KriPoZ-RR, Beitrag 86/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 16.10.2020 – 1 ARs 3/20: Zuständigkeitsstreit und Geheimdienste

Leitsatz der Redaktion:

Wird ein Verfahren von einem Gericht rechtskräftig an ein Gericht eines anderen Rechtswegs gem. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG verwiesen, entfaltet dies lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs eine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Innerhalb der zuständigen Gerichtsbarkeit tritt keine Bindung hinsichtlich der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit durch die Verweisung ein.

Sachverhalt:

Gegen den Angeklagten läuft am LG Bochum ein Strafprozess wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung im zweiten Rechtsgang. Im ersten Prozess hatte sich der Angeklagte auf einen Zeugen vom Mossad berufen, der ihn entlasten sollte. Die Strafkammer hatte daraufhin die StA beauftragt, das BKA um Amtshilfe zu ersuchen. Dieses hatte danach beim Mossad angefragt, ob bei Ladung des Zeugen Sicherheitsbedenken bestünden. Eine Antwort hatte die Strafkammer nicht erhalten. Dafür allerdings E-Mails, die angeblich von besagtem Zeugen stammen sollten. In diesen gab er zunächst Bedenken für seine eigene Sicherheit an, später war er jedoch zu einer Aussage bereit gewesen. Zur Hauptverhandlung war der geladene Zeuge dann allerdings nicht erschienen, sodass das LG im ersten Rechtsgang den Beweisantrag zur Zeugenvernehmung wegen Unerreichbarkeit des Zeugen abgelehnt hatte.

Nach Ansicht des Angeklagten, habe das BKA dem Mossad bei der Anfrage mitgeteilt, dass der Zeuge in Deutschland festgesetzt werde, wenn er zur Vernehmung in der Hauptverhandlung erscheine. Um diesen Verdacht aufzuklären hatte der Angeklagte daraufhin vor dem VG Wiesbaden Feststellungsklage erhoben, um die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des BKA im Rahmen des Amtshilfeersuchens feststellen zu lassen. Ebenfalls wollte er das BKA mit einer Verpflichtungsklage zur Akteneinsichtsgewährung verpflichten lassen.

Das VG erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das OLG Frankfurt, da das BKA Amtshilfe für die StA Bochum geleistet habe und daher funktionell als Justizbehörde tätig geworden sei, was gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit begründe.

Das OLG Frankfurt hatte die Sache dann an die im ersten Rechtsgang zuständige Kammer beim LG Bochum abgegeben. Die Verweisung sei hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit innerhalb der Strafgerichtsbarkeit nicht gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend. Für den Verfahrensgegenstand seien auch nicht die Regelungen der §§ 23 ff. EGGVG einschlägig, sondern der Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, was die Zuständigkeit des LG Bochums nach § 162 Abs. 3 StPO, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog für den Feststellungsantrag und nach § 147 Abs. 5 StPO für den Akteneinsichtsantrag des Antragstellers begründe.

Die mittlerweile im zweiten Rechtsgang zuständige Kammer beim LG Bochum hatte die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, da die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG in analoger Anwendung auch die Zuweisung in den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG erfasse.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das LG Bochum für die Entscheidung über die Anträge zuständig ist, da die Verweisung des VG Wiesbaden lediglich hinsichtlich des Rechtswegs zur ordentlichen Gerichtsbarkeit binde.

Das OLG Frankfurt sei nicht gemäß §§ 23, 25 Abs. 1 EGGVG zuständig, da der vom Antragsteller beanstandete Vorgang kein Justizverwaltungsakt sei. Die Amtshilfe im Rahmen eines Strafprozesses stelle eine Prozesshandlung dar, die dem Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG entzogen seien.

Zudem sei § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die Überprüfung Staatsanwaltschaftlicher Eingriffsmaßnahmen oder solcher von deren Ermittlungspersonen analog anwendbar, sodass ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe.

Zur Bindungswirkung der Verweisung führte der BGH aus, das § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG auf Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine unmittelbare Anwendung finde, da die Vorschriften der §§ 17 bis 17b GVG nur den Rechtsweg, also das Verhältnis der verschiedenen Gerichtsbarkeiten untereinander, regelten. Dies ergebe sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG.

Auch eine analoge Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG komme nicht in Betracht, da es an der planwidrigen Regelungslücke fehle.

Der Gesetzgeber habe die §§ 17 ff. GVG im Jahr 1990 neu geregelt, wobei ihm nach den Gesetzesmaterialien bewusst gewesen sei, dass die Bindungswirkung auch nach alter Regelung nur zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten bestand und nicht innerhalb einer Gerichtsbarkeit. An diesem Zustand habe der Gesetzgeber auch explizit nichts ändern wollen, so der BGH.

