KriPoZ-RR, Beitrag 32/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 5 StR 331/22: BGH zum symptomatischen Zusammenhang zwischen festgestelltem Hang und Anlasstat 

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat sich nach den tatgerichtlichen Feststellungen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz einer Schusswaffe und Munition sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstands strafbar gemacht. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht abgelehnt. Gegen die Entscheidung legte der Angeklagte Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der Strafsenat hat mangels Rechtsfehler die Verfahrens- und Sachrüge als unbegründet verworfen. Der Maßregelausspruch hingegen sei durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Das Merkmal des symptomatischen Zusammenhanges i.S.d. § 64 StGB habe das LG zu eng ausgelegt. Anders, als vom LG angenommen, müsse der Hang nicht die alleinige Ursache der Anlasstat darstellen, sondern lediglich mitursächlich für die Straftatenbegehung sein. Der BGH schließt sich der Argumentation des Generalbundesanwaltes an, der hierzu ausführt: „Es genügt, dass er für die Anlasstaten oder ihr Ausmaß und die Befürchtung, ein solcher Einfluss des Hanges sei auch in Zukunft zu erwarten, ursächlich geworden war.“ Naheliegend sei dies insbesondere bei Straftaten nach dem BtMG. Der hieraus erzielte Eigenkonsum sei auch dann ausreichend, wenn der wirtschaftlichen Vorteil im Vordergrund gestanden habe. Ein mittelbarer Betäubungsmittelkonsum habe in diesem Fall vorgelegen, wodurch das Merkmal des symptomatischen Zusammenhanges gegeben sei. Der BGH hält mit dieser Auslegung an der ständigen Rechtsprechung fest.

Auch beruhe das Urteil auf diesem Rechtsfehler. Dabei bezieht sich der Strafsenat auf die strafrechtlich einschlägige Vorbelastung des Angeklagten und begründet die Erfolgsaussicht (§ 64 S. 2 StGB) mit einer in der Vergangenheit bereits erfolgreich abgeschlossenen Entwöhnungsbehandlung. 

Über die Anordnung der Unterbringung ist damit neu zu entscheiden. 

Strafbarkeit der Mitwirkung am freiverantwortlich begangenen Suizid? Ein Beitrag zum neuen österreichischen Sterbeverfügungsgesetz und zur Novellierung des § 78 österreichisches StGB

von Univ.-Prof. Dr. iur. Erwin Bernat 

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Abstract
In Österreich war die Mitwirkung am Suizid (Verleitung und Beihilfe zur Selbsttötung) bis zum Ende des Kalenderjahres 2021 auch dann strafbar, wenn sich der Sterbewillige aus freien Stücken das Leben nahm (§ 78 StGB i.d. Stammfassung). Dieser Regelung wurde allerdings durch eine Entscheidung des VfGH (VfSlg. 20.433), die in weiten Teilen ein Spiegelbild des Urteils des BVerfG zu § 217 dStGB (BVerfGE 153, 182) ist, der Boden entzogen. In Reaktion auf VfSlg. 20.433 gewährleistet das mit 1.1.2022 in Kraft getretene Sterbeverfügungsgesetz (BGBl I 2021/242) ein Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe, verankert aber gleichzeitig einschneidende administrativ-prozedurale Regeln, die der Sterbewillige beachten muss, um das todbringende Präparat legal zu erwerben. Schließlich kann die Leistung von Suizidbeihilfe für den Suizidbeihelfer strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, wenn er gewisse Regeln des Sterbeverfügungsgesetzes missachtet (§ 78 StGB i.d.F. von Art. 3 des Sterbeverfügungsgesetzes).

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Anna Lohmann: Strafrecht im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz. Der Einfluss von autonomen Systemen und KI auf die tradierten strafrechtlichen Verantwortungsstrukturen

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2021, Nomos, ISBN: 978-3-8487-8330-4, S. 289, Euro 82,00.

