KriPoZ-RR, Beitrag 34/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.4.2023 – 4 StR 413/22: Mit einem Küchenmesser in den Rücken „Pieksen“ als gefährliche Körperverletzung?

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Münster wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte der Geschädigten mindestens zweimal mit einem Küchenmesser in den Rücken „gepiekst“ als diese vor ihm eine Treppe hinaufging. Bei der Geschädigten verursachte dies einen stechenden, „wie Nadelstiche“ anfühlenden Schmerz. Im Laufe der nächsten Tage zog der Angeklagte ein Handykabel um den Hals der Geschädigten und schlug ihr mit der Faust gegen den Oberschenkel, welches Hämatome verursachte. Der Angeklagte hat sich nicht zu den Tatvorwürfen eingelassen. Zu den Feststellungen kam die Strafkammer über die Angaben der Geschädigten als Zeugin vom Hörensagen. Der Angeklagte erhob Revision gegen die Verurteilung. 

Entscheidung des BGH:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Bei der Beweiswürdigung im Falle eines nicht geständigen Angeklagten und eines Zeugen, dessen Bekundungen nur mittelbar eingeführt werden können, gelten erhöhte Anforderungen. Eine Überprüfung der Glaubhaftigkeit des Zeugen sei in diesem Falle nicht möglich. Für eine Aussage eines Zeugen vom Hörensagen gelte daher, dass diese „durch andere wichtige und im unmittelbaren Bezug zum Tatgeschehen stehende Gesichtspunkte bestätigt wird“. Hieran fehle es vorliegend. Das Urteil stütze sich ausschließlich auf die Aussagen, die die Zeugin im Rahmen ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung getätigt habe.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Strafsenat führt an, dass hierbei die vom LG Münster angenommene gefährliche Körperverletzung durch „Pieksen“ in den Rücken mit einem Küchenmesser näherer Darlegung bedürfe. Der Gegenstand müsse nach konkreter Art der Benutzung und Beschaffenheit im Einzelfall dazu geeignet sein, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Ob vorliegend die Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde ist vor dem Hintergrund, dass abstrakt gefährliche Werkzeuge in konkret ungefährlicher Weise nicht den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen, zumindest zu erörtern.

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 4.4.2023 – 1 StR 488/22: Minder schwerer Fall und vertypte Milderungsgründe 

Leitsatz der Redaktion: 

Ein minder schwerer Fall gemäß § 213 Alt. 1 und Alt. 2 StGB kann ohne zusätzliche Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB verneint werden. 

Sachverhalt:

Das LG Memmingen hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte mit der später Geschädigten einen Kaufvertrag über ein Wohnhaus („gekauft wie gesehen“) geschlossen, welches sich im Nachhinein als mangelhaft herausstellte. Als die später Geschädigte die Rückabwicklung verweigerte mit den Worten der Angeklagte „solle sich verpissen und zu seiner dummen Frau zurückgehen“, riss der Angeklagte die Geschädigte zu Boden und trat viermal heftig gegen den Kopf der Geschädigten, sodass diese nach kurzer Zeit verstarb. Das LG Memmingen hat angenommen, dass der Angeklagte hierbei in seinem Hemmungsvermögen erheblich eingeschränkt war und das Vorliegen des § 21 StGB bejaht. Einen minder schweren Fall (§ 213 StGB) hat das LG verneint, unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes aus §§ 21, 49 Abs. 1 StGB aber die Anwendung des gemilderten Strafrahmens von § 213 Alt. 2 StGB angewendet. Der Angeklagte hat Revision gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision des Angeklagten verworfen. Das LG Memmingen habe ohne Rechtsfehler einen minder schweren Fall des Totschlags abgelehnt. Eine „schwere Beleidigung“ i.S.d. § 213 StGB  sei unter Berücksichtigung des Geschehensablaufes, Tatauslösers, der Persönlichkeit und der Täter-Opfer-Beziehung objektiv zu bestimmen. Auch in der Vergangenheit liegende Vorfälle seien mit einzubeziehen. Die Äußerung der Geschädigten sei zwar kränkend gewesen, ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages habe jedoch nicht bestanden. Auch die im Vorfeld stattgefundene Kommunikation zwischen den Beteiligten habe das LG Memmingen ausreichend berücksichtigt und rechtsfehlerfrei eine schwere Beleidigung abgelehnt, die sich durch vorherige Geschehen „aufsummier[t]“ habe. Ein sonst minder schwerer Fall i.S.d. § 213 Alt. 2 StGB sei ebenfalls ohne Rechtsfehler angenommen worden. Zwar habe das LG Memmingen zu Lasten des Angeklagten die brutale Vorgehensweise der Tötung angeführt. Dies verstoße jedoch nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, da dies vorliegend nicht mit Bezug auf die erforderliche Gewalt, sondern auf die bei der Tat aufgewendete Tötungsabsicht strafschärfend gewertet worden sei. 

KriPoZ-RR, Beitrag 32/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 8.3.2023 – 1 StR 188/22: Zum Arbeitgeberbegriff i.S.v. § 266a StGB 

Amtliche Leitsätze:

 1. Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. 

2. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen. 

