KriPoZ-RR, Beitrag 21/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.05.2019 – 5 StR 146/19: Auch Kopie eines Ausweises für das Gebrauchen zur Täuschung im Rechtsverkehr nach § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB ausreichend

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Auch durch Vorlage einer Kopie oder elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.

Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Betrugs in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren verurteilt.

Nach den Feststellungen des Tatgerichts hatte der Angeklagte hochwertige Uhren im Internet zum Kauf angeboten, ohne die Erfüllung des Vertrages zu beabsichtigen. Um die Käufer von seiner Identität zu überzeugen, hatte er ihnen Bilder von echten Personalausweisen geschickt, die andere Personen verloren hatten oder ihm selbst als Bild im Rahmen von Verkaufsgesprächen geschickt hatten. In einem weiteren Tatkomplex hatte der Angeklagte eine Kopie einer echten rumänischen Identitätskarte bei der Telekom vorgelegt, um mehrere Telefonverträge abschließen zu können. Dabei fälschte er zudem die Unterschrift des Inhabers der Identitätskarte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH beabsichtigt die Revision des Angeklagten zu verwerfen, da der Begriff des Gebrauchens in § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB genauso auszulegen sei wie bei § 267 Abs. 1 StGB.

Es genüge, dem Gegenüber die sinnliche Wahrnehmung der Urkunde zu ermöglichen, was auch vermittelt durch eine Fotokopie oder ein Bild möglich sei. Bei dieser Auslegung würde der Senat allerdings von der Rechtsprechung des vierten Senats abweichen, weshalb er anfragt, ob an der entgegenstehenden Rechtsprechung festgehalten werden soll.

Der vierte Senat vertritt eine inkongruente Definition des Tatbestandsmerkmals „Gebrauchen“ in beiden Tatbeständen, da § 281 nur den Gebrauch der originalen Urschrift bestrafen wolle und gerade nicht die Vorlage einer Kopie oder eines Fotos. Demnach könne derjenige, der eine Kopie eines echten Ausweises vorlege nur wegen Versuchs bestraften werden, wenn er bereit sei, das echte Original zur Täuschung vorzulegen.

Dies begründet der Senat damit, dass der Rechtsverkehr keinen besonderen Schutz verdiene, wenn er sich nicht das Original zu Prüfzwecken aushändigen lasse.

Nach Ansicht des dritten Senats spreche dagegen, dass der allgemeine Sprachgebrauch unter Gebrauchen auch das Vorlegen von Kopien oder Bildern verstehe. Zudem sei die Verwendung desselben Begriffs in zwei Tatbeständen desselben Abschnitts des StGB ein klares Indiz dafür, dass eine deckungsgleiche Auslegung vom Gesetzgeber gewünscht sei. Dies begründet der Senat auch mit einem historischen Argument, denn der historische Gesetzgeber habe bei Einführung des Tatbestandsmerkmals ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts Bezug genommen, nach derer schon damals die Vorlage einer Ablichtung des Originals für ein „Gebrauchen“ ausgereicht habe. Dies lasse sich auch mit dem Telos der Norm vereinbaren, so der dritte Senat, da das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die besondere Beweiskraft eines Ausweispapiers bei der Übersendung oder Vorlage von (elektronischen) Kopien in gleicher Art und Weise beeinträchtigt sei wie bei der Nutzung des Originals. Dies sei gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung relevant, durch die immer häufiger und auch staatlich gebilligt, elektronische Fotos oder Kopien von Ausweisen zur Identifikation genutzt würden.

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 4. Strafsenats finden Sie hier: BGH, Urt. v. 04.09.1964 – 4  StR 324/64

Am 19.06.2018 entschied der BGH einen ähnlichen Fall, in dem es um die Strafbarkeit des Versendens einer digital verfälschten Kopie mittels E-Mail ging: BGH, Beschl. v. 19.06.2018 – 4 StR 484/17

Die Antwort des 4. Strafsenats finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 13/2020.

Die Antwort des 2. Strafsenats finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 39/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.04.2019 – 1 StR 81/18: Keine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Besitzbegründung nach Beendigung des Verbringungsvorgangs

Amtlicher Leitsatz:

Nur der vor Beendigung des Verbringungsvorgangs erlangte Besitz an unversteuerten Tabakwaren kann die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG begründen; der nach Beendigung des Verbringungsvorgangs begründete Besitz an unversteuerten Tabakwaren wird durch den Tatbestand der Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 AO) strafrechtlich erfasst (Fortführung von BGH, Urteil vom 2. Februar 2010 –1StR 635/09 zu § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG nF).

Sachverhalt:

Das LG Lübeck hat die Angeklagten wegen versuchter Steuerhehlerei verurteilt.