Über die Frage strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Schäden beim Einsatz von KI ist schon viel geschrieben worden. Hierbei geht es häufig um die Auflösung von Dilemmata-Situationen im Bereich des autonomen Fahrens. Seltener sind grundlegende Arbeiten zur Reichweite des Sorgfaltsmaßstabs beim Inverkehrbringen von KI-Produkten sowie der individuellen (Unternehmens-)Verantwortung für KI-Produkte. Insofern ist es verdienstvoll, sich dieses zukunftsträchtigen Themenfeldes in einer Dissertation anzunehmen.

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Christian Kopetzki/Ulrich H.J. Körtner (Hrsg.): Leichenöffnung für wissenschaftliche Zwecke (Schriftenreihe Ethik und Recht in der Medizin, Bd. 14)

von Prof. Dr. Gunnar Duttge 

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2021, Verlag Österreich, ISBN: 978-3-7046-8654-1, S. 196, Euro 56,42.

Bekanntlich ist der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Toten ein „wichtiger Gradmesser“ nicht nur für die Einstellung dieser Gesellschaft zum Tod, sondern zugleich für „den Umgang der Lebenden miteinander“: „Der Tod ist abstrakt, die Toten sind jedoch konkret“. Mit dieser Eingangssentenz in der Präambel des vorliegenden Bandes, der aus einer Tagung des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin (IERM) an der Universität Wien hervorgegangen ist, treffen die Herausgeber einen zentralen Punkt: Selbstbestimmungs- und postmortales Persönlichkeitsrecht (Verfügungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz des Verstorbenen sowie seiner nahen Angehörigen) streiten, u.U. noch verstärkt durch die Glaubensfreiheit, für das grundsätzliche Tabu gegenüber Leichenöffnungen oder gar die Entnahme von Gewebeteilen oder Organen (was die Straftatbestände gegen eine „Störung der Totenruhe“ sicherstellen sollen, vgl. § 168 dStGB bzw. § 190 öStGB); für die Vornahme von Obduktionen bzw. Sektionen sprechen hingegen gewichtige gesamtgesellschaftliche Interessen, sei es etwa die Aufklärung von Straftaten (§ 87 dStPO bzw. § 128 öStPO), die frühzeitige Entdeckung von Infektionsquellen (§ 25 Abs. 4 dIfSG bzw. § 5 öEpidemieG, dazu näher M. Grimm, S. 145 ff., 168 ff.), die Qualitätssicherung ärztlichen Handelns (Behandlungsfehler?) oder generell die medizinische Forschung und akademische Lehre (Anatomie).

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Jörn Patzak: Konkurrenzverhältnisse beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2021, Nomos, ISBN: 978-3-8487-8075-4, S. 347, Euro 89,00.

Die Dissertation über das Konkurrenzverhältnis beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wurde von keinem Unbekannten verfasst. Vielmehr wird sie von einem ausgewiesenen Experten des Betäubungsmittelrechts vorlegt, nämlich dem Mitherausgeber und Kommentator des Beck´schen Kurzkommentars zum BtMG. Insofern durfte man gespannt sein auf die Auflösung der „fast täglich in obergerichtlichen Entscheidungen zu Tage tretende(n) Schwierigkeiten bei der Anwendung der Konkurrenzen im Betäubungsmittelrecht“ (S. 32).

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Gesetzentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung – Haupverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG)

Gesetzentwürfe: 

 

