KriPoZ-RR, Beitrag 47/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 28.04.2021 – 2 StR 47/20: Zum „Anderen“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB

Amtlicher Leitsatz:

„Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3007; jetzt: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB) kann auch ein Beteiligter an dem in einer kinderpornographischen Schrift dargestellten sexuellen Missbrauch sein, dem vom Hersteller dieser Schrift der (erstmalige) Besitz daran verschafft wird.

Sachverhalt:

Das LG Wiesbaden hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffens von jugendpornographischen Schriften, jeweils in Tateinheit mit Sichverschaffen von jugendpornographischen Schriften und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, wegen Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Besitzverschaffung und Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften und mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen sowie wegen Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften und wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ein Kind, von dem er nicht gewusst hatte, dass es unter 14 Jahre alt gewesen war, dazu gebracht, sich vor einer Webcam zu entkleiden und zu masturbieren. Davon hatte der Angeklagte dann ohne Wissen des Geschädigten eine Videodatei gefertigt und einem weiteren Beteiligten zur Verfügung gestellt.

Bei einer weiteren Tat hatte der Angeklagte eine Videodatei von dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes durch einen anderen Beteiligten angefertigt, indem er eine Skype-Übertragung von diesem aufgezeichnet hatte. Die Datei hatte er dem Beteiligten danach absprachegemäß zur Verfügung gestellt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch ab und verurteilte den Angeklagten im hier interessierenden zweiten Tatkomplex wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch, Besitzverschaffen und Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften.

Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 3 aF StGB entfalle nicht deswegen, weil der anderweitig verfolgte Beteiligte Täter des sexuellen Missbrauchs war und gemäß des Tatplans nur dieser die vom Angeklagten erstellte Videodatei erhalten sollte. „Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 aF StGB könne nämlich auch ein Beteiligter am sexuellen Missbrauch sein, der selbst abgebildet werde. Einer Strafbarkeit nach § 176a Abs. 3 aF StGB stünde gerade nicht entgegen, dass der Täter in der Absicht gehandelt habe, die von dem sexuellen Missbrauch gefertigte Aufzeichnung nur einer weiteren am Missbrauch selbst beteiligten Person zur Speicherung zur Verfügung zu stellen, so der BGH.

Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der Norm, der es sei, jeden möglichen Markt für Kinderpornographie auszutrocknen. Auch mit einer nur einmaligen Weitergabe der Schrift an einen anderen Tatbeteiligten erhöhe sich die Gefahr einer weiteren Weitergabe und eines In-Umlauf-kommens der Schrift. Auch werde die Persönlichkeitsrechtsverletzung auf Seiten des Opfers bereits durch die einmalige Weitergabe perpetuiert, was ebenfalls vom Gesetz verhindert werden wolle.

Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Wortlaut oder der Gesetzessystematik.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 176a StGB ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach geändert worden:

Am 3. März 2020 durch das Siebenundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde die Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming eingeführt.

Am 30. November 2020 wurde der Schriftenbegriff modernisiert und am 1. Juli 2021 wurde die Norm durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder umfangreich reformiert.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 46/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.01.2021 – GSSt 2/20: Zur Einziehung im Jugendstrafrecht

Amtlicher Leitsatz:

Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) steht auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts.

Sachverhalt:

Das LG München II hatte den Angeklagten nach Jugendstrafrecht wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und weiteren Betrugsdelikten verurteilt. Von einer Einziehung der Taterträge hatte es jedoch abgesehen, da die Einziehung nach der Reform des Vermögensabschöpfungsrechts nun im Ermessen des Tatgerichts stünde und es der Erziehungsgedanken in diesem Verfahren geboten hätte, von einer Einziehung abzusehen, um den Angeklagten nicht komplett zu demotivieren.

Der 1. Strafsenat hat dieser Rechtsauffassung folgen wollen. Allerdings hat er sich aufgrund divergierender Rechtsprechung des 4. und 6. Senats daran gehindert gesehen und deshalb dem Großen Strafsenat die Frage vorgelegt, ob die Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts liege.

Entscheidung des Großen Senats:

Der Große Senat sprach sich gegen einen besonderen jugendstrafrechtlichen Ermessenvorbehalt aus.

Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung habe keine speziellen Auswirkungen auf das Jugendstrafrecht gehabt.

§ 73c Satz 1 StGB sei als zwingendes Recht ausgestaltet und gehöre zu den allgemeinen Vorschriften, die gem. § 2 Abs. 2 JGG direkt auch im Jugendstrafrecht anwendbar seien, wenn dort nichts Anderes bestimmt sei. Eine solche andere Bestimmung ergebe sich nicht aus § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG, da dieser lediglich die Kumulation von Rechtsfolgen betreffe.

Bereits die frühere gesetzliche Regelung habe für eine obligatorische Verfallsanordnung im Jugendstrafrecht gesorgt. Bei der Reform habe der Gesetzgeber dieses Regelungskonzept beibehalten und sich für eine Härtefallklause im Vollstreckungsrecht entschieden. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dieses Regelungskonzept nicht auf das Jugendstrafverfahren zur Anwendung kommen lassen wollte. Würde man nun besondere Ermessenstatbestände im JGG annehmen, würde die Härtefallklausel im Vollstreckungsrecht für das Jugendstrafverfahren leerlaufen.

Es sei auch mit den Prinzipien des Jugendstrafverfahrens zu vereinbaren, dass das gesetzgeberische Regelungskonzept der Vermögensabschöpfung auf diesen Bereich übertragen und bei jugendlichen Straftätern ebenfalls zur Anwendung komme.

Indem das Hauptverfahren so von aufwendigen Finanzermittlungen freigehalten werde, streite dieses Regelungskonzept sogar für den im Jugendstrafverfahren so gewichtigen Beschleunigungsgrundsatz, so der BGH.

Zudem könnte nicht von der Unzulässigkeit der Geldstrafe im Jugendstrafrecht auf eine Unzulässigkeit der Vermögensabschöpfung geschlossen werden, da diese keinen strafähnlichen Charakter aufweise.

Da der Verurteilte durch die Härtefallklausel des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO wirksam geschützt sei und diese auch im Jugendstrafverfahren anwendbar sei, bestünden keine Gründe für einen Ermessensvorbehalt der Einziehungsentscheidung.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hatte das Recht der Vermögensabschöpfung im  Jahr 2017 umfassend reformiert. Auf besondere Anpassungen im Jugendstrafrecht verzichtete er dabei. Die Historie des Reformvorhabens finden Sie hier.