Ebenfalls sei ihm die Debatte um eine analoge Anwendung der Norm bekannt gewesen, sodass nicht mehr von der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke gesprochen werden könne. Vielmehr stelle die Nichtregelung den Willen des Gesetzgebers dar, eine Bindungswirkung innerhalb einer Gerichtsbarkeit nur in den extra geregelten Sonderfällen des § 17a Abs. 6 GVG entstehen zu lassen.

Damit verböte sich seit der Neuregelung eine Analogie.

Daher sei das OLG Frankfurt zur Abgabe des Verfahrens befugt gewesen. Zudem sei das LG Bochum auch gemäß §§ 98 Abs. 2 Satz 3, 163 Abs. 3 Satz 1 StPO sachlich und örtlich zuständig.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dieser Meinung entsprechend hatten auch schon entschieden: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.07.1994 – 2 VAs 5/94; KG Berlin, Beschl. v. 29.09.1999 – 2 AR 120/99 – 4 VAs 26/99; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschl. v. 25.06.2014 – 2 VAs 9/14.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 85/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 19.08.2020 – 1 StR 474/19Vorsatzanforderungen bei Verdeckungsmorden durch Unterlassen

Amtlicher Leitsatz:

Zum versuchten Verdeckungsmord durch Unterlassen nach Medikamentenverwechslung bei einem Palliativpatienten durch Pflegekräfte.

Sachverhalt:

Das LG Landshut hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte die Angeklagte, die als Pflegekraft und Schichtleitung auf einer Palliativstation eines Pflegeheims arbeitet, mit einer mitangeklagten Kollegin die Medikamente zweier Patienten verwechselt.

Dadurch hatte sich der Gesundheitszustand des schwer kranken Opfers verschlechtert. Ob das Medikament letztlich todesursächlich oder -beschleunigend war, hatte nicht mehr festgestellt werden können.

Aus Angst vor Konsequenzen hatte die Angeklagte weder einen Arzt verständigt noch die Falschmedikation dokumentiert.

Nach der Wertung des LG habe sie den Tod des Angeklagten bewusst in Kauf genommen, um ihren Fehler zu vertuschen.

Ein letztlich von einem weiteren Mitangeklagten nach 4 Tagen hinzugerufener Arzt hatte entschieden, den Patienten aufgrund seines schlechten Zustands nur noch palliativmedizinisch zu versorgen. Er war drei Tage später verstorben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da der Senat bereits Zweifel am Tötungsvorsatz hatte.

Für bedingten Tötungsvorsatz sei es erforderlich, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkenne (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfinde, möge ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).

Beide Elemente seien unabhängig voneinander zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Es müsse eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände stattfinden, bei der insbesondere die Persönlichkeit des Täters und dessen psychische Verfassung bei Tatbegehung, seine Motivation und die Art der Angriffsweise beleuchtet werden müssten.

Diese Grundsätze gölten auch für Unterlassungsdelikte, wobei diese zusätzlich Vorsatz bezüglich der Umstände der Untätigkeit, der physisch-realen Handlungsmöglichkeit, des Erfolgseintritts, der Quasi-Kausalität und der objektiven Zurechnung forderten.

Dabei sei es explizit nicht erforderlich, dass dem Unterlassungstäter bewusst sei, dass der Rettungserfolg mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde. Dies fordere zwar der 5. Strafsenat, stelle damit jedoch zu enge Voraussetzungen auf, so der 1. Senat.

Nach diesen Grundsätzen stelle sich die Beweiswürdigung des Tatgerichts als lückenhaft bezüglich des voluntativen Elements dar.

Das LG habe nicht in den Blick genommen, dass die Angeklagte freiwillig einen anderen Kollegen eingeweiht hatte und diesen gebeten hatte, öfter nach dem Patienten zu sehen. Dies spreche gegen einen bedingten Tötungsvorsatz. Zudem sei es für das Vertuschen des Behandlungsfehlers für die Angeklagte sogar vorteilhaft gewesen, wenn der Patient nicht gestorben wäre.

Daneben sei auch die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht nicht genügend begründet. Zwar seien die rechtlichen Maßstäbe zutreffend vom LG bestimmt worden, da es richtigerweise angenommen habe, dass die Verdeckungshandlung nach Tätervorstellung Mittel der Verdeckung sein soll auch, wenn der Tod des Opfers vom Täter nicht direkt angestrebt sondern nur in Kauf genommen werde.

