KriPoZ-RR, Beitrag 57/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 StR 131/21: Geschützter Personenkreis beim Missbrauch von Schutzbefohlenen

Amtlicher Leitsatz:

Zu dem von § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB geschützten Personenkreis.

Sachverhalt:

Das LG Darmstadt hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sechs Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung und in drei Fällen in Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte seine „Stiefenkelin“ regelmäßig alle zwei Wochen für ein bis zwei Stunden betreut. Dabei hatte er die Gelegenheit genutzt um neben anzüglichen Bemerkungen auch Körperkontakt gegen den Willen der 16-jährigen herzustellen. Er hatte ihr mehrmals u.a. an den Hintern und die Brüste gefasst, teils mit solcher Kraft, dass regelmäßig Blutergüsse entstanden waren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilungen wegen des Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf, da die Geschädigte nicht unter den geschützten Personenkreis des § 174 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB falle.

Dieser schütze leibliche oder rechtliche Abkömmlinge des Täters oder Abkömmlinge seines Ehegatten bzw. Lebenspartners.

Die Geschädigte falle jedoch in keine der genannten Gruppen. Sie stamme nicht in gerade Linie vom Angeklagten ab und sei daher kein leiblicher Abkömmling.

Auch habe das LG nicht festgestellt, dass der Stiefvater der Geschädigten (der Sohn des Angeklagten) bereits bei der Geburt mit der leiblichen Mutter der Geschädigten verheiratet gewesen ist, sodass auch eine rechtliche Abkömmlingsschaft ausscheide.

Eine Einbeziehung als Stiefenkelin scheide ebenfalls aus.

Zwar habe der Gesetzgeber den Wortlaut der Norm 2015 erweitert um auch Abkömmlinge des Ehegatten bzw. Lebenspartners des Täters besser zu schützen. Dieser Schutz von Stiefkindern und Stiefenkeln erfasse jedoch nur die Abkömmlinge des Ehegatten oder Lebenspartners des Täters. Nicht erfasst sei die verfahrensgegenständliche Konstruktion, dass das Opfer ein Stiefkind eines leiblichen Abkömmlings des Täters sei, so der BGH.

Diese Wertung ergebe sich aus dem klaren Wortlaut der Norm und aus dem Willen des historischen Gesetzgebers.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 174 StGB ist 2015 durch das 49. Strafrechtsänderungsgesetz vom 21. Januar 2015 geändert worden, um Stiefkinder und –enkel des Täters aufgrund der oftmals genauso engen Familienbeziehungen ebenso zu schützen wie leibliche und rechtliche Abkömmlinge desselben.

 

 

 

 

Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen:

Öffentliche Anhörung im Hauptausschuss am 15.11.2021

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 56/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 3 ZB 1/20: Zu den Anforderungen an die sog. drohende Gefahr bzw. die Einordnung als Gefährder im Polizeirecht

Amtliche Leitsätze:

1. Für das Rechtsbeschwerdegericht sind die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung grundsätzlich bindend. Es überprüft aber im Rahmen der Rechtsbeschwerde ihre Beurteilung in ihrer Gesamtheit im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe.

2. Das individuelle Verhalten einer Person begründet die konkrete Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen wird, wenn sich aus ihrem Verhalten auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachenbasis konkrete tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass sich jederzeit eine terroristische Gefahr aktualisieren kann. Es reicht dabei nicht aus, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen und die Tatsachenlage durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet ist. Ebenso wenig genügen reine Vermutungen oder bloße Spekulationen.

3. Anknüpfungspunkt der Prognose muss stets das Verhalten des Betroffenen sein. Allein seine Disposition oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren Angehörige sich regelmäßig in einer bestimmten Art und Weise verhalten, reicht nicht aus. Insoweit bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen oder Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr ausgeht, sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Betroffenen in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu stabilisieren oder gar zu bestärken.

4. An den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind mit Blick auf das große Gewicht des Schutzes der Allgemeinheit vor Terroranschlägen und der Bereitstellung wirksamer Aufklärungsmittel zu ihrer Abwehr für die demokratische und freiheitliche Grundordnung, der Bedeutsamkeit der von terroristischen Straftaten betroffenen Rechtsgüter und des drohenden Ausmaßes der durch terroristische Anschläge drohenden Schäden sowie ihrer Eigenart, dass sie oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, keine überspannten Anforderungen zu stellen.

