Einführung einer Strafbarkeit von Prostitution? – Zum Verhältnis von Sex-Arbeit und Menschenwürde

von Teresa Harrer

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Abstract
Nicht erst seit Beginn der COVID-19-Pandemie werden immer wieder Forderungen laut, die Sex-Arbeit in Deutschland zu verbieten und eine „Freier-Strafbarkeit“ nach Schwedischem Modell zu implementieren. Gleichzeitig fordern Sex-Arbeitsverbände und neoliberale Feministinnen eine rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung der Sex-Arbeit sowie die Gleichstellung mit anderen freien Berufen. Die in Anspruch genommenen Werte und verfolgten Ziele – insbesondere: Schutz der Menschenwürde und die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter – unterscheiden sich bei Verbotsgegnern und -befürworterinnen kaum, doch es liegt den Perspektiven ein grundverschiedenes Autonomieverständnis zugrunde. Nach der hier vertretenen Ansicht kann ein strafrechtliches De-facto-Verbot von Sex-Arbeit nicht mit dem Schutz der Würde von Frauen gegen den Willen der Einzelnen begründet werden.

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Freierstrafbarkeit – Quo vadis?

von Dr. Julia Bosch

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Abstract
Die 2016 eingeführte Freierstrafbarkeit wurde jüngst verschärft, indem die Strafbarkeit auch auf leichtfertiges Handeln ausgeweitet wurde. Der vorliegende Beitrag dient der Analyse der bisherigen Rechtslage, die im Wesentlichen wirkungslos geblieben ist. Er zeigt die Schwächen der Regelung auf und wagt die Prognose, dass die Änderung zur (teilweisen) Behebung dieser Schwächen beitragen kann. Des Weiteren versucht der Beitrag zu klären, wie die Strafnorm zum Schutz von Prostituierten beitragen kann und mit welchen Änderungen für die Zukunft zu rechnen ist. Schließlich wird kurz dazu Stellung genommen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein generelles Sexkaufverbot in Deutschland eingeführt werden könnte. In diesem Kontext werden das Prostitutionsgesetz von 2002 und das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 im Überblick dargestellt.

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Der Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland – Auf der Suche nach Gründen für eine defizitäre Nutzung des rechtlichen Instrumentariums zur Wiedergutmachung  

von Prof. Dr. Anja Schiemann, Kristopher Kunde und Annalena Krzysanowski

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Abstract
Obwohl der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) sowohl im Strafgesetzbuch als auch in der Strafprozessordnung schon vor mehr als 20 Jahren gesetzlich verankert wurde, bleiben die Fallzahlen nach wie vor weit hinter den Erwartungen zurück. Die Aufmerksamkeit, die der TOA im kriminalpolitischen und wissenschaftlichen Diskurs nach einigen Modellprojekten und der gesetzlichen Etablierung erfahren hat, ist in letzter Zeit ein wenig verblasst. Dies liegt zum einen an den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Erfassung der Fallzahlen. Zum anderen sind die – eher geringen – Fallzahlen einer unzulänglichen rechtlichen Umsetzung des TOA geschuldet. Der Beitrag möchte neben der Darstellung des Status Quo, Forschungsbedarfe sowie strafprozessuale und praktische Defizite aufzeigen.

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Wissenschaft oder Heuchelei? – eine Antwort auf Hoven, KriPoZ 3/2021, 182

von Prof. Dr. Gunnar Duttge

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Abstract
Die Kritik an Rezensionen ist so alt, wie es Rezensionen gibt – und sie ist aus Autorensicht leicht nachzufühlen: Denn wer hat sich als Verfasser[1]eines Werkes nicht selbst schon einmal falsch gedeutet gesehen und sich nicht über manche Zuschreibung und Bewertung geärgert? Manchen mag dabei im Augenblick „heiligen Zorns“ vielleicht sogar Goethes Rezensenten-Spruch[2] übermannt (oder überfraut?)[3] haben. Meist haben sich die Gemüter jedoch schnell wieder beruhigt – nicht selten durch das Erscheinen weiterer, aber „gefälligerer“ Rezensionen. Neuerdings wird die Literaturgattung jedoch als solche, aus Anlass zweier Rezensionen[4], innerhalb der Strafrechtswissenschaft[5] des organisierten Machtmissbrauchs verdächtigt und deshalb wenigstens ihre Zensur, wenn nicht gar Abschaffung empfohlen. Dieses Ansinnen kann nicht unwidersprochen bleiben.