Hier habe das LG nicht berücksichtigt, dass die Angeklagte möglicherweise auch aus Mitleid den Tod des Opfers begrüßte, um sein Leiden beendet zu wissen. Dieses weitere Motive habe das Tatgericht dann jedoch nicht in die nötige Gesamtbetrachtung eingestellt.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 5. Strafsenats zu den höheren Anforderungen an den Vorsatz bezüglich der Rettungsmöglichkeit finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 84/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 12.11.2020 – StB 34/20: Entscheidungszuständigkeit beim Pflichtverteidigerwechsel

Amtlicher Leitsatz:

Zur Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel ist nach Anklageerhebung ausschließlich der Vorsitzende des erkennenden Gerichts zuständig; nicht erledigte Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse des Ermittlungsrichters sind ihm deshalb zur weiteren Entscheidung vorzulegen.

Sachverhalt:

Der Angeschuldigte befindet sich momentan in Untersuchungshaft und hatte beantragt, seinen Pflichtverteidiger aufgrund zerrütteten Vertrauensverhältnisses gegen seinen Wahlverteidiger auszutauschen.

Der Pflichtverteidigerwechsel war vom Ermittlungsrichter beim BGH abgelehnt worden. Gegen diesen Beschluss hatte sich der Angeschuldigte mit der sofortigen Beschwerde zum BGH gewandt, obwohl zwischenzeitlich vom GBA Anklage zum OLG Stuttgart erhoben worden ist.

Entscheidung des BGH:

Der BGH sah sich als nicht mehr befugt an, um über die Beschwerde des Untersuchungsgefangenen zu entscheiden, sondern deutete sie in einen erneuten Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel um, über den nun der Vorsitzende des zuständigen Senats beim OLG Stuttgart entscheiden müsse.

Die Zuständigkeit des BGH sei nicht mehr gegeben, da mit Anklageerhebung das OLG Stuttgart das mit dem Erkenntnisverfahren befasste Gericht geworden sei und für die Pflichtverteidigerbestellung nun ausschließlich der Vorsitzende gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO zuständig sei.

Die Vorschrift knüpfe an § 141 Abs. 4 StPO aF an und erfasse daher unbeeinflusst vom Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 auch Entscheidungen über einen Pflichtverteidigerwechsel, was dazu führe, dass Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse nur bis zur Anklageerhebung in die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts fielen. Danach sei das mit dem Erkenntnisverfahren befasste Gericht ausschließlich entscheidungsbefugt.

Zudem sei es ein bekannter Grundsatz, dass die Anklageerhebung einen Verfahrenseinschnitt bilde, der Zuständigkeiten auf das erkennende Gericht übergehen lasse.

Darüber hinaus sei die Regelung auch sachdienlich, da der Vorsitzende Richter am ehesten einschätzen könne, welcher und wie viele Verteidiger notwendig seien, um die Gewähr für eine zügige Verfahrensdurchführung zu gewährleisten.

Diese Grundsätze sollten nach Ansicht des BGH vom Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung auch unangetastet bleiben, da es dem Gesetzgeber bei der Neufassung des § 141 Abs. 4 StPO aF ausweislich der Gesetzesmaterialien lediglich auf eine bessere Übersichtlichkeit angekommen sei.

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung finden Sie hier.

 

Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet

Gesetz zur Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen vom 12. August 2021: BGBl. I 2021, S. 3544 ff.

Gesetzentwürfe: 

 

Am 27. November 2020 hat das BMJV einen Referentenentwurf zur Änderung des StGB – „Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen“ auf den Weg gebracht. Durch das Internet sei der Austausch von Waren und Dienstleistungen stark vereinfacht worden. Leider befänden sich nicht nur Plattformen mit rechtmäßigen Angeboten im Web, sondern es seien vermehrt auch verbotene Gegenstände und Dienstleistungen und er Vergangenheit gehandelt worden. Dabei sei die Ausgestaltung sehr vielfältig. Von Betäubungsmitteln, über Waffen, Kinderpornografie, Falschgeld, gefälschte Ausweise bis hin zu gestohlenen Kreditkarten sei alles denkbar. Problematisch sei, dass letztlich die Strafverfolgungsbehörden auch die Möglichkeiten haben müssten, diesem Phänomen effektiv und konsequent zu begegnen. Zwar gebe es spezialgesetzliche Verbote für den Verkauf solcher Waren und auch derjenige, der einer anderen Person hierzu Hilfe leistet, kann strafrechtlich verfolgt werden. Werde die Verkaufsplattform jedoch vollautomatisiert betrieben, könne nicht jeder Sachverhalt erfasst werden. Daher bedürfe es einer Ergänzung strafrechtlicher Regelungen. 

