlerweile veröffentlicht worden. Mehr dazu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 31/2020.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 55/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.09.2019 – 3 StR 337/19: Kein Schlechterstellungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO, wenn Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben wird (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO)

Leitsatz der Redaktion:

Gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Aufhebung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führen, dass trotz des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) ein Freispruch entfällt.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Beschuldigte in Libyen überfallen und schwer traumatisiert worden, was schon vor seiner Flucht nach Deutschland zu einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung geführt hatte.

Am Tattag war es zwischen Freunden des Angeklagten und einer fremden Person zu einer Auseinandersetzung gekommen, die zu einer abrupten Reaktivierung der Todesängste im Sinne einer Retraumatisierung beim Beschuldigten geführt hatte. Er hatte daraufhin im Affekt einen Stein auf das Gesicht des am Boden liegenden Opfers geworfen, was zu einem Schädelhirntrauma und Gesichtsschädelfrakturen geführt hatte.

Das LG nahm eine gemäß § 20 StGB schuldlose Tat an und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an.

Entscheidung des BGH:

Der BGH gab der vom Angeklagten auf seine Unterbringung beschränkten Revision statt, was jedoch auch zur Aufhebung des Freispruchs führt.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus halte sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da das LG keinen länger dauernden Zustand der geistigen Krankheit ausreichend festgestellt habe.

Zwar sei ein anhaltender Zustand der Schuldunfähigkeit nicht erforderlich, jedoch seien die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht schon bei einem vorübergehenden Defekt erfüllt.

Bei einer nicht krankhaften psychischen Auffälligkeit, die die Schwelle zur schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht überschreite, sondern nur in besonderen Stresssituationen zu Tage trete, sei eine Unterbringung nicht möglich.

Die dadurch bedingte Aufhebung der Maßregelanordnung führe auch zur Aufhebung des Freispruchs, da das Schlechterstellungsverbot aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO keine Wirkung entfalte.

Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 habe der Gesetzgeber in § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO die Möglichkeit schaffen wollen, einen Angeklagten anstelle einer Unterbringung schuldig zu sprechen. Ziel der Regelung sei es, eine alleinige Revision des Angeklagten gegen die Unterbringung zu verhindern, denn eine solche berge die Gefahr, dass die Tat letztlich unbestraft bleibe. Wenn sich nämlich in einem neuen Verfahren die Schuldfähigkeit des Angeklagten herausstelle, damit eine Anordnung nach § 63 StGB nicht mehr möglich sei aber der Freispruch noch Bestand habe, wäre eine Sanktionierung ausgeschlossen.

Dies führe im Ergebnis dazu, dass die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Unterbringung nicht zulässig sei und auch der Freispruch aufzuheben sei, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 54/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.08.2019 – StB 17/18: Verfahren gegen Franco A. vor dem OLG eröffnet

Leitsatz der Redaktion:

Zur Beurteilung der Frage, ob ein dringender Tatverdacht gegeben ist, hat das Gericht im Zwischenverfahren alle maßgeblichen Gesichtspunkte wertend gegeneinander abzuwägen.

Sachverhalt:

Das OLG Frankfurt hat den Tatvorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat als nicht hinreichend erwiesen angesehen und daher die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Franco A. vor dem Landgericht beschlossen.

Dem ehemaligen Soldaten wird vorgeworfen, sich mehrere Schusswaffen und Sprengmittel ohne die erforderliche Genehmigung beschafft zu haben, um einen oder mehrere Anschläge gegen hochrangige Politiker der Bundesrepublik Deutschland oder Persönlichkeiten der Gesellschaft zu begehen. Dafür hatte er sich als geflüchteter Syrer registrieren lassen, um den Tatverdacht im Sinne seiner völkisch-nationalistischen Gesinnung auf einen Flüchtling zu lenken und dadurch die politische Debatte in Deutschland zuungunsten einer offenen und toleranten Gesellschaft zu beeinflussen.

Gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt hat der GBA  Beschwerde zum BGH erhoben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH gab der Beschwerde statt und eröffnete das Hauptverfahren gegen den Beschuldigten vor dem OLG Frankfurt gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG.

Zur Begründung führte der Senat an, dass Franco A. zwar, was der Begründung des OLG entsprach, sieben Monate vor seiner Festnahme untätig geblieben war. Dieser Umstand genüge allerdings vor dem Hintergrund der Komplexität der Anschlagspläne des Angeklagten und der erhofften Reichweite seiner geplanten Taten nicht, um den hinreichenden Tatverdacht zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat auszuräumen.

Das Gericht habe im Zwischenverfahren alle maßgeblichen Gesichtspunkte zur Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts abzuwägen. Im vorliegenden Fall sei eine Vielzahl von Gründen denkbar gewesen, warum der Angeklagte mit der weiteren Vorbereitung oder Durchführung seiner geplanten Tat gewartet hatte. Zwar sei für eine Strafbarkeit nach § 89a StGB mehr als bloßer bedingter Vorsatz bezüglich des „Ob“ der geplanten Gewalttat erforderlich. Sei der Täter jedoch zur Durchführung fest entschlossen und warte nur auf den aus seiner Sicht perfekten Zeitpunkt, sei der Tatbestand erfüllt.

Damit sei von einem dringenden Tatverdacht auch bezüglich des § 89a StGB auszugehen und das Hauptverfahren erstinstanzlich vor dem OLG Frankfurt zu eröffnen, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall Franco A. hatte 2017 zu einem großen Medienecho und einer breiten Debatte um rechtsextreme Gefährder in der Bundeswehr geführt. Einen Bericht der Tagesschau finden Sie hier. Die Pressemitteilung des GBA finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 53/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 18.09.2019 – 1 StR 320/18: Anordnungsvoraussetzungen der selbstständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Anordnungsvoraussetzungen für die selbstständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB ist, dass zum Zeitpunkt der Sicherstellung bereits ein Verdacht wegen einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB bestand und die Sicherstellung wegen dieses Verdachts erfolgte.

Sachverhalt:

Das LG München I hat die von der StA beantragte Einziehung bzw. den Verfall einer Geldzählmaschine und eines Auszahlungsanspruchs vom Beschuldigten abgelehnt.

Nach der staatsanwaltschaftlichen Antragsschrift stamme das Geld aus dem Verkauf von Kokain und sei vor der Lagerung mit der Geldzählmaschine abgezählt worden.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren das Geld und die Zählmaschine bei einer Durchsuchung der Wohnung des Bruders des Beschuldigten, in der dieser ein Schlafzimmer hatte, aufgefunden worden. Die Durchsuchung war aufgrund eines Verdachts wegen illegalen Arzneimittelhandels gegen den Bruder beantragt worden. Das Geld war entweder vom Beschuldigten selbst oder von einer unbekannten Person durch eine nicht bekannte Straftat erlangt worden und lagerte seit dem im Schlafzimmer des Beschuldigten.

Die Beschlagnahme der Gegenstände wurde mit der Begründung bestätigt, dass das Geld wahrscheinlich aus den Straftaten des Bruders stamme und der Beschuldigte durch Verstecken des Geldes, seinem Bruder zu dessen Taten Beihilfe geleistet hätte.

Im Anschluss daran war von der StA ein weiteres Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts einer Straftat nach § 29a Abs. 1 Ziff. 2 BtMG eingeleitet und im Rahmen dieses Verfahrens, die selbstständige Einziehung der Zählmaschine und des Geldes angeordnet worden.

Das Verfahren gegen den Beschuldigten wegen Beihilfe zu den Taten seines Bruders war später eingestellt worden, da ihm ein Hilfeleisten durch das Verstecken des Geldes nicht nachgewiesen werden konnte.