Am 22. November 2022 veröffentlichte das BMJ einen Referentenentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG). Der Entwurf soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzliche Hauptverhandlung vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten schaffen. Dort werden regelmäßig nur die wesentlichen Förmlichkeiten (sog. Formalprotokoll) schriftlich protokolliert, um sie in der Revisionsinstanz überprüfen zu können. Nur wenn es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt, wird von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung angeordnet (§ 273 Abs. 3 StPO). An den Amtsgerichten stellt sich die Praxis anders dar. Dort werden zumindest die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufgenommen. Für die Verfahrensbeteiligten an den Landes- und Oberlandesgerichten hat dies zur Folge, dass sie sich mangels einer objektiven Dokumentation der Hauptverhandlung selbst Notizen zum Inhalt fertigen müssen und sich nicht vollumfänglich auf das Geschehen in der Hauptverhandlung selbst konzentrieren können. Weiteres Gewicht bekommen hier lange Verfahrensdauern und sog. Umfangsverfahren, bei denen die Gefahr naheliegt, dass die Erinnerung an Einzelheiten  mit der Zeit zunehmend verblasst. 

Daher soll die Hauptverhandlung in Zukunft in Bild und Ton aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert werden. Die Aufzeichnungen treten neben das Protokoll, sollen aber keine unmittelbar prozessuale Wirkung entfalten. Sie sollen lediglich den Verfahrensbeteiligten als objektives Hilfsmittel zur Aufarbeitung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen. Zum Schutze der Persönlichkeitsrechte dokumentierter Personen sollen flankierend verfahrensrechtliche und materiell-strafrechtliche Regelungen geschaffen werden. Auch technische Maßnahmen, wie bspw. eine Verpixelung, können dabei helfen. Zunächst ist geplant, die digitale Dokumentation als erstes bei den Oberlandesgerichten einzusetzen, die in Organleihe Staatsschutzverfahren in der Zuständigkeit des Bundes führen. 

Am 7. Juli 2023 beschäftigte sich erstmals der Bundesrat mit dem Entwurf und hat entsprechend Stellung genommen (BR Drs. 227/1/23).  

Einen Überblick über den überarbeiteten Regierungsentwurf gibt der Beitrag von Dr. Eren Basar und Christian Heinelt in der KriPoZ 4/2023, 278 ff

Am Abend des 21. September 2023 wurde der Regierungsentwurf in erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 11. Oktober 2023 eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Während die Anwaltschaft den Regierungsentwurf begrüßte, äußerte sich die Richterschaft insbesondere hinsichtlich der Ressourcen der Strafjustiz kritisch. Dr. Margarete Gräfin von Galen (Fachanwältin für Strafrecht) betonte in ihrer Stellungnahme, dass es derzeit keine zuverlässige und objektive Dokumentation des Inhalts einer Hauptverhandlung gebe. Prof. Dr. Christoph Knauer (BRAK) empfand das bestehende Protokollsystem insbesondere als nicht mehr zeitgemäß. Eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung könne Missverständnissen entgegenwirken und Fehlurteile verhindern. Auch Stephan Schneider betonte, dass mit der digitalen Dokumentation ein wesentlicher Beitrag für den Rechtsstaat geleistet werde. Prof. Dr. Ali B. Norouzi (DAV) begrüßte ebenfalls den Regierungsentwurf, der durchaus dazu geeignet sei, das grundlegende Dokumentationsdefizit in der Hauptverhandlung zu beenden. Er äußerte lediglich Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit, die Dokumentationspflicht zu suspendieren. Bedauerlich sei, dass der Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf nunmehr nur noch eine Dokumentation per Tonaufnahme vorsehe und die Bild-Ton-Aufnahme optional bleibe. Richter am BGH Prof. Dr. Andreas Mosbacher betonte, dass es zu einer mindestens vorübergehenden Mehrbelastung der Strafjustiz komme. Daher sei es notwendig, die erforderlichen technischen und personellen Ressourcen im Blick zu behalten. Vors. Richter am LG Fernando Sanchez-Hermosilla sah keine Notwendigkeit, das bestehende Protokollsystem zu ändern. Aus seiner Sicht bringe es viele Nachteile mit sich, auf eine digitale Aufzeichnung der Hauptverhandlung umzustellen. Neben technischen und personellen Problemen, ergäben sich auch verfahrensspezifische Probleme, ohne dass ein substantieller Mehrwert für das Strafverfahren geschaffen werde. Es gelinge Richter:innen durchaus, die für die Entscheidungsfindung erheblichen Aussagen und sonstigen Ergebnisse der Beweiserhebung festzuhalten und sich daran zu erinnern, auch wenn die Verhandlungen sich über mehrere Tage ziehen. Dieter Killmer (DRB) kritisierte, dass der Entwurf die bezweckten Vorteile und die zu erwartenden Nachteile nicht abwäge. Schließlich berge die Dokumentation von Strafverfahren auch Missbrauchsrisiken und drohe den Opferschutz und die Wahrheitsfindung zu schwächen, insbesondere bei audiovisuellen Aufzeichnungen, die tief in die Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten eingriffen. Der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte wurde ebenso von Dr. Patrick Liesching vom Weißen Ring kritisiert. Vor allem für Opfer sexualisierter Gewalt sei dies schwerwiegend. Das nochmalige Durchleben der Tat durch die Schilderung in der Hauptverhandlung wird von den Betroffenen als extrem belastend empfunden. Dies werde durch die geplante Neuregelung verschärft, wenn die Zeug:innen in diesen Situationen auch noch Kameras und Mikrofonen gegenüberstehen und jeder Gefühlsausbruch festgehalten und letztlich auch eine Verbreitung gefürchtet werde. Der Opferschutz war ebenfalls für Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek  ein wichtiger Kritikpunkt. Es sei verheerend, wenn Opfer sexualisierter Gewalt mit der Verbreitung ihrer Aussagen in den sozialen Medien rechnen müssten. Dies führe letztlich zu einer verminderten Aussagebereitschaft und beschränke so die Wahrheitsfindung im Prozess. Dr. Ralf Wehowsky befürchtete, dass die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung eine Wesensänderung des Revisionsverfahrens herbeiführe. Viele Rügen würden sich dann in Zukunft auf Aussagen der Hauptverhandlung beziehen, die nicht zutreffend gewürdigt worden seien. 

