KriPoZ-RR, Beitrag 13/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 04.12.2019 – 4 ARs 14/19: Antwort auf Anfragebeschluss des 5. Senats vom 08.05.2019 (5 StR 146/19)

Bestätigter Leitsatz des Anfragebeschlusses:

Auch durch Vorlage einer Kopie oder elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.

Sachverhalt:

Der 5. Strafsenat hatte beabsichtigt den Angeklagten wegen Ausweismissbrauchs zu verurteilen, weil dieser eine unbeglaubigte Fotokopie eines echten Ausweises zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet hatte, fühlte sich daran jedoch durch die Rechtsprechung des 4. Senats gehindert. Weitere Informationen finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 21/2019.

Entscheidung des 4. Senats:

Der Senat bestätigte den beabsichtigten amtlichen Leitsatz der Entscheidung.

Als nicht überzeugend sah der Senat jedoch das Argument, dass die Änderungen des Passwesens vom 7. Juli 2017, die erstmals ein Ablichten von Ausweispapieren erlaubten, für eine einheitliche Auslegung des Merkmals „Gebrauchen“ in § 281 Abs. 1 und § 267 Abs. 1 StGB sprächen. Der Gesetzgeber habe mit den Änderungen nur das Bedürfnis der Bevölkerung zur Nutzung von abfotografierten Ausweisen anerkennen und gerade nicht die unbeglaubigte Fotografie eines Ausweispapiers in ihrer Beweisfunktion neben einen echten Ausweis stellen wollen. Dafür spreche auch, dass der Rechtsverkehr bei Geschäften, bei denen es auf die Identität der Personen ankomme, nach wie vor nur echte Ausweispapiere zur Legitimation anerkenne. Zudem fände das deutsche PassG oder PAuswG nur auf inländische Ausweispapiere Anwendung, § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB gelte jedoch für sämtliche Urkunden, die zur Identifikation von einer Behörde oder amtlichen Stelle ausgestellt würden, also auch für ausländische Ausweispapiere, die auch im zu entscheidenden Fall genutzt worden waren.

Dennoch spricht sich der Senat für eine einheitliche Auslegung des „Gebrauchens“ in § 281 Abs. 1 StGB sowie § 267 Abs. 1 StGB aus, da zum einen der gleichlautende Wortlaut und zum anderen der Schutzzweck der Norm dafür spreche. Zusätzlich könnten so Wertungswidersprüche vermieden werden, die aufträten, wenn eine Strafbarkeit nach § 281 StGB aufgrund der Verwendung einer Kopie nicht in Betracht käme, der Täter jedoch nach § 267 StGB deutlich härter aufgrund desselben Sachverhalts zu bestrafen wäre, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Den betreffenden KriPoZ-RR-Beitrag zum Anfragebeschluss finden Sie hier. Den Anfragebeschluss im Original finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 3 StR 485/19: Zum Verhältnis der §§ 211, 212 zu § 218 StGB

Leitsatz der Redaktion:

Die Strafbarkeit eines (zumindest) versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil der Mutter deckt nicht vollumfänglich den Unrechtsgehalt eines versuchten oder vollendeten Schwangerschaftsabbruch gegen ihren Willen ab.

Sachverhalt:

Das LG Duisburg hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Schwangerschaftsabbruch und mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war das Opfer in einer sexuellen Beziehung mit dem Angeklagten gewesen, aus der eine vom Angeklagten ungewollte Schwangerschaft resultiert hatte. Dies hatte ihn dazu veranlasst die Nebenklägerin und ihr ungeborenes Kind töten zu wollen. Zu diesem Zweck hatte er sie an einen unbewohnten Ort am Rhein gelockt und mit mehreren Mittätern mit Messern auf sie eingestochen. Die Frau und das Kind hatten den Angriff überlebt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG und nutzte die Gelegenheit das Verhältnis der §§ 211, 212 StGB zu § 218 StGB zu präzisieren.

Die §§ 211 f. StGB und § 218 StGB stünden in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) zueinander, da bei den verschiedenen Tötungsdelikten unterschiedliche höchstpersönliche Rechtsgüter betroffen seien.

Ebenfalls begegne die strafschärfende Berücksichtigung der Verwirklichung beider Regelbeispiele des § 218 Abs. 2 Satz 2 StGB keinen rechtlichen Bedenken.

Die Tötung des ungeborenen Kindes gegen den Willen der Schwangeren gehe in ihrem Unrechtsgehalt über das Tötungsdelikt an der Mutter hinaus, so der BGH.

Damit weicht der Senat von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, die in einer Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts an der Mutter den – den Schwangerschaftsabbruch übersteigenden – Unrechtsgehalt als vollständig erfasst ansah.

Die Strafbarkeit eines (zumindest) versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil der Mutter decke nicht vollumfänglich den Unrechtsgehalt eines versuchten oder vollendeten Schwangerschaftsabbruchs gegen ihren Willen ab, da der Telos des § 218 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB schwerpunktmäßig in der gesteigerten Verwerflichkeit der Tat liege.

