KriPoZ-RR, Beitrag 77/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 1 StR 58/19: Beginn der Verjährungsfrist des Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeitsentgelt

Amtlicher Leitsatz:

Die Verjährung jeder Tat des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB beginnt mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat nach § 23 Abs. 1 SGB IV.

Sachverhalt:

Das LG Kiel hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als Bauunternehmer Arbeiter beschäftigt ohne sie der zuständigen Einzugsstelle der Sozialversicherung anzumelden.

Daneben hatte er auch Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht abgeführt und gegenüber dem Finanzamt Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag verkürzt.

In einigen Fällen der Urteilsgründe hatte der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlungen der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008 gelegen. Die unvollständige Meldung an die Berufsgenossenschaft war am 6. Februar 2008 erfolgt und die unrichtigen Steuererklärungen hatte der Angeklagte zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 gegenüber dem Finanzamt abgegeben. 

Die Strafverfolgungsverjährung war durch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kiel vom 25. Januar 2012 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen worden. Die Anklage war am 28. Oktober 2016 beim Landgericht eingegangen und das Hauptverfahren mit Beschluss vom 30. Mai 2018 eröffnet worden.

Entscheidung des BGH:

In allen oben aufgeführten Fällen stellte der BGH das Verfahren gem. § 206a Abs. 1 StPO ein, da Verfolgungsverjährung eingetreten sei.

In den Fällen der Steuerhinterziehung sei es der Zeitpunkt der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung, der gleichzeitig zur sofortigen Tatvoll- und -beendigung führe.

Daher seien die Taten zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 beendet gewesen und die Verjährungsfrist habe 5 Jahre betragen. Der Ablauf dieser Frist sei durch den Durchsuchungsbeschluss am 25. Januar 2012 und die Anklageerhebung am 28. Oktober 2016 unterbrochen worden. Die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung war allerdings erst am 30. Mai 2018 erfolgt. Aus diesem Grund sei bei allen Taten bereits die absolute Verjährung eingetreten, § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB. Damit sei ein Ruhen der Verjährung durch den Eröffnungsbeschluss gem. § 78b Abs. 4 StGB nicht mehr möglich gewesen. Gleiches gelte für das Urteil vom 29. August 2018 nach § 78b ABs. 3 StGB.

Auch in den übrigen Fällen des Vorenthaltens und Verkürzens von Arbeitsentgelt und Beiträgen zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung sei Verfolgungsverjährung eingetreten.

Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung ging der Senat davon aus, dass die Verjährungsfrist bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB schon mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes nach § 23 Abs. 1 SGB IV für jeden Beitragsmonat zu laufen beginne.

Bei echten Unterlassungsdelikten wie den hier in Rede stehenden §§ 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB liege der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Zeitpunkt der Tatbeendigung dann vor, wenn die Pflicht zum Handeln entfalle, also die Strafbarkeit des Täterverhaltens ende.

Dies beurteile sich nach der Auslegung des jeweiligen Tatbestandes. 

Mit dem Verstreichenlassen der Zahlungsfrist für die Beiträge zur Sozialversicherung seien Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB daher vollendet und nach seiner jetzigen Rechtsprechung auch beendet, so der BGH.

Auf das Entfallen der Beitragspflicht soll demnach in Zukunft nicht mehr abgestellt werden.

Dieses Ergebnis begründet der Senat damit, dass im Zeitpunkt der nicht pünktlichen Zahlung die Rechtsgutsverletzung bereits irreversibel eingetreten sei und durch weitere Passivität auch nicht vertieft werden könne.

Daher gebe es keine Strafbewehrung des weiteren Unterlassens nach Vollendung des Tatbestands, auch nicht mit der Begründung einer Erhöhung des Verspätungsschadens. Da somit in diesem Zeitpunkt auch die strafbewehrte Pflicht zur Beitragsentrichtung entfalle, sei die Tat gleichzeitig beendet.

Die sozialversicherungsrechtlich weiterhin bestehende Pflicht zur Beitragszahlung sei davon unabhängig und stehe somit einer früheren Tatbeendigung auch nicht entgegen.

Diese Auslegung ermögliche zudem einen weitestgehenden Gleichlauf der Verjährungsfristen der §§ 266a Abs. 2 StGB und 370 Abs. 1 AO.

Gegen die vorherige Rechtsprechung spreche nach Ansicht des BGH zudem, dass der Anspruch auf Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge erst nach 30 Jahren verjähre, was dann zu einer möglichen Gesamtverjährungsfrist von über 35 Jahren führen könnte. Dies sei im Hinblick auf den Unrechtsgehalt des Delikts nicht angemessen.

