KriPoZ-RR, Beitrag 16/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Urt. v. 05.07.2019 – 2 BvR 382/17: Begründete Zweifel an Aktualität eines psychiatrischen Gutachtens lösen Pflicht zur ergänzenden Sachverhaltsaufklärung aus

Leitsatz der Redaktion:

Wird die Aussetzung einer Maßregel zur Bewährung widerrufen, obwohl begründete Zweifel an der Aktualität des forensisch-psychiatrischen Gutachtens bestehen, verletzt dies den Beschwerdeführer in seinem Recht auf bestmögliche Sachverhaltsaufklärung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war vom LG Bonn im Juni 2004 wegen verschiedener Vermögensdelikte zu einer Haftstrafe unter Anordnung der anschließenden Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Nachdem er die Strafe verbüßt hatte, hat das LG Köln nach Einholung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens im Juli 2014 die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung angeordnet. Diese Anordnung war vom OLG Köln nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens im November 2014 aufgehoben und die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt worden. Im November 2016 hat das LG Bonn (im Januar 2017 bestätigt vom OLG Köln) ohne erneute Begutachtung des Beschwerdeführers die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung widerrufen, weil dieser gegen Weisungen der Führungsaufsicht verstoßen habe, was den Schluss zulasse, dass eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für den Zweck der Maßregel nunmehr erforderlich sei. Dabei haben sich sowohl LG als auch OLG auf die Prognosegutachten aus dem Jahr 2014 gestützt, obwohl der Beschwerdeführer von 2014 bis 2016 trotz seines Drogen- und Alkoholkonsums keine weiteren Straftaten begangen hat.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hob den Beschluss des LG Bonn aus 2016 und den des OLG Köln aus 2017 auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG verletzten.

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 GG stellten sicher, dass die Freiheit der Personen einen hohen Rang unter den Grundrechten einnehme und auf dem Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrechts vor allem zum Schutz der Allgemeinheit eingeschränkt werden dürfe. Dabei hätten die gesetzlichen Eingriffstatbestände durch die genaue Festlegung von Grenzen der zulässigen Freiheitsbeschränkung auch eine freiheitssichernde Funktion, welcher auch verfahrensrechtliche Bedeutung zukomme.

So sei es eine unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass freiheitsentziehende Maßnahmen auf zureichender und in tatsächlicher Hinsicht genügender Grundlage entsprechender richterlicher Sachverhaltsaufklärung beruhten.

Dieses Gebot bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung erschöpfe sich bei forensisch-psychiatrischen Prognosebegutachtungen nicht lediglich in der Beauftragung eines erfahrenen Sachverständigen, sondern es erfordere, dass nach dem, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls beeinflussten, pflichtgemäßen Ermessen des Richters weitere, an die aktuelle Entwicklung des Begutachteten angepasste, Gutachten einzuholen seien. Diese Pflicht bestehe, soweit im Rahmen einer gründlichen Prüfung hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Beweisfrage offen oder unzulänglich beantwortet sei und die Befragung eines Sachverständigen Klärung erwarten lasse.

Nach diesen Grundsätzen hätte es nach der zweijährigen strafrechtlichen Unauffälligkeit des Beschwerdeführers trotz Alkohol- und Drogenkonsums und einer möglichen Nachreifung seiner Persönlichkeitsstruktur eines erneuten Prognosegutachtens bedurft, um den vom LG angenommen und im Gutachten aus dem Jahr 2014 bescheinigten Zusammenhang zwischen Suchtmittelkonsum und Anlassdelinquenz überprüfen zu lassen, so das BVerfG.

Anmerkung der Redaktion:

Schon in einem Urteil vom 14. Januar 2005 (2 BvR 983/04) legte das BVerfG Maßstäbe zur Prognosebegutachtung fest und stellte klar, dass die Fortdauer einer Unterbringung im Maßregelvollzug nur angeordnet werden dürfe, wenn sie dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gerecht werde. Mit Urteil vom 7. Juni 2017 (1 StR 628/16) forderte auch der BGH eine dem aktuellen Behandlungszustand entsprechende Gefährlichkeitsprognose.

