KriPoZ-RR, Beitrag 19/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 09.08.2022 – 3 StR 206/22: BGH bestimmt Grenzwert für weiteres Betäubungsmittel

Amtlicher Leitsatz:

Für 2C-B (Bromdimethoxyphenethylamin, BDMPEA) beginnt die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei einem Gramm.

Sachverhalt:

Wegen Einfuhr und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das LG Kleve den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen legte der Angeklagte Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen. Das LG hatte als Grenzwert 1 Gramm festgesetzt, welches zutreffend sei. Die Substanz 2C-B ähnele Rauschmitteln wie LSD, MDMA oder Amphetaminen. Gesicherte Erkenntnisse bezüglich der Wirkung lägen allerdings nicht vor, sodass der Grenzwert anhand eines Vergleichswertes (Mescalin) bestimmt werden müsse. 

Redaktionelle Anmerkung:

Der 3. Strafsenat des BGH hat in seinem Beschluss v. 08.03.2022 (3 StR 136/21) bereits Grenzwerte einzelner anderer Betäubungsmittel i.S.v. § 30a BtMG festgelegt. Hintergründe hierzu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 10/2022

Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 17. April 2023: 

 

zum Referentenentwurf des BMJ

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.05.2022 – 4 StR 99/22: Sicherungsverwahrung und Strafzumessung

Amtlicher Leitsatz:

Die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung ist kein bestimmender Strafzumessungsumstand.

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. Das LG Bielefeld hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und neben Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hatte teilweise Erfolg. Der Schuldspruch und Strafausspruch wiesen jedoch keine Rechtsfehler auf, so der BGH. Dass bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe das LG nicht erörtert habe, dass zugleich die Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, sei nicht rechtsfehlerhaft. 

Zu den in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB aufgeführten Strafzumessungsgründen gehöre nicht die Berücksichtigung der Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Strafe diene dem Schuldgrundsatz und Sicherungsverwahrung dem Schutz der Allgemeinheit. Damit würden verschiedene Zwecke mit unterschiedlichen Voraussetzungen verfolgt werden, woraus sich keine Wechselwirkung ergebe. 

Neben den Sanktionszwecken argumentiert der Senat mit dem Normzweck des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB: „Die Norm soll verhindern, dass die Rechtsfolgen zur Entsozialisierung des Täters führen oder seiner Resozialisierung entgegenstehen.“ Damit dürften Strafe und Maßregel nicht übermäßig sein, welches im Hinblick auf letzteres durch die entsprechenden Regelungen zur Anordnung und Vollstreckung gewährleistet werde. Die Verhältnismäßigkeit der Maßregel sei schließlich gemäß § 62 StGB zu prüfen. Für den Senat korreliere „ mit dem Strafmaß […] daher keine maßregelspezifische Mehrbelastung des Angeklagten, aus der sich ein bestimmender Strafzumessungsumstand zu seinen Gunsten ergeben könnte.“

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21: BGH zur Abgrenzung § 216 Abs. 1 StGB von strafloser Beihilfe zum Suizid 

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid erfordert eine normative Betrachtung.

  2. Der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit gefasste und erklärte Sterbewille führt zur situationsbezogenen Suspendierung der Einstandspflicht für das Leben des Ehegatten.

Sachverhalt:

Die Angeklagte pflegte ihren berenteten und erkrankten, bettlägerigen Ehemann. Unter anderem verabreichte die Angeklagte, welche als Krankenschwester gearbeitet hatte, ihrem Mann Insulin. Der Geschädigte äußerte mehrfach seinen Sterbewunsch, den die Angeklagte ernst nahm. 

Am Tattag reichte die Angeklagte, auf Wunsch ihres Mannes, Tabletten und Wasser, welche der Geschädigte selbständig einnahm. Weitere Insulinspritzen injizierte die Angeklagte, ebenfalls nach Aufforderung durch ihren Mann. Daraufhin verstarb der Geschädigte. Dass die Insulingabe geeignet war, den Tod herbeizuführen, war der Angeklagten bewusst. Das Gericht sah darin ein aktives Handeln der Angeklagten und den § 216 Abs. 1 StGB als verwirklicht an. 

Die Angeklagte wurde von dem LG Stendal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Entscheidung wurde Revision eingelegt.