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Jörg Kinzig: Im Namen des Volkes? Über Verbrechen und Strafe

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2020, Orell Füssli Verlag, ISBN: 978-3-280-05698-1, S. 121, Euro 10,00.

Der schmale Band von Kinzig zeigt, dass Bücher nicht viele Seiten haben müssen, um viele Inhalte zu vermitteln. Der Autor macht schon von Beginn an deutlich, worum es ihm geht: eine Stimme zu erheben gegen die stetigen Rufe nach immer härtere Strafen, die Unzufrieden mit der Justiz und immer neue kriminalpolitische Forderungen nach mehr Reglementierungen im Sinne eines Bekämpfungsstrafrechts.

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KriPoZ-RR, Beitrag 50/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 01.07.2021 – 3 StR 518/19: Ausgedruckte E-Mail als Beweismittel und das Recht der Einziehung bei Ausfuhrtaten

Amtliche Leitsätze:

1. Ausdrucke einer ansonsten nur digital vorhandenen E-Mail stellen präsente Beweismittel im Sinne des § 245 Abs. 2 StPO dar.

2. Die Verjährung der Erwerbstaten ist eine Einwendung gegen den Schuldspruch i.S.d. § 431 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. Sie unterliegt daher nur dann der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts, wenn die einschränkenden Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO gegeben sind. Dem stehen verfassungs- und konventionsrechtliche Belange, insbesondere Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und
Art. 13 EMRK, nicht entgegen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 10. Juli 2018
– 1 StR 628/17, juris).

3. Führt der Täter Güter ohne die erforderliche Genehmigung aus, umfasst das aus der Tat Erlangte i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB nicht nur die für das Genehmigungsverfahren ersparten Aufwendungen, sondern sämtliche aus der Tat bezogenen Vermögenswerte. Dies gilt ungeachtet der Genehmigungsfähigkeit der Ausfuhr (Aufgabe von BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 – 3 StR 343/11, BGHSt 57, 79 Rn. 14 ff., 19). Diese wirkt sich auch nicht auf die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen nach § 73d Abs. 1 StGB aus.

4. § 73b Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt auch für rechtsgeschäftliche Übertragungen im Wege partieller Gesamtrechtsnachfolge. Wird nicht das ursprünglich Erlangte, sondern dessen Wertersatz übertragen, ist die Haftung des Übernehmenden nach § 73b Abs. 2 StGB auf den Wert der übertragenen Vermögenswerte beschränkt und erfordert auch nach der Gesetzesnovelle einen Bereicherungszusammenhang in dem Sinne, dass die Verschiebung mit der Zielrichtung vorgenommen wird, den Wertersatz dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen oder die Tat zu verschleiern.

5. Für die Wertbestimmung des Erlangten können grundsätzlich auch Auslandsgeschäfte in den Blick genommen werden. So finden etwa – unabhängig von dem Sitz der Drittbegünstigten – durch legale Weiterverkäufe im Ausland erzielte Erlöse Berücksichtigung (Aufgabe von BGH, Urteil vom 6. Februar 1953 – 2 StR 714/51, BGHSt 4, 13, und RG, Urteil vom 13. November 1919 – I 460/19, RGSt 54, 45).

6. Das Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB gilt auch für versuchte Taten.

Sachverhalt:

Das LG Kiel hat die Angeklagten wegen Ausfuhr von in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannten Gütern ohne Genehmigung, dies teilweise im Versucht, verurteilt und eine Einziehungsentscheidung gegen verschiedene Konzerntochterunternehmen erlassen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren die Angeklagten Ausfuhrverantwortliche der Einziehungsbeteiligten gewesen. In dieser Funktion waren sie dafür verantwortlich gewesen, dass für die Ausfuhr von Pistolen eine Ausfuhrgenehmigung vorliegt. Sie hatten durch mehrere Angestellte Ausfuhrgenehmigungen beantragt, wobei sie einen Letztverbleib der Pistolen in den USA garantiert hatten. Tatsächlich waren die Waffen über die USA nach Kolumbien geliefert worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revisionen der Einziehungsbeteiligten überwiegend als unbegründet.

