KriPoZ-RR, Beitrag 31/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.08.2019 – 1 StR 57/19: Keine besonderen Formerfordernisse für Atteste nach § 256 StPO

Leitsatz der Redaktion:

§ 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt nicht zwingend, dass ein ärztliches Attest unterschrieben worden ist.

Sachverhalt:

Das LG Heilbronn hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt und hatte in der Hauptverhandlung drei ärztliche Berichte über die Verletzungen des Opfers, die nicht unterschrieben gewesen waren, im Selbstleseverfahren eingeführt. Hiergegen hat sich der Beschuldigte mit der Verfahrensrüge gewendet, da das Vorgehen des LG eine Verletzung des Grundsatzes der persönlichen Vernehmung und der Vorschriften über den Urkundenbeweis darstelle.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision als unbegründet.

§ 256 StPO ordne eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes an und erlaube neben § 251 StPO die Verlesung von bestimmten Erklärungen von Behörden oder Sachverständigen.

Gerade bei Körperverletzungsdelikten sei es aufgrund ihrer Häufigkeit aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll, dass nicht jeder Arzt persönlich zu seinen Feststellungen vernommen werden müsse. Dies habe auch der Gesetzgeber erkannt und daher mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die Möglichkeit der Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf alle Körperverletzungen, unabhängig von dem konkreten Tatvorwurf, ausgeweitet. Dabei sei das Ziel gewesen, auf eine persönliche Vernehmung des Arztes in der Hauptverhandlung verzichten zu können, da diese sich sowieso oft nicht mehr an den Patienten erinnern könnten und daher nur ihren Bericht persönlich vorstellten.

Besondere Formerfordernisse stelle § 256 StPO dabei nicht, so der BGH, da der Gesetzeszweck schon erreicht werde, wenn aus dem Attest hervorgehe, welcher Arzt die Untersuchung durchgeführt habe und für die Feststellungen verantwortlich sei. Zudem müsse aus dem Dokument ersichtlich werden, dass es sich nicht um eine Entwurfsfassung handele.

Eine Unterschrift des Arztes sei nicht erforderlich.

Anmerkung der Redaktion:

Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens ist 2017 in Kraft getreten und für umfangreiche Änderungen in der StPO, aber auch im StGB, JGG und weiteren Gesetzen verantwortlich. Alle Informationen zum Gesetz finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 30/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 25.06.2019 – 3 StR 130/19: Von Mittätern in Tatmehrheit begangene Delikte können beim Täter zu einer Tat verknüpft werden

Leitsatz der Redaktion:

Fördert ein Täter durch seine Tatbeiträge die tatmehrheitlich begangen Taten seiner Mittäter gleichzeitig und gleichartig, können ihm diese Taten als tateinheitlich begangen zugerechnet werden.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in 45 Fällen (teilweise nur im Versuch) verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte wechselnde Mittäter bei Wohnungseinbruchdiebstählen dadurch unterstützt, dass er sie mit einem Auto in ein Wohngebiet gefahren, im Fahrzeug gewartet und alle Täter anschließend mit der Beute zurück gefahren hatte.

Die Mittäter hatten in vielen Fällen an einem Abend mehrere tatmehrheitlich verwirklichte Taten begangen, die das LG dem Angeklagten auch als tatmehrheitlich zugerechnet hat.

Hiergegen richtete sich die Revision des Angeklagten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die tatmehrheitliche Verurteilung auf.

Es sei für jeden Mittäter einzeln zu betrachten, ob die begangen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangen worden sind.

Fördere der Täter mit seinem Tatbeitrag mehrere Taten in individueller Weise, liege bei Handlungsmehrheit auch Tatmehrheit vor. Profitierten jedoch viele Taten in gleicher Weise durch die gleichartige Unterstützungshandlung des Täters, verknüpfe dieser die Taten in seiner Person zu einer Handlung iSd § 52 Abs. 1 StGB.

Um eine solche Förderung habe es sich in diesem Fall gehandelt, da der Angeklagte alle tatmehrheitlich begangenen Taten seiner Mittäter durch seine, für alle Taten gleichartige, Handlung in gleichem Maße und gleichzeitig unterstützt habe.

Anmerkung der Redaktion:

Diese Rechtsprechung wurde vom BGH am 17.06.2004 (3 StR 344/03) entwickelt und zuletzt am 22.12.2011 (4 StR 514/11) bestätigt.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 29/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 14.08.2019 – 5 StR 228/19: Zur Anwendung deutschen Strafrechts bei Schleuserkriminalität und zum Verwertungsverbot bei Verletzung des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO

Leitsatz der Redaktion:

  1. Bei illegaler Schleusung in die Europäische Union ist deutsches Strafrecht gem. § 96 Abs. 4 AufenthG selbst dann anwendbar, wenn der Beschuldigte Ausländer ist und die Tat im Ausland begangen hat.
  2. Die Neuregelung des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO gebietet keine Bestellung eines Pflichtverteidigers bei jeder richterlichen Vernehmung nach § 115 Abs. 2 StPO eines aufgrund Haftbefehls Ergriffenen. Zudem führt ein etwaiger Verstoß nur in Ausnahmefällen zu einem Beweisverwertungsverbot.

