KriPoZ-RR, Beitrag 52/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.06.2020 – 1 StR 95/20: Rechtsbehelf gegen Beschluss im selbstständigen Einziehungsverfahren nach Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch Beschwerdegericht

Leitsatz der Redaktion:

Als statthafte Rechtsbehelfe gegen einen amtsgerichtlichen Beschluss im selbstständigen Einziehungsverfahren nach erfolgter Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht kommen die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde in Betracht.

Sachverhalt:

Das OLG Karlsruhe hat dem BGH die Frage vorgelegt, ob gegen den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem nach Einspruch des Einziehungsbetroffenen gegen einen selbstständigen Einziehungsbescheid gemäß § 29a Abs. 5 OWiG ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, die Rechtsbeschwerde oder die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel sei.

Der zu dieser Frage führende Sachverhalt hatte sich wie folgt dargestellt:

Der Einziehungsbetroffene hatte 2016 sechs Geldspielgeräte trotz abgelaufener Zulassung weiter betrieben und so Einnahmen in Höhe von über 20.000€ erzielt.

Das daraufhin gegen ihn eröffnete Bußgeldverfahren war von der Stadt nach § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt und die selbstständige Einziehung der Taterträge gem. § 29a Abs. 5 OWiG angeordnet worden. Gegen diesen Bescheid hatte der Automatenbetreiber Einspruch eingelegt, was zu einem Urteil des AG Konstanz geführt hatte, welches die Einziehung bestätigt hatte. Gegen dieses Urteil hatte der Betroffene Rechtsbeschwerde zum OLG Karlsruhe hin erhoben, welches die getroffenen Feststellungen aufrecht erhalten das restliche Urteil jedoch aufgehoben und zur neuen Entscheidung an das AG zurückverwiesen hatte.

Das AG hatte daraufhin über die Einziehung ohne erneute Hauptverhandlung durch Beschluss erneut entschieden (§ 72 OWiG). Gegen diesen Beschluss hatte der Betroffene erneut Rechtsbeschwerde zum OLG Karlsruhe erhoben, welches sich an einer Entscheidung aufgrund entgegenstehender Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte gehindert gesehen hatte (§ 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). So hätten die OLGe Köln, Zweibrücken und Düsseldorf die sofortige Beschwerde als statthaften Rechtsbehelf angesehen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das OLG Karlsruhe nicht an einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde gehindert sei, wenn es diese als statthaften Rechtsbehelf ansehe.

Zwar sei nach der Rechtsprechung des BGH die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Beschlüsse im selbstständigen Einziehungsverfahren, jedoch beträfe diese Rechtsprechungspraxis bisher nur Fälle im ersten Rechtsgang.

Die hier zu entscheidende Frage, ob nach einer teilweisen Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde gegen Beschlüsse im selbstständigen Einziehungsverfahren statthaft ist, sei bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.

Eine Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde sei möglich, da bei einer Urteilsaufhebung mit beibehaltenen tatsächlichen Feststellungen fraglich sei, ob es dem Tatgericht noch im zweiten Rechtsgang möglich sei, im Rahmen von § 434 StPO die Verfahrensart zu wechseln und den Rechtsmittelzug zu ändern. Verneine man dies, bliebe es im Urteilsverfahren bei dem Verweis von § 434 Abs. 3 Satz 1 2. HS StPO auf §§ 71 ff. OWiG. Für diesen Fall hätte das Amtsgericht gleichermaßen einen urteilsersetzenden Beschluss nach § 72 OWiG erlassen, gegen den in Übereinstimmung mit der vom OLG Karlsruhe vertretenen Auffassung die Rechtsbeschwerde statthaft wäre, so der BGH.

Daher verwies der Senat die Sache zur Entscheidung an das OLG Karlsruhe zurück.

 

Anmerkung der Redaktion:

Diese Entscheidungen sehen die sofortige Beschwerde als statthaftes Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Beschlüsse im selbstständigen Einziehungsverfahren:

BGH, Beschl. v. 29.04.1983 – 2 ARs 118/83

OLG Köln, Beschl. v. 10.12.1991 – Ss 543/90

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.11.1993 – 1 Ss 204/93

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 51/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.03.2020 – 4 StR 624/19: Vergewaltigung per Chat

Leitsatz der Redaktion:

