KriPoZ-RR, Beitrag 42/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 4 StR 607/19: Anlassloses Auffahrenlassen eines Polizeifahrzeugs stellt wahrscheinlich tätlichen Angriff i.S.d. § 114 Abs. 1 StGB dar

Leitsatz der Redaktion:

Das anlasslose ruckartige Abbremsen eines Fahrzeugs, das zum Auffahren eines dahinter fahrenden Polizeiwagens führt, stellt wahrscheinlich einen tätlichen Angriff i.S.d. § 114 Abs. 1 StGB dar.

Sachverhalt:

Das LG Regensburg hat den Beschuldigten u.a. wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte mit seinem Fahrzeug vor einem Polizeiwagen gefahren und hatte ohne verkehrsbedingten Grund plötzlich derart gebremst, dass das Polizeifahrzeug auf seinen PKW aufgefahren war. Dies war vom Angeklagten billigend in Kauf genommen worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH lies die Frage letztlich offen, ob das vom LG festgestellte Verhalten des Angeklagten, einen tätlichen Angriff i.S.d. § 114 Abs. 1 StGB darstellte. Allerdings gab der Senat zu erkennen, dass er dazu neige, die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 StGB in diesem Fall zu bejahen.

Am Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs habe sich durch die Einführung des § 114 StGB im Mai 2017 nichts geändert. Der Tatbestand sei lediglich aus § 113 Abs. 1 Alt. 2 StGB herausgelöst und neu gefasst worden, ohne dass der Gesetzgeber eine definitorische Änderung beabsichtigt habe. Nach wie vor werde eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung gefordert.

In diesem Fall habe der Angeklagte zwar direkt nur auf das Polizeifahrzeug eingewirkt, allerdings handele es sich dabei auch um eine Einwirkung auf die Beamten im Fahrzeug, da sich die Kraftentfaltung zwangsläufig und (nahezu) gleichzeitig auch auf die Körper der Beamten auswirke.

Anmerkung der Redaktion:

§ 114 StGB ist durch das Zweiundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches am 23. Mai 2017 in das StGB eingeführt worden. Weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren erhalten Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 41/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19: Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen bei einer Verurteilung wegen Beleidigung

Leitsatz der Redaktion:

Bei einer Verurteilung wegen Beleidigung sind die Meinungsfreiheit des Angeklagten und das Persönlichkeitsrecht des Opfers gegeneinander abzuwägen, wenn keine der eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vorliegt.

Sachverhalt:

Das BVerfG hatte über vier Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, bei denen die Angeklagten jeweils wegen Beleidigung verurteilt worden waren. In zwei Verfahren bestätigte es die Verurteilung durch das Tatgericht und in den anderen hob es die Urteile wegen Verletzung der Meinungsfreiheit auf.

Die Verfassungsbeschwerden nahm das BVerfG zum Anlass, seine Vorgaben bei strafrechtlichen Verurteilungen wegen Beleidigung erklärend zusammenzufassen.

Entscheidung des BVerfG:

Der Senat führte erneut aus, dass jede strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstelle.

Daher müsse grundsätzlich bei jeder solchen Verurteilung eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erfolgen. Dafür seien die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich und eine Verurteilung sei nur möglich, wenn der persönlichen Ehre des Betroffenen gegenüber der Meinungsfreiheit ein höheres Gewicht eingeräumt würde, so das BVerfG.

Als Beispiele für relevante Umstände des Einzelfalls führte der Senat zunächst den ehrschmälernden Gehalt der konkreten Äußerung an, für den es bedeutend sei, inwieweit die Äußerung grundlegende, allen Menschen gleichermaßen zukommende Achtungsansprüche betreffe oder ob sie eher das jeweils unterschiedliche soziale Ansehen des Betroffenen schmälere.

Dann könne relevant sein, ob die Aussage zur öffentlichen Meinungsbildung gedacht gewesen sei und auch, ob der Betroffene in seiner Privatsphäre oder seinem öffentlichen Wirken angesprochen worden sei. Ebenfalls in die Abwägung eingestellt werden müssten die konkreten situativen Umstände der Äußerung und die Größe des Kreises der Empfänger sowie die Flüchtigkeit der Äußerung.