Sachverhalt:

Das LG Kiel hat den Angeklagten wegen versuchter Schleusung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter banden- und gewerbsmäßiger Schleusung verurteilt.

Der Angeklagte hatte sich nach den Feststellungen des Tatgerichts einer Gruppe angeschlossen, die ihren Lebensunterhalt mit der Verbringung von Drittstaatsangehörigen in die Europäische Union verdient hatte. Dabei war der Angeklagte als Wohnungsvermittler und Zahlstellenverwalter in der Türkei für die Gruppe tätig gewesen. Den Migranten war eine sichere Überfahrt über das Mittelmeer auf komfortablen Jachten gegen Zahlung erheblicher Geldbeträge versprochen worden. Tatsächlich waren sie von bewaffneten Männern auf kleine Holzboote gebracht worden, die mit der Vielzahl an Menschen stark überladen und Havariegefährdet waren. Bei einer solchen Überfahrt war ein Boot gekentert und es war zu zahlreichen Todesfällen gekommen, bevor die griechische Küstenwache die restlichen Migranten hatte retten können.

Einer zusätzlichen Verfahrensrüge des Angeklagten lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeklagte war wegen des obigen Vorwurfs per Haftbefehl gesucht und auch festgenommen worden. Die zuständige Ermittlungsrichterin hatte versucht einen Verteidiger zu bestellen, was ihr jedoch nicht gelungen war. Bei der Vorführung war der Angeklagte daraufhin nach § 136 Abs. 1 StPO belehrt worden und ihm war eröffnet worden, dass er sich ohne anwaltliche Vertretung nicht äußern müsse. Dennoch hatte er dann auf einen Rechtsbeistand verzichtet und zu Sache ausgesagt. Danach hatte er erklärt, dass das Gericht ihm einen Anwalt aussuchen könne. Nach der Befragung war der Beschuldigte von der Bundespolizei erneut über sein Schweigerecht belehrt und weiter befragt worden. Der von der Ermittlungsrichterin am darauffolgenden Tag erreichte Verteidiger hatte der Verwertung der Vernehmungsergebnisse in der Hauptverhandlung widersprochen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH wies die Revision als unbegründet zurück.

Der Angeklagte habe zwar als Ausländer im Ausland gehandelt, sodass eine Anknüpfung an §§ 5 bis 7 StGB nicht möglich sei, allerdings bestimme sich die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts in diesem Fall nach § 96 Abs. 4 AufenthG.

Diese Regelung sei durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union  vom 19. August 2007 eingeführt worden und setzte die Verpflichtung des Gesetzgebers aus Art. 27 SDÜ fort. Mit ihr wolle der Gesetzgeber bewusst bestimmte inländische Tatbestände auch auf Auslandstaten beziehen, was aus der Gesetzesbegründung hervorgehe, so der BGH.

Ob eine zusätzliche Legitimation deutscher Strafgewalt durch einen besonderen inländischen Anknüpfungspunkt erforderlich sei, sei in diesem Fall irrelevant, da alle etwaigen besonderen Anknüpfungspunkte (Wohnsitz im Inland, Festnahme im Inland oder Gefahr einer illegalen Einreise nach Deutschland) erfüllt seien.

Zudem lägen die Voraussetzungen von § 96 Abs. 4 AufenthG vor.

Auch die Verfahrensrüge erklärte der BGH für unbegründet.

Gegen eine durch die Novellierung des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO normierte Pflicht, vor jeder richterlichen Vernehmung des ergriffenen Beschuldigten nach § 115 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger zu bestellen, spreche schon, dass dem Gesetzgeber die bisherige Praxis bekannt gewesen sei und bei einer gewünschten Änderung dahingehende Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zu erwarten gewesen wären, so der Senat.

Außerdem sei ein Festhalten am § 141 Abs. 3 Satz 5 StPO dann unverständlich, da dieser im Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Verteidigerbestellung unverzüglich nach der Vollstreckung vorsehe.

Allerding folge aus einer Verletzung des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO, selbst bei Annahme einer Pflicht zur Verteidigerbestellung vor jeder richterlichen Vernehmung, nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot. Es müsse dann lediglich eine Abwägung zwischen dem Recht des Beschuldigten auf unverzügliche Vorführung und dem Gebot zur Bestellung eines Verteidigers stattfinden, bei der der Ermittlungsrichter einen nur eingeschränkt überprüfbaren Wertungsspielraum habe. Ein Verwertungsverbot käme somit nur in Betracht, wenn dieser Wertungsspielraum in unvertretbarer Weise ausgeschöpft worden wäre, was schon fernliege, wenn die Ermittlungsrichterin, wie in diesem Fall, alles Mögliche unternehme, um einen Verteidiger zu erreichen und der Beschuldigte nach Belehrung auf die Hinzuziehung eines solchen verzichte.