Der Entwurf sieht daher vor, einen neuen Straftatbestand des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet in das StGB einzufügen (§ 127 StGB-E, § 127 StGB wird dann zu § 128 StGB). Erfasst werden sollen damit ausschließlich Plattformen, die zweckmäßig darauf ausgerichtet sind, die Begehung von bestimmten Straftaten zu fördern. Die Tat soll mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden können. Bei gewerbsmäßigem Handeln soll der Strafrahmen bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe liegen. Parallel sieht der Entwurf vor, effektive Ermittlungsmöglichkeiten zur Aufklärung ebendieser Straftaten zu schaffen. Der Straftatenkatalog der §§ 100a und 100b StPO soll daher um die gewerbsmäßige Begehung des Betreibens krimineller Handelsplattformen ergänzt werden. 

Ein ähnlicher Vorschlag wurde bereits durch den Bundesrat im April 2019 in den Bundestag eingebracht (nähere Informationen dazu finden Sie hier) und auch der Referentenentwurf zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 aus März 2019 enthielt einen entsprechenden Regelungsvorschlag in § 126a StGB-E. Hierzu finden Sie bereits einige Beiträge im Heft: 

  • Prof. Dr. Mark A. Zöller – Strafbarkeit und Strafverfolgung des Betreibens internetbasierter Handelsplattformen für illegale Waren und Dienstleistungen, KriPoZ 5/2019, 274
  • Dr. Anna Oehmichen und Björn Weißenberger – Digitaloffensive im Strafrecht! Verbesserte Bekämpfung von Cyberkriminalität durch das IT-Sicherheitsgesetz 2.0?, KriPoZ 3/2019, 174
  • Nicole Selzer – Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der digitalen Welt – Kritische Betrachtung des Referentenentwurfs zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 unter systematischen Gesichtspunkte, KriPoZ 4/2019, 221 

Auch der Kriminalpolitische Kreis hatte zum Entwurf eines § 126a StGB im März 2020 Stellung genommen (die Stellungnahme finden Sie hier).

Die Bundesregierung teile laut Entwurf zwar die Zielsetzung, die vorgeschlagene Regelung setze dies jedoch besser um. 

„§ 127 – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet 

(1) Wer eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausge-richtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten im Sinne des Satzes 2 zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind 

1. Verbrechen 

2. Vergehen nach 

a) den §§ 147, 149, 152a, 152b, 176a Absatz 2, § 176b Absatz 2, § 184b Ab-satz 1 Satz 2, § 184c Absatz 1, § 184l Absatz 1 und 3 sowie den §§ 202a, 202b, 202d, 259, 263a, 275, 276, 303a und 303b, 

b) § 95 Absatz 1 und 2 des Arzneimittelgesetzes, 

c) § 29 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes, 

d) § 19 Absatz 1 und 2 des Grundstoffüberwachungsgesetzes, 

e) § 52 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3 Nummer 1 des Waffengesetzes, 

f) § 40 Absatz 1 und 2 des Sprengstoffgesetzes, 

g) den §§ 143, 143a und 144 des Markengesetzes sowie 

h) den §§ 51 und 65 des Designgesetzes. 

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Tat im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 angedrohte Strafe. 

(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Tat gewerbsmäßig begeht.“ 

 

Die Länder und Verbände können nun bis zum 7. Januar 2021 zu dem Entwurf Stellung nehmen. 

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte:
„Wir brauchen eine effektive und konsequente Strafverfolgung im digitalen Raum. Wenn auf kriminellen Plattformen Geschäfte gemacht werden mit entsetzlichen Bildern von sexualisierter Gewalt gegen Kinder, soll sich niemand herausreden, er habe nur die Plattform bereitgestellt und nichts gewusst. Gleiches gilt für Waffen- oder Drogenhandel, den Verkauf von gehackten Passwörtern oder gestohlenen Kreditkartendaten. All diese Geschäfte sind strafbar. Aber Ermittlungen gegen die Betreiber solcher Plattformen waren bisher oftmals schwierig, wenn diese sich ahnungslos gaben. Deshalb schaffen wir einen neuen Straftatbestand und effektive Ermittlungsmöglichkeiten.“