Aufgrund dieses Wechsels der Bezugstat der Beschlagnahme und der späteren Einziehung, lehnte das LG die Einziehung ab.

 

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision der StA.

Zwar habe sich das LG rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die Gegenstände aus irgendeiner rechtswidrigen Tat herrührten und damit grundsätzlicher der selbstständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 Satz 1 StGB unterlägen, jedoch sei ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das LG davon ausgegangen sei, dass die Sicherstellung der Gegenstände nicht auf dem Verdacht einer Katalogtat beruhe.

Bewusst habe der Gesetzgeber die neu eingeführte und nicht verurteilungsbasierte selbstständige Einziehung auf solche Fälle beschränkt, bei denen die Sicherstellung wegen des Verdachts einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB angeordnet werde.

Diese schon durch den Wortlaut sehr klaren Einschränkungen seien Ausdruck des Art. 14 GG und damit zwingend zu beachten.

Sie würden leerlaufen, wenn die StA im Nachhinein weitere nicht zu bestätigende Verdachtsmomente einer Katalogstraftat annehme.

Das Vorliegen des Verdachts schon bei der Sicherstellung der Gegenstände, werde auch von der grundsätzlichen Konzeption der StPO gefordert. Nach dieser sei nämlich jede Maßnahme aufgrund des vorliegenden Verdachtsgrades ex ante zu überprüfen. Eine nachträgliche Umdeutung der Verdachtslage könne eine eingreifende strafprozessuale Maßnahme im Regelfall nicht rechtfertigen.

Zudem sorge das Erfordernis, dass die Sicherstellung schon wegen eines Verdachts einer Katalogtat erfolgen muss, für die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes gegen die Beschlagnahme, denn so könne der Beschuldigte die Maßnahme direkt durch den Ermittlungsrichter überprüfen lassen, was nicht möglich wäre, wenn die Staatsanwaltschaft zu einem nachträglichen Zeitpunkt eine Verknüpfung zwischen Sicherstellung und Katalogtatverdacht herstellen könnte.

Da in diesem Verfahren die Durchsuchung allein aufgrund des Verdachts des illegalen Arzneimittelhandels durchgeführt worden sei und kein Verdacht einer Katalogtat bestanden habe, sei der Antrag der StA zu Recht abgelehnt worden.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 76a Abs. 4 StGB ist durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im April 2017 eingeführt worden. Alles zum Gesetzgebungsverfahren finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 52/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.10.2019 – 5 StR 441/19: Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB) auch möglich, wenn Anlasstat nicht im öffentlichen Verkehrsraum erfolgte

Leitsatz der Redaktion:

Die Anlasstat für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen wird, muss nicht zwingend im öffentlichen Verkehrsraum erfolgen.

Sachverhalt:

Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Totschlags verurteilt und die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte mit einem Transporter auf das Opfer zugefahren, um es zu töten. Die Tat hatte sich jedoch im Hof eines Wohnhauses und nicht im öffentlichen Verkehrsraum abgespielt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision als unbegründet und führte aus, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht voraussetze, dass die Anlasstat im öffentlichen Verkehrsraum erfolgt sei.

Dafür spreche zum einen der insoweit uneingeschränkte Gesetzeswortlaut.

Zum anderen bestätige dies auch der Telos der Norm, da sie bezwecke, fahrungeeignete Täter als Kraftfahrzeugführer vom Straßenverkehr fernzuhalten. Wer sein Fahrzeug als Waffe einsetze und den Fahrvorgang derart pervertierte, bestätige, dass er aufgrund charakterlicher Eignungsmängel nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet sei. Dabei sei es irrelevant, ob die Pervertierung des Fahrvorgangs im öffentlichen Straßenverkehr erfolge oder nicht, denn diese Umstände hingen oftmals einfach vom Zufall ab, so der BGH.