Anmerkung der Redaktion:

§ 141 Abs. 3 Satz 4 StPO war am 17.08.2017 durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens eingefügt worden. Informationen zum Gesetzgebungsverfahren erhalten Sie hier. Prof. Dr. Schiemann veröffentlichte zudem eine Analyse der Reform in KriPoZ 2017, 338 ff.

Mittlerweile liegt ein neuer Regierungsentwurf vor, der die §§ 140 ff. der StPO neu gestaltet. Dieser Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung war aufgrund einer EU-Richtlinie (sog. PKH-Richtlinie) erforderlich geworden. Informationen zu diesem Reformvorhaben erhalten Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 28/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 27.08.2019 – 5 StR 196/19: Deutsches Strafrecht auf Handeltreiben mit Schusswaffen aus dem Ausland mit Versand nach Deutschland anwendbar

Leitsatz der Redaktion:

Verkauft ein Deutscher aus dem Ausland heraus Waffen nach Deutschland, ist Deutsches Strafrecht anwendbar, da ihm die Überlassung der Waffen an die Erwerber durch den Transportunternehmer zuzurechnen ist. Dadurch ist ein inländischer Handlungsort nach § 3 StGB begründet.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Verbringen von Schusswaffen in den Geltungsbereich des Waffengesetzes verurteilt.

Nach den Feststellungen des Tatgerichts hatte der Beschuldigte in Ungarn Waffen gekauft, die dort nicht erlaubnispflichtig gewesen waren, um diese über deutschsprachige Internetdomänen deutschen Käufern anzubieten. Dabei hatte er gewusst, dass die Waffen nach deutschem Recht erlaubnispflichtig gewesen waren und sie dennoch nach einer Bestellung mithilfe eines Postdienstleisters an die deutschen Käufer versandt.

Der Angeklagte hat die Revision gegen das Urteil mit der Begründung erhoben, dass deutsches Strafrecht auf diesen Fall nicht anwendbar gewesen sei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision und stellte klar, dass das in § 2 Abs. 2 iVm § 1 Abs. 3, § 21 Abs. 1 Satz 1 WaffG normierte präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, an welches die Strafnorm des § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c WaffG anknüpfe, auch für den Internethandel mit Waffen aus dem Ausland an eine deutsche Zielgruppe gelte.

Dies folge schon aus einem Umkehrschluss zu § 21 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 WaffG.

Zudem sei gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 StGB auch das deutsche Strafrecht anwendbar, da dem Angeklagten das Handeln des Postdienstleisters zugerechnet werden könne und dieser somit im Inland Waffenhandel betrieben habe.

Dies begründet der BGH damit, dass die Tathandlungen aus Abschnitt 2 Nr. 9 Anlage 1 WaffG vom Angeklagten zwar hauptsächlich in Ungarn verwirklicht worden seien, allerdings habe der Postdienstleister die Waffen in Deutschland „überlassen“, was einen inländischen Handlungsort nach § 3 StGB begründe. Dieses Überlassen in Deutschland sei dem Angeklagten auch zuzurechnen, da er das Transportunternehmen als gutgläubigen Tatmittler eingesetzt habe.

Daran ändere auch § 34 Abs. 1 WaffG nichts, der keine – wie von der Revision angenommene – rechtliche Fiktion und Antizipation des Besitzwechsels an den Besteller bereits mit Übergabe durch den Versender an das Postunternehmen in Ungarn bewirke. Die Norm regle lediglich, dass bei Versendung von Waffen an einen Dritten, es auf dessen Berechtigung zum Empfang/Besitz der Waffe ankomme und nicht auf die des Postunternehmens. Dies ergebe sich schon aus der systematischen Stellung der Norm im Unterabschnitt „Obhutspflichten, Anzeige-, Hinweis- und Nachweispflichten“. Zudem werde die Tathandlung des „Transportieren-Lassens“ vom Gesetz dem „Verbringen“ zugeordnet, was dem „Überlassen“ zwingend zeitlich vorgelagert und daher getrennt zu beachten sein müsse.