Am 10. Februar 2021 hat die Bundesregierung den Entwurf beschlossen und ihren Regierungsentwurf vorgestellt. Im Vergleich zum Referentenentwurf hat § 127 StGB-E einige Änderungen erfahren. Nach § 127 Abs. 1 S. 2 StGB-E soll ebenso bestraft werden, wer absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur für eine Tat nach S. 1 bereitstellt. Die Gleichstellung der Bestrafung rechtfertige sich dadurch, dass es unerheblich sei, ob das kriminelle Handelsgeschäft durch das Bereitstellen der Hardware (Server) oder der virtuellen Plattform ermöglicht oder gefördert werde. Das qualifizierte Vorsatzerfordernis stelle sicher, dass nur Fälle erfasst werden, bei denen der Server Betreiber tatsächliche Kenntnis davon hatten, dass entsprechende Plattformen auf den Servern gehostet wurden. Die Katalogtaten des § 127 Abs. 1 Nr. 2 StGB-E wurden modifiziert. Neu hinzugekommen ist bspw. das Verbreiten von Propagandamitteln (§ 86 StGB), die Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 91 StGB), die Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 Abs. 2 StGB), der Menschenhandel (§ 232 StGB), die gewerbsmäßige Hehlerei und Bandenhehlerei (§ 260 StGB), der Betrug nach § 263 StGB (im RefE war nur der Computerbetrug enthalten), die Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und die Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB). Insbesondere wurden auch das AntiDopG (§ 4 Abs. 1 bis 3 AntiDopG) und das NpSG (§ 4 Abs. 1 und 2 NpSG) aufgenommen. Außerdem wurde in Abs. 4 eine Verbrechensqualifikation geschaffen, bei der sich die Zweckausrichtung der Handelsplattform auf die Ermöglichung oder Förderung von Verbrechen bezieht und der Täter dies auch beabsichtigen muss. Dadurch soll der Handel mit Verbrechen als Dienstleistung („crime as a service“) erfasst werden oder die Fälle, bei denen der Handel selbst bereits als Verbrechen zu qualifizieren ist, wie bspw. bei der Verbreitung kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB). 

Die Unterstreichungen zeigen die inhaltlichen Änderungen des Regierungsentwurfs:

„§ 127 – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet; Bereitstellen von Server-Infrastrukturen 

(1) Wer eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Ebenso wird bestraft, wer absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur für eine Tat nach Satz 1 bereitstellt. Rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 sind 

1. Verbrechen, 

2. Vergehen nach 

a) den §§ 86, 86a, 91, 130, 147 und 148 Absatz 1 Nummer 3, den §§ 149, 152a, 152b und 176a Absatz 2, § 176b Absatz 2, § 180 Absatz 2, § 184b Absatz 1 Satz 2, § 184c Absatz 1, § 184l Absatz 1 und 3, den §§ 202a, 202b, 202c, 202d, 232 und 232a Absatz 1, 2, 5 und 6, § 232b Absatz 1, 2 und 4 in Verbindung mit § 232a Absatz 5 sowie den §§ 233, 233a, 236, 259, 260, 263, 263a, 267, 269, 275, 276, 303a und 303b,

b) § 4 Absatz 1 bis 3 des Anti-Doping-Gesetzes, 

c) § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, auch in Verbindung mit Absatz 6, und Absatz 2 sowie 3 des Betäubungsmittelgesetzes, 

d) § 19 Absatz 1 bis 3 des Grundstoffüberwachungsgesetzes, 

e) § 4 Absatz 1 und 2 des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, 

f) § 95 Absatz 1 bis 3 des Arzneimittelgesetzes, 

g) § 52 Absatz 1 Nummer 1 und 2 Buchstabe b und c, Absatz 2 und 3 Nummer 1 und 7 sowie Absatz 5 und 6 des Waffengesetzes, 

h) § 40 Absatz 1 bis 3 des Sprengstoffgesetzes, 

i) § 13 des Ausgangsstoffgesetzes, 

j) den §§ 143, 143a und 144 des Markengesetzes sowie 

k) den §§ 51 und 65 des Designgesetzes. 

(2) Handelsplattform im Internet im Sinne dieser Vorschrift ist jede virtuelle Inf-rastruktur im frei zugänglichen wie im durch technische Vorkehrungen zugangsbeschränkten Bereich des Internets, die Gelegenheit bietet, Menschen, Waren, Dienst-leistungen oder Inhalte (§ 11 Absatz 3) anzubieten oder auszutauschen. 

(3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer im Fall des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. 

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer bei der Begehung einer Tat nach Absatz 1 Satz 1 beabsichtigt oder weiß, dass die Handelsplattform im Internet den Zweck hat, Verbrechen zu ermöglichen oder zu fördern. 