Für die Annahme einer Vergewaltigung ist es ausreichend, dass das Opfer die sexuellen Handlungen an sich selbst vornimmt; eine gleichzeitige Anwesenheit des Täters ist nicht erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Siegen hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, in drei davon in Tateinheit mit Sich-Verschaffen jugendpornografischer Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sein 14-jähriges Opfer in einem Chatroom kennen gelernt und sich als 18-jähriger Musiker ausgegeben. Es war ihm gelungen, dass das Mädchen sich in ihn verliebt hatte. Mit einem Zweitaccount, den der Täter unter einer Legende geführt hatte, hatte er das Opfer glauben gemacht, er sei ein Bandkollege ihres Chatpartners und dieser wünsche sich Nacktbilder von ihr. Diesem Wunsch war die Geschädigte nachgekommen. Daraufhin hatte sich der Angeklagte einen dritten Account zugelegt, mit dem er das Opfer genötigt hatte, sich in mehreren Videotelefonaten selbst mit verschiedenen Gegenständen zu penetrieren, damit ihre Mutter nichts von den verschickten Nacktbildern erfahre.

Im Anschluss hatte er dem Opfer mit diesem Account vorgespiegelt, dass er selbst von einer kriminellen japanischen Organisation erpresst werde und diese weitere Bilder und Videos von ihr gefordert hatte. Gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen hatte der Angeklagte das Opfer dann dazu gebracht weitere Bilder und Videos anzufertigen, in denen sie verschiedene sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hatte, die teilweise auch Schmerzen verursacht hatten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung.

Der besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB erfasse mit seinem Wortlaut auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst, was sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe.

Ebenso sei es nicht erforderlich, dass der Täter räumlich anwesend sei.

Zwar stelle die Warnung vor Bestrafungen durch die „Japaner“ keine Drohung mit einem empfindlichen Übel nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB dar, da das Opfer geglaubt hatte, der Täter habe auf den Eintritt dieses Übels keinen Einfluss. Jedoch habe der Täter dadurch den Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht. Eine letztlich freiwillige Anfertigung der Bilder und Videos durch das Opfer komme ebenfalls nicht in Betracht, da sie ausschließlich von der durch den Angeklagten erzeugten Angst motiviert worden sei und ihr Entschluss damit vollständig fremdbestimmt gewesen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Sexualstrafrecht in §§ 177 ff. StGB war 2016 reformiert worden. Informationen zur Reform erhalten Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 50/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 27.05.2020 – 1 BvR 1873/13: Regelungen zur Bestandsdatenauskunft verfassungswidrig

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Gesetzgeber muss bei der Einrichtung eines Auskunftsverfahrens auf Grundlage jeweils eigener Kompetenzen für sich genommen verhältnismäßige Rechtsgrundlagen sowohl für die Übermittlung als auch für den Abruf der Daten schaffen. Übermittlungs- und Abrufregelungen für Bestandsdaten von Telekommunikationsdiensteanbietern müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, mithin die Datenverwendung an bestimmte Zwecke, tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichenden gewichtigen Rechtsgüterschutz binden.

  2. Schon dem Gesetzgeber der Übermittlungsregelung obliegt die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung. Eine Begrenzung der Verwendungszwecke erst zusammen mit der Abrufregelung kommt nur in Betracht, wenn die Übermittlungsregelung Materien betrifft, die allein im Kompetenzbereich des Bundes liegen und die Regelungen eine in ihrem Zusammenwirken normenklare und abschließende Zweckbestimmung der Datenverwendung enthalten.

  3. Die Befugnis zum Datenabruf muss nicht nur für sich genommen verhältnismäßig sein, sondern ist – auch aus Gründen der Normenklarheit – zudem an die in der Übermittlungsregelung begrenzten Verwendungszwecke gebunden. Dabei steht es dem Gesetzgeber der Abrufregelung frei, den Abruf der Daten an weitergehende Anforderungen zu binden.

  4. Trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts bedürfen die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts. Die Zuordnung dynamischer IP-Adressen muss im Hinblick auf ihr erhöhtes Eingriffsgewicht darüber hinaus auch den Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht dienen. Es bedarf ferner einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen. Als Eingriffsschwelle kann im Bereich der Gefahrenabwehr und der nachrichtendienstlichen Tätigkeit das Vorliegen einer konkretisierten Gefahr ausreichen, soweit es um den Schutz von Rechtsgütern oder die Verhütung von Straftaten von zumindest erheblichem Gewicht (allgemeine Bestandsdatenauskunft) oder besonderem Gewicht (Zuordnung dynamischer IP-Adressen) geht.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer haben sich gegen die Bestandsdatenauskunft nach § 113 TKG und die korrespondierenden fachgesetzlichen Abrufregelungen (z.B. § 22a BPolG, § 8d BVerfSchG, § 4b MAD-Gesetz, § 2b BND-Gesetz, §§ 10, 40 BKAG) gewendet.