Zunächst habe die Geltendmachung des Verfahrenshindernisses der Verjährung der Erwerbstaten der Angeklagten durch die Einziehungsbeteiligten keinen Erfolg. Die Verjährung der Erwerbstaten sei nur dann revisionsgerichtlich zu prüfen, wenn die Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO vorlägen, da es sich um Einwendung gegen rechtskräftige Schuldsprüche handele, so der BGH.

Diese Voraussetzungen lägen bei der Einziehungsbeteiligten jedoch nicht vor.

Weiterhin sei es rechtsfehlerfrei, dass das Tatgericht die Aufwendungen der Einziehungsbeteiligten für Herstellung und Transport der Waffen sowohl bei den vollendeten als auch den versuchten Taten nicht in Abzug gebracht hat.

Die Herstellungs- und Transportkosten der Schusswaffen seien im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB für die Begehung der Tat oder ihre Vorbereitung aufgewendet worden, so der BGH.

Dies gelte auch für die bloß versuchten Taten, da auch Versuchstaten als Anknüpfungstat einer Einziehung in Betracht kämen, wenn dem Begünstigten schon aus dieser ein Vermögensvorteil zugeflossen sei. Das Abzugsverbot des § 73d StGB gelte damit auch für versuchte Taten, was sich bereits aus dem Wortlaut ableiten lasse, der von der „Begehung der Tat“, also auch ihrem Versuch spreche. Ebenfalls kämen eine historische und teleologische Auslegung zu diesem Ergebnis.

Zudem entschied der BGH, dass im Prozess eingebrachte ausgedruckte E-Mails präsente Beweismittel im Sinne des § 245 Abs. 2 StPO darstellten. Es sei nicht erforderlich, dem Tatgericht die beweisgegenständlichen digitalen Urkunden ebenfalls digital zu übermitteln. Dass die Neuregelung des § 249 Abs. 1 Satz 2 StPO die ausschließliche elektronische Übermittlung fordere, sei nicht ersichtlich, so der BGH.

Die tatsächliche Genehmigungsfähigkeit der Ausfuhren sei darüber hinaus für die Einziehung nicht von Bedeutung, da nach der Neuregelung des Rechts der Einziehung eine normative Betrachtung zur Bestimmung des erlangten Vorteils nicht mehr stattfinde. Damit sei auch bei einer genehmigungsfähigen Ausfuhr der volle Verkaufserlös durch die Tat erlangt. Auch bei der grundsätzlich normativ zu betrachtenden Abzugsentscheidung nach § 73d StGB sei eine etwaige Genehmigungsfähigkeit irrelevant, da die Aufwendungen bewusst und willentlich für die Tat getätigt worden seien und ihr Abzug demnach gegen den Wortlaut des § 73d Abs. 1 Satz 2 HS 1 StGB verstieße.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hat das Recht der Einziehung in §§ 73 ff. StGB umfassend reformiert. Alle Informationen zu der Reform finden Sie hier.

 

 

 

 

Caprice Doerbeck: Cybermobbing. Phänomenologische Betrachtung und strafrechtliche Analyse

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2019, Duncker & Humblot GmbH, ISBN: 978-3-428-15842-3, S. 405, Euro 99,90.