Diese Argumentation greife auch bei § 218 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB. Derjenige, der nicht nur leichtfertig sondern vorsätzlich die Todesgefahr oder Gesundheitsgefahr der Schwangeren herbeiführe, verwirkliche die Strafschärfung erst recht.

Offengelassen hat der BGH die Frage, ob die Regelbeispiele auch bei einer vollendeten vorsätzlichen Tötung der Schwangeren zur Anwendung kommen können oder subsidiär zurücktreten. Insoweit bestehe die Gefahr, dass der Tötungserfolg ansonsten dem Angeklagten doppelt zur Last gelegt werde.

Anmerkung der Redaktion:

Die überholte Senatsrechtsprechung finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 11/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 28.11.2019 – 3 StR 294/19: Zur Wertersatzeinziehung bei Zahlungen an eine Gesellschaft

Amtliche Leitsätze:

  1. Nutzt der Täter die durch seine rechtswidrigen Taten bereicherte Gesellschaft nur als formalen Mantel, ohne dass deren Vermögenssphäre von seiner eigenen getrennt ist, oder leitet die Gesellschaft die Erträge aus den Taten stets zeitnah an den Täter weiter, so erlangt er selbst im Sinne des §73 Abs.1 StGB die betreffenden Vermögenwerte bereits dann, wenn sie der Gesellschaft zufließen.

  2. Unabhängig von einer solchen Zurechnung der bei der drittbegünstigten Gesellschaft eingetretenen Vermögensmehrung aufgrund faktischer Verschmelzung der Vermögensmassen kann der Täter etwas durch die Tat erlangen, soweit die Gesellschaft die inkriminierten Vermögenswerte nachfolgend -ganz oder teilweise- an ihn weiterleitet und sie ihm auf diese Weise persönlich zufließen.

  3. Lag einem solchen Vermögenstransfer ein nicht bemakelter Vertrag zugrunde, der mit der Straftat in keinem Zusammenhang stand, so ist die (Wertersatz-) Einziehung regelmäßig ausgeschlossen.

Sachverhalt:

Das LG Düsseldorf hatte den Angeklagten wegen Vorteilsnahme und Untreue verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 348.267,24€ angeordnet. Dieses Urteil war vom BGH aufgehoben worden. Nun hat das LG den Angeklagten (im Schuldspruch rechtskräftig) wegen Vorteilsnahme und Untreue verurteilt und von der Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte Angestellter einer Aktiengesellschaft in städtischem Eigentum gewesen, die den Personennahverkehr in der betreffenden Gemeinde betrieben hatte. In dieser Position war er dafür zuständig gewesen, die Werbeanzeigen zu kontrollieren, die ein externes Unternehmen (M. GmbH) im Rahmen eines Exklusivvertrages in den städtischen Verkehrsmitteln hatte veröffentlichen wollen. Zudem war es in seinen Aufgabenbereich gefallen, zum Zwecke des Anbringens der genehmigten Werbeanzeigen, Betretungsberechtigungen für die städtischen Werkstätten zu erteilen.

Parallel zu dieser Tätigkeit hatte der Angeklagte mit seiner Frau eine gemeinsam und arbeitsteilig geführte Gesellschaft gegründet, die sich ebenfalls mit dem Anbringen von Werbeanzeigen befasst hatte. Diese Gesellschaft war mehrfach von der M. GmbH mit der Verklebung der Werbefolien beauftragt worden, um sich das Wohlwollen des Angeklagten zu sichern. Die Aufträge hatten ein Umsatzvolumen von 1.278.442,28€ erreicht. Das Konto der Gesellschaft wurde von der Frau des Angeklagten geführt, die auch allein verfügungsbefugt gewesen war. Die Zahlungen der M. GmbH auf dieses Konto hatten sich auf 1.202.060,13€ aufsummiert. Von dem Gesellschaftskonto waren fünf Zahlungen auf das Konto des Angeklagten erfolgt, die insgesamt eine Höhe von 301.962,50€ erreicht hatten.

Nach Ansicht des LG sei eine Einziehung des Wertes von Taterträgen gem. §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB aufgrund dieses Sachverhalts bei dem Angeklagten nicht möglich gewesen, da die Gesellschaft weder als Deckmantel fungiere und eine tatsächliche Trennung der Vermögensmassen von Gesellschaft und Täter nicht existiere, noch etwaige Vermögenszuwächse von der Gesellschaft unverzüglich an den Angeklagten weitergeleitet worden seien. Die Gesellschaft habe Werkverträge zu marktüblichen Preisen abgeschlossen und dadurch Einnahmen auf dem Firmenkonto erzielt. Die Zahlungen auf das Konto des Angeklagten könnten auch Auszahlungen aus den Gesellschafteranteilen oder Vergütung für geleistete Arbeit sein und stünden nicht zwangsläufig mit den Zahlungen der M. GmbH in Zusammenhang.