Schließlich geht das BVerfG darauf ein, unter welchen Umständen eine solche Abwägung entbehrlich sein könne, da die Meinungsfreiheit komplett hinter dem Ehrschutz zurücktrete.

Namentlich sind dies die Fälle der Schmähkritik, Formalbeleidigung und eine Verletzung der Menschenwürde.

Eine Schmähkritik sei dann gegeben, wenn der Äußerung kein sachlich nachvollziehbarer Beweggrund mehr zugrunde liege und lediglich die Verächtlichmachung der Person gewollt sei.

Eine Formalbeleidung könne bei besonders herabwürdigender Sprache, beispielsweise Fäkalsprache, angenommen werden, wenn diese nicht nur in der Hitze des Gefechts, sondern mit Vorbedacht genutzt würde.

Spreche eine Äußerung der betroffenen Person den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit ab, handele es sich um eine Verletzung der Menschenwürde, die ebenfalls eine Abwägung entbehrlich mache.

Abschließend stellte das BVerfG klar, dass das Fehlen einer solchen Ausnahmesituation nicht generell einen Vorrang der Meinungsfreiheit zur Folge habe, sondern zu einer ergebnisoffenen Abwägung durch das Tatgericht führen müsse.

 

Anmerkung der Redaktion:

Diese Grundsätze hatte das BVerfG schon zuvor entwickelt. Es nutzte diesen Beschluss, um alle Voraussetzungen nochmal klarstellend zusammenzufassen.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 40/2020

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Das Urteil finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 18.06.2020 – 4 StR 482/19: Verurteilung wegen Mordes im Berliner Raser-Fall teilweise rechtskräftig

Amtliche Leitsätze:

1. Die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter kann abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein; so kann er bei Fassen des Tatentschlusses einen bestimmten gefahrbegründenden Sachverhalt hinnehmen, während er auf das Ausbleiben eines anderen, für ihn mit einem höhren Risiko verbundenen Geschehensablauf vertraut.

2. Für die Prüfung, ob ein Unfallgeschehen mit tödlichen Folgen vom bedingten Vorsatz des Täters umfasst war, kommt es daher darauf an, ob er den konkreten Geschehensablauf als möglich erkannt und die damit einhergehende Eigengefahr hingenommen hat. Ist dies der Fall und verwirklicht sich dieses Geschehen, ist es für die Prüfung der Vorsatzfrage unerheblich, ob er weitere Geschehensabläufe, die aus seiner Sicht mit einer höheren und deshalb von ihm nicht gebilligten Eigengefahr verbunden waren, ebenfalls für möglich erachtet hat.

Leitsatz der Redaktion:

Ein extrem gefährliches und rücksichtsloses Fahrverhalten kann bei rechtsfehlerfreier Feststellung eines Tötungsvorsatzes eine Verurteilung wegen Mordes nach sich ziehen.

Sachverhalt:

Das Urteil beschäftigt sich im zweiten Rechtsgang mit dem sog. Berliner Raser-Fall.

Näheres zum Sachverhalt und zur Entscheidung des BGH im ersten Rechtsgang finden Sie hier.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung des an der Kollision beteiligten Angeklagten wegen Mordes. Das Abstellen des LG auf die extreme Gefährlichkeit des Fahrvorgangs zur Ermittlung des bedingten Vorsatzes sei nicht zu beanstanden, da sich das Tatgericht in genügendem Maße mit den vorsatzkritischen Umständen auseinandergesetzt habe.

Für die Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit sei eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände anzustellen. Die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die Eintrittswahrscheinlichkeit des Erfolgs seien dabei zwar wesentliche Indikatoren, dürften aber nicht allein als maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Vorsatzfrage herangezogen werden, sondern müssten immer mit allen Umständen des Einzelfalls gemeinsam betrachtet werden.

Die Eigengefährdung des Angeklagten sei vom LG tragfähig als nicht vorsatzausschließend mit der Begründung bewertet worden, dass der Beschuldigte den Unfallhergang als möglich erkannt und eine Gefahr für sich selbst als gering eingeschätzt habe. Zwar könne eine mögliche Gefährdung eigener Rechtsgüter eine vorsatzkritische Bedeutung aufweisen, jedoch könne die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein, so der BGH. Für die Vorsatzprüfung sei dann nur relevant, ob der Täter sich den konkreten Geschehensablauf vorgestellt und sich mit der mit diesem Geschehensablauf einhergehenden Eigengefahr abgefunden habe.