Daneben führe die vorherige Rechtsprechung zu einer Benachteiligung von Einzelunternehmen, da § 266a StGB als Sonderdelikt nur vom Arbeitgeber erfüllt werden könne. Für dessen Kenntnis werde bei juristischen Personen als Arbeitgeber auf die vertretungsberechtigten Organe bzw. deren Mitglieder oder Gesellschafter abgestellt. Mit dem Ausscheiden dieser aus dem Unternehmen könne somit ein Beginn der Verjährungsfrist herbeigeführt werden, was dem Einzelunternehmer nicht möglich sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der erste Strafsenat hatte bei den anderen Senaten angefragt, ob an etwaiger entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten werde.

Diese hatten sich unter Aufgabe etwa entgegenstehender Rechtsprechung angeschlossen (Beschluss vom 15. Juli 2020 – 2 ARs 9/20; Beschluss vom 2. Juli 2020 – 4 ARs 1/20; Beschluss vom 6. Februar 2020 – 5 ARs 1/20). 

Den KriPoZ-RR Beitrag zum Anfragebeschluss finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 76/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 29.07.2020 – 4 StR 49/20: Selbstaufnahmen des Tatopfers können § 201a Abs. 1 Nr. 4 unterfallen

Amtlicher Leitsatz:

Selbstaufnahmen des Tatopfers können Gegenstand der unbefugten Weitergabe im Sinne des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB sein.

Sachverhalt:

Das LG Paderborn hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Sichverschaffen einer kinderpornographischen Schrift in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Nötigung, Sichverschaffens einer kinderpornographischen Schrift in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, versuchter Nötigung in fünf Fällen, Nötigung in Tateinheit mit Sichverschaffen einer jugendpornographischen Schrift in fünf Fällen sowie Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit öffentlichem Zugänglichmachen einer jugendpornographischen Schrift und in einem Fall in Tateinheit mit Drittbesitzverschaffung an einer jugendpornographischen Schrift zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte von den Opfern selbst aufgenommene Bilder, die ihm befugtermaßen überlassen worden sind, unbefugterweise an Dritte weitergeleitet.

Dies hat das LG als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB gewertet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung. Der Wortlaut der Norm erfordere nicht, dass sämtliche Voraussetzungen der in Bezug genommenen Nummern erfüllt sein müssten.

Vielmehr beschränke sich die Bezugnahme auf die Art der Bildaufnahme als Tatobjekt und nicht auf den Akt ihrer Herstellung. Ebenfalls spreche die Systematik der Norm gegen eine einschränkende Auslegung, da die Nr. 3 des Tatbestands explizit auf eine „durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme“ abstellt. Dies mache die Nr. 4 des § 201a Abs. 1 StGB gerade nicht.

Eine Erfassung von Selbstaufnahmen entspreche auch Sinn und Zweck der Vorschrift, da der wesentliche Unrechtsgehalt bei dieser Variante nicht im Herstellen der Aufnahmen, sondern in deren unbefugter Verbreitung liege. Dieser Vertrauensmissbrauch schädige das Rechtsgut nämlich unabhängig davon, wer ursprünglich Hersteller der Aufnahmen war, so der BGH.

Auch die Gesetzesmaterialien ließen keinen Schluss auf eine Einschränkung der Norm erkennen. Im Gegenteil habe der Gesetzgeber 2015 den Anwendungsbereich der Norm durch das 49. Strafrechtsänderungsgesetz sogar ausweiten wollen. Daher sei eine Herausnahme von selbst hergestellten Bildern aus dem Schutzbereich der Norm im Ergebnis nicht begründbar.

 

Anmerkung der Redaktion:

Durch das 49. StrafÄndG ist § 201a StGB neu gefasst worden. Das Gesetz finden Sie hier.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 75/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 30.06.2020: 3 StR 377/18: § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG beim Versuch und Verzicht auf Verwertungsverbot des § 252 StPO

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Anwendung des Strafrahmens gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG ist auch möglich, wenn der Mord nicht vollendet, sondern nur versucht ist.

  2. Zum (Teil-)Verzicht eines Zeugen auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten geplant den Nebenkläger zu töten, weil dieser eine Beziehung mit der Schwester des einen Angeklagten führt, was die beiden als Kränkung der Familienehre empfunden hatten.

Sie hatten das Opfer daraufhin vor die Tür gelockt, wo sie ihm mit einer Maschinenpistole in die Brust geschossen hatten, was der Nebenkläger jedoch letztlich überlebt hatte. Nur aufgrund von Ladehemmungen, konnten die Angeklagten ihren Plan nicht bis zum Ende ausführen.

Im Anschluss daran hatte der Nebenkläger im Krankenhaus gegenüber der Polizei und später dem Ermittlungsrichter eine Aussage getätigt. Nach der Heirat mit der Schwester des Angeklagten hatte er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO berufen, jedoch die Verwertung seiner richterlichen Vernehmung gestattet, nicht aber die der polizeilichen Vernehmung. Das LG hat dennoch den Beweisantrag bezüglich der polizeilichen Vernehmung abgelehnt, da der Verzicht auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO nicht die polizeiliche Vernehmung umfasse.