 Kriminalpolitische Themen haben teilweise eine kurze Halbwertzeit und Monographien sind daher der Gefahr ausgesetzt, dass sich Inhalte durch neue Gesetze überholen. Schnell werden aus de lege ferenda Vorschlägen Paragrafen de lege lata, die inhaltlich modifiziert sind oder ganz von kriminalpolitischen Forderungen abweichen. Die Dissertation von Doerbeck berücksichtigt laut Vorwort Literatur und Rechtsprechung bis zum Juni 2019. Am 3.4.2021 ist das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität in überwiegenden Teilen in Kraft getreten (BGBl. I 2021, 448 [474] und BGBl. I 2021, 441 ff.). Hierdurch wurden unter anderem die Beleidigungsdelikte angepasst, um so den besonderen Belastungen der Betroffenen durch die Verbreitungsmacht des Netzes Rechnung zu tragen. So wurde der Straftatbestand des § 185 StGB durch die Einfügung „öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder“ um weitere Qualifikationen neben der Beleidigung mittels einer Tätlichkeit erweitert. Die Strafdrohung wird hierfür auf bis zu zwei Jahre erhöht, so dass eine der kriminalpolitischen Forderungen von Doerbeck (S. 372) somit quasi umgesetzt wurde. Wer meint, die Dissertation jetzt guten Gewissens aus der Hand legen zu können, täuscht. Die Arbeit erschöpft sich nämlich nicht in dieser kriminalpolitischen Forderung, sondern analysiert das Phänomen des Cybermobbings, seine Ausprägungen sowie die unterschiedlichen Facetten in Betracht kommender Deliktsverwirklichungen. Daher lohnt sich ein intensiverer Blick in die Arbeit.

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KriPoZ-RR, Beitrag 49/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 307/21: Bestellung einer Pflichtverteidigerin auch für Adhäsionsverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers umfasst auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren.

Sachverhalt:

Das LG Dessau-Roßlau hatte den Angeklagten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Daraufhin beantragte er für das Revisionsverfahren zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin.

Entscheidung des BGH:

Der BGH lehnte den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab, da dem Angeklagten bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet sei und sich diese Beiordnung ebenfalls auf das Adhäsionsverfahren erstrecke.

Zwar sei diese Frage umstritten und manche sähen eine unabhängige Beiordnung für das Adhäsionsverfahren als erforderlich an.

Allerdings vertritt der Sechste Senat die Auffassung, dass sich die notwendige Verteidigung auf das gesamte Verfahren, mithin auch auf das Adhäsionsverfahren erstrecke.

Dies folge zum einen aus der tatsächlichen und rechtlichen Nähe zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des Adhäsionsanspruchs. Zweck des Adhäsionsverfahrens sei gerade die Effizient, die eine gemeinsame Aburteilung biete, weshalb diese Effizient auch bei der Verteidigerbestellung als Ziel anzustreben sei.

Ebenfalls komme in Nr. 4143 RVG-VV zum Ausdruck, dass die Gebühr für das Adhäsionsverfahren „dem Pflichtverteidiger“ zustehe, was nur die bereits bestellte Pflichtverteidigerin meinen könne.

Schließlich sei die umfassende Wirkung der Beiordnung der neuen Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen, in der sich der Gesetzgeber bewusst gegen die antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung entschieden habe, also gerade kein Nebeneinander von PKH und notwendiger Verteidigung gewollte habe, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 143 Abs. 1 StPO ist durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 neu gefasst worden. Mit dem Gesetz hat der deutsche Gesetzgeber Vorgaben der EU-Richtlinie 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren in nationales Recht umgesetzt. Mehr dazu finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 48/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.06.2021 – 3 StR 61/21: Hawala-Netzwerk ist kriminelle Vereinigung, wenn überindividuelles Interesse am Fortbestehen existiert

Amtliche Leitsätze:

  1. Bei einer ein Hawala-System betreibenden Organisation kann es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB handeln. Insbesondere kann nach den konkreten Tatumständen ein über individuelle Einzelinteressen hinausgehendes übergeordnetes gemeinsames Interesse am Fortbestand des Hawala-Systems bestehen.

  2. Die Übermittlungen von Geldbeträgen im Rahmen eines Hawala-Systems stellen grundsätzlich Finanztransfergeschäfte nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG dar.

  3. Das wiederholte Erbringen von Zahlungsdienstleistungen innerhalb eines einheitlichen Betriebes ist als eine Tat im Rechtssinne zu werten.