Gegen die unterbliebene Wertersatzeinziehung hat sich die StA mit der Revision zum BGH gewendet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, soweit die Einziehung unterblieben ist, da das Absehen von der Einziehung des Wertes von Taterträgen sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standhalte.

Zwar sei die Annahme des LG zutreffend, dass grundsätzlich bei Zahlungen an eine Gesellschaft der Anwendungsbereich des § 73 Abs. 1 StGB nicht eröffnet sei. In solchen Fällen komme regelmäßig aufgrund der selbstständigen Vermögensmasse der juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft lediglich eine Einziehung nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in Betracht. Ebenfalls zutreffend sei die Wertung, dass eine Einziehung beim Täter ausnahmsweise möglich sei, wenn der Täter die Gesellschaft als formalen Mantel benutze und faktisch keine Trennung zwischen den Vermögensmassen bestünde oder die Gesellschaft den erhaltenen Vorteil aus der Tat umgehend an den Täter weiterleite. In diesen Fällen erlange der Täter den Vermögenswert im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB schon dann, wenn er der Gesellschaft zufließe, so der BGH.

Das LG habe jedoch nicht bedacht, dass der Täter auch dann einen Vorteil aus der Tat erlange, wenn die rechtsfähige Personengesellschaft den Taterlös ganz oder teilweise tatsächlich an den Täter auszahle. Eine solche Weiterleitung des Vermögensvorteils könne auch dann Anknüpfungspunkt für eine Einziehung sein, wenn die Auszahlung unter dem Deckmantel einer Vergütung des Täters vorgenommen werde, so der BGH. Diese Wertung sei bereits dem alten Recht der Vermögensabschöpfung zu entnehmen gewesen und gelte erst recht nach der Reform der §§ 73 ff. StGB. Somit könne es ausreichend sein, wenn nur ein Teil des Taterlöses indirekt und ohne engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat an den Täter fließe.

Dass der Zuwendung der Gesellschaft ein nicht bemakelter Vertrag oder ein anderer legaler Rechtsgrund zugrunde liegen könnte, was eine Einziehung ausschließen würde, sei eine Tatfrage und müsse vom Tatgericht hinreichend aufgeklärt werden. Die in diesem Zusammenhang vom LG getroffenen Feststellungen seien dafür nicht ausreichend. Gerade weil sämtliche Einkünfte der Gesellschaft aus den Geschäften mit der M. GmbH stammten, sei eine starke Vermutung gegeben, dass die Gesellschaft Taterträge an den Täter weitergeleitet habe. Zudem seien keine tragfähigen Feststellungen getroffen worden, die einen legalen Rechtsgrund hinreichend belegen könnten, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Alle Informationen zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 10/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.01.2020 – 2 BvR 859/17: Recht auf effektive Ermittlungen zum Vorwurf der fahrlässigen Tötung bei Suizid in psychiatrischer Klinik

Leitsatz der Redaktion:

Bestehen begründete Zweifel an einem psychiatrischen Gutachten, kann die Staatsanwaltschaft im Einzelfall aufgrund des Rechts auf effektive Strafverfolgung verpflichtet sein, ein Ergänzungsgutachten einzuholen.

Sachverhalt:

Die StA Nürnberg-Fürth hatte, bestätigt von der GenStA und dem OLG Nürnberg, ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung gegen mehrere Ärzte einer psychiatrischen Klinik gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Gegen diese Einstellung hatte sich der Beschwerdeführer, der der Vater der verstorbenen Patienten ist, gewendet.

Die verstorbene Patientin hatte sich seit 2003 wiederholt in psychiatrischer Behandlung befunden und immer wieder versucht, sich das Leben zu nehmen. Aufgrund einer diagnostizierten schizoaffektiven bzw. schizophrenen Störung, war die Frau seit dem 11. August 2011 in stationärer psychiatrischer Behandlung in einem Krankenhaus, in dem die beschuldigten Ärzte gearbeitet hatten.

Bei einem vom Oberarzt Dr. M. genehmigten unbewachten Ausgang auf dem Klinikgelände hatte sich die Patientin von einer Treppe gestürzt und sich so das Leben genommen. Daraufhin hatte der Vater den behandelnden Oberarzt und weitere Ärzte des Klinikums wegen fahrlässiger Tötung angezeigt. Die StA Nürnberg-Fürth hatte das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt, da ein Gutachter keinen Behandlungsfehler hatte feststellen können. Die Gewährung des Ausgangs sei eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall gewesen und es habe keine Gewissheit bestanden, dass die Entscheidung für den Suizid der Patientin ursächlich gewesen sei.