Am 17. November 2023 hat der Bundestag des Gesetzentwurf in der Fassung des Rechtsausschusses (BT Drs. 20/9359) mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke gebilligt. Der Bundesrat beschäftigte sich am 15. Dezember 2023 erneute mit dem DokHVG und überwies den Entwurf zur grundlegenden Überarbeitung an den Vermittlungsausschuss. Laut Empfehlung des Rechtsausschusses (BR Drs. 603/1/23) begegne das Gesetz „erheblichen, grundlegenden und tiefgreifenden fachlichen Bedenken. Insbesondere müssen die folgenden zu erhebenden Bedenken:

  • zur Gefahr für die Wahrheitsfindung,
  • zur Beeinträchtigung des Opferschutzes,
  • zur Gefahr von Verzögerungen des Verfahrens,
  • zur optionalen Bildaufzeichnung der Hauptverhandlung,
  • zum Inkrafttreten der Regelung zur Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht bei den Landgerichten am 1. Januar 2030 sowie
  • zum Verhältnis von dem personellen, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand und Mehrwert

ausgeräumt werden.“

Insgesamt sah die Länderkammer keinen nachvollziehbaren Bedarf oder fachliche Notwendigkeit für die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung. 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 31/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 19.10.2022 – 4 StR 168/21: Zur Reichweite des § 16 Abs. 2 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Ein milderes Gesetz im Sinne des § 16 Abs. 2 StGB ist allein eine privilegierende lex specialis. Diese Voraussetzung erfüllt § 184c Abs. 1 StGB im Verhältnis zu § 184b Abs. 1 StGB nicht.