Entscheidung des BGH:

Diese Entscheidung bestätigte der BGH. Es sei unzulässig gewesen, die polizeiliche Vernehmung in den Prozess einzuführen, da sich der Nebenkläger wirksam auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 StPO berufen habe und daher der Polizeibeamte nicht im Prozess vernommen werden durfte. § 252 StPO garantiere nicht nur einen Verzicht auf die Verlesung des Protokolls der Vernehmung, sondern auch auf eine Vernehmung der Verhörsperson im Prozess. Eine Entscheidung über die Möglichkeit eines (Teil-)Verzichts auf das Verwertungsverbot sei hier nicht geboten gewesen, da sich bei einer etwaigen Unwirksamkeit ein umfassendes Verwertungsverbot bezüglich der polizeilichen Vernehmung ergeben hätte. Dies ergebe sich daraus, dass der Zeuge nicht in Kenntnis der Reichweite seiner Entscheidung auf das Verwertungsverbot verzichtet habe. Im Gegenteil wollte er gerade von diesem Recht Gebrauch machen und keinen Zugriff auf alle früheren Aussagen zulassen. Sollte nun ein Teilverzicht rechtlich als unzulässig anzusehen sein, könne dieser Irrtum dem Zeugen nicht angelastet werden und im Zweifelsfall sei seine gesamte Aussage unverwertbar, so der BGH. Da das LG hier von einer Unverwertbarkeit der polizeilichen Vernehmung ausgegangen sei und die Verwertung der richterlichen Vernehmung nicht gerügt worden sei, müsse diese Streitfrage aber letztlich nicht entschieden werden.

Im Weiteren führte der BGH aus, dass die Anwendung des Strafrahmens des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG für den heranwachsenden Angeklagten nicht auf Bedenken stoße. Es entspreche der Regelungstechnik, dass ein Verweis auf eine Strafnorm auch ihren strafbaren Versuch und etwaige weitere Erscheinungsformen erfasse. Beispielsweise gelte die Zuweisung von Verbrechen des Mordes an das Schwurgericht gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG auch für versuchte Morde.

Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich nichts Anderes, sodass auch versuchte Mordstraftaten genauso schwer wiegen können, wie ein vollendeter Mord. Daher sei die Anwendung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG unproblematisch möglich gewesen.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 74/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 3 StR 214/20: Nebenkläger können Freispruch erstreben

Amtlicher Leitsatz:

Die Befugnis, sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen, entfällt nicht dadurch, dass der Nebenkläger in der Hauptverhandlung die Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) des Angeklagten in Zweifel ziehende Anträge stellt und letztlich dessen Freispruch erstrebt.

Sachverhalt:

Am LG Koblenz ist ein Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner Pflegeeltern geführt worden.

Diese hatten sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen, was das LG als zulässig angesehen hatte. Nachdem die Nebenkläger daraufhin im Hauptverfahren mehrere Anträge gestellt hatten, die die Schuldfähigkeit oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten in Frage gestellt hatten, um dessen Freispruch zu erreichen, hatte das LG die Zulassung als Nebenkläger aufgehoben, da es in so einem Fall an einer Anschlussbefugnis nach § 395 Abs. 1 bis 3 StPO fehle. Hiergegen wendeten sich die Nebenkläger zum BGH, da ihnen das Urteil und die Revisionsschrift des Angeklagten nicht zugestellt worden war und der BGH so nicht über die Revision entscheiden könne.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass die Aufhebung der Zulassung als Nebenkläger rechtswidrig gewesen sei und das Urteil sowie die Revisionsschrift den Nebenklägern zugestellt werden müsse.

Die Anschlussberechtigung der Pflegeeltern habe weiter fortbestanden und ergebe sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 JGG.

Sowohl der § 80 JGG als auch § 395 StPO fordern lediglich, die Verletzung des Nebenklägers durch die verfahrensgegenständliche rechtswidrige Tat des Angeklagten.

Weder der Wortlaut der Normen noch deren systematischer Zusammenhang forderten darüber hinaus ein bestimmtes vom Nebenkläger zu verfolgendes Ziel oder ein bestimmtes Prozessverhalten.

Dies ergebe sich schon daraus, dass § 400 StPO die Rechte der Nebenkläger nur für konkrete Sonderfälle beschränke und keinen Rückschluss auf eine allgemeine Beschränkung der Nebenklagebefugnis zulasse. Es müsse zwischen Zulassung zur Nebenklage und zulässiger Einlegung eines Rechtsmittels durch die Nebenkläger unterschieden werden, was nicht heißte, dass pauschal jedes Rechtsmittel der Nebenkläger zugunsten des Angeklagten unzulässig sei. Beispielsweise könne der Nebenkläger eine Unterbringung nach § 63 StGB erreichen wollen.