Gleiches gelte für die Gewinnmotivation des Fahrers, da das Tatgericht rechtsfehlerfrei belegt habe, dass der Unfallfahrer erkannt habe, das Rennen nur bei maximaler Risikosteigerung gewinnen zu können und ihm somit die Folgen für andere Verkehrsteilnehmer gleichgültig gewesen seien.

Den Vorsatz des Angeklagten für eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln, habe das LG jedoch nicht genügend belegt, sodass die Verurteilung wegen Mordes nur auf die Mordmerkmale der Heimtücke und der sonstigen niedrigen Beweggründe gestützt werden könne.

Das Urteil gegen den Mitangeklagten, der das zweite am Rennen beteiligte Auto gefahren war, hob der BGH auf, da die Feststellungen des LG einen gemeinsamen auf die Tötung eines Menschen gerichteten Tatplans nicht belegten. Ebenfalls fehlten Feststellungen zu einem objektiven Tatbeitrag nach Fassung eines etwaigen gemeinsamen Tatplans.

Anmerkung der Redaktion:

Einen Beitrag von Prof. Zehetgruber zur Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei sog. Raser-Fällen finden Sie hier.

Ebenfalls hat sich Prof. Momsen in der KriPoZ mit den sog. Raser-Fällen auseinandergesetzt.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 39/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 2 ARs 228/19: Antwort auf Anfragebeschluss des 5. Senats vom 08.05.2019 (5 StR 146/19)

Leitsatz der Redaktion:

Zweiter Senat widerspricht dem Vierten und Fünften Senat und hält das Merkmal des Gebrauchens in § 281 Abs. 1 S. 1 StGB nur durch Verwendung eines echten Ausweispapieres für erfüllbar.

Sachverhalt:

Der 5. Strafsenat hatte beabsichtigt den Angeklagten wegen Ausweismissbrauchs zu verurteilen, weil dieser eine unbeglaubigte Fotokopie eines echten Ausweises zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet hatte, fühlte sich daran jedoch durch die Rechtsprechung des 4. Senats gehindert. Weitere Informationen finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 21/2019.

Der 4. Strafsenat bestätigte den beabsichtigten Leitsatz: KriPoZ-RR, Beitrag 13/2020.

Entscheidung des 2. Senats:

Der 2. Senat beschloss, dass es seinerseits keine entgegenstehende Rechtsprechung gebe.

Allerdings sei er entgegen den anderen Senat der Auffassung, dass die Verwirklichung des § 281 StGB nur durch Gebrauchen eines echten Ausweispapiers möglich sei. Die Verwendung einer Fotokopie reiche gerade nicht aus.

Der Wortlaut gebe keine zwingende Auslegung vor, sodass auf die Systematik und den Normzweck abzustellen sei. Der Rechtsverkehr sehe in amtlichen Ausweisdokumenten eine besondere Bedeutung, weshalb § 281 Abs. 1 StGB im Gegensatz zu § 267 Abs. 1 StGB die Tatbestandsvariante des Überlassens unter Strafe stelle. Zudem fordere der Rechtsverkehr auch in vielen Fällen noch eine originale Vorlage des Ausweispapiers. Stellte man eine Fotokopie dem amtlichen Originaldokument gleicht, würde dieser strafrechtliche Schutz entgegen dem gesetzgeberischen Willen zu weit ausgedehnt. Eine Strafbarkeitslücke bestehe zudem nicht, da bei Nutzung einer Fotokopie zur Identifikation eine mögliche Strafbarkeit wegen Betrugs erhalten bliebe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den betreffenden KriPoZ-RR-Beitrag zum Anfragebeschluss finden Sie hier. Den Anfragebeschluss im Original finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 38/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.02.2020 – 4 StR 347/19: Zur früheren Verurteilung i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Die „Verurteilung“ zu einer vorbehaltenen Geldstrafe durch einen Beschluss nach § 59b Abs. 1 StGB ist keine frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Halle hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung von mit Urteil des AG Gelnhausen vom 5. Juni 2018 verhängten Einzelstrafen unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung einer mit Urteil des AG Gelnhausen vom 12. September 2017 wegen fahrlässigen Führens einer Schusswaffe verhängten Geldstrafe und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Zusätzlich hat es angeordnet, dass eine im Urteil des AG Gelnhausen vom 12. September 2017 wegen unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verhängte Einzelstrafe gesondert bestehen bleibt. Eine vorbehaltene Geldstrafe aus einem Urteil des AG Gelnhausen vom 7. Juni 2016 hat das LG nicht in die Gesamtstrafenbildung miteinbezogen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Vorgehen des LG.