Aufgrund des Vorwurfs, der forensische Gutachter hätte ein Gefälligkeitsgutachten gestellt, hatte der Vater eine weitere Anzeige gegen den Gutachter erstattet. Auch dieses Verfahren ist von der StA eingestellt worden, wogegen sich der Beschwerdeführer ebenfalls mit seiner Verfassungsbeschwerde richtet.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt.

Nach Ansicht des Senats sei der Beschwerdeführer durch die Einstellungsentscheidung der StA und den bestätigenden Entscheidungen der GenStA und des OLG in seinem Recht auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 iVm Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG und seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Aus dem Grundgesetz folge ausnahmsweise ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung gegen eine Dritte Person, wenn eine Verletzung der Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit vorliege, der Einzelne nicht in der Lage sei solche Straftaten abzuwehren und ein Verzicht auf eine effektive Strafverfolgung zu einer Erschütterung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Gewaltmonopol des Staates zur Folge hätte.

Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Auch dem Beschwerdeführer stehe, als Vater der Geschädigten, ein solcher Anspruch zu, da es sich bei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung um eine erhebliche Straftat gegen das Leben handele. Bei solchen erheblichen Straftaten gegen gewichtige Rechtsgüter, könne der Anspruch auf effektive Strafverfolgung auch durch enge Familienangehörige geltend gemacht werden, so das BVerfG.

Die Einschätzung des Sachverständigen, seien lückenhaft und widersprüchlich gewesen. Zum einen sei nicht belegt, dass ein beobachteter Ausgang das Vertrauen der Patientin erschüttert und so eine Therapie erschwert hätte. Ein solcher hätte den Suizid jedoch eventuell verhindern können. Zum anderen habe die StA nicht umfänglich aufgeklärt, ob die Patientin beim Verlassen der Station noch eigenverantwortlich hatte handeln können oder bereits zum Suizid entschlossen gewesen sei. Somit seien die Annahmen, die zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens geführt hätten, teilweise spekulativ gewesen, so das BVerfG.

Schließlich sei der Beschwerdeführer auch in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, da das OLG den Antrag auf Weiterführung der Ermittlungen und Einholung eines Ergänzungsgutachtens an den Maßstäben zur Erhebung der öffentlichen Klage gemessen habe. Es habe also auf den genügenden Anlass (vgl. § 174 Abs. 1 StPO) abgestellt. Dem tatsächlich gestellten Antrag hätte jedoch bereits zugestimmt werden müssen, wenn der Sachverhalt in zentralen Punkten nicht hinreichend aufgearbeitet gewesen sei, so das BVerfG.

Damit sei die StA verpflichtet gewesen zumindest ein Ergänzungsgutachten in Auftrag zu geben, um den Suizid der Patientin hinreichend aufzuklären.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits im Januar 2020 hatte das BVerfG einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung stattgegeben. Auch bei diesem Verfahren hatte es sich um Ermittlungen gegen Ärzte einer psychiatrischen Klinik in Zusammenhang mit einer Zwangsfixierung gehandelt. Den entsprechenden KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 08/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.12.2019 – 2 StR 249/19: Dienstlicher Zusammenhang bei Verletzung des Steuergeheimnisses gem. § 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB

Leitsatz der Redaktion:

Die neue Fassung des § 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB spricht dafür, dass bei Taten vor dem 1. Januar 2017 nur solche fremden Verhältnisse vom Tatbestand umfasst sind, die dem Amtsträger bestimmungsgemäß in seiner Eigenschaft als solcher bekannt geworden sind.

Sachverhalt:

Das LG Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verletzung des Steuergeheimnisses verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als hauptamtlicher Erster Stadtrat verschiedene Unterlagen der Stadtverwaltung abfotografiert oder kopiert, um die – aus seiner Sicht – brisanten Unterlagen zu veröffentlichen. Dazu hatte er die Dokumente einem Journalisten und einem Rechtsanwalt zugespielt, die diese veröffentlichen sollten. Es hatte sich um fotografiert Schriftstücke aus Verwaltungsakten, Notizbücher, Kassenzettel, private Fotos, Gewerbesteuerbescheide, Arbeitszeugnisse, Verträge und andere Unterlagen gehandelt, die teilweise auch als Verschlusssache eingestuft gewesen waren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Verurteilung auf, da sich aus den Feststellungen des LG nicht ergebe, dass ein Zusammenhang zwischen der Stellung des Angeklagten als Amtsträger und seiner Kenntnisnahme von den steuerrelevanten Informationen bestanden habe.

Ein solcher Zusammenhang sei jedoch nach der alten Gesetzesfassung erforderlich, da der Wortlaut der Norm nur eine Geheimhaltungspflicht für solche Unterlagen entstehen lasse, die dem Amtsträger befugtermaßen in einem Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren bekannt geworden seien. Habe der Amtsträger die Informationen lediglich unbefugt oder missbräuchlich aufgrund seiner Amtsstellung und damit „gelegentlich seiner Diensterfüllung“ erhalten, genüge dies für eine Strafbarkeit nach der alten Gesetzesfassung nicht.