KriPoZ-RR, Beitrag 15/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 09.07.2019 – 1 BvR 1257/19: Verurteilung als faktischer Versammlungsleiter verstößt nicht gegen Analogieverbot und Schuldprinzip

Leitsatz der Redaktion:

Eine strafrechtliche Verwarnung unter Strafvorbehalt gegen den faktischen Leiter einer unangemeldeten Versammlung verstößt weder gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen das Schuldprinzip aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

Sachverhalt:

Das AG Heilbronn und bestätigend das OLG Stuttgart haben den Angeklagten wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung (§ 26 Nr. 2 VersammlG) schuldig gesprochen.

Der Beschwerdeführer hatte mit vier weiteren Aktivisten eine nicht angemeldete Demonstrationsveranstaltung abgehalten, bei der sich zwei Teilnehmer von einer Brücke abgeseilt und ein Banner zwischen sich aufgespannt hatten. Die Kletterausrüstung hatten sie ihrem Plan entsprechend mitgebracht und auch die Presse vorab über die Demonstration informiert. Der Beschwerdeführer hatte während der Veranstaltung beim Aufspannen des Banners geholfen, per Funk Anweisungen an die sich abseilenden Teilnehmer gegeben und auch das Ende der Versammlung bestimmt. Dieser Ansage waren alle Teilnehmer sofort nachgekommen.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Urteil des AG Heilbronn und den Beschluss des OLG Stuttgart und rügt eine Verletzung der Versammlungsfreiheit, des strafrechtlichen Analogieverbots und des Schuldprinzips, da er nicht zum förmlichen Leiter der Versammlung bestimmt worden sei und ihm die Durchführung somit nicht entgegengehalten werden könne.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Zur Begründung führte es aus:

Ein Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG festgelegte strafrechtliche Analogieverbot sei nicht gegeben. Zwar sei der in § 26 VersammlG verwendete Begriff des Leiters ein unbestimmter Rechtsbegriff, die Auslegung durch das AG, wonach auch der faktische und nicht förmlich bestimmte Leiter einer Versammlung als Leiter im Sinne der Vorschrift anzusehen sei, überschreite jedoch nicht die Wortlautgrenze. Auch die anderen Bestimmungen des Versammlungsrechts ergäben keine zwingende abweichende Bewertung bei der Auslegung, sondern bestätigten im Gegenteil die Auslegung des AG.

Ebenso wenig sei ein Verstoß gegen das Schuldprinzip festzustellen, da § 26 Nr. 2 VersammlG gerade nicht auf die unterlassene Anmeldung der Versammlung sondern auf ihre Durchführung abstelle. Während das Unterlassen der Anmeldung dem Leiter gegebenenfalls nicht vorgeworfen werden könne, so sei er jedenfalls für seine Mitwirkung in leitender Funktion an der Versammlung verantwortlich und hätte diese jederzeit unterlassen können.

Die vom AG Heilbronn gewählte Auslegung des § 26 Nr. 2 VersammlG sei schließlich auch mit Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar, denn sie sei geeignet einer Aushöhlung des Anmeldegebots aus § 14 Abs. 1 VersammlG bei nur geringer und damit verhältnismäßiger Einschränkung der Versammlungsfreiheit entgegenzuwirken. Die Gefahr einer Sanktionierung der bloßen Teilnahme an einer Versammlung wohne ihr gerade nicht inne, da die faktische Leitereigenschaft durch eindeutig erkennbare äußere Tatsachen begrenzt werde.

Anmerkung der Redaktion:

In der Literatur wird eine Bestrafung des sog. faktischen Versammlungsleiters teilweise wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot abgelehnt (so z.B. Breitbach, NJW 1984, 841-846).

KriPoZ-RR, Beitrag 14/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18: 3. Strafsenat des BGH sieht die unberechtigte Entnahme von Geldscheinen aus einem Geldautomaten, nachdem der Berechtigte Bankkarte und PIN eingegeben hat, als Wegnahme an

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Wer unberechtigt Geldscheine an sich nimmt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereit liegen, nachdem der Berechtigte den Auszahlungsvorgang durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, bricht den an den Geldscheinen bestehenden Gewahrsam des Geldinstituts.

Sachverhalt:

Das LG hat die Angeklagten wegen Raubes, Diebstahls und versuchten Diebstahls verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sie sich in verschiedenen Bankfilialen Kunden genähert, die gerade am Geldautomaten Geld abheben wollten. Nachdem die Kunden ihre Bankkarte und die dazugehörige PIN in den Geldautomaten eingegeben hatten, hatten die Angeklagten sie durch gezielte Ansprache und mit Prospekten abgelenkt und versucht einen möglichst hohen Geldbetrag einzugeben und unbemerkt aus dem Automaten zu entnehmen. Teilweise war ihnen dies gelungen, aber manche Kunden hatten das Vorgehen bemerkt und den Auszahlungsvorgang abgebrochen. In zwei Fällen hatten die Angeklagten einen Kunden nach Freigabe des Geldes vom Automaten weggestoßen, um die Geldscheine entnehmen zu können.