Alle Beschwerdeführer nutzen Telekommunikationsdienste und könnten von einer sog. manuellen Bestandsdatenauskunft nach den oben genannten Vorschriften betroffen gewesen sein. In den Regelungen sehen sie einen Verstoß gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG).

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG erklärte die angegriffenen Normen für verfassungswidrig und gab dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 2021. Bis zu diesem Datum bleiben die Vorschriften weiter anwendbar.

Zwar dienten die Übermittlungsbefugnisse in § 113 TKG legitimen Zwecken, indem sie wirksame Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrmaßnahmen sowie nachrichtendienstliche Tätigkeiten ermöglichten, jedoch seien sie mangels begrenzter Verwendungszwecke des Datenabrufs nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar.

Die große Reichweite des § 113 TKG für die allgemeine Bestandsdatenauskunft sorgt trotz ihres geringen Eingriffsgewichts in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für eine Unverhältnismäßigkeit der Norm. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schütze vor anlasslosen Auskünften, die allein der allgemeinen Wahrnehmung behördlicher Aufgaben dienten. Daher sei es erforderlich, dass eine Übermittlungsregelung wie der § 113 TKG begrenzende Eingriffsschwellen vorsehe, welche klare Voraussetzungen für eine Datenübermittlung normierten.

Eine ausreichende Eingriffsschwelle sei im Bereich der Gefahrenabwehr und der nachrichtendienstlichen Tätigkeit das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Einzelfall und auf dem Gebiet der Strafverfolgung das Bestehen eines Anfangsverdachts.

Wolle der Gesetzgeber diese Eingriffsschwellen unterschreiten, was grundsätzlich denkbar sei, so das BVerfG, müsse dafür zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit die Anforderung an den Grad der gefährdeten Rechtsgüter angehoben werden. Der Gesetzgeber könne beispielsweise die Zulässigkeit einer allgemeinen Bestandsdatenauskunft als nicht übermäßig gewichtigen Grundrechtseingriff an das Bestehen einer konkretisierten Gefahr für ein Rechtsgut von zumindest erheblichem Gewicht knüpfen.

Anderes gelte im Strafverfahrensrecht, da auf diesem Gebiet keine Befugnis zur Vornahme grundrechtsrelevanter Eingriffe unterhalb der Schwelle des Anfangsverdachts erteilt werden dürfe.

Indem der § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG als sehr weite Übermittlungsregelung eine Datenübermittlung schon allgemein zum Zweck der Gefahrenabwehr, zur Strafverfolgung oder für nachrichtendienstliche Tätigkeiten erlaube ohne einschränkende Eingriffsschwellen oder konkrete Verwendungszwecke zu enthalten, sei die Norm mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar.

Gleiches gelte für die Zuordnung dynamischer IP-Adressen gem. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG, die sogar einen Eingriff von größerem Gewicht (auch in Art. 10 GG) darstelle und somit nur zum Schutz von Rechtsgütern mit hervorgehobenem Gewicht zulässig sei. Wolle der Gesetzgeber auch hier die Anforderungen an den Grad der Gefahr absenken, müsse sogar eine Beschränkung auf den Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern erfolgen, so das BVerfG.

Da schließlich auch die vielen fachgesetzlichen Abrufregelungen, die mit § 113 TKG korrespondierten, als eigenständige Eingriffe in Grundrechte zu werten seien und dennoch ebenfalls keine begrenzenden Eingriffsschwellen enthielten, seien auch sie nicht verhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Für den Abruf von Zuordnungen dynamischer IP-Adressen gelte darüber hinaus ein Erfordernis zur Begrenzung der Verwendungszwecke und zum Führen einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation.