Der Angeklagte P hatte nach den tatrichterlichen Feststellungen im Oktober 2016 zwei Container an den Bekannten V seines Freundes K vermietet, der darin ohne Wissen des Angeklagten unversteuerte Zigaretten russischer Herkunft eingelagert hatte. Im Dezember 2016 war er dann von seinem Freund K gebeten worden beim Transport der Zigaretten zu helfen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war ihm bekannt gewesen, was in seinem Container gelagert worden war. Dennoch hatte der Angeklagte P im Januar 2017 als Fahrer des Transport-LKW zusammen mit dem Mitangeklagten J bei der Verbringung der Zigaretten geholfen. Während dieses Transports waren die Zigaretten vom Zoll entdeckt worden.

Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte P Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat zudem zuungunsten beider Angeklagten Revision eingelegt, da sie eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG oder § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO als verwirklicht angesehen hat.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch der beiden Angeklagten zu Beihilfe zur versuchten Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 Var. 4, Abs. 3 AO, §§ 22, 23, 27 StGB).

Zur Revision des Angeklagten P führte der Senat aus, dass das Verhalten des P gerade nicht darauf gerichtet gewesen sei dem Vortäter der Steuerhinterziehung V Absatzhilfe zu leisten, sondern lediglich den K bei seiner Hilfe für V zu unterstützen. Für eine Absatzhilfe i.S.d. § 374 Abs. 1 Var. 4 AO sei es erforderlich, dass sich der Täter an den Absatzbemühungen des Vortäters (hier V) oder eines Zwischenhehlers in dessen Interesse und auf dessen Weisung unselbstständig beteilige und dadurch im Lager des Vortäters stehe. Werde allerdings nicht der Vortäter, sondern lediglich ein Absatzhelfer unterstützt, wie in diesem Fall, handele es sich nur um eine Beihilfe zu dessen Tat.

Auch das Wissen um die und Billigen von der notwendigerweise verwirklichten Unterstützung des V durch Ps Handlung rechtfertige keine andere Bewertung, da diese zwangsweise während der Hilfe für K mitverwirklicht worden sei und es zudem am Einvernehmen zwischen P und dem ihm unbekannten V gefehlt habe, so der BGH.

Auch die Revision der Staatsanwaltschaft führe nicht zu einer Verschärfung der Urteile gegen die Angeklagten, denn eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen sei nicht gegeben.

Es fehle an einer Strafbewehrung etwaiger verbrauchssteuerlicher Erklärungspflichten nach Beendigung des Verbringungsvorgangs, denn nur wer vorsätzlich seine Verpflichtung, eine Steuererklärung über ins Steuergebiet verbrachte Tabakwaren abzugeben, verletze und dadurch Steuern nicht abführe, mache sich wegen Hinterziehung der Tabaksteuer strafbar.

In diesem Fall hätten die Angeklagten den Besitz an den Zigaretten allerdings erst erlangt, nachdem der Verbringungsvorgang in deutsches Steuergebiet bereits beendet gewesen sei. Dadurch seien sie nicht Steuerschuldner nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG geworden, was somit auch keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ausgelöst haben könne.

Steuerschuldner werde nur, wer als Lieferant oder sonstiger Beteiligter vor Beendigung des Verbringungsvorgans Besitz an den Tabakwaren erlangt habe, was sich aus dem Wortlaut und der Systematik des § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG ergebe. Da die Norm auf den Satz 1 bezugnehme, der die Entstehung des Steueranspruchs bei Verbringung der Tabakwaren ins Steuergebiet und erstmaliger Besitzbegründung regle, sei ersichtlich, dass mit Besitz i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG nur ein Besitz im Zusammenhang mit dem Verbringungsvorgang nach Satz 1 gemeint sein könne.

Dies stehe auch im Einklang mit der historischen und teleologischen Auslegung der Norm, denn sowohl die Richtlinie 92/12/EWG als auch die neue Systemrichtlinie (2008/118/EG), auf denen § 23 TabStG beruhe, bezweckten eine effektive, sichere und einheitliche Durchsetzung des Verbrauchsteueranspruchs in den Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck regle die Systemrichtlinie in Art. 33 Abs. 3, dass derjenige Steuerschuldner sei, der die Lieferung der Waren vornimmt oder in dessen Besitz sich die Waren bei der Lieferung befinden.

Schließlich ließe diese Auslegung auch keine Strafbarkeitslücken entstehen, da derjenige, der Tabakwaren illegal ins Steuergebiet verbringe nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO strafbar sei. Derjenige, der die Waren nicht selbst ins Steuergebiet verbringe aber vor Beendigung des Verbringungsvorgangs Besitz begründe, nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG und derjenige, der den Besitz erst nach Beendigung des Vorgangs begründe, über den Tatbestand der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 Var. 1, 2 AO.