5. Insbesondere steht der Prognose nicht entgegen, dass andere Deutungen der festgestellten Tatsachen und Äußerungen nicht ausgeschlossen sind. Sind die für eine Gefahrprognose sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte und Gründe mindestens ebenso gewichtig wie die möglicherweise für eine gegenteilige Prognose sprechenden Gründe, reicht dies für die erforderliche konkrete Wahrscheinlichkeit aus.

6. Verdachtsfälle, die bereits eine (endgültige) Abschiebung ohne vorherige Androhung tragen, beziehungsweise wertungsmäßig ähnlich gewichtige Fälle müssen jedenfalls auch für die Rechtfertigung des weniger schwerwiegenden Eingriffs der Datenerhebung durch längerfristige Observation ausreichen.

Sachverhalt:

Das OLG hat die Beschwerde des Polizeipräsidiums gegen den Beschluss des AG zurückgewiesen.

Das AG hatte eine längerfristige Observation des Betroffenen nach § 15 HSOG abgelehnt.

Als Begründung hatten sowohl AG als auch OLG angeführt, dass von dem Betroffenen keine abstrakte Gefahr i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG ausgehe.

Gegen diese Zurückweisung richtete sich die zulässige Rechtsbeschwerde des Polizeipräsidiums zum BGH.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Beschluss des OLG auf.

Zunächst begründete er kurz, weshalb er zwar als Beschwerdegericht grundsätzlich an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen und deren rechtlicher Würdigung gebunden sei. Allerdings stünde ihm als Beschwerdegericht eine Beurteilung im Hinblick auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe zu. Die verallgemeinerbaren Maßstäbe der Ausfüllung solcher entzögen sich dem Beurteilungsspielraum des Tatgerichts.

Demnach habe das OLG den Rechtsbegriff der „durch individuelles Verhalten bedingten konkreten Wahrscheinlichkeit“ nicht zutreffend erfasst und konkretisiert.

§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG gestatte die Datenerhebung durch Observation und den Einsatz technischer Mittel über Personen, deren individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen werden, wenn die Maßnahme zur Verhütung dieser Straftat erforderlich sei, so der BGH.

Eine Legaldefinition dieses Gefährderbegriffs fände sich weder im Hessischen SOG noch in anderen Polizeigesetzen. Lediglich im Bayerischen PAG bilde dieser Ausdruck einen Teil der Definition für die „drohende Gefahr“.

Die Regelung sei als Umsetzung der Entscheidung des BVerfG zum BKAG in das Gesetz eingefügt worden. In dieser Entscheidung hatte das BVerfG dem Gesetzgeber gestattet, die Anforderungen an den Kausalverlauf für eine Gefahrenlage im Hinblick auf terroristische Gefahren zur Anordnung bestimmter Aufklärungsmaßnahmen abzusenken.

Die Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs, wie sie sich aus den Leitsätzen ergibt, erfolge durch Auslegung.

Bereits der Wortlaut unterscheide zwischen den Begriffen „Wahrscheinlichkeit“ und „Gefahr“, wobei erstere eine abgesenkte Eingriffsschwelle zulasse.

Dieses Ergebnisse stimme auch mit der Gesetzessystematik überein, da in § 15 HSOG selbst in absteigender Reihenfolge zunächst von einer konkreten Gefahr und später nur noch von „konkreter Wahrscheinlichkeit“ spreche.

Da es Zweck der Aufklärungseingriffe sei, terroristische – also schwerste – Straftaten zu verhüten, dürfe auch an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts keine überspannten Anforderungen gestellt werden.

Bei der Tätigkeit der Polizei im Gefahrenvorfeld müsse ein größerer Grad an Ungewissheit in Kauf genommen werden.

Insoweit seien heimliche Überwachungsmaßnahmen verfassungsrechtlich bereits dann zulässig, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar sei, jedoch das individuelle Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, dass die Person terroristische Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen werde.

Nicht mehr zulässig seien Maßnahmen jedoch dann, wenn der Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr verlegt werde, so der BGH.

Allerdings dehne sich der zulässige polizeiliche Aktionsraum auch in zeitlicher Hinsicht desto weiter aus, je größer das sich abzeichnende Schadenspotential sei.

Ein mehrjähriger Zeitraum komme deshalb bei terroristischen Straftaten, die hochrangiges Rechtsgüter bedrohten, durchaus in Betracht.