Am 10. März 2020 beschloss der vierte Senat (Beschl. v. 10.03.2020 – 4 ARs 10/19), dass er an seiner Rechtsprechung festhalte und damit dem Anfragebeschluss des ersten Senats (Beschl. v. 11.07.2019 – 1 StR 467/18) nicht stattgebe. Der sechste Senat beschloss am 1. Dezember 2020 ebenfalls, dass er sich der Meinung des vierten Senats anschließe und von keinem besonderen Ermessensvorbehalt ausgehe (BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 6 ARs 15/20).

Daraufhin beschloss der erste Senat, dem großen Senat für Strafsachen folgende Frage vorzulegen:

Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?

Den Vorlagebeschluss finden Sie hier: Beschl. v. 08.07.2020 – 1 StR 467/18.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 45/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.05.2021 – 3 StR 302/20: Zu den Tathandlungen der Terrorismusfinanzierung

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Tathandlung des Sammelns umfasst neben dem Einsammeln bei anderen Personen das Zusammentragen im Sinne eines Ansammelns.

  2. Die bloße Umwidmung vorhandenen, gegebenenfalls zu anderen Zwecken gesammelten Vermögens begründet keine Strafbarkeit wegen Terrorismusfinanzierung.

  3. Ein Entgegennehmen im Sinne des § 89c Abs. 2 StGB liegt nicht vor, wenn im Rahmen eines Austauschverhältnisses erworbene Vermögenswerte durch eine Gegenleistung kompensiert werden und deshalb keinen Vermögenszuwachs zur Folge haben.

Sachverhalt:

Das LG Aachen hat den Angeklagten wegen Terrorismusfinanzierung zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte den Plan gefasst sich in Ägypten dem „Islamischen Staat“ anzuschließen. Um das Flugticket dorthin bezahlen zu können, hatte er ein Mobiltelefon verkauft und den Restbetrag aus zu Geschäftszwecken angesparten 1.000€ beglichen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da der Angeklagte keine Vermögenswerte im Sinne des § 89c Abs. 2 Var. 1 StGB gesammelt habe.

Sammeln sei das auf eine größere Menge gerichtete Zusammentragen verschiedener Gegenstände durch das Einsammeln bei anderen Personen oder das Zusammentragen im Sinne eines Ansammelns, so der BGH. Ein solches weites Verständnis der Tathandlung sei aufgrund des Gesetzeszwecks geboten, denn dieser sei es, künftigen Taten die materielle Grundlage zu entziehen, was nicht gelänge, wenn nur das Einsammeln bei dritten Personen tatbestandsmäßig wäre.

Dadurch werde der Tatbestand auch nicht zu sehr ausgedehnt, da er auf subjektiver Seite eine Einschränkung durch das Absichtserfordernis in Absatz 2 erfahre. Tatbestandsmäßig seien nämlich nur solche Sammel-Handlungen, die der Täter schon in der Absicht, eine Katalogtat zu begehen, vorgenommen habe. Fasse er diesen Entschluss erst, wenn die Vermögenswerte bereits vorhanden sind und sollen diese dann umgewidmet werden, erfülle dies den Tatbestand gerade nicht.

Da der Angeklagte nur zwei bei ihm bereits vor seinem Ausreiseentschluss vorhandene Vermögenswerte zusammengeführt habe, habe er den Tatbestand nicht erfüllt.

Ebenfalls sei eine Strafbarkeit wegen Entgegennahme eines Vermögenswerts nach § 89c Abs. 2 Variante 2 StGB nicht zu sehen. Zwar habe der Angeklagte Vermögenswerte in Form des Verkaufserlöses und des Tickets entgegengenommen, für diese habe er aber jeweils eine Gegenleistung weggegeben, sodass aus den Geschäften kein Vermögenszuwachs resultiert habe. Ein solcher sei allerdings im Rahmen einer einschränkenden Auslegung des Tatbestands zu fordern, so der BGH.

Dies ergebe sich daraus, dass von einem Güterumsatz, der keinen Vermögenszuwachs beim Täter bewirke, keine erhöhte Gefahr für das vom Tatbestand geschützte Rechtsgut ausgehe. Dies könnte zwar der Fall sein, wenn der Täter sich beispielsweise durch einen Güterumsatz konkrete Anschlagsmittel zulege. Allerdings sei für diesen Spezialfall § 89a Abs. 2 Nr. 2 und 3 StGB geschaffen. Würde man nun das Erhalten eines Anschlagsmittels auch ohne Vermögenszuwachs immer als Terrorismusfinanzierung bestrafen, liefe der Spezialtatbestand mit seinen zusätzlichen Anforderungen an die erworbenen Gegenstände weitgehend leer.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber versucht, die Terrorismusfinanzierung durch einen besseren Austausch von Finanzinformationen zu bekämpfen. Das Gesetz zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1153 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Nutzung von Finanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen schweren Straftaten (Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz) wurde am 25. Juni 2021 beschlossen.

Einen Artikel zum neuen Terrorismusstrafrecht von Prof. Dr. Jens Puschke finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 44/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.04.2021 – 1 StR 78/21: Trojaner

Amtlicher Leitsatz:

Zur Strafbarkeit der Verbreitung eines Erpressungstrojaners über das Internet (sog. Ransomware).

Sachverhalt:

Das LG Stuttgart hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur versuchten Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten Computersabotage in 396 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur Computersabotage in 393 Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte mit weiteren Tätern zu einer Bande zusammengeschlossen, um über das Internet einen Erpressungstrojaner (sog. Ransomware) zu verbreiten.

Dazu hatte sie Werbung auf verschiedenen Internetseiten geschaltet, bei deren anklicken sich eine Schadsoftware selbstständig auf den Rechnern der Opfer installiert hatte. Diese Software hatten die Täter dann genutzt, um einen Sperrbildschirm anzeigen zu lassen, der in der jeweiligen Landessprache der Opfer einschüchternd zur Zahlung einer bestimmten Summe aufgefordert hatte, damit das System wieder entsperrt würde. Zu einer solchen Entsperrung kam es auch nach Zahlung durch die Opfer nicht.

Aufgaben des Angeklagten waren gegen ein Festgehalt von 1.000 $ u.a. die Anmietung neuer Server, die Installation wichtiger Programme, die Verlinkung der Server und die allgemeine Betreuung sowie das Troubleshooting.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch derart ab, dass der Angeklagte sich wegen einer einheitlichen Beihilfe zur Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur Computersabotage strafbar gemacht hat.

Seine Unterstützungshandlungen seien sowohl als Beihilfe zur vollendeten Erpressung als auch zur versuchten Erpressung zu werten. 