Am 26. März 2021 beschäftigte sich der Bundesrat erstmals mit dem Entwurf und nahm entsprechend der Empfehlungen der Ausschüsse dazu Stellung (BR Drs. 147/1/21). 

Am 16. April 2021 hat der Bundestag in erster Lesung den Regierungsvorschlag beraten. Er wurde im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 3. Mai 2021 eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Ob die Einführung eines neuen Straftatbestandes erforderlich ist, darüber waren sich die Experten uneinig. Prof. Dr. Matthias Jahn sah in erster Linie die Gefahr einer Überkriminalisierung. Strafbarkeitslücken seien derzeit in diesem Bereich nicht vorhanden. Einzelfalllösungen fänden sich bereits in den Deliktsbereichen des Betäubungsmittel-, Waffen- oder Arzneimittelrechts. Gleicher Ansicht war auch Prof. Dr. Mark A. Zöller. Darüber hinaus sei auch der Straftatenkatalog des § 127 StGB-E zu weit geraten und verstoße damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem schloss sich ebenfalls Dr. Christian Rückert an. Mit dem Entwurf des § 127 StGB verlagere man die Strafbarkeit in das sog. Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung. So könnte schließlich auch ein Anfangsverdacht gegen legale Plattformen begründet werden. Prof. Dr. Jörg Eisele zog das Beispiel des Attentats beim Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016 heran um zu zeigen, wo im deutschen Recht Strafbarkeitslücken bestünden. Er kam zu dem Ergebnis, dass es vertretbar sei, eine Strafbarkeit rein an das Betreiben einer Platform zu knüpfen, die kriminellen Zwecken diene. Jun.-Prof. Dr. Dominik Brodowski gab allgemein zu bedenken, dass die derzeitige hohe Taktung von Änderungen in der Strafgesetzgebung eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung erschwere und es nicht verwundere, dass über die Ausgestaltung des Entwurfs Streit bestehe. Prof. Ulrich Kelber (BfDI) griff in seiner Stellungnahme an den Rechtsausschuss einen ähnlichen Aspekt auf. Es solle wieder eine neue Überwachungsmöglichkeit geschaffen werden, ohne dass ein Bedarf geprüft worden sei. 

Dr. Oliver Piechaczek vom DRB begrüßte den Entwurf. Hinzukommen sollte jedoch eine entsprechende Aufstockung der personellen Ressourcen bei den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden. Dem widersprach auch OStA Thomas Goger nicht. So würden Nachweisschwierigkeiten aufgegriffen und rechtssicher gelöst. Verbesserungsbedarf bestehe aber bspw. in der Aufnahme des Tatbestandes der Erpressung in den Straftatenkatalog sowie in der Anhebung des Strafrahmens im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Dem schloss sich OStA Thomas Wullrich an. Er empfahl, den Tatbestand der Geldwäsche ebenfalls zusätzlich in den Straftatenkatalog aufzunehmen sowie die Möglichkeit zur TKÜ zu erweitern. 

Am 24. Juni 2021 nahm der Bundestag den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss geänderten Fassung (BT Drs. 19/30941/BT Drs. 19/31108) mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der FDP, Linke und Grüne an. Die AfD enthielt sich ihrer Stimme. Bereits einen Tag später passierte das Gesetz den Bundesrat, der auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtete. 

Das Gesetz zur Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet wurde am 19. August 2o21 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 3544 ff.). Es tritt am 1. Oktober 2021 in Kraft. 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 83/2020

Die Pressemitteilung im Original finden Sie hier.

OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020 – III-3 RVs 47/20: Keine Garantenpflicht für Vereinsvorstand zur Entfernung des Kennzeichens eines verbotenen Vereins von der Vereinsimmobilie

Leitsatz der Redaktion:

Unternimmt ein Vereinsvorstand nichts zur Entfernung eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins von der eigenen Vereinsimmobilie, begründet dies keine strafrechtliche Garantenstellung, wenn der Vorstand das Kennzeichen weder selbst angefertigt, noch bei Anfertigung bereits in einer leitenden Position war.

Sachverhalt:

Das AG Bielefeld hatte den Angeklagten wegen Verwendens eines Kennzeichens eines verbotenen Vereins verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte seit 2013 Vorsitzender eines Vereins in Bielefeld gewesen, der sich für ein unabhängiges Jugendzentrum in der Stadt eingesetzt hatte.

Auf einer Jalousie des Vereinsgebäudes war höchstwahrscheinlich im Jahr 1994 ein Bild aufgemalt worden, dass neben einer Person die Flagge der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) zeigt, welche eine verbotene Unterorganisation der PKK darstellt. Diese Flagge war auch von der öffentlichen Straße zu sehen gewesen.