Auch dass der Nebenkläger sich der Klage „anschließe“ bedeute aufgrund seiner eigenen prozessualen Rechte nicht, dass er auch das Ziel der Anklage teilen müsse. Vielmehr sollten ihm seine Rechte ermöglichen, auf eine sachgerechte Aufklärung der Tat durch das Gericht hinzuwirken. Wie er dies zu tun gedenke, sei seine eigene Entscheidung. Dies sei auch Ziel der Gesetzesnovelle durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 gewesen, das die Vorstellung einer doppelt besetzten Anklagerolle explizit aufgegeben habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

So hatte auch schon der 4. Strafsenat entschieden: BGH, Beschl. v. 12.07.1990 – 4 StR 247/90.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 73/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 3 StR 469/19: Strafrahmenwahl bei § 30a Abs. 3 BtMG und § 29a Abs. 1 BtMG

Amtlicher Leitsatz:

Der Senat schließt sich der Rechtsprechung an, wonach ausschließlich die Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 BtMG eine Sperrwirkung entfaltet, die Strafrahmenobergrenze jedoch dem § 30a Abs. 3 BtMG zu entnehmen ist, wenn zwar ein minder schwerer Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG, nicht aber ein solcher gemäß § 29a Abs. 1 BtMG vorliegt; an seiner abweichenden Auffassung hält er nicht mehr fest (Aufgabe BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2013 – 3 StR 143/13; vom 3. Februar 2015 – 3 StR 632/14; Urteil vom 7. September 2017 – 3 StR 278/17).

Sachverhalt:

Das LG Hannover hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition verurteilt, wobei es die Strafe dem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe entnommen hat. Einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG hat es bejaht, einen nach § 29a Abs. 2 BtMG jedoch verneint.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Strafausspruch auf, da das LG von einer Sperrwirkung sowohl der Strafrahmenober- als auch der Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 BtMG ausgegangen sei.

Dies entspreche auch durchaus der früheren Rechtsprechung des Senats, an der dieser jedoch nicht mehr festhalten wolle. Er schließe sich nunmehr den anderen Senaten an, die von einer Sperrwirkung lediglich der Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 BtMG ausgingen und die Strafrahmenobergrenze dem § 30a Abs. 3 BtMG entnähmen, wenn nach diesem ein minder schwerer Fall vorliege, aber nach § 29a Abs. 1 BtMG gerade nicht.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2013 hatte der 2. Strafsenat nach dieser Maßgabe entschieden (BGH, Beschl. v. 14.08.2013 – 2 StR 143/13). Die anderen Senate waren dieser Auffassung gefolgt (BGH, Beschl. v. 07.11.2017 – 1 StR 515/17; Beschl. v. 26.09.2019 – 4 StR 133/19; Urt. v. 12.02.2015 – 5 StR 536/14). Mit seiner Entscheidung schließt sich der 3. Strafsenat nun dieser gemeinsamen Linie an.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 72/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

EuGH, Urt. v. 24.09.2020 – C-195/20 PPU: Grundsatz der Spezialität bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls

Amtlicher Leitsatz:

Art. 27 Abs. 2 und 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der in Abs. 2 dieses Artikels aufgestellte Grundsatz der Spezialität einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme gegenüber einer Person, gegen die ein erster Europäischer Haftbefehl ergangen ist, wegen einer anderen und früheren Handlung als derjenigen, die ihrer Übergabe in Vollstreckung dieses Haftbefehls zugrunde liegt, nicht entgegensteht, wenn diese Person das Hoheitsgebiet des Ausstellungsmitgliedstaats dieses ersten Haftbefehls freiwillig verlassen hat und dorthin in Vollstreckung eines zweiten, nach dieser Ausreise zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls übergeben worden ist, sofern im Rahmen des zweiten Europäischen Haftbefehls die diesen vollstreckende Justizbehörde ihre Zustimmung zur Ausweitung der Verfolgung auf die Handlung erteilt hat, derentwegen die fragliche freiheitsbeschränkende Maßnahme verhängt worden ist.

Sachverhalt:

Der Beschuldigte war in Deutschland in drei verschiedenen Strafverfahren verfolgt worden. Im ersten Verfahren war er im Jahr 2011 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Im zweiten Verfahren wegen einer Tat in Portugal hatte die StA Hannover einen Europäischen Haftbefehl erlassen, da sich der Beschuldigte in Portugal aufgehalten hatte. Nach der Überstellung des Beschuldigten nach Deutschland, wo dieser dann seine Strafe für die zweite Tat von einem Jahr und drei Monaten verbüßt hatte, wurde während der Vollstreckung dieser Haftstrafe die Aussetzung der ersten Strafe zur Bewährung widerrufen. Daraufhin hatte die StA Flensburg bei der portugiesischen Vollstreckungsbehörde beantragt, die im Jahr 2011 verhängte Strafe vollstrecken zu dürfen und daher auf den Grundsatz der Spezialität aus Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/5841 zu verzichten. Eine Antwort aus Portugal hatte die StA nie erhalten und den Verurteilten deshalb freigelassen, was dieser für die Ausreise nach Italien genutzt hatte. Einen Tag nachdem der Verurteilte das Bundesgebiet verlassen hatte, hatte die StA Flensburg dann einen Europäischen Haftbefehl zur Vollstreckung der ersten Strafe aus dem Jahr 2011 erlassen. Dies hatte zur erneuten Ergreifung und Überstellung nach Deutschland diesmal durch italienische Behörden geführt.