Diese einschränkende Auslegung begründet der Senat damit, dass nach der Reform des § 355 StGB durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens explizit auch solche Informationen aufgenommen worden seien, die sich aus Daten ergäben, welche dem Amtsträger unbefugt zur Verfügung standen. Im Umkehrschluss bedeute dies allerdings, dass vor der Gesetzesnovelle eine unbefugte Kenntniserlangung durch den Amtsträger nicht genüge.

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zum Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 09/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 14.11.2019 – 3 StR 408/19: Teilweise Zerstörung einer Flüchtlingsunterkunft im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB bei Unbewohnbarkeit eines Zimmers

Amtlicher Leitsatz:

Ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Gebäude ist teilweise zerstört im Sinne des § 306a Abs. 1 StGB, wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes Zimmer brandbedingt für beträchtliche Zeit unbewohnbar wird.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte als Asylbewerber nach Deutschland gekommen und nach Ablehnung seines Asylantrags im Besitz einer ausländerrechtlichen Duldung gewesen. Mit dieser Situation war er zunehmend unzufrieden gewesen, auch deshalb, weil der mit seinem Status weder kostengünstigen Deutschunterricht noch eine Arbeitsstelle hatte finden können. Am 5. Oktober 2018 hatte sich der Angeklagte daraufhin entschlossen, seine Asylbewerberunterkunft durch Brandlegung zu zerstören. Er hatte das Sofa in seinem Zimmer angezündet und ein brennendes Stück Stoff auf ein weiteres Sofa in einem anderen Zimmer geworfen, sodass auch dieses zu brennen angefangen hatte.

Der Brand war von der Feuerwehr schnell gelöscht worden, doch das Zimmer des Angeklagten war für einen vorübergehenden Zeitraum unbewohnbar. Das LG hat dieses Zimmer als wesentlichen Gebäudeteil gewertete, den der Angeklagte unbrauchbar gemacht, mithin das Gebäude teilweise zerstört habe.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG.

Ein Gebäude sei teilweise zerstört, wenn für eine nicht nur unerhebliche Zeit ein für das ganze Objekt zwecknötiger Teil oder dieses wenigstens für einzelne seiner wesentlichen Zweckbestimmungen unbrauchbar werde oder wenn einzelne seiner Bestandteile, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet seien, vernichtet würden. Ob eine solche Zerstörung eingetreten ist, sei vom Tatgericht als Tatfrage unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte des Einzelfalls zu erörtern.

Für Flüchtlingsunterkünfte gölten die gleichen Regeln, die auf Wohngebäude anzuwenden seien, stellte der BGH klar. Das Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft stelle für den Asylbewerber unter dem Gesichtspunkt des Wohnens den Mittelpunkt menschlichen Lebens dar. Dies folge daraus, dass es meist der einzige Raum sei, der ihm zu seiner persönlichen Verfügung stehe, in dem er schlafe und sein Privatleben führe und in dem er meist seine kompletten persönlichen Besitztümer aufbewahre. Damit bilde das Zimmer einen wesentlichen und funktionell selbständigen Teil des Gebäudes.

Von untergeordneter Relevanz sei es, ob das Zimmer mit Sanitär- oder Kocheinrichtungen ausgestattet sei, so der BGH.

Ist ein zu Wohnzwecken genutztes Zimmer durch Brandlegung für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum unbewohnbar, sei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt.

 

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Entscheidungen zu § 306a StGB finden Sie hier und hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 07/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.10.2019 – 1 StR 199/19: Zur Einziehung bei Verbrauch- und Warensteuerhinterziehung

Leitsatz der Redaktion:

Die verkürzte Steuer ist als ersparte Aufwendung ein erlangtes Etwas nach § 73 Abs. 1 StGB, wenn ein Vermögensvorteil beim Täter verblieben ist. Dies ist bei allen Verbrauch- und Warensteuern der Fall, wenn der Täter durch das Inverkehrbringen einen Vermögenszuwachs erzielt.

Sachverhalt:

Das LG Bielefeld hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.472.555,19€ angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte über einen längeren Zeitraum selbst oder unter Einschaltung einer Spedition unversteuerten Trinkbranntwein aus Italien und Bulgarien nach Deutschland eingeführt. Dadurch war nach den Feststellungen des LG insgesamt ein Steuerbetrag von 1.472.555,19€ verkürzt worden. 57.462,30€ waren dabei auf den letzten Transport entfallen. Dieser Transport hatte 30 Paletten mit je 750 Flaschen „Limoncello“ eingeführt, von denen allerdings 26 Paletten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sichergestellt worden waren.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass die Einziehungsentscheidung des LG Rechtsfehler aufweise.

Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB sei lediglich in Höhe von 1.442.754,53€ möglich, da die verkürzte Steuer, die auf die sichergestellten Paletten entfalle, unbeachtet bleiben müsse.