Sachverhalt: 

Der Angeklagte wurde vom LG Bochum zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat sich der Angeklagte u.a. wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, Herstellen kinder- und jugendpornografischer Schrift in Versuch und Vollendung strafbar gemacht. In den streitentscheidenden Fällen zeichnete der Angeklagte in einem Video-Chat heimlich die Geschädigten auf. Hierbei nahm der Angeklagte an, die Geschädigten seien bereits im jugendlichen Alter gewesen, sodass das Landgericht den Tatbestand des Herstellens jugendpornografischer Schrift als erfüllt ansah. Nicht einschlägig hingegen sah das Landgericht den § 184c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 1a StGB a.F., da hierfür die geschädigte Person zwischen vierzehn und unter achtzehn Jahre alt sein müsse. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung wegen Verletzung formellen und materiellen Rechts Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat im Hinblick auf die Änderung des Schuldspruches, dass in zwei Fällen ein Versuch vorlag, Erfolg. Im Übrigen hat der Vierte Strafsenat des BGH die Sach- und Verfahrensrügen des Angeklagten verworfen. 

Das Landgericht habe fehlerhaft § 184c StGB a.F. und § 184b StGB a.F. zueinander ins Verhältnis gesetzt, so der BGH. Entgegen einer in der Literatur weit verbreiteten Ansicht, sei § 184c StGB a.F. nicht milderer Tatbestand im Verhältnis zu § 184b StGB a.F. i.S.d. Irrtumsvorschrift. § 16 Abs. 2 StGB sei vorliegend nicht anwendbar. 

Der Senat bestimmt sodann was unter einem milderen Gesetz zu verstehen ist: „Unter einem milderen Gesetz im Sinne des § 16 Abs. 2 StGB ist allein eine privilegierende lex specialis zu verstehen, also ein Straftatbestand, der alle Merkmale des Grundtatbestands sowie ein weiteres privilegierendes Merkmal enthält.“ Die §§ 184b und 184c StGB a.F. erfüllen aber diese Voraussetzungen nicht, so der BGH

Wortlaut, Systematik, Historie und Sinn und Zweck des § 16 Abs. 2 StGB sprächen dafür, dass es sich bei der Vorschrift um eine spezielle Irrtumskonstellation handeln muss und eine privilegierende Vorschrift für Täter sei. Die Norm verfolge zwei Funktionen: zum einen den Ausschluss des schwereren Tatbestandes. Der Täter soll mit dieser Regelung besser gestellt werden als ohne. Zum anderen soll zugleich auch eine Bestrafung ermöglicht werden, obwohl „dogmatisch-konstruktiv“ nur ein Versuch vorliege, argumentiert der Senat.

KriPoZ-RR, Beitrag 30/2022

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 28.09.2022 – 1 BvR 2354/13: Regelungen nach dem BVerfSchG zur Weitergabe personenbezogener Daten sind verfassungswidrig

Amtliche Leitsätze:

[…]

3. Die Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener personenbezogener Daten und Informationen durch den Verfassungsschutz zur Gefahrenabwehr kann als Übermittlungsschwelle grundsätzlich auch an die Gefahr der Begehung solcher Straftaten anknüpfen, bei denen die Strafbarkeitsschwelle durch die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen oder bloßen Rechtsgutgefährdungen in das Vorfeld von Gefahren verlagert wird. Der Gesetzgeber muss dann aber sicherstellen, dass in jedem Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr für das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut vorliegt. Diese ergibt sich nicht notwendiger Weise bereits aus der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung selbst.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess rechtskräftig verurteilt. Von diesem wurden durch die Verfassungsschutzbehörden – zwecks Bekämpfung gewaltbezogenen Rechtsextremismus – personenbezogene Daten gespeichert. Rechtsgrundlage hierzu stellt das RED-G (Rechtsextremismus-Datei-Gesetz) dar. Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Verfassungsbeschwerde gegen diese Befugnisse. Er macht eine Verletzung seines Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung geltend.