Entscheidung des BGH

Die Revision hat Erfolg. Die Angeklagte wurde vom Tatvorwurf freigesprochen. Es liege keine Tötung auf Verlangen i.S.d. § 216 Abs. 1 StGB vor. Anders als das LG sieht der Senat im Verhalten der Angeklagten kein aktives Tun, sondern eine straflose Beihilfe zum Suizid. „Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt“, wobei es auf den Gesamtplan ankomme, so der BGH. 

Eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme erfordere in diesen Fällen eine normative Betrachtung. Der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.08.1963 – Gisela-Fall) widerspräche diese Auslegung nicht, da der Sachverhalt dort anders gelegen habe. Wohl aber sei der vorliegende Sachverhalt mit dem „Gashahn-Fall“ (RG, Urt. v. 27.08.1920) vergleichbar. 

Auf eine Entscheidung, ob und inwieweit § 216 Abs. 1 StGB selbst verfassungskonform sei, komme es vorliegend nicht an. Auch habe sich die Angeklagte nicht wegen anderer Straftatbestände (§§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1; 22; 323c Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

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ALLGEMEINE BEITRÄGE

Strafbares Heldentum?
von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch

Die Strafbarkeit des Upskirting und Downblousing - Der neue § 184k StGB: Gelungene Reform oder politischer Aktivismus? 
von Wiss. Mit. Katharina Sachen

Künstliche Intelligenz und Kriminalität 
von Wiss. Mit. Hauke Bock und Prof. Dr. Katrin Höffler

Sitzungspolizeiliche Richterfürsten? Rechtsdefizite bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen im Strafprozess
von PD Lars Berster 

Grenzüberschreitungen - Anmerkung zu den Tatbestandsvorgaben im Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt
von Prof. Dr. Martin Heger

AUSLANDSBEITRAG

Die Grenzen der Verantwortung des Compliance-Officers vor dem Hintergrund der Rolle der Geschäftsleitung - Rechtlicher Ansatz in Argentinien 
von RAin Dorothea Garff

FORSCHUNGSBERICHT 

Wenn Opfer keine Hilfe suchen - Eine Online-Befragung zur Viktimisierung und Anzeigeverhalten bei Cyberkriminalität 
von Jana Bader, Benedikt Iberl und Sarah Schreier 

ENTSCHEIDUNGEN/ANMERKUNGEN

BVerfG erklärt Eilantrag wegen Wiederaufnahme für teilweise erfolgreich - Vollzug des Haftbefehls wird unter Bedingungen ausgesetzt
BVerfG, Beschl. v. 14.7.2022 - 2 BvR 900/22

BUCHBESPRECHUNGEN

Helge A. Wiechmann: Nonverbale Verhaltensweisen im Strafprozess
von Anke Arkenau 

Frederike Seitz: Die Tiefe Hirnstimulation im Spiegel strafrechtlicher Schuld. Eine praktische und theoretische Analyse
von Prof. Dr. Anja Schiemann 

TAGUNGSBERICHT

Die neue Europäische Staatsanwaltschaft - Bedeutung, Herausforderungen und erste Erfahrungen 
von Wiss. Mit. Maximilian Schach

 

 

 

 

Strafbares Heldentum?

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Heldentum ist kein Straftatbestand. Dennoch kann ein Verhalten, das man ethisch als „heldenhaft“ bewerten würde, straftatbestandsmäßig sein. Leonidas und seine Mitstreiter waren Helden, obwohl sie vorsätzlich viele Perser getötet haben. Strafbar allerdings ist solches Heldentum nicht, sofern es gerechtfertigt oder wenigstens entschuldigt ist. Eine Tat, die nicht gerechtfertigt oder entschuldigt ist, würde man wahrscheinlich auch nicht „heldenhaft“ nennen. Diese Auszeichnung verdienen vor allem Menschen, die ohne Rücksicht auf eigene Sicherheit viel riskieren, sich selbst in Gefahr begeben oder sogar darin „umkommen“, weil sie jemanden, der in Gefahr ist, retten wollen. Dass ein zusätzliches Risiko einer solchen Aktion die Begründung eigener Strafbarkeit sein könnte, überrascht vielleicht. Jedoch besteht das Risiko des Bestraftwerdens, wenn das Strafrecht falsch angewendet wird. Abstrakt gibt es dieses Risiko immer. Strafrechtsanwendende sind nicht unfehlbar, Strafgesetzgebende auch nicht. Aber das Risiko ist verringerbar. Wo der Gesetzgeber keine oder ausfüllungsbedürftige Normen geschaffen hat, sollte die Strafrechtslehre falschen Strafentscheidungen entgegenwirken, indem sie den Gerichten klare Handlungsanweisungen gibt. Die richtige konkrete Einzelfallentscheidung muss sich idealerweise abstrakt bereits in den strafrechtlichen Regeln abzeichnen. Der Held in spe sollte schon anhand des Gesetzes und seiner Erläuterungen durch die wissenschaftliche Literatur erkennen können, wo seine mutige Selbstaufopferung de lege lata in strafbaren Aktionismus umzuschlagen droht. Das kann ihm gegenwärtig noch nicht garantiert werden. Denn bei den Themen, die Gegenstand dieser Abhandlung sind, existiert noch erheblicher Normsetzungs- und Normerläuterungsbedarf. 