Anmerkung der Redaktion:

Mittlerweile versucht der Gesetzgeber nicht nur die Händler und Käufer sondern auch die Plattformbetreiber, der Plattformen, die für solche Waffengeschäfte im Internet genutzt werden, strafrechtlich besser verfolgbar zu machen. Dazu gibt es auf Initiative des Landes NRW einen Gesetzentwurf des Bundesrates zur „Einführung einer eigenständigen Strafbarkeit für das Betreiben von internetbasierten Handelsplattformen für illegale Waren und Dienstleistungen“. Alles zum Gesetzentwurf finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 27/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 30.01.2019 – 2 StR 325/17: Verabreichung von Medikamenten kann trotz Verstoßes gegen ärztliche Verordnung durch erklärte oder mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein

Amtlicher Leitsatz:

Die Verabreichung von Morphin zur Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen bei einem Sterbenden durch eine Pflegekraft kann auch dann durch erklärte oder mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn sie nicht der ärztlichen Verordnung entspricht. Ein zugleich vorliegender Verstoß gegen §29 Abs.1 Satz 1 Nr.6 Buchst. b BtMG steht dem nicht zwingend entgegen (Abgrenzung von BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14,  BGHSt 60, 166).

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat die Angeklagte wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte die als Pflegekraft in einer Seniorenresidenz arbeitende Angeklagte einem im Sterbeprozess befindlichen Patienten absichtlich die doppelte Menge des ihm ärztlich verordneten Morphins gespritzt. Dies hatte sie aus Mitleid getan, da sie der Ansicht war, dass die ärztlich verordnete Medikation nicht zur vollständigen Schmerzlinderung ausreichend gewesen war. Der Patient hatte an einer Darmkrebs-Erkrankung im Endstadium gelitten und in seiner Patientenverfügung auf Lebenserhaltene Maßnahmen verzichtet sowie der Verabreichung von Medikamenten zur Erleichterung des Sterbeprozesses zugestimmt.

Dass die Verabreichung der erhöhten Morphin-Dosis den Tod des Patienten beschleunigt hatte, hatte das LG nicht festzustellen vermocht.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Schwurgerichtskammer zurück.

Diese Entscheidung begründete der Senat zum einen damit, dass das LG eine Gesundheitsschädigung iSd § 223 Abs. 1 StGB schon allein in der Verabreichung des Morphins gesehen, es allerdings keine Feststellungen zur konkreten pathologischen Wirkung des Medikaments in diesem Einzelfall getroffen habe. Dies wäre aber für eine lediglich auf der Medikamentenverabreichung basierenden Verurteilung erforderlich gewesen.

Zum anderen sei auch die Ablehnung einer möglichen Rechtfertigung der Angeklagten rechtsfehlerhaft gewesen.

Eine solche komme zwar nicht in Betracht, wenn die Körperverletzung gegen die guten Sitten verstoßen habe. Dies sei jedoch vom Tatgericht nicht abschließend geprüft worden.

Der Begriff der guten Sitten sei im Lichte des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) verfassungskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass die Sittenwidrigkeit der Tat nach allgemein gültigen Maßstäben eindeutig aus der Rechtsordnung hervorgehen müsse. Gerade bei medizinischen Eingriffen stehe allerdings ein anerkannter Zweck im Vordergrund, nämlich die Behandlung einer Krankheit oder die Rettung des Lebens. Dies führe dazu, dass eine medizinisch indizierte Maßnahme grundsätzlich nicht gegen die guten Sitten verstoße und das Gegenteil unzweifelhaft festgestellt werden müsse. An einer solchen Feststellung fehle es hier.

Auch ein möglicher Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG lasse eine Rechtfertigung nach § 228 StGB nicht von vornherein ausscheiden, so der BGH.

Die Einnahme illegaler Drogen sei heute nicht mehr als Verstoß gegen die guten Sitten zu werten, was somit auch auf die Verabreichung solcher Drogen bei vorliegender Einwilligung zu übertragen sei. Auch die entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats bei verabredeten Schlägereien könne auf Fälle der medizinisch indizierten Verabreichung von Betäubungsmitteln nicht übertragen werden, da es in solchen Fällen der indirekten Sterbehilfe auf den Zweck der Handlung und nicht auf das Gewicht des Rechtsgutseingriffs ankomme.

Da die Betäubungsmitteldelikte das Rechtsgut der Volksgesundheit schützten, was als Rechtsgut der Allgemeinheit der Disposition des Einzelnen entzogen sei, könne auch eine etwaige Verwirklichung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Einwilligung des Dispositionsbefugten Individuums aufgrund der Sittenwidrigkeit der Körperverletzung liefern.

Da das LG aufgrund des möglichen Verstoßes gegen das BtMG eine Rechtfertigung von vornherein ausgeschlossen habe, habe es auch zwingend erforderliche Feststellungen zur mutmaßlichen Einwilligung nicht getroffen.

Das Handeln einer Person, die kein Arzt ist, schließe in der Ausnahmesituation, die ein Sterbeprozess darstelle, eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung nicht zwingend aus.