Zwar sei der Angeklagte zu der nach § 59 Abs. 1 StGB vorbehaltenen Geldstrafe erst mit Beschluss desselben Amtsgerichts vom 15. Oktober 2018 und damit nach den verfahrensgegenständlichen Taten verurteilt worden. Allerdings stelle dieser Beschluss (§ 59b Abs. 1 StGB) kein frühere Verurteilung i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB dar.

Die frühere Verurteilung aus § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB meine das letzte tatrichterliche Sachurteil oder ein ihm gleichstehendes Erkenntnis, das sich mit der Schuld und/oder zumindest noch einem Teil der Straffrage befasse, so der Senat. Dies ergebe sich daraus, dass zu diesem Zeitpunkt durch das Gericht des früheren Verfahrens noch tatsächliche Feststellungen getroffen werden könnten. Der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 StGB sei nicht eröffnet, wenn tatrichterliche Feststellungen nicht mehr möglich seien.

Da die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe gem. § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO durch Beschluss und ohne mündliche Verhandlung ergehe, könnten keine tatrichterlichen Feststellungen mehr getroffen werden. Zwar käme es erst in diesem Zeitpunkt zu einer Verurteilung des Verwarnten, eine Änderung der vorbehaltenen Strafe sei jedoch nicht mehr möglich.

 

Anmerkung der Redaktion:

Am 7. Januar 2020 hatte der BGH entschieden, dass der Beschluss, mit dem nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO über den auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkten Einspruch des Angeklagten gegen einen Strafbefehl entschieden wird, die für die mögliche Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe maßgebliche letzte tatgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB sei. Lesen Sie mehr dazu im KriPoZ-RR, Beitrag 15/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 37/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 17.02.2020 – 1 BvR 1624/16: Keine Vorverlagerung elementarer Fragen in das Prozesskostenhilfeverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Maßgebliche Sachverhaltsumstände und höchstrichterlich noch nicht entschiedene komplexe Rechtsfragen dürfen nicht im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren beurteilt werden, sondern führen bei unbemittelten Personen zu einem Anspruch auf Prozesskostenhilfe, um die Fragen in einem Hauptverfahren klären zu können.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des OLG München, das ihm die Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren verweigert hatte, da seine Amtshaftungsklage gegen das Land Bayern aufgrund menschwürdewidriger Unterbringung während er Untersuchungshaft nicht den nötigen Erfolg versprochen habe.

Der Kläger war für wenige Tage in der Untersuchungshaft in Hafträumen mit Grundflächen von 8,04 m² und 9,5 m² und abgeschlossenen Toiletten mit einem anderen Mithäftling untergebracht gewesen. Dies hielt er für einen Verstoß gegen seine Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG.

Das zuständige LG wies die Klage als unbegründet ab, was das OLG zum Anlass nahm, die Erfolgswahrscheinlichkeit im Berufungsverfahren als zu gering einzuschätzen, um dem Beschwerdeführer die Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG entschied, dass der Beschwerdeführer durch den Beschluss des OLG in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt werde.

Grundsätzlich sei es möglich, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe von den Erfolgsaussichten der Hauptsache abhängig gemacht werde, so das BVerfG. Gerade zur Verhinderung mutwilliger Klagen sei dies ein probates Mittel.

Allerdings dürfe dieses Vorgehen nicht dazu führen, dass die Prüfung wichtiger Fragen des Einzelfalls oder die Auseinandersetzung mit elementaren und noch nicht höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen in das summarische Prüfungsverfahren des Prozesskostenhilfeantrags vorverlagert würden.