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Traunstein wegen Vorenthaltens und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheits- und Gesamtgeldstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der angeklagte Rechtsanwalt mehrere Rechtsanwälte über einen „Freien Mitarbeitervertrag“ zum Schein als selbstständige freie Mitarbeiter beschäftigt. Der Angeklagte wies den Rechtsanwälten die zu bearbeitenden Mandate zu und stellte ihnen die Räume der Kanzlei sowie das Personal zur Verfügung. Die Rechtsanwälte erhielten ein monatliches Honorar. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung enthielt der Angeklagte vor. Das LG Traunstein nahm eine abhängige Beschäftigung an, sodass Sozialversicherungspflicht bestehe. Der vorenthaltene Sozialversicherungsbetrag wurde bei der Strafzumessung zugrunde gelegt und mit Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung verrechnet. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft haben gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat das Urteil im Strafausspruch und Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, der Schuldspruch hingegen sei rechtsfehlerfrei erfolgt. Umstritten sei vorliegend die Abgrenzung von unselbständiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Der Strafsenat weist auf das Fehlen eines Arbeitgeberbegriffes im StGB und auf die Kriterien nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV hin, wonach eine persönliche Abhängigkeit erforderlich sei. Dies setzte Weisungsgebundenheit und die Eingliederung im Einzelfall voraus. Vorliegend seien darüber hinaus die Art der vereinbarten Vergütung, die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten Beziehung“, sowie das eigene Unternehmerrisiko zu berücksichtigen. Letzteres habe bei den Rechtsanwälten gefehlt. Nach einer wertenden Gesamtbetrachtung seien die Rechtsanwälte nicht als selbstständige freien Mitarbeiter einzuordnen, sondern liege eine abhängige Beschäftigung vor. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

Gesetz gegen digitale Gewalt

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

 

 

 

 

 

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Einleitung zum Sonderheft „Digitaler Hass“

von Prof. Dr. Elisa Hoven 

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Seit fast drei Jahren forschen wir an der Universität Leipzig im Rahmen eines vom Bundesjustizministerium geförderten Projekts zu den Herausforderungen von digitalem Hass. Im ersten Projektjahr wurden verschiedene Studien durchgeführt, um Realitäten und Folgen von Hass im Netz beschreiben zu können.[1] Auf Basis der empirischen Erkenntnisse haben die Mitglieder[2] der ExpertInnengruppe „Digitaler Hass“ ein Jahr lang über die strafrechtliche Erfassung verschiedener Phänomene von digitalem Hass diskutiert.

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Formulierungsvorschlag zur Neufassung von § 185 StGB

von Dr. Sven Großmann und Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel 

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Abstract
Mit ihrem Vorschlag zu einer Reform des Beleidigungstatbestandes beabsichtigen die Verfasser die Besonderheiten digitaler Hasskriminalität gezielt zu adressieren. Ihr Formulierungsvorschlag beschränkt sich dabei jedoch nicht darauf, § 185 StGB um neue Qualifikationstatbestände zu erweitern, sondern möchte den Anwendungsbereich des Beleidigungstatbestandes insgesamt auf schwerwiegende Ehrangriffe begrenzen.

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Vorschlag für ein Gesetz zur Reform der Beleidigungsdelikte zur besseren Verfolgung von Hassrede und „Hate Storms“

von PD Dr. Anja Schmidt und Alexandra Witting 

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Abstract
Nicht zuletzt durch die Digitalisierung haben sich diskriminierende Hassrede und sog. „Hate Storms“ zu einem häufig auftretenden Problem entwickelt, das erhebliche Folgen für die Betroffenen hat. In diesem Beitrag wird ein Vorschlag für ein Gesetz zur Reform der Beleidigungsdelikte vorgestellt, um den Schutz Angehöriger diskriminierter Gruppen vor Hassrede zu verbessern und den besonderen Unrechtsgehalt sog. „Hate Storms“ und ähnlicher Angriffe abzubilden.

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Strafrechtlicher Umgang mit gruppenbezogenen Herabwürdigungen unter besonderer Berücksichtigung des § 192a StGB

von Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski und Dr. Erik Weiss

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Abstract
Der vorliegende Beitrag widmet sich dem strafrechtlichen Umgang mit gruppenbezogenen Herabwürdigungen. Nach Identifikation und Begründung der besonderen Strafwürdigkeit entsprechender Verhaltensweisen erfolgt eine kritische Analyse des strafrechtlichen Umgangs mit diesem Phänomen. Es werden die Beleidigungsdelikte sowie § 130 Abs. 1, Abs. 2 StGB in den Blick genommen. Ein besonderer Fokus liegt auf der verhetzenden Beleidigung gem. § 192a StGB und den Unzulänglichkeiten dieser Vorschrift. De lege ferenda wird für deren Streichung und die Einführung einer weiteren Qualifikation in § 185 StGB plädiert, die Beleidigungen „mittels der Reduzierung auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe“ erfasst.

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Gruppenbezogene Herabwürdigungen und der Hybridtatbestand des § 192a StGB

von Jun.-Prof. Dr. Carsten Kusche

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Abstract
Gruppenbezogene Herabwürdigungen sind nicht stets eigenständig und erst recht nicht gesteigert strafwürdig. Sowohl im als auch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 185-187 dürfte das (jedenfalls) verlangen, dass die Diffamierung einen menschenverachtenden Gehalt aufweist. Die meisten Fälle solcher strafwürdiger gruppenbezogener Herabwürdigungen dürften oft bereits durch die Tatbestände der Volksverhetzung oder Beleidigung erfasst werden. § 192a trägt daher wenig zur Schließung „echter“ Strafbarkeitslücken bei. Statt dessen schafft die Norm vor allem dogmatische Ungereimtheiten in der Systematik der Beleidigungsdelikte.

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