Lediglich die Befugnisse zum Abruf von Zugangsdaten durch die Behörden seien ausreichend begrenzt und stellten demnach einen verhältnismäßigen Abruf sicher.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Normen waren bereits aufgrund einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012 geändert worden. Die Entscheidung finden Sie hier. Ein weiteres Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung ist momentan bei EuGH anhängig.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 49/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 3 StR 52/20: Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Vereinsverbot setzt Kenntnis des Verbots voraus

Amtlicher Leitsatz:

Der für eine Strafbarkeit wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot erforderliche mindestens bedingte Vorsatz muss sich auf die Existenz des gegen den ausländischen Verein verfügten vollziehbaren Verbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter – zumindest in laienhafter Parallelwertung – eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum, nicht Verbotsirrtum.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten vom Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG freigesprochen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte einem spontanen Aufzug gegen die Bombardierung kurdischer Städte durch das türkische Militär angeschlossen. Mehrere Teilnehmer der Demonstration, unter ihnen auch der Angeklagte, hatten daraufhin mehrmals „PKK“ skandiert. Die als „PKK“ bezeichnete „Arbeiterpartei Kurdistans“ war am 22. November 1993 vom Bundesinnenministerium verboten worden. Das LG konnte beim Angeklagten keine Kenntnis darüber nachweisen, „dass die PKK in Deutschland verboten und das Rufen von ‚PKK‘ nicht erlaubt ist“. Daher sprach es ihn mangels Vorsatzes (§ 16 Abs. 1 StGB) vom Tatvorwurf frei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG.

Zwar könne eine Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 18 Satz 2 VereinsG schon in einem propagandistischen Tätigwerden für den Verein gesehen werden. Allerdings sei dafür ein vorsätzliches Verhalten und somit zumindest dolus eventualis bezüglich aller Tatbestandsmerkmale erforderlich, so der BGH.

Bei § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handele es sich um ein Blankettstrafgesetz. Bei solchen sei allgemein anerkannt, dass die Unkenntnis der tatsächlichen Umstände, die den zusammenzulesenden Tatbestand aus Blankett und blankettausfüllender Norm ausfüllten, einen Tatbestandirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB begründe. Irre der Täter jedoch über Bestehen, Gültigkeit, Anwendbarkeit, Inhalt oder Reichweite der blankettausfüllenden Norm, so handele er in einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB. In Fällen bei denen sich das Blankett jedoch nicht auf eine andere gesetzliche oder untergesetzliche Norm sondern ein durch Verwaltungsakt behördlich verfügtes Verbot beziehe, müsse die Existenz dieser Verbotsverfügung vom Vorsatz des Täters, zumindest in laienhafter Parallelwertung, umfasst sein. Dies gelte auch in vergleichbaren Konstellationen, wie beispielsweise für das Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG bei gerichtlichem oder behördlichem Fahrverbot oder dem Verstoß gegen ein strafrechtliches Berufsverbot (§ 145c StGB).

Eine positive Kenntnis des Täters vom Vereinsverbot sei jedoch nicht erforderlich, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Erst am 13. Juni 2019 hatte der BGH entschieden, dass es für einen Verstoß gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot ausreiche, wenn das Täterhandeln konkret geeignet sei, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen; auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens komme es nicht an. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 48/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 07.07.2020 – 1 BvR 479/20: Bezeichnung als „frecher Juden-Funktionär“ ist volksverhetzend

Leitsatz der Redaktion:

In Bezug auf Äußerungen über den Nationalsozialismus gelten die normalen Anforderungen an einschränkende Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG. Die in der Wunsiedel-Entscheidung eingeführte Ausnahme vom Allgemeinheitserfordernis betrifft nur die formelle Ebene eines Straftatbestands, der eine bestimmte Meinung unter Strafe stellt. Eine konkrete Meinungsäußerung adressiert die Ausnahme nicht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist vom AG Bielefeld und bestätigend vom LG Bielefeld und OLG Hamm wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 StGB verurteilt worden.

Er hatte als Vorsitzender der Partei DIE RECHTE im Gebiet O. einen Artikel im Internet veröffentlicht, in dem er den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde als „freche[n] Juden-Funktionär“ bezeichnet hatte, weil dieser sich gegen einen Verleger ausgesprochen hatte, der in seinem Verlag auch rechtsradikales Gedankengut veröffentlicht haben soll.

In dem Artikel wird der Verleger positiv adressiert und zu einem Boykott der jüdischen Gemeinde aufgerufen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Eingriffe in die Meinungsfreiheit benötigten nach Art. 5 Abs. 2 GG ein allgemeines Gesetz. Dieses Gesetz dürfe sich grundsätzlich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten und müsse materiell verhältnismäßig sein. Eine Ausnahme gelte für Straftatbestände, die sich (wie § 130 Abs. 4 StGB) gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus als Einzelmeinung richteten.

