KriPoZ-RR, Beitrag 01/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BGH, Urteil v. 08.12.2021 – 5 StR 312/21: Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist im gleichen Umfang möglich wie im Strafverfahren

Amtlicher Leitsatz:

Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist seit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 413 StPO zum 1. Juli 2021 im gleichen Umfang wie im Strafverfahren möglich; ein besonderer Antrag der Staatsanwaltschaft ist hierfür nicht erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Görlitz hat die schuldlos handelnde Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und eine Waffe sowie Munition und Pfefferspray gemäß § 74 StGB eingezogen. Bei der Einziehungsentscheidung wurde durch die Strafkammer kein Ermessen ausgeübt und keine erforderlichen Feststellungen getroffen. Auch wurde durch die Staatsanwaltschaft kein Antrag auf Anordnung der Einziehung gestellt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil teilweise auf, soweit gegen die Beschuldigte die Einziehung angeordnet worden ist.

Das LG Görlitz habe verkannt, dass die Rechtsfolge nur nach § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB angeordnet werden könne und im Falle schuldlos Handelnder nicht § 74 StGB greife. Die erforderlichen Feststellungen und das der Strafkammer zustehende Ermessen seien nicht ausgeübt worden, wodurch ein Rechtsfehler vorliege.

Zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung führe hingegen nicht der fehlende Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Einziehung gemäß § 435 Abs. 1 S. 1 StPO. Anders als die bisherige Rechtsprechung des BGH, wonach die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB von einem zusätzlichen Antrag der Staatsanwaltschaft abhängig war, sei seit der Neuregelung des § 413 StPO zum 01.07.2021 kein gesonderter Antrag der Staatsanwaltschaft im Sicherungsverfahren mehr erforderlich.

Sowohl der neue Wortlaut des § 413 StPO (Ergänzung um die Worte: „sowie als Nebenfolge die Einziehung“) als auch der gesetzgeberische Wille (Vereinfachung des Verfahrens) sowie die Systematik (§§ 413 StPO als prozessuales Gegenstück zu § 71 StGB) widersprächen der Ansicht des Generalbundesanwaltes, ein Antrag sei Verfahrensvoraussetzung.

Die weitergehende Revision der Beschuldigten verwarf der BGH.

Anmerkung der Redaktion:

§ 413 StPO ist mit Wirkung zum 01.07.2021 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 geändert worden.

KriPoZ-RR, Beitrag 59/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20: Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen

Amtliche Leitsätze:

  1. Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt sich für den Staat das Verbot unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung wegen Behinderung und ein Auftrag, Menschen wirksam vor Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen.

  2. Der Schutzauftrag des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kann sich in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit zu einer konkreten Schutzpflicht verdichten. Dazu gehören die gezielte, als Angriff auf die Menschenwürde zu wertende Ausgrenzung von Personen wegen einer Behinderung, eine mit der Benachteiligung wegen Behinderung einhergehende Gefahr für hochrangige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter wie das Leben oder auch Situationen struktureller Ungleichheit. Der Schutzauftrag verdichtet sich hier, weil das Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen besteht.

  1. Dem Gesetzgeber steht auch bei der Erfüllung einer konkreten Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Entscheidend ist, dass er hinreichend wirksamen Schutz vor einer Benachteiligung wegen der Behinderung bewirkt.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen staatlicher Maßnahmen erhoben. Verbunden war die Verfassungsbeschwerde mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dieser zielte auf einen wirksamen Schutz der Beschwerdeführenden vor Benachteiligungen wegen ihrer Behinderung im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung im Laufe der Coronavirus-Pandemie ab. Der Eilantrag wurde am 16.07.2020 mit Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats mit der Begründung zurückgewiesen, dass notwendige Maßnahmen nicht ergriffen werden müssten. Zu diesem Zeitpunkt sei nicht absehbar, dass die Plätze nicht ausreichen würden, um alle Behandlungsbedürftigen zu versorgen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde an und gab ihr statt. Der Gesetzgeber habe Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verletzt, da er es unterlassen habe, für Situationen, in denen nicht für alle intensivmedizinische Ressourcen zur Verfügung stehen würden, Vorkehrungen zu treffen. Bei der Zuteilung der Ressourcen dürfe niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden.