Die verkürzte Steuer könne im Rahmen der Steuerhinterziehungsdelikte ein erlangtes Etwas i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB darstellen, da der Täter sich Aufwendungen für die Steuerzahlung erspare. Allerdings sei dafür erforderlich, dass sich ein Vermögensvorteil beim Täter realisiere, denn dies sei der Anknüpfungspunkt des Rechts der Einziehung, so der BGH.

Die Rechtsprechung des Senats zu Tabaksteuern, die auf einen Vermögenszuwachs durch das Inverkehrbringen abstelle, sei auf alle Verbrauch- und Warensteuern zu übertragen. Denn erst mit dem Eintritt in den Wirtschaftskreislauf werde die Verbrauchsteuer erhoben.

Da der Angeklagte die sichergestellten Paletten nicht mehr wirtschaftlich verwerten habe können, sei bei ihm kein Vermögenszuwachs entstanden. Dies führe dazu, dass eine Einziehung des Wertes von Taterträgen bezüglich der sichergestellten Paletten nicht gerechtfertigt sei, was ebenfalls von der Wertung des § 74c Abs. 1 StGB bestätigt werde.

 

Anmerkung der Redaktion:

Entscheidungen zur Einziehung von Taterträgen bei der Tabaksteuerhinterziehung finden Sie hier und hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 06/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 08.01.2020 – 5 StR 366/19: Nichtwahl des günstigsten Angebots begründet nicht grundsätzlich eine Pflichtwidrigkeit im Rahmen der Haushaltsuntreue

Amtlicher Leitsatz:

  1. Ein Entscheidungsträger handelt im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht stets pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt. Beim Unterlassen eines Preisvergleichs oder einer Ausschreibung kommt eine Strafbarkeit nur bei evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstößen in Betracht.
  2. Ein Vermögensnachteil kann bei der Haushaltsuntreue auch nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags eintreten.

Sachverhalt:

Das LG Saarbrücken hat den Angeklagten wegen Untreue verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als Oberbürgermeister einer Gemeinde eine Detektei beauftragt, um städtische Mitarbeiter des Baubetriebshofs der Gemeinde zu überwachen. Diese hatte er verdächtigt, während der Arbeitszeit private Tätigkeiten auszuführen und illegal Holz der Gemeinde auf eigene Rechnung zu verkaufen.

Der Angeklagte hatte gewusst, dass er nach der Geschäftsordnung des Stadtrats der Gemeinde nur Aufträge in einer Höhe bis 25.000€ selbstständig hatte vergeben dürfen.

Die mit der Detektei für die Überwachung vereinbarten Preise hatten über dem ortsüblichen Niveau gelegen und nach Beendigung der Überwachung war schlussendlich ein Rechnungsbetrag von 276.762,43€ angefallen.

Ein vorheriger Preisvergleich mit anderen Detekteien war nicht erfolgt.

Die Überwachung hatte am 1. November 2015 begonnen und am 3. Dezember 2015 war eine Abschlagszahlung in Höhe von 100.000€ vereinbart und wenig später auch gezahlt worden.

Beendet worden war die Überwachung am 18. Dezember 2015.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil überwiegend auf und verwies es zurück.

Zwar treffe den vertretungsberechtigen Oberbürgermeister eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Stadt, allerdings trügen die Feststellungen des LG keinen für eine Strafbarkeit ausreichenden Pflichtverstoß des Angeklagten.

Rechtsfehlerhaft sei schon die Annahme des Tatgerichts, dass die ungeprüfte und zu höheren Preisen erfolgte Vergabe des Auftrags, eine strafbare Treuepflichtverletzung darstelle.

Richtig sei, dass ein Oberbürgermeister im Rahmen der Auftragsvergabe an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden sei und eine Verletzung dieser Gebote eine Pflichtwidrigkeit nach Maßgabe des § 266 StGB darstellen könne.

Jedoch setzten diese haushaltsrechtlichen Grundsätze nur die äußeren Grenzen des Ermessensspielraums des einzelnen Amtsträgers und verböten nur solche Maßnahmen, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar seien.

Daher begründe die Auswahl des nicht sparsamsten Angebots nicht per se eine Pflichtwidrigkeit, sondern lediglich dann, wenn die Auswahl eine evidente und schwerwiegende, also gravierende, Pflichtverletzung darstelle.

In diesem Fall hätten jedoch gerade aufgrund der Ungeregeltheit des Berufsbildes „Privatdetektiv“ weitere Auswahlkriterien vorgelegen, beispielsweise Seriosität, Auftreten am Markt, Größe sowie Empfehlungen, die im einzelnen Falle höher gewichtet werden dürften als der Preis. Ein evidenter Pflichtverstoß liege bei einem Abstellen auf solche Kriterien fern.