Diese Ausnahme könne allerdings nicht auf eine konkrete Meinungsäußerung angewendet werden, so das BVerfG. Das Grundgesetz kenne kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, weshalb eine konkrete Meinungsäußerung in Bezug auf den Nationalsozialismus an den allgemeinen Anforderungen für Eingriffe in die Meinungsfreiheit gemessen werden müsse.

Relevant sei die konkrete Wirkung der Äußerung im jeweiligen Kontext.

Da die Fachgerichte die Meinungsäußerung nicht aufgrund der allgemeinen politischen Ausrichtung des Täters oder seiner Parteimitgliedschaft, sondern unabhängig davon bewertet hätten, sei die konkrete Anwendung des § 130 Abs. 1 StGB nicht zu beanstanden.

Das Verwenden des Terminus „Jude“ könne vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte durchaus eine herabwürdigende Aussage darstellen. Hier sollte die Bezeichnung gerade zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufstacheln, was aus der Verwendung des propagandistischen Terminus „frecher Jude“ geschlossen werden könne. Zudem ergebe sich dies auch im Zusammenhang mit dem Boykottaufruf und dem positiven Hervorheben, des rechtspopulistischen Verlagsprogramms.

Genau vor solchen Aufstachelungen solle § 130 Abs. 1 StGB schützen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zur subjektiven Seite der Volksverhetzung und zur konkurrenzrechtlichen Bewertung hatte zuletzt der BGH entschieden: KriPoZ-RR, Beitrag 47/2019

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 47/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.06.2020 – 1 BvR 1716/17: Verletzung der Pressefreiheit durch strafrechtliche Verurteilung

Leitsatz der Redaktion:

Bei der unverpixelten Weitergabe eines Fotos an eine Presseredaktion mit dem Ziel einer späteren Veröffentlichung trifft den Fotografen keine strafrechtliche Verantwortung für etwaige Persönlichkeitsrechtsverletzungen, wenn er der Redaktion alle für eine Unkenntlichmachung relevanten Umstände mitgeteilt hat.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben, mit der er sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung in dritter Instanz durch das OLG Köln (vorausgehend LG Aachen und AG Aachen) wegen eines Verstoßes gegen §§ 22 f., 33 KunstUrhG wendet.

Die Fachgerichte hatten ihn wegen der Weitergabe einer unverpixelten Bildaufnahme einer Person an eine Presseredaktion einer überregionalen Zeitung zum Zwecke der Veröffentlichung verurteilt. Auf dem Bild war ein Mann im Wartebereich einer Klinik abgebildet gewesen, bei dem ein Ebola-Infektionsverdacht bestanden hatte. Die Aufnahme war im Kontext der internationalen Ebola-Pandemie im Jahr 2015 entstanden, die mit einer erheblichen öffentlichen Beachtung einhergegangen war. Nach Ansicht des Fotografen hatte das Bild die mangelnden Hygienemaßnahmen des Krankenhauses im Umgang mit möglichen Ebola-Patienten dokumentieren sollen. Die unverpixelte Aufnahme war mit der Überschrift „Ebola Panne in NRW? – Virus-Verdächtiger musste auf Klinik-Flur warten“ in der Online-Präsenz der Zeitung veröffentlicht worden.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt.

Die Verurteilungen der Fachgerichte wegen unbefugten Verbreitens eines Bildnisses verstießen gegen die Pressefreiheit des Fotografen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Das Grundrecht schütze die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten von der Sammlung von Informationen über die Vorbereitung bis hin zur Veröffentlichung, was die Anfertigung von Fotografien zur Bebilderung von Artikeln einschließe, so der Senat.

Dabei fände das Grundrecht der Pressefreiheit seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, welche die §§ 22 f., 33 KunstUrhG darstellten.

Bestimmtheitsbedenken im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG am Tatbestand des § 33 KunstUrhG seien nicht in substantiierter Weise vorgetragen worden und daher nicht zu prüfen gewesen, auch wenn es verfassungsrechtlich nicht unproblematisch erscheine, dass die Strafbarkeit von einer im Ausgang ungewissen Abwägungsentscheidung nach §§ 22 f. KunstUrhG abhängig gemacht werde.

Diese Abwägungsentscheidung müsse von den Fachgerichten unter Berücksichtigung der besonderen grundrechtlich geschützten Interessen vorgenommen werden und unter anderem eine Auseinandersetzung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der einen und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der anderen Seite erkennen lassen.