Für Menschen mit einer Behinderung liege eine besondere Gefährdung in der Corona-Pandemie vor. Es gebe ein höheres Infektionsrisiko, schwerere Erkrankungen und im Falle einer Triage könnte es wahrscheinlicher zu tödlichen Folgen kommen.

Um in der Pandemie zu vermeiden, dass Intensivmedizin knapp werde, existierten bereits zahlreiche Verordnungen und Triage-Empfehlungen. Bindende gesetzliche Regelungen für Fälle, in denen es zu einer Triage komme, würden hingegen fehlen.

Aus dem Verbot einer Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und der hier vorliegenden bestimmten Konstellation, dass der Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) in Rede stehe, ergebe sich eine konkrete Handlungspflicht.

Der Gesetzgeber sei nun daran gehalten hierfür geeignete Vorkehrungen zu treffen. Bei der Ausgestaltung der Schutzpflicht stehe dem Gesetzgeber zwar ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, für einen wirksamen Grundrechtsschutz müssten allerdings Regelungen geschaffen werden, die schematische und stereotype Triage-Entscheidungen vermeiden, so das BVerfG. Kein zulässiges Kriterium sei die „längerfristig erwartbare Überlebensdauer.“

Anmerkung der Redaktion:

Bislang maßgeblich für die Entscheidungen von Ärzten sind die Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

Gesetz zur Stärkung der Impfprävention

Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie: BGBl 2021, S. 5162 ff.

 

Gesetzesentwurf:

  • Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: BT Drs. 20/188

 

Am 06.12.2021 haben die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP einen Entwurf zur Stärkung der Impfprävention und weiterer Gesetzesänderungen vorgelegt. Es soll insbesondere eine einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt und der Kreis der impfberechtigten Personen erweitert werden.

Die Fraktionen sehen für Personal in Gesundheits- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung mit einem zugleich hohen Infektionsrisiko. Für Personen, die sich in diesen Tätigkeitsverhältnissen befänden, müsse bis zum 15. März 2022 ein entsprechender Nachweis vorliegen bzw. für neue Tätigkeitsverhältnisse ab dem 16. März 2022 ein solcher eingehen.

Darüber hinaus sieht der Entwurf vor, dass neben Ärzten auch Zahnärzte, Tierärzte sowie Apotheker mit entsprechenden fachlichen Voraussetzungen Schutzimpfungen vornehmen können, um eine schnelle Auffrischungsimpfung zu ermöglichen.

Am 08. Dezember 2021 fand eine öffentliche Anhörung im Hauptausschuss statt. Eine Liste der über 30 Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Prof. Dr. Kiesling begrüßt die Änderungen des Entwurfes, regt jedoch an, die Impfpflicht auch auf weitere Berufsgruppen auszuweiten (Impfpflicht für das Personal an Kitas und Schulen) und eine Befristung bis Ende 2022 zu streichen. Prof. Dr. Klafki spricht sich ebenfalls für eine Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht aus. Weder sei eine Impfpflicht per se verfassungswidrig (vgl. Masern- und Pockenimpfpflicht), noch in der konkreten Ausgestaltung des § 20a E-IfSG. Der Schutz des Lebens besonders schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen überwiege gegenüber den Grundrechtseingriffen der Adressaten. 

Änderungsanträge anderer Parteien wurden in der zweiten und dritten Lesung abgelehnt.

Am 09. Dezember 2021 fand im Hauptausschuss eine abschließende Beratung statt, in der nach sieben Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen der Entwurf angenommen wurde.

Am 10. Dezember 2021 hat der Bundestag das Gesetz beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet.

KriPoZ-RR, Beitrag 58/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

 

BGH, Urteil v. 11.11.2021 – 4 StR 511/20: Zum Rennbegriff und der Zurechnung von durch unmittelbar von anderen Rennteilnehmern verursachten konkret eingetretenen Gefahren im Sinne des § 315d StGB

Amtliche Leitsätze:

  1. Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten.
  2. § 315d Abs. 2 StGB ist ein eigenhändiges Delikt. Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht deshalb nur, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht.

    Nebentäterschaft kann vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setzt voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.