Anmerkung der Redaktion:

Mit dieser Auslegung bestätigt der BGH die obergerichtliche Rechtsprechung des OLG Oldenburg. Das Urteil finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 51/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.07.2019 – 1 StR 363/18: Hinweispflicht auf mögliche Nebenfolge nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlich

Leitsatz der Redaktion:

Nach dem klaren Wortlaut des neu gefassten § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist ein Hinweis nach Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes auch bei der möglichen Anordnung von Nebenfolgen erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Neuruppin hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt und ihm das Recht, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen für 3 Jahre aberkannt.

Gegen die Anordnung dieser Nebenfolge nach §§ 375 Abs. 1 AO, 45 Abs. 2 StGB hat der Angeklagte Verfahrensrüge erhoben.

Die Möglichkeit, dass eine solche Nebenfolge angeordnet werden kann, war in der Anklageschrift nicht thematisiert worden, da der Angeklagte erst ca. drei Monate nach Anklageerhebung als Abgeordneter Mitglied eines Landtags geworden war. Auch während des Prozesses war kein dahingehender Hinweis von Seiten des Gerichts erfolgt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hielt die Verfahrensrüge für begründet, da ein Verstoß gegen § 265 Abs. 1 Nr. 1 iVm Abs. 1 StPO vorliege.

Durch die Änderung der Norm durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens habe der Gesetzgeber explizit auch Nebenstrafen und –folgen in den Anwendungsbereich der Norm aufnehmen wollen. Begründet worden sei dies damit, dass auch Nebenstrafen und –folgen für den Täter erhebliche Einschränkungen bedeuten könnten, was einen Hinweis aufgrund von Art. 103 Abs. 1 GG und des Fair Trial-Grundsatzes erforderlich mache, um dem Angeklagten eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen.

Auf eine entsprechende Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO komme es somit nicht mehr an und die frühere, eine Hinweispflicht verneinende Rechtsprechung, sei überholt.

Da ein Hinweis durch das Gericht unterblieben gewesen war, aber förmlich hätte erteilt werden müssen, sei das Urteil insoweit aufzuheben gewesen, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens finden Sie hier.

Beispiele für die frühere Rechtsprechung des BGH finden Sie hier.

Weitere KriPoZ-RR Beiträge zu § 265 StPO:

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019

KriPoZ-RR, Beitrag 46/2019

KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019

KriPoZ-RR, Beitrag 50/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 03.09.2019 – 3 StR 291/19: Einführung von DNA-Gutachten im Selbstleseverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Liegt kein Einverständnis des Angeklagten vor, kann ein von einem nicht allgemein vereidigten Sachverständigen erstelltes DNA-Gutachten, nicht im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingebracht werden.

Sachverhalt:

Das LG Wuppertal hat den Angeklagten wegen mehreren Wohnungseinbruchdiebstählen verurteilt.

Während der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO unter anderem auch für acht DNA-Gutachten angeordnet. Die Gutachten waren von privaten und nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO vereidigten Sachverständigen erstellt worden und hatten maßgeblich zur Verurteilung durch das LG beigetragen.

Ein ausdrückliches Einverständnis hatten weder der Angeklagte noch sein Verteidiger erklärt. Ein Widerspruch gegen die Verlesung war ebenfalls nicht erhoben worden.

Gegen diese Verfahrensweise hat der Angeklagte die Verfahrensrüge erhoben und eine Verletzung von § 250 StPO gerügt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH sah die Rüge als begründet an, da das LG den Grundsatz der persönlichen Vernehmung (§ 250 StPO) umgangen habe.

Die beiden einzig in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände – § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO und § 256 Abs. 1 Nr. 1 StPO – seien nicht erfüllt gewesen, sodass das Tatgericht die Sachverständigen persönlich in der Hauptverhandlung hätte befragen müssen.