Entscheidung des BGH:

Der 3. Senat des BGH beabsichtigt die Revision der Angeklagten zu verwerfen und die Verurteilung durch das LG zumindest im Ergebnis zu bestätigen, denn die Angeklagten hätten mit den Geldscheinen fremde bewegliche Sachen weggenommen oder wenigstens unmittelbar dazu angesetzt.

Mit dieser Entscheidung würde der Senat von der Rechtsprechung des 2. Senats abweichen, der in einem gleichgelagerten Fall (2 StR 154/17) mangels Wegnahme auf räuberische Erpressung erkannt hat. Als Begründung hat er angeführt, dass ein Einverständnis zur Gewahrsamsübertragung der Bank vorliege, wenn der Automat technisch ordnungsgemäß bedient worden sei. Dieses Einverständnis sei nicht auf eine bestimmte Person konkretisiert und somit werde der Gewahrsam des Kreditinstituts nicht gebrochen. Daher fragt der 3. Senat mit diesem Beschluss gem. § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beim 2. Strafsenat an, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten werde.

Dazu führt der Senat aus:

Fremd seien die Scheine für die Angeklagten gewesen, da der Adressat des konkludenten Übereignungsangebots der Bank nach § 929 Satz 1 BGB nur der nach den vertraglichen Beziehungen berechtigte Kontoinhaber sei.

Die Bank könne kein Interesse daran haben, die Geldscheine an einen Unberechtigten zu übereignen, selbst wenn dieser den Automaten ordnungsgemäß bediene. Die Übereignung des Geldes an einen Unbefugten vertiefe den Missbrauch in Form der unberechtigten Besitzerlangung nur und verstoße zudem gegen die Schutzpflichten aus dem Girovertrag, so der BGH.

Auch eine Wegnahme durch die Angeklagten sei gegeben, denn diese hätten den weiterhin bestehenden Gewahrsam der Bank (nach Ansicht des LG, den Gewahrsam des berechtigten Kunden) gegen ihren Willen aufgehoben.

Der ursprüngliche Gewahrsam des Geldinstituts bestehe fort, solange dieses noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Scheine habe, denn auch gelockerter Gewahrsam könne fortbestehen, wenn der Gewahrsamsinhaber zwar eine bestehende Wegnahmesicherung aufgegeben habe, aber dennoch eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache bestehen bleibe. Durch die Freigabe der Scheine im Ausgabefach des Automaten verzichte die Bank zwar auf eine Wegnahmesicherung, dennoch wolle sie den Gewahrsam noch nicht aufgeben, was sich schon daraus ableiten lasse, dass die Scheine durch den Automaten wieder gesichert und eingezogen würden, wenn keine Entnahme stattfinde.

Dieser Gewahrsam des Geldinstituts sei durch die Angeklagten auch gegen dessen Willen aufgehoben worden, denn der Wille zur Gewahrsamsübertragung habe sich in diesem Zeitpunkt schon auf den Kunden konkretisiert, der den Automaten mittels Karte und PIN ordnungsgemäß bedient habe.

Zwar komme es bei der rein tatsächlichen Gewahrsamsübertragung – im Gegensatz zur Übereignung – nicht auf die materielle Berechtigung des neuen Gewahrsamsinhabers an. Allerdings sei allgemein anerkannt, dass das Einverständnis zur Gewahrsamsübertragung an Bedingungen gekoppelt werden könne, wenn diese äußerlich erkennbar seien, beispielsweise die ordnungsgemäße Bedienung bei Warenautomaten.

Nach diesen Maßstäben sei auch das Einverständnis der Bank an Bedingungen geknüpft und nur auf denjenigen konkretisiert, der sich durch die Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert und so den Geldausgabevorgang initiiert habe.

Aus diesem Grund sei die Eingabe der Betragshöhe durch die Angeklagten auch unerheblich, denn diese diene nicht der Autorisierung des Vorgangs, sondern nur der zweckmäßigen Abwicklung.