Gleiches gelte für die Computersabotage und die versuchte Computersabotage nach § 303b Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Der Tatbestand sei durch das Aufspielen der Schadsoftware auf die Rechner erfüllt. Die Systemdateien, die die Täter verändert hätten, seien taugliche Tatobjekte im Sinne des § 202a Abs. 2 StGB.

Diese seien auch durch das Herbeiführen von Funktionsbeeinträchtigungen, die eine Änderung ihres Informationsgehalts oder des Aussagewerts zur Folge haben, verändert worden.

Das Herbeiführen von Funktionsbeeinträchtigungen sei durch das Hinzufügen der Einträge in der Windows-Registry-Datei erfolgt, das für das automatisierte Laden des Sperrbildschirms gesorgt habe.

Das LG sei auch zurecht von der Qualifikation der Computersabotage gem. § 303b Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgegangen, da eine Datenverarbeitung von wesentlicher Bedeutung gegeben sei. Zwar könne dies nicht bei allen Opfern belegt werden, jedoch habe es sich immer um eine Unbrauchbarmachung des kompletten Computers gehandelt und viele Opfer hätten den Erpressungsbetrag gezahlt, was auch ein Indiz für die Erfüllung des einschränkenden Merkmals sei.

Beide Tatbestände der Erpressung und der Computersabotage stünden dabei in Tateinheit zueinander, da unmittelbar durch die Veränderung der System-Dateien und Anzeige des Sperrbildschirm zur Geldzahlung aufgefordert worden sei, so der BGH.

Es habe sich jedoch nur um eine einheitliche Beihilfe des Angeklagten gehandelt. Da sich die Tatbeiträge des Angeklagten nicht auf individuelle Taten bezogen hätten, sondern eine einheitliche Unterstützungshandlung dargestellt habe, sei nicht von Beihilfe in 789 Einzelfällen auszugehen, sondern von einer Beihilfe im Rechtssinne, die führ mehrere selbstständige Taten des Haupttäters gewirkt habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der BGH hatte bereits im Juli 2017 wesentliche Konturen der §§ 303a f. herausgearbeitet. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 43/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.05.2021 – 4 StR 350/20: keine Vermögensbetreuungspflicht eines Arztes für das Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen bei der Verordnung häuslicher Krankenpflege

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Verordnung von häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V obliegt dem verordnenden Kassenarzt keine Betreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB hinsichtlich des Vermögens der gesetzlichen Krankenkassen (Abgrenzung zur BGH, Beschluss vom 16. August 2016 – 4 StR 163/16).

Sachverhalt:

Das LG Bochum hat den Angeklagten wegen Untreue verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte bewusst falsche Atteste für häusliche Krankenpflege ausgestellt, die die betreffenden Patienten dann bei dem von seiner Ehefrau mitgegründeten Pflegedienst eingelöst hatten. Die Pflegeleistungen waren tatsächlich nicht oder nur zu einem geringen Teil erbracht worden. Um Zahlungen der Krankenhasse zu erhalten, hatte die Ehefrau des Angeklagten im Anschluss falsche Leistungsbescheinigungen über einen Abrechnungsdienst bei der Krankenkasse eingereicht. Dieses Vorgehen war dem Angeklagten bewusst gewesen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilung wegen Untreue auf, da den Angeklagten als Arzt – im Gegensatz zur Verordnung von Heilmitteln und bei der Abrechnung ärztlichen Sprechstundenbedarfs – bei der Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V keine Vermögensbetreuungspflicht für das Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen getroffen habe.

Die für eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB erforderliche Vermögensbetreuungspflicht gründe sich auf vertragliche oder gesetzliche Sonderbeziehungen, die eine Einwirkung auf das Vermögen des anderen ermöglichten und in denen die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen eine, im Vergleich zur generellen Rücksichtnahmepflicht in Rechtsbeziehungen, herausragende Stellung einnehme, so der BGH. Dies bestimme sich anhand einer Gesamtabwägung, bei der der Frage, ob die Betreuungspflicht Hauptpflicht des Rechtsverhältnisses sei, erhebliche Bedeutung zukomme. Daneben spielten aber auch das Maß der Eigenständigkeit und die Möglichkeiten zur Kontrolle durch den Auftraggeber eine große Rolle.

Da es – anders als bei der Verordnung von Medikamenten – bei der Verordnung von häuslicher Krankenpflege nicht allein auf den Arzt ankomme und die Krankenkasse in diesen Fällen eigene zusätzliche Prüfungs- und Kontrollmechanismen hätte, hänge die Leistungserbringung von der Genehmigungsentscheidung der Krankenkasse ab. Daraus ergebe sich, dass die Einwirkungsmöglichkeiten des Arztes auf das Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen begrenzt sei und dieser somit keine Vermögensbetreuungspflicht habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bei der Verordnung von Medikamenten erfolgt keine gesonderte Prüfung durch die Krankenkassen und es ergibt sich direkt ein Leistungsanspruch des Versicherten. Daher bestehe in diesem Fall eine Vermögensbetreuungspflicht des Arztes, so der BGH in seinem Beschluss vom 16.08.2016 – 4 StR 163/16.

 

 

 

Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit)

Hier finden Sie folgende Stellungnahmen: 

Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 21. Juni 2021: 

 

 

 

Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit)

Gesetz zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) vom 21. Dezember 2021: BGBl. I 2021, S. 5252 f. 

 

Gesetzliche Regelung zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Freigesprochenen in § 362 Nr. 5 StPO verfassungswidrig

Entscheidung im Volltext 

Am 31. Oktober 2023 hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass § 362 Nr. 5 StPO mit dem in Art. 103 Abs. 3 GG statuierten ne bis in idem Grundsatz und dem Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 3  GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar und damit nichtig ist. Die Entscheidung erging im Ergebnis einstimmig. Im Hinblick auf die Abwägungsfestigkeit des grundrechtsgleichen Rechts des Art. 103 Abs. 3 GG erging die Abstimmung mit 6:2 Stimmen (Sondervotum Richter Müller und Richterin Langenfeld).