Anmerkung der Redaktion:

Die neue Systemrichtlinie finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 23.07.2019 – 1 StR 433/18: Einordnung einer Waffe als Kriegswaffe nach § 1 Abs. 2 KrWaffG

Leitsatz der Redaktion:

Von § 1 Abs. 2 KrWaffG werden auch solche Waffen erfasst, mit denen eine vollautomatische Schussabgabe zwar aufgrund eingebauter Behinderungen oder fehlender Teile nicht möglich ist, deren volle Funktionsfähigkeit im Hinblick auf eine vollautomatische Schussabgabe aber jederzeit mit einfachen Werkzeugen, leicht zu beschaffenden Teilen und in verhältnismäßig kurzer Zeit von jedermann wiederherstellbar ist.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher unerlaubter Beförderung von Kriegswaffen und wegen vorsätzlicher unerlaubter Ausfuhr von Kriegswaffen verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte bei einem iranischen Waffenhersteller, der auch die AK 47 Kalaschnikow produzierte, 400 Gewehre nach seinen Plänen aus den Teilen der Kalaschnikow anfertigen lassen. Dabei hatte das Unternehmen die Einzelteile derart verändert, dass eine vollautomatische Schussabgabe nicht mehr möglich war. Allerdings war es mit Ersatzteilen und Anleitungen aus dem Internet in sehr kurzer Zeit möglich gewesen, diese baulichen Einschränkungen rückgängig zu machen und so eine vollautomatische Schussabgabe zu ermöglichen, was dem Angeklagten auch bekannt gewesen war. Er hatte jedoch gehofft, dass die Waffen keine Kriegswaffen darstellten. Im September 2011 hatte der Angeklagte zwei der Waffen an das Beschussamt verschickt und im Dezember eine Spedition mit der Ausfuhr der restlichen Waffen in die Schweiz beauftragt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf sowohl die Revision des Angeklagten als auch die der Staatsanwaltschaft und bestätigte damit das Urteil des LG Stuttgart.

Obwohl keine vollautomatische Schussabgabe (sog. Dauerfeuer) möglich gewesen sei, handele es sich bei den Gewehren um Kriegswaffen nach § 1 Abs. 2 des KrWaffG, da ein Rückbau zu einer vollautomatischen Waffe jederzeit mit geringem Aufwand durchführbar gewesen sei.

Für diese Auslegung des § 1 Abs. 2 KrWaffG spreche zum einen der Wortlaut der Norm, der Kriegswaffen als solche Gegenstände definiert, die „geeignet sind, allein, in Verbindung miteinander oder mit anderen Gegenständen … Zerstörungen oder Schäden an Personen oder Sachen zu verursachen“, was auf die Gewehre zutreffe.

Zudem wolle auch der Gesetzgeber solche Gegenstände mit dem KrWaffG erfassen, da er in der Gesetzesbegründung davon spreche, alle erdenklichen Lücken schließen zu wollen. Dies könne ihm jedoch nur gelingen, wenn nur solche Gegenstände ihre Kriegswaffeneigenschaft verlieren würden, die dauerhaft funktionsuntüchtig geworden seien oder deren Rückbau derart kompliziert und kostenintensiv sei, dass er absolut unverhältnismäßig sei.

Abschließend stellt der BGH auf den Sinn und Zweck des Kriegswaffenkontrollgesetzes ab, der umgangen würde, wenn von jedermann einfach zurückzubauende Waffen nicht vom Anwendungsbereich des Gesetztes erfasst würden.

Anmerkung der Redaktion:

Nach der Regelungstechnik des KrWaffG kommt es für die Einstufung als Kriegswaffe auf die formale Eintragung in die Kriegswaffenliste an (§ 1 Abs. 1 KrWaffG). Diese Liste kann gem. § 1 Abs. 2 KrWaffG von der Bundesregierung durch Verordnung und mit Zustimmung des Bundesrats aktualisiert werden. Maßgeblich für die Aufnahme einer Waffe in die Kriegswaffenliste ist die Definition in § 1 Abs. 2 KrWaffG, der in diesem Urteil vom BGH lehrbuchmäßig ausgelegt worden ist.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 09.05.2019 – 4 StR 578/18: Sicherungsverwahrung im Staufener Missbrauchsfall

Leitsatz der Redaktion:

Die tatrichterliche Prüfung des Vorliegens eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB ist strikt von der Gefahrenprognose zu trennen.

Sachverhalt:

Das LG Freiburg hat den Angeklagten u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Herstellen kinderpornographischer Schriften verurteilt. Von einer Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen.

Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen des Tatgerichts sein Opfer im Zeitraum von September 2016 bis August 2017 in 14 Fällen missbraucht, nachdem das Kind vom Lebensgefährten seiner Mutter im sog. Darknet gegen Entgelt zum sexuellen Missbrauch angeboten worden war.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat sich auf die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Entscheidung des LG, insoweit sie die Anordnung der Sicherungsverwahrung betraf, auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das LG Freiburg.

Als Begründung führte er an, dass das Tatgericht die Prüfung der Hangtäterschaft mit Elementen der Gefahrenprognose vermischt habe. Dadurch sei die umfassende Vergangenheitsbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten, die für die Annahme eines Hangs erforderlich sei, nicht mehr möglich gewesen.