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 2. Strafsenats finden Sie hier: BGH, Beschl. v. 16.11.2017 – 2 StR 154/17

Dr. Mohamad El-Ghazi hat sich im jurisPR-StrafR mit der Entscheidung befasst: jurisPR-StrafR 6/2018 Anm. 1

KriPoZ-RR, Beitrag 13/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

OLG Hamm, Beschl. v. 01.08.2019 – 2 Ws 96/19: Nach Urteil des EuGH ergibt sich eine gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls

Amtlicher Leitsatz:

Aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO ergibt sich eine inländische gerichtliche Befugnis und Zuständigkeit für die unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 27. Mai 2019 – C-505/18 und C-82/19 zu treffende gerichtliche Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls.

Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Bochum hatte am 27. Juni 2017 gegen einen flüchtigen Verurteilten einen Europäischen Haftbefehl erlassen und aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 27. Mai 2019 bei dem LG Bochum die richterliche Ausfertigung des Europäischen Haftbefehls gem. § 457 Abs. 3 S. 3 StPO beantragt.

Das LG hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht zuständig sei. Weder ergebe sich eine Zuständigkeit aus § 457 Abs. 3 S. 3 StPO noch aus § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28.4.2004 i.V.m. dem gemeinsamen Runderlass des Justizministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums über die Ausübung der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, Berichtspflichten und die Zusammenarbeit im Europäischen Justiziellen Netz sowie mit transnationalen Verbindungsstellen vom 16.12.2016.

Entscheidung des OLG Hamm:

Das OLG hob den Beschluss des LG auf und stellte den Europäischen Haftbefehl gegen den Verurteilten aus.

Zwar ergebe sich die gerichtliche Zuständigkeit der Strafkammer nicht unmittelbar aus dem IRG, denn sowohl die aus § 74 IRG abgeleitete rechtshilferechtliche Befugnis zur Prüfung und Bewilligung von Auslieferungsersuchen als auch die aus den §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO folgende innerstaatliche Befugnis zur Anordnung grenzüberschreitender Fahndungsmaßnahmen lägen in der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften.

Allerdings lasse sich diese Praxis nach dem Urteil des EuGH vom 27. Mai 2019, in dem dieser entschieden hatte, dass die ausstellende Justizbehörde im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEUHb) nur eine solche sein kann, die unabhängig von Weisungen der Exekutive handelt, nicht länger aufrechterhalten.

Nach den Maßstäben der EuGH-Entscheidung seien Europäische Haftbefehle nunmehr von Gerichten als ausstellender Justizbehörde zu erlassen.

Auch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften für den Erlass eines innerstaatlichen Vorführungs- oder Vollstreckungshaftbefehls spreche nicht gegen dieses Vorgehen, da sich ein innerstaatlicher Vollstreckungshaftbefehl nach der Rechtsnatur und dem Wirkungskreis erheblich von einem Europäischen Haftbefehl unterscheide und somit strikt von diesem zu trennen sei.

Somit sei eine einschränkende rahmenbeschlusskonforme Auslegung der §§ 131 Abs. 1, 457 Abs. 3 StPO nötig, die dazu führe, dass der nach §§ 131, 162 StPO zuständige Richter im Bereich der Strafverfolgung und das Gericht des ersten Rechtszuges im Bereich der Strafvollstreckung (§§ 131, 457 Abs. 3 StPO) für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls ausschließlich zuständig seien.

Anmerkung der Redaktion:

Der Europäische Haftbefehl wurde 2002 eingeführt und sorgte für die gegenseitige Anerkennung nationaler Haftbefehle. Am 27. Mai 2019 urteilte der EuGH, dass die weisungsgebundenen deutschen Staatsanwaltschaften solche EU-weiten Haftbefehle nicht mehr als ausstellende Justizbehörde erlassen dürfen (Link zum Urteil). Dem Urteil folgte eine Debatte zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in Deutschland, aufgrund derer die FDP-Fraktion einen Gesetzesentwurf „zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft“ in den Bundestag einbrachte. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19: Flucht vor Polizeiwagen kann Rennen i. S. d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sein

Amtlicher Leitsatz:

Das in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Handeln, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, setzt lediglich voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten oder nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximale mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Welche weiteren Ziele der Täter verfolgt, ist unerheblich. Auch der Wille des Täters, vor einem ihn verfolgenden Polizeifahrzeug zu fliehen, schließt die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, nicht aus.