Im zu entscheidenden Fall habe das AG Aachen schon den Grad des Informationsinteresses der Öffentlichkeit verkannt, indem es das Bild nicht in den Bereich der Zeitgeschichte eingeordnet habe. Gerade im Kontext einer Pandemielage müsse es für die Presse zulässig sein über, ihrer Meinung nach, mangelhafte hygienische Zustände in öffentlichen Krankenhäusern zu berichten. Das Verkennen dieses Umstandes durch das AG schließe schon jede Abwägungsentscheidung von vornherein aus und habe daher die Pressefreiheit verletzt.

Das LG Aachen habe diesen Aspekt zwar zutreffend bejaht, sei aber bei der dann getroffenen Abwägungsentscheidung von einem falschen Bezugspunkt ausgegangen, indem es auf die unverpixelte Veröffentlichung des Fotos abgestellt habe, so das BVerfG. Diese sei dem Fotografen aber nicht strafrechtlich vorzuwerfen, da sich seine Handlung in der Weitergabe des Fotos an die Redaktion erschöpft habe.

Das OLG habe in seiner Abwägungsentscheidung zwar an die Weitergabe des Fotos angeknüpft, dabei jedoch die Arbeits- und Verantwortungsstrukturen in der Pressearbeit nicht genügend berücksichtigt. Aus dem Verhalten des Fotografen könne nicht auf einen Verstoß gegen journalistische Sorgfaltspflichten geschlossen werden. Eine Verpixelung von Bildmaterial vor der Weitergabe an eine Redaktion könne nicht verlangt werden, da es gerade Aufgabe einer Redaktion sei, das eingereichte Material umfassend zu prüfen und selbstverantwortlich über eine (verpixelte) Veröffentlichung zu entscheiden.

Etwas Anderes könne nur angenommen werden, wenn der Fotograf der Redaktion maßgebliche Umstände nicht mitteile, die für eine korrekte Bewertung des Materials unverzichtbar gewesen wären. Andernfalls liege es in der Verantwortung der jeweiligen Redaktion die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten zu wahren.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den Beschluss des OLG Köln finden Sie hier.

Das Urteil des AG Aachen finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 46/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.03.2020 – 4 StR 134/19: Geplantes Vermögensdelikt während Wehrlosigkeit schließt Heimtücke nicht aus

Amtlicher Leitsatz:

Wer sein argloses Opfer in Tötungsabsicht in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt.

Sachverhalt:

Das LG Frankenthal hat die Angeklagten G. und Ta. jeweils wegen Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge und Raub mit Todesfolge sowie wegen Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge und räuberischer Erpressung mit Todesfolge verurteilt.

Die Angeklagte T. hat es wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub sowie wegen Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge und räuberischer Erpressung mit Todesfolge verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten G. und Ta. die Entführung von Menschen geplant, um sich finanziell zu bereichern. Zu diesem Zweck hatten sie eine Lagerhalle angemietet, mit einer Schallisolierung ausgestattet und verdunkelt. Die Angeklagte T. war von den beiden als Lockvogel gewonnen worden und hatte die Aufgabe, wohlhabende Geschäftsleute unter einem Vorwand in die Halle zu locken, sodass G. und Ta. sie überwältigen und gefangen halten konnten.

Der Tatplan von G. und Ta. hatte zudem von Anfang an vorgesehen, die Opfer nach Erhalt des Geldes zu töten. Davon hatte T. zunächst nichts gewusst, das Vorgehen nach dem ersten Opfer jedoch gebilligt.

Dem Plan folgend hatte T. mehrmals Geschäftsmänner in die Halle gelockt. Diese waren von G. und Ta. überwältigt und zur Herausgabe bzw. Beschaffung von Bargeld gezwungen worden. Anschließend sind die Opfer erdrosselt worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG.

Zwar sei das LG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Täter zum Mordversuch schon in dem Moment angesetzt haben, als sie die arglosen Opfer in der Lagerhalle überwältigten. Allerdings sei dieser Zeitpunkt auch nicht der maßgebliche zur Beurteilung des Heimtückemerkmals. Nach dem Simultaneitätsprinzip sei lediglich erforderlich, dass sich das Opfer im Zeitpunkt der die Versuchsschwelle überschreitenden Handlung in einem wehrlosen Zustand befindet. Diese Wehrlosigkeit müsse durch Arglosigkeit hervorgerufen worden sein. Jedoch sei es auch ausreichend, dass die Arglosigkeit des Opfers bereits im Vorbereitungsstadium des Mordes zur Schaffung einer wehrlosen Lage ausgenutzt worden sei. Gerade bei Taten, die von langer Hand geplant seien und das Opfer in einen Hinterhalt locken sollen, komme es nicht darauf an, ob das Opfer zu Beginn der Tathandlung noch arglos sei. Relevant sei lediglich, dass die aufgrund von Arglosigkeit geschaffene Wehrlosigkeit des Opfers noch fortdauere und daher die Tötung erleichtere.