In einem Dritten Verfahren hatte dann das AG Braunschweig einen Haftbefehl wegen einer 2005 in Portugal begangenen Tat gegen den Beschuldigten erlassen. Der daraufhin beantragte Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität war von den italienischen Behörden bewilligt worden, sodass der Beschuldigte daraufhin wegen der Tat aus 2005 und im Hinblick auf die noch zu vollstreckende Strafe aus dem Urteil aus 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.

Gegen diese Verurteilung hat sich der Verurteilte mit der Revision gewendet und das Revisionsgericht hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der Untersuchungshaftbefehl des AG Braunschweig aufrechterhalten werden könne. Dies hat der Beschuldigte mit dem Argument in Abrede gestellt, dass zwar die italienischen Vollstreckungsbehörden, jedoch nicht die portugiesischen auf den Grundsatz der Spezialität verzichtet hätten.

Entscheidung des EuGH:

Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage so, dass Art. 27 Abs. 2 und 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen seien, dass der in Abs. 2 dieses Artikels aufgestellte Grundsatz der Spezialität einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme gegenüber einer Person, gegen die ein erster EHB ergangen sei, wegen einer anderen und früheren Handlung als derjenigen, die ihrer Übergabe in Vollstreckung dieses Haftbefehls zugrunde liege, nicht entgegenstehe, wenn diese Person das Hoheitsgebiet des Ausstellungsmitgliedstaats dieses ersten EHB freiwillig verlassen habe und dorthin in Vollstreckung eines zweiten, nach dieser Ausreise zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten EHB übergeben worden sei, sofern im Rahmen des zweiten EHB die diesen vollstreckende Justizbehörde ihre Zustimmung zur Ausweitung der Verfolgung auf die Handlung erteilt habe, derentwegen die fragliche freiheitsbeschränkende Maßnahme verhängt worden sei.

Diese Entscheidung sei zum einen das Ergebnis einer wörtlichen Auslegung der Bestimmung, die auf die Übergabe im Singular abstelle, also den Grundsatz der Spezialität eng mit der Vollstreckung eines ganz bestimmten Europäischen Haftbefehls verknüpfe. Ebenfalls würde die Effektivität des Auslieferungsverfahrens behindert, wenn eine Zustimmung beider ausländischen Vollstreckungsbehörden gefordert würde, so der EuGH.

Demnach könne der Haftbefehl des AG Braunschweig aufrecht erhalten bleiben, da nur die Zustimmung der italienischen Vollstreckungsbehörde erforderlich gewesen sei, welche diese auch erteilt habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Ziel der Vorschriften über den Europäischen Haftbefehl ist gerade die effektivere Gestaltung des innereuropäischen Auslieferungsverfahrens. Weitere Informationen über den Europäischen Haftbefehl erhalten Sie hier.

Im Dezember 2019 hatte der EuGH bereits Anforderungen an die einen EuHB ausstellende Behörde festgelegt. Den KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier.

Auch zur Frage welches Recht bei der Prüfung eines EuHB anzuwenden ist, hat sich der EuGH bereits geäußert: KriPoZ-RR, Beitrag 22/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 71/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 04.08.2020 – 3 StR 132/20: Zur Zwangsprostitution nach § 232a StGB

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Täter veranlasst eine zur weiteren Ausübung der Prostitution bereite Person im Sinne des § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Fortsetzung derselben, wenn er sie entgegen ihrem Willen zu einer qualitativ intensiveren oder quantitativ wesentlich umfangreicheren Form der Ausübung bewegt oder von einer weniger intensiven bzw. wesentlich weniger umfangreichen Form abhält.

  2. List im Sinne des § 232a Abs. 3 StGB verlangt, dass sich die irreführenden Machenschaften auf die Tatsache der Prostitutionsausübung an sich beziehen. Das lediglich arglistige Schaffen eines Anreizes gegenüber einer Person, die sich frei für oder gegen eine Prostitutionsaufnahme oder –fortsetzung entscheiden kann, genügt nicht. Das Hervorrufen eines bloßen Motivirrtums wird deshalb regelmäßig von dem Tatbestandsmerkmal nicht erfasst.