§ 362 Nr. 5 StPO wurde im Dezember 2021 durch das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ in die StPO eingefügt. Ein Strafverfahren gegen den rechtskräftig Freigesprochenen konnte demnach wiederaufgenommen werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes, Völkermordes, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder des Kriegsverbrechens verurteilt wird. Der Verfassungsbeschwerde ging im Jahr 1983 ein Freispruch des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und des Mordes voraus. Sie richtet sich gegen den Beschluss des LG Verden vom 25. Februar 2022 – 1 Ks 148 Js 1066/22, in dem es den Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft am LG Verden für zulässig erklärte und Untersuchungshaft anordnete sowie gegen den Beschluss des OLG Celle vom 20. April 2022 – 2 Ws 86/22 (zur Entscheidung des OLG Celle siehe auch die Anmerkung von Fischer, KriPoZ 2022, 128 ff.), das die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf. Der Beschwerdeführer sah seine Rechte aus Art. 103 Abs. 3 sowie aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Das BVerfG stellte nun klar, dass das abstrakte Prinzip des Strafklageverbrauchs in Art. 103 Abs. 3 GG als grundrechtsgleiches Recht ausgestaltet sei und dem Verurteilten wie Freigesprochenen gleichermaßen Schutz gewähre, der sich auch gegenüber dem Gesetzgeber entfalte. Dieser könne das Verbot mehrfacher Strafverfolgung nicht durch eine einfachgesetzliche Regelung der Wiederaufnahme umgehen. Vizepräsidentin des BVerfG Prof. Dr. Doris König äußerte bei der Urteilsverkündung, dass jeder Betroffene darauf vertrauen können müsse, dass er nach dem Abschluss eines regelmäßig durchgeführten strafgerichtlichen Verfahrens nicht nochmal wegen derselben Tat vor Gericht stehen müsse. Er dürfe nicht zum Objekt der Ermittlungen des wahren Sachverhalts gemacht werden. Soweit § 362 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme für Verfahren ermöglicht, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits abgeschlossen waren, verstoße dies gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und stellt eine „echte“ Rückwirkung dar, die grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig sei.

Ein abweichendes Votum erging durch Richter Müller und Richterin Langenfeld. Sie sehen den Gewährleistungsinhalt des Art. 103 Abs. 3 GG nicht als abwägungsfest und grundsätzlich für eine Ergänzung der bestehenden Wiederaufnahmegründe offen. Schließlich seien die Möglichkeiten einer Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen gemäß § 362 Nr. 1-4 StPO verfassungsrechtlich unbedenklich und dem Gesetzgeber stehe eine Ergänzung der Wiederaufnahmegründe unter Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen offen. Art. 103 Abs. 3 GG sei insofern ein grundrechtsgleiches Recht, das verfassungsimmanenten Schranken unterliege. Die Wiederaufnahme gem. § 362 Nr. 5 StPO habe die Stabilisierung und Sicherung des Rechtsfriedens sowie die Durchsetzung von Normen zum Ziel und schütze damit höchstrangige Rechtsgüter. Darüber hinaus sei dies von fundamentalem völkerrechtlichen Interesse. Ob der streitgegenständliche § 362 Nr. 5 StPO verhältnismäßig und im engeren Sinne hinreichend bestimmt sei, bedürfe einer näheren Prüfung. Jedenfalls sei das Verbot der „echten“ Rückwirkung aus Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG betroffen. 

Einen Alternativ- und Ergänzungsvorschlag zur Reform der Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten von Freigesprochenen machte bereits Dr. Boris Bröckers in KriPoZ 2022, 15 ff. und Prof. Dr. Wolfgang Mitsch widmete sich in KriPoZ 2023, 371 ff. der Frage, warum § 362 Nr. 5 StPO aufgehoben werden sollte.

 


Gesetzentwürfe: 

 

Am 9. Juni 2021 haben die Fraktionen der CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten gem. § 362 StPO in den Bundestag eingebracht. Hintergrund ist, dass bei einer Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten neue Tatsachen und Beweismittel als allgemeiner Wiederaufnahmegrund zugelassen sind, im umgekehrten Fall jedoch nicht. Hier ist ein glaubhaftes gerichtliches oder außergerichtliches Geständnis erforderlich. Dies führe nach Ansicht der Fraktionen zu unbefriedigenden Ergebnissen, insbesondere wenn bei den schwersten Straftaten nachträgliche Beweismittel einen eindeutigen Hinweis auf eine Täterschaft geben. So könnten beispielsweise neue technische Untersuchungsmethoden weitere Beweismittel liefern. 

Der Entwurf sieht daher vor, die Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen bei schwersten Straftaten zu ermöglichen, wenn: 

  • nach Abschluss des Gerichtsverfahrens neue, belastende Beweismittel vorliegen
  • sich aus den Beweismitteln die hohe Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergibt und
  • eine Abwägung zwischen den Grundsätzen materieller Gerechtigkeit und des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit ergibt, dass das Festhalten an der Rechtskraft des freisprechenden Urteils zu unerträglichen Ergebnissen führt.

Letzteres wiege dann besonders schwer, wenn es sich um abgeurteilte Delikte handele, die nicht der Verjährung unterliegen. Daher bedürfe es eines weiteren eng umgrenzten Wiederaufnahmegrundes in § 362 StPO. Um dem Grundsatz ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG) gerecht zu werden, sollen die möglichen Fälle der Wiederaufnahme auf den Tatvorwurf des Mordes (§ 211 StGB) und auf den Vorwurf von  Tötungsverbrechen nach dem VStGB begrenzt werden, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind. 

Die Fraktionen schlagen vor, § 362 StPO eine Nr. 5 hinzuzufügen:

„5. wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.“

Am 11. Juni 2021 wurde der Gesetzentwurf nach einer halbstündigen Debatte zwecks weiterer Beratung in den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Dort fand am 21. Juni 2021 bereits eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen finden Sie hier. Die Experten sprachen sich überwiegend für den Entwurf zur Wiederaufnahme von Strafverfahren aus. Wolfram Schädler betonte, dass in einem Rechtsstaat nicht beliebig Urteile ausgetauscht werden dürften, die mit ihrem Ergebnis missfallen. Der Entwurf sei aber dahingehend zu begrüßen, da er die Wiederaufnahme nur auf unverjährbare Delikte wie Mord oder Völkermord beschränke. Auch Prof. Dr. Jörg Eisele begrüßte den Entwurf und erklärte, dass dieser mit Art. 103 Abs. 3 GG durchaus vereinbar sei. Prof. Dr. Klaus F. Gärditz ergänzte, dass das öffentliche Interesse an einer schuldangemessenen Bestrafung in diesen Fällen von überragender Wichtigkeit sei. Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel erklärte, dass der Entwurf einer seit fast zwei Jahrzehnten geführten rechtswissenschaftlichen Debatte entspreche. Er bilde keineswegs die Basis für weitere Durchbrechungen der Rechtskraft durch zukünftige Gesetzesnovellen. 