Zudem sei der Preis der Detektei zwar im Vergleich zu Mitbewerben überhöht gewesen, die Mehrkosten in Höhe von ca. 25% fielen wirtschaftlich jedoch nicht komplett aus dem Rahmen, so der BGH.

Das Nichteinholen von Vergleichsangeboten könne grundsätzlich einen Pflichtverstoß darstellen, eine gravierende Pflichtverletzung sei jedoch in diesem Falle durch die Feststellungen nicht belegt.

Weiterhin sei es durch die tatgerichtlichen Feststellungen nicht nachweisbar, dass der Angeklagte von vornherein von einer Überschreitung der 25.000€-Grenze und damit seiner Vergabekompetenzen ausgegangen sei.

Dafür spreche nach der Argumentation des LG zwar, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen und keine Frist zur Wiedervorlage gesetzt worden war. Allerdings habe sich das Tatgericht nicht ausreichend mit den Gegenargumenten befasst. So spreche der Umstand, dass von vornherein keine Frist des Vertrages bis zum 18. Dezember 2015 vereinbart worden war und die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des Vertrages nicht dafür, dass der Angeklagte schon zu Beginn der Überwachung von einem derart langen Zeitraum ausgegangen sei.

Der Senat sehe jedoch eine Strafbarkeit wegen Untreue durch Unterlassen ab dem 3. Dezember 2015 als gegeben an, da der Angeklagte spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste, dass die Überwachung Kosten in Höhe von 100.000€ verursacht hatte. Allerdings könne er den Schuldspruch nicht auf durch Unterlassen begangene Untreue umstellen.

Schließlich führt der BGH aus, dass die erhaltenen Überwachungsleistungen durch die Detektei aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit keinen Wert für die an Recht und Gesetz gebundene Gemeinde gehabt hätten und die Kosten somit einen Schaden nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags darstellten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Entscheidungen zur Vermögensbetreuungspflicht von Bürgermeistern finden Sie hier und hier.

Eine ähnliche Entscheidung des BGH zum Sparsamkeitsgrundsatz von 2007 finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 05/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 15.01.2020 – 2 BvR 1763/16: Begründete Verfassungsbeschwerde gegen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, das eine Zwangsfixierung zum Gegenstand hatte

Leitsatz der Redaktion:

Unterlässt es ein Gericht, die durch eine Fixierung entstandenen Tatfolgen gewissenhaft aufzuklären, um eine staatsanwaltschaftliche Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO zu überprüfen, verletzt es damit den Anspruch auf effektive Strafverfolgung des Fixierten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin war vom Pferd gestürzt und aufgrund dieses Unfalls in die Universitätsklinik in Kiel eingeliefert worden. Dort war ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert und die Patientin zur weiteren Beobachtung stationär aufgenommen worden.

Gegen ärztlichen Rat hatte sie am nächsten Morgen das Krankenhaus verlassen wollen, was von zwei herbeigerufenen Polizeibeamten verhindert worden war. Gegen ihren Willen war die Beschwerdeführerin dann aufgrund ärztlicher Anordnung an ihr Krankenbett fixiert worden. Ein Amtsarzt ordnete anschließend die weitere zwangsweise Fixierung und Beobachtung in der Neurologie des Universitätsklinikums nach dem schleswig-holsteinischen PsychKG an. Diese Anordnung war von einer Richterin am AG genehmigt worden. Die Einweisung und Fixierung der Patientin gegen ihren fehlerfrei gebildeten Willen war rechtswidrig gewesen, was später vom LG und VG Kiel festgestellt worden war.

Aufgrund dieses Vorgangs hatte die Beschwerdeführerin später Anzeige gegen den behandelnden Stationsarzt, einen Pfleger, den herbeigerufenen Amtsarzt und die Richterin am AG gestellt.

Alle daraufhin eröffneten Ermittlungsverfahren waren von der StA eingestellt worden. Gegen diese Einstellungsentscheidung und die im Klageerzwingungsverfahren erlassenen nicht abhelfenden Beschlüsse hat die Beschwerdeführerin das BVerfG angerufen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt und sah es als begründet an, dass die Beschwerdeführerin durch die staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidungen und die bestätigenden gerichtlichen Beschlüsse  in ihrem Recht auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist.

Zwar bestehe in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich kein Anspruch auf die Strafverfolgung eines Dritten. In Ausnahmefällen – z.B. bei erheblichen Straftaten gegen das Leben, die persönliche Freiheit oder die körperliche Unversehrtheit – könne sich ein solcher Anspruch jedoch als Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.

Dies sei nötig, da in solchen Fällen nur durch eine effektive Strafverfolgung das Vertrauen des Einzelnen in das Gewaltmonopol des Staates bewahrt werden könne. Eine unterbleibende Strafverfolgung würde ansonsten zu einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit führen, so das BVerfG.

Einen Anspruch auf Erhebung der öffentlichen Klage, könne aus diesem Grundrecht jedoch nicht zwingend abgeleitet werden. Das effektive und ergebnisoffene Führen eines Ermittlungsverfahrens sei in den meisten Fällen ausreichend.