Sachverhalt:

Das LG Wuppertal hat den Angeklagten u.a. wegen wegen „Beihilfe zur Zuhälterei“ und „Beihilfe zur besonders schweren Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei“ zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte (A) den aufgrund eines gemeinsamen Tatplans als Zuhälter tätigen Mitangeklagten (B und C) eine 18-jährige und als Prostituierte tätige Frau vermittelt. Diese hatte B unter Vorspieglung falscher Tatsachen dazu gebracht, sich in ihn zu verlieben und alle ihre Einnahmen an ihn abzugeben (sog. Loverboy-Methode). Die Einnahmen hatte B mit C hälftig geteilt. Es war mehrfach zu Gewaltanwendung durch den Mitangeklagten gekommen, um sie zur Prostitution anzuhalten. Der Angeklagte hatte sich häufig in der Wohnung der Frau aufgehalten, um sie nach Absprache mit den Mitangeklagten zu überwachen.

Die gleiche Methode hatte wenige Zeit später der C angewandt bei gleicher Vorgehensweise, worauf sich die 18-Jährige wiederum zur Prostitution bereit erklärt hatte. Währenddessen hatte der Angeklagte die Heranwachsende immer weiter bestärkt und Cs Liebe als aufrichtig dargestellt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch in zwei Fälle der Beihilfe zur ausbeuterischen und dirigistischen Zuhälterei, in einem Fall davon in Tateinheit mit Beihilfe zur Zwangsprostitution um.

Das Verhalten des Angeklagten habe sowohl die Tatbestandsmerkmale der ausbeuterischen Zuhälterei nach § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch diejenigen der dirigistischen Zuhälterei nach § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Diese beiden Normen stellten jedoch zwei eigenständige Tatbestände dar, deren Verwirklichung in Tateinheit stehe.

Zur Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zur Zwangsprostitution führte der Senat folgendes aus:

Schutzzweck des § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB sei es, eine bereits die Prostitution ausübende Person davor zu schützen, weiter in das Gewerbe verstrickt zu werden. Demnach erfülle den Tatbestand, wer entweder eine der Prostitution nachgehende Person, die – nach den Vorstellungen des Täters – den Willen habe, diese Tätigkeit zu beenden, von diesem Gedanken abgebracht werde oder entgegen ihres Willens zu einer intensiveren Form der Prostitutionsausübung gedrängt werde bzw. von dem Willen abgebracht werde, eine weniger intensive Form der Tätigkeit zu wählen.

Dabei sei es irrelevant, ob der qualitative oder quantitative Umfang der Prostitutionsausübung betroffen sei. Ebenfalls müsse die Verlagerung die Tätigkeit als Prostituierte selbst betreffen, ein Wechsel des Zuhälters genüge beispielsweise nicht.

Durch ihre Täuschungen, zu denen der Angeklagte Hilfe geleistet habe, hätten die Mitangeklagten die Heranwachsende gegen ihren Willen zu einer quantitativen Erweiterung ihrer Tätigkeit gebracht. Dies erfülle den Tatbestand.

Im Gegensatz zur landgerichtlichen Wertung verwirklichten die Mitangeklagten die Qualifikation des § 232a Abs. 3 StGB nicht, da das Opfer nicht mit List getäuscht worden sei.

List sei jede Verhaltensweise des Täters, die darauf gerichtet sei, seine Ziele unter geflissentlichem und geschicktem Verbergen der wahren Absichten und Umstände durchzusetzen. Davon regelmäßig nicht erfasst, sei das Hervorrufen eines Motivirrtums beim Opfer, welches sich trotz dieser Motivation noch für oder gegen die Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution entscheiden könne.

An diesem restriktiven Verständnis sei auch nach der Gesetzesänderung in 2016 festzuhalten, da der Wortlaut der Norm hierauf keinen Hinweis gebe und die Gesetzesmaterialien explizit keine Erweiterung in Bezug auf das Tatmittel der List vorgesehen hätten, so der BGH.

Danach sei das Vorspielen einer Liebesbeziehung ebenso wie das einer Krankheit oder hohen Schulden nicht ausreichend, um die Qualifikation zu erfüllen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Vorschriften zum Menschenhandel sind 2016 geändert worden. Insbesondere ist mit § 232a Abs. 3 StGB die Qualifikation der schweren Zwangsprostitution neu eingeführt worden. Weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren erhalten Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 70/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 02.09.2020 – 5 StR 630/19: Nochmaliges Unterbreiten eines Verständigungsvorschlags begründet keine Befangenheit

Leitsatz der Redaktion:

Das nochmalige Unterbreiten eines Verständigungsvorschlags ist für sich genommen ebenso wenig geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wie das Festhalten an der im Verständigungsvorschlag genannten Strafhöhe bei Scheitern der Verständigung und einem dennoch geständigen Angeklagten.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft u.a. mit der Rüge formellen Rechts. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Die Vorsitzende Richterin des LG hatte im Vorfeld der Hauptverhandlung Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung geführt. Dabei hatte sie einen Strafrahmen bei einer geständigen Einlassung und Schadenswiedergutmachung des Angeklagten genannt. Die Staatsanwaltschaft war mit diesem nicht einverstanden gewesen. Dennoch unterbreitete die Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung den Verständigungsvorschlag, den der Angeklagte angenommen hatte, die StA jedoch nicht.