Sachverhalt:

Das LG Arnsberg hat den Angeklagten H. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und den Angeklagten P. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sich beide Angeklagte zu einem spontanen Autorennen verabredet, um Beschleunigungsverhalten und Geschwindigkeiten zu vergleichen. Der Angeklagte H. versuchte den Angeklagten P. aus einer Kurve heraus zu überholen. Dabei kam es zu einer Kollision mit einem entgegenkommenden vollbesetzten Fahrzeug, woraufhin eine Person starb und die übrigen Insassen teilweise schwer verletzt wurden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch bezüglich des Angeklagten P. ab, indem er den Schuldspruch um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung in vier Fällen ergänzte und den Strafausspruch aufhob.

Die Revisionen der Angeklagten sowie die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft verwarf der BGH.

Das LG habe zutreffend angenommen, dass der Angeklagte P. an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB teilnahm. Hierbei komme es nicht auf die „Startmodalitäten“ an, sodass es keiner vorherigen ausdrücklichen Absprache bedarf. Vielmehr kann diese auch spontan und konkludent erfolgen. Der Wille des Gesetzgebers bestätige dieses.

Zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB für einen Teilnehmer müsse eine konkrete Gefahr und ein innerer Zusammenhang zwischen Verursachungsbeitrag und Gefährdungserfolg vorliegen. Die sich allein aus dem Rennverhalten der anderen Teilnehmer ergebende konkrete Gefahr begründe jedoch keine mittäterschaftliche Zurechnung.

Eine Nebentäterschaft hingegen verlange, dass der Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Ein solcher setze Folgendes voraus:

  1. Dieselbe Rennsituation
  2. Verursachungsbeitrag
  3. Derselbe konkrete Gefährdungserfolg
  4. Örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen 2. und 3.

Dies führe dazu, dass jeder Rennteilnehmer für sich den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB erfüllt habe, wie der BGH im vorliegenden Fall entschieden hat.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 315d StGB ist am 13.10.2017 durch das Sechsundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in Kraft getreten.

Der neu eingefügte Straftatbestand wurde zur Erweiterung der Sanktionsmöglichkeiten gegen illegale Autorennen in das StGB eingefügt. Zuvor wurden die Rennen als Ordnungswidrigkeiten geahndet.

KriPoZ-RR, Beitrag 57/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 StR 131/21: Geschützter Personenkreis beim Missbrauch von Schutzbefohlenen

Amtlicher Leitsatz:

Zu dem von § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB geschützten Personenkreis.

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sechs Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung und in drei Fällen in Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte seine „Stiefenkelin“ regelmäßig alle zwei Wochen für ein bis zwei Stunden betreut. Dabei hatte er die Gelegenheit genutzt um neben anzüglichen Bemerkungen auch Körperkontakt gegen den Willen der 16-jährigen herzustellen. Er hatte ihr mehrmals u.a. an den Hintern und die Brüste gefasst, teils mit solcher Kraft, dass regelmäßig Blutergüsse entstanden waren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilungen wegen des Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf, da die Geschädigte nicht unter den geschützten Personenkreis des § 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB falle.

Dieser schütze leibliche oder rechtliche Abkömmlinge des Täters oder Abkömmlinge seines Ehegatten bzw. Lebenspartners.

Die Geschädigte falle jedoch in keine der genannten Gruppen. Sie stamme nicht in gerade Linie vom Angeklagten ab und sei daher kein leiblicher Abkömmling.

Auch habe das LG nicht festgestellt, dass der Stiefvater der Geschädigten (der Sohn des Angeklagten) bereits bei der Geburt mit der leiblichen Mutter der Geschädigten verheiratet gewesen ist, sodass auch eine rechtliche Abkömmlingsschaft ausscheide.

Eine Einbeziehung als Stiefenkelin scheide ebenfalls aus.

Zwar habe der Gesetzgeber den Wortlaut der Norm 2015 erweitert um auch Abkömmlinge des Ehegatten bzw. Lebenspartners des Täters besser zu schützen. Dieser Schutz von Stiefkindern und Stiefenkeln erfasse jedoch nur die Abkömmlinge des Ehegatten oder Lebenspartners des Täters. Nicht erfasst sei die verfahrensgegenständliche Konstruktion, dass das Opfer ein Stiefkind eines leiblichen Abkömmlings des Täters sei, so der BGH.