Sachverhalt:

Das AG Münsingen hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt.

Dieser war mit seinem PKW einem polizeilichen Haltesignal bei einer Verkehrskontrolle nicht nachgekommen und anschließend mit stark überhöhter Geschwindigkeit geflohen. Dabei überfuhr er eine rote Ampel und schnitt mit einer Geschwindigkeit von 160 bis 180 km/h bei erlaubten 70 km/h die Kurven einer unübersichtlichen Landstraße in grob verkehrsgefährdender Weise.

Entscheidung des OLG Stuttgart:

Das OLG verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet.

Nach Ansicht des Gerichts fordere § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht die Absicht, die mit dem Fahrzeug objektiv höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, sondern es genüge, dass eine relative Höchstgeschwindigkeit unter Berücksichtigung von Kriterien wie der fahrzeugspezifischen Höchstgeschwindigkeit, dem subj. Geschwindigkeitsempfinden, der Verkehrslage und den Witterungsbedingungen erreicht werden solle.

Auch müsse diese Absicht, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Dafür spreche vor allem der Schutzzweck des neuen § 315d StGB, der das abstrakt höhere Gefährdungspotential einer Fahrt mit Renncharakter adressiere. Für dieses erhöhte Gefährdungspotential sei es unerheblich, welche Motive oder Beweggründe die Absicht des Täters, eine relative Höchstgeschwindigkeit erreichen zu wollen, letztlich ausgelöst hätten. Daher sei eine Unterscheidung zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation nicht sachdienlich.

Zudem gebe der Wortlaut der Norm keinen Anlass dazu, eine Flucht vor einem Polizeiwagen nicht als Wettbewerb oder Leistungsprüfung einzustufen. Der typische Unterschied zwischen einem Rennen als Wettbewerb und einer bloßen Geschwindigkeitsüberschreitung sei nämlich, dass die Aufmerksamkeit des Täters bei einem Rennen nicht nur dem Verkehr gelte, sondern auch von seinem Gegner gebunden werde. Dieser Umstand liege allerdings bei Verfolgungsjagden durch die Polizei ebenfalls vor, so das OLG.

Anmerkung der Redaktion:

Der Tatbestand der verbotenen Kraftfahrzeugrennen wurde am 12. Oktober 2017 in das StGB eingefügt. Anlass waren einige sog. Ampelrennen in Innenstädten deutscher Großstädte, die teilweise für Fahrer oder Passanten tödlich endeten (siehe beispielsweise hier). Weitere Informationen zu § 315d StGB finden Sie hier. Zudem erschien ein Beitrag zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB von Dahlke und Hoffmann-Holland in der KriPoZ. Auch Prof. Eisele veröffentlichte einen Aufsatz zu den verbotenen Straßenrennen.

KriPoZ-RR, Beitrag 11/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 BvR 1099/16: Verbot des Vereins Gremium Motorcycle Club und seiner Ortsgruppen ist verfassungsgemäß

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die Merkmale der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 VereinsG sind weit auszulegen und umschreiben im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 und 2 GG den Begriff der Vereinigung.
  2. Ein formaler konstitutiver Akt ist für eine Einordnung als Verein nicht erforderlich. Es genügt eine faktische Unterwerfung unter eine Organisationsstruktur, die eine organisierte Willensbildung ermöglicht.
  3. Eine einzelne strafrechtliche Verurteilung ist keine notwendige Voraussetzung für den Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 Var. 1 GG, sie kann aber für eine Rechtfertigung genügen, wenn sie hinreichend schwer wiegt.

Sachverhalt:

Das Bundesministerium des Innern hat den Regionalverband Gremium Motorcycle Club Sachsen und seine Ortsgruppen mit Verfügung vom 28. Mai 2013 verboten, weil Zweck und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen. Dieses Verbot ist vom BVerwG am 7. Januar 2016 bestätigt worden.

Nach den Feststellungen des BVerwG kam es zu einem versuchten Tötungsdelikt durch die Mitglieder der Ortsgruppen, welches sich auch für den Regionalverband erkennbar als Clubangelegenheit herausstellte. Dennoch habe es der Beschwerdeführer unterlassen Sanktionen gegenüber den beteiligten Mitgliedern zu verhängen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die vom Beschwerdeführer gerügten Verletzungen von Art. 103 GG und Art. 9 Abs. 1 GG seien teils unzulässig und teils unbegründet.