Ein ausdrücklich erklärtes Einverständnis iSd § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO des Angeklagten habe nicht vorgelegen. Die Einlassung des Verteidigers, dem Selbstleseverfahren nicht entgegenzutreten, sei lediglich dahingehend zu verstehen gewesen, dass er mit den Modalitäten des Selbstleseverfahren einverstanden sei und sein Mandant die Urkunden auch als Nichtmuttersprachler lesen und verstehen könne.

Eine Aussage zum „Ob“ der Verlesung der Urkunden im Selbstleseverfahren sei hierin nicht zu sehen, so der BGH.

Auch eine konkludente oder stillschweigende Zustimmung sei nicht anzunehmen gewesen, da das Erfordernis eines Einverständnisses nie in der Verhandlung thematisiert worden sei und man daher nicht davon ausgehen dürfe, dass die Beteiligten die Tragweite ihres Schweigens realisiert hätten. Zudem hätte ein solches stillschweigendes Einverständnis auch im Zeitpunkt der Anordnung der Verlesung bereits bestehen müssen. Da der Vorsitzende aber erst in der Anordnung des Selbstleseverfahrens die betroffenen Urkunden benannt hatte, habe den Beteiligten die Möglichkeit gefehlt, ein Einverständnis bezogen auf die zur Verlesung bestimmten Urkunden zu erklären.

§ 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO sei schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich bei den Gutachtern nicht um allgemein vereidigte Sachverständige gehandelt habe. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm komme nicht in Betracht, da diese als Ausnahmevorschrift zu § 250 StPO eng auszulegen sei und somit die Reputation der Gutachter keine Rolle spiele. Es komme gerade auf die im Vereidigungsverfahren geprüfte sachliche und persönliche Befähigung des Sachverständigen an, die ihn mit einer Autorität ausstatteten, welche eine Gleichstellung mit einer öffentlichen Behörde (vgl. § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO) rechtfertige. Werde das Vereidigungsverfahren nicht durchlaufen, sei daher für die Ausnahme kein Raum.

Schließlich sei eine Beanstandung gemäß § 238 Abs. 2 StPO nicht erforderlich gewesen, da nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO der gesamte Spruchkörper über eine Verlesung zu entscheiden habe, was die Rüge einer Verletzung des § 251 Abs. 1 StPO ohne vorherige Beanstandung ermögliche. Zum anderen hätte der Vorsitzende bei der Stützung seines Vorgehens auf § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO zwingendes Recht ohne eigenen Ermessenspielraum anwenden müssen. Die Rüge der Verletzung solch zwingenden Rechts sei auch ohne Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO möglich.

Damit verstoße das Vorgehen des LG gegen § 250 StPO.

Anmerkung der Redaktion:

Schon in früheren Urteilen hat der BGH klargestellt, dass die gesetzlichen Ausnahmen zu § 250 StPO eng auszulegen und nur in besonderen Fällen zu erweitern sind.

Beispiele für diese Rechtsprechung finden Sie hier und hier.

An dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber auch mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens nichts ändern wollen.

KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.10.2019 – 1 ARs 14/19: Antwort auf Anfragebeschluss des 5. Strafsenats (18.06.2019 – 5 StR 20/19)

Leitsatz der Redaktion:

§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO macht einen gerichtlichen Hinweis auf eine mögliche Einziehung auch dann erforderlich, wenn die Tatsachen zwar schon in der Anklageschrift angegeben waren, das Gericht aber deren Bedeutungsgehalt erst in der Hauptverhandlung realisiert hat.

Sachverhalt:

Der 5. Strafsenat des BGH hat in einem Anfragebeschluss an den 1. Strafsenat (KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019) mitgeteilt, dass er beabsichtige von dessen bisheriger Rechtsprechung abzuweichen und gefragt, ob der 1. Senat an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalte.

Gegenstand der Anfrage war die Auslegung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO, der nach Ansicht des 5. Senats keine Hinweispflicht auslöse, wenn die entscheidungserheblichen Tatsachen für eine Einziehungsentscheidung bereits in der Anklageschrift angegeben gewesen waren.