Der Angeklagte hatte sich nach Ansprache durch die Behörden geweigert, das Bild zu entfernen und war daraufhin vom AG Bielefeld verurteilt worden. Ihn treffe als Vereinsvorstand eine Garantenpflicht zur Entfernung des Bildes, so die Ansicht des AG.

Das LG Bielefeld gab dem Angeklagten im Berufungsverfahren Recht und sprach in frei.

Entscheidung des OLG:

Diese Entscheidung bestätigte das OLG Hamm. Da der Angeklagte erst viele Jahre nach Anbringen des Bildes Vereinsvorstand geworden sei, das Bild zudem nicht selbst angebracht habe und auch bei Anbringung in keiner sonstigen leitenden Funktion gewesen sei, könne ihn keine strafrechtliche Garantenpflicht zur Entfernung des Bildes treffen.

Auch komme es für eine Strafbarkeit nicht auf die Beweggründe des Vorsitzenden bzw. des Vereins an, das Bild weiterhin zu dulden. Demnach habe das LG auch keine tatsächlichen Feststellungen zur politischen Einstellung des Angeklagten treffen müssen, so der Senat. Dies würde nämlich im Ergebnis dazu führen, dass eine politische Gesinnung unter Strafe gestellt würde, was gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstieße.

Eine ordnungsrechtliche Verpflichtung zur Entfernung des Bildes, welche möglicherweise auch mit Zwang durchgesetzt werden könne, bleibe von dem Urteil natürlich unberührt.

Anmerkung der Redaktion:

Bisher finden sich keine Verurteilungen nach §§ 86a, 13 StGB.

 

 

 

Triage – Pflichtenkollision beim Lebensschutz – Diskussionsbericht des Online-Seminars „Digital Thursdays – Strafrecht in der Pandemie“ der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung WisteV e.V.

von Oliver Michaelis, LL.M., LL.M. und Dr. Angela Michaelis 

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Es bewahrheitet sich tagtäglich der Charles Darwin zugeschriebene Ausspruch, dass nichts beständiger ist, als der Wandel. Alleine nur durch das „Corona-Phänomen“ im Jahr 2020 hat sich vieles in rasantem Tempo und mit einer bisher ungeahnten und nie dagewesenen Dynamik verändert. Diese plötzlich-faktischen Veränderungen führen aber zwingend zu einer Auseinandersetzung mit den neuen Situationen, denn nicht nur die Gesellschaft und die Politik stehen vor großen Herausforderungen, auch die Strafrechtswissenschaft muss sich mit einigen Themen beschäftigen. So hat der WisteV kurzerhand eine Informationsrunde „Digital Thursdays – Strafrecht in der Pandemie“ in Form von kurzen Online-Seminaren initiiert, bei denen „über die strafrechtlichen Implikationen der Pandemie in einer kleinen Serie von kurzen Informationsrunden im Rahmen eines digitalen Lunchs“ (Infoflyer) diskutiert werden soll.

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Prof. Dr. Merab Turava
Prof. Dr. Dr. h.c. Yener Ünver

 

 

 

 

Der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

von Prof. Dr. Joachim Renzikowski 

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Abstract
Nach dem Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts liegt mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder die erste größere Reform im Sexualstrafrecht vor. Der Gesetzesentwurf ist jedoch enttäuschend. Die Erkenntnisse der Kommission werden ausschließlich herangezogen, um damit Erweiterungen der Strafbarkeit zu begründen. Zentrale Kritik und Entkriminalisierungsvorschläge werden dagegen völlig ignoriert. Wieder einmal schlagen kriminalpolitische Vorurteile wissenschaftliche Erkenntnisse.

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Die Verwendung von Corona-Gästelisten zur Strafverfolgung

von Dr. Tanja Niedernhuber 

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Abstract
Zur Unterbrechung von Infektionsketten im Zusammenhang mit der aktuellen COVID-19-Pandemie sind Gaststätten und andere Einrichtungen, soweit sie geöffnet haben, verpflichtet, Kontaktdaten ihrer Gäste abzufragen und bis zu einen Monat lang aufzubewahren. Jedoch sind die Gesundheitsämter nicht die einzigen Stellen, welche die Daten in den Gästelisten verarbeiten. Es häufen sich Berichte, dass auch die Polizei gelegentlich auf solche Listen zu Strafverfolgungszwecken zugreift. Dieses Vorgehen verletzt jedoch das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung und war bislang mangels hinreichend konkreter gesetzlicher Grundlage rechtswidrig. Mitte November 2020 ist der Gesetzgeber einer verbreiteten Forderung nach mehr Datenschutz nachgekommen und hat ein ausdrückliches Verwendungsverbot bezüglich der Kontaktdaten in den Gästelisten erlassen. Verstöße gegen dieses Verbot führen nach der hier vertretenen Ansicht zur Unverwertbarkeit der dadurch mittelbar und unmittelbar gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren.

