Das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften – Eine kritische Würdigung der Neuregelungen

von Rechtsanwalt Dr. André Bohn

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Abstract
Zum 1.7.2021 sind umfangreiche Änderungen in der StPO, aber auch in anderen Gesetzen, wie zum Beispiel im BKA-Gesetz und im Gewaltschutzgesetz, in Kraft getreten. Die wichtigsten Neuregelungen werden im Rahmen dieses Beitrags vorgestellt und kritisch beleuchtet. Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Änderungen in der StPO.

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Strafprozessuale Wiederaufnahme und Verfassungsrecht

von Wiss. Mit. Laurenz Eichhorn

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Abstract
In der Nacht zum 25.6.2021 hat der Deutsche Bundestag die Erweiterung des § 362 StPO um eine neue Nummer 5 beschlossen. Danach soll eine Wiederaufnahme zuungunsten eines rechtskräftig Freigesprochenen möglich sein, wenn diesem schwerste Straftaten, wie Mord oder bestimmte Verbrechen nach dem VStGB, zur Last gelegt werden. Früh wurden verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Auch das Gesetzgebungsverfahren konnte Vorbehalte verfassungsrechtlicher Art nicht vollends ausräumen. Im Folgenden soll daher dargelegt werden, weshalb § 362 Nr. 5 StPO n.F. verfassungswidrig ist. Sieht man dies anders und verneint die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung, so ist sie jedenfalls restriktiv zu verstehen und nur in engen Grenzen anzuwenden. Es werden daher Leitlinien entwickelt, die trotz der Verfassungswidrigkeit eine Handhabung ermöglichen, die die verschiedenen verfassungsrechtlichen Anforderungen noch am weitesten zur Geltung bringen.

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Weitere Vorgaben im Kampf gegen den digitalen Hass – Zur Novellierung des NetzDG im Jahr 2021

von Wiss. Mit. Katrin Gessinger, LL.M. 

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Abstract
Mit der Novellierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) hat der nationale Gesetzgeber versucht, einzelne Schwächen des Gesetzes auszubessern und die Compliance-Vorschriften für soziale Netzwerke weiterzuentwickeln. Dabei wurde ebenfalls ein Teil der AVMD-Richtlinie umgesetzt. Mit dem vorliegenden Beitrag sollen die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren zur Überarbeitung des NetzDG geordnet und ein Überblick über die neuen – überwiegend bereits in Kraft getretenen – Regelungen gegeben werden.

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George Andoor: Tatfragen in der strafrechtlichen Revision. Eine Untersuchung der rechtshistorischen Entwicklung des Rechtsschutzes in Strafsachen samt Reformvorschlag

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2020, Duncker & Humblot GmbH, ISBN: 978-3-428-15791-4, S. 529, Euro 109,90.

Schon in der Einleitung macht Andoor deutlich, wie komplex das Forschungsdesign seiner Dissertation ist, geht er doch sehr vielschichtigen Untersuchungsfragen nach. Gefragt wird danach, ob die beschränkte Überprüfbarkeit eines strafgerichtlichen Urteils durch die Revision den Anforderungen an ein modernes Rechtsmittel im heutigen Grundrechtsstaat überhaupt genügt.

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„Korruptionsstrafrecht: Unerforschtes Terrain und neue Wege“ – Tagungsbericht zur Online-Tagung der FoKoS

von Wiss. Mit. Marie-Lena Marstaller, LL.M. (Edinburgh)

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Das deutsche Korruptionsstrafrecht ist in den vergangenen Jahren beständig ausgeweitet worden. Dabei war der Gesetzgeber immer nach dem Muster verfahren, die tradierte Deliktsstruktur der Bestechung von Amtsträgern (§§ 332, 334 StGB) bzw. Angestellten in der Privatwirtschaft (§ 299 StGB) auf weitere Gruppen von Entscheidungsträgern – etwa Ärzte (§§ 299a/b StGB), Sportler (§§ 265c/d StGB) und ausländische Staatsbedienstete (§ 335a StGB) – zu übertragen.