Zwar habe das LG Risikofaktoren und prognostisch günstige Umstände im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Hangs einander gegenübergestellt, allerdings seien die Hangtäterschaft und die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit keine identischen Merkmale. Dies stelle schon die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB klar.

Der Hang sei ein gefestigter innerer Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lasse, wohingegen die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Tatbegehung in der Zukunft trotz des Hangs beschreibe. Der Hang sei innerhalb der Gefährlichkeitsprognose nur ein Kriterium, was für die Gefährlichkeit des Angeklagten spreche.

Aufgrund dieser Trennung habe das Tatgericht zunächst das Vorliegen eines Hangs festzustellen und sodann in einem zweiten Schritt prognostische Erwägungen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose anzustellen. Da das LG Freiburg die Ablehnung eines Hangs mit prognostischen Erwägungen, wie z. B. der Therapiewilligkeit des Angeklagten, begründet habe, genüge das Urteil nicht dem Erfordernis der strikten Trennung zwischen den beiden Prüfungen.

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall war als sog. Staufener Missbrauchsfall bundesweit bekannt geworden und hatte auch zu Ermittlungen gegen die zuständigen Jugendamtsmitarbeiter geführt. Eine Chronik der medialen Berichterstattung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 11.07.2019 – 1 StR 683/18: Keine Bande trotz mehrerer geplanter Taten

Leitsatz der Redaktion:

Bezieht sich die Abrede zur Begehung von mehreren Diebstahlstaten von Beginn an auf ein eng gegenständlich und zeitlich begrenztes Tatkonvolut, z. B. auf eine feststehende Menge an Diebstahlsobjekten, die innerhalb weniger Tage in Tatmehrheit gestohlen werden sollen, fehlt es an der Bandeneigenschaft.

Sachverhalt (gekürzt):

Das LG München II hat die Angeklagten u. a. wegen Diebstahls verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG hatten die Angeklagten R und Z beschlossen, die wohlhabende Geschädigte, die zu der Zeit im Krankenhaus behandelt worden war, zu bestehlen. Sie hatten geplant, das werthaltige Inventar nach und nach aus der Villa der Geschädigten zu entwenden und abzutransportieren. Die Bewertung des Wertes der Objekte übernahm der Mitangeklagte P. Die Ausführung dieses Plans hatte sich auf mehrere Tage erstreckt bis die Villa schließlich ausgeräumt war.

Mit der zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft hat diese gerügt, dass das LG die drei Angeklagten nicht als Bande i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen hatte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH wies die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück.

Das LG habe die Bandeneigenschaft der Gruppierung bestehend aus den drei Angeklagten rechtsfehlerfrei abgelehnt. Die Abrede zwischen R, Z und P sei nicht auf die Begehung einer unbestimmten Vielzahl im Einzelnen noch ungewisser Diebstahlstaten gerichtet gewesen, so der BGH.

Sie habe sich von Beginn an lediglich auf die feststehende Menge an Wertgegenstände bezogen, die die Angeklagten in der Villa würden finden können und welche dann so schnell wie möglich entwendet werden sollten. Das über mehrere Tage verteilte Ausräumen des Hauses stelle zwar mehrere Diebstahlstaten in Tatmehrheit dar, allerdings sei die Anzahl der Diebstahlstaten schon von Anfang an beschränkt gewesen und habe sich nach den Kapazitäten der Transportfahrzeuge und Lagerstätten bestimmt.

Dadurch, dass damit ein bestimmter Gesamterfolg, die Geschädigte sowie Ort, Zeit und Art der Rechtsverletzung für die Angeklagten festgestanden habe, habe es sich nicht um eine offene, sondern um eine geschlossene Abrede gehandelt.

Bei einer solchen fehle es aber gerade an der Gefährlichkeit der Gruppe, immer neue Diebstahlstaten zu generieren, was Anknüpfungspunkt des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB sei. Es bestehe kein Anreiz für die Gruppe aufgrund einer etwaigen engen Bindung weitere Taten zu begehen (Organisationsgefahr). Demgegenüber sei der Einschüchterungseffekt und die Durchsetzungskraft (Aktions- und Ausführungsgefahr), welche von einer größeren Gruppe ausgingen, nur sekundärer Schutzzweck des Qualifikationstatbestands.

Anmerkung der Redaktion:

Am 03.06.2015 hatte der 4. Strafsenat noch entschieden, dass eine Beschränkung von verabredeten Diebstahlstaten einer bandenmäßigen Begehung nicht entgegenstehe: BGH, Beschl. v. 03.06.2015 – 4 StR 193/15

 

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Urt. v. 05.07.2019 – 2 BvR 382/17: Begründete Zweifel an Aktualität eines psychiatrischen Gutachtens lösen Pflicht zur ergänzenden Sachverhaltsaufklärung aus

Leitsatz der Redaktion:

Wird die Aussetzung einer Maßregel zur Bewährung widerrufen, obwohl begründete Zweifel an der Aktualität des forensisch-psychiatrischen Gutachtens bestehen, verletzt dies den Beschwerdeführer in seinem Recht auf bestmögliche Sachverhaltsaufklärung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war vom LG Bonn im Juni 2004 wegen verschiedener Vermögensdelikte zu einer Haftstrafe unter Anordnung der anschließenden Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Nachdem er die Strafe verbüßt hatte, hat das LG Köln nach Einholung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens im Juli 2014 die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung angeordnet. Diese Anordnung war vom OLG Köln nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens im November 2014 aufgehoben und die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt worden. Im November 2016 hat das LG Bonn (im Januar 2017 bestätigt vom OLG Köln) ohne erneute Begutachtung des Beschwerdeführers die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung widerrufen, weil dieser gegen Weisungen der Führungsaufsicht verstoßen habe, was den Schluss zulasse, dass eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für den Zweck der Maßregel nunmehr erforderlich sei. Dabei haben sich sowohl LG als auch OLG auf die Prognosegutachten aus dem Jahr 2014 gestützt, obwohl der Beschwerdeführer von 2014 bis 2016 trotz seines Drogen- und Alkoholkonsums keine weiteren Straftaten begangen hat.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hob den Beschluss des LG Bonn aus 2016 und den des OLG Köln aus 2017 auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG verletzten.

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 GG stellten sicher, dass die Freiheit der Personen einen hohen Rang unter den Grundrechten einnehme und auf dem Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrechts vor allem zum Schutz der Allgemeinheit eingeschränkt werden dürfe. Dabei hätten die gesetzlichen Eingriffstatbestände durch die genaue Festlegung von Grenzen der zulässigen Freiheitsbeschränkung auch eine freiheitssichernde Funktion, welcher auch verfahrensrechtliche Bedeutung zukomme.

So sei es eine unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass freiheitsentziehende Maßnahmen auf zureichender und in tatsächlicher Hinsicht genügender Grundlage entsprechender richterlicher Sachverhaltsaufklärung beruhten.

Dieses Gebot bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung erschöpfe sich bei forensisch-psychiatrischen Prognosebegutachtungen nicht lediglich in der Beauftragung eines erfahrenen Sachverständigen, sondern es erfordere, dass nach dem, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls beeinflussten, pflichtgemäßen Ermessen des Richters weitere, an die aktuelle Entwicklung des Begutachteten angepasste, Gutachten einzuholen seien. Diese Pflicht bestehe, soweit im Rahmen einer gründlichen Prüfung hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Beweisfrage offen oder unzulänglich beantwortet sei und die Befragung eines Sachverständigen Klärung erwarten lasse.

Nach diesen Grundsätzen hätte es nach der zweijährigen strafrechtlichen Unauffälligkeit des Beschwerdeführers trotz Alkohol- und Drogenkonsums und einer möglichen Nachreifung seiner Persönlichkeitsstruktur eines erneuten Prognosegutachtens bedurft, um den vom LG angenommen und im Gutachten aus dem Jahr 2014 bescheinigten Zusammenhang zwischen Suchtmittelkonsum und Anlassdelinquenz überprüfen zu lassen, so das BVerfG.

Anmerkung der Redaktion:

Schon in einem Urteil vom 14. Januar 2005 (2 BvR 983/04) legte das BVerfG Maßstäbe zur Prognosebegutachtung fest und stellte klar, dass die Fortdauer einer Unterbringung im Maßregelvollzug nur angeordnet werden dürfe, wenn sie dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gerecht werde. Mit Urteil vom 7. Juni 2017 (1 StR 628/16) forderte auch der BGH eine dem aktuellen Behandlungszustand entsprechende Gefährlichkeitsprognose.

KriPoZ-RR, Beitrag 15/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 09.07.2019 – 1 BvR 1257/19: Verurteilung als faktischer Versammlungsleiter verstößt nicht gegen Analogieverbot und Schuldprinzip

Leitsatz der Redaktion:

Eine strafrechtliche Verwarnung unter Strafvorbehalt gegen den faktischen Leiter einer unangemeldeten Versammlung verstößt weder gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen das Schuldprinzip aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

Sachverhalt:

Das AG Heilbronn und bestätigend das OLG Stuttgart haben den Angeklagten wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung (§ 26 Nr. 2 VersammlG) schuldig gesprochen.

Der Beschwerdeführer hatte mit vier weiteren Aktivisten eine nicht angemeldete Demonstrationsveranstaltung abgehalten, bei der sich zwei Teilnehmer von einer Brücke abgeseilt und ein Banner zwischen sich aufgespannt hatten. Die Kletterausrüstung hatten sie ihrem Plan entsprechend mitgebracht und auch die Presse vorab über die Demonstration informiert. Der Beschwerdeführer hatte während der Veranstaltung beim Aufspannen des Banners geholfen, per Funk Anweisungen an die sich abseilenden Teilnehmer gegeben und auch das Ende der Versammlung bestimmt. Dieser Ansage waren alle Teilnehmer sofort nachgekommen.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Urteil des AG Heilbronn und den Beschluss des OLG Stuttgart und rügt eine Verletzung der Versammlungsfreiheit, des strafrechtlichen Analogieverbots und des Schuldprinzips, da er nicht zum förmlichen Leiter der Versammlung bestimmt worden sei und ihm die Durchführung somit nicht entgegengehalten werden könne.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Zur Begründung führte es aus:

Ein Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG festgelegte strafrechtliche Analogieverbot sei nicht gegeben. Zwar sei der in § 26 VersammlG verwendete Begriff des Leiters ein unbestimmter Rechtsbegriff, die Auslegung durch das AG, wonach auch der faktische und nicht förmlich bestimmte Leiter einer Versammlung als Leiter im Sinne der Vorschrift anzusehen sei, überschreite jedoch nicht die Wortlautgrenze. Auch die anderen Bestimmungen des Versammlungsrechts ergäben keine zwingende abweichende Bewertung bei der Auslegung, sondern bestätigten im Gegenteil die Auslegung des AG.

Ebenso wenig sei ein Verstoß gegen das Schuldprinzip festzustellen, da § 26 Nr. 2 VersammlG gerade nicht auf die unterlassene Anmeldung der Versammlung sondern auf ihre Durchführung abstelle. Während das Unterlassen der Anmeldung dem Leiter gegebenenfalls nicht vorgeworfen werden könne, so sei er jedenfalls für seine Mitwirkung in leitender Funktion an der Versammlung verantwortlich und hätte diese jederzeit unterlassen können.

Die vom AG Heilbronn gewählte Auslegung des § 26 Nr. 2 VersammlG sei schließlich auch mit Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar, denn sie sei geeignet einer Aushöhlung des Anmeldegebots aus § 14 Abs. 1 VersammlG bei nur geringer und damit verhältnismäßiger Einschränkung der Versammlungsfreiheit entgegenzuwirken. Die Gefahr einer Sanktionierung der bloßen Teilnahme an einer Versammlung wohne ihr gerade nicht inne, da die faktische Leitereigenschaft durch eindeutig erkennbare äußere Tatsachen begrenzt werde.

Anmerkung der Redaktion:

In der Literatur wird eine Bestrafung des sog. faktischen Versammlungsleiters teilweise wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot abgelehnt (so z.B. Breitbach, NJW 1984, 841-846).

KriPoZ-RR, Beitrag 14/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18: 3. Strafsenat des BGH sieht die unberechtigte Entnahme von Geldscheinen aus einem Geldautomaten, nachdem der Berechtigte Bankkarte und PIN eingegeben hat, als Wegnahme an

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Wer unberechtigt Geldscheine an sich nimmt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereit liegen, nachdem der Berechtigte den Auszahlungsvorgang durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, bricht den an den Geldscheinen bestehenden Gewahrsam des Geldinstituts.

Sachverhalt:

Das LG hat die Angeklagten wegen Raubes, Diebstahls und versuchten Diebstahls verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sie sich in verschiedenen Bankfilialen Kunden genähert, die gerade am Geldautomaten Geld abheben wollten. Nachdem die Kunden ihre Bankkarte und die dazugehörige PIN in den Geldautomaten eingegeben hatten, hatten die Angeklagten sie durch gezielte Ansprache und mit Prospekten abgelenkt und versucht einen möglichst hohen Geldbetrag einzugeben und unbemerkt aus dem Automaten zu entnehmen. Teilweise war ihnen dies gelungen, aber manche Kunden hatten das Vorgehen bemerkt und den Auszahlungsvorgang abgebrochen. In zwei Fällen hatten die Angeklagten einen Kunden nach Freigabe des Geldes vom Automaten weggestoßen, um die Geldscheine entnehmen zu können.

Entscheidung des BGH:

Der 3. Senat des BGH beabsichtigt die Revision der Angeklagten zu verwerfen und die Verurteilung durch das LG zumindest im Ergebnis zu bestätigen, denn die Angeklagten hätten mit den Geldscheinen fremde bewegliche Sachen weggenommen oder wenigstens unmittelbar dazu angesetzt.

Mit dieser Entscheidung würde der Senat von der Rechtsprechung des 2. Senats abweichen, der in einem gleichgelagerten Fall (2 StR 154/17) mangels Wegnahme auf räuberische Erpressung erkannt hat. Als Begründung hat er angeführt, dass ein Einverständnis zur Gewahrsamsübertragung der Bank vorliege, wenn der Automat technisch ordnungsgemäß bedient worden sei. Dieses Einverständnis sei nicht auf eine bestimmte Person konkretisiert und somit werde der Gewahrsam des Kreditinstituts nicht gebrochen. Daher fragt der 3. Senat mit diesem Beschluss gem. § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beim 2. Strafsenat an, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten werde.

Dazu führt der Senat aus:

Fremd seien die Scheine für die Angeklagten gewesen, da der Adressat des konkludenten Übereignungsangebots der Bank nach § 929 Satz 1 BGB nur der nach den vertraglichen Beziehungen berechtigte Kontoinhaber sei.

Die Bank könne kein Interesse daran haben, die Geldscheine an einen Unberechtigten zu übereignen, selbst wenn dieser den Automaten ordnungsgemäß bediene. Die Übereignung des Geldes an einen Unbefugten vertiefe den Missbrauch in Form der unberechtigten Besitzerlangung nur und verstoße zudem gegen die Schutzpflichten aus dem Girovertrag, so der BGH.

Auch eine Wegnahme durch die Angeklagten sei gegeben, denn diese hätten den weiterhin bestehenden Gewahrsam der Bank (nach Ansicht des LG, den Gewahrsam des berechtigten Kunden) gegen ihren Willen aufgehoben.

Der ursprüngliche Gewahrsam des Geldinstituts bestehe fort, solange dieses noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Scheine habe, denn auch gelockerter Gewahrsam könne fortbestehen, wenn der Gewahrsamsinhaber zwar eine bestehende Wegnahmesicherung aufgegeben habe, aber dennoch eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache bestehen bleibe. Durch die Freigabe der Scheine im Ausgabefach des Automaten verzichte die Bank zwar auf eine Wegnahmesicherung, dennoch wolle sie den Gewahrsam noch nicht aufgeben, was sich schon daraus ableiten lasse, dass die Scheine durch den Automaten wieder gesichert und eingezogen würden, wenn keine Entnahme stattfinde.

Dieser Gewahrsam des Geldinstituts sei durch die Angeklagten auch gegen dessen Willen aufgehoben worden, denn der Wille zur Gewahrsamsübertragung habe sich in diesem Zeitpunkt schon auf den Kunden konkretisiert, der den Automaten mittels Karte und PIN ordnungsgemäß bedient habe.

Zwar komme es bei der rein tatsächlichen Gewahrsamsübertragung – im Gegensatz zur Übereignung – nicht auf die materielle Berechtigung des neuen Gewahrsamsinhabers an. Allerdings sei allgemein anerkannt, dass das Einverständnis zur Gewahrsamsübertragung an Bedingungen gekoppelt werden könne, wenn diese äußerlich erkennbar seien, beispielsweise die ordnungsgemäße Bedienung bei Warenautomaten.

Nach diesen Maßstäben sei auch das Einverständnis der Bank an Bedingungen geknüpft und nur auf denjenigen konkretisiert, der sich durch die Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert und so den Geldausgabevorgang initiiert habe.

Aus diesem Grund sei die Eingabe der Betragshöhe durch die Angeklagten auch unerheblich, denn diese diene nicht der Autorisierung des Vorgangs, sondern nur der zweckmäßigen Abwicklung.

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 2. Strafsenats finden Sie hier: BGH, Beschl. v. 16.11.2017 – 2 StR 154/17

Dr. Mohamad El-Ghazi hat sich im jurisPR-StrafR mit der Entscheidung befasst: jurisPR-StrafR 6/2018 Anm. 1

KriPoZ-RR, Beitrag 13/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

OLG Hamm, Beschl. v. 01.08.2019 – 2 Ws 96/19: Nach Urteil des EuGH ergibt sich eine gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls

Amtlicher Leitsatz:

Aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO ergibt sich eine inländische gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für die unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 27. Mai 2019 – C-505/18 und C-82/19 zu treffende gerichtliche Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls.

Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Bochum hatte am 27. Juni 2017 gegen einen flüchtigen Verurteilten einen Europäischen Haftbefehl erlassen und aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 27. Mai 2019 bei dem LG Bochum die richterliche Ausfertigung des Europäischen Haftbefehls gem. § 457 Abs. 3 S. 3 StPO beantragt.

Das LG hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht zuständig sei. Weder ergebe sich eine Zuständigkeit aus § 457 Abs. 3 S. 3 StPO noch aus § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28.4.2004 i.V.m. dem gemeinsamen Runderlass des Justizministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums über die Ausübung der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, Berichtspflichten und die Zusammenarbeit im Europäischen Justiziellen Netz sowie mit transnationalen Verbindungsstellen vom 16.12.2016.

Entscheidung des OLG Hamm:

Das OLG hob den Beschluss des LG auf und stellte den Europäischen Haftbefehl gegen den Verurteilten aus.

Zwar ergebe sich die gerichtliche Zuständigkeit der Strafkammer nicht unmittelbar aus dem IRG, denn sowohl die aus § 74 IRG abgeleitete rechtshilferechtliche Befugnis zur Prüfung und Bewilligung von Auslieferungsersuchen als auch die aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO folgende innerstaatliche Befugnis zur Anordnung grenzüberschreitender Fahndungsmaßnahmen lägen in der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften.

Allerdings lasse sich diese Praxis nach dem Urteil des EuGH vom 27. Mai 2019, in dem dieser entschieden hatte, dass die ausstellende Justizbehörde im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEUHb) nur eine solche sein kann, die unabhängig von Weisungen der Exekutive handelt, nicht länger aufrechterhalten.

Nach den Maßstäben der EuGH-Entscheidung seien Europäische Haftbefehle nunmehr von Gerichten als ausstellender Justizbehörde zu erlassen.

Auch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften für den Erlass eines innerstaatlichen Vorführungs- oder Vollstreckungshaftbefehls spreche nicht gegen dieses Vorgehen, da sich ein innerstaatlicher Vollstreckungshaftbefehl nach der Rechtsnatur und dem Wirkungskreis erheblich von einem Europäischen Haftbefehl unterscheide und somit strikt von diesem zu trennen sei.

Somit sei eine einschränkende rahmenbeschlusskonforme Auslegung der §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO nötig, die dazu führe, dass der nach §§ 131, 162 StPO zuständige Richter im Bereich der Strafverfolgung und das Gericht des ersten Rechtszuges im Bereich der Strafvollstreckung (§§ 131, 457 Abs. 3 StPO) für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls ausschließlich zuständig seien.

Anmerkung der Redaktion:

Der Europäische Haftbefehl wurde 2002 eingeführt und sorgte für die gegenseitige Anerkennung nationaler Haftbefehle. Am 27. Mai 2019 urteilte der EuGH, dass die weisungsgebundenen deutschen Staatsanwaltschaften solche EU-weiten Haftbefehle nicht mehr als ausstellende Justizbehörde erlassen dürfen (Link zum Urteil). Dem Urteil folgte eine Debatte zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in Deutschland, aufgrund derer die FDP-Fraktion einen Gesetzesentwurf „zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft“ in den Bundestag einbrachte. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19: Flucht vor Polizeiwagen kann Rennen i. S. d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sein

Amtlicher Leitsatz:

Das in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Handeln, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, setzt lediglich voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten oder nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximale mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Welche weiteren Ziele der Täter verfolgt, ist unerheblich. Auch der Wille des Täters, vor einem ihn verfolgenden Polizeifahrzeug zu fliehen, schließt die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, nicht aus.

Sachverhalt:

Das AG Münsingen hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt.

Dieser war mit seinem PKW einem polizeilichen Haltesignal bei einer Verkehrskontrolle nicht nachgekommen und anschließend mit stark überhöhter Geschwindigkeit geflohen. Dabei überfuhr er eine rote Ampel und schnitt mit einer Geschwindigkeit von 160 bis 180 km/h bei erlaubten 70 km/h die Kurven einer unübersichtlichen Landstraße in grob verkehrsgefährdender Weise.

Entscheidung des OLG Stuttgart:

Das OLG verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet.

Nach Ansicht des Gerichts fordere § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht die Absicht, die mit dem Fahrzeug objektiv höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, sondern es genüge, dass eine relative Höchstgeschwindigkeit unter Berücksichtigung von Kriterien wie der fahrzeugspezifischen Höchstgeschwindigkeit, dem subj. Geschwindigkeitsempfinden, der Verkehrslage und den Witterungsbedingungen erreicht werden solle.

Auch müsse diese Absicht, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Dafür spreche vor allem der Schutzzweck des neuen § 315d StGB, der das abstrakt höhere Gefährdungspotential einer Fahrt mit Renncharakter adressiere. Für dieses erhöhte Gefährdungspotential sei es unerheblich, welche Motive oder Beweggründe die Absicht des Täters, eine relative Höchstgeschwindigkeit erreichen zu wollen, letztlich ausgelöst hätten. Daher sei eine Unterscheidung zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation nicht sachdienlich.

Zudem gebe der Wortlaut der Norm keinen Anlass dazu, eine Flucht vor einem Polizeiwagen nicht als Wettbewerb oder Leistungsprüfung einzustufen. Der typische Unterschied zwischen einem Rennen als Wettbewerb und einer bloßen Geschwindigkeitsüberschreitung sei nämlich, dass die Aufmerksamkeit des Täters bei einem Rennen nicht nur dem Verkehr gelte, sondern auch von seinem Gegner gebunden werde. Dieser Umstand liege allerdings bei Verfolgungsjagden durch die Polizei ebenfalls vor, so das OLG.

Anmerkung der Redaktion:

Der Tatbestand der verbotenen Kraftfahrzeugrennen wurde am 12. Oktober 2017 in das StGB eingefügt. Anlass waren einige sog. Ampelrennen in Innenstädten deutscher Großstädte, die teilweise für Fahrer oder Passanten tödlich endeten (siehe beispielsweise hier). Weitere Informationen zu § 315d StGB finden Sie hier. Zudem erschien ein Beitrag zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB von Dahlke und Hoffmann-Holland in der KriPoZ. Auch Prof. Eisele veröffentlichte einen Aufsatz zu den verbotenen Straßenrennen.

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