Daher hätte das Tatgericht hier eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Patientenverfügung, vornehmen müssen, um das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung in die Körperverletzung durch Erhöhung der Morphindosis durch die Angeklagte zu prüfen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Am 3. Juli 2019 hatte der BGH entschieden, dass ein Arzt, der den freiverantwortlichen Sterbewillen seines Patienten kennt, nicht wegen Totschlags durch Unterlassen bestraft werden kann, wenn er lebenserhaltende Maßnahmen unterlässt. Siehe dazu: KriPoZ-RR, Beitrag 03/2019

KriPoZ-RR, Beitrag 26/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.05.2019 – 1 StR 651/18Anforderungen an die Feststellungen der Tatsacheninstanz zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20 und 21 StGB

Leitsatz der Redaktion:

Die Tatsacheninstanz hat in einer umfassenden Abwägung sowohl die handlungsleitenden Auswirkungen der Störung als auch die persönlichen Lebensumstände und die Lebensgeschichte des Täters zu würdigen. Die Diagnose einer Krankheit nach dem ICD.10 durch einen Sachverständigen ist kein hinreichendes Kriterium für das Vorliegen einer verminderten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit.

Sachverhalt:

Das LG Kempten hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG war der an einer mit Krankheitswert versehenen Persönlichkeitsstörung gemäß ICD.10 F61.0 leidende Beschuldigte in zwei Wohnungen eines Mehrfamilienhauses eingebrochen und hatte in der zweiten Wohnung den Geschädigten angetroffen. Dies hatte ihn zumindest möglicherweise in einen extremen Anspannungszustand versetzt, der ihm die Steuerung seiner aggressiven Handlungen eventuell erschwert hatte.

Daraufhin hatte er das Opfer mit Tritten und Schlägen schwer verletzt und schließlich erwürgt. Anschließend hatte der Angeklagte das Haus in Brand gesetzt, um seine Tat zu verschleiern.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit der Begründung auf, dass das LG keine genügenden Feststellungen zur Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Tat getroffen habe.

Nach Ansicht des Senats sei es nicht auszuschließen gewesen, dass das LG eine Strafmilderung vorgenommen hätte, wenn es die mentale Störung des Angeklagten gründlicher aufgeklärt und aufgrund der dadurch gewonnen Informationen eventuell auch stärker gewichtet hätte.

Die Feststellung einer verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit habe in einer mehrstufigen Prüfung zu erfolgen.

Zunächst sei eine psychische Erkrankung des Angeklagten erforderlich, die unter § 20 StGB subsumiert werden könne. Diese Erkrankung müsse zur Tatzeit des Weiteren auch derart ausgeprägt gewesen sein, dass die psychische Funktionsfähigkeit des Täters beeinträchtigt gewesen sei. Um einen solchen Schweregrad feststellen zu können, sei das Tatgericht zwar auf einen Sachverständigen angewiesen, dennoch seien die Anwendung des § 20 StGB und die Feststellung der Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit Rechtsfragen, die vom Tatgericht ohne Bindung an die Wertung des Sachverständigengutachtens zu beantworten seien. Dafür müsse das Gericht bei nicht pathologisch bestimmten Störungen in einer umfassenden Abwägung sowohl die handlungsleitenden Auswirkungen der Störung als auch die persönlichen Lebensumstände und die Lebensgeschichte des Täters in nachprüfbarer Weise würdigen.

Die bloße Angabe einer Diagnose oder die Bezeichnung als Persönlichkeitsstörung reiche dafür nicht aus, so der BGH. Entscheidend sei viel mehr die Ausprägung der psychischen Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters.

Da sich die Urteilsgründe des LG darin erschöpfen würden das Sachverständigengutachten wiederzugeben und sich diesem pauschal anzuschließen, genüge das Urteil den oben genannten Grundsätzen nicht.

Auch der Vorwurf des Tatgerichts, dass der Angeklagte seinen psychischen Anspannungszustand vorwerfbar selbst verursacht hat, verfange im Ergebnis nicht, da dem Täter sein Vorverhalten aufgrund seiner Störung möglicherweise nicht vorgeworfen werden könne. Auch zur Beantwortung dieser Frage, habe das LG die Störung des Angeklagten nicht ausreichend untersucht.

Anmerkung der Redaktion:

Am 4. September 2019 ist ein Referentenentwurf vom Bundesjustizministerium vorgestellt worden, der unter anderem vorsieht die Begriffe „Schwachsinn“ und „Abartigkeit“ in § 20 StGB und § 12 Abs. 2 OWiG durch die Begriffe „Intelligenzminderung“ und „Störung“ zu ersetzen. Damit entspräche der Gesetzeswortlaut den in der Medizin verwendeten Fachbegriffen. Unseren Beitrag zu dem Entwurf finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 25/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 30.07.2019 – 5 StR 288/19: Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO bei Angabe der Fundstelle des Aktenvermerks

Amtlicher Leitsatz:

Wird in der Hauptverhandlung ein Vermerk über ein außerhalb der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch verlesen, ist der Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO genügt, wenn der Vermerk durch die Angabe der Aktenfundstelle unverwechselbar bezeichnet wird.