Die Rüge einer Verletzung von Art. 103 GG sei nicht hinreichend substantiiert begründet und damit unzulässig.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Einwand, der Regionalverband sei als Beschwerdeführer fingiert worden, um alle Ortsgruppen verbieten zu können, sei zudem nicht tragfähig, so das BVerfG. Die Merkmale der Legaldefinition eines Vereins aus § 2 Abs. 1 VereinsG seien eine verfassungsgemäße Umschreibung der Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG und weit auszulegen, um den Schutz des Art. 9 Abs. 2 GG vor einem Verbot auf möglichst viele Vereinigungen zu erstrecken.

Aufgrund dieser weiten Auslegung genüge schon eine faktische Unterwerfung unter eine autoritäre Organisationsstruktur, die eine organisierte Willensbildung ermögliche, um als Verein zu gelten. Ein formaler konstitutiver Akt sei nicht erforderlich. Diese faktische Unterwerfung habe das BVerwG nachvollziehbar in dem Verhältnis zwischen den Ortsverbänden und dem Regionalverband festgestellt, z.B. anhand der Wahl eines Regionalsprechers und der Abhaltung von Regionalversammlungen.

Inhaltlich sei das Verbot durch Art. 9 Abs. 1 Var. 1 GG gerechtfertigt, wenn Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung den Strafgesetzen zuwiderliefen, wenn also Organe, Mitglieder oder auch Dritte Strafgesetze verletzen und dies der Vereinigung zuzurechnen sei, weil sie erkennbar für die Vereinigung aufträten und diese das zumindest billige, oder weil die Begehung durch die Vereinigung bewusst hervorgerufen oder bestärkt, ermöglicht oder erleichtert werde.

Der tatsächliche Nachweis einer konkreten von der Vereinigung geplanten oder gebilligten Tat sei nicht erforderlich. An strafrechtliche Verurteilungen sei das Vereinigungsverbot als eigenständiges präventives Mittel des Verfassungsschutzes gerade nicht gebunden. Es genüge, dass das Tatgericht feststelle, dass die Führungspersonen der Vereinigung in den Entscheidungsprozess miteinbezogen gewesen seien. Dies habe das BVerwG im vorliegenden Fall nachvollziehbar begründet.

Grundsätzlich sei es jedoch möglich, dass eine einzelne Straftat ein Verbot der Vereinigung rechtfertige, wenn diese hinreichend schwer wiege und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.

Anmerkung der Redaktion:

Die Pressemitteilung des BVerfG finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 10/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 BvR 385/16Verbot des Vereins Farben für Waisenkinder e.V. ist verfassungsgemäß

Leitsatz der Redaktion:

Ein Vereinsverbot gemäß Art. 9 Abs. 2 GG ist auch dann verfassungsgemäß, wenn die Vereinigung terroristische Handlungen Dritter oder andere Organisationen finanziell fördert, diese Förderung geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen und die Vereinigung dies weiß und zumindest billigt.

Sachverhalt:

Das Bundesministerium des Innern hat den Verein Farben für Waisenkinder e.V. mit Verfügung vom 2. April 2014 verboten, weil er sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Dieses Verbot ist vom BVerwG am 16. November 2015 bestätigt worden. Nach den Feststellungen des BVerwG hatte der Beschwerdeführer über einen langen Zeitraum und in erheblichem Umfang die Shahid Stiftung aus dem Libanon finanziell unterstützt. Diese sei in die Strukturen der Hisbollah eingebunden und unterstütze somit die gewaltsamen Aktivitäten der Hisbollah gegen Israel.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die vom Beschwerdeführer gerügten Verletzungen von Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seien teils unzulässig und teils unbegründet.

Der Verein könne sich nicht auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen, so das BVerfG, da insoweit die Anforderungen an das Begründungserfordernis der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG nicht erfüllt seien. Der Beschwerdeführer sei zwar erkennbar in einem religiösen Kontext tätig, daraus ergebe sich aber nicht zwingend, dass der Verein als solcher und seine Vereinstätigkeit religiös ausgerichtet sei.

Darüber hinaus sei der Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG gerechtfertigt.