Ebenfalls keinen Bedenken begegne die Annahme der Verdeckungsabsicht, da die Tötung zwar schon von Anfang an geplant gewesen sei, dies jedoch bei zweiaktigen Tatgeschehen wie im vorliegenden Fall unproblematisch sei, so der BGH.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 45/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.06.2020 – 5 StR 157/20: Konkurrenzen bei §§ 113, 114, 223 StGB

Amtlicher Leitsatz:

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte Körperverletzung können zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen; Gesetzeskonkurrenz besteht nicht.

Sachverhalt:

Das LG Leipzig hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit tätlichem Angriff gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte mit seinem beschuhten Fuß in Verletzungsabsicht nach einem seiner Mitbewohner getreten. Um weitere Angriffsversuche dieser Art zu unterbinden, hatten die inzwischen eingetroffenen Polizeibeamten den Angeklagten nach hinten gezogen. Dadurch provoziert hatte sich der Angeklagte von diesem Moment an auf die Beamten konzentriert und versucht sie mit Schlägen und Tritten zu verletzen. Den Beamten war es daraufhin gelungen den Angeklagten trotz Gegenwehr zu Boden zu bringen. Verletzungen hatten sie nicht erlitten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (jeweils in zwei tateinheitlichen Fällen).

Mit den Tritten gegen die Polizeibeamten habe der Angeklagte zumindest konkludent mit der Anwendung von Gewalt gedroht. Dies sei auch bei Vornahme einer Vollstreckungshandlung (Festhalten) gegen die Amtsträger erfolgt.

Zugleich erfüllten die Tritte auch § 114 Abs. 1 StGB, da das Verhalten des Angeklagten einen tätlichen Angriff auf die beiden dienstlich tätigen Polizisten dargestellt habe.

Ein tätlicher Angriff sei jede mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung, unabhängig von ihrem Erfolg. Die Einwirkung auf den Körper müsse zwar Ziel der Handlung sein, ein Körperverletzungsvorsatz sei jedoch nicht erforderlich. Ein Abweichen von dieser Definition sei auch nach der Gesetzesreform durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften vom 23. Mai 2017 nicht angezeigt, so der BGH.

Der Gesetzgeber habe lediglich die Begehungsweise des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB ausgliedern und dadurch auf allgemeine dienstliche Handlungen erstrecken wollen. Eine Änderung des Bedeutungsgehalts des Tatbestandsmerkmals sei damit nicht bezweckt gewesen. Auch eine restriktivere Auslegung sei nach der Strafschärfung nicht geboten, da der offensichtliche Wille des Gesetzgebers dies nicht vorsehe. Ob die angedrohten Strafen für solche Taten aus kriminalpolitischen Gründen zu hoch angesetzt seien, habe der Senat nicht zu bewerten.

Ebenfalls bestätigte der BGH die konkurrenzrechtliche Bewertung des LG, alle Delikte zueinander in Tateinheit stehen zu lassen. Keines der ideal konkurrierenden Delikte trete gesetzeskonkurrierend zurück, da weder ein Fall der Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion vorlägen.

Spezialität sei nicht gegeben, da keiner der Tatbestände alle Merkmale eines anderen und noch ein weiteres enthalte. Bei § 113 StGB und § 114 StGB unterschieden sich schon die Tathandlungen. Nach Auslegung der Normen sei auch kein Fall der Subsidiarität anzunehmen.

Schließlich sei auch ein Fall der Konsumtion, also des vollständigen Erfassens des Unrechtsgehalts der Tat schon durch einen der erfüllten Tatbestände, nicht einschlägig, da die Schutzrichtungen der Tatbestände unterschiedlich seien.

§ 223 StGB schütze die körperliche Unversehrtheit, wohingegen § 113 StGB dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte und des Gewaltmonopols des Staates diene. § 114 StGB schütze zwar ebenfalls den individuellen Vollstreckungsbeamten und nur mittelbar das Interesse an der Dienstausübung, allerdings umfasse dieser Schutz nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern alle Rechtsgüter des Beamten, die durch einen tätlichen Angriff betroffen sein können.