Sachverhalt:

Das LG Flensburg hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer die Revision mit der Verfahrensrüge erhoben, da er einen Verstoß gegen die Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 iVm § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie die Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren in folgendem Sachverhalt sehe:

Außerhalb der Hauptverhandlung hatte ein Verständigungsgespräch nach § 257c StPO stattgefunden, über welches der Vorsitzende im Anschluss einen inhaltlich richtigen Aktenvermerk angefertigt hatte.

Dieser Vermerk war nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers im nächsten Termin der Hauptverhandlung nach einem Hinweis auf das Rechtsgespräch verlesen worden.

Im Hauptverhandlungsprotokoll war dazu festgehalten worden, dass der Vorsitzende den Aktenvermerk nach Hinweis auf das Verständigungsgespräch verlesen hatte und der Vermerk war unter Angabe des Datums und der Fundstelle in der Akte im Protokoll verzeichnet worden. Der Vermerk war jedoch nicht als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Verfahrensrüge als unbegründet. Zunächst sei ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht ersichtlich, da der Vorsitzende den Vermerk in der Hauptverhandlung verlesen und nicht bloß auf ihn verwiesen habe und damit seinen Inhalt zur Kenntnis der Beteiligten gebracht habe.

In der bloßen Angabe der Fundstelle des Vermerks sei auch kein Verstoß gegen die Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu sehen, so der BGH.

Zwar biete es sich an, einen über eine Verständigung angefertigten Vermerk nach der Verlesung als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll zu nehmen. Allerdings genüge es, dass der Vermerk mit der Aktenfundstelle derart unverwechselbar bezeichnet werde, dass eine eindeutige Identifizierung möglich sei.

Dies folge daraus, dass auch beim Urkundenbeweis (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) die Angabe einer eindeutigen Aktenfundstelle ausreiche, um den Inhalt der Beweiserhebung zulässig zu protokollieren. Lasse sich durch das Protokoll in Verbindung mit den Akten der Inhalt eines Beweismittels unproblematisch entnehmen, genüge dies nach ständiger Rechtsprechung der Protokollierungspflicht. Gleiches müsse dann aber auch für Hinweispflichten gelten.

Anmerkung der Redaktion:

Der Abs. 1a ist in den § 273 StPO durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 eingefügt worden. Zuletzt entschied der BGH, dass sich die Mitteilungspflicht aus § 273 Abs. 1a StPO auch auf die Fragen erstreckt, von welcher Seite auf eine Verständigung gedrängt worden war und auch welche Standpunkte die Beteiligten im Gespräch eingenommen hatten (BGH, Beschl. v. 23.10.2018 – 2 StR 417/18).

 

KriPoZ-RR, Beitrag 24/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.06.2019 – 4 StR 62/19: Zur Einziehung im Jugendstrafrecht

Leitsatz der Redaktion:

Die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB ist auch im Jugendstrafrecht uneingeschränkt anwendbar und steht nicht unter einem besonderen jugendstrafrechtlichen Ermessensvorbehalt.

Sachverhalt:

Das LG Dortmund hat den Angeklagten wegen schweren und besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe verurteilt und angeordnet, dass der bereits sichergestellte Betrag eingezogen wird und bezüglich eines weiteren Betrages die „Sicherstellung des Wertersatzes“ erfolgt.

Gegen diese Einziehungsanordnung hat sich der Angeklagte gewendet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Einziehungsentscheidung des LG aus tatsächlichen Gründen auf und wies auf folgende Grundsätze zum Einziehungsrecht im Jugendstrafrecht ergänzend hin:

Auch im Jugendstrafrecht sei das Recht der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB gemäß § 2 Abs. 2 JGG uneingeschränkt anwendbar. Für eine jugendstrafrechtliche Überformung sei im Einklang mit der Rechtsprechung des 2. und 5. Senats kein Raum.

Auch aus § 8 Abs. 3 JGG folge keine Notwendigkeit für eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts. Dafür spreche zum einen, dass § 2 Abs. 2 JGG, der die Normen des Allgemeinen Teils des StGB für anwendbar erkläre, seit Einführung des Jugendstrafrechts durch den Gesetzgeber nicht geändert worden sei. Zum anderen habe der Gesetzgeber keine Spezialregelung geschaffen, die den Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB modifiziere. § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG stelle gerade keine solche Spezialvorschrift dar, da die Norm zwar auch die Einziehung als Nebenfolge betreffe, aber nur die Frage regle, inwieweit eine Kombination von jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen mit solchen des StGB zulässig sei. Konkret ausgeschlossen seien danach nur die Rechtsfolgen in § 6 JGG. Über die konkreten Anwendungsmodalitäten der zulässigen Nebenfolgen sage § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nichts aus.