Es sei Aufgabe des Prozesskostenhilfeverfahrens, den Rechtsschutz im Hauptverfahren zu ermöglichen und nicht diesen selbst zu bieten. Daher erwachse dem unbemittelten Bürger ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe, wenn die Erfolgsaussichten seiner Klage zwar gering seien, wichtige und elementare Fragen jedoch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren erforderlich machten.

So liege es auch in diesem Fall. Die Frage, wann die Unterbringung in der Untersuchungshaft den Inhaftierten in seiner Menschwürde beeinträchtige, sei höchstrichterlich noch nicht entschieden und müsse immer anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Daher sei das Hauptverfahren erforderlich gewesen und die Prozesskostenhilfe hätte vom OLG nicht abgelehnt werden dürfen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Auch für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist nach dem BVerfG die Prozesskostenhilfe nur zu bewilligen, wenn eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht und die Beschwerde nicht willkürlich erscheint (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.04.2020 – 2 BvR 363/20).

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.04.2020 – 3 StR 5/20: Verwenden des Tatmittels bei § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB auch durch akustische Androhung möglich

Leitsatz der Redaktion:

Für das Verwenden eines Tatmittels bei § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB genügt es, dass der Täter den Einsatz des mitgeführten Tatmittels akustisch androht und das Opfer auch ohne das Tatmittel zu erkennen davon ausgeht, dass der Täter es einsetzen könnte.

Sachverhalt:

Das LG Mönchengladbach hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte in ein Haus eingestiegen während die Bewohnerinnen im ersten Stock geschlafen hatten, um diverse Wertgegenstände zu entwenden. Nachdem er das Erdgeschoss durchsucht und manche Sachen an sich genommen hatte, hatte er sich in der Küche mit einem Messer bewaffnet und war in den ersten Stock gegangen. Dort war eine Bewohnerin des Hauses erwacht und auf den Angeklagten aufmerksam geworden. Dies hatte dazu geführt, dass der Beschuldigte ihr mit dem Messer gedroht hatte, welches sie aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Der Angeklagte wollte mit der Drohung seine Beute und den Rückzug sichern. Das verängstigte Opfer hatte keine Zweifel daran, dass er das Messer tatsächlich mit sich geführt hatte und auch einsetzen würde.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung des LG wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls gem. §§ 252, 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB, da der Angeklagte das Messer verwendet habe, um sich im Besitz der gestohlenen Beute zu erhalten.

Das „Verwenden“ im Tatbestand beziehe sich bei den Raubdelikten auf den Einsatz des Tatmittels zur Verwirklichung des Raubtatbestands. Der Gebrauch des objektiv gefährlichen Gegenstands müsse daher gerade dazu dienen, die Wegnahme zu ermöglichen oder den Besitz an der Beute zu sichern. Bei der Drohung müsse das Tatopfer daher das Nötigungsmittel sowie die Androhung seines Einsatzes auch wahrgenommen haben.

Der BGH stellte weiter klar, dass der Weg auf dem das Opfer zu dieser Wahrnehmung gelangt sei, irrelevant sei. Das Opfer müsse das Nötigungsmittel nicht unbedingt optisch wahrnehmen. Es genüge, wenn eine akustische oder gefühlsmäßige Wahrnehmung stattfinde, so der Senat. Denkbar sei daher beispielsweise eine Berührung des Opfers mit dem Tatmittel (Schraubenzieher in den Rücken drücken) oder ein hörbares metallisches Klicken einer Waffe oder eben das rein erzählende Androhen, wie im vorliegenden Fall.

Eine Einschränkung auf bestimmte Arten der Wahrnehmung rechtfertige der Wortlaut der Vorschrift nicht. „Verwenden“ bedeute eine Nutzung für einen bestimmten Zweck und nicht auf eine bestimmte Art und Weise. Ebenso sei das Ergebnis von der Systematik gedeckt, da ein Vergleich mit dem „Beisichführen“ aus § 250 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB ergebe, dass gerade die erhöhte Gefahr für das Opfer und die gesteigerte kriminelle Energie des Täters die Gründe für die erhöhte Strafandrohung seien. Beide Gründe seien jedoch unabhängig von der Art und Weise des Einsatzes des Nötigungsmittels erfüllt.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dass auch das verdeckte aber vom Opfer erkannte Tragen einer Waffe für ein Verwenden ausreichen kann entschied der BGH erneut 2008 (BGH, Urt. v. 08.05.2008 – 3 StR 102/08).