Prof. Dr. Helmut Aust und Stefan Conen sahen den Entwurf kritischer und lehnten ihn aus verfassungsrechtlichen Gründen ab. Der Gesetzentwurf stehe insbesondere im Widerspruch zum Verbot der Doppelverfolgung. Aust sah außerdem noch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, wenn die vorgesehene Regelungen auch auf  „Altfälle“ Anwendung finde. Stefan Conen erinnerte in seiner Stellungnahme daran, dass ein solches Vorhaben bereits 2009 gescheitert sei und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zuletzt 2016 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Erweiterung der Wiederaufnahmegründe zuungunsten Freigesprochener Art. 103 Abs. 3 GG zuwiderlaufe. Dr. Ulf Buermeyer bewertete die derzeitige Debatte als kein gutes Zeichen für einen Rechtsstaat, da versucht werde, einen klaren Normbefehl zu relativieren. Der Bundestag soll sich bereits am 24. Juni 2021 abschließend mit dem Gesetzentwurf befassen. 

Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag den Entwurf der Bundesregierung in geänderter Fassung des Rechtsausschusses in zweiter und dritter Lesung angenommen. Am 17. September 2021 beschäftigte sich auch der Bundesrat abschließend mit dem Entwurf und verzichtete auf ein Vermittlungsverfahren. 

Das Gesetz zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) vom 21. Dezember 2021 (BGBl. I 2021, S. 5252 f.) wurde am 29. Dezember 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat bereits einen Tag später in Kraft. 

 

 

 

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 42/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 5 StR 484/20: Zur Verständigung bei Aussetzung des Hauptverfahrens

Amtliche Leitsätze:

  1. Wird das Verfahren, in dem es zu einer Verständigung gekommen war, ausgesetzt, entfällt die Bindung des Gerichts an die Verständigung.

  2. Das aus der Aussetzung resultierende Entfallen der Bindungswirkung führt grundsätzlich zur Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung abgegebenen Geständnisses in der neuen Hauptverhandlung.

  3. Eine Pflicht, den Angeklagten zu Beginn der neuen Hauptverhandlung über die Unverwertbarkeit seines in der ausgesetzten Hauptverhandlung abgegebenen Geständnisses ausdrücklich („qualifiziert“) zu belehren, besteht nicht, wenn der Angeklagte vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war; es genügt, wenn er zu Beginn der neuen Hauptverhandlung darüber informiert wird, dass eine Bindung an die in der ausgesetzten Hauptverhandlung getroffene Verständigung entfallen ist (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 24. April 2019 – 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12).

Sachverhalt:

Das LG Zwickau hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen verurteilt.

In der ersten Hauptverhandlung hatte es eine Verständigung gem. § 257c StPO gegeben, bei der der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgegeben hatte. Nach Erkrankung eines Schöffen und eines Beisitzers hatte die Hauptverhandlung ausgesetzt werden müssen. Nach dem Neubeginn der Verhandlung hatte der Vorsitzende den Inhalt der Verständigung soweit mitgeteilt, dass bei einer glaubhaften und geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen 2 Jahren und 6 Monaten und 2 Jahren und 9 Monaten verhängt werde und nach Aussetzung der Verhandlung die Bindung an diese Verständigung entfallen sei. Danach hatte der Angeklagte ein Teilgeständnis abgelegt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren oder etwaige Belehrungspflichten nach § 257c Abs. 5 StPO nicht verletzt worden seien.

Zunächst stellte der Senat klar, dass ein Aussetzen der Hauptverhandlung die Bindungswirkung einer ordnungsgemäß getroffenen Verständigung entfallen lasse. Dies folge aus der gesetzgeberischen Wertung, dass auch in weiteren Instanzen oder bei Zurückverweisung eine Bindungswirkung nicht eintreten solle. Dadurch komme zum Ausdruck, dass eine Bindungswirkung nur beim konkreten Tatgericht und dessen Spruchkörper eintreten solle. Bei einem anders besetzten Spruchkörper nach Aussetzung und Neubeginn der Hauptverhandlung komme demnach eine Bindungswirkung nicht in Betracht.

In solchen Fällen, entfalle dann auch die Verwertbarkeit des abgegebenen Geständnisses. Dieses Ergebnis sei jedoch nicht aus einer analogen Anwendung des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO zu erzielen, da die Regelungslücke nicht planwidrig entstanden sei, so der BGH. Im Gesetzgebungsverfahren habe die Bundesrechtsanwaltskammer auf solche Fälle hingewiesen und der Gesetzgeber habe die Vorschläge bewusst nicht übernommen.

Vielmehr sei das Verwertungsverbot aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens unter Vertrauensschutzgesichtspunkten abzuleiten, da in solchen Konstellationen eine Bindung an die Verständigung nicht mehr gegeben sei und der Angeklagte nicht durch das Verschlechterungsverbot geschützt werde.

Eine Pflicht zur qualifizierten Belehrung folge daraus allerdings nicht, so der BGH.

Denn aus der ordnungsgemäßen Belehrung bei der Verständigung könne der Angeklagte ableiten, was aus einem Wegfall der Bindungswirkung für sein Geständnis folge.

Dies sei auch kein Widerspruch zum Beschluss des 1. Senats vom 24. April 2019, da dieser Fall entscheidend anders gelagert gewesen sei, denn der Vorsitzende hatte nach Neubeginn der Verhandlung ausdrücklich festgestellt, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden hätten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des 1. Senats finden Sie hier. Die Vorschriften zur Verständigung im Strafverfahren waren 2009 durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren reformiert worden.

 

 

 

EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden

Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vom 31.5.2023: BGBl I 2023, Nr. 140

Gesetzentwürfe: 

Die Europäische Kommission hat am 23. April 2018 einen Richtlinienvorschlag zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vorgelegt. Am 23. Oktober 2019 wurde diese Richtlinie verkündet. Sie hätte bereits bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. In der vergangenen Legislaturperiode gab es hierzu bereits zwei Umsetzungsvorschläge (s.u.). 