Entscheidung des 1. Senats:

Der Senat hält an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung fest.

Dies begründet er zum einen mit der Systematik der Norm. Die Hinweispflicht des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO sei auf alle Maßnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB anzuwenden. Eine Unterscheidung innerhalb der verschiedenen Maßnahmen finde im Gesetz gerade nicht statt, was für eine einheitliche Anwendung aller Rechtsfolgen spreche.

Dann zieht der 1. Senat einen Vergleich zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung, bei deren Anwendung es der ständigen Rechtsprechung entspreche, einen Hinweis auch bei lediglich neuer Bewertung schon bekannter Tatsachen zu erteilen. Für die Einziehung dürfe nichts anderes gelten, so der Senat, da ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung fehle.

Zudem seien in Abs. 2 des § 265 StPO sowohl Hinweispflichten für Fälle der Änderung des tatsächlichen, als auch des rechtlichen Gesichtspunktes geregelt. Das verhindere eine Abgrenzung der Absätze 1 und 2 anhand dieses Kriteriums.

Auch die Gesetzeshistorie spreche für die Wertung des 1. Senats, da der Gesetzgeber durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht einfach den Fall der Einziehung eingefügt habe. Er habe in Kenntnis der bisherigen Senatsrechtsprechung die Hinweispflichten für Einziehungsentscheidungen und Maßregeln der Besserung und Sicherung unter dem Oberbegriff der Maßnahmen gebündelt, was ebenfalls für eine Gleichbehandlung beider Nebenfolgen spreche.

Der zur Begründung einer engen Auslegung der Hinweispflicht vom 5. Senat herangezogene Vergleich der Einziehung mit dem Fahrverbot sei insoweit nicht tragfähig, als dass die Anordnung der Einziehung von weiteren tatsächlichen Voraussetzungen abhängig sei. Dies mache es möglicherweise für den Angeklagten erforderlich, sich gegen eine Einziehungsentscheidung in der Hauptverhandlung anders zu verteidigen, als gegen den Hauptvorwurf selbst. Eine solche abweichende Verteidigung könne es beim Fahrverbot nicht geben, da dessen Anordnung von denselben Voraussetzungen abhängig sei, wie die Strafe selbst.

Auch der Telos des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erfordere eine weite Auslegung, da Art. 103 Abs. 1 GG und der sog. Fair Trial-Grundsatz eine effektive Verteidigung des Angeklagten geböten, was einen Schutz vor Überraschungsentscheidungen des Gerichts erforderlich mache.

Insoweit spiele es für den Angeklagten keine Rolle, ob er schon Kenntnis der Tatsachenlage habe. Diese sei für ihn regelmäßig nutzlos. Relevant sei einzig und allein die rechtliche Bewertung der Tatsachengrundlage, was eine Hinweispflicht bei fehlender Bedeutungskenntnis auslöse.

Abschließend führte der Senat aus, dass eine unterschiedliche Behandlung von Einziehungsentscheidungen und Anordnungsentscheidungen von Maßregeln der Besserung und Sicherung weder nach dem Kriterium des Schwierigkeitsgrades der rechtlichen Bewertung noch nach der Eingriffsintensität der Maßnahmen zu rechtfertigen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den KriPoZ-RR Beitrag über den Anfragebeschluss des 5. Senats finden Sie hier.

Eine Aufbereitung des Gesetzgebungsverfahrens des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 48/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.09.2019 – 2 StR 350/19: BGH erweitert Definition der Beendigung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Leitsatz der Redaktion:

Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist schon dann beendet, wenn alle Bemühungen um einen erfolgreichen Güterumsatz und einen Waren- und Geldfluss endgültig eingestellt worden sind.