Je ranghöher das Schutzgut und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden sei, desto geringere Anforderungen seien von Verfassungs wegen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.

Da das OLG hinsichtlich dieser Maßstäbe von einer zu hohen Eingriffsschwelle ausgegangen sei, sei der Beschluss aufzuheben gewesen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Nach der Entscheidung des BVerfG zum BKAG kam es 2018 und 2019 zu einer Welle an Änderungen der Polizei- und Verfassungsschutzgesetze, bei denen neue Eingriffsmöglichkeiten im Gefahrenvorfeld geschaffen worden waren.

Weitere Informationen finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 55/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.10.2021 – GSSt 1/20: Zur Hinweispflicht bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB

Amtlicher Leitsatz:

Ein Hinweis auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch dann erforderlich, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der zugelassenen Anklage enthalten sind.

Sachverhalt:

Am 18.06.2019 hatte der 5. Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass weder § 265 Abs. 1 StPO noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der obligatorischen Einziehung auslösten und hatte beim 1. Senat angefragt, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten wolle. Den zugehörigen KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019.

Am 10.10.2019 hatte der 1. Senat entschieden, dass er an seiner Rechtsprechung festhält und hatte einen Hinweis auf eine Einziehung auch dann für erforderlich gehalten, wenn die Tatsachen zwar bereits in der Anklageschrift enthalten gewesen waren, das Gericht deren Bedeutungsgehalt jedoch erst in der Hauptverhandlung realisiere. Den Beitrag zum Antwortbeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019.

Daraufhin hat der 5. Senat dem Großen Senat die Frage vorgelegt, ob nach § 265 Abs. 1 oder § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die Möglichkeit einer Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen ist, wenn diese Rechtsfolge weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt worden ist, die hierfür relevanten Tatsachen aber in der zugelassenen Anklage bereits enthalten waren. Diesen Anfragebeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 44/2020.

Entscheidung des Großen Senats:

Der Große Senat entschied die Vorlagefrage im Sinne des 1. Senats und hielt eine Hinweispflicht des Gerichts für bestehend.

Dies begründete der Senat zunächst mit dem Wortlaut der Norm und dem Willen des historischen Gesetzgebers, der mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die Hinweispflichten gerade auf weitere Rechtsfolgen, wie die Einziehung, habe ausdehnen wollen. Der historische Gesetzgeber habe die Auslegung der Rechtsprechung gekannt und die Neuregelung explizit im Wortlaut unverändert gelassen.

Die Gesetzessystematik spreche nicht gegen dieses Ergebnis, da § 265 Abs. 1 i.V.m. § 200 Abs. 1 S. 1 StPO alle relevanten Schuldspruchänderungen erfasse und § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO lediglich die Rechtsfolgen erfasse, die nicht zwingend in der Anklageschrift adressiert werden müssten.

Zudem lasse der Wortlaut der Norm die Auslegung zu, dass ein sich erstmals in der Hauptverhandlung ergebender Umstand durchaus auch eine rechtsfolgenrelevante Tatsache sein könne, die zwar bereits in der Anklage bezeichnet gewesen sei, deren Bedeutung sich jedoch erst später in der Verhandlung herausgestellt habe. Denn die Bedeutung der Tatsachen stelle sich oftmals erst in diesem Moment heraus und sei, anders als bei Tatsachen i.S.d. § 200 StPO, nicht sofort relevant, nur weil sie in der Anklageschrift geschildert würden, so der Große Senat.

Sinn und Zweck der Hinweispflichten sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen damit dieser sich effektiv verteidigen könne. Dieser Zweck könne umso besser erreicht werden, je umfassender der Angeklagte auf in Betracht kommende Rechtsfolgen hingewiesen werde. Deshalb sei § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht restriktiv auszulegen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Vorschriften der Hinweispflichten wurden durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Jahr 2017 reformiert. Alles zum Gesetz und den Motiven finden Sie hier.

 

 

 

 

Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen

Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite: BGBl I 2021, S. 4906 ff.

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktionen der SPD, Grünen und der FDP haben am 8. November einen Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze vorgestellt. Die epidemische Lage nationaler Tragweite soll auslaufen und im StGB soll die Fälschung von Impfpässen explizit unter Strafe gestellt werden.