Auch die rein taktile Wahrnehmung des gefährlichen Werkzeugs kann genügen, so der BGH im Urt. v. 10.01.2018 – 2 StR 200/17.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 35/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v 27.02.2020 – 3 StR 327/19: Genehmigungsfähigkeit entscheidet nicht über Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB

Amtliche Leitsätze:

1. Handelt der Täter ohne behördliche Erlaubnis, so kommt es für die Erfüllung des Tatbestands des § 284 Abs. 1 StGB nicht darauf an, ob sein Vorhaben materiellrechtlich genehmigungsfähig ist.

2. Beeinträchtigt eine Versagung der Erlaubnis den Täter in seinem Recht auf Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG, so entfällt die Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB gleichwohl jedenfalls dann nicht, wenn der gesetzliche Genehmigungsvorbehalt selbst verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

3. Europarechtliche Vorgaben stehen einer Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB in Verbindung mit dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag vom 15. Dezember 2011 (GlüStV) und dem Niedersächsischen Glücksspielgesetz (NGlüSpG) nicht entgegen.

Sachverhalt:

Das LG Hannover hat den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte zwischen dem 1. Juli 2017 und dem 18. September 2017 eine Spielhalle mit Glücksspielautomaten betrieben, ohne die nach dem GlüStV und dem NGlüSpG erforderliche Genehmigung zu besitzen. Zwar hatte er diese beantragt, jedoch hatte die zuständige Behörde seinen Antrag aufgrund des Abstandsgebots aus § 25 Abs. 1 GlüStV i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 NGlüSpG negativ beschieden. Im Eilrechtsschutz vor dem VG hatte der Angeklagte zunächst keinen Erfolg. In einem Verfahren eines Konkurrenten entschied das OVG Niedersachsen schließlich, dass die ablehnende Entscheidung der Behörde rechtswidrig gewesen war woraufhin auch der Angeklagte nachträglich die begehrte Erlaubnis erhalten hatte.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob den Freispruch des Angeklagten auf und verwies die Sache zurück an eine andere Strafkammer des LG Hannover.

Unstrittig habe der Angeklagte im entscheidungserheblichen Zeitraum die Spielhalle betrieben ohne über die erforderliche behördliche Erlaubnis zu verfügen. Für eine Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB komme es nicht entscheidend darauf an, ob das Vorhaben materiellrechtlich genehmigungsfähig gewesen sei und damit eine ablehnende behördliche Entscheidung rechtswidrig sei, so der BGH.

Die Verwaltungsakzessorietät des Tatbestands beziehe sich auf einen konkreten Verwaltungsakt, nicht auf das gesamte einschlägige Verwaltungsrecht. Demnach komme es nur auf die formale Wirksamkeit der Erlaubnis und nicht auf deren materielle Rechtmäßigkeit an. Dies sei damit zu begründen, dass es dem Gesetzgeber darauf ankomme, aus Gründen des Rechtsgüterschutzes, das Verwaltungsverfahren zu betreiben und dessen Ausgang abzuwarten.

Es bestehe kein Recht zur Selbsthilfe bei einer falschen behördlichen Entscheidung, da nicht die Gefährlichkeit des Vorhabens, sondern das Unterlaufen des behördlichen Verfahrens Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit sei.

Auch die nachträglich erteilte Genehmigung stelle keinen Strafaufhebungsgrund dar, da ansonsten der rechtskräftige Abschluss eines etwaigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von den Strafverfolgungsbehörden abgewartet werden müsse. Diese Vorgehensweise würde jedoch der Natur der Strafnorm als abstraktes Gefährdungsdelikt zuwiderlaufen. Verhindert werden solle gerade nicht der bloße Ungehorsam gegenüber der Verwaltung, sondern das behördlich unkontrollierte Tätigwerden.