Da sich das OLG im vorliegenden Fall nicht im gebotenen Umfang mit den tatsächlichen Voraussetzungen der Einstellung durch die StA nach § 153 StPO und § 170 Abs. 2 StPO befasst habe, sei dadurch der Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektive Strafverfolgung verletzt worden.

Das Gericht habe weder die im Rahmen des § 153 StPO erforderlichen lediglich geringen Tatfolgen hinreichend festgestellt, noch habe es bei der Auslegung des Merkmals des öffentlichen Verfolgungsinteresses den möglicherweise bestehenden Anspruch auf effektive Strafverfolgung der Beschwerdeführerin berücksichtigt.

Diese Tatsachenfragen hätten im Klageerzwingungsverfahren durchaus der Prüfungskompetenz des OLG unterlegen.

Lediglich in Bezug auf die Richterin am AG sei die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet, da die richterliche Entscheidung nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Im Juli 2018 hatte das BVerfG entschieden, dass die 5-Punkt- sowie 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzer Dauer eine Freiheitsentziehung darstelle, die nur aufgrund einer richterlichen Anordnung zulässig sei.

Das Urteil finden Sie hier.

Daraufhin wurde das „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen“ erlassen und auf Länderebene wurden die verschiedenen PsychKG angepasst. Informationen zu den Gesetzesvorhaben und eine Übersicht bezüglich der verschiedenen Bundesländer finden Sie hier und hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 04/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 27.11.2019 – 3 StR 233/19: 3. Strafsenat hält § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG nicht für verfassungswidrig

Leitsatz der Redaktion:

§ 6a Abs. 2 Satz 1 AMG ist trotz der Verweisung auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping nicht verfassungswidrig.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, mit Herstellen und Inverkehrbringen von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen sowie mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ab Mitte 2011 angefangen Anabolika zum Vertrieb an Kraftsportler herzustellen und es an seine Kunden zu verkaufen sowie zu versenden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH nahm den Vorwurf des Herstellens und Inverkehrbringens von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 8 Abs. 1 Nr. 1 AMG) von der Verfolgung aus, verwarf die Revision allerdings im Übrigen.

Zur Begründung führte der Senat zunächst an, dass es sich bei den hergestellten Anabolika um Arzneimittel nach § 2 AMG handele. Dies könne nach den bisherigen vom EuGH aufgestellten Grundsätzen unproblematisch festgestellt werden, da keine grundsätzlichen und für diesen Fall relevanten Rechtsfragen mehr bestünden. Eine Anfrage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV müsse daher in Bezug auf das Tatbestandmerkmal des Arzneimittels nicht gestellt werden.

Des Weiteren seien auf den Sachverhalt richtigerweise gemäß § 2 Abs. 2 StGB die §§ 95 Abs. 1 Nr. 2a, 6a Abs. 1 AMG in der Fassung vom 19. Oktober 2012 angewendet worden.

Von einer Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG sei der Senat nicht überzeugt, sodass eine Entscheidung des BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht habe eingeholt werden müssen.

Zwar bestünden Bedenken aufgrund der am 26. Oktober 2012 eingeführten dynamischen Verweisung auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping, allerdings seien die Zweifel in diesem Fall nicht von genügendem Gewicht.

Eine dynamische Verweisung in einer Strafnorm könne im Hinblick auf die Wahrung der Rechtssetzungshoheit des parlamentarischen Gesetzgebers problematisch sein. Dabei bestimme sich der nötige Grad an gesetzlicher Bestimmtheit nach einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Regelungsalternativen im Einzelfall, so der BGH.

In § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG habe der parlamentarische Gesetzgeber jedoch selbst die Strafbarkeit und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 6a Abs. 1 AMG geregelt. Die Verweisung des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG stelle in diesem Zusammenhang lediglich eine einschränkende Konkretisierung der Verbotsnorm des Absatzes 1 dar. Dieses Vorgehen sei letztlich als unproblematisch zu bewerten.

Auch der Verweis auf Normen aus einem völkerrechtlichen Übereinkommen sei im Ergebnis zulässig, da das Grundgesetz völkerrechtsfreundlich angelegt sei und der Inhalt der Verweisung im Wesentlichen feststehe.

Zudem sei die konkrete Version des damals geltenden Anhangs zum Übereinkommen schon im Gesetzgebungsverfahren zu § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG bekannt gewesen, was diese Art der Regelungstechnik ebenfalls als unproblematisch erscheinen lasse.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der BGH hatte in einer anderen Entscheidung Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG geäußert.

Aufgrund dieser Bedenken des BGH hatte der Gesetzgeber den § 6a AMG am 10. Dezember 2015 durch § 2 AntiDopG ersetzt und dort eine andere Regelungstechnik gewählt. Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden Sie hier.

 

 

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