Die Fraktion der CDU/CSU hat am 11. November 2021 einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 20/27). Die Corona-Pandemie habe deutlich gemacht, dass gefälschte Gesundheitszeugnisse erhebliche Gefahren für den Gesundheitsschutz Dritter mit sich bringen. Eine Privilegierung solcher Verhaltensweisen – wie nach geltender Rechtslage – sei rechtspolitisch verfehlt. 

Die Privilegierung der Fälschung von Gesundheitszeugnissen sieht die Fraktion darin, dass die Tatbestände der §§ 277-279 StGB als Strafrahmen Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem, bzw. bis zu zwei Jahren vorsehen, im Vergleich dazu eine Urkundenfälschung aber mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis fünf Jahren geahndet werden kann. Des Weiteren sehen die §§ 277-279 StGB keine Versuchsstrafbarkeit vor und die Täuschung muss sich tatbestandlich gegen eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft richten. Dies entfalte nach herrschender Auffassung eine umfassende Sperrwirkung der §§ 277-279 StGB gegenüber dem Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und lasse eine Strafbarkeitslücke entstehen. 

Der Entwurf sieht daher Änderungen in den Tatbeständen der §§ 277-279 StGB vor: 

  • die Täuschung soll sich nicht mehr auf Behörden und Versicherungsgesellschaften beschränken
  • Einführung einer Versuchsstrafbarkeit in §§ 278 und 279 StGB
  • Anhebung der Strafrahmen
  • Einführung von besonders schweren Fällen 

Darüber hinaus sollen „besonders verwerfliche und in ihren Auswirkungen besonders gefährliche Urkundenfälschungen in Bezug auf Impfnachweise betreffend bedrohlich übertragbare Krankheiten“ in den Katalog der Regelfälle des § 267 Abs. 3 StGB aufgenommen werden, die eine besonders schwere Urkundenfälschung darstellen. Im Infektionsschutzgesetz ist eine Anhebung der Strafrahmen der §§ 74 Abs. 2 und 75a IfSG vorgesehen. 

Am 15. November 2021 fand im Hauptausschuss eine öffentliche Anhörung zur Feststellung des Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT Drs. 19/32091) und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (BT Drs. 20/15) statt, in der auch die Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen thematisiert wurde. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Prof. Dr. Jörg Eisele zeigte sich grundsätzlich überzeugt von den Entwürfen. Kritisiert wurden von ihm Inkonsequenzen bei der Strafhöhe der Vorbereitungsdelikte und ein generell zu geringer Strafrahmen bei den §§ 277 bis 279 StGB-E, der erneut zur Annahme einer Sperrwirkung zum IfSG führen könne, so Eisele. Auch Prof. Dr. Thomas Weigend begrüßte die Ausweitung der Strafbarkeit, um bisher bestehende Lücken zu schließen. Seiner Meinung nach sollten allerdings auch Apotheker explizit als mögliche Täter in §§, 277 und 278 StGB-E aufgenommen werden. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion verwende fälschlicherweise mehrfach den Begriff der „Fälschung“, der auf den hier geregelten Fall der schriftlichen Lüge nicht passe. Der drastisch erhöhte Strafrahmen in diesem Entwurf überzeuge ebenfalls nicht.

Am 18. November 2021 votierte der Bundestag mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen für den Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite.

Am 19. November 2021 stimmte auch der Bundesrat für das Gesetz.

Am 23. November 2021 wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 54/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 28.07.2021 – 1 StR 506/20: Keine Bestechung im geschäftl. Verkehr bei Einverständnis der Betriebsinhaber

Amtliche Leitsätze:

  1. Inhaber des Betriebs im Sinne des § 299 StGB aF (des Unternehmens im Sinne des § 299 StGB nF) sind bei juristischen Personen die Anteilseigner.

  2. Wer einem Angestellten oder Beauftragten einer juristischen Person einen Vorteils für seine Bevorzugung im geschäftlichen Verkehr gewährt, macht sich daher nicht wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr strafbar, wenn die Anteilseigner mit dieser Zuwendung – vergleichbar den zur Untreue (§ 266 StGB) entwickelten Grundsätzen – einverstanden sind.