Nun hat das BMJ am 13. April 2022 erneut einen Referentenentwurf für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das unionsrecht melden, veröffentlicht. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hierzu:

„Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber übernehmen Verantwortung für die Gesellschaft und verdienen daher Schutz, wenn sie Missstände bei ihren Arbeitgebern melden. Der nun vorgelegte Referentenentwurf soll ihnen Rechtsklarheit darüber geben, wann und durch welche Vorgaben sie bei der Meldung oder Offenlegung von Verstößen geschützt sind. Ein effektiver Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern liegt aber auch ganz maßgeblich im Interesse der Unternehmen und Behörden selbst. Durch den Aufbau von internen Meldesystemen erhalten Hinweisgeber die Möglichkeit, ohne Angst vor Repressalien Verstöße dort zu melden, wo sie am schnellsten untersucht und abgestellt werden können. So lassen sich Missstände beheben, aber auch Haftungsansprüche gegebenenfalls vermeiden.“

Kern des Entwurfs ist ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das von Änderungen im Bundesbeamtengesetz, Beamtenstatusgesetz, Soldatengesetz, Finanzdienstleistungsaufsichtgesetz, Geldwäschegesetz und im Versicherungsaufsichtsgesetz flankiert wird. Der Entwurf beinhaltet überwiegend die bereits im November 2020 geplanten Neuregelungen. Hinweisgeber sollen zukünftig frei zwischen internen und externen Meldestellen wählen können. Während die zentrale externe Meldestelle beim BMJ angesiedelt wird, soll es weitere Stellen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, beim Bundeskartellamt und beim BfJ geben. Ebenso steht es den Ländern frei, für Meldungen, die die Landes- oder Kommunalverwaltung betreffen, eigene externe Meldestellen einzurichten. Arbeitgeber in der Privatwirtschaft sowie im öffentlichen Bereich trifft eine Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen, sofern mindestens 50 Personen beschäftigt sind. Bei Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten besteht zudem die Möglichkeit eine gemeinsame Meldestelle einzurichten oder hierfür einen Dritten zu beauftragen. Die Regelungen aus dem Entwurf von November 2020 bzgl. der Meldungen an die Öffentlichkeit und zum Vertraulichkeitsgebot wurden beibehalten, genauso wie die Regelungen zur Anonymität der Meldungen und dem Schutz vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen. Bei Verstößen gegen das HinSchG soll eine Geldbuße drohen. 

Die Länder und Verbände hatten bis zum 11. Mai 2022 Zeit zu dem Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen finden Sie hier

Am 27. Juli 2022 hat das Kabinett das Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen und den Regierungsentwurf vorgestellt. Der Bundesrat beschäftigte sich erstmals am 16.09.2022 mit dem Entwurf. Die Ausschüsse hatten empfohlen (BR Drs. 372/1/22) entsprechend Stellung zu nehmen (BR Drs. 372/22(B)).

Am 19. Oktober 2022 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Grundsätzlich begrüßten die Experten den Regierungsentwurf. Jedoch wurden auch Mängel im Schutzkonzept für Whistleblower deutlich. Annegret Falter (Vorsitzende des Whistleblower Netzwerks) wies darauf hin, dass beispielsweise nicht strafwürdiges, aber unethisches Verhalten nicht erfasst sei. So wäre der unbekannte Whistleblower des RBB-Skandals nicht durch das Gesetzt geschützt oder Fälle der Vernachlässigung in der Altenpflege nicht erfasst. David Werdemann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte warf einen Blick auf den öffentlichen Dienst. Auch hier sei der Whistleblowerschutz weitgehend ausgehöhlt, da Dokumente mit einem besonderen Geheimhaltungsschutz (wie Verschlusssachen) nicht verwertet werden dürften.  Ebenso fehle in der Auflistung des Regierungsentwurfs das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit seinen Begrifflichkeiten sei das Gesetz zudem teilweise ungenau. Rechtsanwalt Dr. Nico Herold äußerte Bedenken dahingehend, dass ein potentieller Whistleblower gar nicht erkennen könne, ob er in seinem Fall auch tatsächlich durch das Schutzgesetzt erfasst wird. Damit sei dem Entgegenwirken der „Melde-Angst“ nicht ausreichend gedient. Dr. Simon Gerdemann kritisierte den Begriff des „Fehlverhaltens“ und äußerte den Vorschlag, diesen durch „erhebliche Missstände“ zu ersetzen. Damit soll klargestellt sein, dass nicht nur auf einzelne Personen beziehbare Sachverhalte erfasst seien. 

Als problematisch angesehen wurde auch das Fehlen eines Vorranges für unternehmensinterne Meldestellen vor den externen. Kristina Harrer-Kouliev (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) berichtete, dass bereits viele Unternehmen freiwillige Meldestrukturen geschaffen hätten, um von Fehlverhalten in den eigenen Reihen Kenntnis zu erlangen. Jedoch sei auch gerade bei kleineren Unternehmen „die Sorge vor dem Gesetz groß“, da die Pflicht der Einrichtung einer Meldestelle für Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern mit erheblichen Kosten verbunden sei, so Hildegard Reppelmund vom Deutschen Industrie- und Handleskammertag. Auch wachse angesichts des im Entwurf vorgesehenen Kündigungsschutzes die Angst vor falschen Anschuldigungen. Im Bereich des Kündigungsschutzes sah dagegen Jana Wömper vom Deutschen Gewerkschaftsbund Verbesserungsbedarf. „Wer Missstände meldet, handelt im Interesse aller“, betonte sie. In den Schutzkreis mit aufzunehmen seien vor allem auch die Mitarbeiter in betriebsinternen Meldestellen. 

Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn kritisierte die Möglichkeit, sich an die Öffentlichkeit wenden zu können, wenn eine externe Meldestelle den Hinweis nicht fristgerecht bearbeite. Dies führe zu erheblichen Nachteilen für zu unrecht beschuldigte Personen und Unternehmen. Letztendlich sei auch die personelle Ausstattung der externen Meldestelle im Bundesamt für Justiz völlig unzureichend. 

Am 14. Dezember 2022 passierte der Regierungsentwurf den Rechtsausschuss. Allerdings gibt es einige von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Änderungen, die mehrheitlich angenommen wurden.

U.a. wurden Meldungen zu verfassungsfeindlichen Äußerungen von Beamtinnen und Beamten in den Hinweisgeberschutz eingeschlossen. Umfasst werden sollen dabei schriftliche wie mündliche oder durch Gebärden getätigte Äußerungen. Dies soll auch für solche unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gelten. „Die Verfassungstreue ist insbesondere verletzt, wenn ein Beamter beispielsweise die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede stellt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt. Er verletzt so seine gesetzliche normierte Verfassungstreuepflicht in schwerwiegender Weise“, so die Koalitionsfraktionen, die sich damit auf die Diskussion um sog. „Reichsbürger“ im öffentlichen Dienst beziehen. Außerdem sollen sich nunmehr nur die Meldestellen mit anonymen Meldungen beschäftigen und der Digital Markets Act der Europäischen Union wurde in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes gezogen. Letztere Entscheidung wurde gegen die Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und AfD und mit Enthaltung der Fraktion Die Linke getroffen. 