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Die Strafbarkeit des Upskirting und des Downblousing – Der neue § 184k StGB: Gelungene Reform oder politischer Aktivismus?

von Wiss. Mit. Katharina Sachen 

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Abstract
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem am 1.1.2021 neu eingeführten § 184k StGB und der Fragestellung, inwiefern dieser eine gelungene Reform oder politischen Aktivismus darstellt. Im Einzelnen werden Fragen zu Aspekten der Erforderlichkeit einer solchen Norm beleuchtet, auf etwaige tatbestandliche Mängel abgestellt, die systematische Einordnung der Vorschrift hinterfragt, auf Fragen der Beweisaufnahme und Konsequenzen einer Kriminalisierung eingegangen, sowie verbleibende Strafbarkeitslücken herausgestellt.

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Künstliche Intelligenz und Kriminalität

von Wiss. Mit. Hauke Bock und Prof. Dr. Katrin Höffler

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Abstract
Kriminalität ist letztlich eine Spielart menschlichen Verhaltens. Da das menschliche Verhalten von der Implementierung Künstlicher Intelligenz (KI) verändert wird, geschieht dies auch mit diesem besonderen Bereich, der Kriminalität. Während dies für einzelne Phänomene – so z.B. beim automatisierten Fahren – teilweise schon breit auch von den hiesigen Strafrechtswissenschaften aufgegriffen wurde, ist ein grundsätzlicher Blick auf die verschiedenen betroffenen Ebenen (Täter*innen, Taten, Opfer und Verbrechenskontrolle) vor allem in der englischsprachigen Literatur zu finden.[1] Daher soll durch diesen Beitrag eine kriminologische Perspektive, modelliert durch das hiesige Strafrecht als Bezugspunkt, ergänzt werden.

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Sitzungspolizeiliche Richterfürsten? Rechtsschutzdefizite bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen im Strafprozess

von PD Dr. Lars Berster

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Abstract
Der Beitrag diagnostiziert einen Mangel an Rechtssicherheit und -einheitlichkeit sowie schließungsbedürftige Lücken in der gegenwärtigen Ausgestaltung des Rechtsschutzregimes gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen von Vorsitzenden in der strafprozessrechtlichen Hauptverhandlung gem. § 176 GVG. Insbesondere vor dem Hintergrund des nach neuerem Verständnis auch richterliche Eingriffsakte umfassenden Gebots effektiven Rechtschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG plädiert er für eine klärende Regelung durch den Gesetzgeber.

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Grenzüberschreitungen – Anmerkungen zu den Tatbestandsvorgaben im Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

von Prof. Dr. Martin Heger

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Abstract
Im Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt hat die Kommission auch Vorschläge für Straftaten unterbreitet. Dabei ist die Kompetenzgrundlage in Art. 83 Abs. 1 AEUV aber fraglich, denn der Vorschlag für Vergewaltigung zielt nicht auf grenzüberschreitende Kriminalität und die Vorgaben zu Cybercrime Delikten sind angesichts der dafür vorgesehenen Mindesthöchststrafe keine schwere Kriminalität. Daher werden mögliche Reaktionen auf der Ebene der EU wie der Mitgliedstaaten erörtert. Schließlich wird der Umsetzungsbedarf der Vorgaben in Deutschland analysiert.

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