 

Sachverhalt:

Das LG Hamburg hat den Angeklagten in mehreren Fällen wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr und Steuerhinterziehung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte verschiedenen Leitungspersonen bei Zulieferer- und Abnehmerunternehmen eine als Provision bezeichnete Bestechungszahlung geleistet, die dafür hatte sorgen sollen, dass sein Unternehmen bevorzugt behandelt wird. Die jeweiligen Leistungspersonen waren jedoch immer auch Mitinhaber der jeweiligen Unternehmen, die meist auch komplett im Eigentum ihrer Familien gestanden hatten.

Die Bestechungsgelder hatte der Angeklagte als Betriebsausgaben bei der Steuererklärung geltend gemacht.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil des LG aufgrund mangelnder Feststellungen auf. Das LG habe eine Möglichkeit nicht genügend bedacht: Hätten die Leitungspersonen den geldlichen Vorteil nicht als weisungsgebundene Mitarbeiter*innen, sondern als Betriebsinhaber*innen erhalten, wäre der Anwendungsbereich der Bestechung im geschäftlichen Verkehr nicht eröffnet gewesen. Der/Die Betriebsinhaber*in, also bei einer Aktiengesellschaft die Aktionär*innen, solle durch die Norm vor unlauteren Entscheidungen der eigenen Angestellten geschützt werden. Der/die Betriebsinhaber*in selbst dürfe jedoch Entscheidungen auch nach unlauteren Motiven treffen (Privatautonomie) und könne daher nicht zugleich Täter und Opfer der Bestechung im geschäftlichen Verkehr sein.

Da das LG sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hatte, ob die anderen Aktionär*innen (allesamt Familienmitglieder) der bevorteilten Unternehmen, mit der Vorteilsentgegennahme der Leitungspersonen einverstanden gewesen waren, sei das Urteil rechtsfehlerhaft, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 299 StGB ist 2015 durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption umfassend reformiert worden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 53/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2021 – 5 StR 188/21: Keine Plausibilitätsprüfung innerhalb der Konnexität eines Beweisantrags

Amtlicher Leitsatz:

Zum Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Beweismittel nach der Neufassung von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO („Konnexität“; Aufgabe von BGHSt 52, 284).

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten M. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gef. Körperverletzung und einem Verstoß gegen das WaffG und den Angeklagten P. wegen Beihilfe zum versuchten Mord in Tateinheit mit Beihilfe zur gef. Körperverletzung verurteilt.

Nach den für diese Entscheidung relevanten Prozessvorgängen hatte das LG einen Beweisantrag des Angeklagten P mit der Begründung, es handele sich mangels Konnexität nicht um einen Beweisantrag, abgelehnt.

Es war beantragt worden einen Zeugen zu der Frage zu hören, ob er ein bestimmtes Telefongespräch mit dem Nebenkläger geführt hat oder nicht. Diese Frage hatte der Zeuge bereits bei der Polizei verneint.

Dem LG war es nicht ersichtlich gewesen, weshalb der Zeuge nach der fortgeschrittenen Beweisaufnahme nun etwas gegenteiliges Aussagen sollte, was zudem nicht zum bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme passte.

Entscheidung der BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, weil er einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO sah, indem das LG überspannte Anforderungen an die Konnexität zwischen Beweismittel und Beweistatsache gestellt habe.

Hier habe der Antragsteller ernsthaft verlangt, dass Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel erhoben werden sollte. Aus seinem Antrag habe sich zudem ergeben, weshalb das Beweismittel (Zeuge) die Beweistatsache bekunden können sollte. Wenn es sich aus dem Beweismittel ergebe, dass eine Aussage über die Beweistatsache möglich sei (beispielsweise soll der Zeuge ein Telefonat bezeugen, das er selbst geführt hat), benötige es zur Konnexität keine weiteren Darlegungen. Ergebe sich dieser Zusammenhang nicht von selbst, seien weitere Ausführungen notwendig. Dabei genüge es dann aber, die Umstände darzulegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, dass das Beweismittel die Beweistatsache beweisen könne. Ausführungen zur Plausibilität könnten nicht erwartet werden, so der BGH.

Dies ergebe sich aus dem neuen Wortlaut des geänderten § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO. Auch der gesetzeszweck und die Systematik des Beweisantragsrecht erforderten eine nicht zu enge Auslegung des Begriffs der Konnexität, da mit dem Beweisantragsrecht auf Seiten des Beschuldigten die große Machtstellung des Gerichts über den Prozessstoff ausgeglichen werden solle. Der Antragsteller müsse gerade auch eine Tatsache unter Beweis stellen können, für deren Richtigkeit die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben hat und die ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheine.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 geändert worden. Alles zu den Änderungen erfahren Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 52/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.08.2021 – 3 StR 247/21: Doppelte Brandstiftung bleibt Brandstiftung

Amtlicher Leitsatz:

Ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, kann durch eine Brandlegung auch dann teilweise zerstört werden, wenn die betroffene Wohnung bereits wegen einer vorangegangenen Brandstiftung nicht nutzbar war.