Diese Wertung ergebe sich aus dem klaren Wortlaut der Norm und aus dem Willen des historischen Gesetzgebers.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 174 StGB ist 2015 durch das 49. Strafrechtsänderungsgesetz vom 21. Januar 2015 geändert worden, um Stiefkinder und –enkel des Täters aufgrund der oftmals genauso engen Familienbeziehungen ebenso zu schützen wie leibliche und rechtliche Abkömmlinge desselben.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 56/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 3 ZB 1/20: Zu den Anforderungen an die sog. drohende Gefahr bzw. die Einordnung als Gefährder im Polizeirecht

Amtliche Leitsätze:

1. Für das Rechtsbeschwerdegericht sind die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung grundsätzlich bindend. Es überprüft aber im Rahmen der Rechtsbeschwerde ihre Beurteilung in ihrer Gesamtheit im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe.

2. Das individuelle Verhalten einer Person begründet die konkrete Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen wird, wenn sich aus ihrem Verhalten auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachenbasis konkrete tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass sich jederzeit eine terroristische Gefahr aktualisieren kann. Es reicht dabei nicht aus, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen und die Tatsachenlage durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet ist. Ebenso wenig genügen reine Vermutungen oder bloße Spekulationen.

3. Anknüpfungspunkt der Prognose muss stets das Verhalten des Betroffenen sein. Allein seine Disposition oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Angehörige sich regelmäßig in einer bestimmten Art und Weise verhalten, reicht nicht aus. Insoweit bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen oder Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht, sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Betroffenen in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu stabilisieren oder gar zu bestärken.

4. An den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind mit Blick auf das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer Eigenart, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, keine überspannten Anforderungen zu stellen.

5. Insbesondere steht der Prognose nicht entgegen, dass andere Deutungen der festgestellten Tatsachen und Äußerungen nicht ausgeschlossen sind. Sind die für eine Gefahrprognose sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte und Gründe mindestens ebenso gewichtig wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe, reicht dies für die erforderliche konkrete Wahrscheinlichkeit aus.

6. Verdachtsfälle, die bereits eine (endgültige) Abschiebung ohne vorherige Androhung tragen, beziehungsweise wertungsmäßig ähnlich gewichtige Fälle müssen jedenfalls auch für die Rechtfertigung des weniger schwerwiegenden Eingriffs der Datenerhebung durch längerfristige Observation ausreichen.

Sachverhalt:

Das OLG hat die Beschwerde des Polizeipräsidiums gegen den Beschluss des AG zurückgewiesen.

Das AG hatte eine längerfristige Observation des Betroffenen nach § 15 HSOG abgelehnt.

Als Begründung hatten sowohl AG als auch OLG angeführt, dass von dem Betroffenen keine abstrakte Gefahr i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG ausgehe.

Gegen diese Zurückweisung richtete sich die zulässige Rechtsbeschwerde des Polizeipräsidiums zum BGH.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Beschluss des OLG auf.

Zunächst begründete er kurz, weshalb er zwar als Beschwerdegericht grundsätzlich an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen und deren rechtlicher Würdigung gebunden sei. Allerdings stünde ihm als Beschwerdegericht eine Beurteilung im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe zu. Die verallgemeinerbaren Maßstäbe der Ausfüllung solcher entzögen sich dem Beurteilungsspielraum des Tatgerichts.

Demnach habe das OLG den Rechtsbegriff der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ nicht zutreffend erfasst und konkretisiert.

§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG gestatte die Datenerhebung durch Observation und den Einsatz technischer Mittel über Personen, deren individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen werden, wenn die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftat erforderlich sei, so der BGH.

Eine Legaldefinition dieses Gefährderbegriffs fände sich weder im Hessischen SOG noch in anderen Polizeigesetzen. Lediglich im Bayerischen PAG bilde dieser Ausdruck einen Teil der Definition für die „drohende Gefahr“.

Die Regelung sei als Umsetzung der Entscheidung des BVerfG zum BKAG in das Gesetz eingefügt worden. In dieser Entscheidung hatte das BVerfG dem Gesetzgeber gestattet, die Anforderungen an den Kausalverlauf für eine Gefahrenlage im Hinblick auf terroristische Gefahren zur Anordnung bestimmter Aufklärungsmaßnahmen abzusenken.

Die Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs, wie sie sich aus den Leitsätzen ergibt, erfolge durch Auslegung.

Bereits der Wortlaut unterscheide zwischen den Begriffen „Wahrscheinlichkeit“ und „Gefahr“, wobei erstere eine abgesenkte Eingriffsschwelle zulasse.