Auch der Wortlaut („können“) des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG biete keinen Anlass für eine Ermessensentscheidung bei normalerweise obligatorischen Rechtsfolgen des Allgemeinen Strafrechts. Dies begründet der BGH damit, dass auch aus § 7 Abs. 1 JGG nach ständiger Rechtsprechung keine Ermessensentscheidung folge, weil das insoweit früher sprachlich eindeutige JGG lediglich aufgrund redaktionell motivierter Änderungen nun unklar sei.

Diese Auslegung werde auch dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber § 8 Abs. 3 JGG nach der Reform der Vermögensabschöpfung zwar hinsichtlich des Satzes 2 geändert, den Satz 1 allerdings unangetastet gelassen habe.

Abschließend ergebe sich auch aus übergeordneten jugendstrafrechtlichen Grundsätzen keine Notwendigkeit die Einziehungsentscheidung unter einen Ermessensvorbehalt zu stellen, so der BGH. Weder die Möglichkeit der Erteilung einer Geldauflage als Zuchtmittel oder als Bewährungsauflage, noch der Wegfall des § 73c StGB aF führe dazu, dass die Einziehungsentscheidung generell im Ermessen des Jugendrichters liege.

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hatte das Recht der Vermögensabschöpfung im  Jahr 2017 umfassend reformiert. Auf besondere Anpassungen im Jugendstrafrecht verzichtete er dabei. Die Historie des Reformvorhabens finden Sie hier.

Am 10. März 2020 beschloss der vierte Senat (Beschl. v. 10.03.2020 – 4 ARs 10/19), dass er an seiner Rechtsprechung festhalte und damit dem Anfragebeschluss des ersten Senats (Beschl. v. 11.07.2019 – 1 StR 467/18) nicht stattgebe. Der sechste Senat beschloss am 1. Dezember 2020 ebenfalls, dass er sich der Meinung des vierten Senats anschließe und von keinem besonderen Ermessensvorbehalt ausgehe (BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 6 ARs 15/20).

Daraufhin beschloss der erste Senat, dem großen Senat für Strafsachen folgende Frage vorzulegen:

Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?

Den Vorlagebeschluss finden Sie hier: Beschl. v. 08.07.2020 – 1 StR 467/18.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 23/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Zudem hat der BGH eine Pressemitteilung veröffentlich.

BGH, Beschl. v. 13.08.2019 – 5 StR 257/19: „Joker“-Mord

Leitsatz der Redaktion:

Kein Beweisverwertungsverbot aus § 67 JGG, wenn eine Rechtsverletzung des Angeklagten nicht ersichtlich ist.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen Mordes verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der zur Tatzeit Fünfzehnjährige eine vierzehnjährige Freundin von ihm mit einem Küchenmesser erstochen, da er sich mit dem „Joker“ aus den „Batman“-Geschichten identifiziert hatte und herausfinden wollte, ob er in der Lage sei einen Menschen eigenhändig zu töten.

Nach der Tat hatten Beamte der Polizei ihn und seine alleinerziehende Mutter zuhause angetroffen. Nachdem die Beamten den Tatverdacht offengelegt hatten, hatte die Mutter von ihrem Sohn verlangt, dass er es ihr gestehe, wenn er seine Freundin umgebracht habe. Der Angeklagte hatte sich jedoch vor seiner Mutter nicht äußern wollen. Beide waren daraufhin in getrennten Fahrzeugen zur Befragung zur Mordkommission gebracht worden. Nachdem der Angeklagte darüber belehrt worden war, dass er sich nicht zur Tat äußern müsse und seine Mutter, wie es zuvor auf seinen Wunsch mit ihr abgesprochen worden war, draußen warte, er sie aber jederzeit hereinholen könne, hatte er Aussagen zur Tat gemacht.

Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte mit der Verfahrensrüge Revision eingelegt und dies mit einem Beweisverwertungsverbot für seine Aussage bei der Polizei begründet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten.

Selbst wenn § 67 JGG ein Elternkonsultationsrecht enthalte, das eine Belehrungspflicht nach sich ziehe, sei es im vorliegenden Fall nicht zu einer Rechtsverletzung des Angeklagten gekommen, so der Senat. Eine solche Rechtsverletzung sei jedoch Voraussetzung für das Entstehen eines Beweisverwertungsverbots.

Eine Rechtsverletzung sei schon deshalb ausgeschlossen, da der Angeklagte vor seiner Vernehmung mit seiner Mutter hatte sprechen können. Auch, dass seine Mutter nicht an seiner Befragung teilnahm, habe seinem ausdrücklichen Wunsch entsprochen und hätte von ihm jederzeit geändert werden können.

Zudem folge aus einem Verstoß gegen eine etwaige Belehrungspflicht nach § 67 JGG ohnehin nur ein relatives Beweisverwertungsverbot, bei dem die widerstreitenden Interessen des Angeklagten und der Rechtspflege gegeneinander abgewogen werden müssten. Bei dieser Abwägung wäre zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich mit seiner Mutter beraten habe können, sie auf seinen Wunsch nicht an seiner Vernehmung teilgenommen habe und er darüber belehrt worden sei, dass er sich jederzeit anders entscheiden könne. Damit sei das elterliche Erziehungsrecht hinreichend berücksichtigt und dem Schutzbedürfnis des Angeklagten Rechnung getragen worden, so der BGH.