Damit sei, auch wenn bei einer Widerstandshandlung typischerweise oft alle drei Delikte verwirklicht würden, eine erschöpfende Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat nur bei einer tateinheitlichen Verurteilung möglich.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften finden Sie hier.

Die in dieser Entscheidung vertretene Ansicht des 5. Senats wird auch vom 3. Senat geteilt, der eine ähnliche Argumentation anführte. Den Beschluss finden Sie hier.

Ebenfalls zum Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs hat der 4. Senat kürzlich einen Beschluss erlassen: KriPoZ-RR, Beitrag 42/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 44/2020

Den Vorlagebeschluss im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 14.04.2020 – 5 StR 20/19: Großer Senat soll über Anwendungsbereiche der §§ 265 Abs. 1 und 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO entscheiden

Leitsatz der Redaktion:

Der 5. Strafsenat hat nach der Antwort des 1. Senats entschieden, den Großen Strafsenat des BGH zu fragen, ob der Angeklagte nach § 265 Abs. 1 StPO oder § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf eine mögliche Einziehung des Wertes von Taterträgen hinzuweisen ist, wenn die Anknüpfungstatsachen bereits in der Anklageschrift enthalten sind.

Sachverhalt:

Am 18.06.2019 hatte der 5. Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass weder § 265 Abs. 1 StPO noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der obligatorischen Einziehung auslösten und hatte beim 1. Senat angefragt, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten wolle. Den zugehörigen KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019.

Am 10.10.2019 hatte der 1. Senat entschieden, dass er an seiner Rechtsprechung festhält und hatte einen Hinweis auf eine Einziehung auch dann für erforderlich gehalten, wenn die Tatsachen zwar bereits in der Anklageschrift enthalten gewesen waren, das Gericht deren Bedeutungsgehalt jedoch erst in der Hauptverhandlung realisiere. Den Beitrag zum Antwortbeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019.

Entscheidung des 5. Senats:

Der Senat entschied, die Frage dem Großen Senat vorzulegen, da sie eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstelle. Dabei sei nicht nur die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen relevant, sondern die Hinweispflicht habe Bedeutung für alle Rechtsfolgenentscheidungen. Daher sei eine einheitliche Rechtsprechung nach der Reform des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 dringend erforderlich. Sonst wäre es möglich, dass in praxisrelevanten Fragen mit Bedeutung für die Verteidigungsrechte des Angeklagten unterschiedliche Entscheidungen ergingen.

Man müsse im Wege der Auslegung nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift zu dem Ergebnis kommen, dass Abs. 1 Fälle des geänderten Schuldgehalts und Abs. 2 Nr. 1 Änderungen der Rechtsfolgen betreffen. Zwar habe der Gesetzgeber bei seiner Reform alle Maßnahmen der Hinweispflicht des § 265 StPO unterwerfen wollen, daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, dass alle Maßnahmen den gleichen verfahrensrechtlichen Maßgaben folgen sollen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 43/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 19.05.2020 – 4 StR 140/20: Hafterschleichung durch Tötungsdelikt kann Habgier erfüllen

Leitsatz der Redaktion:

Der Versuch, durch ein Tötungsdelikt die eigene Inhaftierung mit dem Ziel der staatlichen Versorgung zu erreichen, kann das Mordmerkmal der Habgier begründen.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte einen Fahrradfahrer mit seinem Auto angefahren und dessen Tod billigend in Kauf genommen, um so seine Inhaftierung zu erreichen. Sein Ziel war es gewesen durch die Inhaftierung langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung zu erhalten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung durch das LG, da das Mordmerkmal der Habgier zutreffend angenommen worden sei.

Der Angeklagte habe versucht, sein Vermögen durch die Tötung zu vermehren, da er eine staatliche Versorgung angestrebt habe. Diese sei sein Hauptmotiv gewesen, sodass die mit der Inhaftierung verbundenen Einschränkungen nicht ins Gewicht fielen. Es sei zudem nicht erforderlich, dass der Vermögensvorteil aus dem Vermögen des Opfers stamme. Schließlich sei es ebenfalls irrelevant, dass der Angeklagte den Vermögensvorteil auch auf legalem Weg hätte erreichen können, so der BGH.

Die Tötung müsse aus Sicht des Täters nicht das einzige Mittel sein, um den Vermögensvorteil zu erreichen.

 

 

 

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