KriPoZ-RR, Beitrag 26/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.05.2019 – 1 StR 651/18Anforderungen an die Feststellungen der Tatsacheninstanz zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20 und 21 StGB

Leitsatz der Redaktion:

Die Tatsacheninstanz hat in einer umfassenden Abwägung sowohl die handlungsleitenden Auswirkungen der Störung als auch die persönlichen Lebensumstände und die Lebensgeschichte des Täters zu würdigen. Die Diagnose einer Krankheit nach dem ICD.10 durch einen Sachverständigen ist kein hinreichendes Kriterium für das Vorliegen einer verminderten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit.

Sachverhalt:

Das LG Kempten hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG war der an einer mit Krankheitswert versehenen Persönlichkeitsstörung gemäß ICD.10 F61.0 leidende Beschuldigte in zwei Wohnungen eines Mehrfamilienhauses eingebrochen und hatte in der zweiten Wohnung den Geschädigten angetroffen. Dies hatte ihn zumindest möglicherweise in einen extremen Anspannungszustand versetzt, der ihm die Steuerung seiner aggressiven Handlungen eventuell erschwert hatte.

Daraufhin hatte er das Opfer mit Tritten und Schlägen schwer verletzt und schließlich erwürgt. Anschließend hatte der Angeklagte das Haus in Brand gesetzt, um seine Tat zu verschleiern.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit der Begründung auf, dass das LG keine genügenden Feststellungen zur Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Tat getroffen habe.

Nach Ansicht des Senats sei es nicht auszuschließen gewesen, dass das LG eine Strafmilderung vorgenommen hätte, wenn es die mentale Störung des Angeklagten gründlicher aufgeklärt und aufgrund der dadurch gewonnen Informationen eventuell auch stärker gewichtet hätte.

Die Feststellung einer verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit habe in einer mehrstufigen Prüfung zu erfolgen.

Zunächst sei eine psychische Erkrankung des Angeklagten erforderlich, die unter § 20 StGB subsumiert werden könne. Diese Erkrankung müsse zur Tatzeit des Weiteren auch derart ausgeprägt gewesen sein, dass die psychische Funktionsfähigkeit des Täters beeinträchtigt gewesen sei. Um einen solchen Schweregrad feststellen zu können, sei das Tatgericht zwar auf einen Sachverständigen angewiesen, dennoch seien die Anwendung des § 20 StGB und die Feststellung der Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit Rechtsfragen, die vom Tatgericht ohne Bindung an die Wertung des Sachverständigengutachtens zu beantworten seien. Dafür müsse das Gericht bei nicht pathologisch bestimmten Störungen in einer umfassenden Abwägung sowohl die handlungsleitenden Auswirkungen der Störung als auch die persönlichen Lebensumstände und die Lebensgeschichte des Täters in nachprüfbarer Weise würdigen.

Die bloße Angabe einer Diagnose oder die Bezeichnung als Persönlichkeitsstörung reiche dafür nicht aus, so der BGH. Entscheidend sei viel mehr die Ausprägung der psychischen Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters.

Da sich die Urteilsgründe des LG darin erschöpfen würden das Sachverständigengutachten wiederzugeben und sich diesem pauschal anzuschließen, genüge das Urteil den oben genannten Grundsätzen nicht.

Auch der Vorwurf des Tatgerichts, dass der Angeklagte seinen psychischen Anspannungszustand vorwerfbar selbst verursacht hat, verfange im Ergebnis nicht, da dem Täter sein Vorverhalten aufgrund seiner Störung möglicherweise nicht vorgeworfen werden könne. Auch zur Beantwortung dieser Frage, habe das LG die Störung des Angeklagten nicht ausreichend untersucht.

Anmerkung der Redaktion:

Am 4. September 2019 ist ein Referentenentwurf vom Bundesjustizministerium vorgestellt worden, der unter anderem vorsieht die Begriffe „Schwachsinn“ und „Abartigkeit“ in § 20 StGB und § 12 Abs. 2 OWiG durch die Begriffe „Intelligenzminderung“ und „Störung“ zu ersetzen. Damit entspräche der Gesetzeswortlaut den in der Medizin verwendeten Fachbegriffen. Unseren Beitrag zu dem Entwurf finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 25/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 30.07.2019 – 5 StR 288/19: Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO bei Angabe der Fundstelle des Aktenvermerks

Amtlicher Leitsatz:

Wird in der Hauptverhandlung ein Vermerk über ein außerhalb der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch verlesen, ist der Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO genügt, wenn der Vermerk durch die Angabe der Aktenfundstelle unverwechselbar bezeichnet wird.

Sachverhalt:

Das LG Flensburg hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer die Revision mit der Verfahrensrüge erhoben, da er einen Verstoß gegen die Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 iVm § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie die Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren in folgendem Sachverhalt sehe:

Außerhalb der Hauptverhandlung hatte ein Verständigungsgespräch nach § 257c StPO stattgefunden, über welches der Vorsitzende im Anschluss einen inhaltlich richtigen Aktenvermerk angefertigt hatte.