Am 16. Dezember 2022 stimmte der Bundestag für den geänderten Entwurf. In der Plenarsitzung am 10. Februar 2023 erhielt die Gesetzesänderung jedoch nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen im Bundesrat. Daher haben die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 15. März 2023 zwei „neue“ Gesetzentwürfe zum Hinweisgeberschutz in den Bundestag eingebracht. Der „Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (BT Drs. 20/5992) entspricht weitestgehend dem vom Bundestag verabschiedeten Entwurf vom 16. Dezember 2022 (BT Drs. 20/4909). Aus dem Anwendungsbereich herausgelöst wurden allerdings „Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, sonstige der Aufsicht eines Landes unterstehende Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst“. Die Fraktionen sind der Ansicht, dass der Entwurf in seiner geänderten Form einer Zustimmung des Bundesrates nicht mehr bedürfe und so schneller verabschiedet werden könne. In einem zweiten Gesetzentwurf „zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“ (BT Drs. 20/5991) werden die Ausnahmen wieder aufgehoben und der Anwendungsbereich erweitert. Zur vollständigen Umsetzung der HinSch-RL sei „eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des HinSchG auf den Personenkreis erforderlich, der nach § 1 Absatz 3 HinSchG ausgeschlossen ist.“ Beide Entwürfe wurden schon am 17. März 2023 im Bundestag beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Am 27. März 2023 fand dort eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.  

Die Experten sahen insbesondere das gesetzgeberische Vorgehen als problematisch an. Prof. Dr. Winfried Kluth erörterte, dass das BVerfG in der Vergangenheit eine Aufspaltung von Gesetzgebungsverfahren in einen zustimmungsbedürftigen und einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil zwar mehrfach gebilligt habe, allerdings nur dann, wenn nicht gegen das Willkürverbot verstoßen werde. Diesen Punkt sah Kluth bei den vorliegenden Entwürfen eindeutig als gegeben an: „Die Aufteilung in zwei Gesetzesvorhaben war einzig die Reaktion auf die Verweigerung der Zustimmung zum ersten, alle Aspekte umfassenden Gesetzesentwurf.“ Prof. Dr. Gregor Thüsing fand für das Vorgehen ebenfalls klare Worte: „Wenn es sich hier nicht um Willkür, also nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigte, sondern nur aus dem System der Zustimmungsbedürftigkeit hergeleiteten Trennung handelt, wann dann?“ Er verwies auf das Vermittlungsverfahren. Kosmas Zittel vom Whistleblower-Netzwerk wies zudem auf ein weiteres Problem hin. Sollte das als zustimmungspflichtig eingestufte Gesetz im Bundesrat keine Zustimmung finden, dann bestünde zwischen den Beamten des Bundes und der Länder und Kommunen ein „Zwei-Klassen-Recht“, das zudem auch nicht der EU-Vorgabe entspreche, denn die EU-Richtlinie sei für das gesamte Land umzusetzen und somit auch für Landesbedienstete. Inhaltlich gab es für die Entwürfe die bereits bei der Anhörung vom 19. Oktober 2022 geäußerte Kritik. Seitdem hatte der Rechtsausschuss kleinere Änderungen in der ursprünglichen Fassung vorgenommen, die sich auch jetzt in den Gesetzentwürfen wiederfinden. Diskussionsthema waren unter anderem die verpflichtenden anonymen Meldestellen. Diese seien – so Louisa Schloussen – auf die Kritik von Transparency International nach der Anhörung im Oktober 2022 in den Entwurf aufgenommen worden. Hildegard Reppelmund kritisierte, dass dies gerade für kleinere Unternehmen eine enorme Belastung darstelle. Dr. Christoph Klahold vom Deutschen Institut für Compliance hingegen sprach sich klar für anonyme Meldestellen auf Betriebsebene aus. Er berichtete aus seiner Praxis, dass in kleinen Betrieben die Leitung weniger an der Klärung des Sachverhalts interessiert sei als daran, wer die Meldung getätigt habe. Jana Wömper vom Deutschen Gewerkschaftsbund gab zu bedenken, dass der Gesetzentwurf mit uneindeutigen Rechtsbegriffen wie dem „hinreichenden Grund zur Annahme“ keine Rechtsklarheit schaffe. Außerdem blieben einige Regelungen zum Hinweisgeberschutz und zum Schadenersatz immer noch hinter der EU-Richtlinie zurück. Bezüglich des Hinweisgeberschutzes machte Dr. Simon Gerdemann von der Universität Göttingen auf eine Entscheidung des EGMR aufmerksam, die im Zusammenhang  mit dem LuxLeaks-Skandal ergangen ist. Daraus ergebe sich, dass der Schutz des Gesetzes auch auf die Hinweisgeber erstreckt werden müsse, die zwar auf legale aber gesellschaftlich bedenkliche Vorgänge hinweisen. Kontrovers wurde auch die Regelung zur Erfassung von Hinweisen auf verfassungsrechtlich bedenkliche Äußerungen von Beamten diskutiert. Während David Werdemann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte die Möglichkeit begrüßte, so auch gegen geschlossene Chatgruppen vorgehen zu können die rechtsextreme Äußerungen austauschen, warnten andere Experten vor einer Kollision mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit. 

Am Abend des 27. März 2023 hat der Rechtsausschuss die Gesetzentwürfe verabschiedet. Sie wurden ohne Änderungen mit Gegenstimmen der Fraktion CDU/CSU und AfD mit Enthaltung von Die Linke angenommen. Der Bundestag sollte bereits am 30. März 2023 über die Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen abstimmen. Der Rechtsausschuss hat dazu eine Beschlussempfehlung vorgelegt. Der Tagesordnungspunkt wurde jedoch kurzfristig gestrichen. Am 5. April 2023 hat die Bundesregierung sich dazu entschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dieser befasste sich am 9. Mai 2023 mit dem Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden und konnte eine Einigung erzielen. 