Anmerkung der Redaktion:

Die Rechte von jugendlichen Beschuldigten sollen nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung weiter verbessert werden. Vorgesehen sind Änderungen im JGG, FamFG, GKG, RVG und der StPO. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.06.2019 – 5 StR 20/19: Keine Hinweispflicht auf Einziehung, wenn diese an bereits in der Anklageschrift enthaltene Umstände anknüpft

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der nach den §§ 73, 73c StGB obligatorischen Einziehung, die an bereits in der Anklageschrift enthaltene Umstände anknüpft, sehen weder § 265 Abs. 1 StPO, noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO vor.

Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte unter Ausnutzung seiner Einflussmöglichkeiten als Bürgermeister dafür gesorgt, dass ein Grundstück seiner Gemeinde an eine von ihm und einem Mitangeklagten beherrschte Gesellschaft verkauft worden war. Den durch die Weiterveräußerung erzielten Gewinn hatten sich beide Angeklagte dann geteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte den, als Grundlage für die Einziehung maßgeblichen, Sachverhalt in der Anklageschrift nicht als einen solchen gekennzeichnet, was auch im Eröffnungsbeschluss nicht geschehen war. Gegen diesen Umstand hat der Angeklagte eine, mit der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO begründete, Verfahrensrüge erhoben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH beabsichtigt die Revision zu verwerfen, da sich der Umstand, auf dem die Einziehungsanordnung beruhe, nicht erst in der Hauptverhandlung herausgestellt habe. Dies sei aber für eine Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlich. Die Staatsanwaltschaft habe die realisierten Verkaufsgewinne schon in der Anklageschrift als erlangten Vorteil für die als Gegenleistung getätigte Diensthandlung des Angeklagten bezeichnet, was für die Kenntnis des Angeklagten von einer möglichen Einziehung ausreichend gewesen sei.

Als Begründung führt der Senat den klaren Wortlaut des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO an, der die Hinweispflicht an den nachträglichen Eintritt der relevanten Anknüpfungstatsachen knüpfe. Eine andere Auslegung widerspreche dem Wortlaut der Norm, da den Wörtern „erst in der Verhandlung“ so keine eigenständige Bedeutung mehr zukommen würde. Auch bei § 265 Abs. 3 StPO  sei anerkannt, dass nur neue Tatsachen, die erst in der Hauptverhandlung in den Prozess Eingang fänden, die Aussetzungen der Verhandlung auslösen könnten.

Eine auf einem weiten Schutzzweckverständnis fußende in der Literatur vertretene Auffassung, auch lediglich abweichende rechtliche Bewertungen unterfielen dem § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO sei abzulehnen, da eine abweichende rechtliche Einordnung gerade dem Wortlaut nach nicht als „vom Strafgesetz besonders vorgesehene[r] Umst[a]nd“ angesehen werden könne, so der BGH.

Für dieses Verständnis sprächen auch die Gesetzesmaterialien des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, durch welches der § 265 Abs. 2 StPO zuletzt geändert worden sei. Denn der Gesetzgeber habe trotz Kenntnis des Meinungsstreits unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, den Tatbestand nicht erweitern zu wollen.

Der erkennende Senat sehe sich jedoch an einer solchen Auslegung durch die entgegenstehende Rechtsprechung des 1. Senats gehindert, der § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch für einschlägig halte, wenn die der Einziehungsentscheidung zugrundeliegenden Tatsachen schon vor der Hauptverhandlung bekannt gewesen seien, das Gericht deren Bedeutung aber erst während der Hauptverhandlung erkannt habe.

Dies begründe der 1. Senat mit der ständigen Rechtsprechung bei Maßregelanordnungen, die einen rechtlichen Hinweis auf eine nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung in Betracht kommende Maßregel fordere.

Diese Rechtsprechung sei allerdings nicht auf die Anordnung der Einziehung übertragbar, da deren Anordnungsvoraussetzungen sich gänzlich unterschieden, so der erkennende Senat.

Zudem sei auch der Schutzzweck der Hinweispflichten nicht tangiert, da der Angeklagte mit der Anordnung der obligatorischen Einziehung bei Vorliegen der erforderlichen Tatsachen und ihrer Erwähnung in der Anklageschrift rechnen könne. § 265 sei keine Generalklausel zum Schutz des Angeklagten vor jeglicher Überraschung.

Daher fragt der Senat beim 1. Senat an, ob an der entgegenstehenden Rechtsprechung festgehalten wird.

 

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, das auch für die Änderung des § 265 Abs. 2 StPO verantwortlich war, finden Sie hier.

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