Ein Vereinigungsverbot nach Art. 9 Abs. 2 Var. 3 GG sei gerechtfertigt, wenn die Vereinigung in den internationalen Beziehungen Gewalt oder vergleichbar schwerwiegende völkerrechtswidrige Handlungen aktiv propagiere und fördere. Ein solches tatbestandliches Verhalten könne auch mittelbar durch die finanzielle Förderung von Organisationen stattfinden, die terroristisch aktiv sind. Dafür müsse die Förderung objektiv geeignet sein, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen und die unterstützende Organisation müsse dies wissen und billigen.

Dass die Shahid Stiftung eine solche terroristisch aktive Organisation sei und die Spenden somit auch geeignet gewesen seien, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen, habe das BVerwG nachvollziehbar dargelegt. Somit sei auch der Art. 9 Abs. 2 GG als sog. verfassungsunmittelbare Schranke hinreichend eng ausgelegt worden, was der Beschwerdeführer gerügt hatte.

Zudem habe das BVerwG beachtet, dass ein Vereinigungsverbot als ultima ratio nur verhältnismäßig sei, wenn die Gründe für das Verbot die Vereinigung in ihren Grundsätzen prägten und die völkerverständigungsfeindliche Ausrichtung hinreichend schwer wiege.

Auch diese Feststellung habe die Vorinstanz ohne Verfassungsverstoß getroffen.

Anmerkung der Redaktion:

Die Pressemitteilung des BVerfG finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 09/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.05.2019 – 3 StR 47/19: Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 3 VereinsG auch möglich, wenn der Angeklagte keine persönliche Beziehung zu dem verbotenen Verein unterhalten hat

Leitsatz der Redaktion:

§ 9 Abs. 3 VereinsG (nF) ist auch einschlägig, wenn der Beschuldigte keine persönlichen Beziehungen zu dem verbotenen Verein unterhalten oder sich nicht schon durch eine Mitgliedschaft strafbar gemacht hat.

Sachverhalt:

Das LG Bochum hat den Angeklagten wegen des öffentlichen Verwendens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins in im Wesentlichen gleicher Form gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 3 VereinsG verurteilt.

Er hatte auf dem Rücken an seiner Lederweste das Zeichen und den Schriftzug der Rockergruppierung „Bandidos“ angebracht und um einen sog. Bottom-Rocker mit seiner Ortsbezeichnung ergänzt. Dabei war ihm bewusst, dass andere Ortsgruppen der „Bandidos“ bereits verboten worden waren, was allerdings für seine Ortsgruppe noch nicht galt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision gegen das Urteil des LG Bochum als unbegründet. Zur Begründung führte er an, dass durch die Zweite Änderung des VereinsG am 10. März 2017 das subjektive Merkmal des Teilens der Zielrichtung des verbotenen Vereins weggefallen sei. Dies lasse eindeutig auf den Willen des Gesetzgebers schließen, dass der Angeklagte für eine Strafbarkeit gerade keine persönliche Beziehung zu dem verbotenen Verein unterhalten und erst recht keine Mitgliedschaft in dem Verein pflegen müsse.

Durch die Einführung der Legaldefinition der Verwendung in im Wesentlichen gleicher Form in § 9 Abs. 3 Satz 2 VereinsG zeige sich zudem, dass schon die Ergänzung eines verbotenen Vereinskennzeichens um eine Ortsbezeichnung vom Verbot erfasst werden solle.

Abschließend bemerkte der Senat, dass die Gesetzesnovellierung nicht zu einer Aufhebung der Akzessorietät zwischen Vereins- und Kennzeichenverbot führe, da der Gesetzeszweck nur die Verwendung der Kennzeichen des verbotenen Vereins verfolge. Damit sei der Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG auch in Verbindung mit dem Verbot des § 9 Abs. 3 VereinsG nicht verfassungswidrig.

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hatte das Vereinsrecht Anfang 2017 geändert, um genau solche Fälle besser erfassen zu können. Weitere Informationen zur Gesetzesnovellierung erhalten Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 08/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.05.2019 – 1 StR 114/19: Die strafschärfende Berücksichtigung einer mittäterschaftlichen Begehungsweise verstößt nicht gegen § 46 Abs. 3 StGB

Leitsatz der Redaktion:

Eine strafschärfende Berücksichtigung der mittäterschaftlichen Begehungsweise einer Tat verstößt nicht gegen § 46 Abs. 3 StGB, wenn sie nach den konkreten Umständen der Tatbeteiligung eine erhöhte Strafwürdigkeit begründet.

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen verurteilt. Dabei hat es jeweils strafschärfend die mittäterschaftliche Begehungsweise der Taten berücksichtigt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet.