Sachverhalt:

Das LG Frankfurt a. M. hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte er sich mit einer Bekannten verabredet, um von ihr angekauftes Marihuana auf dessen Qualität hin zu prüfen. Als Entlohnung war ihm eine kleine Menge des Rauschgifts für den Eigenverbrauch versprochen worden.

Auf Anweisung seiner Bekanntschaft hatte der Angeklagte das Marihuana aus dem Versteck in einer Tiefgarage geholt und in ihre Wohnung gebracht. Dort hatte er die Qualität überprüft und beim anschließenden Verpacken der Drogen geholfen. Nach den Feststellungen des LG hatte er dabei vom Drogengeschäft seiner Bekannten gewusst und dieses auch fördern wollen. Daraufhin war es zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung gekommen bei dem der Beschuldigte verhaftet worden war.

Die Polizei hatte die Wohnung observiert, da die Bekannte des Angeklagten am Tag zuvor selbst bei den Beamten angegeben hatte, dass ein Drogengeschäft in ihrer Wohnung stattfinden werde, um eine Strafmilderung nach § 31 BtMG zu erhalten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Schuldspruch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf.

Eine Beihilfehandlung könne nur bis zur Beendigung der Haupttat vorgenommen werden. In diesem Fall bestehe jedoch die Möglichkeit, dass die Haupttat im Zeitpunkt der Hilfeleistung durch den Angeklagten schon beendet gewesen sei. Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sei nämlich beendet, wenn der erstrebte Erfolg des Güterumsatzes und der Bezahlung eingetreten und der Waren- und Geldfluss zur Ruhe gekommen sei oder wenn alle Bemühungen darum endgültig eingestellt worden seien.

Da die Bekannte des Angeklagten zuvor selbst bei der Polizei angegeben hatte, dass ein Drogengeschäft in ihrer Wohnung stattfinden werde, könnte von einer Einstellung der Bemühungen auszugehen sein, so der BGH.

Zu diesem Komplex habe sich das LG allerdings nicht geäußert, was die Aufhebung des Urteils erfordere.

Anmerkung der Redaktion:

Die bisher ständige Definition der Beendigung des Handeltreibens entwickelte der BGH in diesem Beschluss.

Dass nach dem Waren- und Geldaustausch des Drogenkuriers eine noch offene Forderung des Großhändlers für die Beendigung der Tat keine konkrete Bedeutung hat, entschied der BGH in diesem Urteil.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 47/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 3 StR 190/19: Zum subjektiven Tatbestand der Volksverhetzung

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die Verwirklichung des § 130 Abs. 3 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz auch in Bezug auf die Wahrheit der geleugneten Tatsache voraus.
  2. Die Tatbestandsvarianten des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und die des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB schützen jeweils dasselbe Rechtsgut, was dazu führt, dass bei gleichzeitiger Verwirklichung mehrerer Varianten eines Absatzes nur eine Tat gegeben ist.

Sachverhalt:

Das LG München II hat den Angeklagten A wegen Volksverhetzung in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit zwei weiteren Fällen der Volksverhetzung, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung sowie wegen eines weiteren Falls des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt.

Die Angeklagte B hat es wegen Volksverhetzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte A zehn Videos produziert und im Internet veröffentlicht, in denen er den Holocaust geleugnet hatte und gegen Juden und Flüchtlinge hetzte. B hatte ihm teilweise bei der Produktion geholfen und auch selbst in Videos als Darstellerin mitgewirkt und den Holocaust geleugnet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision überwiegend und änderte lediglich den Schuldspruch aufgrund einer abweichenden konkurrenzrechtlichen Bewertung.

Die Ansicht des LG, dass die Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen hatten, den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus zu leugnen, sei rechtsfehlerfrei belegt, so der BGH.

Der subjektive Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB setze zumindest bedingten Vorsatz voraus. Dabei leugne den Holocaust, wer diese historische Tatsache in Abrede stelle, obwohl er entweder wisse oder zumindest billigend in Kauf nehme, dass der Holocaust entgegen seiner Behauptung tatsächlich stattgefunden habe.