Anderes ergebe sich auch nicht aus einem möglichen Verstoß der behördlichen Entscheidung gegen Art. 12 Abs. 1 GG oder aus europarechtlichen Vorgaben.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 34/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.02.2020 – 3 StR 430/19: Zum Anspruch auf schriftliche Übersetzung eines Strafurteils

Amtliche Leitsätze:

1. Der Angeklagte hat grundsätzlich keinen Anspruch auf schriftliche Übersetzung eines nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Strafurteils, wenn er verteidigt ist, er und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend waren und dem Angeklagten die Urteilsgründe durch einen Dolmetscher mündlich übersetzt worden sind.

2. Ein berechtigtes Interesse des Angeklagten an einer schriftlichen Übersetzung des Urteils wird nicht allein dadurch begründet, dass nach der Urteilsverkündung kein Kontakt zwischen ihm und seinem Verteidiger bestand.

Sachverhalt:

Das LG Trier hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls, Diebstahls, versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls und versuchten Diebstahls verurteilt.

Der Revision liegt folgendes prozessuale Geschehen zugrunde:

An der Urteilsverkündung vor dem LG hatten der Angeklagte, sein Verteidiger sowie ein Simultandolmetscher teilgenommen. Danach ist das schriftliche Urteil dem Verteidiger zugestellt und formlos an den Angeklagten versandt worden, jedoch ohne eine schriftliche Übersetzung zu enthalten. Dagegen hat sich der Angeklagte gewendet und beantragt, eine Übersetzung zu erhalten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das LG das Urteil auch ohne schriftliche Übersetzung wirksam gemäß § 37 Abs. 3 StPO zustellen konnte.

Ein Anspruch des Angeklagten auf eine schriftliche Übersetzung ergebe sich nicht aus § 187 GVG, nicht aus der zugrundeliegenden Richtlinie 2010/64/EU sowie weder aus Art. 6 EMRK noch aus dem Grundgesetz.

Zunächst ergebe sich aus der Auslegung des § 187 GVG kein genereller Übersetzungsanspruch, so der BGH.

Aus Abs. 2 der Norm gehe klar hervor, dass nach der gestuften Regelung regelmäßig keine schriftliche Übersetzung erfolgen müsse, wenn der Angeklagte verteidigt sei und ein Dolmetscher beteiligt war. Maßgeblich sei, dass der Angeklagte seine prozessualen Rechte wahrnehmen könne. Etwas Anderes müsse nur in Sonderkonstellationen gelten, etwa wenn der Angeklagte eigene Sachkunde vorweisen und daher der Verteidiger seine Funktion nicht ausreichend wahrnehmen könne. Auch die Behauptung, der Kontakt zum eigenen Verteidiger habe nicht ausgereicht, könne keinen Anspruch pauschal begründen.

Zudem habe der Gesetzgeber gerade keinen umfassenden Übersetzungsanspruch schaffen wollen, sondern eine praxistaugliche Regelung, die dem Grundsatz eines fairen Verfahrens gerecht werde.

Diese Auslegung verstoße auch nicht gegen die Richtlinie 2010/64/EU, da sie das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren berücksichtige. Der Verteidiger sei zur Einlegung und Begründung einer Revision berufen, nicht der Angeklagte, daher genüge es, wenn der Rechtsanwalt das Urteil kenne und der Angeklagte die Möglichkeit habe, im Rahmen des Mandatsverhältnisses Absprachen mit seinem Rechtsanwalt zu treffen.

Ebenfalls ergebe sich aus der Richtlinie direkt kein Anspruch des Angeklagten, da die Richtlinie vollumfänglich in nationales Recht umgesetzt worden sei und der EU-Bürger somit keinen unmittelbaren Anspruch aufgrund eines Umsetzungsdefizits ableiten könne.

Auch Art. 6 EMRK gebiete keine schriftliche Übersetzung des Urteils, so der Senat, da sich nach der Rechtsprechung des EGMR ein Anspruch auf Übersetzung nur auf solche Schriftstücke beziehe, die der Angeklagte lesen und verstehen müsse, um ein faires Verfahren zu erhalten. Dies gelte nicht für das schriftliche Urteil. Etwaige bestehende Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger stellten dabei keine relevante Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Angeklagten dar.