Dieses Ergebnisse stimme auch mit der Gesetzessystematik überein, da in § 15 HSOG selbst in absteigender Reihenfolge zunächst von einer konkreten Gefahr und später nur noch von „konkreter Wahrscheinlichkeit“ spreche.

Da es Zweck der Aufklärungseingriffe sei, terroristische – also schwerste – Straftaten zu verhüten, dürfe auch an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts keine überspannten Anforderungen gestellt werden.

Bei der Tätigkeit der Polizei im Gefahrenvorfeld müsse ein größerer Grad an Ungewissheit in Kauf genommen werden.

Insoweit seien heimliche Überwachungsmaßnahmen verfassungsrechtlich bereits dann zulässig, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar sei, jedoch das individuelle Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, dass die Person terroristische Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen werde.

Nicht mehr zulässig seien Maßnahmen jedoch dann, wenn der Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr verlegt werde, so der BGH.

Allerdings dehne sich der zulässige polizeiliche Aktionsraum auch in zeitlicher Hinsicht desto weiter aus, je größer das sich abzeichnende Schadenspotential sei.

Ein mehrjähriger Zeitraum komme deshalb bei terroristischen Straftaten, die hochrangiges Rechtsgüter bedrohten, durchaus in Betracht.

Je ranghöher das Schutzgut und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden sei, desto geringere Anforderungen seien von Verfassungs wegen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.

Da das OLG hinsichtlich dieser Maßstäbe von einer zu hohen Eingriffsschwelle ausgegangen sei, sei der Beschluss aufzuheben gewesen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Nach der Entscheidung des BVerfG zum BKAG kam es 2018 und 2019 zu einer Welle an Änderungen der Polizei- und Verfassungsschutzgesetze, bei denen neue Eingriffsmöglichkeiten im Gefahrenvorfeld geschaffen worden waren.

Weitere Informationen finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 55/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.10.2021 – GSSt 1/20: Zur Hinweispflicht bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB

Amtlicher Leitsatz:

Ein Hinweis auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch dann erforderlich, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der zugelassenen Anklage enthalten sind.

Sachverhalt:

Am 18.06.2019 hatte der 5. Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass weder § 265 Abs. 1 StPO noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der obligatorischen Einziehung auslösten und hatte beim 1. Senat angefragt, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten wolle. Den zugehörigen KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019.

Am 10.10.2019 hatte der 1. Senat entschieden, dass er an seiner Rechtsprechung festhält und hatte einen Hinweis auf eine Einziehung auch dann für erforderlich gehalten, wenn die Tatsachen zwar bereits in der Anklageschrift enthalten gewesen waren, das Gericht deren Bedeutungsgehalt jedoch erst in der Hauptverhandlung realisiere. Den Beitrag zum Antwortbeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019.

Daraufhin hat der 5. Senat dem Großen Senat die Frage vorgelegt, ob nach § 265 Abs. 1 oder § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die Möglichkeit einer Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen ist, wenn diese Rechtsfolge weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt worden ist, die hierfür relevanten Tatsachen aber in der zugelassenen Anklage bereits enthalten waren. Diesen Anfragebeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 44/2020.

Entscheidung des Großen Senats:

Der Große Senat entschied die Vorlagefrage im Sinne des 1. Senats und hielt eine Hinweispflicht des Gerichts für bestehend.

Dies begründete der Senat zunächst mit dem Wortlaut der Norm und dem Willen des historischen Gesetzgebers, der mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die Hinweispflichten gerade auf weitere Rechtsfolgen, wie die Einziehung, habe ausdehnen wollen. Der historische Gesetzgeber habe die Auslegung der Rechtsprechung gekannt und die Neuregelung explizit im Wortlaut unverändert gelassen.

Die Gesetzessystematik spreche nicht gegen dieses Ergebnis, da § 265 Abs. 1 i.V.m. § 200 Abs. 1 S. 1 StPO alle relevanten Schuldspruchänderungen erfasse und § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO lediglich die Rechtsfolgen erfasse, die nicht zwingend in der Anklageschrift adressiert werden müssten.