Die Unwahrheit der eignen Behauptung sei dabei gerade keine objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern ein Tatbestandsmerkmal, das vom Vorsatz umfasst sein müsse.

Gerade nicht ausreichend sei, dass der Täter bewusst eine allgemein akzeptierte Ansicht bestreite, da sich der Vorsatz dann nur auf den Widerspruch der eigenen Aussage zur allgemein akzeptierten Ansicht erstrecken müsse. Dies würde dazu führen, dass auch durch Dummheit, Unwissenheit oder Ungläubigkeit motivierte Aussagen strafbar wären, was nicht mit dem Schuldgrundsatz übereinstimmte, so der Senat.

Nach diesen Maßstäben habe das LG zu Recht argumentiert, dass die beiden Angeklagten nicht irrig an die Nichtexistenz des NS-Genozids geglaubt, sondern die Beweise für den Völkermord bewusst ignoriert hätten. Damit hätten sie die Unrichtigkeit ihrer eignen Beweise auch mangels kritischer Auseinandersetzung mit ihnen zumindest billigend in Kauf genommen.

Des Weiteren stellte der BGH klar, dass seine ständige Rechtsprechung zur Mittäterschaft unverändert fortbestehe. Für die Annahme einer solchen, sei neben einem gemeinsamen Tatplan ein eigener Tatbeitrag des Mittäters erforderlich, der weder in einer Mitwirkung am Kerngeschehen noch in der Anwesenheit am Tatort bestehen müsse. Es genüge, dass der objektive wesentliche Tatbeitrag in einer Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung liege, die der Mittäter subjektiv als Teil der Tätigkeit aller begreife. Maßgebliche Kriterien dafür seien der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft und der Wille zur Tatherrschaft.

Insoweit sie eine in der Literatur vertretene Ansicht, aus der Rechtsprechung des Senat ergebe sich zur Annahme einer Mittäterschaft im Lichte der Tatherrschaft die Voraussetzung, dass der Täter durch seinen Beitrag die Tatausführung beeinflussen können müsse, nicht richtig. Dies folge daraus, dass es sich bei der Tatherrschaft lediglich um ein Kriterium zur Annahme einer mittäterschaftlichen Begehungsweise handele. Sei dieses nur schwach ausgeprägt oder nicht vorhanden, könne eine Mittäterschaft im Wege einer Gesamtwürdigung aller Kriterien dennoch begründet werden.

Nach diesen Maßstäben sei die Annahme einer Mittäterschaft durch das LG rechtsfehlerfrei, da die Angeklagte B zwar nicht unmittelbar an der Veröffentlichung mancher Videos beteiligt gewesen war, ihr Beitrag im Vorfeld (Idee zum Video, Schreiben des Drehbuchs und Mitwirkung als Darstellerin) jedoch wesentlich gewesen war.

Zur konkurrenzrechtlichen Bewertung führte der Senat aus, dass die Tatbestandsvarianten des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und die des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB jeweils dasselbe Rechtsgut schützten. Da somit lediglich gleichwertige Tatmodalitäten bestraft würden, handele es sich bei gleichzeitiger Verwirklichung mehrerer Varianten innerhalb eines Absatzes nur um eine Tat. Dadurch sei der Schuldspruch teilweise abzuändern gewesen. Die Tateinheit zwischen den Taten nach § 130 Abs. 1 StGB und § 130 Abs. 3 StGB sei allerdings möglich.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zur Abgrenzung der Tathandlungen des Verharmlosens und des Leugnens hat das OLG Celle im August 2019 ein Urteil gefällt. Sie finden es hier.

Auch der EGMR hat sich bereits mit § 130 Abs. 3 StGB befasst. Das Urteil finden Sie hier.

Weitere Urteile des BGH und des BVerfG finden Sie hier und hier.

 

 

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