Schließlich ergebe sich aus ähnlichen Erwägungen auch kein Anspruch auf Übersetzung direkt aus dem Grundgesetz.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 187 GVG setzt die Richtlinie 2010/64/EU um, die das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren regelt. Die Richtlinie hatte der deutsche Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren im Jahr 2013 umgesetzt. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.04.2020 – 3 StR 44/20: Kunstgerechte und medizinisch indizierte Behandlung kann sexuelle Handlung i.S.d. § 184h Nr. 1 StGB sein

Amtliche Leitsätze:

1. Eine ärztliche Behandlung, die der Täter ohne Approbation vornimmt, kann nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Maßstäben eine sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB sein, auch wenn die Behandlung medizinisch indiziert war und für sich genommen lege artis vorgenommen wurde.

2. Eine Person unter sechzehn Jahren kann dem Täter im Rahmen eines Schülerpraktikums anvertraut im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein.

3. Ein Behandlungsverhältnis gemäß § 174c Abs. 1 StGB setzt keine Approbation des Täters voraus.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte als niedergelassener Arzt tätig gewesen, obwohl er seine Approbation bereits verloren hatte.

In diesem Zusammenhang hatte er bei einem Opfer eine osteopathische Behandlung durchgeführt, bei der er gegen den Willen der Patientin mehrmals seinen Finger in ihre Vagina eingeführt hatte.

Einem weiteren 14jährigen Opfer, das ein Schülerpraktikum bei dem Angeklagten absolvierte, hatte er eine osteopathische Behandlung gegen Regelschmerzen angeboten und dabei seine Hand auf den Schamhügel der Patientin gelegt, um sich sexuell zu erregen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG und sah sich nur bezüglich der zweiten Tat zu weiteren Ausführungen genötigt.

Das Ruhenlassen der Hand auf dem Schamhügel der Patientin stelle eine sexuelle Handlung i.S.d. §§ 174 Abs. 1, 184h Nr. 1 StGB dar. Bei ambivalenten Handlungen, die nicht schon objektiv durch ihr äußeres Erscheinungsbild sexualbezogen seien, komme es auf die Bewertung eines objektiven Beobachters an, der alle Einzelfallumstände kenne, so der BGH.

Dabei müssten auch die Ziele und Absichten des Täters in die Bewertung eingestellt werden.

Den Streit, ob eine indizierte und lege artis durchgeführte medizinische Behandlung überhaupt als sexuelle Handlung gewertet werden und den Tatbestand erfüllen könnte, musste der BGH in diesem Fall nicht entscheiden, da jedenfalls aufgrund der fehlenden Approbation des Angeklagten eine regelgerechte Durchführung der Behandlung ausscheide, so der Senat.

Danach sei die Berührung des Schamhügels als ambivalente Handlung in diesem Fall tatbestandsmäßig gewesen, da der Angeklagte die Behandlung von sich aus vorschlug, ohne die Patientin ausreichend aufzuklären. Außerdem habe der Angeklagte gehandelt, um sich sexuell zu erregen und im Nachgang der Behandlung angesprochen, dass der die Schülerin „daten“ würde, wenn er in ihrem Alter wäre. Dies zeige den deutlichen Sexualbezug auf.

Schließlich sei die Patientin dem Angeklagten als seine Schülerpraktikantin auch anvertraut i.S.d. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewesen. Auf eine Unterscheidung anhand der Berufsbezogenheit des Praktikums komme es nicht an, da das ganztätige Praktikum immerhin drei Wochen dauern sollte und der Angeklagte Aufgaben des Lehrers faktisch wahrnehmen sollte.

Abschließend stellte der BGH klar, dass ein Behandlungsverhältnis i.S.d. § 174c Abs. 1 StGB weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach seiner Historie eine wirksame Approbation des Arztes voraussetze.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zu Scheinuntersuchungen und nicht indizierten Behandlungen hatte der BGH bereits entschieden, dass diese unter den Tatbestand fallen: BGH, Urt. v. 10.03.2016 – 3 StR 437/15 und BGH, Urt. v. 14.03.2012 – 2 StR 561/11.

 

 

 

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