Nachdem dieser Versuch der Verständigung als gescheitert im Protokoll aufgenommen worden war, kam es zu einem umfassenden Geständnis des Angeklagten und einer Verteidigererklärung, dass der Angeklagte den Schaden wiedergutgemacht hätte. Zum Beweis hatte der Verteidiger einen Einzahlungsbeleg auf ein Anderkonto und zwei unwiderrufliche Zahlungsaufträge vor.

Am zweiten Verhandlungstag hatte die StA, die vorher eine dienstliche Stellungnahme der Vorsitzenden zur Erklärung über weitere Verständigungsgespräche gefordert hatte, welche diese mit einer Verneinung abgegeben hatte, daraufhin einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende gestellt, da diese trotz eines Scheiterns der Verständigung am Ziel des Verständigungsvorschlags festgehalten hätte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH wies die Rüge als unbegründet ab.

Es stelle regelmäßig keinen Befangenheitsgrund dar, wenn ein Richter einen Verständigungsvorschlag nochmals in der Hauptverhandlung unterbreite, obwohl dieser schon vorher abgelehnt worden sei.

Gerade weil eine Verständigung nach der Rechtsprechung des BVerfG kein Vergleich im Gewande eines Urteils sein dürfe, sondern lediglich eine transparente Einschätzung der Strafzumessungsentscheidung des Gerichts bei geständiger Einlassung des Angeklagten, diene eine derart offene und kommunikative Verhandlungsführung der Verfahrensförderung und begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Daher sei es unbedenklich, wenn das Gericht einen abgelehnten Verständigungsvorschlag nochmals zu Beginn der Hauptverhandlung unterbreite. Aufgrund des Charakters der Verständigung als antizipierte strafzumessungsrechtliche Bewertung bei einem bestimmten erwarteten Prozessverhalten des Angeklagten (beispielsweise einem Geständnis), sei es zudem unbedenklich, wenn das Gericht auch ohne Zustandekommen der Verständigung bei Vornahme der erwarteten Prozesshandlungen durch den Angeklagten, den im Verständigungsvorschlag gewählten Strafrahmen nutze.

Die Verständigung solle gerade keinen „Handel mit Gerechtigkeit“, sondern ein transparentes Verfahren darstellen, welches dem Angeklagten den Wert eines etwaigen Geständnisses transparent aufzeige.

Bei Nichtzustandekommen der Verständigung entfalle lediglich die Bindungswirkung und die Sicherheit für den Angeklagten, dass sein Geständnis nicht verwertet werde, wenn die Strafzumessung nicht im gewählten Rahmen bliebe. Dennoch spreche nichts dagegen den gleichen Rahmen zu wählen, wenn eine Verständigung scheitert und der Angeklagte dennoch alle Bedingungen bei ansonsten unveränderter Sachlage erfülle. Dies sei dann nur folgerichtig.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Grundsatzurteil des BVerfG zur Verständigung im Strafprozess finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 69/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.07.2020 – 1 StR 221/20: Fehlende sexuelle Selbstbestimmung des Opfers bei § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB muss durch Gesamtbetrachtung der Umstände festgestellt werden

Leitsatz der Redaktion:

Auf die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung des Opfers darf das Tatgericht nicht schon allein aufgrund des Alters des Opfers unter 16 Jahren oder des Altersunterschieds zum Täter schließen. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände im jeweiligen Einzelfall.

Sachverhalt:

Das LG Heidelberg hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in vier Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sich als 18-Jähriger ausgegeben und unter einem Pseudonym im Internet sowie später per Chatnachrichten Kontakt zu der 15-jährigen Nebenklägerin gesucht. Sie hatten sich angefreundet. Daraufhin hatte der Angeklagte den Kontakt zu einem vermeintlichen Freund von ihm hergestellt, der nach seiner Aussage, sehr nett sei und viel Geld habe. In Wirklichkeit war dies der Angeklagte selbst nur unter einem anderen Pseudonym gewesen. Die Nebenklägerin hatte sich daraufhin mehrmals mit dem Angeklagten getroffen, den sie für den Freund ihres Chatpartners gehalten hatte. Bei manchen dieser Treffen war es auch zu Geschlechtsverkehr zwischen beiden gekommen. Zu diesem Geschlechtsverkehr hatte der Angeklagte die Nebenklägerin unter dem ersten Pseudonym ermutigt.