Zudem lasse der Wortlaut der Norm die Auslegung zu, dass ein sich erstmals in der Hauptverhandlung ergebender Umstand durchaus auch eine rechtsfolgenrelevante Tatsache sein könne, die zwar bereits in der Anklage bezeichnet gewesen sei, deren Bedeutung sich jedoch erst später in der Verhandlung herausgestellt habe. Denn die Bedeutung der Tatsachen stelle sich oftmals erst in diesem Moment heraus und sei, anders als bei Tatsachen i.S.d. § 200 StPO, nicht sofort relevant, nur weil sie in der Anklageschrift geschildert würden, so der Große Senat.

Sinn und Zweck der Hinweispflichten sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen damit dieser sich effektiv verteidigen könne. Dieser Zweck könne umso besser erreicht werden, je umfassender der Angeklagte auf in Betracht kommende Rechtsfolgen hingewiesen werde. Deshalb sei § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht restriktiv auszulegen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Vorschriften der Hinweispflichten wurden durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Jahr 2017 reformiert. Alles zum Gesetz und den Motiven finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 54/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 28.07.2021 – 1 StR 506/20: Keine Bestechung im geschäftl. Verkehr bei Einverständnis der Betriebsinhaber

Amtliche Leitsätze:

  1. Inhaber des Betriebs im Sinne des § 299 StGB aF (des Unternehmens im Sinne des § 299 StGB nF) sind bei juristischen Personen die Anteilseigner.

  2. Wer einem Angestellten oder Beauftragten einer juristischen Person einen Vorteils für seine Bevorzugung im geschäftlichen Verkehr gewährt, macht sich daher nicht wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr strafbar, wenn die Anteilseigner mit dieser Zuwendung – vergleichbar den zur Untreue (§ 266 StGB) entwickelten Grundsätzen – einverstanden sind.

 

Sachverhalt:

Das LG Hamburg hat den Angeklagten in mehreren Fällen wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr und Steuerhinterziehung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte verschiedenen Leitungspersonen bei Zulieferer- und Abnehmerunternehmen eine als Provision bezeichnete Bestechungszahlung geleistet, die dafür hatte sorgen sollen, dass sein Unternehmen bevorzugt behandelt wird. Die jeweiligen Leistungspersonen waren jedoch immer auch Mitinhaber der jeweiligen Unternehmen, die meist auch komplett im Eigentum ihrer Familien gestanden hatten.

Die Bestechungsgelder hatte der Angeklagte als Betriebsausgaben bei der Steuererklärung geltend gemacht.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil des LG aufgrund mangelnder Feststellungen auf. Das LG habe eine Möglichkeit nicht genügend bedacht: Hätten die Leitungspersonen den geldlichen Vorteil nicht als weisungsgebundene Mitarbeiter*innen, sondern als Betriebsinhaber*innen erhalten, wäre der Anwendungsbereich der Bestechung im geschäftlichen Verkehr nicht eröffnet gewesen. Der/Die Betriebsinhaber*in, also bei einer Aktiengesellschaft die Aktionär*innen, solle durch die Norm vor unlauteren Entscheidungen der eigenen Angestellten geschützt werden. Der/die Betriebsinhaber*in selbst dürfe jedoch Entscheidungen auch nach unlauteren Motiven treffen (Privatautonomie) und könne daher nicht zugleich Täter und Opfer der Bestechung im geschäftlichen Verkehr sein.

Da das LG sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hatte, ob die anderen Aktionär*innen (allesamt Familienmitglieder) der bevorteilten Unternehmen, mit der Vorteilsentgegennahme der Leitungspersonen einverstanden gewesen waren, sei das Urteil rechtsfehlerhaft, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 299 StGB ist 2015 durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption umfassend reformiert worden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 53/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2021 – 5 StR 188/21: Keine Plausibilitätsprüfung innerhalb der Konnexität eines Beweisantrags

Amtlicher Leitsatz:

Zum Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Beweismittel nach der Neufassung von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO („Konnexität“; Aufgabe von BGHSt 52, 284).

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten M. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gef. Körperverletzung und einem Verstoß gegen das WaffG und den Angeklagten P. wegen Beihilfe zum versuchten Mord in Tateinheit mit Beihilfe zur gef. Körperverletzung verurteilt.

Nach den für diese Entscheidung relevanten Prozessvorgängen hatte das LG einen Beweisantrag des Angeklagten P mit der Begründung, es handele sich mangels Konnexität nicht um einen Beweisantrag, abgelehnt.