Sachverhalt:

Das LG Krefeld hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Brandstiftung verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ein Feuer in seiner Wohnung entfacht, welches außer Kontrolle geraten war und den Angeklagten zum Verlassen der Wohnung bewegt hatte. Die Wohnung war danach unbewohnbar gewesen und auch die anderen Wohnungen im Haus waren aufgrund eines nun fehlenden Rettungswegs nicht mehr nutzbar gewesen.

Dennoch war der Angeklagte in Suizidabsicht in seine Wohnung zurückgekehrt und hatte diese erneut in Brand gesetzt, was zu einer weiteren Unbewohnbarkeit geführt hatte.

Das LG hat angenommen, dass der Angeklagte eine schwere Brandstiftung gem. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB auch durch das zweite Brandgeschehen verwirklicht hatte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte diese Entscheidung.

Zunächst führte der Senat aus, dass in einem Mehrfamilienhaus ein teilweises Zerstören durch Brandstiftung dann gegeben sei, wenn ein zum selbständigen Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist.

Wenn ein solcher Teil bereits vorher unbrauchbar gewesen sei, stehe dies der weiteren Zerstörung dieses Teils und auch des gesamten Gebäudes nicht entgegen, so der BGH.

Im Kern des Tatbestands stehe nicht alleinig das Hervorrufen der Unbenutzbarkeit des Gebäudeteils, sondern auch brandbedingte Einwirkungen auf die Sachsubstanz.

Komme aufgrund des Grades der Erstbeschädigung eine Vertiefung der Beschädigung durch eine zweite Brandlegung noch in Betracht, könne diese eigenständig als teilweise Zerstörung des Gebäudes zu werten sein, wenn sie von genügendem Gewicht sei.

Als Argument für diese Sichtweise führte der BGH die erheblichen Gefahren für Personen und Sachsubstanzen an, die auch bei einer erneuten Brandlegung zum tragen kämen.

Demnach sei eine enge Auslegung des Tatbestands nicht geboten.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 51/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 08.09.2021 – 6 StR 174/21: Jagdhochsitz als Hütte

Amtlicher Leitsatz:

Ein Jagdhochsitz kann eine Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Brandstiftung in sieben Fällen, davon in einem Fall in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in einem weiteren Fall in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, versuchter Brandstiftung in zwei Fällen, davon in
einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Diebstahls in neun Fällen, davon
in einem Fall in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen fahrlässiger Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition und eines einer Schusswaffe gleichgestellten Gegenstands unter Einbeziehung anderweitig verhängter Freiheitsstrafen zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte versucht, in die Jägergemeinschaft an seinem Wohnort aufgenommen zu werden. Dieser Versuch war gescheitert, weshalb der Angeklagte in seiner Wut und seiner Enttäuschung aus Rache mehrere Jagdhochsitze anzündete, die teils komplett abbrannten.

Das LG wertete diese Hochsitze als Hütten im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wogegen sich die Revision gewendet hat.

Entscheidung des BGH:

Nach dem Generalbundesanwalt zeichneten sich Hütten gerade dadurch aus, dass an ihre Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen als bei Gebäuden gestellt würden. Erforderlich sei wenigstens, dass eine Erdverbundenheit und damit eine Immobilität vorläge sowie eine nicht ganz unerhebliche Bedeckung der Bodenfläche durch ein ausreichend abgeschlossenes Bauwerk.

Erforderlich für die Abgeschlossenheit sei lediglich eine auf Dauer angelegte Begrenzung, keine komplette Verschlossenheit.

Demnach seien auch Jagdhochsitze eine Hütte, da sie durch Dächer und Wände abgeschlossen und zum Verweilen von zumindest zwei Menschen geeignet seien. Die Erdverbundenheit erfolge entweder durch bauliche Maßnahmen oder schon aufgrund des bloßen Eigengewichts.

Dieser Rechtsauffassung schloss sich der BGH an.

 

 

 

 

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