Das LG hat eine altersbedingte Unreife der Nebenklägerin angenommen, da sie psychisch labil gewesen sei und bisher keine sexuellen Erfahrungen gemacht habe. Daher habe sie sich dem Angeklagten nicht wiedersetzen können und sie haben ihn und ihren vermeintlichen Chatpartner auch nicht enttäuschen und dadurch verlieren wollen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da das LG sich nicht ausreichend mit der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin auseinandergesetzt habe.

Zur Beurteilung des Fehlens der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung könne nicht allein auf das Alter des Opfers unter 16 abgestellt werden. Bei Jugendlichen sei solch ein Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung zwar möglich, jedoch deshalb nicht pauschal in jedem Fall vorhanden. Dazu seien konkrete Feststellungen des Tatgerichts erforderlich. Maßgeblich sei, ob der Jugendliche nach seiner geistigen und seelischen Entwicklung reif genug gewesen sei, die Bedeutung und Tragweite der konkreten sexuellen Handlung angemessen zu erfassen oder ob die Beziehung auf sexuelle Beherrschung des jugendlichen Opfers angelegt gewesen sei oder der Täter unlautere Mittel der Willensbeeinflussung genutzt habe.

Ein Indiz für eine solche Beherrschung könne ein großer Altersunterschied zwischen den beiden Beteiligten sein, was aber auch für sich genommen nicht ausreiche. Prägendes Merkmal des Tatbestandes sei zudem das Ausnutzen der Unreife des Opfers. Der Täter müsse sich also die Unreife bewusst zur Nutze gemacht haben. Daher seien auch Liebesbeziehungen, die zwar von Unreife aber auch von echter gegenseitiger Zuneigung geprägt seien, nicht vom Tatbestand erfasst.

Das Urteil des LG lasse nach diesen Grundsätzen wesentliche Feststellungen zur konkreten Art der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin vermissen, zumal es bei einigen Treffen der beiden nicht um Geschlechtsverkehr ging, sodass eine tiefere Bindung zwischen beiden zumindest nicht ausgeschlossen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

So hatte auch schon der 2. Strafsenat am 17. Juni 2020 entschieden (2 StR 57/20).

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 68/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 31.08.2020 – AK 20/20: Zum Grad der Eingliederung in einen fremden Geheimdienst nach § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG

Amtlicher Leitsatz:

Für die Qualifikation des § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG ist nicht zu verlangen, dass das Tun des Täters zu einer funktionellen Eingliederung in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes einer fremden Macht führt. Ausreichend ist jedenfalls, wenn sich die Tat als Ausfluss der Einbindung des Täters lediglich in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur darstellt.

Sachverhalt:

Der Beschuldigte ist im Februar 2020 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, sich durch mehrere Ausfuhren von Werkzeugmaschinen nach Russland, gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. A, Abs. 7 Nr. 1 und 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 1 lit. A, Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-VO (EU) Nr. 833/2014, §§ 52, 53 StGB strafbar gemacht zu haben.

Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen soll der Beschuldigte mehrere Werkzeugmaschinen, die der Russlandembargo-VO unterfallen waren, an einen Geschäftspartner verkauft und geliefert haben, der vom russischen Geheimdienst kontrolliert worden war. Der Beschuldigte soll dabei mit einer militärischen Verwendung der Maschinen gerechnet haben.

Der Beschuldigte hat sich gegen die Fortdauer seiner Untersuchungshaft gewendet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass die Untersuchungshaft fortzudauern habe.

Der Beschuldigte sei dringend verdächtig gewerbsmäßig und geheimdienstlich gesteuert, gegen ein Verkaufs- und Ausfuhrverbot der Europäischen Union verstoßen zu haben.

Neben der Qualifikation der Gewerbsmäßigkeit (§ 18 Abs. 7 Nr. 2 Alt. 1 AWG) sei der Beschuldigte ebenfalls verdächtig, für einen Geheimdienst einer fremden Macht gehandelt zu haben (§ 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG).

Eine organisatorische Eingliederung in den fremden Geheimdienst sei dafür, ebenso wie bei § 99 Abs. 1 StGB, nicht erforderlich. Im Unterschied zu dieser Norm fordere § 18 Abs. 7 Nr. AWG jedoch gerade keine geheimdienstliche Tätigkeit, sondern nur ein schlichtes Handeln für einen fremden Geheimdienst. Somit sei ebenfalls nicht erforderlich, dass der Täter funktionell in die Ausforschungsbemühungen des ausländischen Geheimdienstes eingegliedert sei, so der BGH.

Demnach sei es für die Verwirklichung der Qualifikation des § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG ausreichend, wenn sich die Tat als Ausfluss der Einbindung des Täters lediglich in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur darstelle.

Dies sei im vorliegenden Fall anzunehmen und der Haftbefehl daher aufrechtzuerhalten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Qualifikation des § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG wurde 2013 vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts geschaffen, um der höheren Gefährlichkeit illegaler Beschaffungsvorgänge, wenn sie geheimdienstliche gesteuert werden, zu begegnen.

 

 

 

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