Folgende Änderungen wurden vereinbart: 

  • Es besteht keine Pflicht für die internen als auch externen Meldestellen anonyme Meldungen zu ermöglichen. Für den Fall, dass intern wirksam gegen Verstöße vorgegangen werden kann, sollen hinweisgebende Personen die Meldung auch an eine interne Meldestelle bevorzugen. 
  • Der sachliche Anwendungsbereich soll auf den beruflichen Kontext beschränkt werden. Hinweise sollen demnach nur dann in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, wenn sie sich auf den Beschäftigungsgeber beziehen oder auf eine Stelle, mit der die hinweisgebende Person im beruflichen Kontakt stand.
  • Die Beweislastumkehr, die in dem Fall greift, dass die hinweisgebende Person eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erleidet, bleibt bestehen. Sie soll aber an die Bedingung geknüpft werden, dass die hinweisgebende Person dies auch geltend macht. 
  • Die Höhe der Bußgelder wurde auf einen Maximalbetrag von 50.000 EUR reduziert. 

Der Bundestag hat den geänderten Entwurf am 11. Mai 2023 angenommen. Im Anschluss stimmte auch der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am 12. Mai 2023 für das Hinweisgeberschutzgesetz.

Das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (BGBl I 2023, Nr. 140) wurde am 2. Juni 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet. Art. 1, § 41 des Hinweisgeberschutzgesetzes tritt bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt das Gesetz am 2. Juli 2023 in Kraft.




 


19. Legislaturperiode:

Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG)

Im November 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, erarbeitet.

Der Entwurf soll einen wirksamen und nachhaltigen Schutz für Hinweisgeber vor Benachteiligungen bilden und zugleich die EU-Hinweisgeberschutzrichtlinie umsetzen. 

Dafür ist ein gänzlich neues Stammgesetz (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) geplant, in dem alle Regelungen zum Hinweisgeberschutz enthalten sein sollen. Die maßgeblichen geplanten Neuregelungen sind:

  • Der persönliche Anwendungsbereich (§ 1 HinSchG-E) soll alle Personen umfassen, die in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erlangt haben.

  • Der sachliche Anwendungsbereich (§ 2 HinSchG-E) soll die durch die Richtlinie vorgegebenen Rechtsbereiche aufgreifen. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden und die praktische Anwendung für hinweisgebende Personen handhabbar zu gestalten, werden die Rechtsbereiche in begrenztem Umfang auf korrespondierendes nationales Recht ausgeweitet. Einbezogen werden dabei insbesondere das Strafrecht und das Recht der Ordnungswidrigkeiten.

  • Für hinweisgebende Personen werden mit internen und externen Meldekanälen zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege vorgesehen, zwischen denen sie frei wählen können (§§ 7 bis 30 HinSchG-E).

  • In Umsetzung der Anforderungen der Hinweisgeberschutz-Richtlinie und unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR werden die Voraussetzungen festgelegt, unter denen eine hinweisgebende Person Informationen über Verstöße öffentlich zugänglich machen darf (§ 31 HinSchG-E).

  • Sofern hinweisgebende Personen die Anforderungen des HinSchG-E an eine Meldung oder Offenlegung einhalten, werden sie umfangreich vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen geschützt (§§ 32 bis 38 HinSchG-E).

Daneben sieht der Entwurf kleinere Änderungen im Arbeitsschutzgesetz und dem Beamtenstatusgesetz vor.

In KriPoZ 3/2021 haben sich Kim Erlebach und Miguel Veljovic in ihrem Beitrag (KriPoZ 2021, 165 ff.) mit dem HinSchG-E beschäftigt. 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz)

 

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen brachte am 5. Oktober 2018 einen Gesetzentwurf zum Schutz von Whistlewblowern in den Bundestag ein. Nach Ansicht der Fraktion bedürfen Menschen, die Informationen der Öffentlichkeit zugänglich machen und damit dem Allgemeinwohl dienen, einen besonderen Schutz. Sie sollen insbesondere vor Strafverfolgung und dienst- oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt werden. 

Ein Schutz alleine durch die Rechtsprechung reiche nicht aus. Die Europäische Kommission hat am 23. April 2018 einen Richtlinienvorschlag zum Schutze von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vorgelegt. Am 23. Oktober 2019 wurde diese Richtlinie verkündet. Um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, sei eine deutsche Positionierung in Form eines „vorbildlichen nationalen Whistleblower-Schutzgesetzes“ notwendig. 

Hierzu sollen Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, Berufsbildungsgesetz, Bundesbeamtengesetz und Beamtenstatusgesetz vorgenommen werden, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen Hinweisgeber sich an andere Stellen oder an die Öffentlichkeit wenden dürfen. Insbesondere sollen in § 353c StGB Regelungen geschaffen werden, die Whistleblower straffrei stellen: 

„§ 353c StGB – Befugtes Offenbaren eines Geheimnisses

Befugt ist das Offenbaren eines Geheimnisses dann, wenn der Täter zur Aufklärung, Verhinderung oder Beendigung einer Grundrechtsverletzung oder der Begehung einer schweren Straftat (§ 100c Absatz 2 der Strafprozessordnung) handelt, rechtzeitige Abhilfe nicht zu erwarten ist und das öffentliche Interesse an der Weitergabe der Information das Geheimhaltungsinteresse erheblich überwiegt. Das Gleiche gilt für das Offenbaren eines Geheimnisses zur Verhinderung oder Beendigung einer drohenden oder gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit, das Persönlichkeitsrecht, die Freiheit der Person, die Stabilität des Finanzsystems oder die Umwelt.“

Bislang regeln lediglich die §§ 93 ff. StGB die Strafbarkeit der Preisgabe von Staatsgeheimnissen und § 353b StGB die Verletzung von Dienstgeheimnissen. 

Im Rahmen der netzpolitik.org.-Affäre hatte die Fraktion bereits 2016 die Geheimnisverrats- Straftatbestände  (Landesverrat, Verrat von Dienstgeheimnissen) überarbeitet und in den Bundestag eingebracht (Drs. 18/ 10036). Die damaligen Änderungsvorschläge wurden in den Gesetzentwurf aufgenommen. 

Der Bundestag beriet am 18. Oktober 2018 erstmals über den Regierungsentwurf zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (BT Drs. 19/4724) und über den Gesetzentwurf der Fraktion. Beide Entwürfe wurden im Anschluss an die Debatte zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz weitergeleitet. 

 

 

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Zur Begriffswahl für §§ 176 bis 176b StGB und zur Einordnung der Zwangsmittel in die Missbrauchstatbestände 

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I'm not sure this is rape, but..." - Zur Strafbarkeit von "Stealthing" nach dem neuen Sexualstrafrecht
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Alternativansätze zur Senkung überlanger Verweildauern im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB
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Gesetzentwurf zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik im Strafvollstreckungsverfahren 
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Corinna Götze: Durchbrechung der ärztlichen und psychotherapeutischen Schweigepflicht bei in sicherheitsrelevanten Berufen tätigen Personen 
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