Dieser Vermerk war nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers im nächsten Termin der Hauptverhandlung nach einem Hinweis auf das Rechtsgespräch verlesen worden.

Im Hauptverhandlungsprotokoll war dazu festgehalten worden, dass der Vorsitzende den Aktenvermerk nach Hinweis auf das Verständigungsgespräch verlesen hatte und der Vermerk war unter Angabe des Datums und der Fundstelle in der Akte im Protokoll verzeichnet worden. Der Vermerk war jedoch nicht als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Verfahrensrüge als unbegründet. Zunächst sei ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht ersichtlich, da der Vorsitzende den Vermerk in der Hauptverhandlung verlesen und nicht bloß auf ihn verwiesen habe und damit seinen Inhalt zur Kenntnis der Beteiligten gebracht habe.

In der bloßen Angabe der Fundstelle des Vermerks sei auch kein Verstoß gegen die Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu sehen, so der BGH.

Zwar biete es sich an, einen über eine Verständigung angefertigten Vermerk nach der Verlesung als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll zu nehmen. Allerdings genüge es, dass der Vermerk mit der Aktenfundstelle derart unverwechselbar bezeichnet werde, dass eine eindeutige Identifizierung möglich sei.

Dies folge daraus, dass auch beim Urkundenbeweis (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) die Angabe einer eindeutigen Aktenfundstelle ausreiche, um den Inhalt der Beweiserhebung zulässig zu protokollieren. Lasse sich durch das Protokoll in Verbindung mit den Akten der Inhalt eines Beweismittels unproblematisch entnehmen, genüge dies nach ständiger Rechtsprechung der Protokollierungspflicht. Gleiches müsse dann aber auch für Hinweispflichten gelten.

Anmerkung der Redaktion:

Der Abs. 1a ist in den § 273 StPO durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 eingefügt worden. Zuletzt entschied der BGH, dass sich die Mitteilungspflicht aus § 273 Abs. 1a StPO auch auf die Fragen erstreckt, von welcher Seite auf eine Verständigung gedrängt worden war und auch welche Standpunkte die Beteiligten im Gespräch eingenommen hatten (BGH, Beschl. v. 23.10.2018 – 2 StR 417/18).

 

KriPoZ-RR, Beitrag 24/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.06.2019 – 4 StR 62/19: Zur Einziehung im Jugendstrafrecht

Leitsatz der Redaktion:

Die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB ist auch im Jugendstrafrecht uneingeschränkt anwendbar und steht nicht unter einem besonderen jugendstrafrechtlichen Ermessensvorbehalt.

Sachverhalt:

Das LG Dortmund hat den Angeklagten wegen schweren und besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe verurteilt und angeordnet, dass der bereits sichergestellte Betrag eingezogen wird und bezüglich eines weiteren Betrages die „Sicherstellung des Wertersatzes“ erfolgt.

Gegen diese Einziehungsanordnung hat sich der Angeklagte gewendet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Einziehungsentscheidung des LG aus tatsächlichen Gründen auf und wies auf folgende Grundsätze zum Einziehungsrecht im Jugendstrafrecht ergänzend hin:

Auch im Jugendstrafrecht sei das Recht der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB gemäß § 2 Abs. 2 JGG uneingeschränkt anwendbar. Für eine jugendstrafrechtliche Überformung sei im Einklang mit der Rechtsprechung des 2. und 5. Senats kein Raum.

Auch aus § 8 Abs. 3 JGG folge keine Notwendigkeit für eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts. Dafür spreche zum einen, dass § 2 Abs. 2 JGG, der die Normen des Allgemeinen Teils des StGB für anwendbar erkläre, seit Einführung des Jugendstrafrechts durch den Gesetzgeber nicht geändert worden sei. Zum anderen habe der Gesetzgeber keine Spezialregelung geschaffen, die den Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB modifiziere. § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG stelle gerade keine solche Spezialvorschrift dar, da die Norm zwar auch die Einziehung als Nebenfolge betreffe, aber nur die Frage regle, inwieweit eine Kombination von jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen mit solchen des StGB zulässig sei. Konkret ausgeschlossen seien danach nur die Rechtsfolgen in § 6 JGG. Über die konkreten Anwendungsmodalitäten der zulässigen Nebenfolgen sage § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nichts aus.

Auch der Wortlaut („können“) des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG biete keinen Anlass für eine Ermessensentscheidung bei normalerweise obligatorischen Rechtsfolgen des Allgemeinen Strafrechts. Dies begründet der BGH damit, dass auch aus § 7 Abs. 1 JGG nach ständiger Rechtsprechung keine Ermessensentscheidung folge, weil das insoweit früher sprachlich eindeutige JGG lediglich aufgrund redaktionell motivierter Änderungen nun unklar sei.

Diese Auslegung werde auch dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber § 8 Abs. 3 JGG nach der Reform der Vermögensabschöpfung zwar hinsichtlich des Satzes 2 geändert, den Satz 1 allerdings unangetastet gelassen habe.

Abschließend ergebe sich auch aus übergeordneten jugendstrafrechtlichen Grundsätzen keine Notwendigkeit die Einziehungsentscheidung unter einen Ermessensvorbehalt zu stellen, so der BGH. Weder die Möglichkeit der Erteilung einer Geldauflage als Zuchtmittel oder als Bewährungsauflage, noch der Wegfall des § 73c StGB aF führe dazu, dass die Einziehungsentscheidung generell im Ermessen des Jugendrichters liege.

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hatte das Recht der Vermögensabschöpfung im  Jahr 2017 umfassend reformiert. Auf besondere Anpassungen im Jugendstrafrecht verzichtete er dabei. Die Historie des Reformvorhabens finden Sie hier.

Am 10. März 2020 beschloss der vierte Senat (Beschl. v. 10.03.2020 – 4 ARs 10/19), dass er an seiner Rechtsprechung festhalte und damit dem Anfragebeschluss des ersten Senats (Beschl. v. 11.07.2019 – 1 StR 467/18) nicht stattgebe. Der sechste Senat beschloss am 1. Dezember 2020 ebenfalls, dass er sich der Meinung des vierten Senats anschließe und von keinem besonderen Ermessensvorbehalt ausgehe (BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 6 ARs 15/20).

Daraufhin beschloss der erste Senat, dem großen Senat für Strafsachen folgende Frage vorzulegen:

Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?

Den Vorlagebeschluss finden Sie hier: Beschl. v. 08.07.2020 – 1 StR 467/18.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 23/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Zudem hat der BGH eine Pressemitteilung veröffentlich.

BGH, Beschl. v. 13.08.2019 – 5 StR 257/19: „Joker“-Mord

Leitsatz der Redaktion:

Kein Beweisverwertungsverbot aus § 67 JGG, wenn eine Rechtsverletzung des Angeklagten nicht ersichtlich ist.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen Mordes verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der zur Tatzeit Fünfzehnjährige eine vierzehnjährige Freundin von ihm mit einem Küchenmesser erstochen, da er sich mit dem „Joker“ aus den „Batman“-Geschichten identifiziert hatte und herausfinden wollte, ob er in der Lage sei einen Menschen eigenhändig zu töten.

Nach der Tat hatten Beamte der Polizei ihn und seine alleinerziehende Mutter zuhause angetroffen. Nachdem die Beamten den Tatverdacht offengelegt hatten, hatte die Mutter von ihrem Sohn verlangt, dass er es ihr gestehe, wenn er seine Freundin umgebracht habe. Der Angeklagte hatte sich jedoch vor seiner Mutter nicht äußern wollen. Beide waren daraufhin in getrennten Fahrzeugen zur Befragung zur Mordkommission gebracht worden. Nachdem der Angeklagte darüber belehrt worden war, dass er sich nicht zur Tat äußern müsse und seine Mutter, wie es zuvor auf seinen Wunsch mit ihr abgesprochen worden war, draußen warte, er sie aber jederzeit hereinholen könne, hatte er Aussagen zur Tat gemacht.

Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte mit der Verfahrensrüge Revision eingelegt und dies mit einem Beweisverwertungsverbot für seine Aussage bei der Polizei begründet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten.

Selbst wenn § 67 JGG ein Elternkonsultationsrecht enthalte, das eine Belehrungspflicht nach sich ziehe, sei es im vorliegenden Fall nicht zu einer Rechtsverletzung des Angeklagten gekommen, so der Senat. Eine solche Rechtsverletzung sei jedoch Voraussetzung für das Entstehen eines Beweisverwertungsverbots.

Eine Rechtsverletzung sei schon deshalb ausgeschlossen, da der Angeklagte vor seiner Vernehmung mit seiner Mutter hatte sprechen können. Auch, dass seine Mutter nicht an seiner Befragung teilnahm, habe seinem ausdrücklichen Wunsch entsprochen und hätte von ihm jederzeit geändert werden können.

Zudem folge aus einem Verstoß gegen eine etwaige Belehrungspflicht nach § 67 JGG ohnehin nur ein relatives Beweisverwertungsverbot, bei dem die widerstreitenden Interessen des Angeklagten und der Rechtspflege gegeneinander abgewogen werden müssten. Bei dieser Abwägung wäre zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich mit seiner Mutter beraten habe können, sie auf seinen Wunsch nicht an seiner Vernehmung teilgenommen habe und er darüber belehrt worden sei, dass er sich jederzeit anders entscheiden könne. Damit sei das elterliche Erziehungsrecht hinreichend berücksichtigt und dem Schutzbedürfnis des Angeklagten Rechnung getragen worden, so der BGH.

Anmerkung der Redaktion:

Die Rechte von jugendlichen Beschuldigten sollen nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung weiter verbessert werden. Vorgesehen sind Änderungen im JGG, FamFG, GKG, RVG und der StPO. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.06.2019 – 5 StR 20/19: Keine Hinweispflicht auf Einziehung, wenn diese an bereits in der Anklageschrift enthaltene Umstände anknüpft

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der nach den §§ 73, 73c StGB obligatorischen Einziehung, die an bereits in der Anklageschrift enthaltene Umstände anknüpft, sehen weder § 265 Abs. 1 StPO, noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO vor.

Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte unter Ausnutzung seiner Einflussmöglichkeiten als Bürgermeister dafür gesorgt, dass ein Grundstück seiner Gemeinde an eine von ihm und einem Mitangeklagten beherrschte Gesellschaft verkauft worden war. Den durch die Weiterveräußerung erzielten Gewinn hatten sich beide Angeklagte dann geteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte den, als Grundlage für die Einziehung maßgeblichen, Sachverhalt in der Anklageschrift nicht als einen solchen gekennzeichnet, was auch im Eröffnungsbeschluss nicht geschehen war. Gegen diesen Umstand hat der Angeklagte eine, mit der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO begründete, Verfahrensrüge erhoben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH beabsichtigt die Revision zu verwerfen, da sich der Umstand, auf dem die Einziehungsanordnung beruhe, nicht erst in der Hauptverhandlung herausgestellt habe. Dies sei aber für eine Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlich. Die Staatsanwaltschaft habe die realisierten Verkaufsgewinne schon in der Anklageschrift als erlangten Vorteil für die als Gegenleistung getätigte Diensthandlung des Angeklagten bezeichnet, was für die Kenntnis des Angeklagten von einer möglichen Einziehung ausreichend gewesen sei.

Als Begründung führt der Senat den klaren Wortlaut des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO an, der die Hinweispflicht an den nachträglichen Eintritt der relevanten Anknüpfungstatsachen knüpfe. Eine andere Auslegung widerspreche dem Wortlaut der Norm, da den Wörtern „erst in der Verhandlung“ so keine eigenständige Bedeutung mehr zukommen würde. Auch bei § 265 Abs. 3 StPO  sei anerkannt, dass nur neue Tatsachen, die erst in der Hauptverhandlung in den Prozess Eingang fänden, die Aussetzungen der Verhandlung auslösen könnten.

Eine auf einem weiten Schutzzweckverständnis fußende in der Literatur vertretene Auffassung, auch lediglich abweichende rechtliche Bewertungen unterfielen dem § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO sei abzulehnen, da eine abweichende rechtliche Einordnung gerade dem Wortlaut nach nicht als „vom Strafgesetz besonders vorgesehene[r] Umst[a]nd“ angesehen werden könne, so der BGH.

Für dieses Verständnis sprächen auch die Gesetzesmaterialien des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, durch welches der § 265 Abs. 2 StPO zuletzt geändert worden sei. Denn der Gesetzgeber habe trotz Kenntnis des Meinungsstreits unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, den Tatbestand nicht erweitern zu wollen.

Der erkennende Senat sehe sich jedoch an einer solchen Auslegung durch die entgegenstehende Rechtsprechung des 1. Senats gehindert, der § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch für einschlägig halte, wenn die der Einziehungsentscheidung zugrundeliegenden Tatsachen schon vor der Hauptverhandlung bekannt gewesen seien, das Gericht deren Bedeutung aber erst während der Hauptverhandlung erkannt habe.

Dies begründe der 1. Senat mit der ständigen Rechtsprechung bei Maßregelanordnungen, die einen rechtlichen Hinweis auf eine nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung in Betracht kommende Maßregel fordere.

Diese Rechtsprechung sei allerdings nicht auf die Anordnung der Einziehung übertragbar, da deren Anordnungsvoraussetzungen sich gänzlich unterschieden, so der erkennende Senat.

Zudem sei auch der Schutzzweck der Hinweispflichten nicht tangiert, da der Angeklagte mit der Anordnung der obligatorischen Einziehung bei Vorliegen der erforderlichen Tatsachen und ihrer Erwähnung in der Anklageschrift rechnen könne. § 265 sei keine Generalklausel zum Schutz des Angeklagten vor jeglicher Überraschung.

Daher fragt der Senat beim 1. Senat an, ob an der entgegenstehenden Rechtsprechung festgehalten wird.

 

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, das auch für die Änderung des § 265 Abs. 2 StPO verantwortlich war, finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 21/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.05.2019 – 5 StR 146/19: Auch Kopie eines Ausweises für das Gebrauchen zur Täuschung im Rechtsverkehr nach § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB ausreichend

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Auch durch Vorlage einer Kopie oder elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.

Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Betrugs in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren verurteilt.

Nach den Feststellungen des Tatgerichts hatte der Angeklagte hochwertige Uhren im Internet zum Kauf angeboten, ohne die Erfüllung des Vertrages zu beabsichtigen. Um die Käufer von seiner Identität zu überzeugen, hatte er ihnen Bilder von echten Personalausweisen geschickt, die andere Personen verloren hatten oder ihm selbst als Bild im Rahmen von Verkaufsgesprächen geschickt hatten. In einem weiteren Tatkomplex hatte der Angeklagte eine Kopie einer echten rumänischen Identitätskarte bei der Telekom vorgelegt, um mehrere Telefonverträge abschließen zu können. Dabei fälschte er zudem die Unterschrift des Inhabers der Identitätskarte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH beabsichtigt die Revision des Angeklagten zu verwerfen, da der Begriff des Gebrauchens in § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB genauso auszulegen sei wie bei § 267 Abs. 1 StGB.

Es genüge, dem Gegenüber die sinnliche Wahrnehmung der Urkunde zu ermöglichen, was auch vermittelt durch eine Fotokopie oder ein Bild möglich sei. Bei dieser Auslegung würde der Senat allerdings von der Rechtsprechung des vierten Senats abweichen, weshalb er anfragt, ob an der entgegenstehenden Rechtsprechung festgehalten werden soll.

Der vierte Senat vertritt eine inkongruente Definition des Tatbestandsmerkmals „Gebrauchen“ in beiden Tatbeständen, da § 281 nur den Gebrauch der originalen Urschrift bestrafen wolle und gerade nicht die Vorlage einer Kopie oder eines Fotos. Demnach könne derjenige, der eine Kopie eines echten Ausweises vorlege nur wegen Versuchs bestraften werden, wenn er bereit sei, das echte Original zur Täuschung vorzulegen.

Dies begründet der Senat damit, dass der Rechtsverkehr keinen besonderen Schutz verdiene, wenn er sich nicht das Original zu Prüfzwecken aushändigen lasse.

Nach Ansicht des dritten Senats spreche dagegen, dass der allgemeine Sprachgebrauch unter Gebrauchen auch das Vorlegen von Kopien oder Bildern verstehe. Zudem sei die Verwendung desselben Begriffs in zwei Tatbeständen desselben Abschnitts des StGB ein klares Indiz dafür, dass eine deckungsgleiche Auslegung vom Gesetzgeber gewünscht sei. Dies begründet der Senat auch mit einem historischen Argument, denn der historische Gesetzgeber habe bei Einführung des Tatbestandsmerkmals ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts Bezug genommen, nach derer schon damals die Vorlage einer Ablichtung des Originals für ein „Gebrauchen“ ausgereicht habe. Dies lasse sich auch mit dem Telos der Norm vereinbaren, so der dritte Senat, da das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die besondere Beweiskraft eines Ausweispapiers bei der Übersendung oder Vorlage von (elektronischen) Kopien in gleicher Art und Weise beeinträchtigt sei wie bei der Nutzung des Originals. Dies sei gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung relevant, durch die immer häufiger und auch staatlich gebilligt, elektronische Fotos oder Kopien von Ausweisen zur Identifikation genutzt würden.

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 4. Strafsenats finden Sie hier: BGH, Urt. v. 04.09.1964 – 4  StR 324/64

Am 19.06.2018 entschied der BGH einen ähnlichen Fall, in dem es um die Strafbarkeit des Versendens einer digital verfälschten Kopie mittels E-Mail ging: BGH, Beschl. v. 19.06.2018 – 4 StR 484/17

Die Antwort des 4. Strafsenats finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 13/2020.

Die Antwort des 2. Strafsenats finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 39/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.04.2019 – 1 StR 81/18: Keine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Besitzbegründung nach Beendigung des Verbringungsvorgangs

Amtlicher Leitsatz:

Nur der vor Beendigung des Verbringungsvorgangs erlangte Besitz an unversteuerten Tabakwaren kann die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG begründen; der nach Beendigung des Verbringungsvorgangs begründete Besitz an unversteuerten Tabakwaren wird durch den Tatbestand der Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 AO) strafrechtlich erfasst (Fortführung von BGH, Urteil vom 2. Februar 2010 –1StR 635/09 zu § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG nF).

Sachverhalt:

Das LG Lübeck hat die Angeklagten wegen versuchter Steuerhehlerei verurteilt.

Der Angeklagte P hatte nach den tatrichterlichen Feststellungen im Oktober 2016 zwei Container an den Bekannten V seines Freundes K vermietet, der darin ohne Wissen des Angeklagten unversteuerte Zigaretten russischer Herkunft eingelagert hatte. Im Dezember 2016 war er dann von seinem Freund K gebeten worden beim Transport der Zigaretten zu helfen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war ihm bekannt gewesen, was in seinem Container gelagert worden war. Dennoch hatte der Angeklagte P im Januar 2017 als Fahrer des Transport-LKW zusammen mit dem Mitangeklagten J bei der Verbringung der Zigaretten geholfen. Während dieses Transports waren die Zigaretten vom Zoll entdeckt worden.

Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte P Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat zudem zuungunsten beider Angeklagten Revision eingelegt, da sie eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG oder § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO als verwirklicht angesehen hat.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch der beiden Angeklagten zu Beihilfe zur versuchten Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 Var. 4, Abs. 3 AO, §§ 22, 23, 27 StGB).

Zur Revision des Angeklagten P führte der Senat aus, dass das Verhalten des P gerade nicht darauf gerichtet gewesen sei dem Vortäter der Steuerhinterziehung V Absatzhilfe zu leisten, sondern lediglich den K bei seiner Hilfe für V zu unterstützen. Für eine Absatzhilfe i.S.d. § 374 Abs. 1 Var. 4 AO sei es erforderlich, dass sich der Täter an den Absatzbemühungen des Vortäters (hier V) oder eines Zwischenhehlers in dessen Interesse und auf dessen Weisung unselbstständig beteilige und dadurch im Lager des Vortäters stehe. Werde allerdings nicht der Vortäter, sondern lediglich ein Absatzhelfer unterstützt, wie in diesem Fall, handele es sich nur um eine Beihilfe zu dessen Tat.

Auch das Wissen um die und Billigen von der notwendigerweise verwirklichten Unterstützung des V durch Ps Handlung rechtfertige keine andere Bewertung, da diese zwangsweise während der Hilfe für K mitverwirklicht worden sei und es zudem am Einvernehmen zwischen P und dem ihm unbekannten V gefehlt habe, so der BGH.

Auch die Revision der Staatsanwaltschaft führe nicht zu einer Verschärfung der Urteile gegen die Angeklagten, denn eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen sei nicht gegeben.

Es fehle an einer Strafbewehrung etwaiger verbrauchssteuerlicher Erklärungspflichten nach Beendigung des Verbringungsvorgangs, denn nur wer vorsätzlich seine Verpflichtung, eine Steuererklärung über ins Steuergebiet verbrachte Tabakwaren abzugeben, verletze und dadurch Steuern nicht abführe, mache sich wegen Hinterziehung der Tabaksteuer strafbar.

In diesem Fall hätten die Angeklagten den Besitz an den Zigaretten allerdings erst erlangt, nachdem der Verbringungsvorgang in deutsches Steuergebiet bereits beendet gewesen sei. Dadurch seien sie nicht Steuerschuldner nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG geworden, was somit auch keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ausgelöst haben könne.

Steuerschuldner werde nur, wer als Lieferant oder sonstiger Beteiligter vor Beendigung des Verbringungsvorgans Besitz an den Tabakwaren erlangt habe, was sich aus dem Wortlaut und der Systematik des § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG ergebe. Da die Norm auf den Satz 1 bezugnehme, der die Entstehung des Steueranspruchs bei Verbringung der Tabakwaren ins Steuergebiet und erstmaliger Besitzbegründung regle, sei ersichtlich, dass mit Besitz i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG nur ein Besitz im Zusammenhang mit dem Verbringungsvorgang nach Satz 1 gemeint sein könne.

Dies stehe auch im Einklang mit der historischen und teleologischen Auslegung der Norm, denn sowohl die Richtlinie 92/12/EWG als auch die neue Systemrichtlinie (2008/118/EG), auf denen § 23 TabStG beruhe, bezweckten eine effektive, sichere und einheitliche Durchsetzung des Verbrauchsteueranspruchs in den Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck regle die Systemrichtlinie in Art. 33 Abs. 3, dass derjenige Steuerschuldner sei, der die Lieferung der Waren vornimmt oder in dessen Besitz sich die Waren bei der Lieferung befinden.

Schließlich ließe diese Auslegung auch keine Strafbarkeitslücken entstehen, da derjenige, der Tabakwaren illegal ins Steuergebiet verbringe nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO strafbar sei. Derjenige, der die Waren nicht selbst ins Steuergebiet verbringe aber vor Beendigung des Verbringungsvorgangs Besitz begründe, nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG und derjenige, der den Besitz erst nach Beendigung des Vorgangs begründe, über den Tatbestand der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 Var. 1, 2 AO.

Anmerkung der Redaktion:

Die neue Systemrichtlinie finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 23.07.2019 – 1 StR 433/18: Einordnung einer Waffe als Kriegswaffe nach § 1 Abs. 2 KrWaffG

Leitsatz der Redaktion:

Von § 1 Abs. 2 KrWaffG werden auch solche Waffen erfasst, mit denen eine vollautomatische Schussabgabe zwar aufgrund eingebauter Behinderungen oder fehlender Teile nicht möglich ist, deren volle Funktionsfähigkeit im Hinblick auf eine vollautomatische Schussabgabe aber jederzeit mit einfachen Werkzeugen, leicht zu beschaffenden Teilen und in verhältnismäßig kurzer Zeit von jedermann wiederherstellbar ist.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher unerlaubter Beförderung von Kriegswaffen und wegen vorsätzlicher unerlaubter Ausfuhr von Kriegswaffen verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte bei einem iranischen Waffenhersteller, der auch die AK 47 Kalaschnikow produzierte, 400 Gewehre nach seinen Plänen aus den Teilen der Kalaschnikow anfertigen lassen. Dabei hatte das Unternehmen die Einzelteile derart verändert, dass eine vollautomatische Schussabgabe nicht mehr möglich war. Allerdings war es mit Ersatzteilen und Anleitungen aus dem Internet in sehr kurzer Zeit möglich gewesen, diese baulichen Einschränkungen rückgängig zu machen und so eine vollautomatische Schussabgabe zu ermöglichen, was dem Angeklagten auch bekannt gewesen war. Er hatte jedoch gehofft, dass die Waffen keine Kriegswaffen darstellten. Im September 2011 hatte der Angeklagte zwei der Waffen an das Beschussamt verschickt und im Dezember eine Spedition mit der Ausfuhr der restlichen Waffen in die Schweiz beauftragt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf sowohl die Revision des Angeklagten als auch die der Staatsanwaltschaft und bestätigte damit das Urteil des LG Stuttgart.

Obwohl keine vollautomatische Schussabgabe (sog. Dauerfeuer) möglich gewesen sei, handele es sich bei den Gewehren um Kriegswaffen nach § 1 Abs. 2 des KrWaffG, da ein Rückbau zu einer vollautomatischen Waffe jederzeit mit geringem Aufwand durchführbar gewesen sei.

Für diese Auslegung des § 1 Abs. 2 KrWaffG spreche zum einen der Wortlaut der Norm, der Kriegswaffen als solche Gegenstände definiert, die „geeignet sind, allein, in Verbindung miteinander oder mit anderen Gegenständen … Zerstörungen oder Schäden an Personen oder Sachen zu verursachen“, was auf die Gewehre zutreffe.

Zudem wolle auch der Gesetzgeber solche Gegenstände mit dem KrWaffG erfassen, da er in der Gesetzesbegründung davon spreche, alle erdenklichen Lücken schließen zu wollen. Dies könne ihm jedoch nur gelingen, wenn nur solche Gegenstände ihre Kriegswaffeneigenschaft verlieren würden, die dauerhaft funktionsuntüchtig geworden seien oder deren Rückbau derart kompliziert und kostenintensiv sei, dass er absolut unverhältnismäßig sei.

Abschließend stellt der BGH auf den Sinn und Zweck des Kriegswaffenkontrollgesetzes ab, der umgangen würde, wenn von jedermann einfach zurückzubauende Waffen nicht vom Anwendungsbereich des Gesetztes erfasst würden.

Anmerkung der Redaktion:

Nach der Regelungstechnik des KrWaffG kommt es für die Einstufung als Kriegswaffe auf die formale Eintragung in die Kriegswaffenliste an (§ 1 Abs. 1 KrWaffG). Diese Liste kann gem. § 1 Abs. 2 KrWaffG von der Bundesregierung durch Verordnung und mit Zustimmung des Bundesrats aktualisiert werden. Maßgeblich für die Aufnahme einer Waffe in die Kriegswaffenliste ist die Definition in § 1 Abs. 2 KrWaffG, der in diesem Urteil vom BGH lehrbuchmäßig ausgelegt worden ist.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 09.05.2019 – 4 StR 578/18: Sicherungsverwahrung im Staufener Missbrauchsfall

Leitsatz der Redaktion:

Die tatrichterliche Prüfung des Vorliegens eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB ist strikt von der Gefahrenprognose zu trennen.

Sachverhalt:

Das LG Freiburg hat den Angeklagten u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Herstellen kinderpornographischer Schriften verurteilt. Von einer Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen.

Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen des Tatgerichts sein Opfer im Zeitraum von September 2016 bis August 2017 in 14 Fällen missbraucht, nachdem das Kind vom Lebensgefährten seiner Mutter im sog. Darknet gegen Entgelt zum sexuellen Missbrauch angeboten worden war.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat sich auf die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Entscheidung des LG, insoweit sie die Anordnung der Sicherungsverwahrung betraf, auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das LG Freiburg.

Als Begründung führte er an, dass das Tatgericht die Prüfung der Hangtäterschaft mit Elementen der Gefahrenprognose vermischt habe. Dadurch sei die umfassende Vergangenheitsbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten, die für die Annahme eines Hangs erforderlich sei, nicht mehr möglich gewesen.

Zwar habe das LG Risikofaktoren und prognostisch günstige Umstände im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Hangs einander gegenübergestellt, allerdings seien die Hangtäterschaft und die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit keine identischen Merkmale. Dies stelle schon die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB klar.

Der Hang sei ein gefestigter innerer Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lasse, wohingegen die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Tatbegehung in der Zukunft trotz des Hangs beschreibe. Der Hang sei innerhalb der Gefährlichkeitsprognose nur ein Kriterium, was für die Gefährlichkeit des Angeklagten spreche.

Aufgrund dieser Trennung habe das Tatgericht zunächst das Vorliegen eines Hangs festzustellen und sodann in einem zweiten Schritt prognostische Erwägungen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose anzustellen. Da das LG Freiburg die Ablehnung eines Hangs mit prognostischen Erwägungen, wie z. B. der Therapiewilligkeit des Angeklagten, begründet habe, genüge das Urteil nicht dem Erfordernis der strikten Trennung zwischen den beiden Prüfungen.

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall war als sog. Staufener Missbrauchsfall bundesweit bekannt geworden und hatte auch zu Ermittlungen gegen die zuständigen Jugendamtsmitarbeiter geführt. Eine Chronik der medialen Berichterstattung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 11.07.2019 – 1 StR 683/18: Keine Bande trotz mehrerer geplanter Taten

Leitsatz der Redaktion:

Bezieht sich die Abrede zur Begehung von mehreren Diebstahlstaten von Beginn an auf ein eng gegenständlich und zeitlich begrenztes Tatkonvolut, z. B. auf eine feststehende Menge an Diebstahlsobjekten, die innerhalb weniger Tage in Tatmehrheit gestohlen werden sollen, fehlt es an der Bandeneigenschaft.

Sachverhalt (gekürzt):

Das LG München II hat die Angeklagten u. a. wegen Diebstahls verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG hatten die Angeklagten R und Z beschlossen, die wohlhabende Geschädigte, die zu der Zeit im Krankenhaus behandelt worden war, zu bestehlen. Sie hatten geplant, das werthaltige Inventar nach und nach aus der Villa der Geschädigten zu entwenden und abzutransportieren. Die Bewertung des Wertes der Objekte übernahm der Mitangeklagte P. Die Ausführung dieses Plans hatte sich auf mehrere Tage erstreckt bis die Villa schließlich ausgeräumt war.

Mit der zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft hat diese gerügt, dass das LG die drei Angeklagten nicht als Bande i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen hatte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH wies die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück.

Das LG habe die Bandeneigenschaft der Gruppierung bestehend aus den drei Angeklagten rechtsfehlerfrei abgelehnt. Die Abrede zwischen R, Z und P sei nicht auf die Begehung einer unbestimmten Vielzahl im Einzelnen noch ungewisser Diebstahlstaten gerichtet gewesen, so der BGH.

Sie habe sich von Beginn an lediglich auf die feststehende Menge an Wertgegenstände bezogen, die die Angeklagten in der Villa würden finden können und welche dann so schnell wie möglich entwendet werden sollten. Das über mehrere Tage verteilte Ausräumen des Hauses stelle zwar mehrere Diebstahlstaten in Tatmehrheit dar, allerdings sei die Anzahl der Diebstahlstaten schon von Anfang an beschränkt gewesen und habe sich nach den Kapazitäten der Transportfahrzeuge und Lagerstätten bestimmt.

Dadurch, dass damit ein bestimmter Gesamterfolg, die Geschädigte sowie Ort, Zeit und Art der Rechtsverletzung für die Angeklagten festgestanden habe, habe es sich nicht um eine offene, sondern um eine geschlossene Abrede gehandelt.

Bei einer solchen fehle es aber gerade an der Gefährlichkeit der Gruppe, immer neue Diebstahlstaten zu generieren, was Anknüpfungspunkt des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB sei. Es bestehe kein Anreiz für die Gruppe aufgrund einer etwaigen engen Bindung weitere Taten zu begehen (Organisationsgefahr). Demgegenüber sei der Einschüchterungseffekt und die Durchsetzungskraft (Aktions- und Ausführungsgefahr), welche von einer größeren Gruppe ausgingen, nur sekundärer Schutzzweck des Qualifikationstatbestands.

Anmerkung der Redaktion:

Am 03.06.2015 hatte der 4. Strafsenat noch entschieden, dass eine Beschränkung von verabredeten Diebstahlstaten einer bandenmäßigen Begehung nicht entgegenstehe: BGH, Beschl. v. 03.06.2015 – 4 StR 193/15

 

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