Sachverhalt:

Das LG Mannheim hat den Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in 124 Fällen, jeweils in Tateinheit mit der vorsätzlichen unerlaubten Erbringung von Zahlungsdienstleistungen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte als sog. Einsammler am Hawala-System beteiligt. Dieses System ermöglicht einen beleglosen und schwer nachzuvollziehenden Geldtransfer über Ländergrenzen hinweg, indem das Geld vom Sender an einen Einsammler übergeben wird, der dann einen Kontakt im Zielland anweist, das Geld an den Empfänger auszuzahlen. Eine staatliche Genehmigung der BaFin wird von den Betreibern des Systems bewusst nicht angestrebt, da sich das System jeglicher staatlicher Kontrolle entziehen wolle, so der BGH.

Der Angeklagte hatte bei einer Vielzahl von Einzahlstellen Gelder von Hawala-Kunden abgeholt und sie innerhalb des Netzwerks weitergeleitet und dafür eine monatliche Vergütung von 700€ bis 1500€ erhalten. Dafür war er auch in die WhatsApp-Gruppe des Netzwerks aufgenommen worden und hatte zum Teil auch als deren Buchhalter fungiert.

Entscheidung des BGH:
Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG im Wesentlichen, änderte jedoch die konkurrenzrechtliche Bewertung ab.

Das LG habe das konkrete Hawala-Netzwerk zurecht als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB eingeordnet. Im Bereich der organisierten Wirtschaftskriminalität sei es insbesondere erforderlich, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolge, das über das Interesse an der Begehung der konkreten Straftaten zur persönlichen Bereicherung hinausgehe, so der BGH. Der Beweiswürdigung des LG sei es zu entnehmen, dass es neben der finanziellen Bereicherung durch die Gebühren (welches als gemeinsames Interesse nicht genügt hätte) bei den Mitgliedern der Vereinigung gerade auch ein gemeinsames unabhängiges Interesse am Fortbestand des Hawala-Systems als Ganzes gegeben habe. Dies habe sich laut dem LG bereits aus dem Umfang und dem Ausmaß der grenzüberschreitenden Organisationsstrukturen ergeben, die darauf gerichtet seien, ein vor der Kontrolle durch staatliche Institutionen geschütztes Schattenfinanzsystem zu errichten und zu erhalten. Das könne auch aus der Höhe der Geldbeträge geschlossen werden, die innerhalb kürzester Zeit über das System versendet worden seien (über acht Millionen Euro). Dieses weitergehende Interesse rechtfertige die Einordnung als kriminelle Vereinigung.

Der Angeklagte habe sich zudem gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG strafbar gemacht, indem er als Mittäter vorsätzlich Zahlungsdienste ohne Erlaubnis erbracht habe, so der BGH.

Im Rahmen der konkurrenzrechtlichen Bewertung widersprach der BGH dem LG allerdings. Die Mitwirkung des Angeklagten am Hawala-System sei nicht als mehrere Einzeltaten, sondern als eine tatbestandliche Handlungseinheit zu werten.

Dies begründet der BGH zum einen mit dem Wortlaut der Norm, die schon im Plural von Zahlungsdiensten spreche. Zum anderen sei nur die gewerbsmäßige Erbringung von Zahlungsdiensten strafbar, was per Definition schon mehrfache Finanztransaktionsgeschäfte erfordere.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 63 ZAG wurde zuletzt am 17. Juli 2017 geändert, weil die Zweite Zahlungsdiensterichtlinie der EU umgesetzt werden musste. Die Richtlinie sollte den Schutz der Nutzer von Zahlungsdiensten im Binnenmarkt verbessern und Regelungen für den digitalen Zahlungsverkehr schaffen.

 

 

 

 

„Kongress Netzwerk demokratische Polizei. Forschung, Bildung, Praxis im gesellschaftlichen Diskurs.“

von Michael Rubener, M.A. 

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Am 9. und 10. September 2021 fand erstmalig der bundesweite Kongress Netzwerk demokratische Polizei     (NetDemPol) im Hannover Congress Centrum (HCC) statt. Der Kongress wurde von der Polizeiakademie Niedersachsen gemeinsam mit der Konferenz der polizeilichen Hochschulen, Fachbereiche und Akademien des Bundes und der Länder (HPK) durchgeführt.[1]

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