Entscheidung des BVerfG:

Der Angriff einer allgemeinen Übermittlungsbefugnis scheitert bereits aufgrund einer Gesetzänderung an einem fortdauernden Rechtsschutzbedürfnis. Die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Übermittlung heimlich erhobener personenbezogener Daten ist zulässig und begründet. Das BVerfG stellt sowohl einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit aufgrund von mehrgliedrigen Verweisungsketten, als auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fest. 

a) legitimer Zweck

Die in § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 BVerfSchG geregelten Übermittlungsbefugnisse würden dem Zweck dienen Staatsschutzdelikte effektiv zu bekämpfen. Der damit einhergehende Bevölkerungsschutz stelle einen legitimen Zweck dar.

b) geeignet und erforderlich

Der Senat zweifelt auch nicht an der Geeignetheit oder Erforderlichkeit der Befugnisse.

c) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Die Normen halten allerdings den Anforderungen an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht stand, so der Senat. Das informationelle Trennungsprinzip verlange für derart weitreichende Überwachungsbefugnisse erhöhte Rechtfertigungsvorschriften. Hierbei sei auf eine hypothetische Neuerhebung, und ob diese erlaubt werden dürfte, abzustellen. Kriterien hierbei seien der Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsgutes (1) und eine hinreichend konkrete Gefahr (2). Hierbei könne auch an die Gefahr einer Straftatenbegehung angeknüpft werden, sofern im Einzelfall eine konkrete oder konkretisierte Gefahr bestehe. Voraussetzung sei außerdem die Verfolgung einer besonders schweren Straftat (3). Die angegriffenen Normen verweisen auf Delikte nach §§ 74a, 120 GVG. Bei den nach dem GVG aufgezählten Delikten liegt jedoch nicht bei allen eine besonders schwere Straftat vor. Auch durch das in § 23 Nr. 1 BVerfSchG verankerte Verbot unverhältnismäßiger Übermittlungen stelle keinen zulässigen Abwägungsprozess dar. Ebenso liege im Hinblick auf eine Übermittlungsschwelle ein verfassungsrechtlicher Verstoß vor. Tatsächliche Anhaltspunkte seien nicht ausreichend, da hierdurch unabhängig von einer konkretisierten Gefahrenlage übermitteln werden könne.

Bis zum 31.12.2023 gelten die angegriffenen Normen fort, wobei einschränkende Maßgaben für die betroffenen Grundrechte gelten. 

KriPoZ-RR, Beitrag 29/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.10.2022 – 5 StR 394/22: Für das Vorliegen eines Hangs muss keine physische Abhängigkeit erreicht sein

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Berlin zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde nicht angeordnet. Es liege bei dem Angeklagten ein Missbrauch i.S.d. ICD-10: F10.1., jedoch kein Hang vor, im Übermaß berauschende Mittel zu konsumieren. Zwar habe der Angeklagte im frühen Lebensalter mit dem Konsum von Alkohol begonnen, es lägen aber keine körperlichen Entzugssymptome vor. Diese Ausführungen führte das LG Berlin ebenso für den Konsum von Amphetaminen aus. Gegen die Entscheidung wendet sich der Angeklagte in seiner Revision.

Entscheidung des BGH:

Revisionsgerichtlicher Überprüfung hält die Entscheidung des LG nicht stand. Die Ausführungen zur Ablehnung eines Hangs widersprächen höchstrichterlicher Rechtsprechung:

„Für einen Hang ist […] eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss setzt weder ein Abhängigkeitssyndrom noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit voraus.“ 

Weiter führt der Strafsenat aus, dass eine derartige Beeinträchtigung nur als Indiz diene, um das Vorliegen eines Hangs zu bejahen. Dies bedeute wiederum nicht, dass ein Nichtvorliegen diesem notwendigerweise entgegenstehe. Ferner benennt der BGH das Kriterium der sozialen Gefährdung, welches Folge eines übermäßigen Konsums von Rauschmitteln und damit eine typische Begleiterscheinung (bspw. bei Beschaffungskriminalität) darstelle. 

Die Frage der Unterbringung bedarf damit einer erneuten Überprüfung. 

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