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Das 6. Trierer Forum zum Recht der Inneren Sicherheit (TRIFORIS) – Hass und Hetze im Internet

von Wiss. Mit. Dr. Tanja Niedernhuber

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Unter der Schirmherrschaft der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer fand am 8. Oktober 2021 in der Mainzer Staatskanzlei bereits zum sechsten Mal das Trierer Forum zum Recht der Inneren Sicherheit (TRIFORIS) statt. Die vom Institut für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit der Ludwig-Maximilians-Universität München (IDRIS) und dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz ausgerichtete Veranstaltung widmete sich dem Thema „Hass und Hetze im Internet“.

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KriPoZ-RR, Beitrag 57/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 StR 131/21: Geschützter Personenkreis beim Missbrauch von Schutzbefohlenen

Amtlicher Leitsatz:

Zu dem von § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB geschützten Personenkreis.

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sechs Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung und in drei Fällen in Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte seine „Stiefenkelin“ regelmäßig alle zwei Wochen für ein bis zwei Stunden betreut. Dabei hatte er die Gelegenheit genutzt um neben anzüglichen Bemerkungen auch Körperkontakt gegen den Willen der 16-jährigen herzustellen. Er hatte ihr mehrmals u.a. an den Hintern und die Brüste gefasst, teils mit solcher Kraft, dass regelmäßig Blutergüsse entstanden waren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilungen wegen des Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf, da die Geschädigte nicht unter den geschützten Personenkreis des § 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB falle.

Dieser schütze leibliche oder rechtliche Abkömmlinge des Täters oder Abkömmlinge seines Ehegatten bzw. Lebenspartners.

Die Geschädigte falle jedoch in keine der genannten Gruppen. Sie stamme nicht in gerade Linie vom Angeklagten ab und sei daher kein leiblicher Abkömmling.

Auch habe das LG nicht festgestellt, dass der Stiefvater der Geschädigten (der Sohn des Angeklagten) bereits bei der Geburt mit der leiblichen Mutter der Geschädigten verheiratet gewesen ist, sodass auch eine rechtliche Abkömmlingsschaft ausscheide.

Eine Einbeziehung als Stiefenkelin scheide ebenfalls aus.

Zwar habe der Gesetzgeber den Wortlaut der Norm 2015 erweitert um auch Abkömmlinge des Ehegatten bzw. Lebenspartners des Täters besser zu schützen. Dieser Schutz von Stiefkindern und Stiefenkeln erfasse jedoch nur die Abkömmlinge des Ehegatten oder Lebenspartners des Täters. Nicht erfasst sei die verfahrensgegenständliche Konstruktion, dass das Opfer ein Stiefkind eines leiblichen Abkömmlings des Täters sei, so der BGH.

Diese Wertung ergebe sich aus dem klaren Wortlaut der Norm und aus dem Willen des historischen Gesetzgebers.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 174 StGB ist 2015 durch das 49. Strafrechtsänderungsgesetz vom 21. Januar 2015 geändert worden, um Stiefkinder und –enkel des Täters aufgrund der oftmals genauso engen Familienbeziehungen ebenso zu schützen wie leibliche und rechtliche Abkömmlinge desselben.

 

 

 

 

Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen:

Öffentliche Anhörung im Hauptausschuss am 15.11.2021

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 56/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 3 ZB 1/20: Zu den Anforderungen an die sog. drohende Gefahr bzw. die Einordnung als Gefährder im Polizeirecht

Amtliche Leitsätze:

1. Für das Rechtsbeschwerdegericht sind die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung grundsätzlich bindend. Es überprüft aber im Rahmen der Rechtsbeschwerde ihre Beurteilung in ihrer Gesamtheit im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe.

2. Das individuelle Verhalten einer Person begründet die konkrete Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen wird, wenn sich aus ihrem Verhalten auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachenbasis konkrete tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass sich jederzeit eine terroristische Gefahr aktualisieren kann. Es reicht dabei nicht aus, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen und die Tatsachenlage durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet ist. Ebenso wenig genügen reine Vermutungen oder bloße Spekulationen.

3. Anknüpfungspunkt der Prognose muss stets das Verhalten des Betroffenen sein. Allein seine Disposition oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Angehörige sich regelmäßig in einer bestimmten Art und Weise verhalten, reicht nicht aus. Insoweit bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen oder Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht, sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Betroffenen in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu stabilisieren oder gar zu bestärken.

4. An den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind mit Blick auf das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer Eigenart, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, keine überspannten Anforderungen zu stellen.

5. Insbesondere steht der Prognose nicht entgegen, dass andere Deutungen der festgestellten Tatsachen und Äußerungen nicht ausgeschlossen sind. Sind die für eine Gefahrprognose sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte und Gründe mindestens ebenso gewichtig wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe, reicht dies für die erforderliche konkrete Wahrscheinlichkeit aus.

6. Verdachtsfälle, die bereits eine (endgültige) Abschiebung ohne vorherige Androhung tragen, beziehungsweise wertungsmäßig ähnlich gewichtige Fälle müssen jedenfalls auch für die Rechtfertigung des weniger schwerwiegenden Eingriffs der Datenerhebung durch längerfristige Observation ausreichen.

Sachverhalt:

Das OLG hat die Beschwerde des Polizeipräsidiums gegen den Beschluss des AG zurückgewiesen.

Das AG hatte eine längerfristige Observation des Betroffenen nach § 15 HSOG abgelehnt.

Als Begründung hatten sowohl AG als auch OLG angeführt, dass von dem Betroffenen keine abstrakte Gefahr i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG ausgehe.

Gegen diese Zurückweisung richtete sich die zulässige Rechtsbeschwerde des Polizeipräsidiums zum BGH.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Beschluss des OLG auf.

Zunächst begründete er kurz, weshalb er zwar als Beschwerdegericht grundsätzlich an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen und deren rechtlicher Würdigung gebunden sei. Allerdings stünde ihm als Beschwerdegericht eine Beurteilung im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe zu. Die verallgemeinerbaren Maßstäbe der Ausfüllung solcher entzögen sich dem Beurteilungsspielraum des Tatgerichts.

Demnach habe das OLG den Rechtsbegriff der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ nicht zutreffend erfasst und konkretisiert.

§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG gestatte die Datenerhebung durch Observation und den Einsatz technischer Mittel über Personen, deren individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen werden, wenn die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftat erforderlich sei, so der BGH.

Eine Legaldefinition dieses Gefährderbegriffs fände sich weder im Hessischen SOG noch in anderen Polizeigesetzen. Lediglich im Bayerischen PAG bilde dieser Ausdruck einen Teil der Definition für die „drohende Gefahr“.

Die Regelung sei als Umsetzung der Entscheidung des BVerfG zum BKAG in das Gesetz eingefügt worden. In dieser Entscheidung hatte das BVerfG dem Gesetzgeber gestattet, die Anforderungen an den Kausalverlauf für eine Gefahrenlage im Hinblick auf terroristische Gefahren zur Anordnung bestimmter Aufklärungsmaßnahmen abzusenken.

Die Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs, wie sie sich aus den Leitsätzen ergibt, erfolge durch Auslegung.

Bereits der Wortlaut unterscheide zwischen den Begriffen „Wahrscheinlichkeit“ und „Gefahr“, wobei erstere eine abgesenkte Eingriffsschwelle zulasse.

Dieses Ergebnisse stimme auch mit der Gesetzessystematik überein, da in § 15 HSOG selbst in absteigender Reihenfolge zunächst von einer konkreten Gefahr und später nur noch von „konkreter Wahrscheinlichkeit“ spreche.

Da es Zweck der Aufklärungseingriffe sei, terroristische – also schwerste – Straftaten zu verhüten, dürfe auch an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts keine überspannten Anforderungen gestellt werden.

Bei der Tätigkeit der Polizei im Gefahrenvorfeld müsse ein größerer Grad an Ungewissheit in Kauf genommen werden.

Insoweit seien heimliche Überwachungsmaßnahmen verfassungsrechtlich bereits dann zulässig, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar sei, jedoch das individuelle Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, dass die Person terroristische Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen werde.

Nicht mehr zulässig seien Maßnahmen jedoch dann, wenn der Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr verlegt werde, so der BGH.

Allerdings dehne sich der zulässige polizeiliche Aktionsraum auch in zeitlicher Hinsicht desto weiter aus, je größer das sich abzeichnende Schadenspotential sei.

Ein mehrjähriger Zeitraum komme deshalb bei terroristischen Straftaten, die hochrangiges Rechtsgüter bedrohten, durchaus in Betracht.

Je ranghöher das Schutzgut und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden sei, desto geringere Anforderungen seien von Verfassungs wegen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.

Da das OLG hinsichtlich dieser Maßstäbe von einer zu hohen Eingriffsschwelle ausgegangen sei, sei der Beschluss aufzuheben gewesen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Nach der Entscheidung des BVerfG zum BKAG kam es 2018 und 2019 zu einer Welle an Änderungen der Polizei- und Verfassungsschutzgesetze, bei denen neue Eingriffsmöglichkeiten im Gefahrenvorfeld geschaffen worden waren.

Weitere Informationen finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 55/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.10.2021 – GSSt 1/20: Zur Hinweispflicht bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB

Amtlicher Leitsatz:

Ein Hinweis auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch dann erforderlich, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der zugelassenen Anklage enthalten sind.

Sachverhalt:

Am 18.06.2019 hatte der 5. Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass weder § 265 Abs. 1 StPO noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der obligatorischen Einziehung auslösten und hatte beim 1. Senat angefragt, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten wolle. Den zugehörigen KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019.

Am 10.10.2019 hatte der 1. Senat entschieden, dass er an seiner Rechtsprechung festhält und hatte einen Hinweis auf eine Einziehung auch dann für erforderlich gehalten, wenn die Tatsachen zwar bereits in der Anklageschrift enthalten gewesen waren, das Gericht deren Bedeutungsgehalt jedoch erst in der Hauptverhandlung realisiere. Den Beitrag zum Antwortbeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019.

Daraufhin hat der 5. Senat dem Großen Senat die Frage vorgelegt, ob nach § 265 Abs. 1 oder § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die Möglichkeit einer Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen ist, wenn diese Rechtsfolge weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt worden ist, die hierfür relevanten Tatsachen aber in der zugelassenen Anklage bereits enthalten waren. Diesen Anfragebeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 44/2020.

Entscheidung des Großen Senats:

Der Große Senat entschied die Vorlagefrage im Sinne des 1. Senats und hielt eine Hinweispflicht des Gerichts für bestehend.

Dies begründete der Senat zunächst mit dem Wortlaut der Norm und dem Willen des historischen Gesetzgebers, der mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die Hinweispflichten gerade auf weitere Rechtsfolgen, wie die Einziehung, habe ausdehnen wollen. Der historische Gesetzgeber habe die Auslegung der Rechtsprechung gekannt und die Neuregelung explizit im Wortlaut unverändert gelassen.

Die Gesetzessystematik spreche nicht gegen dieses Ergebnis, da § 265 Abs. 1 i.V.m. § 200 Abs. 1 S. 1 StPO alle relevanten Schuldspruchänderungen erfasse und § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO lediglich die Rechtsfolgen erfasse, die nicht zwingend in der Anklageschrift adressiert werden müssten.

Zudem lasse der Wortlaut der Norm die Auslegung zu, dass ein sich erstmals in der Hauptverhandlung ergebender Umstand durchaus auch eine rechtsfolgenrelevante Tatsache sein könne, die zwar bereits in der Anklage bezeichnet gewesen sei, deren Bedeutung sich jedoch erst später in der Verhandlung herausgestellt habe. Denn die Bedeutung der Tatsachen stelle sich oftmals erst in diesem Moment heraus und sei, anders als bei Tatsachen i.S.d. § 200 StPO, nicht sofort relevant, nur weil sie in der Anklageschrift geschildert würden, so der Große Senat.

Sinn und Zweck der Hinweispflichten sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen damit dieser sich effektiv verteidigen könne. Dieser Zweck könne umso besser erreicht werden, je umfassender der Angeklagte auf in Betracht kommende Rechtsfolgen hingewiesen werde. Deshalb sei § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht restriktiv auszulegen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Vorschriften der Hinweispflichten wurden durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Jahr 2017 reformiert. Alles zum Gesetz und den Motiven finden Sie hier.

 

 

 

 

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