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KriPoZ-RR, Beitrag 82/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 2 StR 434/19: Zur mutmaßlichen Einwilligung in eine palliativmedizinische Behandlung trotz Überschreitens der ärztlichen Anordnung

Leitsatz der Redaktion:

Überschreitet ein Nichtarzt bei einer palliativmedizinischen Medikamentenverabreichung eigenmächtig den Rahmen der ärztlichen Anordnung, schließt das nicht per se eine Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung aus. Das Vorliegen einer solchen ist vielmehr im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände vom Tatgericht zu ermitteln.

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat den Angeklagten wegen Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der als Pfleger des Opfers tätige Angeklagte mit einer weiteren unerfahrenen Kollegin im Nachtdienst eingeteilt gewesen. Der Geschädigte hatte aufgrund einer Krebserkrankung starke Schmerzen und sein Tod hatte unmittelbar bevorgestanden. Für den Fall, dass der Angeklagte starke Schmerzen verspüre und die bisherige Medikation nicht ausreiche, hatte der zuständige Arzt die Verabreichung von 5mg Morphium angeordnet. Gegen 22:30 Uhr hatte der Patient über starke Schmerzen geklagt und die verordnete Dosis vom Angeklagten gespritzt bekommen.

Gegen 6:00 Uhr litt der Geschädigte wiederum sehr stark, sodass der Angeklagte und seine Kollegin Mitleid mit ihm hatten und seinen Zustand nur schwer mit ansehen konnten. Um seiner Kollegin zu imponieren, weil er in sie verliebt war, und aus Mitleid mit dem Geschädigten, hatte der Angeklagte ihm daraufhin 10mg Morphin, also das doppelte der ärztlich verordneten Maximaldosis, verabreicht.

Wenig später verstarb der Patient. Das Morphium war nicht todesursächlich.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilung durch das LG auf.

Die Verabreichung des Medikaments sei tatbestandlich zwar eine Körperverletzung, das LG habe jedoch die Möglichkeit einer Rechtfertigung nicht ausreichend geprüft.

Eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten habe nicht vorgelegen. Die Wertung des LG, dass auch eine mutmaßliche Einwilligung von vornherein ausscheide, da der Eingriff durch einen Nichtarzt erfolgt sei, sei jedoch rechtsfehlerhaft, so der BGH.

Einwilligungsfähig seien nach den Grundsätzen der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes auch Maßnahmen eines Nichtarztes, wenn diese den Regeln der ärztlichen Kunst und dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprächen.

Gerade bei der Schmerzlinderung im Todeskampf bestünde eine besondere Ausnahmesituation, die auch das Handeln eines Nichtarztes unter Abweichung von der ärztlichen Anordnung rechtfertigen könne. Somit wäre die Möglichkeit einer Rechtfertigung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung des Geschädigten zumindest vom Tatgericht zu prüfen gewesen.

Dies habe im Wege einer Gesamtabwägung und im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten anhand seiner persönlichen Umstände, individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen zu erfolgen. Dass die Beachtung und Einhaltung der ärztlichen Anordnung gemeinhin als Vernünftig anzusehen sei, sei lediglich ein Indiz für die gerichtliche Bewertung. Gerade im Todeskampf könne jedoch auch ein darüberhinausgehendes Handeln innerhalb den Regeln der ärztlichen Kunst als vernünftig angesehen werden. Vor allem, wenn – wie im vorliegenden Fall – die ärztliche Anordnung an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen habe.

Eine solche Gesamtabwägung lasse das landgerichtliche Urteil vermissen.

Auch, dass der Angeklagte neben Mitleid mit dem Geschädigten auch handelte, um seiner unerfahrenen Kollegin zu imponieren, sei kein Ausschlussgrund für eine Rechtfertigung, da das Mitleidsmotiv nicht völlig in den Hintergrund gedrängt worden sei.

Anmerkung der Redaktion:

Gerade vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zur Straffreiheit der Sterbehilfe wird hier deutlich, dass der Wille des einzelnen Patienten auch bei einer Einwilligung in palliativmedizinische Behandlungen sehr großes Gewicht hat und sogar die Abweichung von ärztlichen Anordnungen rechtfertigen kann.

 

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