Es war beantragt worden einen Zeugen zu der Frage zu hören, ob er ein bestimmtes Telefongespräch mit dem Nebenkläger geführt hat oder nicht. Diese Frage hatte der Zeuge bereits bei der Polizei verneint.

Dem LG war es nicht ersichtlich gewesen, weshalb der Zeuge nach der fortgeschrittenen Beweisaufnahme nun etwas gegenteiliges Aussagen sollte, was zudem nicht zum bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme passte.

Entscheidung der BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, weil er einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO sah, indem das LG überspannte Anforderungen an die Konnexität zwischen Beweismittel und Beweistatsache gestellt habe.

Hier habe der Antragsteller ernsthaft verlangt, dass Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel erhoben werden sollte. Aus seinem Antrag habe sich zudem ergeben, weshalb das Beweismittel (Zeuge) die Beweistatsache bekunden können sollte. Wenn es sich aus dem Beweismittel ergebe, dass eine Aussage über die Beweistatsache möglich sei (beispielsweise soll der Zeuge ein Telefonat bezeugen, das er selbst geführt hat), benötige es zur Konnexität keine weiteren Darlegungen. Ergebe sich dieser Zusammenhang nicht von selbst, seien weitere Ausführungen notwendig. Dabei genüge es dann aber, die Umstände darzulegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, dass das Beweismittel die Beweistatsache beweisen könne. Ausführungen zur Plausibilität könnten nicht erwartet werden, so der BGH.

Dies ergebe sich aus dem neuen Wortlaut des geänderten § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO. Auch der gesetzeszweck und die Systematik des Beweisantragsrecht erforderten eine nicht zu enge Auslegung des Begriffs der Konnexität, da mit dem Beweisantragsrecht auf Seiten des Beschuldigten die große Machtstellung des Gerichts über den Prozessstoff ausgeglichen werden solle. Der Antragsteller müsse gerade auch eine Tatsache unter Beweis stellen können, für deren Richtigkeit die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben hat und die ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheine.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 geändert worden. Alles zu den Änderungen erfahren Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 52/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.08.2021 – 3 StR 247/21: Doppelte Brandstiftung bleibt Brandstiftung

Amtlicher Leitsatz:

Ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, kann durch eine Brandlegung auch dann teilweise zerstört werden, wenn die betroffene Wohnung bereits wegen einer vorangegangenen Brandstiftung nicht nutzbar war.

Sachverhalt:

Das LG Krefeld hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Brandstiftung verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ein Feuer in seiner Wohnung entfacht, welches außer Kontrolle geraten war und den Angeklagten zum Verlassen der Wohnung bewegt hatte. Die Wohnung war danach unbewohnbar gewesen und auch die anderen Wohnungen im Haus waren aufgrund eines nun fehlenden Rettungswegs nicht mehr nutzbar gewesen.

Dennoch war der Angeklagte in Suizidabsicht in seine Wohnung zurückgekehrt und hatte diese erneut in Brand gesetzt, was zu einer weiteren Unbewohnbarkeit geführt hatte.

Das LG hat angenommen, dass der Angeklagte eine schwere Brandstiftung gem. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB auch durch das zweite Brandgeschehen verwirklicht hatte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte diese Entscheidung.

Zunächst führte der Senat aus, dass in einem Mehrfamilienhaus ein teilweises Zerstören durch Brandstiftung dann gegeben sei, wenn ein zum selbständigen Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist.

Wenn ein solcher Teil bereits vorher unbrauchbar gewesen sei, stehe dies der weiteren Zerstörung dieses Teils und auch des gesamten Gebäudes nicht entgegen, so der BGH.

Im Kern des Tatbestands stehe nicht alleinig das Hervorrufen der Unbenutzbarkeit des Gebäudeteils, sondern auch brandbedingte Einwirkungen auf die Sachsubstanz.

Komme aufgrund des Grades der Erstbeschädigung eine Vertiefung der Beschädigung durch eine zweite Brandlegung noch in Betracht, könne diese eigenständig als teilweise Zerstörung des Gebäudes zu werten sein, wenn sie von genügendem Gewicht sei.

Als Argument für diese Sichtweise führte der BGH die erheblichen Gefahren für Personen und Sachsubstanzen an, die auch bei einer erneuten Brandlegung zum tragen kämen.

Demnach sei eine enge Auslegung des Tatbestands nicht geboten.

 

 

 

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