Das LG habe die mittäterschaftliche Begehungsweise nicht pauschal zur Begründung der Strafschärfung genutzt, sondern im konkreten Einzelfall in Beziehung zu der konspirativen und professionellen Tatausführung gesetzt.

Bei bandenmäßiger Begehungsweise schließe sich eine Berücksichtigung der Mittäterschaft als strafschärfendes Merkmal nicht aus, denn schließlich könne auch ein Gehilfe Bandenmitglied sein. Das vom LG festgestellte Zusammenwirken am Tatort gehe zudem über die nach §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30a Abs. 1 BtMG geforderte bandenmäßige Begehungsweise hinaus. Die Bandenmitgliedschaft sei gerade keine intensivere Form der Mittäterschaft, sondern ein „Aliud“, dem eine besondere Gefährlichkeit innewohne. Darum rühre im konkreten Fall aus der mittäterschaftlichen Begehungsweise auch eine erhöhte Strafwürdigkeit.

Anmerkung der Redaktion:

Eine ähnliche Entscheidung hatte bereits der 3. Strafsenat getroffen: BGH, Beschl. v. 05.04.2016 – 3 StR 428/15

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 07/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17: Verletzung der Meinungsfreiheit durch fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die fälschliche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik und der daraus folgende Verzicht auf die Abwägung zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit des Äußernden und der persönlichen Ehre des Betroffenen verletzen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
  2. Von der Meinungsfreiheit sind auch polemische Zuspitzungen zur Verdeutlichung der eigenen Rechtsansicht erfasst, sodass eine Pflicht zur Beschränkung auf das zur Verdeutlichung der Kritik erforderliche Maß nicht besteht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer bezeichnete im Rahmen der Begründung eines Ablehnungsgesuches der Amtsrichterin wegen Befangenheit ihre Verhandlungsführung als „mittelalterlichen Hexenprozess“. Zudem erinnere ihn die Art der Zeugenbeeinflussung stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten. Aufgrund dieser Aussagen ist der Beschwerdeführer vom AG Bremen und bestätigend vom LG und OLG Bremen zu einer Geldstrafe gemäß § 185 StGB verurteilt worden.

Entscheidung des BVerfG:

Die Urteile des LG und des OLG wurden vom BVerfG aufgehoben.

Das LG argumentierte, die Äußerungen des Beschwerdeführers seien überwiegend als Wertäußerung bezogen auf die Persönlichkeit der Richterin zu verstehen und ihr diffamierender Gehalt so erheblich gewesen, dass er unabhängig vom Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung im Vordergrund gestanden habe. Dem hielt das BVerfG entgegen, dass die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung erfordere. Dieser Kontext sei hier die Verhandlungsführung der Richterin im zivilgerichtlichen Verfahren gewesen. Somit wiesen die Äußerungen einen sachlichen Bezug auf, der sich zwar als polemisch überspitzte Kritik darstelle, aber eben nicht auf die bloße Herabsetzung der Betroffenen abziele.

Zu einer solchen überspitzen Aussage habe der Beschwerdeführer grundsätzlich das Recht. Er sei unter Berücksichtigung seiner Meinungsfreiheit nicht verpflichtet gewesen, seine Kritik auf das zur Verdeutlichung erforderliche Maß zu beschränken, so das BVerfG. Somit sei die Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft worden, was die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkenne.

Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen sei.

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt wurde die Abgrenzung der Schmähkritik am Satire-Gedicht von Jan Böhmermann diskutiert. In diesem Gedicht übte der Satiriker harsche Kritik am türkischen Staatspräsidenten, was zu einem später eingestellten Strafverfahren gegen Böhmermann führte. Zivilrechtlich wurde ihm die Verbreitung einzelner Passagen vom OLG Hamburg untersagt. Zudem löste der Fall eine Diskussion über die Zeitgemäßheit des § 103 StGB a.F. aus, der im Zuge dieser Auseinandersetzung vom Gesetzgeber gestrichen worden ist.

Am 30. Juli 2019 hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde Böhmermanns zurückgewiesen und damit das Urteil des OLG Hamburg bestätigt (BGH, Beschl. v. 30.07.2019 – VI ZR 231/18).

Weiter Informationen zur Causa Böhmermann finden Sie hier. Das Urteil des OLG Hamburg finden Sie hier und hier erhalten Sie Informationen zur Streichung der sog. Majestätsbeleidigung.

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen