KriPoZ-RR, Beitrag 20/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 225/20: § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Zur Auslegung der Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte einen sehr stark motorisierten Sportwagen ausgeliehen, um damit Freunde und Passanten mit seiner schnellen Fahrweise zu beeindrucken.

Bei einer Fahrt hatte er sein Fahrzeug innerorts bei erlaubten 50 Km/h auf ca. 163 Km/h beschleunigt und war bei einem Ausweichmanöver von der Fahrbahn abgekommen und mit einem anderen Fahrzeug kollidiert. Beide Insassen des anderen Fahrzeugs waren noch an der Unfallstelle verstorben.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG.

Die von der Revision gerügte unterbliebene Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts sei rechtsfehlerfrei erfolgt. Dass LG habe den voluntativen Tötungsvorsatz zutreffend verneint, weil der Angeklagte nicht ausschließbar auf sein fahrerisches Können vertraut habe und davon ausgegangen sei, dass Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sich führen zu können.

Zwar habe er die vom Zufall abhängige drohende Gefahr eines Zusammenstoßes erkannt, allerdings habe sich die tödliche Kollision außerhalb der Fahrbahn und zu einem Zeitpunkt ereignet, als der Angeklagte schon jegliche Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte.

Zur Strafbarkeit nach § 315d StGB führte der Senat aus, dass der Gesetzgeber bei Einführung des Tatbestands gerade mit Abs. 1 Nr. 3 auch Fälle habe erfassen wollen, bei denen der Täter mit nur einem Fahrzeug in objektiver und subjektiver Hinsicht ein Kraftfahrzeugrennen nachstelle.

Das dafür erforderliche Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit sei bei jeder der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechenden Geschwindigkeit gegeben, so der BGH.

Hinsichtlich des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens könne auf die ergangene Rechtsprechung zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB zurückgegriffen werden. Wie auch bei dieser Norm bezögen sich beide Merkmale auf die objektive Tathandlung.

Schließlich brauche es in subjektiver Hinsicht noch die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dieses Merkmal sei maßgebliches Abgrenzungskriterium zu alltäglichen, im Straßenverkehr vorkommenden, Geschwindigkeitsüberschreitungen. Erfüllt sei das Merkmal, wenn der Täter die Absicht aufweise, die nach seinen Vorstellungen unter den konkreten situativen Gegebenheiten ‒ wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. ‒ maximal mögliche Geschwindigkeit auf einer unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerheblichen Strecke zu erreichen. Ist diese größtmögliche Geschwindigkeit für den Täter nur ein Zwischenziel, genüge dies auch, da der Tatbestand eine einschränkende Auslegung nicht erfordere.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Tatbestand war 2017 als Reaktion auf mehrere tödliche Straßenrennen, die teilweise eine Verurteilung wegen Mordes nach sich gezogen haben, in das StGB eingefügt worden. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.02.2021 – 2 BvR 1304/17: Klageerzwingungsverfahren ≠ Ermittlungserzwingungsverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Gegenüber einem Klageerzwingungsverfahren ist ein Ermittlungserzwingungsverfahren nur in engen Ausnahmefällen zulässig und begründet.

Sachverhalt:

Das OLG Düsseldorf hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Erzwingung weiterer Ermittlungsmaßnahmen nach § 172 Abs. 2 StPO abgelehnt.

Der Ablehnung lag folgendes Geschehen zugrunde:

Der Sohn des Beschwerdeführers war nach erheblichem Drogenkonsum randalierend von der Polizei aufgegriffen, in Bauchlage gefesselt und festgenommen worden. Bei der Festnahme war der Betroffene kollabiert und trotz Reanimationsversuchen später im Krankenhaus verstorben.

Die daraufhin vom Beschwerdeführer gestellte Anzeige gegen die handelnden Polizeibeamten hatte nicht zu einem Ermittlungsverfahren geführt, da nach Ansicht der StA Kleve ein Anfangsverdacht gegen die Polizeibeamten aufgrund des Obduktionsberichts und der Inaugenscheinnahme bestimmter Handyvideos nicht festzustellen gewesen sei. 

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde war von der Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen worden.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurück, da sie die Begründungsanforderungen nicht erfülle und die Zurückweisung des Antrags als unzulässig durch das OLG schon rechtmäßig erfolgt sei.

Ein Klageerzwingungsantrag sei grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert würden. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt müsse dem Gericht soweit wie möglich entscheidungsreif geliefert werden. An diesen Anforderungen müsse sich auch ein Ermittlungserzwingungsantrag als Sonderform des Klageerzwingungsantrags messen lassen, so das BVerfG.

Generell komme anstatt der Klageerzwingung eine bloße Ermittlungserzwingung nur in engen Ausnahmefällen in Betracht.

Von solch einem Ausnahmefall könne ausgegangen werden, wenn die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht aus Rechtsgründen ablehne und es deshalb unterlasse, den Sachverhalt vollständig aufzuklären.

Ein solcher Fall habe hier nicht vorgelegen, da die StA Kleve zwar (fälschlicherweise) einen Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO abgelehnt habe, allerdings dennoch tatsächliche Ermittlungen geführt habe und danach zu einer Entlastung der beschuldigten Polizeibeamten gekommen war. Demnach habe es sich also um eine Einstellung mangels Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO gehandelt. Diese sei jedoch sowohl von der StA als auch der GenStA tragfähig mit den Ermittlungsergebnissen begründet worden, sodass ein etwaiger Anspruch des Beschwerdeführers auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt worden sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2020 hatte das BVerfG entschieden, dass ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung zur Anklageerhebung bzw. weiteren Ermittlungsmaßnahmen durch die Behörden verpflichten könne, wenn höchstpersönliche Rechtsgüter des Verletzten betroffen seien und die Einstellung des Verfahrens das Rechtsempfinden der Bevölkerung erheblich beeinträchtigen würde. Bei dem Tod des Verletzten stünde dieses Recht auch nahen Angehörigen, wie beispielsweisem den Eltern des Geschädigten, zu. Mehr dazu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 10/2020 und 05/2020.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 10.02.2021 – 6 StR 326/20: Kein Verwertungsverbot aus §§ 136a Abs. 3 Satz 2, 69 Abs. 3 StPO bei versehentlichem Belehrungsfehler

Leitsatz der Redaktion:

Aus den Regelungen der §§ 136a Abs. 3 Satz 2, 69 Abs. 3 StPO lässt sich jedenfalls bei einem versehentlichen Belehrungsfehler kein Verwertungsverbot der Aussage ableiten.

Sachverhalt:

Das LG Cottbus hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und mit Entziehung einer Minderjährigen verurteilt und ihn von anderen Vorwürfen freigesprochen.

Nach dem für die Verfahrensrüge maßgeblichen Geschehensablauf war die Geschädigte vor ihrer polizeilichen Vernehmung darüber belehrt worden, dass sie bezüglich ihrer Mutter ein Zeugnisverweigerungsrecht habe. Fälschlicherweise wurde ihr allerdings gesagt, dass ihr bezüglich des Lebensgefährten ihrer Mutter kein solches Recht zustehe, obwohl der Sachverhalt beide Beschuldigte betraf und sich das Zeugnisverweigerungsrecht also auch auf Aussagen betreffend den Lebensgefährten ihrer Mutter erstreckt hatte.

In einer späteren Vernehmung durch die Staatsanwältin war die Geschädigte dann über ihr umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden. Der Verwertung ihrer früheren Angaben hatte sie dennoch zugestimmt. Diese Zustimmung hatte sie auch in der Hauptverhandlung wiederholt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass aus dem Belehrungsfehler kein Verwertungsverbot für die Aussage der Zeugin gem. §§ 136a Abs. 3 Satz 2, 69 Abs. 3 StPO folge, denn diese Normen seien auf versehentliche Belehrungsfehler nicht anzuwenden.

§ 136a StPO solle Zeugen und Beschuldigte vor staatlicher Willkür schützen und dafür sorgen, dass es eine Wahrheitsgewinnung um jeden Preis zuungunsten eines rechtsstaatlichen und justizförmigen Verfahrens in Deutschland nicht gebe. Daher stehe das in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO angeordnete Verwertungsverbot auch nicht zur Disposition des Beschuldigten.

Dieser Gesetzeszweck, der auch einen Sanktionscharakter in sich trage, lasse aber darauf schließen, dass die Norm nur gezielte Angriffe auf die Aussagefreiheit erfassen wolle, so der BGH.

Die Täuschung im Sinne des § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO sei daher nur bei wissentlicher Irreführung zu bejahen; eine fahrlässige Fehlleistung genüge gerade nicht.

Anderes gelte für § 52 StPO, da dieser seinen Schutz nur bei richtiger Belehrung entfalten könne. Es sei aber anerkannt, dass ein Verstoß gegen diese Norm bei erneuter qualifizierter Belehrung und späterer Zustimmung des Zeugen zur Verwendung seiner Aussage geheilt werden könne.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.11.2020 – 5 StR 553/19: Pflichtverletzung bei Übergangsgeldern

Amtlicher Leitsatz:

Zur Pflichtverletzung durch die Gewährung von Übergangsgeldern an Vorstandsmitglieder einer kassenärztlichen Vereinigung.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat die Angeklagten P., K., und T. vom Vorwurf der Untreue und den Angeklagten B. vom Vorwurf der Anstiftung zur Untreue freigesprochen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren die Angeklagten Ärzte P., K. und B. zum 1. Januar 2005 zum hauptamtlichen Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KVB) gewählt worden. Sie hatten daraufhin jeweils gleichlautende Dienstverträge mit der KVB, vertreten durch den Vorsitzenden der Vertreterversammlung (VV), abgeschlossen, die die Zahlung eines Übergansgeldes in Höhe der bisherigen Vergütung für 12 Monate vorgesehen hatten, wenn die Vorstände ihre selbständige Ärztliche Tätigkeit hauptberuflich fortsetzen.

Ein Jahr nach Abschluss der Verträge hatte die Aufsichtsbehörde eine geänderte Rechtsauffassung veröffentlicht, wonach die Zahlung eines Übergangsgeldes lediglich für 6 Monate vereinbart werden solle.

Die Angeklagten P., K. und B. waren damit nicht einverstanden gewesen und hatten eine erneute Kandidatur als Vorstände davon abhängig gemacht, dass ihnen das Übergangsgeld für die vollen 12 Monate zugesichert werde.

Noch vor ihrer Wiederwahl hatten P., K. und B. daraufhin mit dem neuen Vorsitzenden der VV, dem Angeklagten T., eine Vertragsänderung abgeschlossen, die ihnen die Auszahlung des Übergangsgelds zugesichert hatte, selbst wenn sie nicht als Vorstandsmitglieder ausscheiden sollten und ihre selbstständige Tätigkeit nicht wieder aufnehmen sollten.

Die VV war über diese Vertragsänderung nicht informiert worden. Die Angeklagten waren schließlich wiedergewählt worden. Dennoch war es anschließend entsprechend der Vertragsänderung zur Auszahlung der Übergangsgelder durch die KVB, berechtigterweise unterzeichnet von P. und K., gekommen.

Nach Ansicht des LG habe T. bei Abschluss der Änderungsverträge nicht gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen, was eine Pflichtwidrigkeit und damit eine Treuepflichtverletzung ausschließe. Eine Verletzung des Missbrauchstatbestands komme mangels eingeräumter Vertretungsmacht nicht in Betracht.

Damit läge für die weiteren Angeklagten keine Haupttat für eine Anstiftung vor.

Eine Untreue durch Unterzeichnung der Auszahlungsanordnung durch P. und K. komme mangels Vermögensnachteil nicht in Betracht.

Die Gefahr einer mangelnden nachträglichen Genehmigung der Vertragsänderung durch die VV sei als gering einzuschätzen gewesen, weshalb die Auszahlanordnung auch keine schadensgleiche Vermögensgefährdung dargestellt habe.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Freisprüche auf.

Zwar sei das LG rechtlich zutreffend von einer Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten T. als Vorsitzendem der Vertreterversammlung ausgegangen, allerdings bestünden gegen die Wertung, eine Treuepflichtverletzung des T. läge nicht vor, durchgreifende rechtliche Bedenken.

Die Bestimmung der Treuepflichtverletzung richte sich nach außerstrafrechtlichen Normen und Wertungen des jeweiligen Wirtschaftsbereichs, so der BGH.

Im Bereich der öffentlichen Verwaltung komme insbesondere das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zum Tragen. Zwar ergebe sich aus diesem Gebot bei Gehaltsverhandlungen ein weiter Ermessensspielraum für den Verhandelnden, allerdings müsse sich die vereinbarte Vergütung als angemessen und sachlich gerechtfertigt darstellen.

Indem das LG die Auszahlung des Übergangsgeldes als Vergütungsbestandteile für die neue Amtsperiode gewertet hat, habe es nicht bedacht, dass der Änderungsvertrag Bezug auf den Vertrag der ersten Amtsperiode nehme. Dies spreche gegen die Erwägungen des LG. Zudem habe sich das Tatgericht nicht mit der Möglichkeit befasst, dass den mit dem Änderungsvertrag begründeten Verpflichtungen kein Kompensationswert zukomme, da eine Gegenleistung nicht ersichtlich sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits im Dezember 2013 hatte der 3. Strafsenat des BGH entschieden, dass eine Vergütungsvereinbarung in der öffentlichen Verwaltung, die unter Umgehung eines für die Entscheidung zuständigen Gremiums erfolgt, einen Vermögensnachteil i.S.d. § 266 StGB begründe.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 04.02.2021 – 4 StR 448/20: Endgültige Anordnung vorbehaltener Sicherheitsverwahrung (§ 66a Abs. 3 StGB)

Amtlicher Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen der endgültigen Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Nachverfahren gemäß § 66a Abs. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Essen hat die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten im Nachverfahren angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen habe der Verurteilte einen in seiner Persönlichkeit wurzelnden Hang zur Begehung von schwerwiegenden Raub- und Körperverletzungsdelikten, was ihn für die Allgemeinheit gefährlich mache. Die Verhältnismäßigkeit der Anordnung hatte das LG damit begründet, dass der Verurteilte für die von ihm ausgehende Gefahr weitestgehend selbst verantwortlich sei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da die tatgerichtlichen Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose lückenhaft seien.

Zu den Voraussetzungen der Anordnung vorbehaltener Sicherheitsverwahrung im Nachverfahren führte der Senat aus:

Eine Hangfeststellung sei in § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB nicht gefordert, was sich aus dem klaren Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers ergebe, unter den sehr kontrollierten Bedingungen des Strafvollzugs gerade keine Anhaltspunkte für eine Hangfeststellung sammeln zu müssen. Dafür spreche auch, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung als zweiaktiges Verfahren, bestehend aus dem Anordnungsverfahren und dem Nachverfahren, konzipiert sei. Die Frage des Hangs werde dabei vergangenheitsbezogen im Anordnungsverfahren behandelt. Je nachdem wie sicher sie beantwortet werden konnte, bestimmten sich die Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose im Nachverfahren, so der BGH.

Die Gefährlichkeitsprognose sei jedoch immer als umfassende Gesamtwürdigung aller prognostisch relevanten Umstände anzustellen. Also solche zählte der Senat beispielhaft auf: Täterpersönlichkeit, bisherige Legalbiographie, Haltungsänderungen durch fortschreitendes Alter, Erkrankungen des Verurteilten, Wirkungen des Strafvollzugs und etwaige dadurch bedingte Verhaltensänderungen bis zur Entscheidung des Gerichts im Nachverfahren, Wirkungen der Behandlungsangebote im Strafvollzug, konkrete Entlassungssituation und die Möglichkeit einer Gefährlichkeit mit flankierenden Auflagen und Weisungen oder Therapiemaßnahmen nach der Haft zu begegnen.

Insgesamt sei erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gefährlichkeitsprognose unter Einbeziehung neu hinzutretender prognoserelevanter Umstände seit Anordnung des Vorbehalts der Maßregel nunmehr eindeutig positiv begründbar sei.

Die diese Voraussetzungen erfüllenden tatsächlichen Umstände müssten in normaler Weise in den schriftlichen Urteilsgründen aufgeführt sein, also dergestalt, dass sie für das Revisionsgericht nachvollziehbar seien. Lediglich in den Fällen, in denen in der Ausgangsverurteilung sowohl Hang als auch Gefährlichkeit nur für wahrscheinlich gehalten worden seien, beständen erhöhte Darlegungsanforderungen, so der BGH. Dann sei im Einzelnen vollständig, lückenlos und nachvollziehbar darzulegen, dass und aufgrund welcher zusätzlichen Tatsachen das Gericht nun doch zu der positiven Feststellung gelangt, dass der Verurteilte für die Allgemeinheit gefährlich sei. Dabei dürften die schon aus dem Ausgangsverfahren bekannten Tatsachen nicht lediglich neu bewertet werden.

Diesen Anforderungen werde das Urteil des LG nicht gerecht, da nicht alle Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mittgeteilt würden sowie auch lückenlose und nachvollziehbare Feststellungen zum Haftverlauf des Verurteilten fehlten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dass eine solche vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung selbst neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zulässig ist, entschied der BGH bereits 2018 (Beschl. v. 20.11.2018 – 4 StR 168/18).

Zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung zur Gefährlichkeitsprognose bei einer solchen Anordnung im Nachverfahren äußerte er sich dann 2020 (Beschl. v. 01.07.2020 – 6 StR 175/20).

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 15/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 10.02.2021 – 2 BvL 8/19: Rückwirkende Vermögensabschöpfung ausnahmsweise zulässig

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Vermögensabschöpfung nach dem Reformgesetz vom 13. April 2017 ist keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter (Fortführung von BVerfGE 110, 1 <13 ff.>).

  2. Die in Art. 316h Satz 1 EGStGB angeordnete Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte Rückwirkung“) ist nicht an Art. 103 Abs. 2 GG, sondern an dem allgemeinen Rückwirkungsverbot zu messen. Sie ist hier ausnahmsweise zulässig.

Sachverhalt:

Der BGH hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbar sei, soweit er § 76a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 2 sowie § 76b Abs. 1 StGB jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 in Fällen für anwendbar erklärt, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) eingetreten war.

Nach der alten Rechtslage war der sog. Verfall bei Verjährung der zu den Taterträgen führenden Straftat nicht mehr anordnungsfähig. Diesen Ausschluss schaffte der Gesetzgeber mit der Reform der Vermögensabschöpfung (Inkrafttreten: 1. Juli 2017) ab, um Lücken im Gesetz zu schließen und keinen Anreiz für rechtswidrige Taten bestehen zu lassen. Dies sorgte für eine Entkoppelung der nun „selbständigen Einziehung von Taterträgen“ genannten Vermögensabschöpfung von der Verjährung der zugrundeliegenden Straftat.

Art. 316h Satz 1 EGStGB hatte daraufhin angeordnet, dass diese selbständige Einziehung von Taterträgen auch bei Delikten genutzt werden kann, die vor Inkrafttreten der Neuregelung begangen worden sind und deren Verfolgung bereits verjährt ist.

Hiergegen hatten sich die Beschwerdeführer mit der Revision zum BGH gewandt, da das LG ein Verfahren gegen die Beschuldigten zwar wegen Verjährung eingestellt hatte, dennoch allerdings bei den von den Angeklagten geleiteten nebenbeteiligten Unternehmen die Einziehung von rund 10 Millionen Euro angeordnet hatte.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hielt den in Art. 316h Satz 1 EGStGB geregelten Fall einer echten Rückwirkung für ausnahmsweise zulässig.

Die Einziehung von Taterträgen oder deren Wert sei gerade keine Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG, sondern eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter, da der einzige Zweck der Vorschrift, das Abschöpfen eines verbleibenden Vermögensvorteils sei und gerade keine Übelszufügung. Diesen Charakter habe der Gesetzgeber auch durch die Neuregelung nicht aufgeben wollen.

Da somit Art. 103 Abs. 2 GG nicht eingreife, müsse die Norm am allgemeinen Rückwirkungsverbot gemessen werden. Dieses verbiete zwar grundsätzlich eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, kenne allerdings auch Ausnahmen bei überragenden Belangen des Gemeinwohls, die dann dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgingen und den Vertrauensschutz zurücktreten ließen.

Diese Ausnahme greife bei Art. 316h Satz 1 EGStGB, denn dieser verfolge das legitime Ziel, strafrechtswidrig erlangte Vermögenswerte trotz mangelnder Strafverfolgung nicht beim Täter zu belassen, um jegliche Anreize für Straftaten zu unterbinden. Dieses Ziel sei von überragender Belange für das Gemeinwohl.

Da andererseits auch die Vertrauensschutzposition des Einziehungsbetroffenen nicht besonders stark ausfalle, da die Tat auch trotz Verjährung noch gesellschaftlich und strafrechtlich missbilligt werde, sei der Einziehungsbetroffene insoweit auch nicht schutzwürdig.

 

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zur Reform der Vermögensabschöpfung finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 14/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 14.01.2021 – 2 BvR 2032/19: Verletzung des Gebots bestmöglicher Sachaufklärung bei Verstoß gegen § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO

Leitsatz der Redaktion:

Bestellt das Gericht einen Sachverständigen, der nur formal in einer organisatorisch getrennten Klinik arbeitet, stellt dies einen Verstoß gegen § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO dar, was den Begutachteten in seinem Freiheitsgrundrecht in der Ausprägung des Rechts auf bestmögliche Sachverhaltsaufklärung (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) verletzt.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war vom Landgericht Freiburg – Jugendkammer wegen verschiedener Delikte verurteilt worden. Daneben war die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und von einer Jugendstrafe abgesehen worden.

Das für die Vollstreckung zuständige Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung angehört und festgestellt, dass das erforderliche externe Gutachten noch nicht in Auftrag gegeben war.

Gegen die Beauftragung des Sachverständigen hatte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer keine Einwände erhoben.

Später hatte er den Arzt wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da er herausgefunden hatte, dass der Sachverständige teils in eigener Praxis und teils in einer Klinik desselben Krankenhausverbunds gearbeitet hatte, zu der auch die Unterbringungseinrichtung des Beschwerdeführers gehört hatte. Dies hätte gegen die Vorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO verstoßen.

Das AG hatte nach dem Gutachten die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde ist vom LG Landau in der Pfalz verworfen worden, da keine Bedenken dagegen bestanden hätten, den beauftragten Gutachter im vorliegenden Fall als externen Sachverständigen im Sinne vom § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO anzuerkennen. Er sei neben seiner Tätigkeit in einem eigenen Sachverständigenbüro als Leiter der forensischen Ambulanz des Klinikums für Forensische Psychiatrie beschäftigt. Der Beschwerdeführer habe sich demgegenüber im „P.-Institut“ befunden. Der Sachverständige arbeite somit weder in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem sich der Beschwerdeführer befinde, noch sei er erkennbar zu irgendeinem Zeitpunkt mit dessen Behandlung befasst gewesen.

Der Beschwerdeführer hat sich durch diese Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt gesehen und Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des AG und des LG erhoben.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt. Die Entscheidungen der Fachgerichte verletzten den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.

Das Grundrecht auf Freiheit enthalte aufgrund seines Stellenwerts und der Intensität, die Eingriffe in den Schutzbereich zumeist aufwiesen, auch ein Gebot der bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung. Dieses Gebot komme in § 463 Abs. 4 StPO dadurch zum Ausdruck, dass ein unabhängiger Sachverständiger die Notwendigkeit der Fortdauer der Maßnahmen beurteilen soll, um die Entscheidung so objektiv wie nur möglich zu fällen. Da die Einhaltung der prozeduralen Erfordernisse bei Freiheitsentziehungen gem. Art. 104 Abs. 1 GG ein Gebot von Verfassungsrang sei, komme in der Auslegung des einfachen Rechts der StPO ein besonderer grundrechtlicher Einschlag zum Tragen.

Nach diesen Maßstäben hätten die Instanzgerichte die Bedeutung und Tragweite des Erfordernisses in § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO verkannt, so das BVerfG.

Da der Sachverständige lediglich in einer anderen Klinik beschäftigt gewesen sei, die letztlich aber nur formal vom Institut des Beschwerdeführers getrennt gewesen sei, weil sie zur selben betrieblichen Einheit gehörte und zudem ein gemeinsamer Krankenhausträger sowie eine gemeinsame Rechtsform mit gemeinsamer Leitungs- und Verwaltungsebene bestehe, sei der Sachverständige nicht als externer Gutachter im Sinne des § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO zu werten.

Dieses Ergebnis werde von der systematischen, telexlogischen und historischen Auslegung der Norm gestützt. Auch die vorherige Zustimmung des Beschwerdeführers ändere hieran nichts, da da dieser, ungeachtet der Frage der Disponibilität der Vorschrift, jedenfalls bei Bekanntwerden der Umstände seine Zustimmung widerrufen habe.

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2019 hatte das BVerfG entschieden, dass das Gebot der bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung bei psychiatrischen Unterbringungen ein besonderes Gewicht habe und deshalb Zweifeln an der Aktualität eines Gutachtens substantiiert nachzugehen ist. Mehr dazu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 16/2019.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 13/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 15.12.2020 – 3 StR 386/20: Zum hinterlistigen Überfall in § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Leitsatz der Redaktion:

Zumindest in den Fällen, in denen der Täter zunächst mit Verletzungsabsicht einen hinterlistigen Überfall beging und das Opfer dann bei fortwirkender Situation mit (nur noch) bedingtem Vorsatz verletzt, genügt dies für eine Strafbarkeit gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Krefeld hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte den Plan gefasst, seine Exfreundin zu töten. Er hatte sich daraufhin unter einem Vorwand von ihr mit dem Auto abholen und an eine abgelegene Örtlichkeit fahren lassen. Während der Fahrt hatte er Friedfertigkeit vorgespielt.

Als der Angeklagte dann am Zielort ein dafür eingestecktes Messer gezogen hatte, hatte er seinen Tötungsvorsatz zwar aufgegeben und den Plan gefasst, das Opfer durch Drohungen zum Wiederauflebenlassen der Beziehung zu bringen. Er hatte jedoch mit dem Messer dergestalt gedroht, dass er es auf die Zeugin zufahren und erst im letzten Moment auf der Haut stoppen ließ. Dabei hatte er es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass sich seine Exfreundin verletzt, was dann auch passiert war, weil sie in Panik in das Messer gegriffen hatte, um es wegzustoßen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung durch das LG wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs und eines hinterlistigen Überfalls.

Dazu führte der Senat aus, dass es noch nicht abschließend geklärt sei, welchen Grad an Vorsatz für eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls nötig sei. Es fänden sich Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die eine Verletzungsabsicht forderten und andere, die bedingten Vorsatz ausreichen ließen.

Diese Frage habe in diesem Fall nicht komplett entschieden werden müssen, da dieser sich zweistufig ereignet habe, so der BGH. Bei Begehung des hinterlistigen Überfalls habe der Angeklagte auch mit Verletzungsabsicht, welche als Minus zur Tötungsabsicht vorhanden war, gehandelt. In dieser Situation käme es auf die unterschiedlichen Meinungen also nicht an. Die durch den hinterlistigen Überfall geschaffene Zwangslage für die Zeugin habe dann auch nach Wechsel des Vorsatzes beim Angeklagten fortbestanden.

Die vom Tatbestand geforderte kausale Verknüpfung („mittels“) zwischen listigem Überfall und Körperverletzung sei auch gegeben, wenn der Täter seine Verletzungsabsicht im letzten Moment aufgebe und das Opfer lediglich mit Eventualvorsatz verletze.

Da gerade die Irreführung die Gefahr für das Opfer erhöhe und diese in so einem Fall unabhängig davon noch fortwirke, ob der Täter das Opfer dann absichtlich oder lediglich mit Eventualvorsatz verletze, sei eine Einschränkung nicht geboten.

Auch genügte für alle anderen Varianten des § 244 Abs. 1 StGB Eventualvorsatz, sodass die Gesetzessystematik auch für diese Auslegung spreche. Zwar beschreibe § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB mit der „Hinterlist“ ein subjektives Merkmal. Dieses besondere Begehungsweise der Tat erhöhe aber letztlich, wie bei allen anderen Varianten, die abstrakte Gefährlichkeit der Tat für das Opfer, was sich der Täter auch bei bedingt vorsätzlicher Verletzung zu Nutzen mache.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt hatte der BGH 2019 die Voraussetzungen des hinterlistigen Überfalls i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB dahingehend präzisiert, dass die List nichtmehr bei einem offenen Angriff vorliege, auch wenn der Täter hinterlistig Zutritt zur Wohnung des Opfers erhalten hatte (BGH, Beschl. v. 18.09.2019 – 2 StR 156/19).

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 14.01.2021 – 1 StR 476/20: Zum Ausnutzen einer schutzlosen Lage bei § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB

Leitsatz der Redaktion:

§ 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB ist kein Auffangtatbestand und tritt auch nicht hinter den anderen beiden Varianten auf Konkurrenzebene zurück.

Sachverhalt:

Das LG Traunstein hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB verurteilt.

Dem Beschluss sind keine tatsächlichen Feststellungen zu entnehmen.

Entscheidung:

Der BGH bestätigte die tateinheitliche Verurteilung wegen beider Nummern des Tatbestands durch das LG.

Die drei Tatbestandsvarianten des § 177 Abs. 5 StGB stünden gleichrangig nebeneinander. Dann griff der Senat eine vorangegangene Entscheidung des 4. Senats auf und schloss sich dahingehend an, dass zur Beurteilung der schutzlosen Lage stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände zu erfolgen habe. Dies stelle sicher, dass für diese Variante ein eigener Anwendungsraum verbleibe und sie gerade nicht bei Gewaltanwendung oder Drohung durch den Täter stets mitverwirklicht sei.

Der eigenständige gesteigerte Unrechtsgehalt der Variante rechtfertige ein Zurücktreten auf Konkurrenzebene lediglich, wenn die Schutzlosigkeit der Lage auf einer vorherigen Gewaltanwendung des Täters beruhe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits am 2. Juli 2020 hatte der 4. Strafsenat des BGH entschieden, dass die vorher zur Ausnutzung einer schutzlosen Lage ergangene Rechtsprechung nicht ohne Weiteres auf den Tatbestand nach der Gesetzesänderung im November 2016 übertragbar sei. Informationen dazu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 64/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 11/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 27.01.2021 – StB 44/20: Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht bei Berufsgeheimnisträgern (Wirecard-Untersuchungsausschuss)

Amtliche Leitsätze:

1. Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber.

2. Für eine juristische Person können diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind.

3. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft.

Sachverhalt:

Der zur Untersuchung der Geschehnisse im sog. Wirecard-Skandal eingesetzte Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages (Wirecard-Untersuchungsausschuss) verhängte gegen den Antragsteller, den als Zeugen geladenen Wirtschaftsprüfer der Wirecard AG, ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000€.

Die Entscheidung begründete der Untersuchungsausschuss damit, dass der Antragsteller sich unberechtigter Weise auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 22 Abs. 1 PUAG i.V.m. § 53 StPO berufen hätte.

Er war vom Insolvenzverwalter der Wirecard AG und deren aktuellen Vorstand sowie Aufsichtsrat von seiner Schweigepflicht entbunden worden, war allerdings davon ausgegangen, dass für eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht bei einer juristischen Person auch eine entsprechende Erklärung der ehemaligen Organe vorliegen müsse.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Ordnungsgeldbeschluss auf, da zwar eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht vorgelegen und der Antragsteller sein Zeugnis daher unberechtigt verweigert habe, jedoch habe es an schuldhaftem Handeln seinerseits gefehlt.

Die mangels vorangegangener gerichtlicher Entscheidung als Antrag auf gerichtliche Entscheidung auszulegende Beschwerde des Antragstellers sei zulässig, da der BGH gemäß § 36 Abs. 1 PUAG für Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zuständig sei, wenn eine Zuständigkeit des BVerfG nicht gegeben sei.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei auch begründet.

Zwar habe der Antragsteller sein Zeugnis ohne gesetzlichen Grund gemäß § 27 Abs. 1 PUAG verweigert. Eine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht als Wirtschaftsprüfer habe vorgelegen. Dazu führte der Senat aus, dass grundsätzlich die Personen einen Wirtschaftsprüfer von seiner Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbinden können, die in einer geschützten Vertrauensbeziehung zu diesem stünden, also regelmäßig der Auftraggeber.

Handele es sich bei dem Auftraggeber um eine juristische Person, falle diese Kompetenz den vertretungsberechtigten Personen im Zeitpunkt der Zeugenaussage zu. Der Insolvenzverwalter sei ebenfalls berechtigt, die Entbindungserklärung abzugeben, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betreffe.

Seine Entscheidung begründete der BGH damit, dass eine explizite Regelung zu der Frage, wer eine Entpflichtungserklärung abgeben dürfe, nicht bestehe. Allerdings gebiete es der Sinn und Zweck der Verschwiegenheitsverpflichtung, dass nur derjenige eine Befreiung erteilen könne, gegenüber dem die Verpflichtung bestehe und der von ihr geschützt werden solle.

Dafür sei auf die jeweiligen berufsrechtlichen Regelungen abzustellen. Bei Wirtschaftsprüfern schütze die allgemeine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit aus § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO regelmäßig nur den Auftraggeber, was diesem auch das Recht verschaffe, über die Entpflichtung zu entscheiden.

Ist der Auftraggeber eine juristische Person und sind innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden, bedürfe es deren Entbindungserklärung grundsätzlich nicht, so der BGH. Diesen Personen gegenüber schulde der Wirtschaftsprüfer kein besonderes Vertrauen allein aus dem Umstand, dass sie für die juristische Person handelten.

Der Antragsteller hätte somit das Zeugnis nicht aufgrund seiner Verschwiegenheitspflicht verweigern dürfen, er habe jedoch ohne Schuld gehandelt, da es nach gewissenhafter juristischer Prüfung bisher keine abschließende Antwort auf die oben angesprochenen Rechtsfragen gegeben habe. Damit habe er sich bei Verweigerung der Aussage in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden und könne somit nicht mit einem Ordnungsgeld belegt werden.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der sog. Wirecard-Skandal hatte zu einer erheblichen kriminalpolitischen Diskussion und letztlich zu Reformbestrebungen hinsichtlich der Finanzaufsicht geführt. Die Bundesregierung hat daraufhin das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität beschlossen.

 

 

 

 

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